Weiblich, ledig, glücklich - sucht nicht - Gunda Windmüller - E-Book

Weiblich, ledig, glücklich - sucht nicht E-Book

Gunda Windmüller

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Über die Kunst, glücklich single zu sein – ein Debattenbuch mit hohem Identifikationspotential. Gunda Windmüller plädiert leidenschaftlich dafür, unser Bild von der bemitleidenswerten Singlefrau zu überdenken. Und sie macht Mut: Denn das Leben allein kann verdammt gut sein. Leider nimmt das den meisten Frauen ohne festen Partner nach wie vor kaum einer ab. «Was macht die Liebe? Hast du schon mal Online-Dating probiert?» Das ist gut gemeint, es schwingt aber immer mit: Was stimmt nicht mit dir? Die wichtigere Frage lautet jedoch: Was stimmt nicht mit einer Gesellschaft, in der allen Scheidungsstatistiken zum Trotz die dauerhafte Paarbeziehung nach wie vor als Nonplusultra gilt?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 370

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gunda Windmüller

Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht

Eine Streitschrift

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Über die Kunst, glücklich single zu sein – ein Debattenbuch mit hohem Identifikationspotential. Weiblich, Mitte dreißig, partnerlos – das klingt für viele nach tragischem Fall. Dabei sind die meisten Singlefrauen ganz zufrieden mit ihrem Leben. Nur nimmt ihnen das kaum einer ab. «Was macht die Liebe? Hast du schon mal Online-Dating probiert?» Das ist gut gemeint, es schwingt aber immer mit: Was stimmt nicht mit dir? Die wichtigere Frage lautet jedoch: Was stimmt nicht mit einer Gesellschaft, in der allen Scheidungsstatistiken zum Trotz die dauerhafte Paarbeziehung nach wie vor als Nonplusultra gilt? Gunda Windmüller plädiert leidenschaftlich dafür, unser Bild von der bemitleidenswerten Singlefrau zu überdenken. Und sie macht Mut: Denn das Leben allein kann verdammt gut sein.

Über Gunda Windmüller

Gunda Windmüller, geboren 1980, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin. Als freie Journalistin schrieb sie u.a. für Welt und ze.tt. Seit Anfang 2018 ist sie Redakteurin beim Newsportal watson.

Inhaltsübersicht

MottoEinleitungVon der LiebeDie klassische Beziehung – Du und ich, wir beide. Eine kleine GeschichteWie die Liebe wurde, was sie istÜber die FrauenKauf mich! Was der Liebesmarkt mit uns macht (und wie wir nicht bekommen, was wir wollen)Von Ratgebern und Schaumbädern: Die Geburt des SelbstzweifelsFrauen, ihr Ego und die Männerwunschwirklichkeit«Du findest ihn schon noch» – Wie Single Shaming funktioniertUnd was ist mit Kindern?Älter werden, alleineHin zur FreiheitAlles besser, als alleine zu sein?!Wie gut, dass wir uns haben – FreundschaftenWas auch noch wichtig ist: SexDie einzig wahre LiebeEntzieht euch!!!LiteraturDank

«Es kommt eine Zeit, da müssen wir entscheiden, ob wir uns ändern, um in die Geschichte zu passen, oder ob wir die Geschichte ändern.»

Laurie Penny, Unsagbare Dinge

Einleitung

Ich gebe es besser gleich zu. Ich bin Mitte dreißig. Ich bin nicht verheiratet. Ich habe keine Kinder. Ich bin weiblich, ledig, und ich bin glücklich.

Ich ahne, hier fangen viele an zu zweifeln. Das letzte Wort passt nicht ganz, meinen Sie? Weiblich, ledig und glücklich? Vor Ihrem Auge entsteht das Bild einer Frau, die trotzig etwas behauptet, das sie vielleicht gerade im Moment verspürt, aber doch nicht dauerhaft. Zumindest nicht in meinem Alter. Sie sind mit Ihrem Zweifel nicht alleine. Der Rest der Welt zweifelt auch. Einige an mir, einige an sich selbst und fast alle an uns. An uns Singlefrauen.

Mitte dreißig und Single. Mit diesen Merkmalen ist Selbstmitleid erlaubt, stand in einem einschlägigen Magazin.[1] Denn diese Eckdaten einer Existenz bedeuten auf den ersten Blick vor allem eines: In diesem Alter einen Partner auf Augenhöhe zu finden, wird schwer. Überhaupt einen Partner zu finden, wird schwer. In den Augen vieler Menschen bin ich daher ein ziemlich tragischer Fall.

Mitte dreißig, Single, keine Kinder. Das sind Eckdaten meiner Geschichte. Das sind aber nicht nur meine, es sind auch die Eckdaten vieler anderer Frauen und Männer. Die Zahl der Singles liegt in Deutschland bei circa 25 Prozent, sie ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. In Großstädten liegt sie noch höher.[2] Von den Frauen zwischen 40 und 44 sind gut 20 Prozent kinderlos, beinahe doppelt so viele wie noch im Jahr 1990.[3] Fast jede fünfte Familie hat eine alleinerziehende Mutter oder einen alleinerziehenden Vater. In neun von zehn Fällen ist es allerdings eine alleinerziehende Mutter.[4]

Diese statistischen Eckdaten sind wie Pflöcke im Boden einer Lebenserzählung. Sie helfen, eine Geschichte zu erzählen, sie aufzuspannen, sie zu ordnen, ihr einen Sinn zu geben, in dem man sich einrichten kann. Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus. Zwischen diesen Pflöcken kann jedoch alles Mögliche stecken, die Zwischenräume können ganz unterschiedlich aussehen. Ganz unterschiedliche Frauen mit ganz unterschiedlichen Leben. Frauen, die alleine gut klarkommen, Frauen, die schon ganz gerne mal wieder einen Partner hätten, Frauen, die die Dinge auf sich zukommen lassen, Frauen, die vom klassischen Beziehungsbild die Nase voll haben, Frauen, die unbedingt einen Mann brauchen. Und so weiter. Viele Geschichten, viele davon ziemlich glücklich. Und trotzdem. Was eigentlich nur Eckdaten sind, wird betrachtet, als sei es die ganze Geschichte. Sie scheinen für sich zu sprechen. Und das, was sie sagen, ist immer latent tragisch. Aus diesen Daten werden schnell Geschichten von einsamen Nächten und enttäuschenden Dates. Von Mädelsabenden mit zu viel Prosecco. Von tickenden Uhren und besorgten Freundinnen. Von Frauen, die sich die Zähne ausbeißen an der Frage: Warum will mich keiner? Ganz viele Klischees. Aber die so nachhaltig, dass viele sie glauben. Auch wir selbst, irgendwann.

«Offenbar ist eine alleinstehende Frau für viele immer noch das Schlimmste, ein vollkommen inakzeptabler Zustand», befand die CSU-Politikerin Ilse Aigner in einem Interview: «Man kann geschieden sein, zum vierten Mal verheiratet, man kann schwul, lesbisch, irgendwas sein. Aber alleinstehend, das geht nicht.»[5] Unverheiratete Politikerinnen müssen sich ab spätestens Mitte dreißig gefallen lassen, dass man ihnen Kompetenzen abspricht. Wer keine Kinder hat, dem fehlt die Empathie, wer keinen Partner hat, der muss folgende Schlagzeile über sich ergehen lassen: «Ilse Aigner – Fehlt ihr der Mann zur Macht?»[6] Kann man sich nicht ausdenken. Doch das Singlesein wird nicht nur für Politikerinnen zum «inakzeptablen Zustand».

Die Geschichte der alleinstehenden Frau ist grundsätzlich eine Geschichte der Verfehlungen. Singlefrauen sind egoistisch und kapriziös, aber sie sind auch ein Stück weit selbst schuld an ihrem Unglück. Singlefrauen! Man weiß gar nicht, ob man sie bedauern soll oder vielleicht doch lieber zurechtweisen.

Zusammengefasst zeigen diese Erfahrungen: Singlefrauen dürfen ihre Geschichten nicht selbst erzählen. Eine Geschichte von «weiblich, ledig, glücklich» klingt zu unglaubwürdig. Dabei lassen sich diese Geschichten sehr wahrhaftig erzählen. Man muss sie nur anders erzählen. Da winken die meisten schnell ab. Aber was, wenn wir es trotzdem tun? Was, wenn man eine andere Geschichte erzählen würde?

Meine Geschichte ist zum Beispiel eine andere. Ich bin Mitte dreißig. Ich habe sehr gute, enge Freunde. Ich habe einen Job, den ich richtig mag. Ich bin wirtschaftlich unabhängig. Ich treffe mich mit Männern. Ich freue mich, wenn ich die Kinder meiner Freunde sehe. Ich trinke gerne Prosecco, und Schuhe habe ich vermutlich auch mehr als genug. Aber das habe ich noch nie als Ausweis meines Scheiterns betrachtet. Ich bin nämlich ziemlich glücklich. Das ist das Leben, das auf meinen Eckdaten ruht. Mir fehlt kein Partner. Das ist meine Geschichte. Sie ist anders. Sie zu erzählen scheint einfach, oder? Aber das ist es nicht. Denn sie hat einen erheblichen Mangel. Denn mir fehlt natürlich trotzdem etwas. Mir fehlt eine Gesellschaft, die mir diese Geschichte zutraut.

Es gibt unzählige Analysen, die Frauen wie mir deutlich machen sollen, dass Selbstmitleid durchaus angebracht ist. Denn statistisch gesehen haben Frauen in den Dreißigern, die auf Partnersuche sind, lediglich die Chance, ihre Ansprüche nach unten zu schrauben – oder sich deutlich ältere Männer zu suchen. Die, die nicht noch auf dem Markt sind, sondern wieder. Secondhand sozusagen.

Und dann scheinen sich in den Eckdaten noch ein paar weitere kleine Teufel versteckt zu haben. Wer gut ausgebildet und ehrgeizig ist, möglicherweise sogar Karriere machen möchte, der kommt bei Männern nicht gut an. Das ist durch viele Studien belegt. Und wenn dann noch ein Kinderwunsch oder gar Kinder aus einer alten Beziehung dazukommen, wird das oft als bleischwerer Hemmschuh betrachtet. Zusammengerechnet sehen unsere Chancen auf dem Partnermarkt daher wirklich sehr düster aus. Fazit: Das Leben, das wir haben, nimmt uns das Leben, das wir haben sollten. Wenigstens in den Augen anderer.

Dabei könnten wir doch eigentlich ein anderes Urteil erwarten. Eine andere Geschichte, die man den Eckdaten unseres Lebens zutraut. Denn sind wir nicht eigentlich viel zu liberal für diese Rigorosität? Viel zu fortschrittlich? Die Gesellschaft, in der wir leben, akzeptiert schließlich mittlerweile Formen des Zusammenlebens, des Liebens und Begehrens, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Die Gesellschaft, in der wir leben, bietet auch Frauen so viele Chancen auf ökonomische Unabhängigkeit wie niemals zuvor. Frauen brauchen keine Versorger. Keine Beschützer. Keinen, der ihnen ein Konto eröffnet oder die Tür aufhält. Männer brauchen keine Frauen. Frauen brauchen keine Männer. Und trotzdem. Eine Frau ohne Mann ist immer weniger wert als ein Mann ohne Frau. Eine Frau ohne Mann ist eine einsame Frau. Sie muss es sein.

In Vier Hochzeiten und ein Todesfall wird Fiona gefragt, ob sie verheiratet sei: «Nein.» «Sind Sie denn lesbisch?» «Wie bitte? Wie kommen Sie denn darauf?» «Na ja, das machen doch einige unverheiratete Frauen heutzutage, und es ist eine Ecke interessanter, als einfach nur zu sagen, man hätte noch nicht den Richtigen gefunden, oder?»

Wenn schon nicht verheiratet, dann wenigstens interessant bitte. In den meisten Köpfen ist Mann-und-Frau die dominante Erzählung. Dass auch Frau-und-Frau ein ganzes Leben ist, wird als amüsanter Lückenfüller wahrgenommen. Mann-und-Frau gilt als die Norm. Ich werde mich daher in diesem Buch ausschließlich mit dieser Erzählung beschäftigen. Mit der Mann-und-Frau-Erzählung. Nicht, weil ich sie für richtiger halte, sondern weil sie die dominante Erzählung ist. Und dem kann man nur entgegentreten und widersprechen, indem man diese Erzählweise entlarvt und neue Geschichten erzählt. Andere Geschichten.

Warum ich immer wieder vom Erzählen, von Geschichten spreche? Und was das mit meinem Leben zu tun hat? Erzählt ist schließlich nicht gelebt. Nun. Doch. Denn durch Erzählungen bekommen wir überhaupt erst Zugang zu diesem Leben, zu dem, was wir für Welt halten. Ohne Erzählungen können wir uns die Welt gar nicht vorstellen. «Weiblich, ledig» ist ein Beispiel. Die meisten können sich kein Leben vorstellen, das sich mit diesen Eckdaten glücklich erzählen lässt. Erzählungen sind Leitplanken fürs Leben. Sie geben unseren Erlebnissen Sinn, sie organisieren unsere Erfahrungen. Sie spenden uns Trost, sie muntern uns auf, sie schrecken uns ab. Aber sie blenden auch aus. Denn es gibt immer Dinge, über die wir nicht sprechen. Die wir nicht erzählen. Die Fortschritte und Durchbrüche in der Geschichte von uns Frauen zeigen es: Wir haben schon viel erreicht, aber die Macht der Erzählung steckt uns Leitplanken ab, die uns auf ein begrenztes Repertoire an Geschichten einengt. Wir alle kennen diese Geschichten. Wir kennen sie von Vorabendserien, aus Hollywood, aus der Werbung, von Popsongs und aus Artikeln. Der rote Faden dieser Geschichten lautet: Ohne Mann ist eine Frau unvollständig, ist ihr Leben nicht komplett. Die Singlefrauen. Sie sind mindestens einsam. Denn niemand scheint sie gewollt zu haben. Aber was stimmt nicht mit ihnen?

Noch mal Statistik. Statistisch gesehen gibt es in der Altersspanne der Dreißigjährigen sogar mehr männliche als weibliche Singles. Aber Männer haben damit kein Problem. Ihnen wird damit kein Problem gemacht. Denn Männer haben eine andere Geschichte. Weil ihnen andere Geschichten zugetraut werden. Es sind Geschichten von reifer Schönheit im Alter, von beruflichem Erfolg, der mehr zählt als Glück im Privaten. Geschichten von nicht endender Zeugungsfähigkeit und dem Spaß, den nur sexuell aktive Bachelors haben können. Zwinker, zwinker. Männer haben jüngere Frauen und können sich deshalb jederzeit am Markt bedienen. Frauen haben ältere Männer, und ihr Markt wird immer kleiner, und Selbstbedienung gibt’s hier auch nicht. Ob Männer als Singles glücklich sind, ist nicht die Frage. Sie dürfen es sein, das ist das Entscheidende.

Frauen hier, Männer da. Venus und Mars. Lebemann und Emanze. Junggeselle und Katzenlady. Immer wieder. Wir sollen uns auf Augenhöhe begegnen, sollen gleichberechtigt sein, wollen gleichberechtigt sein, doch das Ungleichgewicht ist fest verankert. Ein Grund dafür ist: Wir hören keine anderen Geschichten. Wir haben zwar alle Sex and the City geguckt und kennen sie also eigentlich, diese unabhängigen, witzigen, lustvollen Frauen. Wir haben uns dabei gefreut über Vorbilder, denen Freundschaft alles schien. Die den Vorstellungen des angeblichen Mangels [oder: Makels] den manikürten Mittelfinger hingehalten haben. Doch dann kam die Wendung. Der unerbittliche Plot-Twist all dieser Geschichten. Der Traummann. Mr. Big. Mr. Right. Mr. Dann-arrangieren-wir-uns-halt.

Alleine können wir wohl nicht gewinnen. Alleine können wir kein Happy End erzählen. Keines, das uns jemand abnimmt. Ohne Liebe kein Ende. Diese Vorstellung begegnet uns immer wieder. Wir haben Freundinnen, die in Beziehungen sind, und irgendwann kommt immer die besorgte Frage nach unserem eigenen Liebesleben. Und immer wieder der gleiche Zuspruch in vielen Variationen: Das wird schon noch. Du wirst ihn finden. Du bist doch so toll. Und all die anderen haben dich halt nicht verdient.

Ich kann es nicht mehr hören!

Aber unser Umfeld lässt nicht locker. Denn unsere Geschichte kann, nein sie darf vorher nicht aufhören. Nicht bevor der Eine auf der Matte steht. Anders kann sie nicht rund werden. Sie kann auch nicht wirklich glücklich werden, denn zum Glück fehlt uns eben etwas Entscheidendes. Wir sollen uns einfach noch mehr anstrengen. Unsere Freunde sagen: Du musst andere Leute kennenlernen. Probier doch mal Tinder.

Also ja, Singlefrauen, wir haben ein Problem. Es ist ein persönliches und es ist ein gesellschaftliches Problem. Es ist persönlich ein Problem, weil man Menschen nur eine gewisse Zeitlang erzählen kann, wie ungenügsam sie sind, bevor sie es irgendwann glauben. Es ist aber auch gesellschaftlich ein Problem, da es zeigt, wie ungleich Frauen und Männer nach wie vor behandelt werden. Und die Wahrheit, die eigentlich keine war, sickert ein. «Ich bin Mitte dreißig. Ich bin Single.» Diese Aussage schreit förmlich nach Rechtfertigung, und zwar nur, weil ständig eine Rechtfertigung verlangt wird, so lange, bis wir uns freiwillig rechtfertigen – und nachts nach neuen Gründen suchen. Ein Zwiespalt entsteht. Das gute, selbstgewählte Leben steht auf der einen Seite, das Leben, das andere als unser Ideal ausgemacht haben, auf der anderen. Wir sind abgeschnitten von etwas. Das belastet auf Dauer. Und klar, dann wird man tatsächlich unglücklich.

Frauen können angeblich mittlerweile alles haben, aber wenn wir nicht alles haben wollen – Karriere, Mann und Kinder –, dann wird uns das Lebensglück missgönnt.

Zwischen diesem «Alles haben können» und dem Urteil «Nicht glücklich» liegt die Suche nach einem Partner. Wenn sie scheitert, zeigt der Daumen unerbittlich nach unten. Ein Ende ohne Liebe ist ein unvollkommenes Ende, lautet die Moral. Aber diese Moral ist nicht wahrhaftig. Und sie ist auch nicht die ganze Geschichte. Deswegen müssen wir neue Geschichten erzählen, und wir müssen sie vor allem laut erzählen. Denn als Frauen können wir uns nicht nur für bessere Bezahlung und politische Teilhabe einsetzen, wir müssen zugleich auch unser Privatleben von alten Rollenbildern befreien. Von alten Rollenbildern und phantasielosen Geschichten.

Leben kann glücken ohne dauerhaften Partner. Das ist die These dieses Buches. Wir brauchen dafür aber ein neues Rollenbild. Nennen wir es Selbstbestimmung. Nennen wir es unsere eigene Erzählung. Sie sollte unser Imperativ werden!

Aber um dahin zu kommen, müssen wir erst verstehen, warum es so unglaubwürdig klingt, wenn eine Frau sagt, sie sei alleine glücklich. Warum es klingt, als würde sich da jemand das eigene verkorkste Leben schönreden. Um das zu verstehen, muss man verstehen, was aus der Liebe in unserer Gegenwart geworden ist. Warum sie so eine zentrale Stellung einnimmt und warum die romantische Paarbeziehung als Gradmesser für glückendes Leben einsteht. Wir müssen verstehen, warum dieses Ideal der romantischen Zweierbeziehung so stabil ist. Was erwarten wir von der Liebe und was glauben wir, was uns fehlt, wenn wir nicht romantisch lieben?

Dazu müssen wir zunächst verstehen, wie dieses Ideal funktioniert. Wie es erzählt wird. Die Liebe zu zweit, die Liebe in der Zeit, in der wir leben. Und wir müssen verstehen, was wir der Liebe antun, wenn wir so viel von ihr erwarten. Diese Fragen werde ich im ersten Teil dieses Buches angehen. Dabei werde ich beschreiben, was Soziologen dazu zu sagen haben, welche Rolle die Industriegesellschaft und die Literatur dabei spielen und wie sich all das auf unsere Gefühle auswirkt.

Aber es gilt nicht nur, die Liebe zu verstehen. Wir müssen außerdem verstehen, wie der Markt der Liebe funktioniert, wie die Liebe zur Ware wurde und welche Rolle wir Frauen dabei spielen. Wie Single Shaming funktioniert und warum Single zu sein für Frauen immer noch etwas anderes ist als für Männer. Und das liegt auch an der Mutterrolle, die für Frauen etwas Besonderes sein soll. Ich werde daher auch über alleinerziehende Singlefrauen schreiben, über Singlefrauen mit Kinderwunsch und über Frauen, für die eigene Kinder aufgrund ihres Alters keine Rolle mehr spielen. Auch ältere Singlefrauen wollen glücklich sein. Sie haben ein Recht dazu.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Kein Leben funktioniert ohne Beziehungen und ohne Liebe. Ohne Mitgefühl und ohne Engagement. Aber als Single kann man all das auch erfahren. Das möchte ich zeigen. Man kann sich natürlich trotzdem eine Beziehung wünschen, das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass der Beziehungsstatus uns nicht bestimmt. Ich liefere Argumente gegen die Sicht, die Singlefrauen als Mängelwesen abstempelt. Dabei werde ich auch zeigen, wie wir uns selbst neu erzählen können.

Es wird um unglückliche Beziehungen gehen und die Befreiung davon. Es wird auch viel um uns selber gehen, um das, was wir wollen. Und wie wir es bekommen. Was wir brauchen, sind Freundschaften, Nähe, auch Sex. Auch darüber werde ich schreiben. Singlefrauen müssen zwar nichts, aber sie können alles. Darum wird es im dritten Teil gehen.

Worum es nicht gehen wird, ist, wie man einen Mann findet. In diesem Buch ist keine Betriebsanleitung dafür, wie Frau sich einen Mann angelt, versteckt, und wenn doch, dann sagen Sie mir Bescheid. Wir klären das.

Es geht um Geschichten. Meine, deine/Ihre, unsere Geschichte. Ich habe mit Frauen gesprochen, die mir ihre Geschichten erzählt haben. Frauen in ihren Dreißigern, Vierzigern, Fünfzigern und weit darüber hinaus. Geschichten ohne Männer, Geschichten mit Männern. Ich habe mit Psychologen gesprochen und Experten für Soziologie. Und ich habe mich in einer Industrie umgehört, die das beschriebene Rollenbild als Geschäftsmodell betreibt.

Bei all dem will ich die Liebe nicht begraben und Männer nicht für unnütz erklären. Auf keinen Fall! Ich möchte die Liebe eher befreien. Wer die Liebe befreit, weiß nicht, wohin die Geschichte führt. Ich weiß nicht, wie meine Geschichte weitergeht. Noch, wie andere Geschichten, von denen ich berichte, weitergehen. Ich weiß nicht, ob ich nicht in einem Jahr verheiratet bin. Und Mutter. Oder Mutter. Das ist allerdings auch völlig egal. Es ändert nichts daran, dass meine Geschichte keinen Prinzen braucht, um ein Happy End zu haben. Ich glaube nicht an die Moral solcher Märchen. Ich glaube an das Leben und die Kraft von Erzählungen. Und deswegen wird kein Prinz vorkommen aus einem ganz einfachen Grund: weil er nicht vorkommen muss.

Von der Liebe

«Aber was die Welt sagt und was in den Büchern steht, das kann nicht länger maßgebend für mich sein. Ich muß selbst nachdenken, um in den Dingen Klarheit zu erlangen.»

Henrik Ibsen, Nora, ein Puppenheim

 

«Love is ain’t dead.»

Graffito, Hauswand, Köln-Ehrenfeld

Die klassische Beziehung – Du und ich, wir beide. Eine kleine Geschichte

Markus war blond und trug hellblaue Shorts. Die Sonne schien kräftig, wir liefen auf einer Wiese um die Wette. Grashalme zwischen den nackten Zehen und irgendwann waren wir völlig außer Atem. Schließlich blieb er stehen, meine Chance war gekommen: «Willst du mich heiraten?», fragte ich.

Er und seine Freunde schauten mich kurz perplex an: «Waaaaaahhh!», riefen sie im Chor und rannten weg. Ich blieb alleine stehen.

Markus und ich waren zusammen im Kindergarten. Er hatte einen ein Jahr älteren Bruder, und wir spielten Fangen und Verstecken, und durch ein Loch im Zaun seiner Nachbarn konnte man direkt auf den Spielplatz kriechen. Das sehe ich noch vor mir. Ich habe ihn damals auch mehr als einmal gefragt, ob er mich heiraten will. Wie Kinder das halt so machen. Er wollte nie. Irgendwann schämte ich mich für die Frage und war froh, dass wir nicht auf die gleiche Grundschule wechselten.

Ich erinnere mich an diese Geschichte, weil sie mir heute wie eine Art Initialerlebnis vorkommt. Sie ist die erste von vielen Erinnerungen an etwas, das ich für Liebe hielt. Der kindliche Traum von Zweisamkeit. Erwachsene nachmachen. Hochzeit spielen. Wie wir das damals so machten: Mit einer alten Gardine auf dem Kopf standen meine Freundin Nina und ich als Brautpaar im Wohnzimmer meiner Eltern. Und ich mochte Nina auch deswegen so, weil sie die Einzige war, der es egal war, wenn sie bei unserem Spiel der Mann sein musste. Mann war langweilig. Gardine auf dem Kopf war schön.

Wir spielten Hochzeit, wir spielten Babys umsorgen, wir spielten aber auch Räuber und Gendarm und Indiana Jones. Ich wollte Rockstar werden oder Lehrerin. Ich bekam einen Physik-Spielkasten geschenkt, und vor jedem Brautmodengeschäft blieb ich lange stehen und schaute mir sehnsüchtig die Auslage an. Ich wollte ein Kleid mit Schleppe, und ich hatte Namen für meine zukünftigen Kinder.

Das mit der Hochzeit und den Kindern war damals noch ganz weit weg. Und es ist immer noch weit weg. Denn mehr als dreißig Jahre sind vergangen, und ich habe auch in echt noch nicht geheiratet. Kinder habe ich auch nicht. Aber ich weiß, jetzt ist das ein Problem.

Es ist ein Problem, weil ich mit dieser Geschichte an den Erwartungen vorbeischramme, die man an eine Frau in meinem Alter hat. Überhaupt an Frauen. Mann finden, Kinder kriegen. Ganz simpel, könnte man meinen, und vielleicht damit auch etwas, das wir einfach ignorieren könnten – weglächeln und weitermachen. Aber diese Erwartungen lassen sich leider nicht so einfach weglächeln. Dafür sind sie zu fordernd. Sie fordern ja auch ganz schön viel von uns: ein anderes Leben in letzter Konsequenz. Sie fordern eine klassische Beziehung, eine Beziehung zu einem Mann, mit viel Liebe, irgendwann Nachwuchs bestenfalls. Diese Erwartung kommt uns sogar ganz normal vor, ganz natürlich.

Aber das ist sie nicht. Wenn wir heute von Beziehungen reden, von Liebe, von Ehe und Partnerschaft, reden wir über ein Modell, das es erst seit ein paar hundert Jahren gibt. Dieses Modell hat sich historisch entwickelt. Und es ist dabei so wirkmächtig geworden, dass es uns heute wie selbstverständlich vorkommt. Die romantische Zweierbeziehung ist aber keine Selbstverständlichkeit. Sie ist ein Modell, kein Garant für Zufriedenheit oder Vervollkommnung. Und doch kommt es uns oft so vor. Das liegt allerdings nicht an der dahinterliegenden Wahrheit – denn die gibt es nicht –, sondern an der Macht ihrer Erzählung. Wer also verstehen will, wieso diese Erzählung so mächtig geworden ist, muss sich die Anfänge der Geschichte angucken. Muss sich anschauen, wie die Romantik erzählt wird, wie die Liebe erzählt wird und warum Singlefrauen in diesen Erzählungen so schlecht wegkommen. Dabei wird es nicht nur um Geschichten gehen, sondern auch um Gesetze, um Eheverträge und tote Philosophen.

Ich nehme mir in diesem Kapitel die Geschichte der romantischen Zweierbeziehung vor, im Kapitel darauf die Geschichte der Liebe. Denn ja, auch die Liebe ist nicht schon immer dieselbe gewesen. Aber erst mal zurück in den Alltag von heute. Zurück zu dem eigentlichen Problem: Ü30, nicht verheiratet, keine Kinder.

Es wird mir nämlich als Problem nahegelegt, immer wieder. Wie vor ein paar Jahren in meiner Stammkneipe. Es war zu einer Uhrzeit, bei der man beim Blick auf die Uhr erschrocken in die Runde fragt, ob es wirklich schon so spät ist. Wir saßen in der üblichen Runde zusammen, drei Männer, zwei Frauen, alle irgendwie zwischen Ende zwanzig und vierzig. Und Anton. Älterer Herr, gut gelaunt, aber in der Regel in sein Privatbier vertieft. Ich ging auf die Toilette, und als ich wiederkam, grinste mich Thomas an: «Weißt du was? Anton schenkt mir ein Auto!» «Is’ ja nett. Einfach so?» «Ne, nur wenn ich dich heirate. Er meint, das würde bei dir langsam Zeit.» Wir mussten lachen. Thomas und ich waren nicht zusammen, auch nie gewesen. Er ist zehn Jahre älter als ich. Auch er ist nicht verheiratet. Aber ich war diejenige, die vom Markt musste. Die offensichtlich irgendwie ein Problem war, so als Single. Als Singlefrau.

Eine kleine Geschichte, ich weiß. Aber eine Geschichte von vielen. Ich könnte sie von Frauenarztbesuchen erzählen, von Familienfeiern und Hochzeiten, von Kollegen und der Bemerkung von Frau Wieland im vierten Stock. Von Geschichten aus Filmen und Serien. Auch von Freunden: «Bist du denn nicht allein?», «Ich verstehe nicht, warum du keinen Freund hast», «Und wie ist es dann mit Kindern? Sooo viel Zeit hast du ja nicht mehr!».

Als Single ist man als Frau ein Mängelwesen. Irgendwas fehlt, irgendwas fehlt immer. Auf jeden Fall fehlt schon mal ein Mann, eine romantische Beziehung, und dann gibt es irgendwann den Verdacht, dass es dafür schon einen Grund gibt.

Mit der stimmt doch was nicht.

Viele dieser Unterstellungen kommen auf Samtpfoten daher, man spürt sie kaum. Nur wenn sie zu viel werden – immer wieder das augenzwinkernde «Und?!» der Freundinnen –, fangen sie an, eine fiese Macht zu entfalten. Viele dieser Unterstellungen kommen aber auch gar nicht leise daher. Sondern sehr laut, Plakatgröße: Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück, «Jennifer Aniston, schon wieder sitzengelassen», «Alleinstehende Frau lebte jahrelang mit der Leiche ihrer Mutter». Der Single soll wissen, «dass er etwas verpasst».[1] So was schreiben sogar Frauen über Frauen. Denn sie alle meinen zu wissen: Mit uns stimmt irgendetwas nicht.

Wer verstehen will, woher diese Unterstellungen, dieses ewige Mantra des «Du sollst einen finden» kommen, der muss ein wenig zeitreisen. Muss nachschauen, woher es rührt, dass wir von Hochzeiten in Weiß träumen und von Märchenprinzen. Woher es kommt, dass wir vom Blitz getroffen werden wollen, den «Richtigen» suchen, nicht finden und trotzdem nicht aufhören, von ihm zu träumen. Warum wir glauben, dass sich das komplette Glück nur in der Kombination «Mann, Frau, du und ich, wir beide» erringen ließe.

Und das heißt auch, dass man schauen muss, was es heißt, eine Frau zu sein. Welche Rolle uns dabei zugedacht wird. Und dabei Stück für Stück, Schicht für Schicht von dieser Rolle abzukratzen, sie freizulegen, um zu sehen, was dahintersteckt. Dabei werden wir merken, wie diese Rolle uns zuschüttet, lebendig begräbt. Wie das, was nach Freiheit riecht, manchmal doch nur ein Zwang zur Konformität ist. Ein Zwang zum Glück, der nachts, wenn wir allein im Bett liegen, in unser Bewusstsein schleicht. Und uns erst sacht, dann drängender so richtig Angst macht. Wir leiden. Aber wir leiden vielleicht nur, weil wir es so gelernt haben.

Wie wir Mädchen gelernt haben und was das mit der Liebe zu tun hat

Wir lernen, woran man ein Mädchen erkennt. Wir lernen, wie man als Mädchen erkannt wird. Wir lernen, wie man ein Mädchen ist.

Wir lernen: Lächeln macht schön, und schön sein ist wichtig. Wir lernen: Mathe ist schwierig, und richtig schlau sind vor allem Jungs. Jungs sind manchmal etwas gemein. Leise ist besser als laut. Und stumm ist im Zweifel am allerbesten.

Wir haben das alle gelernt. Nicht nur und nicht so explizit, natürlich nicht. Aber sehr eindrücklich. Wenn es so dasteht – «Mädchen lernen» – kommt es uns übertrieben vor. Zu einfach, längst überholt. Doch dann stehen wir in einem Spielzeugladen und möchten ein Geschenk für ein kleines Kind kaufen. Und wir sehen blaue Schlafanzüge mit Astronauten und rosa Bademäntel mit Krönchen. Und wir merken, wie Mädchen gelernt wird. Wir können es uns gar nicht aussuchen.

Blau und rosa. Wir lernen die harten Klischees. Und wir lernen noch mehr. So vieles auch, was wir gar nicht merken. Wir hören es von unseren Eltern, von Lehrern und Verwandten. Wir sehen es bei ihnen. Wir sehen es, wenn wir die Straße betreten, Bilder, Menschen und noch mehr Bilder. Wir sehen es auch im Fernsehen, lesen es in Büchern. Wir sehen es in unseren Vorstellungen, wenn wir lesen. Und dann ist es das kaum Sichtbare; es sind die kleinen Gesten, Augenaufschläge. Es ist die Eilfertigkeit, mit der wir etwas tun. Oder uns gar nicht zuständig fühlen. Wie Menschen auf uns reagieren, was sie uns zutrauen, was sie vor uns verheimlichen und was sie glauben, was sie mit uns machen dürfen. Und wenn es sichtbar wird, wenn es spürbar wird und weh tut, können wir uns oft nicht richtig wehren. Mädchen machen so was nicht, sich wehren. Das haben sie nämlich nicht gelernt, und eigentlich gehört es sich auch nicht.

Wir mögen diese Aussagen übertrieben finden, mögen glauben, dass wir das selbst noch nie so schlimm erlebt haben, weil wir anders aufgewachsen sind. Und ja, wir sind auch nicht nur Mädchen. Nicht nur Frauen.[1] Wir sind auch andere Dinge, unsere Identität ist nicht nur Geschlecht, nicht nur Gender.

Wir sind ja womöglich auch alles andere als ein typisches Mädchen geworden, haben uns ganz entgegen dieser gerade aufgezählten Stereotype entwickelt – und doch reden wir immer wieder mit Freundinnen darüber, warum wir so schlecht ein besseres Gehalt aushandeln können. Warum wir immer im Büro die Spülmaschine ausräumen. Warum wir so zugenommen haben. Warum er so wenig im Haushalt macht. Warum wir uns nicht trauen, mal «nein» zu sagen. Warum es wichtiger ist, dass er beim Sex kommt. Warum unsere Uhr so laut tickt. Warum wir uns so oft bevormundet vorkommen. Warum wir manchmal eine Wut spüren, die nicht weiß, wohin.[2]

Und, wenn wir Single sind: Warum es uns so fertigmacht.

Mädchen zu lernen, gelernt zu haben, ist nicht banal, es ist nicht unwichtig. Es reicht ganz weit in unser Leben hinein. Es hört nicht auf bei Kindergeschichten und der Frage, wer schon immer gerne auf Bäume geklettert ist. Es geht genau da sogar richtig los. Und es bleibt an uns oft genug hängen, als hätte es Widerhaken, dieses Mädchen.

Dafür gibt es auch handfeste Beweise. Ein paar Beispiele: In einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigte sich, dass sich Jungen in Mathematik deutlich begabter als Mädchen einschätzen.[3] Und zwar schon ab dem fünften Schuljahr. Diese Selbsteinschätzung blieb bis zur einschließlich zwölften Klasse bestehen – obwohl die entsprechenden Schulnoten die Einschätzung nicht rechtfertigten.

Eine Studie dreier amerikanischer Universitäten betrachtet, wie kleine Kinder Intelligenz in Bezug auf ihr eigenes Geschlecht einschätzen.[4] Dabei stellte sich heraus, dass Mädchen sich bereits mit sechs Jahren für weniger schlau als Jungs halten. Entsprechend trauten sie sich auch anspruchsvollere Aufgaben weniger zu. Und das hat Auswirkungen auf das weitere Leben. Weniger Frauen in MINT-Studienfächern und weniger Frauen in Berufen, die populärem Verständnis nach intellektuelle Brillanz erfordern, wie den Naturwissenschaften. Diese Verbindung zeigten Psychologen aus den USA.[5] «Obwohl das Stereotyp, das Brillanz mit Männern gleichsetzt, nichts mit der Realität zu tun hat, kann es die Wünsche und Karrierepläne von Mädchen negativ beeinflussen», erklärt Andrei Cimpian, einer der Autoren der Studie.[6]

Jungs sind schlauer, Mädchen sind schöner. Eine weitere Erhebung in den USA hat herausgefunden, dass amerikanische Eltern im Internet zweimal so häufig nach der Frage «Ist mein Sohn ein Genie?» suchen wie nach «Ist meine Tochter ein Genie?».[7] Die Frage «Ist meine Tochter übergewichtig?» hingegen wurde 70 Prozent häufiger gesucht als ihr Pendant. Dabei sind Jungen in den USA durchschnittlich eher von Übergewicht betroffen als Mädchen. Das sind nur ein paar Beispiele. Ich könnte, wirklich, noch sehr lange weitermachen.

Jungs sind schlauer, Mädchen sind schöner. Das muss also gar nicht stimmen, damit wir es glauben. Es ist eine Erzählung. Aber solange wir ihr glauben, handeln wir auch danach.

Wir lernen, Mädchen zu sein. Und das heißt auch, dass wir lernen, was von uns erwartet wird, wenn wir Frauen sind. Und hier kommt wieder die Liebe ins Spiel.

«Wenn du mal groß bist …» – wie oft haben wir diesen Satz als Kinder gehört. Der Satz hat genervt und wütend gemacht, aber er war auch vielversprechend. Denn in diesem Zukunftsland am Horizont gab es nicht nur unendlich Süßigkeiten und die eigene Entscheidung, wann es Zeit fürs Bett ist, es gab auch Prinzen. Schlösser, in die wir einziehen. Kinder, die wir im Arm halten. Es gab diese märchenhaften Versprechen für unsere Zukunft als Frau. Als Kinder haben wir sie vielleicht nicht ganz so ernst genommen, aber sie sind bei uns geblieben, sie waren einfach so verführerisch. Mit ihren goldenen Schuhen, den Kutschen und der Liebe, die bis ans Ende aller Tage hält.

Das sind Märchen, klar. Kindheitserinnerungen und Träume.

Doch Märchen sind nicht die einzigen Geschichten, die unsere Wahrnehmung und damit unser Leben prägen. Es sind auch nicht nur Geschichten, die unser Leben prägen. Aber diese Geschichten sind kraftvoll. Das merken wir, wenn sich das Brennglas der Zeit auf uns richtet und wir realisieren, dass wir schon so alt sind wie die böse Hexe und immer noch kein Prinz vorbeigekommen ist. Wenn er käme, müssten wir ihn sehr wahrscheinlich wie Hänsel in einen Käfig sperren, damit er bleibt. Uns passt einfach kein Schuh. Und wir passen nicht in unsere Geschichte. Kein Happy End, kein Ende ohne Liebe.

Das, zumindest, ist unsere Angst. Es ist die Angst, die man uns anerzogen hat.

Märchen hören nicht auf, zu uns zu sprechen, nur weil wir älter werden. Älter und erwachsen. Rollenbilder sind hartnäckig. Sie verändern sich, verdichten sich. Wir sind unabhängige Frauen, wir verdienen unser eigenes Geld. Wir ziehen mit Freundinnen um die Häuser und schauen uns Männer an, als wären wir im Supermarkt: «Der da?! Nicht dein Ernst!» Aber wir melden uns nicht als Erste.

Geschlechterrollen sind schon immer vor uns da. Sie setzen sich mit uns auf den Barhocker, sie scannen mit uns den Raum nach einem Typen, der irgendwie so aussieht, als könnte da was gehen. Wir können diese Geschlechterrollen nicht austricksen, selbst wenn wir mal jemanden nach seiner Nummer fragen. Frausein ist auf uns eingeprägt. Frausein ist nichts, was wir uns in der Gegenwart von anderen erst überstreifen. Es ist nichts, was wir mir nichts, dir nichts loswerden können, wie einen BH, den wir verbrennen, oder ein Kleid, das wir in die Tonne kloppen. Wir können es nicht einfach loswerden.[8] Denn Frausein ist keine Kaufentscheidung.[9] Es ist eher ein Habitus. Es ist da.

Zum Frausein gehört auch, dass wir einen Mann brauchen. Eine Beziehung wollen. Eine Beziehung zu einem Mann. Als Kinder schon haben wir gelernt, wen wir begehren sollen. Wie wir begehren sollen. Mädchen und Junge, das gehört zusammen. Und irgendwann werden wir ein Paar. Wir glauben, das soll so sein. «Anders kann man ja auch keine Kinder kriegen!» Solche Sätze machen aus ein paar biologischen Gegebenheiten eine gesellschaftliche Wahrheit. Diese gesellschaftlichen Wahrheiten werden dann allerdings nicht als gesellschaftlich, sondern selbst als biologisch empfunden. Als sei Vielfalt nicht natürlich, obwohl die Natur uns doch so vielfältig angelegt hat. So stark ist die Macht dieser Wahrheiten.

Wir lernen: Wir brauchen einen Mann. Das gehört zum Frausein dazu. Durch einen Mann erst können wir ganz zu uns selbst finden. Alles ausschöpfen, was dieses Frausein hergibt: Geliebte sein und Mutter. Es scheint uns, als müssten wir das alles. Weil es in der unsichtbaren Gebrauchsanweisung zum Frausein so drinsteht.

Schon im Märchen blieben nur die Bösen Single. Und landeten irgendwann im Ofen, weil sie Kinder kochen wollten, aber dann auch noch von ihnen ausgetrickst wurden. Denn Hexen sind eigentlich auch dämlich. Es mag überzogen sein, einen Zusammenhang zu ihrem Singledasein zu sehen. Aber vielleicht auch nicht ganz.

Wir haben diese Geschichten huckepack mitgenommen in unser Leben, unbedarft wie Hans im Glück, mit dem festen Vertrauen darauf, dass wir uns auf ein Happy End zubewegen. Als Kinder konnten wir uns zum Glück auch nicht vorstellen, dass das Leben nicht für jeden einer Autobahn gleicht. Da dachten wir noch, einen Mann zu finden gehöre so sicher zum Erwachsensein wie Führerschein, Schulabschluss und der Auszug aus dem Elternhaus. Es würde schon irgendwann passieren. Es müsste ja irgendwann passieren. Aber dann passierte nichts. Oder immer nur genau so, wie wir uns das eigentlich nicht gedacht hatten.

Aber weil wir ja unabhängige Frauen sind, haben wir irgendwann angefangen, uns ein wenig von diesem ganzen Beziehungs-Buhei freizumachen. Wir haben eine unglückliche Beziehung beendet und uns vorgenommen, uns jetzt mal wieder um uns selber zu kümmern. Wir haben uns ein neues Top gekauft und sind mit gestrecktem Kinn raus in die Welt, haben der Enttäuschung von gestern noch kurz mit den High Heels einen Tritt verpasst und uns frei gefühlt. So frei! Ab jetzt wird die Liebe nüchtern angeschaut, haben wir uns vorgenommen. Traumprinzen gibt es eh nicht. Wir dachten also, wir hätten den Traum davon im Kinderzimmer begraben. Wir dachten, wir wären jetzt frei. Aber klammheimlich haben wir auch gedacht: «Für den Richtigen!»

Und dann stehen wir wieder ganz frei in einer Bar und scannen den Raum nach jemandem ab, der «es» sein könnte. Was «es» ist? Im Zweifel einfach irgendein Mann. Nur nicht wieder allein nach Hause. Nur nicht wieder umsonst so lang im Bad gestanden. Nur nicht wieder die Freundinnen, die behaupten, der eine hätte doch die ganze Zeit herübergeguckt, man hätte halt mal auf den zugehen müssen. Nur nicht wieder Nummerntausch, und dann meldet sich keiner. Wir schrauben unsere Ansprüche ja schon runter. Schloss und Krone braucht kein Mensch, aber wenigstens einen, der mal zurückruft. Wenigstens einer, der mal was fragt. Wenigstens einer. So sieht es also aus, wenn man über Märchen siegt.

Singlefrauen und ihr Schicksal

Aus den Geschichten unserer Kindheit sind wir zwar ausgezogen, aber im Erwachsenenalter lauern die Upgrades. Wir suchen es uns nicht aus, wie wir fühlen, aber wir können fast überall nachschauen, wie wir uns dabei zu verhalten haben. Bridget Jones, die Single-Heroine des jungen Jahrtausends, hat dafür so etwas wie die Blaupause abgegeben. Sie sitzt im Kinderschlafanzug mit Popcorn und einem Zahnputzbecher voller Chardonnay auf dem Wohnzimmerteppich und jault «All by mysehehelf» in die einsame Wohnung.

Da ist sie. Die Singlefrau in ihrem natürlichen Habitat. Es fehlt nur noch Jacques-Yves Cousteau, der ihr Leben aus dem Off erklärt: «Was Sie hier sehen, ist ein Singleweibchen. Wenn sich ihm ein Männchen nähert, wird es ganz zutraulich. Es gibt bereitwillig alle seine Vorräte ab und putzt sich jedes Mal, wenn das Männchen wegschaut.»

Die Singlefrau ist eigentlich noch Kind. Das sieht man an ihrem Pinguin-Schlafanzug. Aber sie ist auch voller erwachsener Sehnsüchte nach der Liebe. Die kann man in ihrem Tagebuch nachlesen; dem Tagebuch, dem sie anvertraut, wie groß die Liebeslücke ist, die sie spürt. Diese Lücke stopft sie mit Alkohol und Zigaretten und schreibt jeden Tag auf, wie gut das geklappt hat: «Alkohol: 5 Einheiten (nicht so gut), Zigaretten 48 (ging nicht anders), negative Gedanken 942 (schätzungsweise, pro Minute), Minuten, in denen ich die negativen Gedanken gezählt habe 127 (ungefähr).»[1]

«Ich werde alleine bleiben. Irgendwann wird man meine von Hunden zerfressene Leiche in der Wohnung finden.» Bridget Jones hat Humor. Aber sie hat auch Angst.

Zu Recht.

Am 21. März 2018 titelte die britische Daily Mail:[2] «Ältere alleinstehende Tochter lebte mit dem zersetzenden Körper ihrer Messie-Mutter, 87.» Als Single bleibt man Tochter, man wird nicht Frau, es ist, als würde einem das Erwachsensein abgesprochen. Und wenn wir nicht aufpassen, ergeht es uns wie der Frau aus dem Artikel: Sie hatte so viel Müll angesammelt, dass er schließlich über ihr zusammenbrach. Die Polizei musste sie befreien.

Schicksal. Wenn wir Singles bleiben.

Singles haben keinen guten Ruf, immer noch nicht. Die Zeiten ändern sich, aber sie ändern sich langsam, sehr langsam. Die Psychologin Astrid Schütz hat gemeinsam mit Kolleginnen eine Studie zur Einstellung gegenüber Singles durchgeführt. Singles entsprechen nicht der Norm, sie weichen ab und werden so nicht durch das gesehen, was sie haben, sondern durch das, was sie nicht haben. Was ihnen angeblich fehlt. Bei der Studie stellte sich heraus, dass Singles deutlich anders als Paare wahrgenommen werden: «Singles werden als trauriger und einsamer als verheiratete Menschen wahrgenommen sowie als weniger warm und mitfühlend.»[3] Sogar Singles selbst nehmen andere Singles als negativer wahr.

Wer glaubt, dass es Zufall ist, dass sich Singles schlechter fühlen und einen schlechteren Ruf haben, bemitleidet und bedauert werden, der bekommt nicht nur in Märchen oder Filmen, sondern auch in solchen Studien Auskunft über die Welt, in der wir leben. Über eine Welt, in der die Initiative hauptsächlich vom Mann ausgehen soll. Über eine Welt, in der Frauen dankbar sind, wenn ein Mann sie erwählt. Eine Welt, in der eine Paarbeziehung per se als erfüllender betrachtet wird, als keine zu haben.