4,99 €
Was bedeutet es, wenn ein weißes Publikum auf einmal eifrig Filme und Bücher über schwarzes Leid konsumiert? Warum fällt es den Medien so schwer, weißen Terrorismus als eben solchen zu benennen? Warum waren Schwimmbäder schon immer Orte, an denen sich die Diskriminierung auf besondere Art manifestierte, und sind es noch heute? Wie gestalten wir die Zukunft, wenn wir umgeben sind von Menschen, die die Vergangenheit zurücksehnen? Und: Wird der Traum, durch die Zeit zu reisen, nicht immer ein weißes Privileg sein? Dieser Band versammelt acht brillante Essays, in denen sich Brit Bennett mit Fragen des Rassismus in all seinen Facetten auseinandersetzt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 72
Veröffentlichungsjahr: 2021
Brit Bennett
Was bedeutet es, wenn ein weißes Publikum auf einmal eifrig Filme und Bücher über schwarzes Leid konsumiert? Warum fällt es den Medien so schwer, weißen Terrorismus als ebensolchen zu benennen? Warum waren Schwimmbäder schon immer Orte, an denen sich die Diskriminierung auf besondere Art manifestierte, und sind es noch heute? Wie gestalten wir die Zukunft, wenn wir umgeben sind von Menschen, die die Vergangenheit zurückersehnen? Und: Wird der Traum, durch die Zeit zu reisen, nicht immer ein weißes Privileg sein? Dieser Band versammelt acht brillante Essays, in denen sich Brit Bennett mit Fragen des Rassismus in all seinen Facetten auseinandersetzt.
Brit Bennett wuchs im südlichen Kalifornien auf und studierte an der Stanford University und an der University of Michigan. Ihre Arbeiten erschienen in «The New Yorker», «The New York Times Magazine», «The Paris Review» und «Jezebel». Ihr Essay «Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an?» machte sie 2014 in den USA bekannt. Ihr Debüt «Die Mütter» wurde unter anderem für den PEN/Robert W. Bingham Prize und den Prix Femina étranger nominiert. Auch ihr zweiter Roman, «Die verschwindende Hälfte», wurde ein Bestseller in den USA.
Die deutsche Übersetzung «I Don’t Know What to Do With Good White People» ist von Sabine Kray und erschien unter dem Titel «Von guten Weißen» in der «Welt am Sonntag» (© 2018 by Axel Springer SE).
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2021
Covergestaltung zero-media.net, München
Coverabbildung Angelina Bambina/iStock
ISBN 978-3-644-01247-9
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Im Text enthaltene externe Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
www.rowohlt.de
Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an?
Den Vorhang herunterreißen
Addy Walker, ein amerikanisches Mädchen
Weißer Terrorismus ist so alt wie Amerika selbst
Wer ins Schwimmbad darf
Ich dachte, es würde besser für dich sein
Rede in Sydney
Schlachtruf der Androidin
Quellennachweise
Mein Leben lang bewege ich mich schon unter guten Weißen. Gute weiße Nachbar*innen, die den Hund zurückbrachten, wenn er ausgerissen war, gute weiße Lehrer*innen in der Grundschule, die mir Bücher in die Hand drückten, gute weiße Professor*innen in Stanford, der Bay-Area-Bastion des Gutweißentums, die mir bei der Entscheidung halfen, an welcher Universität ich meinen Master machen sollte.
Ich sollte dankbar sein. Keine andere Generation meiner Familie hatte das Glück, von so vielen guten Weißen umgeben zu sein. Die Eltern meiner Mutter bewirtschafteten ein Stück gepachtetes Land; brauchte sie neue Schuhe, maß sie die Länge ihrer Füße mit einem Bindfaden, weil sie die Schuhe im Geschäft nicht anprobieren durfte. Ein anderes Mal erzählte sie mir von einem weißen Polizisten, der ihre Mutter bloßstellte, indem er sie zwang, ihre Handtasche, in der sich nichts als ein paar Münzen befanden, auf dem Verkaufstresen auszuleeren. Er sah einfach zu.
Vor ein paar Jahren zeigte mir meine Mutter den Bericht, den eine Sozialarbeiterin über ihre Familie verfasst hatte. Die weiße Sozialarbeiterin betrachtete meine Familie mit anthropologischer Gründlichkeit, beschrieb die Kinder wie auch meine Großmutter als «freundlich und sauber». Sie wollte persönliche Dinge wissen (ob meine Mutter einen Freund habe?) und notierte die gewonnenen Erkenntnisse in abgeklärtem Ton. Sie fragte sich, warum meine Großmutter keine feste Arbeit fand – eine Mutter von neun Kindern, die weder lesen noch schreiben konnte, und das in den Südstaaten, zu einer Zeit, in der Rassentrennung noch Gesetz war. Vielleicht, so schrieb sie in Schreibschriftschlingen, hatte meine Großmutter sich einfach nicht genug bemüht.
Historiker*innen verwenden solche offiziellen Berichte, verblichene Unterlagen wie diese, um Familiengeschichten zu rekonstruieren. Seine Verfasserin, die weiße Sozialarbeiterin, schreibt, als wäre sie eine aktive Beobachterin, doch sie erzählt bloß dieselbe abgegriffene Geschichte von der Schwarzen Frau, die sich der Arbeit verweigert und stattdessen von Sozialleistungen lebt. Hier und da weicht der klinische Tonfall einem freundlicheren. So merkt sie beispielsweise an, dass meine Mutter hübsch sei. Ich nehme an, sie hielt sich für eine gute Weiße.
Unmittelbar nachdem die Justiz im Jahr 2014 entschieden hatte, keine Anklage gegen Darren Wilson zu erheben – den Ex-Cop, der in Ferguson den unbewaffneten achtzehnjährigen Michael Brown erschoss –, musste ich tatsächlich bloß eine einzige Rassistin aus meiner Facebook-Freundesliste entfernen. Diese alte Freundin aus der Highschool teilte ein Video, in dem Protestierende als Nigger beschimpft wurden. (Sie war kein guter weißer Mensch.) Die meisten meiner Freunde reagierten mit Wut und Empathie. Einige schlossen sich den Protesten an. Andere erzählten unter #crimingwhilewhite ihre Geschichten, eine Aktion, die weithin kritisiert wurde, weil sie die Aufmerksamkeit von Schwarzen Stimmen ablenke. Schau mich an, schreit der Hashtag, ich weiß, dass ich privilegiert bin. Auch ich bin ein guter weißer Mensch. Schließ dich mir an und erinnere alle anderen daran, dass auch du ein guter weißer Mensch bist.
Ich sah den guten Weißen dabei zu, wie sie sich selbst auf die Schulter klopften – dafür, dass sie rassistische Freund*innen bei Facebook gelöscht oder mit Familienmitgliedern diskutiert hatten. Dafür, dass sie Schwarzen Menschen kleine Gesten der Freundlichkeit entgegenbrachten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir die rassistischen Trolle fast lieber sind als diese Form des Eigenlobs. Den rassistischen Troll kann man einfach ignorieren. Er glaubt nicht, dass es genügt, anständig zu sein. Bei den guten Weißen habe ich das Gefühl, dass sie allein für ihren Anstand bereits Lob erwarten. Nach dem Motto: Schau, wir sind nicht wie die anderen Weißen, siehst du, wie vorurteilsfrei wir sind? Siehst du, wie gut wir sind? Was für ein Privileg, sich damit befassen zu dürfen, wie gut du bist, während der Rest von uns um das Privileg kämpft, leben zu dürfen.
Als mein Vater ein junger Mann war, wurde er festgenommen. Er war damals Bezirksstaatsanwalt, auf dem Heimweg von seiner Bibelgruppe, als die Polizei ihn aufforderte, rechts ranzufahren. Ein Verkehrsdelikt, dachte er. Die Polizisten weigerten sich, einen Blick in sein Portemonnaie zu werfen. Darin hätten sie seinen Dienstausweis gefunden. Stattdessen richteten sie eine Waffe auf ihn, legten ihm Handschellen an und warfen ihn am Straßenrand zu Boden. Mein Vater ist vor allen Dingen froh darüber, dass er ruhig blieb. Er hatte unter Schock gestanden. Heute ist er überzeugt, dass genau das ihm das Leben rettete.
Daran denke ich, wenn ich Eric Garner beim Sterben zusehe. Noch verstörender ist ein zweites Video, das unmittelbar nach Garners Ableben aufgenommen wurde. Ein in New York seit 1993 verbotener Würgegriff hat zum Erstickungstod geführt, doch das wissen die Beamten noch nicht. Sie sprechen mit Garner, sie fordern ihn auf, mit den Notärzten zu reden. Die ganze Situation wirkt so verblüffend und verzweifelt menschlich. Die Beamten stehen in der Gegend rum, während der Notarzt versucht, einen Puls festzustellen, und alles scheint plötzlich ganz anders als im anderen Video, in dem die Beamten sich auf Garner stürzen und ihn zu Boden ringen.
Nach der Nichtanklage im Fall Darren Wilson bildete sich vor vier Jahren eine erstaunliche Koalition von Kritiker*innen heraus: People of Color begaben sich auf die Straße, während konservative Stimmen wie Bill O’Reilly oder John Boehner im Fernsehen das Fehlen von Gerechtigkeit bemängelten. Selbst George W. Bush brachte sich ein, er bezeichnete die Entscheidung der Geschworenen als «traurig». Doch obwohl die meisten Menschen Garners Tod für falsch halten, weigern sich viele zu glauben, dass er einen rassistischen Hintergrund hatte. In ihren Augen war sein Tod eine Folge übereifriger Polizeiarbeit, die Folge einer ganzen Reihe schlechter individueller Entscheidungen. Es hätte auch einem Weißen passieren können. Das Gleiche hörte man in Cleveland, wo ein zwölfjähriger Schwarzer Junge namens Tamir Rice von Polizisten getötet wurde, weil er mit einer Spielzeugpistole spielte. Jedes weiße Kind, so hörte man, mit einer so echt wirkenden Waffe in der Hand wäre ebenso getötet worden.