Weihnachten könnte so schön sein - Jens Steiner - E-Book

Weihnachten könnte so schön sein E-Book

Jens Steiner

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Beschreibung

Ein diebischer Nikolaus in Nöten, große Verwirrung an Heiligabend und die Heiligen Drei Könige im ICE. Frohe Weihnachten! Advent und Weihnachten, die Zeit der Liebe und Besinnlichkeit? Weit gefehlt! Oder warum hängt der Nikolaus in der Weihnachtsbeleuchtung über einer belebten Fußgängerzone fest – mit einem Sack voll Diebesgut? Und was für ein Schreck für den kleinen Enkel, als sein Opa am Heiligen Abend leblos im Sessel sitzt – gerade nachdem er ihm die Kekse stibitzt hatte. Am 6. Januar dann diese drei merkwürdigen Herren im ICE von Hamburg nach Karlsruhe. Um sie herum ein ungewöhnlicher, angenehmer Duft. Ist es Weihrauch? In drei humorvoll-warmherzigen Geschichten erzählt Jens Steiner von einem mächtig schlechten Gewissen, von Beziehungsstress an den Feiertagen und von Liebe und Vergebung. Weil Weihnachten ist.

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Seitenzahl: 82

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Jens Steiner

Weihnachten könnte so schön sein

Roman

Ein Sack voll Wünsche

Heck steckte in der Krise, und das schon seit einer geraumen Weile. Angefangen hatte alles vor einem Jahr minus ein paar Zerquetschte: Am zweiten Adventssamstag hatte das Barometer erstmals auf Sturm gestanden, danach war es Schlag auf Schlag gegangen. Bereits am Heiligen Abend hatte er mit dem Gedanken zu spielen begonnen, der Sache bald ein würdiges Ende zu bereiten, und in der Neujahrswoche war es so schlimm geworden, dass er sich umgehend Lasker anvertrauen musste. Das war der Anfang vom Ende seiner ruchlosen Laufbahn gewesen.

An die ersten Anzeichen der Krise konnte er sich noch gut erinnern. Er war an jenem Tag mit seiner Frau auf Geschenk-Besorgungstour in der Innenstadt gewesen. Schneeflocken, Glühweinduft und Lichtgirlanden, die ganze herrliche Kulisse hatte bereitgestanden. Heck liebte es. Schon als Kind hatte er es geliebt. Doch etwas stimmte nicht an jenem Tag. Normalerweise gab er in solch einer Situation einen heiteren Schwank zum Besten oder versuchte, seine Frau anderswie um den kleinen Finger zu wickeln. So wie es eben seiner Natur entsprach. An diesem Tag aber war nichts normal. Heck spürte Evas wachsende Gereiztheit. Ihre Geduld war beim Thema Weihnachten begrenzt, er wusste das. Aber er wusste auch, dass es mehr als das war. Irgendetwas war aufgebraucht in ihrer Beziehung, und das nicht erst seit gestern.

Als er bei einem Drehorgelmann stehen blieb, in der Tasche nach Münzen kramte und dabei Eva zulächelte, wandte sich diese mit zusammengepressten Lippen ab. Heck ließ die Münzen in den Sammelbecher des Drehorgelmannes klimpern und dachte: Und ich lass mir die Freude trotzdem nicht nehmen! Was kann ich dafür, dass ich das Glitzern und Wuseln der vorweihnachtlichen Innenstadt so sehr mag? Sogar die Hektischen, die sich mit spitzen Ellbogen durchquetschen, finde ich irgendwie sympathisch.

Wie sie nun weiter durch die Straßen bummelten, passierte etwas, das Heck im Rückblick als den Keim allen folgenden Übels betrachtete: Eine der Lichtgirlanden löste sich aus ihrer Befestigung, schwenkte in einem weiten Bogen knapp über ihre Köpfe hinweg, eine Frau, die neben Eva herging, stieß vor Schreck einen Schrei aus und blieb abrupt stehen, zu abrupt für den Mann hinter ihr, der geradewegs in sie hineinstolperte, worauf die Frau zu Boden fiel und er ebenfalls und dazu drei weitere, die hinter ihm waren. Innerhalb von Sekundenbruchteilen lagen die fünf wie übereinandergestapelt da, und alles rundherum kam ins Stocken, alles rief »Oh!« und »Ah!« und wollte den Gestürzten wieder auf die Beine helfen. Nur Heck rührte sich nicht.

Er betrachtete die unterste Glühlampe der Girlande, verfolgte ihr stilles Pendeln. Und dachte an den Bruch, der nicht stattgefunden hatte, das Klirren, das ausgeblieben war und das er dennoch hören konnte. Dann schweiften seine Gedanken zur letzten Unternehmung von vor wenigen Wochen ab. Nichts war Lasker und ihm zugestoßen an jenem Tag, aber es war denkbar knapp gewesen. Diesmal war nicht nur die erste, sondern auch die zweite und dritte Sicherheitsbarriere durchbrochen worden. Heck dachte auch an den Moment eben gerade, als Eva ihm die kalte Schulter gezeigt hatte, er dachte an die vergangenen Monate, in denen er viel zu oft weg gewesen war, an Evas Blick, der manchmal durch ihn hindurchging, als ob er eine Wolke wäre, und als die fünf Gestürzten wieder auf den Beinen waren und alle sich gegenseitig zu ihrem Überstandenhaben der Situation beglückwünschten, stand Heck immer noch regungslos da, und immer noch hatte er das ausgebliebene Klirren der Glühlampe im Ohr.

Nachdem die Letzten weitergegangen waren, zog er Eva in eine stille Gasse hinein. Er brauchte jetzt etwas Starkes. Da war doch diese neue Panorama-Bar, ganz in der Nähe, und bestimmt würde es dort für Eva einen Negroni geben, den sie so liebte, und für ihn einen Whisky, und wenn sie noch eine ruhige Ecke fänden für sich, würde die Stimmung sich schon lösen, und dann, irgendwann, später jedenfalls, wenn der passende Zeitpunkt gekommen wäre, würde er sich nochmals in Ruhe diesem Klirren zuwenden und auch all jenen Gedanken, die das Klirren wie einen Rattenschwanz hinter sich herzog.

Später, als er Eva zuschaute, wie sie an ihrem Negroni nippte und aus dem Augenwinkel die Barkeeperin beobachtete, die unter einer viel zu großen Nikolausmütze steckte und ihrerseits die flachsende Herrengruppe im Hintergrund überwachte, dachte er an die weit zurückliegenden Anfänge seiner schäbigen Geschäfte. Ziemlich genau zwanzig Jahre war das nun her.

Auch damals hatte Weihnachten vor der Tür gestanden. Heck war neu als Vertreter für Ordnungssysteme unterwegs gewesen. Niemand kannte ihn, keiner wollte ihn empfangen, das Geschäft lief denkbar schlecht. Seit Kurzem erst war er mit Eva verheiratet und wohnte mit ihr und dem kleinen Felix in zwei engen Zimmern im neunten Stock eines Wohnsilos am Stadtrand. Sämtliche Möbel, die sie besaßen, waren ausgemusterte Restbestände aus dem Haus seiner Schwiegereltern, das Wohnzimmer diente zugleich als Schlafzimmer. Und dann kam der erste Advent, und Hecks Taschen waren leer, und er wusste: Nichts, was die Augen meines zweijährigen Sohnes zum Leuchten bringt, wird heuer unter dem Weihnachtsbaum liegen. Welch erbärmliche Schmach! Da fiel ihm der Nikolaustrick ein, von dem ihm ein Kunde einmal im Scherz erzählt hatte.

Nach drei schlaflosen Nächten wagte er es. Mit rotem Kostüm und zittrigen Knien trat er in das Kaufhaus, im Gesicht den obligaten Kunstbart, auf der Schulter den Jutesack. Doch als er sich auf seinem Weg durch die Rayons hier und dort von Kindern ansprechen ließ, in seinen Sack griff und Nüsse und Mandarinen hervorzauberte, entspannte er sich bereits wieder. Und als er dann in der Spielzeugabteilung ankam, klappte das unauffällige In-den-Sack-fallen-Lassen von Duplo-Bauernhof und Brio-Eisenbahn wie von Zauberhand. Als ob er selbst gar nicht daran beteiligt wäre.

Natürlich hätte er damals gleich wieder aufhören können. Sollen. Müssen. Aber es war zu einfach gewesen. Das Anfängerglück hatte ihm einen Streich gespielt. Und so hatte er weitergemacht, hatte immer wieder Neues ausprobiert, andere Schauplätze, andere Konstellationen. Als durchreisender Geschäftsmann, Zigarettenholer oder Sportskanone suchte er Kaufhäuser, Tankstellen und Schwimmbäder auf. An diesen Tummelplätzen des Kleinganoventums trainierte er seine Fingerfertigkeit, auch seine Überredungskunst und sein grenzenloses Talent zur freundlichen Täuschung. Wertlosen Kleinkram, bescheidene Geldbeträge, mehr ließ er nie mitlaufen.

Bis er auf Lasker traf. Lasker erkannte Hecks Talent auf den ersten Blick. Und Lasker hatte Pläne. Er war der Typ, der das Vorurteil, kleine Männer neigten allesamt zu Größenwahn, mustergültig bestätigte. Lasker reichte Heck knapp an den Adamsapfel, dazu hatte er den Wuchs einer gestauchten Wurzelknolle. Sein schütteres Haar und das fliehende Kinn machten die Sache auch nicht besser. Heck sah in Lasker aber nicht nur den entfesselten Ehrgeiz, sondern auch eine praktische Klugheit, die sich nie, aber auch gar nie vom Leichtsinn würde übertölpeln lassen. Dazu kam: Bei allem Ehrgeiz war Lasker ein ausgesprochener Hasenfuß, dem selbst eine dreifache Absicherung seiner Unternehmungen nicht genügte.

So schnell Heck und Lasker sich gegenseitig erkannten, so schnell waren sie sich einig über die Art ihrer Zusammenarbeit. Von Anfang an steckte in dieser Verbindung eine verblüffende Ehrlichkeit. Da war ein Vertrauen zwischen den Partnern, eine absolute Sicherheit, sich auf den anderen verlassen zu können. Paradoxerweise war dieses Vertrauen dem Umstand geschuldet, dass die beiden sich nie wirklich kennengelernt hatten. Heck hatte nämlich beschlossen, Lasker seine wahre Identität vorzuenthalten, und er wusste, dass dieser es genauso hielt. Während sein eigener Deckname auf den berühmten Schnellsprecher Dieter Thomas Heck anspielte, war das Pseudonym seines Partners offensichtlich eine Hommage an Emanuel Lasker, das Schachgenie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Hecks Kompagnon war ein Planer, ein Pragmatiker, ein Technokrat. Einer, der ein geplantes Unternehmen wie eine Schachpartie bis ins kleinste Detail durchrechnete.

Heck war genau das Gegenteil davon. Schon als Kind hatte er zum Kontrollverlust geneigt. Erwachsen geworden, versuchte er nicht, diese Neigung zu beherrschen, sondern machte sie sich im Gegenteil zum Trumpf. Denn schnell hatte er begriffen: Während andere in Notsituationen Augenmaß und Handlungsfähigkeit verlieren, bleibe ich biegsam und flink. Wie ein Akrobat, der den atemraubenden Fast-Fehltritt braucht, um sich auf dem Hochseil wohlzufühlen. Zur blinden Improvisation genötigt, lief Heck zu Höchstform auf. Dazu kamen seine Gabe der Überredung, des Freundschaft-Schließens und seine Menschenkenntnis.

So wuchsen die Partner aneinander und miteinander. Und Eva und die Kinder gewöhnten sich nur zu gern an den Wohlstand. Ja, das Leben meinte es gut mit Heck, das Glück hielt sich an seiner Seite. Viel länger, als er es sich jemals erträumt hatte.

Als die Barfrau ein Schälchen mit Erdnüssen vor sie hinstellte, zog die bierselige Herrengruppe ab, und es wurde ruhiger. Im Lautsprecher gab Eartha Kitt den Weihnachtsklassiker Santa Baby zum Besten. Ein Anflug von einem Lächeln erfasste Evas Gesicht. Heck sah es, leerte seinen Whisky in einem Zug und dachte: Der richtige Zeitpunkt, eine Geschichte zu erzählen. Eine aus seiner Kindheit würde es sein, und zwar die beste von allen. Eva kannte sie, aber wenn er sich geschickt anstellte, konnte er damit ein paar Punkte holen.

Die Geschichte handelte davon, wie er als vierjähriger Junge eine derartige Angst vor dem Nikolaus hatte, dass er, als der Genannte vorn an die Tür klopfte, die Beine in die Hand nahm und aus der Hintertür stürmte. Wie ein geölter Blitz rannte er ums Haus und um die anschließende Scheune herum. Dort stieg er auf den alten Planwagen, in dem der Großvater früher Hochzeitsgäste herumkutschiert hatte und der seit Ewigkeiten nutzlos herumstand, und kroch unter eine alte, miefige Decke, um im sicheren Versteck das Ende des Nikolausbesuchs abzuwarten. In der Dunkelheit des Abends jedoch hatte er den alten Planwagen mit dem Pritschenfuhrwerk vom Nikolaus verwechselt und die miefige Decke mit dem Jutesack, der dort für die nächste Familie bereitlag. Und so kam es, dass er Minuten später unfreiwillig mit dem Nikolaus davonfuhr, dann von diesem im Jutesack ins nächste Haus getragen und dort zur Überraschung aller als Nikolausgabe ausgepackt wurde. Für Monate war er Dorfgespräch und Zielscheibe so mancher Hänselei.