Watsons Welt - Haike Hausdorf - E-Book

Watsons Welt E-Book

Haike Hausdorf

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Beschreibung

Watson ist ein Appenzeller Schnaubrador und lebt mit seinen zweibeinigen Mitbewohnern Tom und Kati glücklich und zufrieden - bis die Wohnungskündigung auf den Tisch flattert und Tom ein altes Haus kauft. Pointiert und lebensklug berichtet Watson von Umbauarbeiten, sabotierten Urlaubsplanungen - und lässt den Leser dabei an seiner ganz eigenen Sicht auf die alltäglichen Dinge des Lebens teilhaben. Folgen Sie Watson in seine Welt - und erfahren gleichzeitig etwas über unsere menschlichen Eigenarten, die auf einen Hund recht seltsam wirken dürften.

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HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

05/2018

© by Haike Hausdorf

© by Hybrid Verlag, Homburg

Umschlaggestaltung: © by Esther Schnitzer

Lektorat: Michaela Marwich, Paul Lung

Autorenfoto: Ringfoto, Nagold

Coverbild ›Endlich(er) Urlaub‹

© 2017 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Eibe‹

© 2017 by Creativ Work Design, Homburg

ISBN 978-3-946-82028-4

www.hybridverlag.de

Haike Hausdorf

Watsons Welt

Zwischen Urlaubsstress und Umzugschaos

Roman

Inhaltsverzeichnis

1. Urlaub? Nein, danke!

2. Heimfahrt? Bitte nicht!

3. Tanten-Besuch? Zu Hilfe!

4. Ausflug? Immer gerne!

5. Couch-Potato? Warum nicht!

6. Wohnungssuche? Wie lästig!

7. Hauskauf? Traut euch!

8. Packen? Los, Mädels!

9. Abriss? Alle anpacken!

10. Malerarbeiten? Auf geht‘s!

11. Renovierung? Langsam reicht‘s!

12. Schneetreiben? Wie unpassend!

13. Endspurt? Höchste Zeit!

14. Heiligabend? Familie pur!

15. Silvester? Zu laut!

16. Türensetzen? Kein Problem!

17. Frühling? Wie schön!

18. Männer-WG? Auch gut!

19. Schweden? Sehr gerne!

20. Urlaub? Ja, bitte!

In Erinnerung an Lia,

die das optische Vorbild für Watson

aber viel braver war.

1. Urlaub? Nein, danke!

Eigentlich mag ich den Sommer. Sehr sogar. Die warme Luft, das Vogelzwitschern, das Baden im See.

Ich mag es, faul in der Sonne zu liegen und ein ausgedehntes Nickerchen zu machen. Ich liebe lange Spaziergänge über Wiesen und Felder und ganz besonders liebe ich es, durch den Wald zu streifen. Wenn es richtig heiß ist, genieße ich dort die etwas kühlere Luft und das Spiel von Licht und Schatten, das entsteht, wenn sich die Sonnenstrahlen ihren Weg zwischen den Ästen und Blättern der Bäume hindurch bahnen. Der Sommer ist großartig. Natürlich mag ich auch den Winter, wenn es richtig schneit. Nichtsdestotrotz kann ich sagen, dass der Sommer meine liebste Jahreszeit ist.

Aber wie bei fast allen wirklich großartigen Dingen im Leben, gibt es auch hier einen Haken. Mein persönlicher Wermutstropfen im Sommer ist der Urlaub! Das Leben könnte so schön sein, wenn es ihn nicht gäbe.

Nun ja, nicht jede Form von Urlaub ist schlecht. Es gibt sogar ganz wunderbare Arten. Meiner Meinung nach sind das die, bei denen man nicht dabei ist.

Wenn Kati zum Beispiel kurz nach Ostern mit ihren Freundinnen aufbricht, um bei einem Mädels-Urlaub irgendeine Nordseeinsel unsicher zu machen, habe ich eine richtig gute Zeit. Während die vier sich den Seewind um die Ohren wehen lassen oder im Hotel die Wellness-Oase erkunden, ziehen Tom und ich mit dem Rad los, eröffnen die Grillsaison und schlafen abends nach dem zweiten Western auf der Couch ein. Tom lacht dann, wenn wir wieder aufwachen und sagt, dass wir eben eine echte Teilzeit-Männer-WG seien.

Und wenn Tom im Herbst mit seinen Freunden zu einer Mountainbike-Tour aufbricht, um im Schweiße seines Angesichts die Alpen oder die Pyrenäen zu bezwingen, dann ist das ebenfalls ein fantastischer Urlaub, für ihn und für mich! Während Tom nämlich schwitzt und strampelt oder mit seiner Spiegelreflexkamera großartige Landschaftsaufnahmen macht, verbringe ich zwei Wochen ganz allein mit Kati. Dann machen wir ausgedehnte Spaziergänge, naschen abends Süßigkeiten auf dem Sofa und lassen es uns richtig gut gehen. Denn Kati findet, dass man hin und wieder auch einmal faul sein darf. Und mit niemandem macht faul sein so viel Spaß wie mit ihr!

Zwischen diesen zwei großartigen Urlauben liegt allerdings eine Zeit der Qual: Der alljährliche Sommerurlaub. Kurz bevor die Schulferien beginnen, durch die es richtig teuer wird und alle lohnenswerten Ziele restlos überlaufen sind, machen wir gemeinsam Urlaub. Es beginnt damit, dass Kati kurz nach ihrer Rückkehr von der Nordsee stapelweise Reise-Lektüren und Prospekte anschleppt. Abends stecken Tom und sie dann ihre Nasen in den großen Atlas und erkunden mit den Fingern fremde Länder. Gleichzeitig führen sie schier endlose Diskussionen darüber, wo sie schon waren und wo wir unbedingt noch einmal hinfahren müssen. Wenn die zwei sich nach Tagen auf ein Reiseziel geeinigt haben, überlegen sie ausführlich, was wir vor Ort besichtigen und unternehmen werden.

Tom denkt laut darüber nach, ob man vielleicht die Fahrräder mitnehmen sollte, was Kati rigoros ablehnt. Sie sagt immer, dass sie beim gemeinsamen Urlaub mehr von ihm sehen wolle, als nur sein Rücklicht und eine weit entfernte Staubwolke. Schließlich sei ja nicht jeder zum Spitzensportler geboren. Im Gegenzug erwägt Kati mindestens eine Woche Strandurlaub, was Tom verzweifelt die Augen verdrehen lässt ob so viel Eintönigkeit und Passivität. Er findet nämlich, dass das sinnlose Herumliegen und gelegentliche Wenden bei Gluthitze nicht für Menschen geeignet sei, sondern lediglich Grillwürsten und Steaks vorbehalten sein sollte. Schließlich entscheiden sie sich dann für ausgewählte Wanderungen oder kulturelle Besonderheiten des Reiselandes, die man unbedingt besucht haben müsse.

Abgesehen von der Kultur – also dem Besuch von Schlössern, Burgen, Kirchen und Museen – bin ich zwar für alle Arten von Urlaubsaktivitäten aufgeschlossen. Sowohl Radtouren als auch Wanderungen und Badevergnügen am Strand liegen mir im Blut. Trotzdem mag ich keinen Urlaub, denn ich verlasse nur sehr ungern meine vertraute Umgebung und hasse lange Autofahrten. Staus sind mir ein Gräuel, Pinkelpausen auf überfüllten Rasthöfen kann ich nicht leiden, und das Herunterschlingen von Fast-Food und Dosenfutter neben Autoabgasen und Verkehrslärm finde ich grässlich. Der blanke Horror aber sind die Arztbesuche und Schutzimpfungen, die so ein Auslandsaufenthalt im Vorhinein erfordert. Ich gebe zu, dass ich ein echter Hasenfuß bin, wenn es um Spritzen geht. Kati nennt mich dann eine ›Mimose‹ und lacht mich aus, aber ich finde das Ganze gar nicht lustig. ›Arzt‹ ist doch lediglich eine nettere Bezeichnung für einen Folterknecht!

Außerdem schlafe ich auch nicht gerne auswärts. Es geht doch nichts über das eigene Nachtlager – oder die eigene Couch, wenn ich an die Fernsehabende mit Tom denke! Alles in allem bin ich am liebsten zuhause und deshalb packt mich das kalte Grausen, als Kati kurz nach ihrem Nordseetrip gut gelaunt mit einem riesigen Stapel Prospekte nach Hause kommt.

Oh nein, der alljährliche Wahnsinn, denke ich. Vorbei die Zeit der Western- und Schlafgelage auf der Couch, jetzt geht es wieder ans Eingemachte. Ich hatte es mir gerade auf dem Sofa gemütlich gemacht, doch nun räumt Kati den Couchtisch frei und breitet eine derartige Menge an Prospekten darauf aus, dass man befürchten muss, sie habe heimlich zur Reiseverkehrskauffrau umgeschult und wolle nun in unserem Wohnzimmer ein Reisebüro eröffnen.

»Lass mich da bitte mal durch, Dickerchen!«, sagt Kati und quetscht sich an mir vorbei. Das ist natürlich – genau genommen – eine Frechheit. Mein Körper ist durchtrainiert und wohlgeformt und ich habe eine fantastische Kondition. Niemand außer Kati würde sich jemals erlauben, mich ›Dickerchen‹ zu nennen. Zumal sie selbst – im Vergleich zu Tom und mir – durchaus ein paar Gramm zu viel auf den Hüften hat und ihre Ausdauerleistungen schlicht und ergreifend als ›lausig‹ zu bezeichnen sind. Eine Sportskanone ist Kati auf keinen Fall, aber der liebevollste Mensch, den ich kenne. Deshalb nehme ich diesen seltsamen Spitznamen einfach mal so hin.

Eigentlich heiße ich ja Watson.

Auch ein eher ungewöhnlicher Name, ich weiß. Aber besser als ›Dickerchen‹.

Meine Vorfahren mütterlicherseits stammen aus der Schweiz, die meines Vaters aus Deutschland und Großbritannien. Ich bin somit ein reinrassiger Europäer, allerdings kein reinrassiger Hund. Meine Mutter war ein Appenzeller Sennenhund und hatte eine kurze Affäre mit einem Schnauzer-Labrador-Mischling.

Wenn Kati und Tom gefragt werden, welcher Hunderasse ich denn angehöre, erklären sie meist zur Verwunderung des Fragestellers, dass ich ein ›Appenzeller Schnaubrador‹ sei.

Ich persönlich finde diese Bezeichnung sehr elegant. ›Mischling‹ würde sich dagegen nicht besonders gut anhören. Deshalb ziehe ich die erste Variante vor.

Aber zurück zum aktuellen Geschehen. Ich rücke widerwillig ein wenig zur Seite, lasse Kati jedoch durch meinen beleidigten Blick wissen, was ich von ihrer Abendgestaltung halte. Sie ist allerdings voller Vorfreude auf die Urlaubsplanung und ignoriert meinen filmreifen Auftritt einfach. Welches Elend!

Nachdem auch Tom den Weg zum Sofa gefunden hat, beginnen sie mit der Planung des Reiselandes. Da nun niemand mehr Zeit für mich hat, begebe ich mich gekränkt und vollkommen desillusioniert bezüglich der Dinge, die da kommen werden, ins Schlafzimmer. Ich lege mich in meinen riesigen, wunderbar weichen Korb und döse vor mich hin, wobei ich mit einem Ohr der Diskussion im Wohnzimmer folge.

Spanien, Italien und Kroatien werden nebenan durchgekaut. Da waren wir überall schon, ein Land davon ist heißer als das andere und die Anreise mit dem Auto dauert eine gefühlte Ewigkeit. Soweit reicht meine Erinnerung noch. Griechenland und Portugal? Kati wendet ein, dass man da doch besser hinfliege und das sei meinetwegen ja eher schwierig. Gut so! Urlaub IST schwierig. Wird Zeit, dass die beiden einmal darüber nachdenken, wie schön es zuhause ist. Und außerdem: Wenn Menschen und Hunde hätten fliegen sollen, dann hätte die Evolution ihnen sicher Flügel beschert. Die Schweiz, Österreich oder Beneluxländer? Vielleicht sogar Richtung Osteuropa? Die beiden stehen noch ganz am Anfang ihrer Planung. Das kann jetzt tagelang so weitergehen. Am besten, ich schlafe nochmal eine Runde. Ich kann ja doch nichts dagegen tun, dass wir in den Urlaub fahren.

Dann stutze ich. Moment mal! Kann ich wirklich nichts unternehmen? Vielleicht ja doch?!

Ich bin plötzlich ganz aufgeregt.

Wie wäre es, wenn ich Kati und Tom klarmachen würde, was ich von ihren Plänen halte? Darüber muss ich dringend nachdenken. Aber zuerst ein Nickerchen …

Als ich wieder aufwache, gähne ich herzhaft. Durch das Fenster schimmert das Licht der Straßenlaternen und es dringen nur noch vereinzelt Geräusche herein. Während ich mich strecke, nehme ich ein monotones Brummen aus dem Badezimmer wahr. Die Urlaubsplanung scheint, wie von mir vermutet, noch nicht abgeschlossen zu sein, denn selbst mit den elektrischen Zahnbürsten im Mund diskutieren sie noch. Da die beiden durch die Undeutlichkeit ihrer Artikulation nicht zu verstehen sind, versuche ich mir auf anderem Wege Informationen zu beschaffen. Auf leisen Pfoten schleiche ich unbemerkt in Richtung Wohnzimmer. Es sieht wüst aus auf dem Couchtisch, aber solche Unmengen an Papier kann ich unmöglich fressen. Ich denke nach. Nun, ich muss sie ja nicht unbedingt vertilgen. Wenn ich sie zerkleinere, würde das sicher auch reichen, um die Planung zu erschweren.

Bevor er sich umzieht, geht Tom noch schnell mit mir um den Häuserblock. Dann verschwinden Kati und er im Bett. Zur Tarnung schließe ich mich an. Als die zwei jedoch eingeschlafen sind, kehre ich ins Wohnzimmer zurück und mache mich an die Arbeit. Gegen Morgen sieht es rund um die Couch aus wie in Düsseldorf nach dem Rosenmontagszug, Konfetti und Schnipsel soweit das Auge reicht. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Sicher habe ich damit jegliche weitere Urlaubsplanung unterbunden.

Erschöpft lege ich mich zur wohlverdienten Nachtruhe. Da ich so hart gearbeitet habe, dass jeder Aktenvernichter eines Großraumbüros vor Neid erblasst wäre, falle ich in einen ungewöhnlich tiefen Schlaf und lasse mich auch von Toms Wecker nicht stören. Was mich allerdings aus meinen Träumen reißt, ist der empörte Aufschrei von Kati, als sie den Ort meiner nächtlichen Verwüstungsorgie betritt. Müde, mit halb geschlossenen Augen und hängendem Kopf trotte ich ins Wohnzimmer, wo sie mir eine fünfminütige Standpauke hält. Diese lasse ich im Halbschlaf über mich ergehen. Was bedeutet schon das bisschen Ärger im Vergleich zu den Tierarztbesuchen, den endlosen Stunden in der Transportbox im Kofferraum und den anderen Strapazen eines Urlaubs. Offenbar biete ich einen wirklich jämmerlichen Anblick, denn plötzlich schlägt Katis Wut in Mitleid um. Schlagartig beruhigt sie sich und tätschelt mich. Na, das ging ja schnell. Was für ein Sieg!

Tom zuckt mit den Schultern. »Gut, dass wir uns gestern Abend schon für einen Urlaub in Schweden entschieden haben. Da brauchen wir doch die ganzen Prospekte sowieso nicht mehr. Abgesehen von dem Durcheinander hat Watson also gar nichts Schlimmes angerichtet.« Was? Sie haben schon ein Land ausgesucht? An nur einem Abend? Das heißt, die Arbeit einer ganzen Nacht war für die Katz! Was für ein Jammer.

Nach dieser Hiobsbotschaft hängt mein Kopf noch tiefer und ich werfe mich frustriert auf mein dickes Kuschelkissen, um den versäumten Schlaf nachzuholen. Leider werde ich kurz darauf schon wieder gestört, um noch eine Runde zu drehen, bevor Tom und Kati zur Arbeit gehen.

Als Tom und ich während seiner Mittagspause durch den Stadtpark spazieren, geht es mir schon wieder viel besser und ich überlege angestrengt, welches Mittel ich gegen den unliebsamen Urlaub einsetzen könnte. Sich kurz vor der Reise krank oder tot zu stellen, würde sicher nichts bewirken außer einem weiteren unerwünschten Tierarztbesuch.

Ein Plan muss her, aber schnell!

Schon am nächsten Tag schleppt Kati mich nachmittags zur Veterinärpraxis, um die Tollwutimpfung auffrischen zu lassen. Für einen Schwedenurlaub benötige ich nämlich eine aktuelle Impfung und einen Nachweis darüber. Natürlich hat sie mich nicht vorgewarnt, um jeglichen Widerstand zu unterbinden. Nach anfänglichem Theater beuge ich mich schließlich, als drei Erwachsene halb auf mir liegen, um mich festzuhalten. Zur Strafe schnappe ich mir allerdings am Abend den frisch ausgefüllten Impfpass und lasse ihn unauffällig im vollen Spülbecken versinken, in dem Tom gerade die Lasagne-Form einweicht. Bis das Dokument wieder auftaucht, ist es komplett unleserlich und wellig.

Rache ist süß!

Dummerweise ist mein Tierarzt gut organisiert und stellt Kati mit leichtem Kopfschütteln gegen Gebühr einen neuen Pass aus. Die Daten entnimmt er seinem Computer. Es ist schon ein Kreuz mit der Technik!

Einige Tage verstreichen und die Urlaubsplanung schreitet voran. Inzwischen hat Tom im Internet ›Last Minute‹ ein Ferienhaus an einem See in Südschweden gebucht. An seiner Freude darüber lässt er uns teilhaben, indem er verkündet: »Kein Problem in der Vorsaison!«

Kati holt die Transportbox aus dem Keller, um sie zu reinigen.

Beim Mittagessen am Sonntag erzählt Tom, dass das Auto des Nachbarn von einem Marder heimgesucht wurde, der die Elektrik komplett lahmgelegt habe, als er sich über die Innereien des Fahrzeugs hermachte. Großartig! Kann man diesen Kerl irgendwo anheuern? Wo wohnt das Vieh? Natürlich könnte ich auch selbst versuchen … Aber nein, ich bin viel zu groß, um mich unter das Auto zu quetschen und dort Schaden anzurichten. Ich bräuchte dringend Unterstützung …

Am frühen Nachmittag brechen Kati und Tom mit mir zu einem ausgedehnten Spaziergang in den Stadtpark auf. Auf dem Rückweg treffen wir Frau Meier aus dem Haus schräg gegenüber mit ihrem ›Fiffilein‹, einer Artgenossin in Meerschweinchen-Größe. Nein, das ist gemein, denn Fiffi kann ja weder etwas für ihren Namen noch für ihre Winzigkeit und wir Hunde sollten doch in einem gewissen Rahmen zusammenhalten. Obwohl im Stadtpark Leinenpflicht herrscht, ist der Zwerg mal wieder ohne das lästige Anhängsel unterwegs. Frau Meier hat ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge und verhätschelt die Kleine viel zu sehr. Eigentlich haben wir uns nicht viel zu sagen, denn Fiffi ist ziemlich hochnäsig, doch heute bekomme ich Mitleid mit ihr, als ich höre, dass der Tierarzt sie auf Diät gesetzt hat. Da teilen wir doch zumindest unsere Abneigung ihm gegenüber! Frau Meier erzählt der leicht genervten Kati gerade in allen Einzelheiten von Fiffis kulinarischen Einschränkungen, als ich plötzlich eine Idee habe. Unauffällig erkundige ich mich bei Fiffi, ob sie bereit sei, mir bei einer wichtigen Mission zu helfen, wenn ich sie dafür mit einigen Leckerlis aus unserem Küchenschrank versorgen würde.

Sie ist zunächst etwas misstrauisch, doch dann scheint ihr Appetit über ihre Arroganz zu siegen und ich erkläre meinen Plan. Auf der Straße vor unserem Haus angekommen, lenke ich die drei Zweibeiner ab, indem ich urplötzlich aber sehr dramatisch zu hinken beginne, während Fiffi – immer noch ohne Leine – unter unseren Wagen huscht. Ich muss wirklich alle Register ziehen, um die Aufmerksamkeit einige Minuten zu behalten, besonders die von Frau Meier. Glücklicherweise hat sie reichlich Ratschläge bezüglich meiner Heilung in petto, die sie Kati und Tom unbedingt detailliert erläutern möchte. So bemerkt niemand, dass Fiffi verschwunden ist, bis sie komplett verdreckt wieder auftaucht.

»Ja, Fiffilein, was hast du denn gemacht? Du bist ja ganz schmutzig!« Frau Meiers Tonfall schwankt zwischen Besorgnis und Verärgerung. Sie verschwindet mit der Kleinen, um sie zu baden, während Fiffi mir einen eindringlichen Blick zuwirft, der mich wohl an meinen Teil der Abmachung erinnern soll.

Dass Fiffi sich ihre Leckerlis mehr als verdient hat, erfahre ich am nächsten Morgen, als Kati, nachdem sie sich schon verabschiedet hatte, schimpfend in die Wohnung zurückkehrt, weil das Auto nicht anspringen will. »Nun komme ich viel zu spät«, jammert sie, während Tom ihr Fahrrad aus dem Keller holt und die Reifen im Schnellverfahren vor der Haustür aufpumpt. Als die beiden weg sind, öffne ich den Küchenschrank, klaue gerade so viele Hundesüßigkeiten, dass es nicht auffällt und deponiere sie in meinem Korb.

Beim mittäglichen Rundgang mit Tom, der in der Nähe unserer Wohnung arbeitet, nehme ich das Maul so richtig voll und platziere Fiffis Bezahlung unauffällig hinter dem Pflanzkübel neben ihrer Wohnungstür. Da sie sowieso den halben Tag auf dem Balkon der Erdgeschosswohnung sitzt und die Straße beobachtet, sieht sie mich und nickt mir leicht herablassend zu. Dann beginnt sie zu jaulen, sodass Frau Meier auf den Balkon geschossen kommt und sich erkundigt, ob ihr Fiffilein Gassi gehen müsse. Als wir kurz darauf wieder in unsere Straße zurückkehren, treffen wir die beiden und Fiffi sieht sehr zufrieden aus, während sie aus vollen Backen kaut. Ihr Vorteil ist eindeutig, dass sie so klein ist und Frau Meier es deshalb nicht bemerkt. So, nun habe ich meinen Teil der Abmachung auch erfüllt und freue mich auf ein vorläufiges autofreies Leben - ohne Urlaub. Leider fällt unser Rundgang heute etwas kürzer aus als sonst, da Tom noch mit der Werkstatt telefonieren will. Und noch viel bedauerlicher: Sie bieten ihm schon für den kommenden Tag einen Termin an. Haben die denn keine anderen Fahrzeuge zu reparieren? Sonst schimpfen Kati und Tom doch immer, dass man dort mindestens eine Woche im Voraus einen Termin vereinbaren muss. Mein schöner Plan! Man kann sich wirklich auf nichts mehr verlassen in dieser Welt.

So kommt es, dass die Fiffi-Verschwörung uns zwar drei Tage als Fußgänger und ein Loch in der Urlaubskasse beschert, wie Kati seufzend anmerkt, aber der Fahrt nach Schweden in fünf Tagen trotzdem nichts mehr im Wege steht, wie Tom frohlockt.

Obwohl ich mir die ganze Woche lang den Kopf zermartere, fällt mir nichts Kreatives mehr ein, das das Unheil noch abwenden könnte, und so muss ich am Samstag nach einem frühmorgendlichen Rundgang in der Transportbox Platz nehmen. Um meinem Protest Ausdruck zu verleihen, mache ich es Tom und Kati möglichst schwer, mich in diesen Tierknast zu bugsieren, aber am Ende kapituliere ich und füge mich meinem Schicksal.

Was für ein Hundeleben!

Im Gegensatz zu mir sind die beiden äußerst guter Laune und singen laut mit, als ein Popsong im Radio ertönt. Resigniert liege ich in meiner rollenden Gefängniszelle und lausche zwangsläufig dem Laien-Duett auf den luxuriösen Sitzen in der ersten Klasse.

Zunächst entwickelt sich die Fahrt wie befürchtet oder anders formuliert: Wie bei den vergangenen Reisen in den Süden. Eine volle Autobahn, nach zwei Stunden eine kurze Pause auf einem Rasthof, dessen Gerüche für eine feine Hundenase ein Affront sind und selbstverständlich ein total verstopfter Elbtunnel bei Hamburg. Ich hasse es, immer Recht zu behalten!

Weitere drei Stunden und zwei kurze Pausen später jedoch weht Salzwassergeruch durch das leicht geöffnete Fenster und wir überqueren die Fehmarnsundbrücke.

Auf der Insel machen wir am Mittag eine längere Pause am Strand und ich darf kurz in die kühle Ostsee springen. Die gleichmäßig heranrollenden Wellen spülen Strandgut und schwabbelige, durchsichtige Wasserbewohner an. Da ich diese Gattung von Lebewesen noch nicht kenne, stupse ich ein Exemplar vorsichtig mit der Schnauze an. Völlig unbeeindruckt von meinem Annäherungsversuch, treibt es im seichten Wasser. Da es selbst auf eine Berührung mit der Pfote nicht reagiert, drehe ich mich um und widme mich einem Stück Treibholz. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, alles an diesem Urlaub grässlich zu finden, muss ich doch zugeben, dass diese Pause recht angenehm ist.

Danach geht es auf die Fähre. Für mich ist das die erste persönliche Erfahrung mit einem Schiff, und da wir das Auto verlassen müssen, lasse ich mir an Deck eine angenehme Brise um die Schnauze wehen, während Tom fotografiert und Kati sich in die Schlange vor der Damentoilette einreiht. Tom vermutet grinsend, dass wir sie vorerst nicht wiedersehen würden. Die Fahrt über die Ostsee dauert nur vierzig Minuten, dann legt die Fähre in Dänemark an.

Auf die Transportbox habe ich verständlicherweise immer noch keine Lust, aber Kati erklärt mir, dass die Fahrtzeit bis zur nächsten Fähre kurz hinter der Hauptstadt Kopenhagen nur zwei Stunden betrage und sie behält recht.

In Dänemark scheint es keine Staus zu geben, und so erreichen wir ohne Unterbrechung das Schiff nach Schweden. Die zweite Überfahrt dauert sogar nur zwanzig Minuten. Das ist schade, denn an die Aufenthalte auf Deck könnte ich mich glatt gewöhnen. Doch bevor ich ernsthaft eine Karriere als Schiffshund in Erwägung ziehen kann, werde ich mit Hundekeksen bestochen, um wieder in der Transportbox zu verschwinden. Dann betreten – oder besser rollen – wir auf schwedischen Boden. Da Kati und Tom zwar auf die Schiffstoiletten gegangen sind, ich mich dort aber nicht erleichtern durfte, machen wir direkt hinter Helsingborg noch einmal eine Pause. Diesmal tobe ich mich auf einem Parkplatz am Waldrand aus. Der Verkehr hält sich sehr in Grenzen und ich beschließe, dass schwedische Parkplätze aus Hundesicht deutschen Rasthöfen auf jeden Fall vorzuziehen sind. Nicht zuletzt, da die Duftnoten der heimischen Tier- und Pflanzenwelt kaum durch den Gestank von Abgasen oder gammeligen Speiseresten überdeckt werden.

Am Abend erreichen wir schließlich unser kleines rotes Ferienhaus an einem der vielen Seen Schwedens. Während Tom das Auto auslädt, erkunde ich mit Kati die direkte Umgebung und gleiche meinen transportbedingten Bewegungsmangel aus.

Sie seufzt. »Schön ist es hier«, und ich muss ihr Recht geben. Allerdings bin ich irritiert, dass es noch gar nicht dunkel ist, denn der Tag war wirklich lang und meine innere Uhr lässt mich wissen, dass eigentlich Schlafenszeit sein müsste. Aber nach der langen Autofahrt haben wir alle drei keine Lust ins Haus oder gar ins Bett zu gehen.

Das ändert sich allerdings schlagartig, als eine Armee von Stechmücken feststellt, dass das Ferienhaus ab heute von deutschen Touristen mit Hund bewohnt wird. Wir flüchten – zwei von uns fluchend, einer jaulend – ins Haus und schlagen die Tür hinter uns zu. Ein paar Plagegeister haben es mit hineingeschafft, aber das Mengenverhältnis Menschen und Hund zu Mücken ist nun wesentlich ausgeglichener als draußen. Nachdem Tom und Kati festgestellt haben, dass eine Fliegenklatsche ein sinnvolles Reiseutensil gewesen wäre und in Ermangelung einer solchen eine wilde Handtuchjagd beginnen, verbessert sich die Quote noch einmal zu unseren Gunsten.

Nach einer einigermaßen ruhigen Nacht verbringen wir einen guten ersten Tag mit Erkundungsrundgängen um den See und durch den Wald. Zwischendurch plantschen wir im kühlen Nass hinter unserem Ferienhaus und nehmen unsere Mahlzeiten abwechselnd auf einer Picknickdecke am Wasser und auf der Terrasse ein. Ich stelle fest, dass nicht nur die Anreise in den Norden angenehmer war als die in den Süden, sondern dass es hier, obwohl es viel länger hell ist und die Sonne nie unterzugehen scheint, deutlich weniger heiß ist, was ich wegen meines schwarzen Fells durchaus zu schätzen weiß. Außerdem lerne ich, dass die wichtigste Überlebensstrategie zu sein scheint, abends den richtigen Moment abzupassen, um in Schallgeschwindigkeit im Haus zu verschwinden. Nämlich genau dann, wenn die blutrünstigen schwedischen Mini-Vampire zu Millionen beschließen, es sei nun Zeit für ein ausgiebiges Abendessen.

So vergehen die Tage wie im Flug und meine ablehnende Haltung gegenüber Urlauben, an denen auch ich teilnehmen muss, beginnt systematisch zu bröckeln. Die endlose Natur, die vielen Badeseen, die frische Luft, der federnde Waldboden und das gute Wetter untergraben meine grundsätzliche Abneigung gegen die Teilnahme an Reisen jeder Art.

Am drittletzten Ferientag muss ich mir dann schließlich eingestehen, dass eine Abkehr von meiner bisherigen Lebensphilosophie sinnvoll sein könnte. Nach einem herrlichen Spaziergang durch den Wald döse ich faul auf der Veranda vor dem Haus in der Mittagssonne, als ich plötzlich und völlig unerwartet eine äußerst attraktive Hundedame erspähe. Sie trabt elegant neben einer radelnden jungen Frau her und schaut dabei zu mir herüber. Sofort erhebe ich mich, straffe meine Muskulatur und nehme eine athletische Haltung ein. Dann beobachte ich, wie die beiden von der Straße abbiegen, um eine Pause an unserem See zu machen. Das gefällt mir. Eine wirklich gute Wahl und das, obwohl es hier eine unendliche Anzahl an Gewässern zu geben scheint. Sofort setze ich mich in Bewegung und folge den beiden.

Ich glaube, ich werde mich heute dem schwedisch-deutschen Kulturaustausch widmen.

Schließlich bin ich ein bekennender Europäer – und neuerdings sogar ein recht reiselustiger …

2. Heimfahrt? Bitte nicht!

Die letzten zwei Tage in Schweden vergehen wie im Flug. Kati und Tom haben sich mit Agneta, der blonden Schwedin mit dem Fahrrad, angefreundet.

Das habe ich natürlich sehr befürwortet, denn so kann ich noch einige herrliche Stunden mit meiner neuen Flamme verbringen. Ihr Name lautet Mathilda und sie ist eine schlanke, braunhaarige Whippet-Dame mit hübschen zierlichen Ohren. Insgesamt ist die junge Windhündin etwas kleiner als ich und ebenfalls mit englischen Vorfahren gesegnet. So haben wir eine Gemeinsamkeit und sind darüber hinaus ein wirklich schönes Paar. Leider achtet Agneta auf Mathilda wie ein Schießhund, sodass wir es nicht schaffen, uns unbemerkt ins Gebüsch zu verdrücken.

»Damit Mathilda kein Andenken von Watson hierbehält«, erklärt Agneta meinen Reisebegleitern entschuldigend. Und Kati und Tom versichern ihr lachend, dass sie das gut verstehen können. Ich finde diese ununterbrochene Überwachung allerdings sehr hinderlich und wenig zielführend. Etwas mehr Privatsphäre wäre wirklich wünschenswert. Doch Agneta scheint sich in Mathildas Unschuld verbissen zu haben wie ein Pitbull in den Hosenboden eines verhassten Briefträgers und lässt uns deshalb keine hundertstel Sekunde aus den Augen. Schließlich füge ich mich in das Unvermeidliche und plantsche lediglich mit den drei Zweibeinern und meiner Angebeteten im See oder genieße die Spaziergänge zu fünft durch den Wald.

Trotz der lästigen Dauerbespitzelung bleibt es der beste Urlaub meines bisherigen Lebens.

Am Abreisetag verstauen Kati und Tom alle unsere Habseligkeiten im Auto und machen eine letzte Kontrollrunde durch das Ferienhaus.

»Nicht, dass wir hier irgendetwas vergessen«, murmelt Kati.

»Dann hätten wir wenigstens einen Grund, bald wiederzukommen.«

»Da hast du natürlich Recht.«

Sind die zwei verrückt geworden? Bei der weiten Anreise macht man über so etwas doch keine Witze. Glauben die beiden vielleicht, dass ich mein restliches Leben eingepfercht in einer Transportbox im Auto verbringen möchte?

Ich überlege spontan, ob wir den Urlaub nicht lieber noch ein paar Tage verlängern sollten, anstatt ein Dauer-Shuttle zwischen Deutschland und Schweden einzurichten. Die Idee gefällt mir ausnehmend gut und so nutze ich einen günstigen Augenblick, um den Autoschlüssel in meinen Besitz zu bringen. Der Anhänger guckt zur Hälfte aus Toms Hosentasche heraus und so knuffe ich ihn freundlich in die Seite und schnappe mir dabei das sichtbare Ende.

Tom krault mich kurz zwischen den Ohren und drückt mich dann mit der Hand zur Seite. »Jetzt nicht, Watson, vielleicht toben wir gleich noch ein bisschen, aber erst muss ich packen.«

Ja, arbeite du nur. Ich habe schon das, was ich wollte.

Obwohl ich kurz in Versuchung bin, Toms Schlüsselbund im See zu versenken, unterdrücke ich diesen Impuls und lasse ihn stattdessen auf den Steg fallen.

Dann mache ich es mir darauf gemütlich und schließe die Augen für ein kurzes Vormittags-Nickerchen.

Tom sieht zu mir herüber. »So ist es brav, Watson. Du bist doch ein feiner Kerl!« Wenn der wüsste …

Als Kati von der Toilette kommt und Tom sich überzeugt hat, dass ganz sicher nichts mehr aus unserem Besitz im roten Häuschen liegt, fangen sie an zu suchen.

»Hast du den Schlüssel?«, fragt Tom.

»Wieso ich?« Katis Stimme klingt gereizt. »Jedes Mal, wenn du etwas verlegt hast, fragst du mich, wo es sein könnte. Sehe ich aus wie eine Hellseherin?«

»Nein. Und selbst wenn du eine wärst, dann hätte ich deine Kristallkugel bereits im Auto verstaut.«

»Du hast das Auto aufgeschlossen, also musst du ihn vorhin gehabt haben. Überleg doch mal, wo du ihn zuletzt gesehen hast«. An ihrem Tonfall höre ich, dass Kati versucht einzulenken.

Tom klopft sich prüfend ab. »Ich dachte, ich hätte ihn in der Hosentasche. Aber vielleicht habe ich ihn doch auf die kleine Kommode neben der Tür gelegt.« Er wirkt irritiert.

Gerade in diesem Moment kommen meine Urlaubsbekanntschaft und Agneta vorbei, um sich zu verabschieden. Nun bin ich in der Zwickmühle. Soll ich aufspringen und Mathilda begrüßen, vielleicht sogar die letzte Chance für ein schnelles Techtelmechtel hinter dem Haus nutzen oder lieber auf meinem Diebesgut liegen bleiben? Wie ärgerlich, ich hätte das blöde Ding doch besser ins Wasser fallen lassen sollen, dann hätten mir jetzt alle Möglichkeiten offen gestanden.

Mathilda zerrt an ihrer Leine, doch Agneta zieht sie in die andere Richtung. Meine Angebetete wirft mir einen fragenden Blick zu, weil ich wie festgenagelt auf dem Steg liegen bleibe.

Du meine Güte! Sie muss mich ja für einen ungezogenen Straßenköter halten, der sich in Anwesenheit einer Dame nicht zu benehmen weiß!

Als Kati Agneta mit leichter Panik in der Stimme vom verlorenen Schlüssel berichtet, ist der Moment gekommen, eben diesen zu schnappen und diskret unter einem Busch neben der Haustür verschwinden zu lassen. Danach begebe ich mich schnurstracks schwanzwedelnd zu Mathilda, um das Versäumte nachzuholen, und begrüße sie ausgiebig. Sie lässt mich für den Bruchteil einer Sekunde zappeln, doch schnell scheint ihr Argwohn über mein seltsames Verhalten verflogen und wir beschnuppern uns freudig.

Entgegen meiner Hoffnung ist Agneta durch die Schüsselsuche nicht so weit abgelenkt, dass es uns möglich wäre, unsere Beziehung endlich auf eine andere Ebene zu bringen oder sollte ich besser sagen: Sie weiter zu vertiefen. Doch im Gegenteil, denn sie behält Mathilda an der kurzen Leine und mich fest im Blick. Nebenbei gibt sie Tom und Kati gute Ratschläge, wo sie den Schlüsselbund hingelegt haben könnten. Die zwei beginnen damit, den gerade fertig gepackten Kofferraum rund um die Transportbox sowie den Rücksitz wieder leer zu räumen. Nach fünf Minuten sieht es neben unserem Pkw aus wie nach einer großangelegten Drogenrazzia.

Kati ist den Tränen nahe und jammert, dass all das Packen völlig umsonst gewesen sei.

Tom flucht, weil der Zeitplan für die Rückreise komplett durcheinandergerät und er so verschwitzt ist, dass er am liebsten noch einmal unter die Dusche oder in den See springen würde.

Prima Idee! Mir würde eine kleine Abkühlung sicher auch guttun. Und ein romantisches Bad mit meiner Liebsten sowieso. Deshalb stupse ich Tom zustimmend in die Seite, doch dieser wehrt mich genervt ab, stolpert über eine Unebenheit und macht eine unfreiwillige Bauchlandung. Während er tief Luft holt, um sich lautstark bei mir zu beschweren, fällt sein Blick unter das Gebüsch neben dem Haus und auf den dort nachlässig versteckten Schlüsselbund. Das war wohl ein Eigentor!

Da Tom offenbar sofort klar ist, dass weder er noch Kati den Autoschlüssel dort hingelegt haben, wirft er mir einen äußerst ärgerlichen Blick zu und verfrachtet mich umgehend in die rollende Gefängniszelle. Da geht sie hin, die letzte Chance auf ein Stelldichein mit Mathilda oder ein kühles Bad im See …

Agneta betrachtet mich kopfschüttelnd. Kati wirkt verstimmt, doch dann atmet sie einmal tief durch und liefert ihrer neuen Freundin eine Erklärung.

»Watson hasst lange Autofahrten, wahrscheinlich wollte er sich davor drücken.«

Seufzend beginnt sie, alles im Schnellverfahren wieder einzupacken. Agneta leint Mathilda an einen Baum an und hilft ihr dabei. Tom übernimmt die fertig gepackten Taschen und stapelt sie möglichst platzsparend in unserem Reisegefährt. Danach verabschieden sich die drei herzlich voneinander und versichern sich gegenseitig, in Kontakt bleiben zu wollen.

Mathilda zieht an ihrer Leine und winselt, bevor Tom schwungvoll die Kofferraumklappe schließt und mich dabei mit Missachtung straft. Welch unwürdiges Ende eines besonderen Urlaubs. Und das Schlimmste: Es ist alles nur meine Schuld! Hätte ich den Schlüssel beizeiten im See entsorgt, hätten sie ihn niemals gefunden. Man sollte doch immer seinen Instinkten folgen. Die erste Idee ist meist die Beste.

Während der Rückfahrt durch Südschweden gebe ich mich ausschließlich düsteren Gedanken hin, doch auf der Fähre nach Dänemark geht es mir schon wieder besser. Ich beschließe, den Griesgram Watson in der Versenkung verschwinden zu lassen und durch den begeisterten Seefahrer zu ersetzen.

Der Tag ist viel zu schön, um dauerhaft Trübsal zu blasen. Natürlich ist Mathilda etwas Besonderes, aber auch andere Hündinnen haben schöne Töchter. Der laue Sommerwind weht mir um die Nase und die Sonne scheint warm vom Himmel herunter.

Inzwischen sind Kati und Tom wieder guter Dinge und albern auf dem Schiffsdeck mit mir herum. Nebenbei schießt Tom noch ein paar Fotos von der immer weiter entschwindenden Küste Schwedens. Ein paar Möwen fliegen kreischend über uns hinweg. Auf dem sonnigen Oberdeck lege ich mich herausfordernd auf den Rücken und lasse mich ausgiebig von Kati am Bauch kraulen. Der chaotische Morgen scheint vergessen. Die zweistündige Durchquerung Dänemarks und die längere Fährüberfahrt nach Puttgarden verlaufen entspannt.

Auf dem Schiff gibt es viele interessante Gerüche zu entdecken. Das Bordrestaurant bereitet wohl gerade Essen für die zweibeinigen Passagiere zu, denn ein verführerischer Duft nach gebratenem Fleisch liegt in der Luft. Ich hebe die Nase und überlege, ob nicht der richtige Zeitpunkt für einen kleinen Imbiss gekommen sein könnte. Doch gerade als ich mich in Bewegung setze, um diesem verheißungsvollen Ort näher zu kommen, werde ich von einer Touristengruppe aufgehalten. Die von ihnen abgesonderten menschlichen Ausdünstungen und chemischen Zumutungen in Form von Aftershaves und Parfüm überdecken umgehend die kulinarischen Freuden der Kombüse und lassen mein aufkeimendes Hungergefühl versiegen. Wie schon so oft wird mir klar, was für ein Glück ich mit meinen Mitbewohnern habe, die auf solch intensive Botenstoffe zur Zurschaustellung ihrer Paarungsbereitschaft verzichten. Schließlich sind viele dieser Wässerchen eine Zumutung für meinesgleichen.

Um nicht den Anschluss zu verlieren, trotte ich ergeben hinter den beiden her, die einen ruhigen Platz weit entfernt von Toiletten und Kombüse suchen.

Zurück auf deutschem Boden erwartet uns recht schnell der erste Stau. Wie könnte es auch anders sein! Wir umfahren das Hindernis über Land und halten bei der nächsten Gelegenheit, um einmal kurz für kleine Hunde zu gehen und einen Fahrerwechsel vorzunehmen. Dann drückt Tom Kati den Autoatlas in die Hand und setzt sich hinter das Steuer. Einen größeren Fehler hätte er nicht machen können. Innerhalb kürzester Zeit befinden sich die zwei in einem handfesten Streit, denn Tom erwartet bei jeder Kreuzung eine zügige Antwort auf die Frage, wohin die Reise gehen solle.

Kati jedoch dreht das Buch auf ihrem Schoß hin und her und antwortet nicht.

»Was machst du denn?« Toms Stimme ist unüberhörbar gereizt.

Ich betrachte durch das Heckfenster die sich hinter uns bildende Autoschlange.

»Die Karte ist verkehrt herum.«

Ich bezweifele, dass ihn diese Antwort glücklich macht.

»Wie bitte?«

Ich habe es geahnt!

»Wir wollen doch nach Süden. Und im Atlas ist Süden unten und Norden oben. Wenn ich die Karte halte, ist also alles seitenverkehrt.«

Tom verzweifelt. »Ja und wo ist das Problem?«

»Wenn wir auf der Karte nach links abbiegen müssen, ist es in Wirklichkeit rechts und umgekehrt. Aber wenn ich den Atlas auf dem Kopf lese, ist es wiederum richtig.«

»Wohin?!« Tom brüllt nun fast.

»Nach rechts ...« Katis Stimme klingt verunsichert. »Glaube ich jedenfalls.«

»So kommen wir nie nach Hause!«

Na, das sind ja üble Aussichten.

»Zum nächsten Geburtstag wünsche ich mir ein Navi.«

Diesen Vorschlag meiner Reisebegleiterin begrüße ich ausdrücklich.

»Jetzt konzentrier dich bitte auf die Karte. Die hinter uns müssen mich ja für einen kompletten Idioten halten, wenn ich an jeder Ecke erst links blinke, dann rechts und schließlich doch geradeaus fahre.«

»Wir sind eben ortsunkundig. Das sieht man doch an unserem Nummernschild. Jeder anständige Autofahrer nimmt Rücksicht auf Auswärtige.«

»Ja, klar. Die Frage ist nur wie lange?!«

Die Antwort erhalten wir an der nächsten Kreuzung, als einigen eiligen Pkw-Führern hinter uns der Geduldsfaden reißt und ein Hupkonzert beginnt.