Warum unsere Studenten so angepasst sind - Christiane Florin - E-Book

Warum unsere Studenten so angepasst sind E-Book

Christiane Florin

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Beschreibung

In diesem Buch kommen Szenen und Dialoge vor, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren, über die sich aber eine öffentliche Diskussion lohnt. In jeder Sonntagsrede wird die Bildung zum wichtigsten deutschen Rohstoff erklärt – doch in den Hörsälen und Seminarräumen sieht die Welt ganz anders aus: Debattierunlust, Stromlinienförmigkeit, permanenter Performancezwang und der Wunsch der Studenten nach eindeutigen Antworten prägen das Bild. Feedback und Vorgaben kommen gut an, Diskurse hingegen stehen im Verdacht, irgendetwas Rückständiges zu sein. Zwischen Studenten, Dozenten und Professoren herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Wenn meine Fehler im Raum bleiben, verlassen auch deine nicht den Raum. Provokant und mitreißend wirft Christiane Florin einen Blick hinter die Kulissen des Uni-Alltags und beschreibt, was zwischen Credit Points und PowerPoint-Präsentation im Argen liegt – und warum uns das nicht egal sein kann.

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Christiane Florin

Warum unsere Studenten so angepasst sind

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Vorwort: ShowtimeSo läuft’s: Erst das Trinken, dann die MoralStilles Wasser, lautes Schweigen«Im Ansatz schon ganz gut»: Das vergiftete LobNoch einmal mit Gefühl: Das Ich an der MachtGut drauf, gut lebenWarum es so läuft: Das Leben ist hart, das Wasserbett weichKevin allein im Optionalmodul: Die verlorenen SiegertypenGestatten, Alma Mater: Animateurin und MutterDa hat man was EigenesBildung für die Besten: Also für michIch denke, also bin ich nichts wertDas Persönliche ist noch mal politischSchlusswort: Showdown
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Vorwort: Showtime

Ich komme mir vor wie einer dieser beiden Alten aus der Muppet Show. Waldorf und Statler kommentierten von ihrem Platz hoch oben in der Loge das Treiben der Jüngeren unten auf der Bühne. Sie waren sich sicher: Früher war vieles, ach was: alles, besser. Aber sie lieben die Akteure da unten trotzdem. Und sie wollen, dass die Show ihren guten Namen nicht verspielt.

Nun ist der Schreibtisch meine Loge, aus der Distanz lässt sich leichter davon erzählen, was sich im kleinen und großen Übungsraum der Universität abspielt. Seit dem Sommersemester 2000 bin ich Lehrbeauftragte für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Noch immer gehören die Sozial- und Staatswissenschaften zu den beliebtesten Fachrichtungen. 314 Studiengänge der Politikwissenschaft zählt die Hochschulrektorenkonferenz in ihrer Statistik 2012/2013 in Deutschland, darunter 113 Bachelor- und 170 Masterangebote.

Ich hatte Seminare mit drei Teilnehmern, aber auch mit sechzig. Bevor Bachelor, Master und Module mit und ohne Option erfunden wurden, beschäftigte ich mich mit vergleichender Regierungslehre, Schwerpunkt Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Die Studenten sollten in diesem Proseminar das Land kennenlernen, in dem sie leben. Seit der Bologna-Reform biete ich das Optionalmodul «Berufsfeldanalyse Journalismus» an. Die Studenten sollen darin erfahren, was sie auf dem Arbeits- und Meinungsmarkt erwartet.

Neunzig Minuten dauern die Veranstaltungen. Wie sie ablaufen, interessiert außer den Beteiligten normalerweise niemanden. Studiendauer und -finanzierung, bezifferbare Bildungsetats und exakt vermessene Bildungserfolge sind weiträumig diskutierte Themen; Studieninhalte und Lehrmethoden nicht. Da herrscht Grundvertrauen: Die Hochschule wird den jungen Leuten schon etwas vermitteln. Noch immer gilt ein Studium als wirksamer Schutz vor Arbeitslosigkeit.

Von Vorlesungen abgesehen, finden die meisten Lehrveranstaltungen in einem geschützten Bereich statt. Viele Studenten, Dozenten und Professoren dürften froh darüber sein, dass nicht jedes Referat und jeder Lehrbeauftragten-Monolog bei Youtube auftaucht. Es herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens: Wenn meine Fehler im Raum bleiben, verlassen auch deine nicht den Kreis der Eingeweihten.

In diesem Buch kommen Szenen und Dialoge vor, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren, über die sich aber eine öffentliche Diskussion lohnt. In jeder Sonntagsrede wird Bildung zum wichtigsten deutschen Rohstoff erklärt, zum Ersatz für Erdöl, Gas und Seltene Erden. Aus dem Land der Dichter und Denker soll eine «Bildungsrepublik» werden, aus seinen Bürgern die Humanressource einer Wissensgesellschaft. Doch freitags morgens sieht die Welt anders aus als sonntags. Vor mir sitzen 18- bis 22-Jährige, die nicht den Eindruck machen, als hofften sie, Schätze der Erkenntnis zu heben. Sie sind gewillt, eine festgelegte Rohstoff-Menge in einer festgelegten Zeit zu bewältigen. Sie akzeptieren ihren akademischen Dreijahresplan ohne Fragen und Klagen. Doch Lust am Neuen spürte ich bei ihnen kaum, als sei das Kapitel Entdeckung spätestens mit dem ersten Grundschuljahr abgeschlossen. Dabei haben sie das Fach freiwillig gewählt. Schade, dass sie Bildung als Ballast empfinden, dachte ich nach wenigen Stunden.

Dieser erste Eindruck blieb. Bis heute hat er sich nicht verflüchtigt. Ich habe über die Jahre notiert, was mich überrascht, gefreut und befremdet hat – diese Notizen bilden die Grundlagen des Buches. Dabei erhebt es nicht den Anspruch, das Porträt einer ganzen Studentengeneration zu sein; schon gar nicht versteht es sich als gelehrte Abhandlung über das deutsche Hochschulwesen. Es ist das Protokoll einer Anpassung. Das Protokoll einer Kommunikationsstörung. Und das Protokoll einer Sehnsucht.

Freitags morgens um acht Uhr c.t. fehlt mir die Distanz des Schreibtisches. Dann bin ich Teil der nicht öffentlichen Uni-Show – und damit auch Teil des Problems. Hinter mir sind Leinwand und Tafel, vor mir kämpfen im Durchschnitt fünfzehn Studenten, die laut Liste zweiundzwanzig sein sollten, gegen den Restschlaf. Von den fehlenden sieben trudeln in den ersten zwanzig Minuten noch drei ein, drei werden sich später per Mail höflichst entschuldigen, Nummer 22 bleibt verschollen und meldet sich auch auf Nachfrage nicht mehr.

Über meinem Kopf schwebt der Beamer wie ein Damoklesschwert. Er erinnert mich daran, dass Bildung Bilder braucht und Studenten auch Zuschauer sind.

Wer war noch gleich Damokles? Was hat es mit seinem Schwert auf sich? Wer schon wach ist, würde die Wörter schnell in sein Smartphone eintippen, kurz auf das Display schauen und den Günstling des syrakusischen Herrschers sofort wieder vergessen. Längst tote Tyrannen sind nicht prüfungsrelevant. Despoten der vergangenen fünfzig Jahre schon. Wenn die Powerpoint-Präsentation zum Thema Medienethik gut läuft, schauen die Studenten auf die minutiös festgehaltene Hinrichtungsszene des Saddam Hussein. Wenn es sehr gut läuft, haben sie Fragen zur Zeitungstitelseite mit den letzten Sekunden im Leben des Diktators. Wenn das Optionale optimal läuft, greifen sie das Thema in ihrem Blog oder im Campus-Radio auf.

Misslingt die Show, bin ich eine promovierte Witzfigur.

Ich werde auf den nächsten Seiten über meine Erlebnisse an der Uni schreiben: über Debattierunlust, Stromlinienförmigkeit, über den permanenten Performancezwang und den Wunsch nach eindeutigen Antworten, bevor überhaupt eine einzige Frage gestellt ist. Feedback ist in diesem System ein Zauberwort. Rückmeldungen und Vorgaben kommen gut an, Diskurse hingegen stehen im Verdacht, irgendetwas aus den 1960ern zu sein.

Ich werde verallgemeinern, wohl wissend, dass es auch unangepasste Studenten gibt, die sich Gedanken abseits der Vorformulierten leisten. Und: Ich porträtiere Leute, die 20, 25 Jahre jünger sind als ich. Wie die Autoren notorischer Jugendstudien, die ich als Jugendliche nervtötend fand. Ich beschreibe, was nicht mehr ist, warum es nicht mehr ist und was stattdessen ist. Man kann diesen Gestus als kulturpessimistisch kritisieren. Man kann den Suchbegriff «Klage über die Jugend» bei Google eingeben und feststellen, dass weder Sokrates’ noch Nietzsches Gejammer die Jugend von damals beeindruckt hat. Man kann die Datenbasis meiner Erhebungen anzweifeln und eine empirische Analyse der Grundgesamtheit deutscher Nachwuchsakademiker zwischen 1987 und 2014 anmahnen.

Es gibt 2,5 Millionen Studenten in Deutschland, so viele wie nie. Ich habe im Laufe der Jahre nicht einmal tausend dieser Millionen kennengelernt. Was ich beobachtet habe, gilt weder für alle noch für jeden, aber doch für so viele, dass es sich nicht übersehen lässt. An Universitäten sollten selbständig denkende Menschen heranwachsen dürfen. Mittlerweile sind Hochschulen aber vor allem Standorte, an denen Absolventen produziert werden. Die meisten Studenten geben sich damit zufrieden, jedenfalls klagen sie Freiräume nicht ein. Sie sind einerseits ein anspruchsvolles Publikum, das mit pädagogischer und vortragstechnischer Raffinesse bei Laune gehalten werden will. Sie sind andererseits anspruchslos, was die Inhalte anbetrifft. Es stört sie nicht, wenn sie um Themen und Thesen gebracht werden. Die Lehrpläne sind ohnehin voll genug. Auch die Vertreter der Lehre – Professoren, Dozenten, Lehrbeauftragte – schweigen lieber. Die nächste Prüfung wartet ja schon.

Auf den Vorwurf, von der eigenen Provinz-Befindlichkeit aufs Allgemeine zu schließen, bin ich vorbereitet. Doch wie für jedes Handout – früher: Thesenpapier – gilt auch für diesen Text: Erst lesen und dann bitte widersprechen.

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So läuft’s: Erst das Trinken, dann die Moral

Stilles Wasser, lautes Schweigen

Das Erste, was ich von meinen Studenten im April des Jahres 2000 sah, waren diese großen Wasserflaschen aus Plastik. Während einer Doppelstunde Regierungslehre schafften viele locker einen Liter. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass zu meiner Studienzeit während eines Seminars auch nur einer zur Flasche gegriffen hätte. Geraucht wurde auch nicht mehr. Das hätte wertvolle Redezeit gekostet. Oder, wie man sogar zwanzig Jahre nach 1968 noch sagte: Zeit, um alles kritisch zu hinterfragen. Die Westintegration. Die Nachrüstung. Das Grundgesetz. Den Sozialstaat. Die Wiedervereinigung. Die Währungsunion.

Hochschulpolitisch stritt man damals um das Binnen-I und das allgemeinpolitische Mandat. Linke Gruppen im AStA kämpften für «StudentInnen» in allen offiziellen Schreiben. Sie wollten zu allen Themen etwas sagen dürfen. Irgendwann einigten sich Vertreter des akademischen Hoch-, Mittel- und Tiefbaus auf die bis heute übliche Wendung «Studierende».

Ich nannte die Zweit- und Drittsemester, die sich zu meinem Proseminar angemeldet hatten, trotzdem der Einfachheit halber in allen Mails «Liebe Teilnehmer des Proseminars». Widerspruch gegen diese Pauschalvermännlichung regte sich nie. Die Zeit der Ideologien war Anfang des neuen Jahrtausends vorbei.

Diese Entspannungspolitik macht für die Lehrenden vieles leichter, nicht nur die Anrede. Aber sie macht das Dasein auch langweiliger. Widerspruch regt sich generell selten. Monologisierende Dozenten schneiden in Umfragen unter den Studenten zwar schlecht ab, dialogisierende aber noch schlechter. Sie gelten als schlampig vorbereitet. Das studentische Publikum erwartet einen Alleinunterhalter, eine Mischung aus Dieter Bohlen und Dieter Nuhr. Klar in den Ansagen wie Bohlen und dabei so nett anpolitisiert wie Nuhr.

Ich fühlte mich in den ersten Stunden als Lehrbeauftragte an mein Studium in Paris erinnert. Am Institut d’Études Politiques und an der Sorbonne saßen die Studenten schon Anfang der 1990er Jahre mit Diktiergeräten in Vorlesungen und Seminaren, immer von der Angst getrieben, einen Halbsatz, eine Betonung oder eine Bewertungsnuance zu verpassen. Vom ersten bis zum letzten Wort sogen sie auf, was Professoren und Dozenten sagten. Wer nach mehrfachem Abhören alles intus hatte, ließ es bei der nächsten Prüfung wortgleich aufs Papier fließen.

Was den französischen Kommilitonen die kleinen Recorder, waren meinem Bonner Publikum offenbar die großen Wasserflaschen: etwas zum Festhalten, etwas Empfohlenes, etwas Richtiges in einer Welt voller potenzieller Fehler. Gegen Wasser kann niemand etwas haben. Die Proseminarteilnehmer tranken über alle autoritären und totalitären Regime, über alle parlamentarischen, semipräsidentiellen und präsidentiellen Systeme hinweg. Große Worte von Max Weber oder Theodor W. Adorno waren nicht beeindruckend genug, um für einen Moment die Flüssigkeitszufuhr zu unterbrechen. Offenbar stillten die Denker den Durst nicht.

Woher der rührte? Vom Diskutieren jedenfalls nicht. Ich hätte fordern können, in Deutschland einen Wächterrat nach iranischem Vorbild einzuführen. Ich hätte behaupten können, Frauen seien auf immer unfähig, Richtlinienkompetenz nach Artikel 65 des Grundgesetzes auszuüben. Ich hätte den deutschen Regierungssitz von Berlin nach Castrop-Rauxel verlegen können: Mein Publikum hätte weitergenuckelt. «Sie unterwerfen sich einem 3-Liter-Wasser-am-Tag-Diktatürchen», war ich versucht zu sagen. Ich schluckte es hinunter. Die Wasserflaschen durften bleiben, bis sie sich nach meiner öffentlichen Kritik von selbst erledigten.

Dabei hatte ich mir eingebildet, ganz gut für den Lehrauftrag gewappnet zu sein. Ich hatte Neuerscheinungen und Politikblogs gewälzt, mit der Videokamera und anderen kritischen Zuschauern das freie Reden geübt, ich hatte die Kollegen aus dem Politikressort bei der Konzeption des Seminarablaufs um Rat gefragt und war durch den Hauptberuf darauf gefasst, dass die Wochenaktualität einen Strich durch manche Planung machen würde.

Doch ich hatte vergessen, mich auf das Wichtigste vorzubereiten: auf die Studenten. Ich glaubte, sie seien so ähnlich wie «wir».

Ich selbst habe 1987