Was für ein Mensch ist mein Pferd? - Isabell Werth - E-Book

Was für ein Mensch ist mein Pferd? E-Book

Isabell Werth

0,0
19,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auf Augenhöhe mit unseren Pferden Isabell Werth erzählt kenntnisreich und persönlich von den wichtigsten Pferdepersönlichkeiten ihrer langen Karriere. Sie beschreibt, wie Pferde und Reiterin einander prägen, verweist auf die zahlreichen Charaktereigenschaften und Abenteuer, die diese mit sich bringen, sowie die Wege der Problembewältigung. Denn jedes Pferd ist anders. Es gibt keine Schablone, die für alle gültig ist. Es gibt Pferde, die richtig schlecht gelaunt auf Schnee reagieren, andere werden sauer, wenn man vor ihnen ein anderes Tier streichelt. Denn wie wir Menschen, merken auch sie sofort, ob sie die Nummer eins sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:

www.piper.de

© Piper Verlag GmbH, München 2024

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Covermotiv: Barbara Schnell und CreativeMarket/ArtByHien

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow, Buchloe

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem E-Book hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen und übernimmt dafür keine Haftung. Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Text bei Büchern mit inhaltsrelevanten Abbildungen ohne Alternativtexte:

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Motto

Auf Augenhöhe mit meinen Pferden

Bella Rose

Quantaz

Weihegold

Weingart

Gigolo

Don Johnson

Satchmo

Warum nicht

El Santo

Antony

Amaretto

Emilio

Belantis

Superb

Joshua

Wie dieses Buch entstand

Isabell Werths wichtigste Medaillen

Olympische Spiele:

Weltmeisterschaften:

Europameisterschaften:

Die Abstammungen der Pferde

Glossar

Bildnachweis

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

Für Madeleine Winter-Schulze

Auf Augenhöhe mit meinen Pferden

Jeden Abend beginnt auf der Wiese, wo meine vierbeinigen Rentner gemeinsam ihren Lebensabend genießen, das gleiche Schauspiel. Die Pferde setzen sich in Bewegung und fangen an, im Kreis zu gehen. Als hätten sie sich verabredet. Wie eine Prozession und stets in derselben Reihenfolge. An der Spitze geht Don Johnson, mein alter Freund, der schon immer die Tendenz zum Anführer hatte. Es folgen sechs oder sieben Kameraden. Die Pferde gehen ein paar Runden zusammen im Schritt, als ob sie sich verabredet hätten, es ist wie ein gemeinsamer Abendspaziergang oder eine Gymnastikstunde vor dem Schlafengehen. Meist fangen sie irgendwann an zu traben. Und zwar richtig. An trockenen Tagen wirbeln sie Staub auf und traben in einer Wolke weiter. Manchmal eine halbe Stunde am Stück. Das machen sie ganz von selbst und immer nach dem gleichen Schema. Pferde sind eben Gewohnheitstiere.

Ich sitze gelegentlich auf dem Balkon vor dem Schlafzimmer, wo man den besten Blick auf die Rentnerwiese hat, und schaue zu. Was ich da sehe, entspannt mich und macht mich glücklich. Ich beobachte, wie sie sich kabbeln, untereinander ihre Spielchen treiben und sich wohlfühlen. Ich stelle mir vor, sie sind eine kleine Gang, wie die »Fünf Freunde« oder so, und muss darüber lächeln, wie sie miteinander umgehen. Ich freue mich sehr, dass so gut wie alle Pferde, mit denen ich einst auf Turnieren gestartet bin, noch einen langen Lebensabend genießen. Sie werden fast ausnahmslos sehr alt. Satchmo zum Beispiel, von dem ich zuletzt Abschied nehmen musste, wurde achtundzwanzig.

Ich beobachte, wie sie ihre Rangordnung regeln und wie jeder von ihnen mit der Zeit einen Platz in der Gruppe findet. Laurenti zum Beispiel, auch ein ehemaliges Turnierpferd, hatte zuerst Integrationsprobleme. Er ist der Größte und Massigste von allen, aber der mit dem kleinsten Herzen, was die anderen natürlich sofort gemerkt haben. Er wurde gemobbt, wir mussten ihn sogar eine Weile aus der Gruppe herausnehmen und seine Bisswunden pflegen. Doch er kam zurück, ordnete sich ein und gehört nun dazu. Don Johnson dagegen hat sich erst einmal in eine Ecke verzogen und gefressen, wenn die anderen mit ihrer Abendgymnastik anfingen, so als würde er die anderen für total doof halten. Irgendwann setzte er sich dann direkt an die Spitze. Es läuft unter Pferden eben manches ganz ähnlich wie unter Menschen, ob nun in der Freizeit oder im Büro.

Wer mich bei einem großen Titelkampf reiten sieht, im günstigsten Fall anschließend eine Siegerehrung beobachtet, bei der ich vielleicht als Medaillengewinnerin geehrt werde, sieht nur einen kleinen Ausschnitt meines Lebens mit Pferden. Denn mein Blick ist nicht nur auf die sportlichen Aspekte gerichtet. Und den Erfolg sehe ich als die Frucht guter Arbeit. Für die Pferde, die bei uns groß werden, übernehmen wir die Verantwortung, sie nehmen viel Platz in meinem Leben und Denken ein, und sie haben einen Anspruch auf ihre Rente. Nach wie vor sind die Menschen um mich herum, mein Lebenspartner Wolfgang Urban, mein Sohn Frederik und der Rest der Familie, der Mittelpunkt meines Lebens und mein großes Glück. Ich muss aber auch nicht wählen zwischen Mensch und Tier. Ich kenne meine Verantwortung, und so muss ich auf manche Verabredung oder Einladung eben kurzfristig verzichten, weil eins meiner Pferde meine Fürsorge braucht.

Mein Team nimmt mir vieles ab, aber es gibt oft Situationen, in denen ich vor Ort gebraucht werde, an erster Stelle handelt es sich um gesundheitliche Probleme. Da kann im Kalender stehen, was will: Dann kommt das Pferd an erster Stelle, und der Mensch muss halt mal warten. Unser tägliches Leben, das ganze Drumherum, die Ausbildung, das Kümmern, Nachschauen, Pflegen, unsere Hingabe für das Wohl der Pferde, das erleben die Zuschauer nicht. Die sehen, wie wir im Viereck unsere Lektionen reiten und mitunter Fehler machen. Dieses Kümmern ist ja nicht irgendwann abgeschlossen, nur weil die sportliche Laufbahn eines Pferdes vorbei ist. Meine Pferde sind meine Lebensabschnittsgefährten. Und es macht mich stolz, sie dabei zu beobachten, wie sie so fit und munter ihre späten Jahre genießen.

Das Leben in der Gruppe ist die ursprüngliche Haltungsform, in die die Pferde nach ihrer sportlichen Laufbahn zurückkehren. Was allerdings nicht heißt, dass sie sich unter diesen Bedingungen in echte Wildpferde verwandeln. Turnierpferde brauchen erst einmal eine Weile, bis sie sich an das Rentnerdasein gewöhnt haben, auch wenn wir das Training langsam herunterfahren. Am Anfang schauen sie eher unglücklich, wenn sie nur auf der Wiese gelandet sind und nicht mehr zum Sport abgeholt werden. Genau wie viele zweibeinige Rentner und Pensionäre, die erst lernen müssen, wie man mit seiner freien Zeit umgeht – und damit, dass man leistungsmäßig nicht mehr gefordert wird.

Auch später kommen die verabschiedeten Pferde immer wieder ans Tor, halten nach uns Menschen Ausschau und kommunizieren mit uns. Und manche, wie etwa mein Pferd Apache, gewöhnen sich nur schwer an die Freiheit. Das Gegenteil hätte ich von ihm erwartet. Doch er wollte nie lange draußen sein und immer weiter von uns unterhalten werden. Das ist der Extremfall, aber so ganz lässt keiner von ihnen sein altes Leben los. Die Zucht und die Domestizierung haben dazu geführt, dass sich unsere Pferde vollkommen auf den Menschen eingelassen haben. Das meine ich, wenn ich von der »Vermenschlichung« der Pferde rede. Das heißt nicht, dass ihre natürlichen Grundvoraussetzungen nicht erfüllt werden und sie wie Schoßhündchen behandelt werden sollten.

Umgekehrt bin auch ich mit meinen Pferden ein Abhängigkeitsverhältnis eingegangen – und ich begegne ihnen auf Augenhöhe. Mit dem Unterschied, dass ich vorgeben muss, ob es heute nach rechts oder links geht. Aber ich strebe eine gleichberechtigte Kommunikation an. Je länger ich mit Pferden arbeite – und das sind nun schon weit mehr als dreißig Jahre –, desto klarer ist mir geworden, wie viel ich von ihnen lernen kann. Und dass ich mich nur mit ihnen zusammen weiterentwickle. Es gibt keine Schablone, die man aus seinem bewährten Wissen zusammenbauen kann und die dann für alle gültig wäre. Jedes Pferd ist anders. Ich setze mich mit jedem einzelnen auseinander, führe Diskussionen mit ihm, und die Ausbildung eines Pferdes ist immer wieder ein individueller Prozess. Sie erziehen mich automatisch, jedes auf seine Art, und ich mache mir unendlich viele Gedanken darüber, wie ich am besten mit ihnen umgehe. Das kostet viel Hingabe, Selbstreflexion und Geduld. Ich will, dass sie die Leistungsfähigkeit, die sie von Natur aus mitbringen, optimal entfalten können – und dass sie das alles positiv sehen und gerne tun.

Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, wird mir klar, dass die Haltung der Reiter gegenüber dem Pferd früher ganz anders war. Die alten Reitlehrer, die sogenannten alten Meister, bauten viel mehr darauf, dass der Mensch das Pferd dominieren müsse. Ich dagegen sage: Wir sind gleichberechtigte Partner. Diese Entwicklung geht parallel mit der Entwicklung der Zucht, denn unsere modernen Pferde bringen eine ganz andere Basis mit als die Pferde in der Nachkriegszeit. Damals ritt man mit Militärpferden oder Wagenpferden, die noch nicht über die heutigen Möglichkeiten verfügten, Springen oder Dressur. Die absoluten Spitzenpferde bringen heute eine ganz andere Elastizität mit, ein ganz anderes Vermögen und einen ganz anderen Geist. Heute muss man sie kaum mehr motivieren. Ihre Leistungsbereitschaft ist eine der größten Herausforderungen für einen Reiter: Es muss gelingen, ihre Energie so zu kanalisieren, dass sie ihre optimale Leistung zeigen können, ohne außer Kontrolle zu geraten. Ihr großer Ehrgeiz lässt sie »heiß« werden, das heißt, sie sie sind so engagiert und hoch motiviert, dass sie auf kleinste Reize, unter anderem auf Geräusche, reagieren, und wir müssen diese Energie positiv nutzen.

Die einzelnen Charaktere der Pferde treten in der alltäglichen Arbeit ganz plastisch hervor. Und bei den vierbeinigen Hochleistungssportlern, mit denen man als Profireiter umgeht, handelt es sich zwangsläufig um Persönlichkeiten mit starkem Profil. Ich mache mir das immer wieder bewusst, um ihrem Charakter im Alltag stets gerecht zu werden. Das darf in allem Trubel nicht zu kurz kommen.

Meiner Erfahrung nach sind viele Charaktereigenschaften der Pferde und der Menschen gleich. Ich finde sogar, dass man manchmal eins zu eins von Menschen auf Pferde und von Pferden auf Menschen schließen kann. Zum Beispiel in der Art und Weise, wie beide auf Angenehmes reagieren. Und wie sie sich sträuben, wenn ihnen ihre Aufgaben nicht behagen. Wie unwirsch sie werden können. Im Grunde läuft es in jeder Beziehung so, wenn der eine vom anderen etwas will. Unabhängig davon, ob ich nun mit meinem Sohn zu tun habe oder mit meinem Pferd. Und natürlich gibt es empfindlichere und weniger empfindliche Charaktere. Es gibt Pferde, die sind richtig schlecht gelaunt, wenn es zum Beispiel Eis und Schnee gibt und sie nicht ihren gewohnten Auslauf auf dem Paddock hatten. Andere werden unleidlich, wenn ich morgens die Reihenfolge ändere, in der ich sie reite. Die merken sofort, ob sie Pferd Nummer eins sind oder Nummer drei. Jeder will doch in seinem Umfeld geliebt, geschätzt und gebraucht werden, und dafür haben auch Pferde einen feinen Sinn.

Natürlich muss man die Verhaltensweisen gewissermaßen übersetzen, vom »Menschlichen« ins »Tierische« und umgekehrt. Wenn man diesen Schlüssel gefunden hat, sind die Parallelen unübersehbar. Und ich habe im Umgang mit meinen Pferden sogar schon oft neue Erkenntnisse über Menschen gewonnen. Darum die Frage im Titel dieses Buches: »Was für ein Mensch ist mein Pferd?« Ich habe aus dieser Perspektive versucht, die Charaktere von fünfzehn meiner wichtigsten Pferde zu beschreiben – und die Art, wie sie mich geprägt haben, als Sportlerin und als Person. Vielleicht kommt nun der eine oder andere auf die Idee, mich umgekehrt zu fragen: Und was für ein Pferd bist du eigentlich? In einem Punkt bin ich mir da sicher: Wäre ich Mitglied meiner Rentnergang, würde ich auf der abendlichen Runde bei Don Johnson an der Spitze laufen. Ein bisschen Alphatier muss sein.

Die Behauptung, Menschen wären klüger als Pferde, würde ich nicht zu hundert Prozent unterschreiben. Das kommt darauf an, finde ich. Ich kenne ein paar Pferde, bei denen ich guten Gewissens sagen kann: Es wäre schön, wenn einige Menschen eine ähnliche Intelligenz und Pfiffigkeit mitbrächten. Mir ist bewusst, dass die Wissenschaft das anders beurteilen würde. Aber ich empfinde das so. Einmal davon abgesehen, wie geduldig und großzügig Pferde uns Menschen gegenüber sind. Wie partnerschaftlich sie sich verhalten, obwohl sie eine solche Urkraft haben.

Die Charaktereigenschaften meiner Pferde betrachte ich als ihre Stärke. Ich versuche, sie bewusst zu pflegen. Wenn ein Pferd frech ist, dann soll es frech bleiben und in diesem Kontext seine Leistung entwickeln. Natürlich immer so, dass es nicht gefährlich wird. Wenn einer schüchtern ist, versuche ich ihn zu ermutigen, mehr aus sich herauszukommen, und ihm dadurch zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Und ich bin sicher, dass ihm das guttut. Um das zu erreichen, muss ich so mit den Pferden kommunizieren, dass sie mich verstehen. Das kann manchmal auch ganz schön wehtun. Wenn mich mal einer kneift, was zu den kommunikativen Äußerungen mancher Pferde gehört, bekommt er nicht gleich die Quittung dafür. Ich beherrsche mich, das muss sein, und das schaffe ich in der Regel auch. Ich versuche zu verstehen, ob das Kneifen, das ich da einstecke, als Unmutsäußerung, als Liebesbekundung oder als Dominanzverhalten zu verstehen ist. Es kommt wirklich ganz selten vor, dass ich auf eine solche Botschaft ungehalten reagiere. Das muss schon eine Situation sein, in der ich weiß: Wenn ich nichts mache, ufert die Sache aus.

Es ist nicht umsonst so, dass wir in meinem Stall einen sehr respektvollen Umgang miteinander pflegen. Es gibt bei mir nicht ein einziges Pferd, vor dem ich einen Besucher warnen müsste, weil es ihn vielleicht treten oder sonst etwas Böses machen könnte. Wenn jemand an die Box eines meiner Pferde tritt, dreht es sich um und geht zu ihm hin. Und das auch, wenn nicht irgendwo eine Möhre glänzt. Sie haben alle einen sehr engen Bezug zu Menschen. Keiner verzieht sich in eine Ecke und lehnt jemanden ab. Keiner steht trübe da und will sich nicht mehr bewegen. Sie sagen: Ah, da kommt jemand. Ah, du bist es. Ich bin richtiggehend beleidigt, wenn ich in den Stall und an eine Box gehe, und das Pferd kommt tatsächlich mal nicht. Da denke ich: Was ist denn da los? Habe ich etwas verbrochen?, und gehe auf ihn zu. Wenn man einen Menschen trifft, der unfreundlich reagiert, fragt man sich ja auch zunächst einmal, ob man etwas falsch gemacht hat. Die Basis ist gleich. Es kann natürlich sein, dass einer einfach schlechte Laune hat. Dann darf er eben auch mal schlechte Laune haben, solange es nicht ausufert. Leider kann man die Sache mit einem Pferd in einem solchen Fall nicht vernünftig diskutieren, sondern muss gewisse Sicherheitsregeln einhalten. Die Pferde sind nicht von Haus aus gefährlich. Aber es gibt natürlich sehr unterschiedliche Verhaltensweisen von gutmütig bis hochsensibel, woraus sich Risiken ergeben können. Besonders bei Hengsten oder bei jüngeren Pferden gibt es die Dominanzfrage. Das Austesten der Grenzen. Da muss man Spielregeln aufstellen und auf Einhaltung achten. Denn der Faktor Unberechenbarkeit muss immer mitgedacht werden. Sicherheit hat Priorität.

Ich hoffe ja, dass meine Pferde mich genauso sehen wie ich sie. Dass sie die Wertschätzung und Liebe, die ich ihnen entgegenbringe, auch für mich empfinden. Das wünsche ich mir. Dass sie empfinden, was sie mir bedeuten. Das lassen sie mich auch spüren. Zum Beispiel, wenn ich im Sattel die Symbiose wahrnehmen kann, die wir eingehen. Wenn sie entspannt mit mir auf der Stallgasse kommunizieren wie Satchmo, Hannes und Ernie auf unserem Foto gegen Ende dieses Kapitels. Oder wenn sie fröhlich zu mir an den Zaun kommen. Wenn Pferde ihre Verbindung und ihre Zuwendung zeigen, das sind schon die besonderen Momente des Tages. Das berührt mich sehr. Weil ein Pferd wie ein Kind reagiert, so ursprünglich und unverdorben. Tiere sind nicht korrumpierbar, ihr Verhalten uns gegenüber ist immer ehrlich. Wenn ein Tier uns ablehnt, wird es nicht freundlich auf uns zukommen. Und ganz ehrlich: Diese Verbindung zu spüren ist für mich nach wie vor das Wichtigste.

Als jüngerer Mensch war es mein großer Traum, Medaillen zu gewinnen. In der Zwischenzeit habe ich eine ganze Reihe von Medaillen gewonnen, und der sportliche Erfolg ist nur eines meiner Ziele. Ich möchte meine Pferde im Wettkampf optimal präsentieren. Natürlich reizt mich, wenn ich ein Turnier reite, auch der Leistungsvergleich. Ich muss aber, je nach den Voraussetzungen, nicht immer gewinnen. Ich möchte vor allem meinem Anspruch gerecht werden. Es macht mir Spaß zu überraschen. Gemeinsam mit meinem Pferd das Unerwartete doch noch hinzukriegen. Und mit dem Publikum zu kommunizieren. Wenn die Leute derart begeistert sind, dass sie auf der Schlusslinie mitklatschen – das macht einfach Spaß. Und meine Pferde spüren und genießen die Bewunderung genau – wie Akrobaten, die Szenenapplaus bekommen.

Ich weiß nicht, warum gerade Pferde mir so nahestehen. Aber ich weiß, woher meine enge Verbindung zu Tieren allgemein rührt. Ich hatte das Glück, auf dem Bauernhof meiner Eltern am wunderschönen Niederrhein groß zu werden. Wir sind seit Generationen Landwirte, ich habe den Betrieb in Rheinberg von meinem Vater übernommen und voll auf Pferde umgestellt. Mein Vater betrieb lange die klassische Mischwirtschaft, wie es sie heute kaum mehr gibt. Es gab Kühe, Schweine, Hühner, Gänse, Enten, Katzen – und natürlich Pferde. Mein Vater hat sogar noch die Zeit erlebt, als mit Pferden geackert wurde. Wer so lebt, entwickelt ein ganz selbstverständliches Verhältnis zu Tieren. Wenn man nicht die Chance hat, mit Tieren aufzuwachsen, kann man solch enge Beziehungen vielleicht gar nicht aufbauen. Ich habe mein Herz dann ganz besonders an die Pferde gehängt, sie haben mich von Anfang an fasziniert. Es hat mir als Kind Spaß gemacht, mit meinem Pony loszuziehen. Erst später kam der sportliche Gedanke dazu. Das war nicht der Ursprung, der Ursprung war die Liebe zum Tier. Dass sich mein Leben auf diese Weise entwickelt hat, war eine Fügung glücklicher Umstände. Das macht es so rund. Ich habe keinen Job, sondern ich lebe meine Passion. Dass ich damit mein Geld verdienen kann, ist ein Privileg. Um dort hinzukommen, brauchte ich eine Menge Glück. Vor allem das Glück, die richtigen Menschen zur richtigen Zeit in meinem Leben zu haben.

Vorneweg sind das meine Eltern, die mich immer gefördert haben, wofür ich ihnen ewig dankbar sein werde. Und mein Lebenspartner und die ganze Familie, die mich immer unterstützt haben und es bis heute tun. Aber auch außerhalb der Familie bin ich im richtigen Moment auf die richtigen Menschen getroffen. Zunächst auf Dr. Uwe Schulten-Baumer, meinen Entdecker, Förderer und Lehrmeister über sechzehn Jahre. Und auf Madeleine Winter-Schulze, mittlerweile Familienmitglied, Mäzenin und Besitzerin fast all meiner wichtigen Pferde bis heute.

Der Doktor, wie ich Uwe Schulten-Baumer nenne, ist die Schlüsselfigur in meinem Leben. Ohne ihn hätte ich den Zugang zum Spitzensport nicht bekommen. Er lebte in unserer Nachbarschaft und hat mich auf einer Silvesterparty angesprochen, als ich siebzehn Jahre alt war. Er fragte, ob ich einige seiner Pferde reiten wolle. Ich sagte natürlich sofort Ja. Das war mein erster Schritt in die große Dressurwelt. Der Doktor sorgte auch dafür, dass ich nicht nur ein One-Hit-Wonder wurde mit nur einem Spitzenpferd. Er hat mir die Passion für die Ausbildung von Pferden vermittelt, den Sinn für ihre Verschiedenheit und die Fähigkeit, sich in sie hineinzudenken, sie zu entwickeln. Für den Doktor war nichts anderes im Leben so wichtig. Er arbeitete als Stahlmanager, um sich seine Leidenschaft für Pferde leisten zu können. Er war ein Perfektionist, sehr ehrgeizig, ja erfolgsbesessen, und hat das auf mich übertragen. Aber auch die grundsätzliche Begeisterung für das Pferd. Ich könnte mir, genau wie er, mit Freuden den ganzen Tag nur Pferde ansehen und dazu Visionen entwickeln.

Mental waren die sechzehn Jahre mit dem Doktor nicht immer leicht für mich, denn er war kein unkomplizierter Mensch, aber ein großer Pferdemann.

Madeleine und ich haben uns von Anfang an großartig verstanden. Sie ist eine so warmherzige und großzügige Person und hat mich schon zu Zeiten unterstützt, als ich noch beim Doktor war. Deshalb hat es sich geradezu aufgedrängt, dass ich im Übergang zur Selbstständigkeit für zwei Jahre zu ihr gezogen bin. Im Jahr 2001 bin ich mit vier Pferden vom Stall des Doktors in Rheinberg zu ihr und ihrem Mann Dieter nach Mellendorf gegangen – später kam Gigolo als Rentner dazu. Seitdem gehören ihr fast alle meine Turnierpferde, insgesamt dürften es inzwischen etwa zwanzig sein. Sie steht mir unerschütterlich zur Seite, ohne jemals den Anspruch auf Erfolg zu erheben. Heute muss ich sagen: Vom Doktor zu Madeleine, das war genau die richtige Reihenfolge, weil ich ihre unkomplizierte Art umso mehr wertschätzen kann. Unsere gemeinsame Welt ist wirklich ein Idyll.

Aber wir müssen realistisch sein: Das Leben geht weiter, die Dinge entwickeln sich, und es wird langsam Zeit, die Grundkonstruktion meines Unternehmens zu ändern. Ich werde nicht nur älter, sondern der Sport hat sich weiterentwickelt, die ganze Pferdebranche. Ich musste mich darum ernsthaft fragen: Wie geht es in den nächsten zehn Jahren weiter? Das Reiten ist mein Leben, es ist das, was ich am liebsten mache und am besten kann. Und das will ich machen, solange es möglich ist. Ich bin dabei, die Weichen zu stellen für meine nähere Zukunft. So viel sei verraten: Die weitere Professionalisierung meiner IW-Bekleidungskollektion wird auch ein Thema werden. Die wichtigste Grundlage meines Handelns wird indessen immer die gleiche bleiben: die Leidenschaft und das Verantwortungsgefühl für das Pferd. Ich werde weiter reiten, ausbilden und unterrichten. Und ich habe nicht etwa vor, meine Turnierkarriere demnächst zu beenden. Anfang 2024 kam sogar noch überraschend die wunderbare Stute Wendy zu uns. Ein Traumpferd. Und ich habe so vielversprechende junge Pferde im Stall, ob Superb, Joshua, Valdiviani oder So Unique, dass ich mir gut vorstellen kann, auch noch 2028 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles am Start zu sein.

Eines steht für mich fest: Egal, wie die Zeiten sich ändern, die traditionelle Reitlehre kann und muss man nicht neu erfinden. Wir können vieles verfeinern und verbessern, aber die Grundlagen bleiben bestehen. Wer schwimmen will, wird immer Wasser brauchen. Und wer reiten will, muss immer auf die Grundvoraussetzungen eingehen, die ein Pferd mitbringt. Daran hat sich nichts Dramatisches verändert. Die klassische Reitlehre, die auf der Erfahrung von Jahrtausenden beruht, bleibt immer aktuell. Ihre Grundlagen sind auf die heutigen Pferde genauso anwendbar wie auf die früheren. Sie sind das Grundgesetz der Reitausbildung. Die Anwendung dieser Ausbildungskriterien muss individuell angepasst werden, die Pferdeausbildung ist ein dynamischer Prozess. Starre Schablonen darf es nicht geben. Die Zeiten mögen sich zwar ändern, aber das Gute muss bleiben. Das gilt ja nicht nur für die Reiterei.

Das alles zeigt: Wenn man mit Pferden zu tun hat, geht einem der Stoff zum Nachdenken nie aus. Wie viele Nächte habe ich wach gelegen, weil ich die Ursache für ein Problem noch nicht gefunden hatte. Wie viele Gespräche habe ich geführt, wie viel habe ich ausprobiert, verworfen, aus neuer Perspektive noch einmal betrachtet, gegrübelt und nachgeforscht. Fast immer habe ich am Ende die Lösung gefunden, und die Pferde haben es mir gedankt, durch ihre Partnerschaft, ihre Loyalität, ihre Fortschritte und ihre großartigen Leistungen im Sport.

Am meisten aber bekomme ich von ihnen im ganz normalen Alltag zurück. Wenn wieder alles auf mich einstürmt und ich eigentlich sämtliche Aufgaben gleichzeitig erledigen sollte, setze ich mich erst einmal aufs Pferd. Das Mobiltelefon bleibt zurück, die Reizüberflutung ebbt ab, ich konzentriere mich, trete in Zwiesprache mit meinem Pferd und verschwinde in meiner eigenen Welt. In all dem Trubel, der zu meinem Leben gehört, habe ich einen Satz für mich geprägt: Ich geh jetzt reiten, das ist meine Therapie. Wenn dann das Training gut läuft und beide zufrieden sind, sage ich mir: Der Tag ist im Döschen. Da kann mich so schnell nichts mehr aus der Bahn werfen.

[1]

Bella Rose

zum Star geboren

[2]

 

Als Via Bellani, das erste Fohlen von Bella Rose, noch ganz klein war, brachten wir Mutter und Kind tagsüber immer auf die Weide, die direkt vor unserem Wohnzimmerfenster liegt. Wenn ich zu Hause war, konnte ich Mutter und Sohn nach Herzenslust beobachten. Und das tat ich ausgiebig. Was für eine Freude das war! Nicht, dass ich dabei eine neue Bella Rose kennengelernt hätte. Im Gegenteil: Sie hat das Muttersein genau mit derselben Grazie und Souveränität gemeistert wie zuvor ihre Aufgaben im Leistungssport. Aber alles, was ich sah, wirkte vollkommen stimmig. In ihrer aktiven Zeit war sie für mich das perfekte Dressurpferd gewesen. Nun war sie die perfekte Mutter. Es erfreute mich, dieses wunderbare Pferd, meine Bella Rose, in ihrer neuen Rolle zu sehen. Ich sah: Sie war angekommen. Sie war – und ist – ein glückliches Pferd. Wie stolz sie auf ihr Fohlen war! Auf diesen kleinen rötlichen Hengst mit seinen weißen Abzeichen, wie Bella sie selbst hat. Sie passen auch optisch großartig zusammen. Das Bild hat sich gerundet. Kaum war ihre Karriere vorbei, wurde sie Mama. Als hätte alles genau so sein sollen.

Natürlich hatte ich nie einen Zweifel daran, dass Bella eine großartige Mutter sein würde. Obwohl Bedenken ganz normal gewesen wären. Viele Pferde, die aus dem Sport verabschiedet worden sind, brauchen mindestens ein Jahr, um sich im neuen Leben zu akklimatisieren. Aber ich habe gesagt: An diesem Pferd ist kein einziges Haar falsch. Natürlich wird sie ihr Fohlen annehmen und ganz in ihrer Mutterrolle aufgehen. Und so kam es. Mal abgesehen davon, dass sie bereits beim allerersten Versuch tragend wurde. Pünktlich zum Ende ihrer Karriere hatte sie eine deutliche Rosse entwickelt – das leicht erkennbare Zeichen, dass sie sich nun für Hengste interessierte. In all den Jahren zuvor war das ganz anders gewesen, die Rosse verlief fast unmerklich. Es war, als hätte sie genau gewusst, dass ihre Laufbahn im Viereck nun bald vorbei sein würde und es losging mit dem Kinderkriegen. Ihr Kopf schaltete um – und ihr Körper auch. Das war total verrückt. Man macht Pläne mit seinen Pferden. Doch diese Stute hat immer auch ihren eigenen Plan.

Ihre Trächtigkeit verlief völlig problemlos. Und selbst mit dem Geburtstermin nahm sie Rücksicht auf mich. Der errechnete Termin fiel eigentlich genau auf das Weltcupturnier in s’Hertogenbosch, bei dem ich mit Quantaz am Start war. Natürlich hatte ich in ihrer Box eine Kamera installiert und einen Geburtenwächter, ein Gerät, das bei den ersten Anzeichen Alarm gibt. Und so konnte ich vom Turnier aus das Geschehen ständig mitverfolgen. Aber es tat sich noch nichts. Es schien, als hätte sie gewartet, bis ich wieder da war.