Was sucht ihr die Lebenden bei den Toten? - Günter Kaiser - E-Book

Was sucht ihr die Lebenden bei den Toten? E-Book

Günter Kaiser

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Beschreibung

Die Frage, ob und wie es nach dem irdischen Sterben weitergeht, bewegt Menschen aller Religionen und vieler Weltanschauungen. Die Wege und Zeiten des Abschiedes und der Trauer sind sehr verschieden und individuell, und es kann dabei kein Richtig und Falsch geben. Doch kann es sehr tröstlich sein, Empfindungen, Schmerz und Trauer miteinander zu teilen. Der Autor möchte mit diesem Buch behutsam auf Hoffnungszeichen hinweisen und einladen, eine Wegstrecke durch die Trauerzeit gemeinsam zu gehen. .

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EPUB
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Seitenzahl: 106

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsangabe

Vorwort

Bild: Abschied

ABSCHIED

Abschied und Einsamkeit

Der erste Besuch an Deinem Grab

Der erste Wegweiser: Am Friedhof

Leid-Zeit

GLAUBE

Das leere Grab

Ich möchte wieder sehend werden

Warum hast du gezweifelt?

Stille in einer Bergkapelle

Einer kam zurück

HOFFNUNG

Der zweite Besuch an Deinem Grab

Hiobs Hoffnung

Der Hauptmann von Kafarnaum

Der zweite Wegweiser: Daheim

LIEBE

Bis dass der Tod uns scheidet?

Der dritte Besuch an Deinem Grab

Der dritte Wegweiser: unterwegs in der Stille

Wohin geht mein Weg?

LEBEN

Tot sein – geht das überhaupt?

Auf den Flügeln des Morgenrots

Das Leben geht weiter – für beide Seiten

Quellenverzeichnis

Vorwort

Wie selbstverständlich bekennen wir Christen immer wieder formelhaft unseren Glauben an Jesus Christus und seine Botschaft vom Gottesreich, seine Auferstehung und die Verheißung des ewigen Lebens. Die Worte des apostolischen Glaubensbekenntnisses sind uns, zumindest den regelmäßigen Kirchgängern, so vertraut, dass kaum noch über die einzelnen Aussagen nachgedacht wird. Sobald jedoch ein geliebter Mensch von uns geht, gerät unser Leben und geraten alle unsere Bekenntnisse mit einem Mal aus dem Gleichgewicht. Das geschieht auch dann, wenn dieser Todesfall sich angekündigt hat, erst recht aber, wenn er uns plötzlich und unvorbereitet trifft. In solchen Momenten wird unser Glaube mit einem Mal auf eine harte Probe gestellt. Aus der lieb gewonnenen Theorie wird unverhofft harte Wirklichkeit. Unser Glaubensbekenntnis, das bisher über jeden Zweifel erhaben schien, all die Worte und Texte des ewigen Lebens, die wir ein halbes Leben lang gehört und gebetet haben, werden in solchen Situationen von der Wirklichkeit des Todes und der Trauer überdeckt, wenn nicht gar in Frage gestellt. Unser Glaube versagt in uns gerade dann, wenn er sich am meisten bewähren sollte. Und doch sind die Aussagen der vier Evangelien und die Briefe des Apostels Paulus eindeutig und unmissverständlich: Der Tod ist nicht das Ende, sondern Übergang und neuer Anfang. Einer ist vor uns und für uns diesen Weg gegangen und hat seinen Jüngern das Versprechen auf das ewige Leben gegeben.

Dieses Buch kann und will kein Allheilmittel in der Trauer sein, es soll aber dazu beitragen, einen hoffnungsvollen Blick hinter den Horizont unserer menschlichen . zu werfen. Liebe, die auch über das Sterben hinaus ein Ziel hat, ist keine Sehnsucht in die entstandene Leere hinein, sondern auf ihr Ziel, nämlich einen konkreten Menschen hin ausgerichtet. Diese Ausrichtung erfordert aber den Glauben, dass der geliebte Mensch nicht im Nichts versunken, sondern – in verwandeltem Dasein – weiterhin existent ist.

Ich möchte Sie, liebe Leserinnen und Leser einladen, sich mit mir auf eine kleine Wanderung durch die Trauerzeit oder durch die Zeit der Suche und Standortbestimmung einzulassen, und dabei vielleicht in der Stille die eine oder andere Antwort für sich zu entdecken. Dabei möchte ich eigene Erfahrungen aus vielen Gesprächen mit Freunden, aus der Begleitung zweier Familien, bei denen jeweils und viel zu früh die Ehefrau und Mama durch ein Krebsleiden mitten aus dem Leben gerissen wurden, mit einbringen. Nicht zuletzt kann ich eigene Trauersituationen dazulegen, die mich sehr geprägt haben, und deren hilfreiche Erkenntnisse ich gerne mit Ihnen teilen möchte.

Über Trauer zu schreiben ist eine Gratwanderung, denn jede Trauersituation ist individuell und absolut einzigartig, und es verbietet sich, an richtige und falsche Richtungen oder Verhaltensweisen zu denken. Sollte für Sie dennoch an der einen oder anderen Stelle in diesem Buch dieser Eindruck entstehen, so bitte ich, es mir nachzusehen. Vor dem Hintergrund eigener Erlebnisse ist es nicht einfach, objektiv zu bleiben, oder gar aus dem Blickwinkel eines unbeteiligten Beobachters zu schreiben. Auch wenn der Pfad in diesem Buch am Ende vielleicht nicht Ihr eigener Weg sein wird, lade ich Sie dennoch ein, ihn ein Stück weit mitzugehen und dabei ein klein wenig Trost zu erfahren.

Günter Kaiser

Meinem seligen Vater gewidmet.

Der Abschied

ABSCHIED

Abschied und Einsamkeit

Abschiede und Tränen gehören zusammen wie Brot und Butter. Das können ebenso sichtbare Tränen sein, wie auch eine innere, für andere unsichtbare Traurigkeit oder ein tiefes, vor anderen gut verborgenes Gefühl der Ohnmacht oder des Schmerzes. Es reicht von einem wehmütigen Blick, wenn der Partner oder die Partnerin am Morgen zur Arbeit muss, über die wehmütige Umarmung am Bahnhof oder Flughafen, selbst wenn der Abschied nur für zwei Wochen Urlaub geschieht, bis hin zu den großen emotional aufgeladenen Abschiedsszenen vor einer Auswanderung oder dem Wegzug eines lieben Freundes in eine entfernte Stadt.

Doch kein Abschied ist zu vergleichen mit dem Adieu an einen lieben Menschen bei einem Sterbefall. Unser ganzes Ich wehrt sich vehement gegen einen solchen Augenblick, selbst dann, wenn er absehbar war. Wir schieben die Beschäftigung mit dieser Tatsache endlos lange vor uns her, so als könnten wir den Tod dazu bewegen, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen. Ist es dann doch soweit, reagieren wir überrascht und aufgeschreckt und weigern uns, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Bei einer plötzlichen Todesnachricht, etwa nach einem schweren Verkehrsunfall, ist die Fassungslosigkeit auch durchaus zu verstehen, denn es fehlte die gedankliche Vorlaufzeit und die Möglichkeit, sich auf das schwere Ereignis einzustellen. Aber auch nach einer langen, schweren Krankheit, bei der der Tod seine Vorboten mehr als einmal an unsere Türe hat klopfen lassen, übermannt uns im Augenblick des endgültigen Abschieds ein Gefühl des Nicht-wahrhaben-Wollens, das uns buchstäblich die Sprache verschlägt.

Der Sterbefall eines nahen Angehörigen oder Freundes1 hat akut zumindest ein heilsames Gutes, denn er nimmt uns mit organisatorischen und vorbereitenden Aufgaben derart in Beschlag, dass das Gefühl der großen Leere zunächst einmal aufgeschoben wird. Doch bereits im Zusammenhang mit der Trauerfeier und der Beisetzung wird eine große Distanz spürbar, erst recht in unserem Kulturkreis, in dem von einer Trauerfamilie „respektvoll“ Abstand gehalten wird. Wie heilsam wäre jetzt die Integration der primär betroffenen Trauernden in die gesamte Trauergemeinde, wie sie besonders in Mexiko und den südamerikanischen Ländern gang und gäbe ist. Stattdessen bleiben bei uns trauernde Angehörige in einer ominösen „Niemandzone“ zwischen Grab und Gemeinde allein stehen. Viele Familien vermeiden diese emotional belastende Situation, indem sie die Beisetzung „im engsten Familienkreis“ feiern. Das wiederum hat zur Folge, dass andere Mittrauernde, wie Schulfreunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen, außen vor bleiben müssen.

Wenige Tage nach der Beisetzung endet die Zeit des Mitgefühls, denn die Menschen der unmittelbaren Umgebung kehren zu ihrem Tagesgeschäft zurück. Damit verstärkt sich die bedrückende Stimmung zwischen Einsamkeit und Ohnmacht, und es bleibt nur eine große Leere zurück. Diese deprimierende Lage verstärkt sich an geprägten Zeiten wie Weihnachten, Geburts- oder Hochzeitstagen oder Familienzusammenkünften noch, denn ein Stuhl bleibt jetzt leer. Manche Trauernden stürzen sich in die Arbeit oder sonstige Aktivitäten, sie verstecken sich nicht und igeln sich nicht zuhause ein, sie nehmen so bald wie möglich wieder am Gemeindeleben teil. Glücklich, wer auch in der Begegnung mit dem Sterben das Leben nicht aus dem Blick verliert. Andere wiederum halten genau das für pietätlos. Sie trauen sich nur in schwarzer oder gedeckter Kleidung aus dem Haus und vermeiden tunlichst jeden lichten Augenblick, erst recht ein Lächeln oder gar ein Lachen.

Im einen wie auch im anderen Fall ist es für Außenstehende sehr schwierig, die wahre Gefühlslage des oder der Trauernden einzuschätzen. So kann ein extrovertierter Mensch, der auch in der Trauer schnell wieder die Gemeinschaft mit seinem Umfeld sucht, in stillen Momenten von einem lähmenden Ohnmachtsgefühl überwältigt werden, während der stille Hinterbliebene, der seine Tränen auch nach außen nicht verbirgt und seine Trauer in dunkler Kleidung kundtut, in besinnlichen Momenten mit seinem Verstorbenen in inniger Zweisamkeit verbunden sein. Dann aber gibt es noch Menschen, die in ihrer Trauer gar keine Grenzen mehr kennen, die im Selbstmitleid erstarren und manchmal auch andere, vielleicht Mittrauernde zutiefst verunsichern und sogar verletzen. Bei ihnen steht manchmal schon nach kurzer Zeit nicht mehr der Verstorbene im Mittelpunkt des Interesses, sondern die eigene Opferrolle, die immer mehr und noch mehr Zuwendung und Mitgefühl anderer für sich beansprucht. Ihnen Wege aus ihrem selbst gebauten Gefängnis aufzuzeigen ist ungleich schwieriger als „normale“ Trauerbegleitung zu leisten und setzt einen langen Atem voraus. Erst wenn die Egozentrik als alleiniges Opfer der Situation überwunden werden kann, wird sich ein Mensch „unversöhnlicher, schwarzer Trauer“ wieder als „ein“ Teil des gesamten Trauerprozesses betrachten, der auch andere, Angehörige und Freunde des Verstorbenen mit einschließt.

In den folgenden Teilen dieses ersten Kapitels möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser einladen, eine akute erste Phase des Trauerprozesses zu erleben und sich auf die damit verbundenen Emotionen der Verzweiflung, der Hilf- und temporären Hoffnungslosigkeit einzulassen. Obwohl ich dazu bewusst die subjektive Ich-Form gewählt habe, möchte ich Sie ermutigen, daran mit Ihren eigenen, persönlichen Empfindungen teilzuhaben.

1 Zum einfacheren Lesen benutze ich meist jeweils nur eine Geschlechterform. Das jeweils andere Geschlecht ist ausdrücklich mit gemeint.

Der erste Besuch an Deinem Grab

Ich mache mich wieder einmal auf zum Friedhof, obwohl ich schon vorher genau weiß, dass es wie immer ein schmerzhaftes Erlebnis sein wird. Aber was ist mir sonst von Dir geblieben?

Ich gehe langsam an den vielen Gräbern vorüber. Alte Grabsteine, Jahreszahlen aus längst vergangenen Zeiten. Über diese Trauerfälle ist längst Gras gewachsen, sinnbildlich und – beim Betrachten der Gräber – zum Teil auch tatsächlich. Wie viele Tränen sind vor diesen steinernen Zeitzeugen schon geflossen? Viele Namen berühren mich auch persönlich, ihre Gesichter tauchen noch wohlbekannt in meiner Erinnerung auf. Und doch sind oft schon mehrere Jahre vergangen. Heilt die Zeit wirklich alle Wunden?

Dann liegt dieser Weg an vielen Kreuzen vorbei hinter mir und ich stehe an Deinem Grab. Ich bin froh, dass ich allein hier bin, und doch spüre ich dadurch meine Einsamkeit umso deutlicher. Unsicher und verlegen suchen meine Hände irgendwo Halt. Ich lege – zum hundertsten Mal – die Schleifen des Blumengebindes wieder zurecht, zupfe eine verwelkte Blüte ab, scharre mit meinem Fuß die frische Erde ein wenig zusammen. Es sind hilflose Gesten, was soll ich auch sonst tun? Eigentlich sollte ich jetzt nicht hier stehen. Eigentlich dürftest auch Du nicht hier sein. Wieso setzt uns das Leben so schrecklich zu? Wozu der Tod? Wofür das Sterben, wozu gerade Dein Sterben? Wo ist der Sinn? Ist nicht alles sinnlos?

Meine Augen zeichnen zärtlich die Konturen der Buchstaben Deines Namens auf dem schlichten Holzkreuz nach. Dein Name, mir so vertraut, bezeichnete mir immer ein lebendiges Gegenüber, ein Gesicht – Dein Gesicht, Deine Sprache, Dein Lachen, das Du in mir. Und jetzt? Dein Name, vor wenigen Tagen in der Traueranzeige, füllt meine Augen mit Tränen. Ich komme jeden Tag hierher, versuche Deine Nähe aufrecht zu erhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Besuche jemals weniger werden oder aufhören. Ich werde mich dagegen wehren, Dein Bild in meinem Herzen verblassen zu lassen, niemals wird das geschehen, obwohl mich die anderen Gräber eines Besseren belehren. Ich verschiebe den heutigen Abschied von Dir von Minute zu Minute, bis es dann doch soweit sein muss, und ich mich, immer noch total aufgewühlt, schließlich auf den Heimweg mache.

Meine Ohnmacht – Gebet und Hilfeschrei

Ich stehe hier mit leeren Händen, mit leeren Augen, mit leerer Seele. Ich glaubte an das Leben, was kümmerte mich der Tod? Unbekümmert lebte ich in den Tag hinein, von der Unsterblichkeit beflügelt. Nun liegt dieses Grab auf meinem Weg wie eine Ruine meiner Hoffnungen. Ich drohe zu ertrinken in dieser Ausweglosigkeit; mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?

Ich wollte, es wäre jetzt Nacht um mich herum, das Licht der Sonne kränkt meine brennenden Augen. Ich versuche das Singen der Vögel aus meinen Ohren zu verbannen, ihre Lebensfreude ist für mich wie eine Beleidigung.

Wie soll es mit meinem Leben weitergehen, da mir das Liebste genommen wurde?

Mein Gott, mein Gott, ich erwarte eine Antwort von Dir, ich flehe, ich schreie, doch meine Gedanken bleiben leer.

Meine Gedanken bleiben leer, ich schreie meine Fragen stumm aus mir heraus, doch niemand antwortet mir. Ich hoffe auf eine Hand, die mich hält, doch ich greife ins Leere. Ich weine still in mich hinein, doch wen kümmert es? Ach, könnte ich doch das Geschehene ungeschehen machen. Ach könntest Du mir, wenigstens ein einziges Mal, erscheinen und mich trösten. Könnte ich doch nur für einen Augenblick erfahren, wo Du jetzt bist – ob Du überhaupt noch irgendwo bist. Nützen mir Glaube und Hoffnung noch? Hat meine Liebe zu Dir noch ein Gegenüber? Oder schweigt die Dunkelheit für immer und wächst das Gras ein für allemal über Dein Grab?

Mit unserer persönlichen Verzweiflung stehen wir offenbar zunächst einmal ganz einsam und allein da. Dabei lohnt gerade in dieser Situation ein Blick in die heilige Schrift. Das Buch der 150 Psalmen ist voll von verzweifelten und flehenden Gebeten, in denen oft auch Anklage gegen Gott selbst erhoben wird, der das Unheil scheinbar zulässt, ohne etwas dagegen zu unternehmen: