Wedding Girls - Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. - 5-teilige Serie - Amy Andrews - E-Book

Wedding Girls - Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. - 5-teilige Serie E-Book

Amy Andrews

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Beschreibung

Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. Und eine unvergessliche Nacht!

GLAUB AN MICH UND MEINE LIEBE
Amber glaubt an die Liebe. Bis heute gehört ihr Herz Parker Robinson, dem Helden ihrer Kindertage. Und auf einmal ist er wieder da: sexy und aufregend wie eh und je, aber auch genauso bindungslos und zynisch

SAG DOCH EINFACH NOCH MAL JA!
"Überrascht, mich zu sehen?" Gerade noch hat Reese sich verzückt in ihrem perlenbestickten Brautkleid vorm Spiegel gedreht, da taucht plötzlich ihr Exmann Mason auf. Reese ist fassungslos. Warum ist er hier? Was will er nach zehn Jahren von ihr? Und wieso ausgerechnet jetzt, so kurz vor ihrer Hochzeit? Nicht genug, dass Mason noch immer verboten gut aussieht, mit ihm sind auch sofort all die Gefühle von damals wieder da: Wut, Kummer - und diese verzehrende Leidenschaft, stärker denn je. Und auf einmal steht Reese vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens.

HOLST DU MIR DIE STERNE VOM HIMMEL?
Heiraten? Nichts für Cassie! Sie hat sich ganz ihrer Karriere als Astronomin verschrieben und ist für keinerlei romantische Träumereien zu haben. Doch dann wird sie auf einer Party von Samuel Tucker zum Tanz aufgefordert - und ihr Leben steht Kopf! Eigentlich ist ein sexy Footballer wie er ja gar nicht ihr Typ! Aber als sie eng an seinen muskulösen Körper geschmiegt übers Parkett gleitet, den Kopf an seine breite Schulter gelehnt, fühlt sie sich plötzlich wie berauscht. Und zum allerersten Mal im Leben verzehrt sie sich danach, dass ein Mann ihr die Sterne vom Himmel holt.

(K)EIN MANN ZUM HEIRATEN?
Es war die wildeste Nacht ihres Lebens! Gina hat die aufregenden Stunden mit dem sexy Geschäftsmann Carter Price nie vergessen. Als sie ihn jetzt Jahre später überraschend wiedertrifft, knistert es erneut heiß. Und obwohl Gina sonst vorsichtig ist, nimmt sie spontan die Einladung in Carters Hotelsuite an. Denn was kann besser dieses sinnliche Feuer löschen, das noch immer in ihr brennt, als Sex? Schließlich weiß sie diesmal, auf wen sie sich einlässt! Hauptsache, sie verwechselt Leidenschaft kein zweites Mal mit Liebe. Denn dafür ist Carter nicht der Richtige, oder?

EINMAL LIEBE UND ZURÜCK?
Marnie sucht ein Abenteuer - prickelnd und gewagt! Etwas, das ihr der seriöse New Yorker Anwalt Dylan Brookes garantiert nicht bieten kann. Als sie ihn jetzt bei einer Hochzeitsfeier trifft, behauptet er doch tatsächlich: "Leidenschaft wird oft überbewertet." Nur warum küsst er sie schon kurz darauf so wild und verlangend, dass ihr der Atem stockt? Ehe Marnie sich versieht, steckt sie mitten in einer ungeahnt heißen Affäre. Doch kaum will sie mehr als nur unverbindlichen Sex, macht ausgerechnet der sonst so verbindliche Dylan plötzlich einen Rückzieher …

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Aimee Carson, Amy Andrews, Heidi Rice, Kimberly Lang

Wedding Girls - Vier Freundinnen. Drei Hochzeiten. Zwei Geheimnisse. - 5-teilige Serie

Aimee Carson

Glaub an mich und meine Liebe

IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2013 by Aimee Carson Originaltitel: „The Wedding Dress Diaries“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN HEAT Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 377 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: SAS

Fotos: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733706272

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“, fragte die Brünette mit der beeindruckenden Oberweite den Mann in dem schicken Restaurant in Manhattan.

Amber hätte sich fast den Hals verrenkt, als sie den Typen am anderen Ende des Tresens erblickte.

Parker Robinson.

Blinzelnd verarbeitete Amber den Anblick erst einmal, der Geräuschpegel von Reeses Verlobungsparty blendete sich plötzlich vollständig aus.

Als Parker nicht reagierte, wiederholte die Barfrau ihre Frage. „Kann ich Ihnen vielleicht einen Drink bringen?“

Endlich hatte sie Parkers Aufmerksamkeit geweckt, und jäh erschien ein sexy Lächeln auf seinen Lippen, so schnell, wie ein Revolverheld seinen Colt aus dem Halter zog. Vermutlich war er sich dessen nicht einmal bewusst, es war mehr ein Reflex, so wie andere Leute „Ja, bitte“ oder „Nein, danke“ sagten oder eine Entschuldigung murmelten, wenn sie jemanden unabsichtlich abrempelten.

„Nun … sicher können Sie das“, antwortete er.

Die Brünette warf sich in die Brust, offensichtlich sehr zufrieden über das Lächeln, und Amber musste sich zusammennehmen, um nicht die Augen zu verdrehen. Reese hatte also nicht übertrieben. Seit der Pubertät schien sich nicht viel an der Einstellung ihres Halbbruders gegenüber Frauen geändert zu haben. Dieses Grinsen hatte sie oft genug gesehen, und sie wusste, was es mit dem weiblichen Geschlecht anstellte. Die Frauen mochten Parker, und er wusste es.

Ein maßloses Selbstbewusstsein, das bei Parker Robinson aber irgendwie eher süß wirkte als wütend machte.

Sein in der Teenagerzeit sonnengebleichtes Haar war nachgedunkelt und jetzt eher hellbraun, mit einigen goldenen Strähnen wie Souvenirs aus der Kindheit. Noch immer stand es ihm wirr in alle Richtungen ab, ein Lausbuben-Look, der bestens zu ihm passte. Es reizte, an den Strähnen zu zupfen, und vor Jahren hatte Amber genau das tun wollen … ihn beim Schopf packen und für einen Kuss an sich ziehen. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, er würde ihr das Küssen beibringen! Nun, sein Haar hatte sich vielleicht nicht verändert, sein Gesicht aber schon. Die Jahre hatten markante Züge herausgearbeitet, Wangenknochen und Kinn waren jetzt schärfer, männlicher. Er vereinte Jugend und Männlichkeit mit einer beneidenswerten Mühelosigkeit, und die Kombination des frechen Bengels im Körper des Mannes war unwiderstehlich.

Ihre Blicke trafen sich über den Tresen hinweg, und Ambers Magen ging auf Talfahrt. An den leuchtend grünen Augen hatte die Zeit nichts geändert. Mit hämmerndem Puls wurde ihr zu spät bewusst, dass sie ihn anstarrte und er sie dabei ertappt hatte.

„Sind Sie eine Freundin von Reese?“, fragte er.

Amber war stolz auf sich, dass sie nicht laut herausprustete. Schon erstaunlich. Von sieben bis zwölf hatte sie jeden Sommer mit diesem Typen in den Hamptons verbracht, hatte von acht bis fünfzehn für ihn geschwärmt, und er … er erinnerte sich nicht einmal an sie. Allerdings musste sie zu seiner Verteidigung wohl anführen, dass sie sich zum letzten Mal gesehen hatten, als sie in der sechsten Klasse gewesen war.

In Jeans und einer Lederjacke von der Farbe zerlassener Butter, nahm Parker sein Glas auf und kam zu ihr herüber, mit einer geschmeidigen Lässigkeit, von der die meisten nur träumen konnten. Bei Parker, dem Teenager, war es auffallend gewesen.

Bei Parker, dem Mann, war es atemberaubend.

Er setzte sich auf den Barhocker neben ihr und stützte den Ellbogen auf den Tresen. Räusperte sich und sah mit leicht gebeugtem Kopf von unten in ihr Gesicht – vermutlich ein völlig entsetztes Gesicht –, so als frage er sich, ob sie vielleicht etwas beschränkt war, da sie überhaupt nicht reagierte.

Nun, Parker so nah neben sich sitzen zu haben, hatte ihren Verstand auch ausgeschaltet.

„Sind Sie eine Freundin von Reese und Dylan?“, wiederholte er seine Frage.

Seit fünfzehn Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und jetzt saß er nah genug neben ihr, dass sie ihn berühren könnte. Amber nahm das Glas auf und nippte an ihrem Wein. Sie konnte nur hoffen, dass sie gelassener aussah, als sie sich fühlte, und nickte knapp. „Ich kenne Reese schon eine halbe Ewigkeit.“ Dich auch. „Warum sollte ich sonst auf ihrer Verlobungsparty sein, wenn ich sie nicht kenne?“

„Sie könnten sich ja auch eingeschlichen haben, um sich gratis an Getränken und Büfett gütlich zu halten.“

Irgendwie war es surreal, dieses Gespräch mit ihrem Jungmädchenschwarm zu führen, der sie nicht erkannte. Und sie war froh darüber.

„Ist das der Grund für Ihre Anwesenheit?“, fragte sie lächelnd. „Das kostenlose Büfett?“

Parker schnaubte bitter. „Wäre es doch nur so.“

Er wollte nicht hier sein, das war offensichtlich und passte zu dem, was Reese Amber erzählt hatte. Der Mann wollte nichts mit der Michaels-Familie zu tun haben. Sie konnte es ihm auch nicht verübeln. Aber seit Beginn der Verlobungsvorbereitungen war seine Halbschwester fest entschlossen, ihn wieder zurückzuholen, zwar nicht unbedingt in den Schoß der Familie, aber zumindest in Reichweite.

Jetzt legte er den Kopf schief, studierte sie mit fast kindlicher Neugier. „Kennen wir uns?“, fragte er, und Amber blieb das Herz stehen. „Ich bin mir fast sicher, dass wir uns schon mal getroffen haben.“

Nachdenklich schürzte er die Lippen. Amber wünschte, sie hätte keine so genaue Erinnerung an seinen Mund. Das mussten die umwerfendsten Lippen der Welt sein. Voll. Sinnlich. Wie geschaffen zum Küssen. Ziemlich ausgebufft, dass einer Zwölfjährigen so etwas aufgefallen war, oder?

Sie kostete es aus, Parker gegenüber endlich einmal im Vorteil zu sein, und lächelte ihn an. „Möglich.“

„Ein Name wäre sicher hilfreich.“

Als Erwiderung ließ Amber nur ein nachdenkliches „Hmm“ hören, als müsse sie ernsthaft überlegen, ob sie ihm ihren Namen sagen wollte. Und plötzlich wurde ihr klar, dass das erste Treffen mit Parker, vor dem ihr so gegraust hatte, eigentlich richtig Spaß machte. „Das wäre doch viel zu einfach.“

Parkers Lächeln jagte ihren Puls in die Höhe. „Also gut.“ Seine Augen blitzten, als er sich für ein längeres Gespräch bequemer hinsetzte. „Ich habe den Köder geschluckt.“

Gott, sie wünschte, es wäre so.

„Kenne ich Sie über die Arbeit?“

Amber musste sich das Grinsen verkneifen. „Vielleicht.“ Das Lachen war dennoch in ihrer Stimme zu hören. „Zuerst habe ich als Schneiderin gearbeitet, aber inzwischen führe ich meinen eigenen Brautmodenladen.“

Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Seine Grimasse brachte sie zum Lachen. Parker Robinson war offensichtlich beleidigt über die Unterstellung, er könnte etwas mit Brautmoden zu tun haben. „Also, auf jeden Fall nicht durch Ihre Arbeit. Vielleicht durch meine?“

Sie stellte sich ahnungslos und fragte: „Was tun Sie denn?“

Er kniff die Augen zusammen. „Ich gehöre zur Mordkommission beim 57. Revier. Haben Sie vielleicht schon mal eine Zeugenaussage bei mir gemacht?“

„Vielleicht wurde ich ja in einem Mordfall verdächtigt.“ Sie hielt ihre Stimme so neutral wie möglich.

Er verdrehte die Augen, brummte „Ja, klar“, und plötzlich wurde Amber sentimental. Sie erinnerte sich noch aus ihrer Kindheit an diesen Gesichtsausdruck, und ein kleiner Teil von ihr freute sich, dass Parker sich scheinbar nicht zu sehr verändert hatte.

„Sehe ich zu unschuldig aus?“, fragte sie.

„Nein“, antwortete er unverblümt. „Aber ich erinnere mich an alle meine Spezis.“ Seine Züge wurden hart, er lachte trocken. „Und doch, irgendwie sehen Sie dafür zu sanftmütig aus. Trotzdem …“ Er nahm einen Schluck von seinem Drink, setzte das Glas dann wieder vorsichtig ab, und sein Tonfall wurde distanziert. „Glauben Sie mir, niemand ist so unschuldig, wie er aussieht.“

Der wache grüne Blick lag wieder auf ihr. Aufmerksam. Interessiert. „Haben wir vielleicht die gleiche Schule besucht?“

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

„Oder sind wir uns auf einer Party begegnet?“

Sie genoss es, dass seine Neugier noch immer nicht befriedigt war, und nippte an ihrem Wein. „Raten Sie ruhig weiter.“

Nachdenklich verengte er die Augen. „Ich bin mir sicher, dass wir nicht miteinander geschlafen haben“, redete er weiter und schickte ihren Magen damit bis in die Kniekehlen.

Nur in ihren Teenagerträumen.

„Sie sind attraktiv, aber definitiv nicht mein Typ.“

„Für welchen Typ halten Sie mich denn?“

Er ließ den Blick langsam und gründlich über sie wandern, entfachte damit Hitze an Stellen, die normalerweise … nun, an denen normalerweise keine Hitze zu spüren war. Ihr Kleid war schlicht-elegant, auf jeden Fall nichts Verführerisches oder zu Freizügiges. Nichts, das signalisieren würde „Ich bin zu haben“.

Ironisch hob er eine Augenbraue. „Sie haben einen Brautmodenladen, demnach glauben Sie an die Institution Ehe.“

„Sie etwa nicht?“ Sie betonte es als Frage, obwohl sie die Antwort kannte.

Und wie erwartet kam ein bitteres Schnauben über die wunderschönen Lippen. „Nein, ganz bestimmt nicht.“

Das konnte sie ihm nicht verübeln. Denn sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als sie ihn unten bei den Docks gefunden hatte, am Boden zerstört von den Worten seiner Mutter.

Du warst ein Fehler.

Amber war mit der Gewissheit aufgewachsen, dass ihre Eltern sich innig liebten, genau wie sie sie innig geliebt hatten. Ihr Vater war gestorben, als sie noch ein Kind gewesen war, und ihre Mutter hatte nie wieder geheiratet, weil sie über den Verlust des geliebten Mannes nie hinweggekommen war. Außerdem verdiente Amber sich ihren Lebensunterhalt damit, indem sie mit jedem Tag, mit jeder Kundin bewies, dass die Liebe existierte.

Parker jedoch …

Nun, Parkers Erfahrungen standen in krassem Kontrast dazu. Der Junge, der Amber den ersten Einblick in die romantische – wenn auch unerwiderte – Liebe gegeben hatte, war zu einem Mann herangewachsen, der nur Spott und Häme für die Liebe übrig hatte.

„Hochzeiten sind Ihr Geschäft, da müssen Sie an die Ehe glauben“, meinte er.

„Und daraus folgern Sie, dass ich nicht Ihr Typ bin? Wegen des Kleids, das ich trage, und wegen der Art, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene?“

Er lehnte sich ein wenig zurück und musterte sie, und als er wieder sprach, fehlte der spöttisch-provozierende Ton, doch seine Augen schienen ihr bis in die Seele sehen zu können. „Nein, nicht deshalb.“ Er schüttelte den Kopf, seine Miene war nachdenklich. Zum ersten Mal sah er sie wirklich an, dann zuckte er mit den Schultern. „Es ist das Schimmern in Ihrem Blick. Sie glauben noch immer.“

Ihre Lungen hatten Mühe, ihren Dienst zu vollrichten. Glauben? Woran? An die Liebe?

An das Leben?

Der Gedanke verflüchtigte sich, als Parker näher rückte und der Duft seiner Lederjacke die Luft zwischen ihnen füllte.

„Ich komme nicht drauf, wer Sie sind.“ Sein Blick ließ sie nicht los. „Können Sie einem armen Mann nicht einen kleinen Tipp geben?“

„Na gut.“ Nachdem sie Parker, den Teenager, jahrelang angehimmelt hatte, wollte sie es möglichst lange auskosten, dass Parker, der Mann, sie wie eine begehrenswerte Frau ansah. „Sie haben einmal Ihren Mund auf meinen gepresst.“

„Faszinierend.“ Seine Stimme glitt wie Seide über ihre Haut. „Ich muss sagen, ich kann mich nur zu meinem Geschmack beglückwünschen.“

Seine funkelnden Augen fachten eine Glut an, die Amber längst gelöscht geglaubt hatte – jene Glut eines jungen Mädchens, das die ersten erotischen Reaktionen ihres Körpers erlebte, ohne das volle Ausmaß dessen, was sie fühlte, zu verstehen.

Das herausfordernde Lächeln hätte ausgereicht, um den Weihnachtsbaum am Rockefeller Center zu erhellen. „Habe ich es bis zur zweiten Base geschafft?“

Ihr Lächeln wirkte gezwungen, weil sie sich zusammennehmen musste. „Nein, leider nur bis zur ersten.“

Technisch gesehen auch nur die halbe Strecke bis zur ersten Base, aber sie hatte zu viel Spaß daran, ihn zappeln zu lassen, bevor sie den genauen Hergang schilderte.

„Mit oder ohne Zunge?“

„Ohne.“

„Da habe ich wohl was verpasst“, sagte er und ließ die Lippen leicht offen stehen, als hätte er vor, das Verpasste nachzuholen.

Amber sah seine Zungenspitze. Der Anblick jagte Adrenalin durch ihre Adern. Die feinen Härchen an ihren Armen richteten sich auf, ihre Wangen begannen zu brennen. „Was erste Küsse anbelangt, hätte es sehr viel besser sein können“, fügte sie noch an.

Vor allem hätte es ein echter Kuss sein können.

Parkers beleidigte Miene war regelrecht komisch. „Es hätte besser … Moment. Erster Kuss?“ Er musterte sie kritisch. „Das muss entweder eine Ewigkeit her sein, oder Sie verwechseln mich mit jemandem.“

„Nein, ich verwechsle Sie nicht.“ Da er sie inzwischen ansah, als würde er an ihrem Verstand zweifeln, beendete Amber das Spiel und lächelte ihn offen an. „Ich bin mehr oder weniger im Haus Ihrer Mutter aufgewachsen. Meine Mom war die persönliche Assistentin Ihrer Mutter“, klärte sie ihn auf. „Also im Grunde genommen ein hochtrabender Titel für das Mädchen für alles.“

Für zwei Sekunden blieb es still, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit – und Parker sah sie noch immer verständnislos an.

„Ich bin Amber Davis.“

„Amber Davis“, wiederholte er langsam, als müsse er den Namen aus einem Grab von Erinnerungen wieder hervorziehen. Als dann der Groschen endlich fiel, zuckte er zurück und reckte steif die Schultern. „Sie sind die, die fast ertrunken wäre!“

2. KAPITEL

Fünfzehn Jahre zuvor

The Hamptons, Long Island, New York

Schwimm, schwimm, schwimm …

Amber hielt die Augen fest auf das Dock gerichtet, in ihrem Kopf lief das Wort wie ein Mantra unablässig ab. Ihr Paddelbrett hatte sie längst aus den Augen verloren, die Strömung von Sag Harbor hatte es abgetrieben. Oh Mann, würde sie sich was anhören müssen!

Mom bringt mich um, wenn ich ertrinke.

Erneut wallte Panik in ihr auf. Wie sollte sie denn Parker heiraten können, wenn sie jetzt starb? Und das im stolzen Alter von zwölf. Mist, sie war ja noch nicht einmal geküsst worden! Sie hätte beim Flaschendrehen auf Nancy Krugers Party letzte Woche mitspielen sollen. Dann wäre sie bei Jimmy Stevens gelandet, besser bekannt als „Schlangenzunge“, aber dann müsste sie jetzt zumindest nicht mit jungfräulichen Lippen ertrinken.

Das langweilige Ende eines mickrig kurzen Lebens.

Bisher war alles langweilig gewesen, alles bis auf Parker.

Parker.

Was machte es schon, wenn er in der elften Klasse war und sie erst in der sechsten? Seit sie acht war, liebte sie ihn. Kurzfristig war er durch Justin Timberlake von ’N Sync ersetzt worden, aber natürlich war ihr klar, wie schlecht die Chancen dafür standen. Außerdem war Parker viel süßer. Sie wollte ihn so unbedingt heiraten, dass sie schon vor Ewigkeiten ihr Hochzeitskleid ausgesucht hatte.

Dumm, dumm, dumm …

Sich wegzuschleichen und dann die Rettungsweste zu vergessen. Aber sie wollte doch so unbedingt besser paddeln lernen. Um Parker zu beeindrucken. Letzten Sommer hatte er ihr beigebracht, wie man auf dem Brett stand und wendete. Aber in diesem Sommer war er mehr daran interessiert, Susie Frances zu küssen. Er half ihr auch nicht mehr dabei, Köder auf die Angelhaken zu spießen oder Krebse zu fangen.

Die Strömung hier war stark, und das blöde Dock entfernte sich immer weiter. Das Wasser war kalt, und mit jeder Minute drang die Kälte ihr tiefer in die Knochen, ganz gleich, wie tapfer Amber auch schwamm. Ihre Arme und Beine wurden immer schwerer, und das Zähneklappern ließ sich nicht mehr kontrollieren.

Ein Schluchzer stieg aus ihrer Kehle empor, aber sie wehrte sich gegen die Angst. Für einen Moment schloss sie die Augen.

Gib auf, gib auf, gib auf …

Das Denken war so anstrengend. Sie wusste, sie musste etwas tun, aber sie konnte sich nicht mehr erinnern, was. Schwimmen? Reese suchen?

„Amber!“

Es rüttelte sie wach, als sie ihren Namen hörte. Sie war dabei zu ertrinken. Oder war sie etwa schon im Himmel? Denn es war Parker, der nach ihr rief.

Die Stimme kam näher, der Tonfall klang immer aufgeregter. „Amber!“

Mit letzter Kraft wandte sie den Kopf und sah Parker auf sich zukommen. Er stand auf seinem Brett und paddelte wie wahnsinnig. Sie holte Luft, schluckte Wasser. Das Salz brannte in ihrer Kehle, sie hustete und würgte. Und dann ging sie unter. Das kalte Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen, und für einen Moment hörte sie auf zu kämpfen. Es war so friedlich und still, und es war schön, sich nicht mehr anstrengen zu müssen, um den Kopf über Wasser zu halten. Sie war so müde …

Leicht und sanft trieb sie dahin … bis ein Arm sich um ihren Oberkörper legte und sie hochzog. Nur vage nahm sie wahr, dass sie jetzt auf etwas Hartem lag, aber sie konnte sich nicht rühren. Es war noch zu anstrengend, überhaupt Atem zu holen.

Doch dann lagen plötzlich warme Lippen auf ihren, und Luft füllte ihre Lungen. Ein Hustenanfall schüttelte sie, sie drehte sich auf den Bauch und würgte einen Schwall Salzwasser hervor. Immer wieder verlor sie das Bewusstsein. In den Momenten, wenn die Ohnmacht kurz wich, merkte sie, dass Parker das Brett auf den Strand zulenkte, und dann spürte sie auch, dass er sie auf den Sand zog.

Jetzt begann das Zittern erst richtig. Wasser tropfte von Parkers Nase, als er sie an seine Brust zog, tiefe Falten standen auf seiner Stirn. Amber starrte benommen zu ihm auf, ihr Herz hämmerte wild, denn er hielt sie fest umarmt.

Sie blinzelte, ihr Kopf klärte sich … und dann traf es sie.

Parker hatte sie geküsst!

Ihr Herz flatterte wie ein Kolibri im Käfig. Na schön, er hatte wohl eher Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, aber trotzdem …

Da lohnte sich das Ertrinken ja fast!

Nass sah sein blondes Haar braun aus, Sommersprossen zogen sich über seinen Nasenrücken, und dichte Wimpern umrahmten die hübschesten grünen Augen, die die Welt je gesehen hatte. Augen, die seltsame Dinge mit ihrem Magen anstellten, jedes Mal, wenn sie auf ihre trafen. Wenn er sie früher angesehen hatte, dann hatte Geduld in diesen Augen gestanden, und wenn sie wirklich Glück hatte, manchmal sogar ein wenig Zuneigung. Doch jetzt, da Parker älter geworden war, blickte er sie oft irritiert, ja fast ärgerlich an. Dabei war es doch nicht ihre Schuld, dass seine Mutter ihm aufgetragen hatte, auf sie und Reese aufzupassen, wenn Ambers Mom anderes zu tun hatte.

„Sag bloß nichts meiner Mom“, krächzte sie.

„Komm schon, Amber.“ Parker runzelte die Stirn. „Du wärst fast ertrunken.“

„Stimmt gar nicht.“

Er verdrehte die Augen in der für ihn typisch sarkastischen „Ja, klar“-Art. „Und wenn du krank wirst? Sie muss es wissen.“

Dann würde sie den ganzen Sommer Hausarrest bekommen. Schon seit Monaten freute sie sich auf die Ferien. Als Tochter von Mrs Michaels’ persönlicher Assistentin war Amber praktisch bei den Michaels aufgewachsen. Aber Parker besuchte seine Mutter nicht mehr in der Stadt, daher war der Sommer in den Hamptons die einzige Gelegenheit, zu der sie ihn noch zu sehen bekam.

Ihr Griff wurde fester, als sich die Panik anmeldete. „Wenn du es ihr sagst, dann … dann …“

Sie begann zu stottern, während sie krampfhaft nach einer wirkungsvollen Drohung suchte. Und dann schoss ihr etwas in den Kopf – die Erinnerung daran, wie sie bei den Docks zufällig auf Parker getroffen war, mit rot geränderten Augen und verdächtig schnüffelnd. Er hatte sie angeblafft – natürlich! –, sich übers Gesicht gewischt und ihr befohlen, sich zu verziehen. Und wie jedes Mal, wenn sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht sah, hatte sich ihr Herz vor Mitgefühl und Schmerz zusammengezogen. Denn die einzige Person auf dieser Welt, die Parker so traurig machen konnte, war seine Mutter. Es war lange her, seit Amber ihn das letzte Mal so gesehen hatte. In letzter Zeit wurde er eher wütend.

Sie richtete sich auf. „Ich sage Susie Frances, dass ich dich gesehen habe, wie du wie ein kleines Baby heulst.“

Seine Augen blitzten auf. „Ich habe nicht geheult. Mir ist Salzwasser in die Augen gekommen, mehr nicht.“

Beide wussten, dass es gelogen war. Amber konzentrierte sich darauf, nicht wegzusehen, denn das hier war wirklich wichtig.

„Abgemacht“, sagte er schließlich und hielt ihr gleich darauf den Zeigefinger vors Gesicht. „Aber dafür hörst du damit auf, mir ständig nachzuspionieren.“

Es war ihm also aufgefallen. Plötzlich wünschte sie, die Strömung hätte sie auf den Meeresboden gezogen. „Abgemacht“, ahmte sie ihn nach. Doch dann verließ die Courage sie. „Ob wir das Brett noch finden?“, fragte sie kleinlaut.

Parker fuhr sich mit der Hand durchs Haar, machte es noch wirrer als sonst. „Das Brett kannst du vergessen.“

Das alles war so absolut unfair. Amber sah aufs Wasser hinaus und blinzelte angestrengt die Tränen zurück. Parker sollte sie nicht heulen sehen. Sie wischte sich mit der Hand über die Augen und schnüffelte. Außerdem bibberte sie vor Kälte. Als sie das Rascheln von Stoff hinter sich hörte, drehte sie sich wieder zu Parker um.

Er hatte sein Kapuzenshirt ausgezogen und stülpte es ihr über den Kopf. „Mach dir deshalb keine Gedanken, Ace“, brummte er.

Ihr wurde leicht ums Herz, weil er sich um sie kümmerte und sich Sorgen um sie machte. Und sie liebte den Spitznamen, den er ihr gegeben hatte. Sie schob die Arme in die nassen Ärmel und sog tief den Duft ein, der in dem Sweatshirt hing.

„Ich sag einfach, ich hab’s verloren.“ Der schöne Mund wurde schmal, seine Miene düster. „Meine Mom kann mich so oder so nicht ausstehen.“

Parker klammerte die Finger um sein Whiskeyglas.

Amber Davis.

Ihre Identität aufzudecken, war ein Schock für sein System. Sein Hirn wurde überflutet von Erinnerungen an seine Kindheit. Er bemühte sich, die schöne Frau zu ignorieren, die ihm als Mädchen auf Schritt und Tritt gefolgt war und andächtig bei jedem Wort an seinen Lippen gehangen hatte, die jede seiner Bewegung beobachtet hatte … und die ihn im Moment der schlimmsten Erniedrigung gesehen hatte.

Du warst ein Fehler.

Er kippte den restlichen Drink herunter und konzentrierte sich auf den Plan für heute Abend. Seiner Mutter aus dem Weg gehen, Reese absagen und dann nichts wie weg hier.

Amber sah ihn forschend an. „Erinnerst du dich noch, wie …“

Er ließ sie die Frage nicht zu Ende bringen. „Ja“, brummte er, ohne den Blick von dem leeren Glas in seiner Hand zu heben. „Ich erinnere mich.“

Die ganze Zeit über spürte er Ambers Blick auf sich, aber er brauchte einen Moment – mehrere –, um sich zu sammeln, bevor er die Frau wieder ansehen konnte, die ihn vor Jahren wie ein Baby hatte heulen sehen.

Dem Himmel sei Dank für Handys!

Parker sah auf die Nummer auf dem Display, als sein Handy vibrierte. Mit einem „Was gibt’s, Robby Boy?“, nahm er den Anruf an.

„Wieso bist du nicht in Rosies Bar?“

Nirgendwo wäre er jetzt lieber. Die Bar war der Treffpunkt für das 57. Revier. Er ließ den Blick über die eleganten Gäste in dem schicken Restaurant mit der Panoramaaussicht über ganz Manhattan gleiten. Der einzige Lichtblick war die hübsche Rothaarige, die viel zu süß und daher vollkommen verkehrt für ihn war. Doch einem kleinen Flirt hatte er nicht widerstehen können.

Und war das nicht ein kapitaler Fehler gewesen?

„Ich bin beschäftigt“, antwortete er seinem Partner und warf einen flüchtigen Blick auf Amber.

Schimmernde helle Haut, ein sinnlicher Mund und Augen von der gleichen Farbe wie Ahornsirup.

Sie war ein stilles Kind gewesen. Ein Lamm unter Wölfen im Michaels-Haushalt, das eindeutig an seinen Beschützerinstinkt appelliert hatte. Teilweise hatte es wohl daran gelegen, dass ihm eingedrillt worden war, auf Reese und Amber aufzupassen, wenn Ambers Mutter es nicht gerade tat. Außerdem hatte er selbst genau gewusst, wie es sich anfühlte, ein Außenseiter im Michaels-Haushalt zu sein.

Amber hatte sich zu einer Schönheit gemausert, doch die offene Unschuld, die sie als Kind gezeigt hatte, war ihr erhalten geblieben. Das sah er in ihrem Gesicht, in den ehrlichen Augen. Parker konnte sich nicht daran erinnern, wie es war, unschuldig zu sein.

Schon seit Langem glaubte er nicht mehr an Unschuld.

Die Augen jetzt auf Amber gerichtet, unterhielt er sich mit Rob am anderen Ende der Leitung. „Glaub mir, ich würde jetzt auch lieber ein Bier mit meinem Partner in Rosies Bar trinken, als hier in diesem schnieken Restaurant zu sitzen.“

„Dann setz dich in Bewegung und komm her.“

„Geht nicht, Robby Boy. Ich muss hier erst etwas erledigen.“

Eine lange Pause folgte, dann fragte Rob: „Das hat doch nicht mit dem Miller-Fall zu tun, oder?“

Parker hatte das Gefühl, gevierteilt zu werden „Nein, ich mache diesen Job schon lange genug. Mich kann nichts mehr schockieren.“

Sein Partner machte sich inzwischen Sorgen, dass der Fall ihn mitgenommen haben könnte, und glaubte, Parker würde langsam ausbrennen bei all dem Mist, mit dem sie sich Tag für Tag herumschlagen mussten. Parker jedoch beunruhigte es wesentlich mehr, dass es ihn nicht berührte. Der letzte Fall hatte eine so kranke Wendung genommen, wie es sich die meisten Menschen nicht einmal vorstellen konnten, und trotzdem hatte er nichts gefühlt. Absolut nichts, null, nada, niente.

Die Dunkelheit und Leere um sein Herz breiteten sich aus, und Parker weigerte sich zuzugeben, dass genau das ihn halb zu Tode ängstigte.

Am anderen Ende räusperte Rob sich. „Mir gefällt es auch nicht, dass unser Hauptverdächtiger ein Teenager ist, vor allem, da seine Eltern absolut unterste Schublade sind.“

Er schnaubte zustimmend. „Ja, manchmal kann Familie die Hölle sein.“

Bei seinen Worten zog Amber die Augenbrauen in die Höhe und runzelte die Stirn.

Parker verabschiedete sich von Rob und richtete sich dann mit einem Seufzer an sie. „Möchtest du einen Kommentar dazu abgeben?“

„Ich frage mich nur, ob du schon mit deiner Schwester gesprochen hast.“

„Ich hatte noch keine Gelegenheit dazu.“

„Du hast noch keine Gelegenheit dazu gesucht.“

Wie auf Kommando ertönte eine weibliche Stimme hinter ihm. Er drehte sich zu Reese um. In einem schwingenden Cocktailkleid, das blonde Haar zu einem eleganten Chignon gedreht, kam sie über das Parkett auf ihn zu.

„Benimm dich und sei nett“, wisperte Amber.

„Ich bin immer nett.“

Als Reese näher kam, ließ er das Handy in seine Tasche gleiten und wappnete sich für die bevorstehende Konfrontation. Denn Konfrontation schien die letzte Lösung zu sein, damit Reese ihn in Ruhe ließ. E-Mails hatten keine Wirkung gezeigt, Anrufe auch nicht. Scheinbar akzeptierte sie ein Nein nur, wenn es persönlich überbracht wurde.

Du weißt, wie man höflich ist.

Aber als Reese ihn umarmen wollte, bekam er tatsächlich Panik. Echte Panik! Als Meister der Ablenkung verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und schob eine Schulter vor. Glücklicherweise interpretierte Reese seine Körpersprache völlig richtig und gab ihr Vorhaben auf.

Er verzichtete lieber auf Zuneigungsbeweise in der Öffentlichkeit.

„Ich freue mich wirklich, dass du gekommen bist, Parker.“ Reese lächelte vorsichtig. „Ich hoffe, das heißt, dass du es dir wegen der Hochzeit noch einmal überlegt hast.“

Nur mit Mühe schaffte er es, nicht „Nein, wieso?“ zu knurren. Jetzt, da sie ihren angeblichen Traummann heiratete, war für Reese alles nur noch Friede, Freude, Eierkuchen. Ihr Beharren darauf, dass sie eine echte Familie wären, wurde immer massiver. Dabei lebten sie in der gleichen Stadt und hatten sich seit zig Jahren nicht mehr gesehen.

Zugegeben, das lag mehr an ihm, trotzdem …

„Ich bin nur gekommen, um persönlich mit dir zu reden“, sagte er.

„Und um alte Freunde wiederzusehen?“, erwiderte Reese und sah neugierig zu Amber. „Habt ihr schon einen Termin ausgemacht, wann Amber deine Maße für den Smoking nehmen kann?“

Parker musste seine Überraschung verbergen, als auch er zu Amber blickte. Sie studierte ihn unverblümt, und ein Prickeln lief über seinen Rücken. Amber soll meinen Smoking schneidern?

Verlockende Vorstellung, aber nicht genug, um ihm eine Zusage abzuringen.

„Komm schon, Reese.“ Er spielte den Diplomaten, obwohl er alles andere als ein Diplomat war. „Kannst du dir mich in einem solchen Aufzug vorstellen?“

Wie oft muss ich noch ablehnen? Er gehörte nicht zur Michaels-Familie, hatte sich dort nie willkommen gefühlt. Und mit zweiunddreißig würde er jetzt nicht damit anfangen, sich den Anschein zu geben.

„Wir wollen dich dabeihaben“, sagte Reese. „Du bist mein Bruder.“

„Halbbruder“, berichtigte er sofort, auch wenn er wusste, dass er sich unnötig gemein anhörte. „Mit Betonung auf dem ‚halb‘.“

Amber berührte kurz seine Hand und sah ihn vorwurfsvoll an. Die Warnung ignorierte er und konzentrierte sich stattdessen auf die sanfte Wärme ihrer Finger. Reese betrachtete ihn forschend, so als versuche sie noch immer, ihn zu verstehen. Dabei kannte sie ihn doch schon ewig.

Na, dann viel Erfolg. Er selbst versuchte es ja auch noch immer.

„Hör zu, ich bin glücklich, dass du glücklich bist und dass du und dein Verlobter den Bund für die Ewigkeit schließen wollt. Ich persönlich glaube zwar nicht an diese ganze Ehesache, aber soll ruhig jeder mit seiner eigenen Selbsttäuschung glücklich werden.“

„Parker“, sagte sie leise, und er hasste den besorgten Ausdruck in ihren Augen. „Liebe ist keine Selbsttäuschung.“

„So? Wenn ich mich recht entsinne“, er musterte seine Schwester, „hast du schon einen Versuch mit dem ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ hinter dir.“

Ambers Finger klammerten sich jetzt fest um sein Handgelenk, lösten damit einen Kurzschluss in seinem Kopf aus, was bewirkte, dass sein Hirn sich ganz andere Gründe ausdachte, weshalb sie sich so an ihn klammern könnte.

Nicht dein Typ, Robinson. Denk dran.

Unauffällig zog er seinen Arm zurück. „Wie hieß dein Ex noch? Mason, richtig?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er seine Schwester an.

Zwar zog bei der Erwähnung ihres Exmanns ein Hauch Rot auf Reeses Wangen, aber sie ging nicht weiter darauf ein. „Gast auf einer Hochzeit zu sein, liefert nicht den Beweis, dass du die Institution Ehe unterstützt.“

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Ihm war gleich, ob es in alle Richtungen abstand. „Reese …“

„Bitte …“, sagte sie, ihre Miene das Bild der Ernsthaftigkeit. „Du gehörst zur Familie.“

Alles in ihm verspannte sich. Was ihn betraf, so hatte seine Familie an dem Tag aufgehört zu existieren, an dem sein Vater gestorben war. Seither war die Leere, die mit dem Du warst ein Fehler seiner Mutter begonnen hatte, über die Jahre immer ausufernder und tiefer geworden. Seit jenem Tag fühlte er sich völlig taub, wie abgestorben. Nichts berührte ihn mehr. Als würde ein schwarzes Loch alles langsam verschlingen.

Amber stellte sich um, und wie von allein wanderten seine Augen zu ihr. Sie rückte näher, bis ihre Schultern sich streiften. Eine irritierende Berührung. Dabei starrte sie ihn eindringlich an, warnte ihn mit dem Blick: Wage es nicht, ihr das Herz zu brechen.

Reese hatte es nicht verdient. Nicht wirklich.

Es hatte ihn Jahre gekostet, bis er zu dieser Einsicht gekommen war. Seine Schwester war nicht verantwortlich dafür, wie unterschiedlich ihre Mutter sie behandelt hatte. Dass Reese im Michaels-Haushalt immer die kostbare Prinzessin gewesen war, lag schließlich an den Eltern, nicht an ihr. Sie hatte nichts davon geahnt, sie war die über alles geliebte Tochter, umsorgt und verwöhnt von Mom und Dad. Und sollte es mit Kindern nicht auch genauso sein?

Doch Parker Robinson war kein Heuchler. Er würde ihr die Enttäuschung nicht ersparen können, dass er an ihrem großen Tag nicht kam.

„Ich habe es dir doch schon gesagt. Dylan wird sich einen anderen fünften Trauzeugen suchen müssen.“

Damit stand er auf und ging zu den Aufzügen.

„Er wird nie zusagen“, seufzte Reese.

Amber hasste es, die Freundin so enttäuscht zu sehen. Es war ihr wichtig, ihrer Freundin aus Kindheitstagen dabei zu helfen, ihr den großen Tag, von dem sie immer geträumt hatte, perfekt zu machen – einschließlich der Wiedervereinigung mit ihren drei Mitbewohnerinnen aus der Collegezeit. Sie hatte miterlebt, wie hart Reese darum gekämpft hatte, die Ehe mit Mason aufrechtzuerhalten, hatte gesehen, wie völlig am Boden zerstört sie gewesen war, als es zur Scheidung gekommen war. Es hatte ihr wehgetan, die Freundin so leiden zu sehen. Reese hatte es verdient, mit Dylan glücklich zu werden.

„Er wird schon noch Ja sagen“, setzte sie zuversichtlich an. „Weil er genau weiß, dass er dir wichtig ist.“

„Dir liegt auch viel an ihm.“ Reese musterte Amber wissend.

Ihr Magen zog sich zusammen. „Das ist schon lange her.“

„Und jetzt seid ihr beide erwachsen.“ Reeses Ton wurde bedeutungsschwanger.

Amber schüttelte nur den Kopf. „Jede, die sich mit Parker einlässt, ist selbst schuld und hat es nicht anders verdient.“ Sie sah zu dem Mann, der beim Aufzug wartete. „Außerdem jage ich den Kerlen nicht nach.“

„Nein“, Reese seufzte. „Du lehnst dich lässig zurück und siehst zu, wie das Leben an dir vorbeizieht.“

„Hey“, begehrte Amber auf. „Wenn es so weit ist, wird die Liebe schon kommen.“

Wenn sie dem Richtigen begegnete, würde sich alles von selbst ergeben. Und bis dahin würde sie anderen dabei helfen, den perfekten Tag zu planen.

„Vielleicht solltest du dich aktiver daran beteiligen, das zu bekommen, was du willst.“

„Hör zu, ich werde mit Parker über die Hochzeit reden“, wechselte Amber das Thema und umarmte die Freundin. „Geh du zu Dylan zurück und genieße die Party, einverstanden?“

Mit klopfendem Herzen ging Amber zu Parker. Aber mal ehrlich, wer war sie denn, dass sie Parker Robinson zu irgendetwas überreden wollte?

Die Lifttüren schlossen sich bereits wieder. Amber beschleunigte ihre Schritte und schlüpfte im letzten Moment noch zu Parker in die Aufzugskabine.

Spannung hing in der Luft, ließ die Kabine noch schrumpfen. Parker warf Amber einen Seitenblick zu.

„Hat Reese dich geschickt, damit du mir ins Gewissen redest?“

„Nein“, antwortete sie ehrlich. Sie musste vorsichtig taktieren, um das Gespräch überhaupt in Gang zu setzen. Zwei Minuten im Lift würden Jahre des Grolls nicht ausräumen können. „Ich hatte gehofft, du könntest mich nach Hause bringen.“

Verdutzt starrte er sie an. „Ist das jetzt eine Anmache?“ Verführerisch klang sein Ton keineswegs. Die Vorstellung schien ihn eher zu amüsieren.

Sie sah ihn angewidert an, obwohl sie gar nicht so angewidert war. Warum fand er die Idee so lustig? „Nein. Fährst du mich trotzdem nach Hause?“

„Wo wohnst du?“, fragte er.

„In einem Loft über meinem Laden. Gleich hinter der Manhattan Brigde.“

„Ich dachte, Reese kauft nur auf der Fifth Avenue ein.“

Vor Stolz schwoll ihr Herz auf. Die Hochzeit von Reese und Dylan war eines der gesellschaftlichen Ereignisse des Jahres. Die Michaels und die Brookes waren zwei der einflussreichsten Familien der Stadt. Dass Amber das Brautkleid für Reese entwarf und nähte, würde ihren Laden berühmt machen. Sie würde der Freundin ewig dankbar sein.

„Reese hat sich geändert“, sagte sie, als sie im Erdgeschoss aus dem Aufzug stiegen. Sie wusste das besser als jeder andere.

Sie durchquerten die Lobby, und Parker hielt die Tür für Amber auf. Sie trat in den geschäftigen New Yorker Abend. Passanten eilten vorbei, der Verkehr floss zügig. Es roch nach Regen.

„Ehrlich gesagt ist es mir gleich, ob sie sich geändert hat.“ Parker gab dem Pagen den Parkschein und sah dann kritisch zu Amber. „Ich bin nicht einmal sicher, ob diese Sache zwischen ihr und Dylan überhaupt echt ist.“

„Du bist einfach nur ein Zyniker, sobald es um Beziehungen geht“, erwiderte sie abschätzig. „Jeder kann sehen, dass sie das perfekte Paar sind.“

„So oder so … ich komme trotzdem nicht zur Hochzeit.“

Amber presste die Nägel in die Handballen. Sie war entschlossen, Parkers Meinung bis zum Ende der Fahrt zu ändern.

Ganz gleich, was auch immer dafür nötig sein mochte.

3. KAPITEL

„Was ist das denn?“, fragte Amber verblüfft, als der Page mit Parkers Wagen vorfuhr.

„Das …“, Parker lächelte stolz, „ist ein 1967 Ford Mustang Fastback mit acht Zylindern und einer Vierlitermaschine.“

Amber starrte ihn an.

„Das Baby ist stark und schnell und genauso knallhart wie ich“, fuhr er fort, weil er im Voraus ahnte, wie sie darauf reagieren würde. Ihm gefiel es nämlich, wenn sie die Augen verdrehte. Und er machte den Spaß, den er hatte, dafür verantwortlich, dass er den nächsten Satz nachschob. „Der Wagen gehörte meinem Vater.“

Prompt wandelte sich Verständnislosigkeit in Verstehen, und Parkers Brust zog sich zusammen. Das schwarze Loch drückte auf sein Herz.

Amber streckte den Arm aus, als wollte sie seine Hand berühren. „Tut mir leid, ich wusste nicht …“

„Nicht.“ Er wich zurück, ohne zu wissen, was er tat und woher der barsche Ton plötzlich kam. Er wusste nur, dass er nicht hören wollte, was sie als Nächstes sagen würde. Und er könnte es nicht ertragen, wenn sie ihm tröstend die Hand auf den Arm legen würde.

Sie stiegen ein, und Parker war dankbar, dass er sich aufs Fahren konzentrieren konnte. Es hatte sich eingeregnet. Konstanter Nieselregen fiel auf die Windschutzscheibe. Das rhythmische Quietschen der Scheibenwischer war der einzige Laut, der den Fond füllte. Das Schweigen war unangenehm und ließ die Fahrt länger erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Er war froh, als sie in die Gegend kamen, in der Amber wohnte, und er nach der Richtung fragen musste.

Als er in ihrer Straße parkte und den Motor abstellte, regnete es stärker. Er zog seine Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz. Dabei bemerkte er, wie Amber auf seine Brust starrte. Dass ihm plötzlich scharfe Lust in die Lenden fuhr, überrumpelte ihn.

„Ich bringe dich noch bis zur Tür“, sagte er. Es war die Einleitung, um sich zu verabschieden.

„Nicht nötig. Wir müssen nicht beide nass werden.“ Sie drehte sich zu ihm. „Parker, wegen der Hochzeit …“

Sein Magen verkrampfte sich, er konnte nicht länger still sitzen, sprang regelrecht aus dem Wagen, kam ums Auto herum und zog die Beifahrertür auf. „Wir müssen noch ein Stück laufen.“

Hinter ihr warf Parker die Wagentür mit Wucht wieder zu.

Amber runzelte die Stirn. „Es ist doch nicht so weit, da können wir auch …“

Er nahm ihren Arm. „Wir sollten uns beeilen, bevor der Regen noch heftiger wird.“

Während er sie über den Bürgersteig führte, musterte er sie aus den Augenwinkeln. Sie hatte eine gute Figur, schlank, mit Kurven an den richtigen Stellen – wie gemacht, um das Interesse eines Mannes zu erregen.

„Parker“, jetzt klang sie ungeduldig, „wir sollten …“

Der Himmel öffnete seine Schleusen und schickte eine wahre Sintflut zur Erde. Beide spurteten los, dennoch lief ihnen das Wasser aus den Haaren, als sie unter der Markise ankamen. Parker drehte sich zu Amber und versuchte zu ignorieren, wie fantastisch sie aussah, wenn sie nass war.

„Das letzte Mal, als ich dich so durchweicht gesehen habe, hattest du gerade versucht, dich zu ertränken“, meinte er.

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Parker kam ihr zuvor.

„Etwas wollte ich dich schon immer fragen.“ Echte Neugier stand in seinen Augen. „Hast du das damals alles nur inszeniert, damit ich Mund-zu-Mund-Beatmung bei dir mache?“

Schockierte Entrüstung blitzte in ihrer Miene auf. „Ich …“ Sie blinzelte, setzte erneut an. „Du …“

„Hey …“ Bisher hatte alles, was er sagte, sie mehr oder weniger mundtot gemacht, und das war gut so. So hatte er es auch geplant. „Du bist mir ständig nachgelaufen. Ich meine, ich konnte dich nie loswerden.“ Ein Lächeln zog auf seine Lippen, als eine Erinnerung zurückkehrte. „Du hast mich sogar beobachtet, als ich mit Susie Frances rumgemacht habe.“

„Ich hatte gar nicht vor, dir und Susie nachzuspionieren“, sagte sie.

„Belüg dich ruhig weiter. Davon kann dich keiner abhalten. Also, was ist? Hast du?“

Amber blinzelte. „Was?“

„Die Sache absichtlich inszeniert.“

„Du hast mich durchschaut“, gab sie ironisch zurück. „Und dass ich Salzwasser hochgewürgt habe, gehörte natürlich mit zu meinem perfiden Plan, dich zu verführen.“

„Komm schon, gib’s zu. Du hast dir doch nichts sehnlicher gewünscht als einen Kuss von mir. Du wolltest, dass ich dich zurückküsse. Das war echt peinlich, das kann ich dir sagen.“

Ihre Wangen waren hochrot. „Ich kann dir versichern, ich habe nicht geplant zu ertrinken, nur damit du deine Lippen auf meine presst. Und das war auch besser so, denn es wäre eine schreckliche Enttäuschung gewesen.“

„Du wiederholst dich.“

„Weil es stimmt.“

„Wirklich erstaunlich.“ Es zuckte um seine Lippen. „Da werden meine Fähigkeiten beim Küssen aufgrund eines einzelnen Falls von Mund-zu-Mund-Beatmung beurteilt … nachdem du versuchst hast, dich … nun, umzubringen.“

„Tut mir leid“, sie hob bedauernd die Schultern, „aber ich hatte ja keine Vergleichsmöglichkeiten.“

Am liebsten hätte Parker ihr diesen Ausdruck vom Gesicht geküsst. Ein Impuls, der nur von einem Anfall geistiger Umnachtung herrühren konnte. „Nun, in dem Fall“, er trat auf sie zu und hasste es, wie rau seine Stimme klang, „gibt es ein ganz simples Mittel, um das Problem zu beheben.“

Er fasste sie bei den Armen. Sie hatte eine Gänsehaut. Wegen des kalten Regens? Oder seinetwegen?

Eigentlich egal. Er würde es schnell hinter sich bringen, würde sie mit seiner Finesse überrumpeln und hoffentlich von den Füßen hauen. Oder zumindest die Erinnerung an diesen lächerlichen Zehn-Sekunden-Moment von Mund-zu-Mund-Beatmung durch die an einen Kuss ersetzen, der es wert war, beurteilt zu werden. Hier ging es schließlich um seinen Stolz.

Doch kaum berührten seine Lippen ihren Mund, da stieß sie einen Seufzer aus, der ihn völlig umwarf. Sie legte den Kopf in den Nacken und öffnete ihre Lippen unter seinen, als hätte sie den ganzen Abend genau darauf gewartet. Und er … er nahm die Einladung gern an und setzte sein ganzes Können ein.

Ihm stockte der Atem, als er ihren weichen Körper an seinem wahrnahm. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, schob er die Hände in ihr Haar und drehte ihren Kopf leicht zur Seite, damit er besseren Zugang zu ihrem Mund hatte. Sie schmeckte so süß, genau wie Ahornsirup, an den ihn schon ihre Augen erinnert hatten.

Nur für einen Moment konnte er die Tatsache verdrängen, dass sie einfach zu süß schmeckte. Dass sie die Art Frau war, die mehr erwarten würde, als er zu geben hatte.

Und dass sie die eine Person auf der Welt war, die wusste, wie schwach er einmal gewesen war.

Der Gedanke traf ihn wie ein Blitz. Er wollte sich zurückziehen, doch ihre sanfte Hand an seinem Nacken ließ ihn nicht weit kommen. Er schaffte nur wenige Zentimeter Abstand, und noch immer spürte er ihren warmen Atem auf seinen feuchten Lippen.

Mit einer Pulsrate, die viel höher war, als es von einem simplen Kuss her möglich sein sollte, starrte er in ihre goldbraunen Augen. Und als sie mit den Lippen flüchtig und leicht über seine Lippen strich, da wusste Parker nicht, was er mit dem Moment anfangen sollte. Diese sachte, kaum spürbare Berührung hatte eine größere Wirkung auf ihn, als jede körperliche Vereinigung es haben könnte.

Eine seltsame Wärme kroch in seine Brust. Es war ein fremdes Gefühl, eines, mit dem er nicht umgehen konnte.

Süß. Zärtlich. Das war nichts für ihn. Nicht in seinen Beziehungen, nicht bei seiner Arbeit, nicht für sein Leben. Und doch konnte er sich aus einem unerfindlichen Grund nicht zurückziehen. Zwar kam keine Reaktion von ihm darauf, aber er konnte sich auch nicht rühren. Als wäre er irgend so ein blödes Reh, gefangen auf den Gleisen in den Lichtkegeln eines herandonnernden Güterzugs.

Als Amber sich endlich zurücklehnte, sah er, dass ihr Hals jetzt genauso rot war wie ihr Gesicht. Ihre Finger streichelten seinen Nacken, spielten mit seinem Haar und jagten ihm damit eine Gänsehaut über den Rücken. Eine verdammte Gänsehaut! Nicht zu fassen!

Um sie herum prasselte der Regen auf den Bürgersteig, strömte vom Vordach herunter und schloss sie ein in einen trockenen Kokon.

„Nun …“ Parker räusperte sich. „Ich würde behaupten, das Thema Kuss ist damit endgültig abgehandelt.“

Nur hatte sich damit eine ganz neue Grube voller Probleme aufgetan. Noch immer starrte er Amber an. Ein Tropfen löste sich aus ihrem Haar, lief über ihre Wange hinunter zu ihrem Mund, und er musste den Impuls bekämpfen, dem Weg des Tropfens nicht mit der Zunge zu folgen. Und als wäre seine Lust auf sie nicht schon schlimm genug, verlieh ihr die Strähne, die an ihrer Schläfe klebte, auch noch eine Verletzlichkeit, die noch viel größere Wirkung auf ihn hatte.

Er bräuchte nur die Hand auszustrecken, um ihr die nassen Haare aus der Stirn zu streichen. Nicht, dass er vorhatte, das zu tun – oder es etwa tun wollte.

Nein, nicht die Spur.

Verdammt.

„Du scheinst dir ja sehr sicher zu sein“, sagte sie jetzt leise.

„Bin ich.“

„Und nach meiner Meinung wird nicht gefragt?“

Schweigend hob er nur eine Augenbraue und wartete.

„Ja, das Thema ist definitiv abgehandelt“, meinte sie schließlich.

Ihr Lächeln weckte in ihm den überwältigenden Wunsch, sie noch einmal zu küssen.

Parker arbeitete in einer düsteren Welt, angefüllt mit Bitterkeit, Gewalt und Tod, und sie lebte in Helligkeit und Freude und glaubte an das „Für immer“. Er ertrug den Gedanken nicht, dass er das verderben würde. Denn das würde er. Jede Frau, die er verlassen hatte, war danach zynischer, hatte ein weiteres Stück Unschuld verloren und war nicht mehr so offen.

Amber würde er das nicht antun.

„Pass auf dich auf, Ace.“

Damit gab er sie frei, drehte sich um und ging hinaus in die Nacht und den Regen, bevor sie etwas sagen würde, das sie beide bereuten.

Konzentrier dich, konzentrier dich, konzentrier dich.

Amber hielt sich an ihrer Handtasche fest, während sie die Stufen zu Rosies Bar hinaufstieg. Sie hoffte, dass Parker hier sein würde. Nachdem sie ausgezogen war, um Parkers Meinung zur Hochzeit seiner Schwester zu ändern, und so glorreich von ihrer Mission abgelenkt worden war, hatte es sie drei Tage gekostet, um sich von dem Kuss zu erholen und genügend Mut zu sammeln, um Parker wieder unter die Augen zu treten.

Jetzt holte sie einmal tief Luft, stieß die Tür auf und stand inmitten des Chaos’ einer lauten Sportkneipe. Entschlossen wand sie sich ihren Weg durch die Menge und hielt nach Parker Ausschau.

Da! Sie entdeckte den braunen Schopf mit den goldenen Strähnen. In ausgewaschener Jeans, T-Shirt und Lederjacke saß Parker zusammen mit einem dunkelhaarigen Mann in blauer Kapitänsjacke und weißem Hemd, ohne Krawatte, an einem Tisch.

Als sie näher kam, bemerkte er sie. „Amber! Was machst du denn hier?“

Der Mann neben Parker sah ihn neugierig an, dann bot er Amber die Hand. „Rob Winston“, stellte er sich breit lächelnd vor. „Ignorieren Sie meinen Partner hier einfach“, riet er ihr mit dem typischen Südstaatensingsang. „Seine Mama hat nicht genug mit ihm geschmust, als er noch ein Kind war.“

Amber schockierten die Worte, doch Parker zeigte nicht die geringste Reaktion. Allerdings merkte sie an seinen versteinerten Zügen und der Tatsache, dass er sie nicht ansah, dass Rob nicht einmal ahnte, wie nah er der Wahrheit gekommen war.

„Jetzt werd mal nicht gleich hysterisch, Robin“, schnaubte Parker, auch wenn er scheinbar nicht verärgert war.

„Und du sei nicht immer so ein Miesepeter“, gab Rob gutmütig zurück.

Offenbar gehörte dieses Gefrotzel zwischen den beiden zur Tagesordnung.

„Also …“ Rob deutete auf den freien Stuhl, damit Amber sich setzen sollte, doch sie zögerte. „… jetzt erzählen Sie doch mal, woher Sie meinen Partner hier kennen.“

„Wir sind zusammen aufgewachsen“, antwortete sie.

Sofort war Robs Interesse geweckt. Er setzte sich gerader hin und stützte die Ellbogen auf den Tisch. „Ich wette, Sie könnten so einige Geschichten erzählen. Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns.“ Wieder winkte er zu dem Stuhl.

Lächelnd nahm sie die Einladung an, wobei sie allerdings ganz bewusst nicht zu Parker schaute. Robs freundliche Offenheit und Neugier erleichterten es ihr, nicht auf Parkers mürrisches Gesicht zu achten.

„Die Wette haben Sie schon gewonnen, Rob.“ Sie warf einen Seitenblick auf Parker, der sie jetzt durchdringend anstarrte. Die Hitze, die er damit in ihr entfachte, drang bis in ihr Innerstes und ließ ihre nächsten Worte leicht heiser klingen. „Ich wüsste da ein paar wirklich amüsante Episoden zu berichten …“

Parkers Blick jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

„War er schon immer so verdammt stur?“, fragte Rob.

Amber lächelte. „Auf jeden Fall.“

„Wenn der Mann sich einmal festgebissen hat ….“ Rob deutete mit dem Kopf auf seinen Partner. „Einmal hat er einen Verdächtigen über zehn Blocks verfolgt und ihn dann in der Gasse hinter einem Pfandhaus gestellt – und das, nachdem der Typ ihm einen Eimer rosaroter Farbe über den Kopf gestülpt hat.“

Als sie sich vorstellte, wie Parker über und über mit pinker Farbe beschmiert durch die Straßen sprintete, lachte Amber hell auf. „Mir hat er mal einen ganzen Sommer lang versucht beizubringen, wie man Krebse fängt.“ Ihre Lippen verzogen sich zerknirscht. „Ich hab jedes Mal entsetzt geschrien und immer wieder die Hände zurückgezogen, doch er hat geduldig und ganz ruhig auf mich eingeredet, bis ich es konnte.“

Und er war wie ein Wahnsinniger gepaddelt, um sie vor dem Ertrinken zu retten. Da hatte er auch nicht aufgegeben.

„Sie sollten einen Drink vor sich stehen haben – dann können wir in Ruhe Schlachtgeschichten austauschen. Sagen Sie, war er damals auch ein solcher Schürzenjäger?“

Verschwörerisch lehnte Amber sich vor, Parkers gerunzelte Stirn ignorierte sie. „Mit siebzehn hatte er drei Mädels gleichzeitig.“

„Daran erinnere ich mich gar nicht.“

Sie hielt den Blick starr auf Rob gerichtet, so als hätte sie Parkers Kommentar nicht gehört. „Leslie Campbell, Sharon Howell und Susie Frances.“ Sie hoffte nur, dass niemand nach dem Grund fragte, weshalb sie sich erinnerte und Parker nicht. „Einmal habe ich ihn sogar dabei erwischt, wie er …“

„Hey Leute“, Parker unterbrach sie, „ich sitze mit am Tisch.“ Er warf seinem Partner einen vernichtenden Blick zu. „Warum machst du dich nicht nützlich und gehst die Kellnerin suchen?“

„Ich …“ Rob sah ihn an, räusperte sich und lachte dann leise. Offensichtlich fand er Parkers Miene höchst amüsant. „… ich gehe besser die Kellnerin suchen.“ Er nickte Amber knapp zu. „Nett, Sie kennengelernt zu haben.“

Stumm lächelnd blickte sie ihm nach, wie er die Bar ansteuerte, und vermied es tunlichst, in Parkers Richtung zu sehen.

„Warum bist du hier, Amber?“

Um sich in eine bessere Ausgangsposition zu bringen, setzte sie sich auf. So, wie Parker sich da lässig auf dem Stuhl lümmelte, waren sie jetzt immerhin auf Augenhöhe. Unter dem Tisch stieß sie dabei gegen seinen Fuß, und ein Glitzern leuchtete in seinen Augen auf – was Amber in Erinnerung rief, wie gründlich er sie geküsst hatte. „Du weißt, warum ich hier bin.“

„Wir machen nicht da weiter, wo wir aufgehört haben.“

Bezog er sich jetzt damit auf den Kuss oder darauf, dass sie ihn überzeugen wollte, zur Hochzeit zu kommen?

Und warum wäre dann der erste Gedanke eine größere Enttäuschung?

Alle Überlegungen verflüchtigten sich, als er sich die Jacke auszog und sie hinter sich auf die Stuhllehne hängte. Fasziniert verfolgte Amber das Muskelspiel unter dem langärmeligen T-Shirt, das seine breite Brust und seine Muskeln so verlockend betonte. Vernünftig zu denken wurde immer anstrengender …

„Du musst im Laden vorbeikommen, damit ich Maß nehmen kann“, brachte sie immerhin hervor.

Parker ließ nur ein Knurren hören. „Ich komme nicht zu der Hochzeit.“

„Du musst.“

Sein Blick durchbohrte sie. „Müssen muss ich gar nichts.“

„Bitte, Parker.“ Amber wurde ernst. „Ich weiß, dir bedeutet es nichts, aber für Reese ist es wirklich wichtig.“

Sie merkte, wie er auf Distanz ging, als sie seine Schwester erwähnte, aber sie erkannte auch seinen inneren Konflikt. Er wollte kommen und wollte es auch wieder nicht. Plötzlich schien es unerlässlich, dass er das bisschen Familienzusammenhalt akzeptierte. Oder wenigstens den Zusammenhalt mit seiner Schwester. Wenn er das nicht tat, dann würde er nicht nur seiner Familie gegenüber Distanz wahren, sondern auch gegenüber dem Leben.

„Ich bin beschäftigt, Amber. Ich bin hier mit meinen Freunden zusammen.“

„Und darum lasse ich dich auch sofort in Ruhe, sobald du die Einladung annimmst und deine Schwester damit glücklich machst.“

Das Zucken um seine Mundwinkel war eher abfällig als amüsiert. Aber das hier war wirklich wichtig. Sogar noch wichtiger als eine Hochzeit.

Da er nicht nachgab, verschränkte Amber die Arme vor der Brust und wandte die gleiche Taktik an, die schon einmal gewirkt hatte, damals, als er sie vor dem Ertrinken gerettet hatte. „Wenn du die Einladung zu Reeses Hochzeit nicht annimmst“, sagte sie mit so übertrieben harmloser Miene, dass er genau wusste, was gleich kommen würde, „dann werde ich Robs Einladung annehmen.“

„Das würdest du nicht wagen.“

„Natürlich, warum denn nicht?“ Sie lächelte schmal. Sie beide wussten schließlich, dass sie genügend Geschichten erzählen konnte. Bei seinen Kollegen würde Parker nie wieder ein Bein auf den Boden bekommen. „Rob wird es bestimmt interessieren, dass du früher ’N Sync gehört hast.“

„Mit zwölf“, knurrte er entsetzt.

„Du warst aber schon siebzehn, als du dir von Susie Frances die Zehnägel hast lackieren lassen.“

„Das war ein Witz.“ Nervös sah er sich um, als würde ihm jetzt erst bewusst, dass sein Ruf auf dem Spiel stehen könnte. „Und außerdem“, das sexy Grinsen kehrte zurück, „… es hat sich gelohnt, ihr den Gefallen zu tun.“

Amber wollte wirklich nicht wissen, wie Susie es ihm damals gedankt hatte. Zeit für die schweren Geschütze – oder zu gehen. Sie lehnte sich näher zu ihm und lächelte strahlend. „Ich könnte Rob auch von dem einen Mal erzählen, als ich unabsichtlich ins Bad geplatzt bin und du gerade …“

„Genug! Verflucht noch mal …“ Sein Fluch erstarb, als er sich mit der Hand durchs Haar fuhr und es noch mehr durcheinanderbrachte als sonst. „Na gut, ich mach’s.“

Das wirre Haar, seine augenscheinliche Verlegenheit und die Zusage rührten Amber zutiefst. Der Duft seiner Lederjacke hüllte sie ein, und der Drang, ihn zu berühren, wurde übermächtig. Sie wollte schon die Hand ausstrecken, doch er musste ihr Vorhaben geahnt haben, denn sein Blick verdunkelte sich, und er lehnte sich in den Stuhl zurück.

„Du hast deinen Kuss schon bekommen“, sagte er trocken. „Mehr hast du nicht zu erwarten. Um es klar und deutlich auszudrücken …“ Er hob herausfordernd eine Augenbraue. „Von jetzt an behältst du deine Finger bei dir.“

Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, teils wegen seiner Anspielung auf den Kuss, teils, weil er es für nötig hielt, sie daran zu erinnern, dass sie nicht sein Typ war. Vermutlich war jede Frau sein Typ, nur eben nicht sie. Parker Robinson schien es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, mit doppeldeutigen Anspielungen von allem abzulenken, worüber er nicht reden wollte – Emotionen, Gedanken, Gefühle, seine Vergangenheit.

Sie dachte wieder daran, wie er sie an sich gepresst hatte, meinte wieder seinen Atem an ihren Lippen zu fühlen … und seinen rasenden Puls. Sie wusste genau, dass sie der Grund dafür gewesen war. Er hatte es genossen, sie zu küssen, eine solche Reaktion konnte man nicht vortäuschen. Und er war noch immer interessiert, das sah sie in seinem Blick, erkannte es an seiner Haltung. Trotzdem war er entschlossen, sie nicht mehr anzurühren.

Bei jedem anderen hätte es sie nicht gestört. Bei Parker jedoch ärgerte es sie.

„Ich muss Maß für deinen Smoking nehmen.“ Sie war stolz auf sich, dass sie so gelassen und ruhig klang. „Da lässt es sich nicht vermeiden, dass ich dich anfasse.“

Sie zwang sich, den Blick auf ihn zu richten, und so registrierte sie auch die wilden Emotionen in seinem Gesicht: Ärger. Abneigung. Und eine ganze Menge Lust.

Lust.

Langsam stieß sie die Luft aus. Sie musste sich in Erinnerung rufen, dass sie sich grundsätzlich nicht auf lockere Abenteuer einließ, ganz gleich, wie sehr sie sich zu jemandem hingezogen fühlte. Vor allem verführte sie niemals, absolut niemals einen Mann. Und sie würde nicht einmal im Traum daran denken, einen Mann zu verführen, der überall um sich herum große Warnschilder aufgestellt hatte – schon gar nicht bei dem Mann, der ihr gegenübersaß. Er hatte nicht nur Stoppzeichen aufgestellt, sondern gleich die ganze Straße abgesperrt.

Nur … schon ihr ganzes Leben hatte sie Parker gewollt. Das Gefühl war so stark, dass sie ernsthaft mit dem Gedanken spielte, ob sie nicht für ihn eine Ausnahme von der Regel machen sollte.

„Na schön“, brummte er mürrisch. „Aber ich arbeite meist bis spät in die Nacht. Es kann also dauern, bevor ich in deinem Laden auftauche.“

Bilder stürzten auf sie ein, Bilder von ihnen beiden in ihrem Laden, allein, spät in der Nacht. Und alles, was sie hörte, waren Reeses Worte: „Vielleicht solltest du dich aktiver daran beteiligen, das zu bekommen, was du willst.“

Wenn einer es wert war, dass sie die Initiative ergriff und ihn verführte, dann Parker Robinson.

Sie schluckte hart und räusperte sich. „Späte Termine sind bei mir nicht ungewöhnlich. Sag einfach Bescheid, wann du kommen kannst.“

Parker griff nach seiner Bierflasche. „Morgen Abend, halb zehn.“ Er nahm einen Schluck und fixierte Amber grimmig. „Du nimmst meine Maße, und ich verschwinde wieder.“

Seine schmalen Lippen und sein Tonfall besagten deutlich, dass die Sache für ihn damit erledigt war.

Doch für Amber fing sie gerade erst an.

4. KAPITEL

Am nächsten Abend um halb zehn zog Parker die Tür zu Ambers Brautmodenladen auf. Die Glocke über der Tür klingelte viel zu fröhlich für den Tag, den er hinter sich hatte. Der Miller-Fall war vorerst in einer Sackgasse gelandet und hatte damit die Leere in seinem Innern noch verstärkt. Taub und benommen hatte er sich durch den Tag geschleppt. Aber vielleicht hatte diese Taubheit auch schon vor Monaten angefangen.

Oder vor Jahren.

Er lockerte die verspannten Schultern und sah sich um. Das musste man dem Mädchen lassen, sie wusste, wie man einen Laden aufzog. Klasse bis ins Detail. Überall Parkett, endlose Reihen von Brautkleidern, Schleiern, Brautsträußen und Dekorationen aus Kunstblumen, Poster von Fotomodellen und unzählige Schüsseln mit … Rosenblättern!

Parker konnte es nicht verhindern, es schüttelte ihn.

„Keine Sorge“, hörte er Ambers Stimme hinter sich. „Niemand wird erfahren, dass du hier warst.“

Er drehte sich um – und Ambers Anblick warf ihn regelrecht von den Füßen. Wie war es möglich, dass eine schlaksige Teenagergöre sich in eine solche Schönheit verwandelt hatte? Das dunkelrote Haar floss ihr über die Schultern. Sie trug enge Jeans und ein Röhrentop, das sich um ihre Brüste schmiegte. Die lockere Seidenbluse mit den langen Ärmeln flatterte ihr luftig um Taille und Hüften. Sie sah jung und unschuldig und gleichzeitig sexy aus.

Und er … Mit dem Fall, an dem er gerade arbeitete, fühlte er sich alt und hart und verbittert. Er hatte die Nase voll von der gesamten Menschheit.

Amber schob den Riegel vor die Tür und drehte sich dann zu Parker um, ohne ein Wort zu sagen.

„Bist du so weit?“, fragte sie.

Was soll das denn heißen? „Ja, sicher.“

Er war schließlich kein Anfänger und weigerte sich, sich von einer halben Portion einschüchtern zu lassen, der er vor Jahren am Strand beigebracht hatte, wie man Krebse fing.

Während Parker Amber den Korridor hinunter folgte, ignorierte er ganz bewusst das verführerische Schwingen ihrer Hüften bei jedem Schritt. Es wurde leichter, als sie in einen großen Raum trat, in dem zwei Sofas, ein Sessel und ein niedriger Couchtisch standen – was wohl so eine Art Wohnzimmer darstellen sollte. Die Möbel waren in entsprechender Entfernung vor einem Podest mit Spiegelwänden zu drei Seiten postiert. Er war sicher, dass das Arrangement bei Tageslicht durchaus Sinn ergab, wenn man sich in einem Kleid von allen Seiten betrachten wollte. Doch im Moment schien ihm das Ganze eine fast … erotische Note zu besitzen, vor allem, da sie beide allein waren.

Verdammt, auf was habe ich mich da eingelassen?

„Zieh Jacke und Schuhe aus“, ordnete Amber an und deutete zu der Sitzgruppe.

Parker warf die Jacke über die Sessellehne und kickte sich die Schuhe von den Füßen.

„Äh …“ Ihr Blick blieb auf seiner Waffe und den Handschellen liegen. „Das Halfter auch.“

Aus irgendeinem Grund zögerte er.

„Was denn?“ Sie stemmte die Hand in die Hüfte. „Du hast nichts dagegen, Jacke und Schuhe auszuziehen, zögerst aber bei deiner Waffe?“

„Vielleicht gibt sie mir ja Sicherheit.“ Er grinste schmal. Offensichtlich wartete Amber darauf, dass noch etwas folgte, und so sagte er seinen Standardspruch auf. „Die meisten haben Respekt vor der Polizeimarke, aber meine Smith & Wesson respektiert wirklich jeder.“

„Hast du dich darum für diesen Beruf entschieden?“ Sie bedeutete ihm, sich auf das Podest vor die Spiegel zu stellen. „Wegen des Respekts?“

Die Leere in seiner Brust weitete sich sprunghaft aus. Verdammt. Er hatte nur einen Witz machen wollen, doch sie ging gleich zu den ernsten Themen über.