Was in uns nicht stirbt - Gabriel Looser - E-Book

Was in uns nicht stirbt E-Book

Gabriel Looser

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

Das Wissen um die Unsterblichkeit verändert das Leben

Dieses Buch leitet dazu an, unseren unsterblichen göttlichen Kern zu entdecken – in der eigenen Seele, in Mitmenschen, in Sterbenden. Ob es um Organtransplantation, Abtreibung oder aktive Sterbehilfe geht – wer sensibel ist für das Unsterbliche im Menschen, wird mit Leben und Tod anders umgehen. Mit eindrucksvollen Beispielen aus der Praxis der Sterbebegleitung.

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Seitenzahl: 269

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Inhaltsverzeichnis
 
DAS IN UNS, WAS NICHT STIRBT - DER GÖTTLICHE KERN
 
EIN ERSTER ZUGANG
Erstaunliche Erfahrungen
Wissen - Gewissheit - Glaube
Exoterik - Esoterik und Spiritualität
 
Copyright
DAS IN UNS, WAS NICHT STIRBT - DER GÖTTLICHE KERN
Eine Annäherung an etwas Unsagbares
»Das in uns, was nicht stirbt« - dieser letzten, tiefsten und geheimnisvollsten Ebene unseres Menschseins wollen wir auf den folgenden Seiten unsere Aufmerksamkeit schenken, jenen Bereichen unserer Person, die wir mit unserem logischen Verstand nicht wirklich zu erfassen und zu verstehen vermögen. Gleichwohl prägen sie unser Leben bis in den Rhythmus unseres Alltags. Es geht also keineswegs um ein abgehobenes und abstrakttheoretisches Spekulieren. Vielmehr wollen wir behutsam hinhorchen, hineinspüren in jene Kräfte, die letztlich unser Leben lenken - und zwar sehr praktisch und konkret, wie wir schon bald feststellen werden.
Diese letzten Tiefen sind heute für viele in ihrem Menschenverständnis irrelevant. Erstens haben wir uns angewöhnt, nur das als wahr zu akzeptieren, was wir mit unseren klassischen fünf Sinnen wahrnehmen können. Zweitens kann man mit dem Wissen um diese Tiefen weder Geld verdienen noch lässt sich dieses direkt in Fun und Entertainment, hohe Werte in unserer gegenwärtigen Welt, umsetzen. Dafür bietet es uns Schlüssel an, die helfen, unser Leben in seinen tiefen Sinnzusammenhängen zu verstehen.
Der göttliche Kern in uns Menschen? Für viele ist heute einzig der Körper von Bedeutung. Diesen wollen wir gewiss auch ernst nehmen und wertschätzen, ihn aber von der Last der Alleinherrschaft über unser Leben, von der Last der alleinigen Sinnstiftung befreien und ihn in größere Zusammenhänge eingliedern.
Beim Bedenken des Zusammenwirkens der beiden großen Dimensionen unseres menschlichen Daseins - Körper und göttlicher Kern - werden wir unwillkürlich auf deren zwei Nahtstellen in unserem Leben verwiesen: Geborenwerden und Sterben. Ersteres bedenkt die Vereinigung von Körper und göttlichem Kern, Letzteres die Trennung der beiden.
Das Nachdenken über das Geborenwerden bietet in diesem Zusammenhang kaum Schwierigkeiten. Denn erstens haben wir alle es bereits hinter uns, da lauern keine Gefahren mehr, und zweitens ist es gut in die kulturelle Wahrnehmung unserer Existenz integriert, der Volksmund spricht ganz einfach vom »frohen Ereignis«.
Das Sterben dagegen bedeutet für viele heute ein immenses Problem. Kulturell ist es mit schweren negativen Vorurteilen belastet - Sterben gilt gemeinhin als das Schlimmste, das uns zustoßen kann -, sodass man gern und oft ganz einfach wegschaut. Dabei ist die Sicht auf den göttlichen Kern, auf das in uns, was nicht stirbt, gerade die verheißungsvolle Antwort auf die Ängste, die das Sterben in die Tabuzone drängen. Dieser Wahrheit unseres Lebens werden wir daher die ihr zukommende Aufmerksamkeit schenken müssen.
Nicht rationales Verstehen und Erklären also sollen das Ziel unseres gemeinsamen Weges durch die folgenden Kapitel sein. Unser Verstand ist überfordert beim Versuch, mit seinen Mitteln und Möglichkeiten solche Sinnzusammenhänge zu erfassen. Vielmehr geht es darum, diese tiefen Wahrheiten in unserem Herzen zu bewegen und sie zu meditieren.
Vielleicht kommt jetzt die Frage auf, wie ich dazu komme, ein solches Buch zu schreiben. Nun, seit Jahren beschäftige ich mich mit den Themen Sterben, Tod, Leben und Sterbebegleitung - da bin ich stets mittendrin in diesen Fragen und habe auch die Not vieler Menschen genau in diesem Bereich erkannt. Der unmittelbare Anlass aber ergab sich eines Abends im Herbst des Jahres 2003.
Es war bei der Premiere meines letzten Buches, des Geschichtenbandes Sie gingen ins Licht (Looser 2003). Bei der sich an die Lesung anschließenden Diskussion verwendete ich den Begriff »der göttliche Kern«, um den unsterblichen Teil in uns Menschen - andere sprechen von der Seele - zu bezeichnen. Winfried Nonhoff, Leiter des Kösel-Verlages, der anlässlich der Buchpremiere nach Zürich gereist war, nahm mich nach der Lesung kurz beiseite und raunte mir zu: »Jetzt weiß ich das Thema für dein nächstes Buch: Der göttliche Kern.«
So kam ein Prozess in Gang, dessen Ergebnis ich hiermit vorlege. Und mit Freuden danke ich Winfried Nonhoff auch an dieser Stelle sehr herzlich, nicht nur für diesen effektvollen Anstoß, sondern für die ganze ebenso inspirierende wie fruchtbare, aber auch freundschaftliche Zusammenarbeit seit nun schon vielen Jahren.
Für hilfreiche geistige und spirituelle Impulse möchte ich meinem ehemaligen Lehrer und heutigen Freund aus der Sufi-Tradition der Gnawas in Marokko, Jabrane Mohammed Sebnat, danken; ebenso dem tibetischen Lehrer Sogyal Rinpoche; der kompetenten Vermittlerin tibetischer Weisheit in den Westen, Christine Longaker; sowie der amerikanischen Zen-Meisterin Roshi Joan Halifax.

Zum Aufbau des Buches

Zunächst wird es darum gehen, uns dem Unfassbaren irgendwie anzunähern, in - auch diesmal unzulänglichen - Worten zu erahnen, worum es geht. Ausgangspunkt werden konkrete Erfahrungen sein, wie wir sie alle immer wieder machen, also gar nichts Besonderes oder Elitäres und jede und jeder wird sich angesprochen fühlen. Das Besondere wird hier vielleicht sein, dass wir uns bewusst mit diesen Erfahrungen auseinandersetzen und sie auf einer tieferen Ebene zu verstehen suchen: Erste Spuren zum göttlichen Kern scheinen auf.
Praktisch und konkret werden die Hinweise sein, wenn es in der Folge darum geht, eine lebendige Beziehung zu dieser tiefsten Schicht in uns aufzubauen. Stichworte dazu sind: spirituelle Praxis - Meditation, Betrachtung, Gebet. Ziel ist es, ein neues, tieferes Bewusstsein unseres Menschseins und unseres Lebens zu gewinnen.
Der überwiegende Teil unseres Nachdenkens wird anschließend den Folgen dieses neuen Bewusstseins für uns gelten, denn diese sind tief greifend und durchaus auch dramatisch. Unser Leben, unser In-der-Welt-Sein, unser Verstehen unserer selbst wird sich wesentlich verändern, genauso wie unser Sein mit unseren Mitmenschen. Nicht weniger tief wird unsere Einstellung zu unserem Sterben verändert und geprägt werden: Das Sterben wird aus seiner Verdrängung befreit und seine tiefe Bedeutung für unser Leben erkannt. Unser Bewusstsein von solchen Zusammenhängen wird unsere Lebendigkeit und unsere Lebensfreude beflügeln. Schließlich werden wir auch so erst erkennen können, was Sterbende von uns tatsächlich brauchen und wie wir sie auf diesem so bedeutungsvollen und überaus lebenserfüllten Wegstück hilfreich begleiten können, mit anderen Worten, was spirituelle Sterbebegleitung wirklich heißt und wie sie sich von einer »gewöhnlichen« abhebt.
Den Abschluss bilden einige Gedanken zur heute heftig diskutierten Lehre der Reinkarnation und ihrem Verhältnis zum biblisch-christlichen Glauben.

Einladung und Ermutigung

Liebe Leserin, lieber Leser, ich lade dich ein, mit mir auf den Weg zu kommen. Es wird ein Weg sein, der dich herausfordert, der dich aber auch reich beschenkt. Dies ist also keine Unterhaltungslektüre und dient nicht der Ablenkung. Es ist ein Buch, das an deine Bereitschaft appelliert, dich auf deinen spirituellen Weg zu machen - es ist ein Buch der Besinnung.
Wichtig ist mir der Hinweis, dass meine Gedanken bloß eine Spur legen wollen, bloß eine Möglichkeit des Verstehens sind. Das Wichtigste sind deine Gedanken. Meine Wahrheit möge Inspiration für dich sein, dich auf den Weg zu machen; den Weg gehen musst du selber, und zwar deinen. Du kannst dich an meiner Wahrheit orientieren, du kannst aber genauso gut einen eigenen Weg einschlagen. Für mich ist das Wichtigste, dass ich dir Hinweise gebe, auf dass du deine Wahrheit finden und erkennen kannst - lass mich also dein Begleiter beim ersten Schritt sein, dann gehe selber deinen Weg.
Sei bitte mit dir selber liebevoll und geduldig; resigniere nicht, wenn sich nicht sofort schon erste Anzeichen von Erleuchtung oder sonst einer dramatischen Veränderung einstellen. Mach dich ganz einfach auf den Weg. Ich selber bin seit Jahren auf diesem Weg und habe noch immer das Gefühl, ganz am Anfang zu stehen. Nicht irgendein Ergebnis ist das Ziel, sondern die Treue zum Weg. Wohlan denn - es sei gewagt!
EIN ERSTER ZUGANG
Ein zentraler Schlüssel zum Verständnis unseres Lebens ist das Sterben. Und das Wichtigste, was es über das Sterben zu sagen gibt, ist das: Sterben ist eine tief greifende, aufwühlende Erfahrung für uns Menschen, das größte und bedeutendste Ereignis unseres Weges in dieser Welt seit der Geburt. Um das Sterben in diein dieser Welt seit der Geburt. Um das Sterben in dieser Weise verstehen zu können, müssen wir allerdings Fehl- und Vorurteile unserer Kultur über den Menschen und sein Sterben, genauso aber auch über sein Leben, aufbrechen, müssen unsere eingeschränkte Perspektive auf die Wirklichkeit aus ihrer Verengung befreien. Lassen wir als Einstieg zwei kurze, sehr alte Geschichten auf uns wirken. Die eine steht im Neuen Testament, im siebten Kapitel des Lukas-Evangeliums. Ich erzähle sie frei nach:
Jesus war in großer Begleitung unterwegs und näherte sich einer kleinen Stadt namens Naïm. Just in dem Moment wurde ein Toter auf einer Bahre aus der Stadt getragen. Es war ein junger Mann, der einzige Sohn seiner Mutter, welche Witwe war. Für diese Mutter war mit dem Tod ihres Sohnes alles infrage gestellt, ihre Zukunft, ja ihr Überleben, denn eine alleinstehende Frau hatte in jener Kultur keine Rechte und ihre Altersversorgung war ohne die Stütze ihres Sohnes völlig ungewiss. Bei ihrem Anblick, so wird im Evangelium berichtet, »war Jesus von Mitgefühl gerührt«. Er trat an die Bahre heran und erweckte den Toten erneut zum Leben.
Um alle großen Religionsstifter ranken sich zahlreiche Geschichten und Erzählungen. So gibt es aus dem Umfeld von Buddha eine erstaunliche Parallele zu dem, was von Jesus berichtet wird. Ich habe sie im Kommentarheft zu den Osho Transformationskarten, eine Art Tarotspiel, das auf Bhagwan Shree Rajneesh zurückgeht, gefunden. Sie ist ein Kommentar zu einer der Karten aus diesem Spiel. Auch diese Geschichte gebe ich frei wieder:
Eine Frau kam zu Buddha, sie weinte und klagte, weil ihr einziges Kind gestorben war. Da sie Witwe war, würde sie niemals wieder ein Kind haben können; sowohl ihr weiteres Leben als auch ihr Alter waren völlig ungewiss. Buddha empfing die Frau, lächelte liebevoll und wies sie an, in die Stadt zu gehen und sich dort aus einem Haus, in dem noch nie jemand gestorben war, ein paar Senfkörner zu besorgen.
Die Frau ging in die Stadt, von Haus zu Haus, und erbat sich einige Senfkörner. Die Menschen, die dort wohnten und sie empfingen, sagten ihr, dass sie ihr gerne die Senfkörner geben würden, dass aber in ihrem Haus schon viele Menschen gestorben wären. Die Frau eilte weiter und hielt die Hoffnung aufrecht, dass sie irgendwann doch noch in ein Haus käme, in dem noch niemand gestorben war.
Aber in jedem Haus erhielt sie auf ihr Ansinnen dieselbe Antwort. Dann, es wurde schon langsam Abend, dämmerte ihr eine Einsicht: Der Tod ist ein Teil des Lebens; er ist kein persönliches Ungemach, kein Unglück oder Unrecht, das nun ausgerechnet ihr widerfahren ist; der Tod trifft alle.
So kam sie zurück zu Buddha. Dieser lächelte erneut und fragte sie, wo sie die Senfkörner hätte. Jetzt lächelte auch sie, fiel vor ihm nieder und sagte: »Weihe mich ein; ich möchte das kennenlernen, was niemals stirbt.« Sie begehrte ihr Kind nicht mehr zurück, da es ja ohnehin wieder sterben würde. So bat sie Buddha: »Lehre mich, damit ich das in mir selber kennenlerne, was niemals stirbt.« (Osho, 141-143)

Erstaunliche Erfahrungen

Viele Menschen erleben Vorkommnisse in der Art, wie es mir erging: Eine Freundin, von der ich seit Monaten nichts gehört hatte, kam mir unvermittelt in den Sinn. Spontan entschied ich, sie anzurufen, suchte ihre Nummer und wählte sie an. Es klingelte bloß ein halbes Mal und schon antwortete sie, sie hatte sich also in unmittelbarer Nähe des Telefons aufgehalten (kein Mobiltelefon!). Mein Staunen wurde noch größer, als sie erzählte, sie sitze beim Telefon und blättere gerade im Telefonbuch, um meine Nummer zu suchen, da sie sich nach so langer Zeit wieder einmal nach mir habe erkundigen wollen...
Eine andere Begebenheit: Ich war in den Ferien in der Südschweiz. Eines sonnigen Tages unternahm ich eine mehrstündige Wanderung, die mich auch durch ein Dorf führte, in welchem Freunde von mir ein Haus besitzen. Ich hätte eine bestimmte Abzweigung nehmen müssen, um zu ihnen zu gelangen, was ich aber an diesem Tag nicht beabsichtigte. Eine Begegnung mit ihnen würde viel Zeit in Anspruch nehmen und meine weitere Wanderung infrage stellen und wir waren ohnehin in ein paar Tagen miteinander verabredet.
Als ich die besagte Seitenstraße passierte, näherte sich mir von rechts ein Auto - darin die beiden, im Begriff, Einkäufe zu tätigen. Es war ein Zeitfenster von einer halben Minute, als ich jene Straße überquerte...
Auch entscheidende Weichenstellungen für das ganze Leben kommen oft auf so beachtenswerte, beinahe ist man versucht zu sagen geheimnisvolle Weise zustande. Die folgende Erfahrung liegt viele Jahre zurück. Ich war Student und hatte eben meine theologischen Lizentiatsexamen bestanden. Die Fortsetzung meiner Arbeit zum Doktorat würde sich verzögern, da mein Professor auf Druck aus dem Vatikan seinen Lehrstuhl hatte aufgeben müssen und seine Nachfolge völlig ungeklärt war. Eine ungewisse Zeit lag vor mir. Meine Situation wurde noch dadurch erschwert, dass ich mich in der kleinen Universitätsstadt nicht wohlgefühlt hatte und in die nahe Landeshauptstadt umgezogen war. Hier kannte ich noch kaum einen Menschen. Wie immer in solchen Fällen, trat ich einem Chor bei und diesmal auch einer Gymnastikgruppe, um Menschen kennenzulernen. Ich stand unter dem Druck, Arbeit zu finden, da ich mein damals bescheidenes Leben finanzieren musste. Die Arbeit sollte keine hohen Anforderungen stellen, da ich zeitliche und geistige Reserven brauchte, um meinen akademischen Weg trotz der aktuellen Probleme fortsetzen zu können. Ich stellte mir eine einfache Büroarbeit vor.
Unter meinen neuen Bekannten war neben vielen Studenten ein einziger Kaufmann, der ein eigenes Geschäft führte. Der kannte doch sicher, so sagte ich mir, irgendwelche Vermittlungsstellen für Bürojobs oder wusste, wo ich mich hinwenden könnte. So trug ich ihm mein Anliegen vor. Seine Antwort war eine Frage: »Kannst du auf der Maschine schreiben?« (Der Computer hatte seinen Siegeszug um die Welt noch nicht angetreten, den PC gab es noch gar nicht.) Ich hatte im Selbststudium das Zehn-Finger-System für die Schreibmaschine erlernt und bejahte die Frage. Darauf er: »Dann kannst du zu mir kommen. Vor ein paar Tagen hat mich meine Schreibkraft verlassen und ich suche wieder jemanden für einfache Schreibarbeiten.« Er wurde mein Arbeitgeber für zweieinhalb Jahre, bis sich an der Universität die Nachfolge für meinen Professor geregelt hatte.
Bis hierher ist die Geschichte schon erfreulich und erstaunlich genug, aber das Entscheidende, das, was meinem Leben buchstäblich eine Wendung gab, muss ich noch ergänzen. Das Geschäft, für welches ich jetzt arbeitete, war die erste und damals in der ganzen Schweiz einzige esoterische Buchhandlung. Als frischgebackener theologischer Hochschulabsolvent hatte ich zunächst für diese Literatur nur hochnäsige Verachtung übrig: Deren Verfasser waren in meinen Augen alle Spinner und Fantasten. Nach langen Wochen begann es mich zu interessieren, welche Art von Büchern ich in die ganze Schweiz versandte, und nahm eines mit nach Hause. Und dann ein zweites und ein drittes... und dann packte es mich: Es geht ja gar nicht in erster Linie um dogmatische Formulierungen oder logisch nachvollziehbare Begründungen ethischer Normen - es geht darum, dass ich mich einlasse...
Worauf sich einlassen? Das wurde nun die entscheidende Frage in meinem Leben, die ich auch heute noch längst nicht abschließend beantwortet habe. Inspiration und Anregung aber suche ich seither weit mehr bei spirituell und mystisch orientierten Menschen als bei intelligenten Fachtheologen und akademischen Gelehrten. Ich vollzog eine geistige Kehrtwende um 180 Grad, ohne die mein späteres Leben in seiner Art nie möglich geworden wäre.
Wer oder was aber, welche Kraft war es, die die Fäden so spann, dass jener Buchhändler und ich uns genau in dem Moment begegneten, als wir beide zunächst aus rein äußerlichen, pragmatischen Motiven heraus froh waren, einander begegnet zu sein. Markttechnisch gesprochen: Mein Angebot seiner Nachfrage so ideal entsprach - sich daraus aber etwas entwickelte, das ich gar nicht gesucht hatte, das jedoch für mich und mein Leben entscheidend und wegweisend wurde. Da öffnen sich Dimensionen, die unser Alltagsdenken, man kann dafür auch den psychologischen Begriff »Tagesbewusstsein« verwenden, weit übersteigen.

Wissen - Gewissheit - Glaube

Das bedeutet, dass wir in Bereiche vordringen, deren Fragen nicht mit dem Kausalitätsprinzip (von lateinisch »causa«, übersetzt »Ursache«) unseres heute dominierenden naturwissenschaftlichen Denkmusters beantwortet werden können. In diesen Denkstrukturen wird jedes Phänomen auf seine Ursache hin befragt und untersucht und wenn diese gefunden ist, ist das Phänomen erklärt und verstanden und damit nachvollziehbar - das heißt auch beherrschbar und in vielen Fällen manipulierbar. Ein konkretes Beispiel: Seit die Wissenschaften die Gene vieler Lebewesen entschlüsselt haben, ist die Genmanipulation möglich.
Vereinfachend kann gesagt werden, dass im Rahmen des naturwissenschaftlichen Denkens empirisches Forschen (das heißt ein Forschen, das sich einzig auf Experimente und Beobachtungen stützt) zu objektivem Wissen führt. Objektives Wissen heißt, dass die so gewonnenen Erkenntnisse überall und für jeden Menschen gültig sind. Denken wir nur an die Formeln in der Chemie oder die Gesetze der Mechanik: Das Hebelgesetz funktioniert auf der ganzen Welt in der gleichen Weise. Das ist das Konzept von Wirklichkeit im empirischen Denken: Das Erkennen objektiver Tatsachen. Diese in Zweifel zu ziehen kann nur aus Dummheit oder Unwissenheit geschehen.
Unsere Frage aber, wer oder was in unserem Leben die Fäden spinnt, dass banale ebenso wie dramatische Ereignisse sich so sinnvoll ergeben, diese Frage lässt sich nicht mithilfe naturwissenschaftlicher Experimente beantworten. Hier helfen weder Messungen noch Beobachtungen im Reagenzglas weiter. Hier werden Erkenntnisse gewonnen mithilfe von Spekulation und Intuition, gelegentlich auch Meditation. Angestrebt wird nicht objektives, überall gültiges Wissen, sondern Gewissheit. Um zu dieser zu gelangen, ist gelegentlich auch eine Entscheidung erforderlich. Denn jetzt kann es durchaus mehrere Möglichkeiten der Erklärung geben, die alle ihre Plausibilität haben, aber keine von ihnen zwingende Evidenz, sodass ich entscheiden muss, welche ich als meine Wahrheit anerkenne. Daher kann hier auch von Glauben gesprochen werden. Es kommen also subjektive Aspekte zum Tragen.
Unter Glauben wollen wir allerdings nicht ein einfaches Für-wahr-Halten von Formeln, auf die wir selbst niemals gekommen wären, verstehen: Glaube an Dogmen oder ethische Regeln als absolute, nicht hinterfragbare Wahrheiten. Ein solcher zunächst kindlicher Glaube kippt, wenn Erwachsene an ihm unkritisch festhalten, irgendwann ins Kindische.
Vielmehr wollen wir nach der Grundbedeutung des Wortes »Glauben« suchen und befragen dazu eine der Urwurzeln unserer abendländischen Kultur, die hebräische Sprache. Jüdische und christliche, aber auch muslimische Gläubige pflegen ihre Gebete mit dem Ausdruck »Amen« zu beschließen. Im Religionsunterricht lernten wir, das bedeute »so sei es«. Französisch Sprechende beenden ihre Gebete entsprechend mit der Formel »ainsi soit-il«, oder italienisch mit »così sia«.
Ich pflege zu sagen, dass dies eine ziemlich dünne Zuckerwasserübersetzung ist. Das Wort »Amen« leitet sich her vom hebräischen Verb »’amán«, das mit »glauben« übersetzt wird, ursprünglich aber bedeutet: »Halt gefunden haben«; »Boden unter den Füßen haben«; »in festem Grund Wurzeln geschlagen haben«. »Amen« nach einem Gebet meint also sehr viel mehr als ein mehr oder weniger verbindliches »so sei es«. Tatsächlich heißt es: Was ich jetzt im Gebet ausgesprochen habe, ist die Grundlage meines Lebens. Das sind die Wurzeln, aus denen mein Leben sich nährt - mithin sehr viel Verbindlichkeit! Das ist Glauben. Das bedeutet auch, meinem Leben eine geistige Dimension erschlossen zu haben.

Exoterik - Esoterik und Spiritualität

Weitere Ausdrücke, die der näheren Klärung bedürfen, sind das Begriffspaar »exoterisch« und »esoterisch«. Vor allem das Wort »esoterisch« wirft Fragen und Zweifel auf. Vor wenigen Jahrzehnten noch Ausdruck eines elitären Bewusstseins für spirituell Suchende ist es heute zu einem Modewort degeneriert, das allerhand Fragwürdiges (des Fragens Würdiges!) und Dubioses umschreibt: vom Verbrennen von Räucherstäbchen über allerlei Formen der Wahrsagerei bis hin zum Tischerücken. So meinen wir es natürlich nicht.
Wir sind noch immer bei der Frage nach den Kräften, die unsere Lebensfäden spinnen. Diese Frage kann exoterisch und esoterisch beantwortet werden. Im Begriff »exoterisch« steckt das griechische Wort »exo«, was so viel wie »draußen, außerhalb« bedeutet. Unsere Frage kann also mit dem Verweis auf das Außen beantwortet
 
Copyright © 2008 by Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlag: Elisabeth Petersen, München Umschlagmotiv: Masterfile, Team Deutschland, Düsseldorf
eISBN : 978-3-641-03248-7
 
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