Wasdunkelbleibt - Friederike Schmöe - E-Book

Wasdunkelbleibt E-Book

Friederike Schmöe

4,4

Beschreibung

Halloween. Ghostwriterin Kea Laverde staunt nicht schlecht, als vor ihrem Haus weit vor den Toren Münchens ein junger Mann seinen Roller parkt. Noch verwirrender ist die Geschichte, die Bastian Hut ihr auftischt: Er sei vor drei Jahren im Alter von 15 von Kriminellen als Hacker angeworben worden. Seine Erlebnisse habe er in einem Text zusammengefasst, aber er brauche die Hilfe der Ghostwriterin, um daraus ein Buch zu machen. Kea sichtet die Aufzeichnungen. Sie hält den Jungen für einen Wichtigtuer, nimmt den Auftrag aber an, um ihre Kasse aufzubessern. Wenig später ist Bastian tot - und ein Hacker namens x03 in das Intranet des LKA in München eingedrungen …

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Seitenzahl: 230

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Friederike Schmöe

Wasdunkelbleibt

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2011 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

It is our light

not our darkness

Prolog

21.10.2010

Er übernahm mitunter Arbeiten wie diese. Hielt den Wagen auf der Donnersberger Brücke an, morgens um halb acht, zog alle Beschimpfungen dieser Welt auf sich, stellte die Warnblinkanlage an und öffnete die Motorhaube. Kurz darauf sprang hinter ihm einer aus einem Auto, krakeelte wie wild herum, um anschließend mit ihm das Innenleben seines alten Peugeots zu betrachten. Debatte! Sein Puls dröhnte so laut in seinen Ohren, dass er das Bumbumbum sogar durch den Verkehr hören konnte. Unter ihnen rauschten die S-Bahnen durch. Nach ein paar Minuten schlug er die Motorhaube zu und klemmte sich hinters Steuer. Er war rot im Gesicht, was ihm nicht gut stand, er war eher von der blassen Sorte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel: Der andere war bereits fort. Auf dem Beifahrersitz lag ein Umschlag, unter dem ›Merkur‹ von heute.

1

rekinom trieb sich seit einigen Monaten in Chatrooms herum. Er schwirrte durchs Internet auf der Suche nach Dv0ttny. Fragte hier und da und verwischte anschließend seine Spuren. Von Dv0ttnys Genialität und Unabhängigkeit fasziniert, glitt er umher. Er war vorsichtig. Man könnte ihn auch fantasielos nennen.

Dv0ttny öffnete sich nur sehr wenigen. Das stellte rekinom schnell fest. Nur wenigen gab Dv0ttny preis, womit er sich beschäftigte. Das war einer der Gründe, warum rekinom ihn gewählt hatte. Diese Unnahbarkeit, verbunden mit einem gewissen Talent. rekinom neidete ihm beides.

Es lag nur an ihr. Sie trieb ihn so weit. rekinom hatte Zeit seines Lebens nicht nach Glück gestrebt. Eher nach Gemütlichkeit. Nach Ruhe und einem friedlichen Leben. Er kam mit dem Job klar, wenngleich er kein großes Licht war. Eigentlich kam er mit den meisten Menschen und Ereignissen klar. Man nannte ihn einen verträglichen Typen. Er war nicht kompliziert. Er machte sich einfach nicht so viel aus den Dingen. Nichts ging ihm wirklich nah.

Das Internet hatte ihn nie fasziniert. Obwohl er gut programmierte und eine Ahnung von der Technologie besaß, die ausreichte, um ihn zu ernähren, fand er die Cyberwelt nicht interessant. Die Technik schon. Alles andere, Social Media und der ganze Quark, diese Vernetzung von Leuten, die meinten, sie kämen einander auf diese Weise nah, sagten ihm nichts. Datennetze stellten für ihn einfach ein Wissensgebiet dar, auf dem er tätig war.

Von seiner Zukunft hatte er bis vor einem Jahr im Prinzip nichts weiter erwartet. Alles könnte seiner Meinung nach so weitergehen wie immer. Die Befriedigung, die sein Job ihm brachte, hatte ihm genügt. Dann war die Frau aufgetaucht.

Sex wurde zur Sucht. Das war ihm neu. Frauen fanden ihn für gewöhnlich nicht attraktiv. Er war nur ein Mann mit einem Schwanz. Ansonsten einer, den man schnell wieder vergaß.

Sie war anders. Mit ihr war alles neu. Aufregend. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den Eindruck, etwas Besonderes würde vielleicht auch für ihn bereitstehen.

Glück?

rekinom wusste es nicht. Alles, was er wusste, war, dass er bislang keine Frau kennengelernt hatte, die sexuell dermaßen aktiv war. Selbstverständlich durfte er dem in nichts nachstehen. Zunächst war das kein Problem. In den ersten Monaten war er genauso unersättlich wie sie. Er hatte fast zwanzig Jahre ohne Beziehung gelebt. Plötzlich geriet er an eine Frau, die Sexpartys gab! Klar, dass sein Körper sich überschlug.

Dass sie kein Gesicht besaß, bemerkte er erst später. Zu spät womöglich. Deswegen hatte er seinen Plan geschmiedet. Die Ghostwriterin und ein paar andere Leute spielten eine Rolle. Nero zum Beispiel. Der blendende Ermittler! Der Überflieger unter den Polizisten!

rekinom verzog das Gesicht. Sie hatte ihn angestiftet.

Ihre ständigen Forderungen, die Einladungen und Besuche im Swingerclub, überforderten ihn. Sie schenkte ihm Aftershave in rauen Mengen. Stank er?

Sie hatte Geld. Sie konnte das alles bezahlen. Nicht nur das Rasierwasser, sondern auch die Sonderwünsche. Anfangs fand er Swingerclubs bescheuert. Sein Appetit konzentrierte sich allein auf sie, aber dann stellte er fest, dass es andere Frauen gab, die er betören konnte, wenn es darauf ankam. Aus Trotz, das mochte schon sein, wenn er sie mit einem anderen in einer Hängematte verschwinden sah. Welcher Mann wollte das auf sich sitzen lassen?

Er nahm Tabletten. So war das heutzutage. Er musste die Frauen nicht rumkriegen. Sie wollten ihn. Von ihr hatte er ein paar Tricks gelernt. Sie hatte ihm beigebracht, warum er einer Frau das Haar kraulen und die Stirn küssen musste, ehe er sie unterwarf. Es gab ein paar ganz einfache Griffe, die bei allen funktionierten. Das hätte er sich nie so vorgestellt.

Letztlich ging es nicht um Sex. Es ging darum, dass er zu seinem alten Leben zurückwollte. Was er sich nicht so richtig eingestand. Und was sie ihm nicht gestattete.

Sie hatte geerbt. Sie kaufte Champagner. Mit Prosecco gab sie sich nicht ab. Wenn er abends heimkam und nach einem Bier lechzte, mixte sie ihm komplizierte Drinks in unanständigen Farben.

In seiner Wohnung türmten sich Kataloge. Blöde Uhren, beknackte Möbel. Anders konnte er es nicht sagen. Sie fand sein Zuhause spießig. Er kam aus einer beige-braunen, cordsamtenen Beamtenfamilie. Er hatte eine wie sie nicht verdient. Das war es, was sie ihm zu verstehen gab. In genau bemessenen Dosen. Die wurden mehr und mehr.

Er konnte manchmal nicht mehr atmen. Fühlte Beklemmungen in der Brust. Der Sex löste die Ketten, die ihn nach und nach erdrückten, nur für kurze Zeit. Wenn er auf ihr lag und in ihre rastlosen Augen blickte, sah er nichts als Leere.

Seit einem halben Jahr gab er vor, mehr als sonst arbeiten zu müssen. Sie verstand von nichts etwas. Das war sein Vorteil.

Dv0ttny war jung, vielversprechend und frei. So wie rekinom einmal gewesen war. Aber das führte in eine ganz andere Zeit zurück. Kein Vergleich mit heute. Er war im Kalten Krieg jung gewesen. Er war nicht zu den Anti-Atomdemos gegangen. Er hatte die Stationierung der Missiles befürwortet und erleichtert das Ende der Regierung Schmidt kommentiert. In der Oberstufe, kurz vor dem Abitur. Auf seiner Schultasche klebte seinerzeit ein Sticker: ›Atomkraft, ja bitte‹.

Dv0ttny konnte nicht wissen, was der Kalte Krieg war. Während rekinom quasi ein paar Meter neben dem Eisernen Vorhang aufgewachsen war, chattete Dv0ttny mit Leuten in Usbekistan, Vietnam und Chile. Staatsgrenzen gab es für seine Generation nicht mehr, nur die Unannehmlichkeiten, die sich aus der allgegenwärtigen terroristischen Bedrohung ergaben. Die Generation Dv0ttny war unpolitisch und undankbar. Gerne hätte rekinom ihr Lebensgefühl geteilt. Er hatte mit dem Commodore 64 angefangen. Der Rechner war mittlerweile so antiquiert wie ein Abakus.

Er gewöhnte sich an, sich aus dem Bett zu wälzen, während sie nach dem Sex mit einem Mai Tai im Bett lag und sich später ein Bad einließ. Während sie, sich im heißen Wasser aalend, einen Möbelkatalog wälzte, hing rekinom in Chatrooms ab.

Und eines Tages spürte er Dv0ttny auf.

2

16.11.2010

Sein Leben schillerte wie der Körper einer Schmeißfliege. Allein deshalb war es der beste Auftrag seit langem gewesen. Schreibe einem Verrückten die Autobiografie, und du hast mächtig was zu lachen.

Claude-Yves hatte vor einem halben Jahr das ›Piranha‹ in Ohlkirchen übernommen und aus dem stinkenden Pub ein Restaurant mit dem vielsagenden Namen ›La Méditerranée‹ gemacht. Er war Kanadier mit französischem Pass und einer bulgarischen Großmutter, hatte sich angeblich in Benin zum Voodoopriester ausbilden lassen, war Koch im Steigenberger in Berlin und Frankfurt gewesen und führte nun ein Lokal, in dem er Spezialitäten aus allen Ländern rund ums Mittelmeer anbot. Außerdem hatte er Ähnlichkeit mit Mario Adorf. Nur mit weniger Bart, etwas mehr Bauch. Und er war kleiner.

Zwei Gläser und eine Flasche Rakija landeten auf der Tischplatte. »Auf dich, Kea! Auf meine Ghostwriterin!« Claude-Yves klemmte sich auf die Sitzbank. »Wenn der Laden weiterhin gut läuft, kriegst du mehr Aufträge von mir. Ein Kochbuch zum Beispiel. ›Claude-Yves’ Spezialitäten‹. Oder so. Na denn. Auf uns!«

Er schluckte seinen Rakija hinunter. Ich tat es ihm nach. Das Bücherpaket stand, eben frisch aus der Druckerei eingetroffen, zerfleddert neben der Theke. Claude-Yves hatte sich für eine Publikation im Eigenverlag entschieden, den er, ganz frankophil, ›éditions méditerranée‹ genannt hatte.

»Gut, so ein Schnäpschen.« Ich nahm zum wiederholten Mal ein Buch in die Hand. ›Kochen mit Claude‹ schien mir nicht allzu vielsagend, aber Claude-Yves war von dem Titel begeistert. Schließlich war er dabei, sich selbst als Marke zu etablieren.

»Ist ein Muss. Wie sagen wir heute? Ein Must-do.« Claude-Yves schüttelte den Kopf. Sein dichtes, graues Haar geriet dabei ins Flattern, was ihm sichtlich gefiel. »Dabei frage ich dich: Was haben uns die Amerikaner eigentlich gebracht außer ihrer ulkigen Sprache und McDonald’s?«

»Du bist selber Amerikaner.«

»Quatsch! Ich bin Kanadier. Aus Québec. Ein echter Québecois. Das ist ganz was anderes, Kea, ganz was anderes.«

Ich zuckte die Achseln. »Habe keinen Nerv für Spitzfindigkeiten!«

Claude-Yves musterte mich aufmerksam. Sein Silberblick irritierte mich. All die Interviewstunden hindurch hatte ich mich auf seine Hände konzentriert,die so schön gestikulieren konnten, weil mich der Blick aus seinen jeansblauen Augen ablenkte. Er schenkte mir nach.

»Lass das.«

»Hast du heute noch zu tun?«

»Ja. Arbeit.«

Claude-Yves nickte. Es war Dienstag, und dienstags hatte er Ruhetag. Dennoch saß er in seinem Restaurant und kümmerte sich um dies und das. Am allermeisten um die Ausstattung seines Selbstbildes.

»Ich verkaufe das Buch hier im Restaurant. Das wird der Brüller.«

Ich lächelte, weil das Wort ›Brüller‹ sich bei Claudes Akzent drollig anhörte. ›Brühlähr‹.

Claude-Yves’ Autobiografie war bestückt mit Rezepten aus seiner langen Karriere als Koch. Seine ureigenen Kreationen schlossen jedes Kapitel ab, und da er viele Plätze dieser Welt in seinem Leben bereist hatte, waren die Gerichte inspiriert von lukullischen Traditionen Afrikas, Kanadas und Europas. Mir schien das ein bisschen viel an Selbstbeweihräucherung, aber der Kunde war König. Claude-Yves war überzeugt, dass die Restaurantgäste ihm das Werk aus den Händen reißen würden. Er hatte eine Anzahlung geleistet und ging nun zu seinem Laptop, um den Restbetrag online zu überweisen. »Wir Geschäftsleute wissen, wie das ist, wenn man auf seine Kohle warten muss, was?«, rief er zu mir hinüber.

Ich nickte trübsinnig und leckte mein Glas aus. Auf meinen neuen Auftrag hatte ich nicht die Bohne Lust. Etwas Unbestimmtes schwebte über mir, wenn ich an den vergangenen Sonntag dachte.

»So, und ›Klick‹«, verkündete Claude-Yves. Er setzte sich wieder zu mir. »Probleme?«

»Nicht direkt«, sagte ich. »Nur ein ungutes Gefühl. Der neue Kunde.«

»Warte, warte!« Claude-Yves hob die Hand und stürmte zur Küche. »Ich bin gleich zurück!«

Verzeihen Sie, Leser, nun habe ich mehr über Claude-Yves gesprochen als über mich. Mein Name ist Kea Laverde, ich bin Ghostwriterin, stehe kurz vor meinem 42. Geburtstag, und mein Sternzeichen ist Steinbock. Ich lebe südwestlich von München, nahe des Ortes Ohlkirchen, den keiner kennt, weil er zu klein und zu unbedeutend ist, aber das wird Claude-Yves natürlich ändern; zweifellos wird das ›Méditerranée‹ Furore machen, denn sein Chef hat überall Furore gemacht, wo er kochte, sei es in Québec, Cotonou oder Frankfurt. Ich genieße das Leben in meinem Haus am Ende der Welt, am Hang gelegen, umgeben von sanften Hügeln, mit dem Blick ins Fünfseenland, bei meinen zwei betagten, treuen Graugänsen Waterloo und Austerlitz. Mein Job macht mir Spaß, denn ich bin mein eigener Herr und habe ausreichend Aufträge, um gut zu verdienen. Ich könnte mir zwei Urlaube im Jahr leisten, bin aber nicht scharf aufs Verreisen, da ich früher als Reisejournalistin tätig war und erst im vergangenen Frühjahr eine absurde Fahrt nach Georgien angetreten habe. Die Reise hatte Spaß gemacht, das Land ist wirklich ein Traum, aber ich bin halt lieber zu Hause und miste den Gänsestall aus. Kurzum, aus der Bohémienne, die ich mal war, ist eine ziemliche Spießerin geworden.

Claude-Yves kam mit einem dampfenden Teller und einer Karaffe mit Wein zurück.

»Du, ich muss noch fahren«, hörte ich mich sagen, aber Claude-Yves lachte nur.

»Das ist es, was euch Deutschen fehlt. Den Augenblick nicht leben zu können, weil ihr immer irgendwas tun müsst. Fahren, arbeiten, telefonieren – tut eurem Aufschwung gut, aber dem Volk an sich würde etwas mehr Laisser-faire stehen. Nun erzähl.« Er stellte den Teller vor mir ab. »Ratatouille mit Bulgur, du kennst das Rezept aus dem Buch.«

Er gab ja doch keine Ruhe. Also lieferte ich einen möglichst detailgetreuen Bericht. Von meinem einsamen, gemütlichen Halloweenabend. Nicht, dass Sie meinen, ich würde jammern. ›Einsam‹ bedeutet für mich eigentlich nur, dass ich meinen eigenen Stiefel machen kann und niemand stört. Manchmal nervt sogar die große Liebe. An Halloween saß ich in Ruhe und Frieden in meiner Klause und guckte die Muppetshow auf DVD, als es klingelte. Bei mir draußen kommen keine Kinderlein vorbei und verlangen ›Süßes oder Saures‹. Erstens, weil ich zu weit von aller Zivilisation entfernt bin, zweitens, weil die besorgten Eltern eine alleinlebende Frau in der Einöde, die als Geist arbeitet, zu unsolide finden, und drittens, weil jeder weiß, dass ich mit derlei Späßen nicht zu erheitern bin. Also ignorierte ich das erste Klingeln und starrte weiter auf den Bildschirm. Als der Mensch vor meiner Tür nicht locker ließ, stand ich auf und spähte aus dem Fenster. Ich sah einen Roller neben meiner Tür parken und einen Knilch, der sich mit dem Kopf gegen die Tür lehnte, als könne er nicht mehr gerade stehen.

»Wer ist da?«

»Bastian!«

Ich riss die Tür auf. Ein Youngster stand vor mir, ein Knäblein, dünn wie ein Strich, mit leuchtenden Augen. Er kam mir irgendwie bekannt vor, ohne dass ich sagen konnte, woher.

»Ich störe wahrscheinlich«, er sah sich um, als erwarte er eine Flutwelle über meine Auffahrt schwappen, »aber …«

Ich trat beiseite und bat ihn mit einer Kopfbewegung ins Haus. »Setz dich!« Ich schaltete den Fernseher aus und wies auf mein Küchensofa. Ich lebe quasi in der Küche: Fernseher, Musikanlage, Sofa, Zeitschriften, Bücher – alles vorhanden.

»Ich wollte Sie fragen – ähm – ob Sie ein Buch für mich schreiben würden.«

Er öffnete seine Fleecejacke und zog einen Stapel Papiere hervor. Handbeschrieben. Wachsam wanderten meine Augenbrauen in die Höhe. Halt, Kea, ermahnte ich mich, er könnte ein guter Kunde sein, selbst wenn er jung ist. Gute Kunden waren solche, die möglichst viel zahlten und äußerst selten anriefen, keine Umarbeitungen einforderten und dankbar ihre fertig geghosteten Texte annahmen.

»Sie kennen mich nicht, oder?«

»Habe ich ein Schlagersternchen vor mir? Ich schaue mir die einschlägigen Sendungen nicht an, sorry.«

Er lachte. So ein breites, freakiges Lachen, das viel tiefer klang als erwartet.

»Mein Name ist Bastian Hut. Ich bin vor 4 Jahren mal kurz in den Schlagzeilen gewesen. Weil ich eine Firma gehackt habe.«

»Das war vor meiner Ohlkirchener Zeit!«

»Ja, kann sein.«

»Welches Unternehmen hast du gehackt?« Ich goss Bastian ein Glas Wasser ein und mir einen Chianti.

»Das spielt ja keine Rolle mehr.« Er zuckte die Achseln. Wie ein Hacker sah er nicht aus. Nicht, wie ich mir einen Hacker vorstellte. Er war zwar schmal, fast zierlich, wirkte aber dennoch sportlich. Kein Typ, der 24 Stunden am Stück vor einem Bildschirm saß und das Internet leersaugte. »Ich bin angeworben worden. Von so einem Typen. Auf einer offenen Plattform im Netz. Wo sich die Geeks rumtreiben und austauschen.«

»Wer hat dich angeworben?«

»Das weiß ich nicht. Er nannte sich nbn6. Da loggt sich keiner mit seinem echten Namen ein!«

»Und dann?«

»Dann habe ich weitere Aufgaben bekommen. Steht alles da drin.« Er schüttelte den Papierpacken. »Musste die Daten eines Fitnessstudios knacken und Infos über die Kunden weitergeben.«

Abgründe!

»Und das hast du gemacht?«

Bastian nickte und sah sich im Zimmer um. Sein Blick blieb an den Haikus hängen, mit denen ich die Wand über dem Sofa tapeziert hatte. Häufig kam eins hinzu. »Dichten Sie selbst?«

»Nein. Die Haikus stammen von berühmten japanischen Poeten.«

»Das mit dem Fitnesscenter war harmlos. Sie haben mich erst später erwischt. Bis zu dem Tag, an dem die Polizei meinen Rechner und meine Sachen aus dem Haus geschleppt hat, habe ich 3000 Euro verdient.«

»Du bist verurteilt worden?«

»Steht alles hier drin. Ich habe meine Erlebnisse aufgeschrieben. Um den Leuten klar zu machen, wie das alles enden kann.«

»Eine Warnung?«

»Das ist so ein Spiel, manchmal. Unter Hackern, meine ich. Du probierst, wie weit du gehen kannst. Du checkst einfach die Grenzen, die dir gesetzt sind, und schiebst sie ein bisschen weiter von dir weg. Und weiter. Und noch weiter. Und dann kannst du nicht mehr aufhören.«

»Sucht?«

»So ähnlich. Aber du handelst dir nichts als Ärger ein.«

Ich streckte die Hand nach seinen Unterlagen aus. Gute 100 Seiten mussten das sein, beschrieben in schnörkeligen Buchstaben.

»Du schreibst mit der Hand?«

Er errötete leicht. »Ich kann so besser nachdenken. Am PC bin ich abgelenkt.«

»Das zu entziffern, wird nicht einfach sein.« Ich hatte keine große Lust auf den Auftrag, aber ich hatte nichts Besseres zu tun. In meinem Arbeitszimmer wartete ein Stapel Korrekturfahnen zu einer anderen Autobiografie. Die konnte ich innerhalb von zwei Tagen abarbeiten. Erst für Ende des Jahres war ich zu einer Frau eingeladen, die auf einer Hallig in der Nordsee lebte und ihr Leben aufgeschrieben haben wollte. Ich freute mich auf die Reise. Bis dahin hatte ich Zeit.

»Geld ist kein Thema«, bemerkte Bastian.

»Bist du Großverdiener?«

Er schüttelte lachend den Kopf. »Mache nächstes Jahr endlich mein Abi.«

»Und dann? IT-Branche?«

Er hob die Schultern. »Kann sein. Weiß nicht.«

Ich nippte an meinem Chianti. Seine Geschichte behagte mir nicht. Wahrscheinlich, weil ich einem Milchbart nicht abkaufen wollte, dass er mal eben 3000 Euro gemacht hatte.

Bastian stand auf. Er hatte sein Wasser nicht angerührt.

»Willst du nicht wissen, was ich koste?«, fragte ich grinsend.

»Wieviel wollen Sie?«

Ich nannte ihm mein Grundhonorar und den zusätzlichen Preis pro Seite. »40 Prozent Anzahlung.«

Er griff in die Hosentasche und zog ein Bündel 200-Euro-Scheine heraus.

»Brauchen Sie sonst noch was?«

»Ich sage dir Bescheid, wenn ich das hier durchgeschaut habe.« Ich warf die Blätter auf den Tisch.

3

Er hatte das Strophantin von einem befreundeten Arzt verschrieben bekommen. Ging mit dem Döschen aufs Klo und schluckte die beiden Pillen. Dreimal am Tag. Noch nie hatte er im Beisein seiner Kollegen Medikamente genommen. Das Büro war eine Natterngrube. Man konnte nie wissen, woraus einem ein Strick gedreht würde.

Polizeihauptkommissar Nero Keller betätigte die Spülung und verließ die Kabine. Eine Weile starrte er sein Gesicht in dem Spiegel über dem Waschbecken an. Der Bart: zu kurz geraten beim letzten Rasieren. Er wirkte nicht mehr stilsicher italienisch, sondern verpennt. Die Augen: irgendwie tot. Obwohl, soweit würde er nicht gehen. Nur leer. Ausgesaugt. Nichts mehr zu erwarten.

Verdammt. Er war wirklich ausgebrannt. Die Kämpfe, die er mit Polizeioberrat Woncka führte, um seine Pläne in die Tat umzusetzen, zehrten ihn aus. Die Klugscheißer im Team ebenso. Eigentlich brannten sie alle vor Neid, bis auf Markus Freiflug, mit dem er am engsten zusammenarbeitete. Vermutlich verhielt sich Markus nur deshalb wohlwollender, weil auch er eine Sonderaufgabe erfüllte. Er leitete eine Schnittstelle mit dem Zweck, die bayerischen Kriminalisten, die in Sachen Cyberkriminalität ermittelten, untereinander zu vernetzen.

Soweit bin ich schon, dachte Nero und leckte über seine rissigen Mundwinkel. Ich traue niemandem mehr etwas Gutes zu. Selbst meinem besten Kollegen nicht.

In fünf Minuten würde das Gespräch mit Woncka anfangen. Eine letzte Chance, sich freistellen zu lassen, um für ein halbes Jahr oder länger weiterzuforschen, neue Workshops und Fortbildungen zu planen. Das war es, was er wollte: Mal raus aus allem, um ungestört nachdenken zu können. Die Zeit anhalten. Projekte erarbeiten, die nicht nur einfach ihren Lauf nahmen, sondern Sinn machten. Steuergeld, nützlich angelegt, das wollte er Woncka sagen.

Zugegeben, es ging ihm auch um sich selbst. Er verabscheute die Hektik des Arbeitsalltags in einer unterbesetzten Ermittlungsgruppe. Da blieben eine ganze Menge Fragen unbeantwortet. Pfade, die für spätere Ermittlungen wichtig sein konnten, wurden nie begangen. Einfach aus Zeitmangel. In naher Zukunft würde diese Ignoranz ihre Arbeit lahmlegen. Ganz allmählich, fast unbemerkt würde die Polizei bei der Bekämpfung neuer Formen der Kriminalität passen müssen. Ihnen fehlten Zeit und Personal, um in die Tiefe zu gehen.

Nero spritzte sich Wasser ins Gesicht. Ein Schauer lief über seinen Rücken. Er fröstelte. Könnte eine Grippe sein, dachte er und verließ den Waschraum. Draußen lief er seinem Kollegen Ulf Kröger über den Weg.

»Ach, Nero! Ich habe dir gerade was auf den Schreibtisch gelegt. Staatliche Hacker in China und Reaktionen auf Wikileaks. Schau es dir in aller Ruhe an! Könnte dich interessieren, was?«

»Danke.« Nero nickte.

»Alles okay bei dir?« Ulf Kröger war ein gedrungener Typ mit Stiernacken und Schuppen auf dem Pullover. Aber einer, der auf dem Korridor nicht nur kurz nickte, sondern das Gespräch suchte.

»Klar, danke.« Nero wollte nicht mit Kröger reden. Nicht jetzt. Nicht, weil er Kröger nicht mochte oder weil er sich gestört fühlte, sondern einfach, weil er manchmal am liebsten mit niemandem mehr reden wollte. Und wenn er es recht bedachte, mutierte das ›manchmal‹ allmählich zum ›immer‹.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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