Was soll das Motiv der Grotte in Porphyriosʼ Abhandlung Über die Grotte der Nymphen in der Odyssee (De antro Nympharum) leisten? - Timo Schmitz - E-Book

Was soll das Motiv der Grotte in Porphyriosʼ Abhandlung Über die Grotte der Nymphen in der Odyssee (De antro Nympharum) leisten? E-Book

Timo Schmitz

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Beschreibung

Dieses Buch widmet sich dem Symbol der Grotte in der spätantiken Homerinterpretation De antro Nympharum von Porphyrios und der Frage, was dieses Motiv in seiner Abhandlung leisten soll, nicht zuletzt, da Porphyrios uns mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stellt, welche er nebeneinander stehen lässt. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwiefern sich Porphyrios auf eine geschichtliche Deutung einlässt und versucht, sich auf Homer zurückzubesinnen, oder ob er gar etwas ganz eigenes aus der Homerpassage entwickelt. Um dieser Frage nachzugehen, verfolgt der Autor ein doppeltes Anliegen, nämlich zum einen die Interpretation der Grotte selbst, wie sie Porphyrios vornimmt und zum anderen die Einbettung der porphyrischen Allegorese in das Mythenverständnis sowohl der Antike als auch der Moderne. Denn der Mythos hat in der Philosophie eine lange und bedeutungsreiche Tradition und so muss gefragt werden, wie Porphyrios den homerischen Mythos, sofern er ein Mythos ist, einordnet und wie sich seine Interpretation der Grotte zum Mythos verhält.

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1. Einleitung

 

Über die Grotte der Nymphen in der Odyssee ist ein spätantiker Text des Philosophen Porphyrios, in welchem er sich mit einer Homerpassage aus dem 13. Gesang der Odyssee beschäftigt und eine Allegorese darüber zu betreiben scheint. Beim Lesen des Textes ist mir besonders die Grotte selbst aufgefallen, und ich habe mich gefragt, was Porphyrios mit seiner Deutung aussagen möchte, nicht zuletzt, da er uns mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stellt, welche er nebeneinander stehen lässt. Daher denke ich, dass das Symbol der Grotte und seine Deutungsansätze eine besondere Betrachtung verdienen, weswegen ich in dieser Arbeit der Frage nachgehen möchte, was das Motiv der Grotte in Porphyriosʼ Abhandlung Über die Grotte der Nymphen in der Odyssee leisten soll. Dabei stellt sich natürlich die Frage, inwiefern sich Porphyrios auf eine geschichtliche Deutung einlässt oder ob er etwas ganz eigenes aus der Homerpassage entwickelt.

Im ersten Teil der Arbeit soll auf den Mythos als Bestandteil der Philosophie eingegangen werden, wobei ich dafür zuerst auf den Mythos an sich eingehe. Der Greifbarkeit wegen werden bewusst zuerst moderne Definitionen des Mythos dargelegt, um diesen durch die retrospektive Brille zu umranden. Es wird sich dabei zeigen, dass zwar sämtliche moderne Definitionen den antiken Mythos aus antiker Sicht zu fassen versuchen, aber dass man damit doch nicht sicher sein kann, ob das wirklich dem antiken Gedanken gerecht wird. Sodann werde ich Euhemeros hinzuziehen, welcher als bedeutendster antiker Mythenforscher gilt, um ein antikes Verständnis des Mythos zu bekommen. Allerdings setzt Euhemeros, welcher um 300 v. Chr. lebte, relativ spät an, sodass man noch weiter in die Antike zurückgehen muss. Deswegen wird zusätzlich das Verständnis des philosophischen Mythos bei Platon hinzugezogen, um ein antikes Verständnis zu bekommen. Noch frühere Ansichten, so muss befürchtet werden, sind zu unvollständig, sodass sie uns für ein vollumfängliches Mythenverständnis nur mäßig befriedigen werden. Jedoch erhoffe ich mir mit Hilfe dieser – auch zeitlich – verschiedenen Definitionen des Mythos ein Gesamtbild über diesen zu erlangen. Am Ende des Kapitels soll mit Hilfe Platons gezeigt werden, dass Homers Werke als Mythos bezeichnet werden können. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass der homerische Mythos auch ein philosophischer Mythos ist.

Im darauffolgenden Kapitel wird daher speziell auf den philosophischen Mythos und die Frage eingegangen, ob Homers Mythos sich als ein solcher qualifiziert. Hier hilft uns als Vorbild Platon und der platonische Mythos, sodass ich den Mythos durch die platonische Brille differenzieren werde, denn Platon unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des Mythos und sieht einige als legitim an und andere nicht. Es wird dann zu klären sein, wie legitim Homer als Mythiker in philosophischer Hinsicht für Platon wäre. Um mein Argument zu untermauern und zu zeigen, dass Homer für die alten Griechen ein Rätsel war, dessen Lösung die Weisheit der alten Vorfahren zu Tage fördern soll, werden auch Isokrates und Lykurg hinzugezogen werden.

Im zweiten Teil der Arbeit soll dann auf Porphyrios und den Neuplatonismus eingegangen werden. Auch dieser Teil gliedert sich in zwei grundlegende Kapitel. Ziel des vierten Kapitels ist es, den Begriff des Neuplatonismus zu umranden und aufzuzeigen, wie Porphyrios darin verordnet werden kann. Sodann muss die Bedeutung des philosophischen Mythos bei Porphyrios geklärt werden. Im fünften Kapitel drucke ich zuerst die homerische Passage ab, auf welche sich die porphyrische Untersuchung bezieht. Dabei wird sich auf den griechischen Originaltext beschränkt und auf eine Interpretation meinerseits verzichtet, um so die kommende Porphyrios-Interpretation nicht zu verfälschen, indem ich Homer mein Verständnis seiner Worte in den Mund legen würde. Danach folgt eine kurze Einführung in den Text De antro Nympharum (Über die Grotte der Nymphen [in der Odyssee]) überhaupt, um aufzuzeigen, worum es in dem Text geht und wie er einzuordnen ist. Es folgt dann eine genaue Analyse der Grotte, wobei ich damit beginnen werde, zu erklären, warum die Grotte von solchem Interesse und was ihr Merkmal ist, dass sie so heraussticht. Davon ausgehend werden dann die drei von Porphyrios genannten Bedeutungsmöglichkeiten herausgearbeitet, wobei das kultische Element bewusst erstmal beiseitegelassen (wenn auch der Funktions- und Vollständigkeitshalber am Rande erwähnt) werden soll, sodass die philosophische Tragweite gezeigt wird. Da die Interpretation ohne den kultisch-religiösen Hintergrund natürlich unvollständig wäre, wird das Prozedere danach noch einmal widerholt und die religiösen Elemente herausgearbeitet und mit den zuvor zu Tage geförderten philosophischen Erkenntnissen verbunden.  

Im dritten Teil werden die beiden vorherigen Teile zusammengeführt, d.h. ich werde schauen, inwiefern Porphyrios das Mythische verarbeitet hat und ob es ihm wohl darum ging, den Mythos wirklich zu interpretieren oder ob er sich stattdessen den Mythos vielleicht sogar zu Eigen gemacht hat. Im Fazit werde ich dann zusammenfassen, was die Grotte speziell bei Porphyrios leisten soll und wie sie sich zum Mythos verhält.

 

2. Die Bedeutung des Mythos in der Antike

 

Unter einem Mythos versteht man heutzutage eine symbolische Erzählung, dessen Herkunft meist unbekannt ist, welche man in der Regel in die Sphäre traditioneller Überlieferung einordnen kann und Ereignisse widerspiegelt, die gewöhnlich im religiösen Bereich verortet werden können (Smith et al., o.J.). Frankfort & Frankfort (1954: 11 f.) sehen im Mythos  „spekulatives Gedankengut“, wobei dieses die Verbindung des Menschen zu seiner Umgebung wiedergibt. Denn die Alten sahen, so lautet die These, den Menschen unweigerlich mit der Gesellschaft und die Gesellschaft unweigerlich mit der Umwelt verbunden, sodass zwischen einem „Ich“ und „Du“ unterschieden wurde (Frankfort & Frankfort, 1954: 12). Da die Umwelt folglich als eine persönliche Beziehung und nicht als bloßes „es“, als unpersönliches Objekt, wahrgenommen wurde, galt dem spekulativen Gedanken ein besonderes Augenmerk (vgl. ibid.). Diese Gedanken wurden tradiert, woraus dann der Mythos entstanden ist. Dabei darf der Mythos nicht als bloße Märchenerzählung abgetan werden, denn in gewisser Weise hat man ihn als metaphysische Realität verstanden, wenn man sich auch darüber bewusst war, dass es sich nicht um eine wörtliche, sondern symbolische Überlieferung handelt (Frankfort & Frankfort, 1954: 16). Schließlich geben Frankfort & Frankfort folgende Definition des Mythos: „Myth is a form of poetry which transcends poetry in that it proclaims a truth; a form of reasoning which transcends reasoning in that it wants to bring about the truth it proclaims; a form of action, of ritual behavior, which does not find its fulfilment in the act but must proclaim and elaborate a poetic form of truth.” (ibid.) Dass dem Mythos ein ritueller, kultischer Charakter zukommt, stellen auch Smith und Kollegen (o.J.) fest. Dabei ist davon auszugehen, dass die Geschichten oft viel älter sind als ihre Niederschrift. Weinreb (o.J.) hebt hervor, dass die Menschen früher einen viel engeren Bezug zum geschriebenen Wort hatten. Demnach waren Niederschriften nicht zum bloßen Konsum gedacht und hatten auch nicht den Anspruch, Wahrheiten im Sinne von Nachforschungen auf Historizität zu proklamieren, sodass den Alten die Sphäre des Mythischen wohl vertraut war (vgl. ibid.).

Die ältesten aus Griechenland überlieferten mythischen Epen stammen von Homer und Hesiod. In der Philosophie haben sich vor allem die platonischen Mythen hervorgetan. Und auch bei Platon trägt der Mythos den Namen zu Recht, denn gleichwohl man davon ausgehen kann, dass Platon uns etwas Tiefgründigeres mitteilen möchte, bedient er sich eingängig religiöser Motive der damaligen Zeit, wie ich in meiner Bachelorarbeit am Er-Mythos aufgezeigt habe (siehe Schmitz, 2021). Die mythologische Motivik zieht sich laut Schefer sogar durch die ganze platonische Philosophie und zeigt sich schon in Platons Apologie des Sokrates (siehe hierzu die Ausführungen in Schefer, 1996: 53 – 108). So stellt Schefer (1996: 75) die These auf, dass Sokrates die Philosophie ursprünglich als göttlichen Auftrag sah und er sie daher als λατρεία τοῦ θεοῦ, als Gottesdienst an Apollon, verstand. Letzterer gab ihm durch den Orakelspruch der delphischen Pythia ein αἴνιγμα, ein Rätsel, auf, welches er zu lösen gesuchte, weswegen Philosophie im ursprünglichen Sinne als Gespräch mit Apollon verstanden werden könne (s. z.B. Schefer, 1996: 84 f.). Dass ein Mythos in gewisser Form ein αἴνιγμα ist, versteht sich fast schon von selbst, denn wie oben erwähnt, liegen seine Ursprünge und damit auch die frühsten Bedeutungen der Erzählungen im Dunklen. Zwar kann man versuchen, sie geschichtlich anhand der geschilderten Ereignisse einzuordnen, aber letztlich liegt der Kern des Mythos in seiner Interpretation, sodass er etwas verhüllt. In diesem Sinne sind auch die platonischen Mythen zu verstehen: sie räsonieren nicht offen, sondern verhüllen etwas und es „ist anzunehmen, dass die Entschlüsselung der Bilder dazu führen soll, direktes Wissen über etwas Abstraktes zu erlangen (Allegorie)“ (Schmitz, 2021).

Cürsgen geht sogar noch einen Schritt weiter und beklagt in der Einleitung seiner Dissertation, dass die Tragweite des platonischen Mythos bisher übersehen wurde. So stellt er fest, „daß Platon den Mythos sehr viel weitgehender in den Dienst seiner Philosophie stellt, als bisher erkannt wurde, und daß er mittels einer freien und detailreichen Verbindung von Elementen des tradierten Mythos darauf ausgeht, die Ergebnisse des philosophischen Gesprächs abschließend in Erinnerung zu rufen, ihre Akzeptanz zu fördern und zu ihrer Verwirklichung beizutragen, indem die Hörer oder Leser mit allen Mitteln überzeugt werden sollen“ (Cürsgen, 2002: 2). Demgemäß bilde der Mythos die Fähigkeit, sich überzeugen lassen zu können und sei somit ein Mittel der Überredung: „er überredet zur Einsicht, das eigene Selbst, Denken und Handeln in der vernünftigen, dialogischen (Selbst-)Überzeugung zu begründen“ (ibid.). Die Interpretation dieser philosophischen Mythen spielte für die Neuplatoniker eine wichtige Rolle, wollten sie doch Platon authentisch verstehen. Sogar der mittelalterliche sufistische Pseudo-Mağriti würde in seiner Vorrede den Philosophen vorwerfen, dass sie ihre Weisheit in Rätsel gehüllt haben, wenn er dem Jünger, der sich nach der Wissenschaft sehnt, erklärt, dass jene Wissenssuchenden „nach etwas […] suchen, was ihnen doch verschlossen war, da die Philosophen es verschleiert und es zu offenbaren sich gescheut hatten […]“ (Pseudo-Mağriti, 1962: 2). Das enigmatische Moment ist für die Philosophie daher von größter Bedeutung, versuchte man doch im Laufe der Antike das frühe Wissen zu entschlüsseln, was sich in den Mythen verbirgt, womit sich eine reiche Literatur an Interpretationen ansammelte. Daher darf die Tragweite des Mythos für den Fachbereich Philosophie auf keinen Fall unterschätzt werden.

 

Soweit zumindest die heutige Einschätzung des Mythos. Doch muss sich gefragt werden, ob die bisher vorgenommene moderne Einschätzung dem Verständnis der Alten gerecht wird, denn was für die Alten der Mythos war, wurde oben durch moderne Definitionen eingeführt, aber war diese Definition den Alten schon mehr oder weniger bewusst oder überziehen wir hier den antiken Mythos mit bloß modernem Wissen? Wenn letzteres zutrifft, so würden wir fälschliche Annahmen treffen. So würde es zwar nicht die Natur des Mythos verändern, aber wir hätten eine komplett falsche Wahrnehmung, wenn wir uns mit unserem heutigen Wissen in die alten Griechen hineinzuversetzen suchen. Gleiches gilt für die Annahme von Cürsgen: Er mag zwar die Tragweite des platonischen Mythos erkannt haben, aber das heißt nicht, dass die antiken Menschen Platon genauso verstanden haben. Auch hier könnte uns ein modernes Bild fehlleiten und zu Erwartungen an antike Interpretatoren führen, welchen sie einfach nicht gerecht werden können.

“It was understood in the ancient world that the purpose of a myth was to provide the hearer with a truth which the audience then interpreted for themselves within the value system of their culture. Apprehension of reality was left up to the interpretation of the individual encountering the values expressed in the myths instead of having that reality interpreted for them by an authority figure.” (Mark, 2018)

Diese Definition möchte uns erklären, wie die Alten den Mythos gesehen haben, aber wahrlich handelt es sich wieder um eine retrospektive Definition, die dem antiken Weltbild nur bedingt gerecht wird. Es scheint aber ein Element zu geben, das sich sowohl bei Frankfort & Frankfort als auch bei Mark wiederfindet: der Mythos muss interpretiert werden, er hat keinen Anspruch auf eine hundertprozentige Historizität und der antike Hörer begeht damit in gewisser Weise eine Erfahrung. Frankfort & Frankfort nutzten den Begriff „transcend“ in diesem Zusammenhang, Mark spricht hier von „apprehension“. Was also der Hörer oder Leser in dem Mythos sieht, bleibt ihm überlassen, er nutzt seine Werte und Erfahrungen zur Deutung.

Das Canadian Museum of History (o.J.) definiert den Mythos wie folgt: „a usually traditional story of ostensibly historical events that serves to unfold part of the world view of a people or explain a practice, belief or natural phenomenon“. Auch diese Definition ist zu modern und geht nicht direkt auf einen antiken Schreiber zurück, enthält aber wieder uns bereits bekannte Merkmale. Zum einen „unfold“, was bedeutet, dass etwas verborgen ist, was erst zu Tage befördert werden muss, und „historical events“, was zeigt, dass sich dahinter etwas verbirgt, was als wahr angenommen werden kann oder von dem man eine historische Grundlage annimmt. Mark (2018) geht sogar soweit und sagt: „The most famous historical myth in the west is Homer's epic 8th century BCE tale of the Iliad which tells the story of the siege and fall of the city of Troy.” Ob es sich hierbei wirklich um einen Mythos im antiken Sinne handelt, wird noch später zu klären sein.

Wenn man sich dem antiken Verständnis des Mythos annähern möchte, kommt man an Euhemeros kaum vorbei. Smith et al. (o.J.) schreiben in der Encyclopedia Britannica: „Of special and long-lasting influence in the history of the interpretation of myth was Euhemerism (named after Euhemerus, a Greek writer who flourished about 300 BCE