Warum gibt es alles und nicht nichts? - Richard David Precht - E-Book

Warum gibt es alles und nicht nichts? E-Book

Richard David Precht

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Beschreibung

Richard David Precht erklärt seinem Sohn Oskar die Welt

Kinder, sagt man, sind die wahren Philosophen. Sie haben eine unbändige Neugier, und ihre Fragen bringen die Erwachsenen oft ins Grübeln. Wie erklärt man Kindern die Welt? Der Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht hat mit seinem Sohn Oskar einen Sommer lang Spaziergänge durch Berlin gemacht: in den Zoo, auf den Fernsehturm, ins Naturkundemuseum oder zur Synagoge, und hat ihm dabei auf viele seiner Fragen geantwortet. „Bin ich wirklich ich?“, „Darf man Tiere essen?“ oder „Warum haben Menschen Sorgen?“. Auf spielerische Art und Weise und mit vielen Geschichten zeigt Precht den Kindern unsere Welt und hilft ihnen, sie besser zu verstehen. Nach „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ nun das Buch zur Philosophie für alle jungen Menschen, die es genauer wissen wollen!

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Seitenzahl: 209

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Richard David Precht

Warum gibt es alles und nicht nichts?

Ein Ausflug in die Philosophie

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Copyright ©2011 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-06990-2V004

www.goldmann-verlag.de

Für Oskar und Far

Einleitung

Von Erwachsenendingen, Eidechsendingen undKinderdingen…

Eines Tages, vor etwa einem Jahr, standen Oskar und ich im Berliner Aquarium und beobachteten den Zitteraal. Zitteraale sind ziemlich fiese Ungetüme, dicke grau-rosa-farbene Würste. Ihre winzigen trüben Augen sind blind, und der Fisch ist stark elektrisch. Ein richtiges Monster war es, das da vor unseren Augen langsam durch die Wasserpflanzen glitt.

Nun findet Oskar Monster nicht nur gruselig, sondern auch äußerst spannend. Sollten wir nicht mal ein Kinderbuch schreiben, mit einem unglaublich riesigen Zitteraal als Bedrohung? Ein Ungeheuer mit tödlichen Stromschlägen? Zu Oskars Lieblingsbüchern gehört eine Reihe mit einem jungen Helden, der im Mittelalter eine ganze Serie von Monstern bekämpft. Warum sollten wir nicht auch ein solches Buch schreiben, eben mit einem Zitteraal? Mit wissenschaftlichem Namen heißt das Monster übrigens Electrophorus. Ein toller Name: »Electrophorus– der Schrecken des Amazonas«. Den Titel hätten wir schon.

Aber mit einem Mal wurde Oskar sehr nachdenklich. Ihm kamen Zweifel. »Papa, das geht nicht«, sagte er betrübt.– »Im Mittelalter gab es noch gar keinen Strom.«

Heute ist Oskar ein Jahr älter. Und er weiß natürlich auch, dass es im Mittelalter zwar schon Elektrizität gab. Aber niemand wusste damals, was das ist. Wenn es blitzte, entluden sich auch im Mittelalter elektrische Ladungen. Trotzdem hatte Oskar irgendwie recht: Strom und Mittelalter– das passt nicht richtig zusammen.

Ob etwas sachlich richtig ist oder ob etwas gefühlt zusammenpasst, sind zwei verschiedene Dinge. In diesem Buch soll es um beides gehen. Um das, wovon wir genau wissen, dass es stimmt, und um all die vielen Dinge, von denen wir nur ungefähr wissen, was stimmt. Sachen, bei denen wir aber ein Gefühl haben, was gut oder schlecht zusammenpasst.

Man sagt oft, Kinder seien die wahren Philosophen. Sie sind neugierig und wollen alles ganz genau wissen. Und es gibt unendlich viel zu wissen in der Welt. Dabei gibt es Fragen, die man leicht beantworten kann. Und es gibt Fragen, die man nur schwer, nicht endgültig oder gar nicht beantworten kann. Solche Fragen sind oft philosophische Fragen.

Viele dieser Fragen und Antworten, die für Kinder spannend sind, sind es natürlich auch für Erwachsene. Oft stellen sie sich die gleichen Fragen: Wo kommt alles Leben eigentlich her? Warum sind Menschen oft traurig? Und woran kann man eigentlich erkennen, ob das, was man tut, richtig ist oder falsch?

In meinen drei letzten Büchern für Erwachsene habe ich mich mit diesen Fragen beschäftigt. Und deshalb habe ich die eine oder andere Frage und Geschichte aus diesen Büchern übernommen. Natürlich habe ich sie umgearbeitet, damit auch Kinder sie verstehen können. Oskar ist inzwischen alt genug, dass er vieles davon verstehen kann.

Dazu gibt es manches, was ganz besonders für Kinder spannend ist. Der Philosoph Martin Heidegger meinte einmal, dass das, was Menschen denken, für Eidechsen todlangweilig und völlig unvorstellbar ist. In ihrer Welt gibt es nämlich keine Menschendinge, sondern nur »Eidechsendinge«. Aber was sind das– Eidechsendinge? Das verriet Heidegger leider nicht. Vielleicht sind es solche Dinge wie knusprige Insekten, tolle heiße Steine und kuschelig schützende Höhlen?

Ebenso wie es »Eidechsendinge« gibt, gibt es natürlich auch »Kinderdinge«. Lange Flure zum Beispiel, durch die man nicht langsam gehen, sondern nur rennen kann. Oder glatte Fußböden, über die man unbedingt auf Socken rutschen muss. Geländer, die zum Balancieren einladen. Kissen, die ihren Sinn erst durch eine Kissenschlacht bekommen. Sofas, die zum darauf Hüpfen da sind. Und genauso gibt es auch Kinderfragen. Dabei unterscheiden sich die Kinderfragen von den Erwachsenenfragen wie das langsame Gehen über einen glatten Flur vom Durchrutschen. Aber auch Erwachsene– zum Beispiel wenn sie sehr gut gelaunt, etwas betrunken oder frisch verliebt sind– erinnern sich manchmal daran, das Rutschen eigentlich schöner ist als langsames Entlangschreiten…

Deshalb sind Kinderdinge oft etwas sehr Ähnliches wie Erwachsenendinge. Nur eben meist spontaner, lustiger und ehrlicher. Kinder wissen nämlich meistens, dass sie vieles nicht wissen. Wogegen Erwachsene immer glauben, sie müssten auf alles eine Antwort haben. Vermutlich deshalb, weil sie glauben, man hielte sie sonst für dumm. Und dumm will natürlich keiner sein. Erwachsene genauso wenig wie Kinder. Dabei sind vor allem die Menschen dumm, die glauben, dass sie alles wüssten…

Für unsere vielen philosophischen Gespräche haben Oskar und ich uns Berlin ausgesucht. Die Stadt gehört zu unseren Lieblingsstädten. Es gibt unglaublich viel zu sehen, zu besichtigen und zu tun.

Wie viele berühmte Philosophen, die ihre besten Gedanken beim Gehen hatten, haben wir viele Spaziergänge gemacht. Und so durften wir uns bei unseren Ausflügen in Berlin ein ganz klein wenig wie Jean-Jacques Rousseau fühlen, wie Martin Heidegger oder wie Immanuel Kant, nach dessen philosophischen Spaziergängen die Nachbarn sogar ihre Uhren gestellt haben sollen, weil sie so regelmäßig waren und so pünktlich…

Ich & Ich

Im Museum für Naturkunde

Warum gibt es alles und nicht nichts?

Solange er zurückdenken kann, hat sich Oskar für Dinosaurier interessiert, für ausgestorbene Säugetiere wie Säbelzahntiger und für die früheren Erdzeitalter. Unsere erste Station in Berlin ist darum immer das Museum für Naturkunde in der Invalidenstraße.

Schon von außen wirkt das Gebäude stattlich und beeindruckend. Ein großes altes Haus aus der Zeit des Kaiserreichs mit etwas abgebröckelter Fassade, die das Museum so alt aussehen lässt, wie es ist. In der Eingangshalle wartet schon das Skelett des Brachiosaurus auf uns– das größte komplett aufgebaute Dinosaurierskelett aus echten Knochen. Zwar weiß man heute, dass es in der Jura-Zeit noch größere Saurier gab als den Brachiosaurus, zum Beispiel Supersaurus und Argentinosaurus. Aber es ist noch immer ein beeindruckendes Gefühl, wenn man unter dem alten Skelett steht, das doppelt so hoch wie eine Giraffe ist und fast so lang wie ein Blauwal. Daneben stehen die Skelette anderer Jura-Dinosaurier wie Diplodocus und Allosaurus. Sie lassen sich mit Computer-Simulationen gleichsam zum Leben erwecken. Und natürlich gibt es noch das wertvolle Fossil des Urvogels Archaeopterix in seinem Kalkstein.

Im Treppenhaus wird es richtig gemütlich. Hier befindet sich eine einladende Liegeinsel, auf die man sich am liebsten gleich draufwerfen möchte. Dies ist Oskars Lieblingsplatz im ganzen Museum. Wenn man sich auf den Rücken dreht, sieht man eine Multimediainstallation über die Entstehung des Universums, den Urknall, die Geschichte des Kosmos und der Erde. Entspannt und konzentriert sehen und lauschen wir, wie Galaxien entstehen und vergehen, Sterne aufblitzen und erlöschen. Bis wir am Ende in einen Spiegel schauen und uns selbst sehen, wie wir auf den Polstern liegen und nach oben blicken. Zwei winzige, aber hochvergnügte Kreaturen auf einem kleinen Planeten im riesigen Universum. Als wir das ehrwürdige alte Treppenhaus hochgehen in den ersten Stock, fragt Oskar auf einmal ganz ernst:

Papa, warum gibt es das alles?Wie meinst du das, Oskar?Ich meine, warum es das alles gibt. Warum gibt es alles und nicht nichts?Du meinst, warum es Sterne, Planeten, Pflanzen, Tiere und Menschen gibt?Ja, warum ist das alles überhaupt da?

Warum gibt es alles und nicht nichts? Wie oft haben sich Menschen das schon gefragt. Immer und immer wieder. Wahrscheinlich ist es die älteste Frage der Philosophie überhaupt. Die Frage, die vor allen anderen steht. Immer wieder und in allen Ländern haben Menschen versucht, Antworten darauf zu geben. Und meistens haben sie dafür Geschichten erfunden.

Die alten Chinesen erzählen im »Buch der Berge und Meere« vom Chaos als Urzustand. Das Chaos ist ein bunter Vogel ohne Gesicht, der auf sechs Füßen tanzt. Die Germanen nannten das Chaos Ginnungagap– die gähnende Schlucht. Die Juden nannten es Tohuwabohu– das große Durcheinander. (Auch heute noch benutzen viele Eltern das Wort, wenn sie meinen, dass ihr in den Zimmern mal wieder ein Tohuwabohu angerichtet habt. Aber ihr dürft ihnen dann ruhig erklären, dass es kein Tohuwabohu ist, sondern ein Ginnungagap…)

Für die alten Ägypter stand am Anfang das Urwasser, aus dem sich eines Tages der Urhügel– die Erde– erhob. In einer anderen altägyptischen Geschichte entstehen die Götter aus dem Urschlamm. Der Erste, der sich daraus befreit, ist Atum, der Schöpfergott. Er erzeugt die Welt, indem er den Gott der Luft und die Göttin des Feuers hervorbringt. Die Geschichte vom Urhügel oder Weltenberg findet sich auch bei den Sumerern, die ihre Tempel nach dem Modell des Weltenbergs bauten.

Eine andere beliebte Erzählung in vielen Kulturen ist, dass die Welt aus einem Ei entsprungen ist. Solche Geschichten gibt es in Osteuropa, in Nordasien, bei den Griechen, den Persern und den Ägyptern. Auch die alten Chinesen kennen den Ursprung der Welt aus dem Ei. Es ist die Erzählung vom Riesen Pangu. Zunächst war er ein winziger Zwerg und wurde aus einem Urei geboren, und zwar vor ziemlich genau 18000 Jahren. Aus der unteren Hälfte der Eierschale entstand Yin– die Erde. Und aus der oberen Eierschale wurde Yang– der Himmel. Dazwischen eingeklemmt wuchs Pangu zu einem Riesen heran und zerbrach in viele kleine Teile: in den Mond, die Sonne, die Berge, die Flüsse, den Wind und so weiter. Ein ganz besonderes Schicksal aber ereilte die Flöhe auf seiner Haut. Aus ihnen entstanden die Menschen.

Aber Papa, diese Geschichten stimmen doch gar nicht! All diese komischen Götter und Eier.Nein.Aber warum erzählst du sie mir dann? Geschichten erzählen, die nicht stimmen– ist das Philosophie? Da kann man sich ja gleich Geschichten ausdenken so wie aus »Star Wars« oder so…Ja, das könnte man. Jeder kann sich seine eigene Geschichte ausdenken, woher die Welt kommt. Und weißt du, woran das liegt? Weil man niemals herausfinden wird, was die Wahrheit ist.Aber was wir gesehen haben, ist doch die Wahrheit. Das Universum ist durch den Urknall entstanden.Ja, das vermuten wir. Jedenfalls, soweit wir das heute wissen. Vielleicht gibt es aber auch bald eine neue Theorie. Und in hundert Jahren sieht man die Sache wieder anders. Genau wissen werden wir es nie.Wenn es den Urknall gab, wodurch alles auseinandergeflogen ist, dann muss es auch etwas vorher gegeben haben, vor dem Urknall.Ja, so einen riesigen Klumpen.Und der Klumpen, wo kommt der her?Das ist ja das Problem. Wenn die Welt aus einem Ei entsprungen sein soll, woher kommt dann das Ei? Und wenn am Anfang ein Klumpen war, woher kommt dann der Klumpen? Schon die alten griechischen Philosophen haben sich mit dieser Frage beschäftigt und festgestellt: »Aus nichts entsteht nichts!«Papa, heißt das, es gibt keine Antwort?Ich fürchte, da hast du recht, Oskar. Erinnerst du dich, dass ich dir mal gesagt habe: Die echten philosophischen Fragen sind die, auf die es keine sichere Antwort gibt…?Und auf meine Frage gibt es keine?Nun, manchmal gibt es Fragen, auf die man NOCH keine sichere Antwort weiß. Zum Beispiel wusste man lange nicht, was Strom ist. Also konnte man sich nicht erklären, was ein Blitz ist. Man dachte, dass ein Gott auf einer dunklen Wolke sitzt und die Blitze schleudert oder etwas Ähnliches. Heute wissen wir das besser und können Blitze genau erklären. Aber es gibt auch Fragen, auf die es immer schwer sein wird, eine sichere Antwort zu geben. Und das sind die echten philosophischen Fragen.Zum Beispiel meine Frage, Papa?Genau. Deine Frage ist noch nicht einmal irgendeine philosophische Frage. Es ist die größte und schwerste philosophische Frage überhaupt. Aber vielleicht erinnerst du mich am Ende unseres Buches noch einmal daran. Denn wenn wir über alles nachgedacht haben, über das wir zusammen nachdenken wollen– wer weiß, vielleicht fällt uns dann am Ende eine Antwort ein, die uns trotz allem zumindest halbwegs zufrieden stellt…?

Auf jeden Fall haben wir eine erste philosophische Einsicht gewonnen:

Nicht jede philosophische Frage lässt sich beantworten. Auf viele gibt es nur ungefähre Antworten. Und viele davon führen sofort zu neuen Fragen.

Denn wenn man schon nicht sagen kann, warum es alles gibt und nicht nichts– kann man dann nicht zumindest sagen, warum es Menschen gibt?

Im Museum für Naturkunde (2)

Warum gibt es mich?

In einem etwas abgedunkelten Raum des Museums steht eine riesige Glasvitrine, so groß wie eine Wand. Von den kleinsten Käfern bis zu Nebelpardern und Geparden sieht man hier all die verschiedenen Tiere unseres Planeten: einen großen Storch, den Schuhschnabel, daneben Löffelreiher, Kraniche, Weißkopfseeadler und Doppelhornvögel. Jeder Schnabel hat eine andere Form und ist zu etwas anderem gut. Bei jeder Tiergruppe sieht man, wie sie sich in der Evolution zu vielen verschiedenen Formen entwickelt hat.

Angefangen hat alles einmal ganz einfach. Vor unvorstellbar langer Zeit, vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, entwickelte sich zum ersten Mal das Leben und bildete seitdem immer neue Formen. Wenn man in einen Seitenflügel des Museums geht, kommt ein besonderer Raum. Nur wenige Besucher dürfen gleichzeitig hier rein. Es ist kalt dort drinnen, düster und etwas gespenstisch. In hohen Vitrinen lagern Hunderttausende von großen und kleinen Glasgefäßen mit Fischen, Spinnen, Krebsen, Amphibien und Säugetieren.

Erinnerst du dich, Oskar, was ich dir erzählt habe, wo die Menschen herkommen?Von den Affen.Und woher weiß man das?Weil man Knochen und Köpfe von Affenmenschen gefunden hat.Wusste man das denn schon immer?Nein, ich glaube nicht.Weißt du, wie lange man das schon weiß, Oskar?Nicht genau.

Dass Menschen und Affen irgendwie miteinander verwandt sind, ahnten die Menschen schon vor mehr als 2000 Jahren. Die Ureinwohner Indonesiens glaubten, dass Orang-Utans Menschen sind, die nur deshalb nicht reden, weil sie zu faul zum Arbeiten sind. Und das Wort Orang-Utan bedeutet auf Deutsch: »Waldmensch«. Die Mayas in Südamerika schrieben in ihrem »Ratsbuch«, wie die Götter die ersten Menschen erschufen. Leider waren sie ihnen nicht gut geraten. Sie waren nicht intelligent und sensibel, sondern gefühllos. Da verwandelten die Götter ihre verpfuschten Menschen in Affen.

Die Bibel dagegen kennt keine Schöpfungsgeschichte, in der Affen vorkommen. Aus einem ganz einfachen Grund: In Israel, wo die Bibel entstand, gibt es gar keine Affen. Und was man nicht kennt, darüber kann man auch keine Geschichten erzählen und Erklärungen erfinden.

Die Wissenschaft weiß heute, dass der Mensch von affenähnlichen Vorfahren abstammt. Aber es dauerte sehr lange, bis die meisten Menschen davon überzeugt waren. Als der berühmte Naturforscher Charles Darwin vor 150 Jahren erklärte, dass alle Tiere, die heute leben, von ganz anderen Tieren abstammen, die früher lebten, wurde er erst verspottet. Bis dahin wollten viele Menschen glauben, was in der Bibel steht: dass Gott die Tiere und Menschen erschaffen hat. Nach der Sintflut strandete die Arche Noah dann auf dem Berg Ararat, einem Vulkan in der Türkei. Noch kurz vor Darwin glaubten viele Naturforscher, dass alle heute lebenden Tierarten vom Berg Ararat aus losgewandert sind, bis sie dort ankamen, wo Gott sie haben wollte.

Man muss sich einmal vorstellen, wie die Eisbären durch die Türkei und ganz Europa bis nach Grönland gewandert sind. Was für eine Hitze! Und erst recht die armen Kaiserpinguine! Vom Berg Ararat bis ans Meer sind es über hundert Kilometer. Dann durch das Schwarze Meer ins Mittelmeer und von dort durch den atlantischen Ozean bis zum Südpol schwimmen. Ganz schön anstrengend. Und wie sind die Frösche und Kröten und erst die Schnecken um die halbe Welt bis nach Südamerika und Australien gekommen?

Die Geschichte aus der Bibel kann also nicht stimmen. Heute wissen wir, dass sich die Pflanzen und Tiere nach und nach entwickelt haben und sich dabei im Lauf der Zeit veränderten. Nicht anders war es beim Menschen. Dabei sind uns unsere ältesten Vorfahren bis heute unbekannt. Was wir wissen, ist, dass vor etwa 4 oder 5 Millionen Jahren eine Reihe verschiedener Affenmenschen in Ostafrika entstanden: die Australopithecinen. Auf Deutsch bedeutet der Name: »Südaffen«. Sie bewohnten Halbwüsten, Savannen, kleinere Wälder und sumpfige Flusslandschaften. Sie lebten in Horden zusammen, und irgendwann erlernten die Südaffen den aufrechten Gang. In späterer Zeit lebte in Ostafrika dann der Homo habilis– der »geschickte Mensch«. Er hatte ein viel größeres Gehirn als die Südaffen und war dem Menschen auch schon viel ähnlicher. Noch etwas später entwickelte sich Homo erectus– der »aufrecht gehende Mensch«. Als erster Vorfahre des Menschen breitete er sich von Ostafrika auf andere Kontinente aus und wanderte bis nach Südostasien. Vor etwa 200000 Jahren dann entwickelte sich aus dem Homo erectus sein Nachfahre Homo sapiens– der »schlaue Mensch«. Und das sind wir.

Warum also gibt es dich, Oskar?Weil die Menschen sich aus den Affen entwickelt haben. Irgendwann haben sie sich zu meiner Mama entwickelt und zu meinem Papa, und die haben mich dann geboren.Meinst du, dass es Absicht war, dass die Menschen entstanden sind? Oder Zufall?Keine Ahnung.Stell dir mal vor, es gäbe noch mal die Südaffen. Glaubst du, sie würden sich wieder zu den heutigen Menschen entwickeln?

(Oskar zuckt mit den Schultern)

Ehrlich gesagt: Ich weiß es auch nicht. Aber ich glaube, dass nicht genau die gleichen Menschen dabei herauskommen würden. Vielleicht wären es ganz andere Menschen?Vielleicht wären sie klein und gebückt und mit Fell an manchen Stellen. Oder riesig groß mit zerrissenen Kleidern. Und sie bekämpfen sich fürchterlich untereinander. Oder sie laufen auf vier Beinen…?Das klingt nach Trollen oder Orks. Richtige Monster hätten wir werden können. Stell dir mal vor, wie unser Leben wäre, wenn wir zum Beispiel viel längere Arme hätten und ganz kurze Beine.Dann wären die Tische viel niedriger, Papa. Treppen gäbe es auch nicht.Nein, vielleicht nur so Rampen wie für Rollstuhlfahrer…Die Autos sähen auch anders aus.Wenn es überhaupt welche gäbe! Diese Menschen würden bestimmt auch keinen Fußball spielen.Nein, Papa, nur Handball und Basketball. Wegen der langen Arme.Ja, niemand weiß, wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hätte, wenn die Zufälle alles anders gemacht hätten.

Unsere zweite philosophische Einsicht heißt:

Der Mensch ist durch viele Zufälle entstanden. Und wir haben wenige Gründe zu vermuten, dass es dahinter einen Sinn gibt.

Für viele Menschen ist das nicht leicht zu akzeptieren. Überall in unserem Leben suchen wir nach Sinn. Kann es dann sein, dass es einen solchen großen Sinn nicht gibt? Dass unsere Existenz nur von Zufällen abhängt? Normalerweise ist es nämlich sehr wichtig für uns, dass alles einen Sinn haben soll. Wenn wir etwas tun, tun wir es, weil es sinnvoll ist. Wir essen, trinken und schlafen, weil es sinnvoll ist, das zu tun. Ansonsten würden wir sterben. Auch mit unserer Familie und unseren Freunden sind wir zusammen, weil es uns etwas bedeutet. Wir gehen in die Schule, weil es sinnvoll ist, viel zu lernen. Und wir arbeiten, weil es in unserer Welt wichtig ist, dass wir Geld verdienen. Jedes Ballspiel hat sinnvolle Regeln. Unsere Wörter haben eine Bedeutung. Und unsere Sätze ergeben einen Sinn.

Der Mensch ist vielleicht das einzige Tier, das ganz ohne Sinn in seinem Leben gar nicht leben kann. Selbst den Tieren, die wir nicht selbst gemacht haben und die schon lange vor uns da waren, geben wir Bedeutungen– durch ihre Namen.

Im Aquarium

Woher haben die Tiere ihre Namen?

Unsere zweite Station in Berlin ist immer das große alte Aquarium am Zoo. Es sieht ziemlich ehrwürdig und imposant aus und wurde von Tiervater Brehm gegründet. In den Wänden sind Reliefs mit Dinosauriern eingelassen. Und auch drinnen gibt es einige furchterregende Kreaturen. Den Teppichhai zum Beispiel, Schaufelnasenhammerhaie, einen Geigenrochen und unsere gefährliche alte Freundin, die Sandtigerhaidame »Nicki«.

Auch dieses Mal gehen wir als Erstes ins Aquarium. Wir schauen in die großen Meerwasserbecken, ob unsere schuppigen Freunde noch da sind. Und dann gehen wir zu den Süßwasseraquarien. Hier interessieren uns besonders die vielen Arten von elektrischen Rüsselfischen, von denen wir auch in unserer Kölner Wohnung einen ganzen Schwarm haben. Von allen Tieren auf der Welt haben sie das größte Gehirn im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht, und ohne Zweifel sind sie auch sehr intelligent.

Tatsächlich gab es dieses Mal neue Rüsselfische zu sehen, Tamandua-Rüsselfische aus Westafrika. In der Natur schwimmen die Fische im Kongo-Fluss und ertasten ihre Beute mit einem elektrischen Taststab, der wie ein kleiner Rüssel aussieht. Die Tamandua-Rüsselfische haben aber nicht nur den Taststock, sondern dazu tatsächlich einen kleinen Rüssel. Sie sehen aus wie Delfine oder mehr noch wie schwimmende Nasenbären oder eben wie ein Ameisenbär. Der Ameisenbär, dem sie am ähnlichsten sehen, ist der Tamandua-Ameisenbär aus dem südamerikanischen Regenwald. Tamanduas haben nicht so einen langen Rüssel wie ihre berühmteren Verwandten, die Großen Ameisenbären. Und sie sind nicht graubraun, wie ihr großer Vetter, sondern schwarz-weiß gescheckt. Und so ähnlich ist es auch mit dem Tamandua-Rüsselfisch. Er hat eine mittellange Nase und ist braun-weiß gescheckt. Nachdem ich Oskar all das erklärt habe, fragt er mich plötzlich:

Papa, woher haben die Fische ihre Namen?Aber Oskar, das habe ich dir doch gerade erklärt, der Tamandua-Rüsselfisch heißt Tamandua-Rüsselfisch, weil er aussieht wie ein…Nein, Papa, das meine ich doch nicht.Nicht?Nein, ich will wissen, woher man weiß, wenn man einen Fisch entdeckt, dass der so heißt.So heißt? Wie meinst du das?Ich meine, wenn man einen neuen Fisch entdeckt, wie findet man dann heraus, wie sein wirklicher Name ist? Woher weiß man, dass er nicht ganz anders heißt?Ganz anders? Was meinst du?Ja, dass er nicht in Wahrheit anders heißt, also zum Beispiel nicht Tamandua-Rüsselfisch, sondern Quajakougou oder so…?

Erst in diesem Moment verstehe ich, was Oskar meint. Er meint, dass jedes Tier (und wahrscheinlich auch jede Pflanze und alles andere, ein Felsen und so weiter) einen eigentlichen Namen haben müsste, einen Namen, der vielleicht gar nichts mit dem zu tun hat, wie die Menschen die Dinge nennen…

Woher haben die Tiere ihre Namen? Schon in der Bibel wird erzählt, wie Adam den Tieren ihre Namen gibt. Und das ist nicht ganz falsch. Alle Namen, die die Tiere haben, haben sie von Menschen. Überall in der Welt geben die Einwohner der Länder, in der die Tiere leben, ihnen Namen. Die Forscher aus anderen Ländern aber gaben den Tieren oft andere und neue Namen. So haben die allermeisten Tiere ganz viele verschiedene Namen. Das Erdmännchen etwa heißt nur in Deutschland so. Die Engländer nennen die Tiere Meerkat, was eigentlich Meerkatze auf Niederländisch heißt und sehr irreführend ist. Denn Erdmännchen gehören nicht zu den Affen, wie die Meerkatzen, sondern zu den Schleichkatzen wie zum Beispiel auch die Mungos. So etwas passiert oft, weil die Menschen, die den Tieren ihre Namen gaben, sich nicht gut auskannten. Auch das Flusspferd ist ja kein Pferd, sondern mit den Schweinen verwandt. Aber die alten Griechen, die die ersten Flusspferde zu Gesicht bekamen, nannten sie Hippos potamos– und das heißt »Pferd des Wassers«.

Nicht anders sieht es beim Ameisenbär aus, der nicht mit den Bären verwandt ist, sondern zusammen mit dem Faultier oder dem Schuppentier zur Familie der »Zahnarmen« gehört, weil er in seinem langen Rüsselmaul keine Zähne hat. Bei anderen Tieren dagegen ist es mit den Namen leicht. Die Klapperschlange, die bei Gefahr mit ihrer Hornklapper am Schwanzende rasselt, heißt in fast allen Sprachen so. Auch Pinguine heißen in vielen Sprachen so, obwohl ihr Name etwas unsinnig ist. Das Wort penguin kommt aus Wales und bedeutet »Weißkopf«. Doch wer sich schon mal einen Pinguin aus der Nähe angeschaut hat, der weiß, dass Pinguine gar keine weißen Köpfe haben! Der Name penguin war ursprünglich der Name eines anderen Vogels, nämlich des inzwischen ausgestorbenen Riesenalks. Und der hatte tatsächlich einen großen weißen Fleck am Kopf. Als die ersten Pinguine nach Großbritannien kamen, erinnerten sie die Seeleute an den Riesenalk. Die dachten, die Vögel müssten mit dem Alk verwandt sein. Und so kam der Pinguin zu seinem Namen.

Manche Tiernamen dagegen sind nicht nur schlecht gewählt, sie machen überhaupt keinen Sinn. Ein lustiges Beispiel dafür ist der Vielfraß. Er ist der größte Marder der Welt und hat die Statur eines kräftigen mittelgroßen Hundes. Vielfraße leben in Nordeuropa. Und in der Sprache der Lappen nennt man sie Fjellfräs. Das Wort »Fjell« heißt Berg oder Felsen, und das Wort »Fräs« heißt Katze. Zusammengesetzt bedeutet es also »Felsenkatze«. Die deutschen Forscher, die dem Vielfraß seinen Namen gaben, hatten das Wort aber offensichtlich nicht richtig verstanden. Und wie bei dem Spiel »Stille Post«, bei dem man sich Worte von Ohr zu Ohr flüstert und am Ende etwas ganz anderes dabei herauskommt, wurde aus dem Fjellfräs ein Vielfraß. In England heißt der Vielfraß übrigens ganz anders. Man nennt ihn wolverine,