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Nach fünf Jahren Beziehung scheint die Luft bei Pia und Stefan irgendwie raus zu sein. Leidenschaft und große Gefühle? Fehlanzeige. Wehmütig beobachtet Pia ihre beste Freundin Miriam, die mit Hendrik nach all der Zeit noch immer überaus glücklich ist. So schnell will sie ihre Liebe allerdings nicht aufgeben und versucht, Stefan wieder näher zu kommen. Doch als er wie so oft beruflich unterwegs ist, wirft Pia ein ›Kuss im Affekt‹ völlig aus der Bahn und stellt ihr Leben komplett auf den Kopf.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Weil Liebe nicht fragt
Band 2
Roman
Text: © Copyright by Jessica Krenz
Cover: © Copyright by Jessica Krenz
Verantwortlich für den Inhalt:
Jessica Krenz
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
B.
L.
Pia und Miriam lagen am Strand und genossen die warmen Sonnenstrahlen am wolkenlosen Himmel.
»Ist es nicht wunderbar hier?«, fragte Pia und sah durch ihre Sonnenbrille zu Miriam.
»Ja, da muss ich dir zustimmen.«
»Es ist schon praktisch, wenn die Tante des Freundes auf Mallorca lebt. Ihr habt es gut. Da kommen übrigens unsere Männer.«
»Na ihr zwei. Wollt ihr jetzt auch ins Meer?«, fragte Hendrik und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche.
»Ich höre lieber Musik«, antwortete Miriam.
»Was ist mit dir Pia?«
»Ich würde ein paar Züge schwimmen wollen. Kommst du noch mal mit rein, Stefan?«
»Eigentlich wollte ich jetzt lesen und mich sonnen.«
»Ich gehe mit dir«, sagte Hendrik. »Ganz allein ist es ja auch irgendwie langweilig.«
»Prima, dann los.«
Pia stürzte sich in die Fluten. Normalerweise brauchte sie immer einen Moment, um sich an die Wassertemperatur zu gewöhnen, aber im warmen Mittelmeer war das anders. Sie schwammen etwas hinaus. Pia war froh, dass sie Bewegung bekam. Nach der Geburt von Ben vor über vier Jahren, war sie aus dem Handballverein ausgetreten, weil sie einfach keine Zeit mehr für das Training gefunden hatte. Seitdem hielten sich ihre sportlichen Aktivitäten in Grenzen.
»Kannst du noch oder möchtest du wieder zurück?«, fragte Hendrik nach einer Weile.
»Lass uns dahin, wo wir wieder stehen können.«
Sie schwammen schließlich bis zu der Stelle, an der sie den Boden unter ihren Füßen spüren konnten.
»Würdest du mir mal kurz helfen? Ich habe mein Bikinioberteil verloren.« Pia hielt es schulterzuckend in ihrer Hand.
Hendrik lachte. »Wie hast du das denn geschafft?«
»Ich denke, es war nicht fest genug geschnürt und durch die Wellen haben sich die Bänder gelöst.«
»Okay, was soll ich tun?«
»Oben und unten zwei feste Schleifen binden.«
»Das kriege ich hin. Komm her.« Er schnürte das Oberteil zu. »Jetzt bist du wieder angezogen.«
»Danke!«
»Thea hat mir übrigens noch eine kleine Bucht empfohlen. Sie liegt etwas weiter weg und soll nicht so überfüllt sein. Vielleicht können wir da morgen alle zusammen hin. Das wäre doch ein schöner Abschluss.«
»Gute Idee. Mal sehen, was die anderen dazu sagen. Ich wäre dabei. Wollen wir eigentlich wieder raus?«
Hendrik nickte. »Wer von uns schneller ist«, rief er und schwamm los.
»Hey, das ist Schiebung.«
Pia versuchte, ihm zu folgen, aber Hendrik war ein guter Schwimmer und sie gegen ihn chancenlos. Er wartete am Strand auf sie.
»Na, kommst du auch schon?«, schmunzelte er.
»Du bist losgeschwommen, ehe dein Satz überhaupt zu Ende war.«
»Ach, und sonst hättest du gewonnen?«
»Mit Sicherheit.«
Lachend gingen sie zu ihren Liegen. Pia nahm ihr Handtuch und wickelte sich darin ein.
»Ich werde noch ein paar Bilder von uns machen, bevor wir gehen.« Sie griff nach dem Handy und fotografierte das Meer und die Palmen. Anschließend knipste sie Miriam, die mit geschlossenen Augen Musik hörte, und Stefan, der in sein Buch vertieft war. »Bitte lächeln.«
»Pia, musst du ständig Fotos machen?«, fragte er mürrisch.
»Warum nicht? Sonst weiß doch keiner, dass ich hier war.«
Sie richtete die Kamera auf Hendrik, der fröhlich hineingrinste. Dann legten sie sich zu den anderen. Pia steckte sich ebenfalls Kopfhörer in die Ohren und hörte ein paar Mal ihr neues italienisches Lieblingslied. Sie verstand kein Wort von dem, was die Band sang, mochte es aber trotzdem.
Eine Stunde später machten sie sich auf den Weg zu Thea und Ben, der seinen Eltern sofort entgegenlief. Pia drückte ihn an sich und wuschelte durch seine blonden Haare. Sie konnte nicht beschreiben, wie sehr sie diesen kleinen Menschen liebte. Dass er mittlerweile vier Jahre alt war, wollte sie manchmal nicht wahrhaben. Ihr Junge wurde einfach zu schnell groß.
Nach dem Abendessen, zu dem es eine köstliche Paella gegeben hatte, und einem Glas Wein in gemütlicher Runde, gingen alle auf ihre Zimmer.
»Schade, dass der Urlaub fast vorbei ist«, sagte Pia und schmiegte sich im Bett an Stefan.
»Ja, hier habe ich endlich mal genug Zeit für Ben. Wenn wir zurück sind, muss ich auch gleich schon wieder weg.«
»Und wann hast du mal Zeit für uns?«, flüsterte Pia zärtlich und ließ ihre Hand langsam in seinen Schritt gleiten.
»Pia, Ben schläft mit im Raum.«
»Du sagst es. Er schläft.«
Stefan hielt ihren Arm fest. »Ein anderes Mal, okay? Ich bin ziemlich erledigt.« Er gab ihr einen Kuss und drehte sich auf die Seite.
Pia war frustriert. Wiederholt hatte er sie zurückgewiesen. In letzter Zeit schien nie der richtige Moment für Zweisamkeit zu sein. Entweder war Stefan beschäftigt oder zu müde. Sie wollte, dass er sie einfach mal in den Arm nahm, nach ihrem Tag fragte und nach ihren Sorgen. Aber all das tat er nicht. Auch die Hochzeit war ewig kein Thema mehr gewesen. Vor beinahe drei Jahren hatte er ihr hier am Strand den Antrag gemacht. Wahrscheinlich hätten sie noch gemeinsam ein passendes Datum gefunden, aber ihre Vorstellungen darüber, wie der Tag gestaltet werden sollte, gingen auseinander. Während Pia eine größere Feier mit ihrer Familie, den Verwandten und Freunden plante, wollte Stefan eine Hochzeit im engsten Kreis. Weil sie sich nicht einig wurden, vertagten sie die Entscheidung. Und als ihn Pia irgendwann wieder darauf ansprach, sagte er ihr, dass es doch auch ohne Trauschein gut funktioniere. Natürlich missfiel ihr diese Aussage, was sie ihm auch mitteilte, doch am Ende artete es in einem riesigen Streit aus. Also vermied sie das Thema.
Plötzlich wurde sie von Bens Wimmern aus ihren Gedanken gerissen. Sie stand auf und beugte sich über sein Kinderbett.
»Pscht! Es ist alles gut, Ben.«
»Ich hab Angst.«
»Du brauchst keine Angst haben. Hier ist Mr. Bär. Der passt auf dich auf.«
»Ich will zu euch, Mama.«
»Na komm.«
Pia hob Ben, der seinen Teddy fest im Arm hielt, heraus und legte ihn zwischen sich und Stefan.
»Papa.«
»Papa ist da.« Stefan zog seine Decke über Ben und nahm die kleine Hand seines Sohnes in seine.
Pia berührte dieser Anblick jedes Mal. Es war ein Moment innigster Vaterliebe. Lächelnd legte sie sich zu ihnen und schlief schließlich ein.
Am nächsten Morgen saßen alle beim Frühstück auf der Terrasse beisammen. Wie immer hatte Thea mit Liebe den Tisch gedeckt. Es fehlte an nichts.
»Wisst ihr denn schon, wie ihr euren letzten Tag hier verbringen möchtet?«
»Hendrik, du wolltest doch zu der Bucht, die Thea empfohlen hat«, sagte Pia.
»Das hatte ich vor. Also, dass wir gemeinsam hinfahren. Du auch, Tante Thea.«
»Ich muss leider absagen. Ich habe heute zwei Arzttermine. Aber fahrt ruhig ohne mich.«
»Ich möchte viel lieber am Pool bleiben und etwas lesen«, entgegnete Miriam.
»Ich würde den Pool ebenfalls bevorzugen, weil Ben dort besser toben und spielen kann. Fahrt ihr zwei doch allein«, schlug Stefan vor.
Pia und Hendrik sahen sich an.
»Was meinst du?«, fragte Hendrik.
Pia zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«
»Sehr schön. Dann hätten wir das geklärt«, sagte Thea. »Ihr werdet es nicht bereuen. Ich packe euch noch Getränke raus und mache etwas Obst zurecht.«
Obwohl Hendrik inzwischen auch ein guter Freund von ihr gewesen war, fand es Pia ein wenig merkwürdig, nur mit ihm unterwegs zu sein.
Nach einer halbstündigen Fahrt parkten sie das Auto in einer Nebenstraße und liefen zum kleinen Sandstrand. Er war eingebettet in bewachsene Felswände. Durch die geschützte Lage schlug das glasklare Wasser kaum Wellen. Pia und Hendrik gefiel es. Sie breiteten eine große Decke aus. Hendrik fixierte zudem einen Sonnenschirm im Sand. Dann zog er sich sein T-Shirt über den Kopf. Pia hatte zeitgleich ihr Kleid abgelegt.
»Brauchst du Sonnenmilch?«
»Ich habe schon welche drauf.«
»Okay. Bist du so nett und hilfst mir beim Rücken?«
»Klar. Gib mir die Tube.«
Zaghaft begann sie mit dem Verteilen auf seiner Haut.
»Du musst nicht so zurückhaltend sein. Ich merke ja kaum etwas.«
Pia wusste selbst nicht genau, weshalb sie in seiner Nähe auf einmal so schüchtern war.
»Das ist auch keine Massage«, redete sie sich raus und übte mehr Druck aus. »Besser?«
»Geht doch«, schmunzelte er. »Danke dir.«
»Gerne.« Pia setzte ihre Sonnenbrille auf und legte sich auf den Bauch.
Hendrik tat es ihr kurze Zeit später gleich. Sie schwiegen. Das Meer rauschte friedlich und nur ab und an waren Stimmen anderer Gäste zu hören.
»Du wärst lieber mit Stefan hier, oder?«, unterbrach Hendrik schließlich die Stille.
»Sagen wir so, ich hätte ihn und Ben gerne dabeigehabt und Zeit mit ihnen verbracht. Wir haben schon so wenig davon.«
»Wollen wir wieder fahren?«
»Nein. Ich möchte mir im Urlaub ja auch etwas ansehen und neue Eindrücke sammeln. Aber Stefan ist froh, wenn er einfach mal an einem Ort bleiben kann.«
»Nachvollziehbar, oder?«
»Sicher.«
»Aber ich weiß, was du meinst. Er ist noch immer recht häufig unterwegs. Es ist bestimmt nicht einfach, das meiste allein zu organisieren.«
»In der Regel klappt es. Trotzdem gibt es ab und an Tage, an denen mir alles über den Kopf wächst. Ben in den Kindergarten bringen, arbeiten, Termine wahrnehmen, einkaufen, Essen kochen, Ben abholen, mit ihm spielen. Manchmal ist er auch krank oder hat einen Wutanfall. Ich ziehe meinen Hut vor alleinerziehenden Müttern.«
»Ich wollte gerade fragen, ob ihr noch ein zweites Kind möchtet. Wohl eher nicht. Miri hatte nur letztens beiläufig erwähnt, dass du die Pille nicht mehr nimmst. Deshalb komme ich drauf.«
»Das hat den einfachen Grund, dass ich nach all den Jahren mal eine Pause von den Hormonen einlegen wollte. Es ist gut, so wie es ist. Wir haben die Familienplanung abgeschlossen. Außerdem seid ihr jetzt mal dran. Das war doch vor drei Jahren schon Thema.«
»Bis Miri einfiel, dass sie vorher Karriere machen will. Das weißt du ja.«
»Hat sie die Pille nicht auch mittlerweile abgesetzt?«
»Vor vier Monaten. Seitdem kümmere ich mich um die Verhütung, weil sie noch auf den perfekten Zeitpunkt wartet. Ich will sie da nicht unter Druck setzen und bislang fühle ich mich nicht zu alt, um Vater zu werden.«
Hendrik drehte sich auf den Rücken. Pia betrachtete ihn. Sie überlegte, ob sie ihn jemals ohne Dreitagebart gesehen hatte, konnte sich aber nicht erinnern. Im Gegensatz dazu war seine Brust glattrasiert. Vielleicht wuchsen dort aber auch von Natur aus keine Haare.
»Rasierst du dich?«, hörte sie sich plötzlich fragen und lief sofort rot an. Was zur Hölle hatte sie dazu veranlasst, ihn das zu fragen? Pia konnte den verwunderten Blick durch seine Sonnenbrille erkennen.
»Wo meinst du?«
»Ach, nicht so wichtig«, lenkte sie ab und kam sich furchtbar dämlich vor. »Erzähl mir doch mal, wie es eigentlich dazu kommt, dass du mit Thea ein solch inniges Verhältnis hast. Das ist eher ungewöhnlich zwischen Tante und Neffe.«
»Meine Eltern waren ziemlich jung, als sie mich bekommen haben. Beide hatten noch keine abgeschlossene Ausbildung. Und damit sie die machen konnten, sind meine Großeltern und Thea, die acht Jahre älter ist als meine Mutter, eingesprungen. Sie hat oft auf mich aufgepasst und sich um mich gekümmert. So ist irgendwann eine enge Bindung zwischen uns entstanden.«
»Und deine Eltern sind heute immer noch glücklich. Zumindest sah es auf deinen Geburtstagen danach aus, wenn ich sie gesehen habe.«
»Ich denke schon.«
»Hast du dich eigentlich jemals mit Miri gestritten? Ihr macht immer einen recht harmonischen Eindruck zusammen.«
»Mich bringt ja so schnell nichts aus der Ruhe, aber es gibt auch Reibereien zwischen uns. Natürlich.«
Pia nickte und setzte sich auf. »Weißt du was? Ich werde jetzt ins Meer gehen.«
»Sitzt dein Oberteil fest genug?«
»Nein.« Sie zeigte augenrollend auf die baumelnden Bänder. »Selbst im Liegen gehen die auf. Im nächsten Urlaub kommt ein anderer Bikini zum Einsatz.«
»Stefan findet ihn doch bestimmt ganz hinreißend.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob er es toll findet, wenn ich mit dem Modell ›Mopsfrei‹ durch die Gegend ziehe.«
Hendrik musste herzhaft lachen. »Komm her. Ich helfe dir.«
Am frühen Nachmittag fuhren sie zurück. Zum Kaffee gab es Kuchen, den Thea und Miriam gebacken hatten. Anschließend gingen alle noch einmal in den Pool und abends wurde ein letztes Mal gegrillt. Wie immer waren die Tage viel zu schnell vergangen. Bereits am Montag begann für Pia wieder die Arbeit, während sich Stefan auf eine längere Dienstreise vorbereiten musste.
Pia hatte ihren ersten Arbeitstag nach dem Urlaub bewältigt und widmete sich nach ihrem Feierabend dem Wäscheberg. Der Alltag hatte sie wieder. Immerhin glichen die Temperaturen denen auf Mallorca, sodass sie sich am Abend, nachdem sie Ben ins Bett gebracht hatte, mit ihrem Tablet auf die Terrasse setzen konnte. Stefan brachte zwei Gläser hinaus und öffnete eine Weinflasche.
»Was wird das denn?«, fragte Pia verwundert.
»Du beschwerst dich doch immer, dass ich keine Zeit für dich habe. Jetzt bin ich hier. Ich hole nur noch ein paar Erdnüsse.«
Pia war überrascht und legte das Tablet beiseite. Wenig später kam Stefan zurück. Sie sah ihm sofort an, dass etwas nicht stimmte.
»Geht’s dir nicht gut?«
»Ich bin gerade total geschockt. Hendrik hat mir eben geschrieben. Miri hat sich von ihm getrennt.«
»Du machst Witze.«
»Hier, sieh selbst.« Er hielt ihr sein Smartphone hin.
»Ich kann das nicht glauben.«
»Mir ist auch ganz schlecht. Ich werde mal nach ihm sehen.«
»Warte, ich komme mit. Ich hole nur schnell das Babyphone.«
Pia bemerkte, dass Miriams Auto nicht unter dem Carport stand. Sie klingelten an der Tür. Hendrik öffnete ihnen. Sein Gesicht war fahl und sein Blick leer.
»Kommt rein.«
Sie folgten ihm in die Küche und setzten sich an den Esstisch.
»Was ist denn passiert?«
»Habe ich ja geschrieben.«
»Aber warum? Im Urlaub war doch alles okay.«
»Offenbar nicht. Wusstest du irgendetwas, Pia?«
»Nein, ich bin genauso überrascht. Ich kann es noch gar nicht begreifen.«
»Sie hat einen anderen.«
»Wie bitte?« Pia verschlug es die Sprache. Miriam war ihre beste Freundin und bisher ging sie davon aus, dass sie sich alles erzählten. »Weißt du wen?«
»Ich dachte, du könntest mir das sagen. Hat sie dir gegenüber mal jemanden erwähnt?«
»Also wenn, dann fiele mir nur Nils ein. Den hat sie auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt und fand ihn ganz nett. Mehr weiß ich nicht.«
Hendrik fuhr sich durch die Haare. Er tat ihr unglaublich leid.
»Wo ist sie denn jetzt?«
»Keine Ahnung. Vielleicht bei ihm?«
»Ich werde ihr gleich schreiben. Das muss sie mir erklären. Ich lass euch beide mal allein.«
Sie nahm Hendrik in den Arm und verabschiedete sich. Danach verfasste sie eine Nachricht an ihre Freundin:
[21:06 Uhr] Du hast dich von Hendrik getrennt?
[21:10 Uhr] Es ging nicht anders.
[21:12 Uhr] Können wir reden? Hast du morgen Zeit?
[21:15 Uhr] Wenn es denn sein muss. Passt dir um acht? Ich bin bei meiner Mutter.
[21:16 Uhr] Um acht passt. Und ja, es muss sein.
Am nächsten Abend fuhr sie zu Miriam.
»Hey Pia.«
»Hallo«, antwortete sie knapp und zog ihre Schuhe aus. »Ist noch jemand hier?«
»Momentan nicht. Geh schon mal ins Gästezimmer. Ich besorge uns noch etwas zum Trinken.«
In der Wohnung ihrer Mutter hatte sich Miriam provisorisch eingerichtet. Sie kam mit den Getränken zurück und setzte sich aufs Bett, während Pia auf einem Hocker Platz nahm.
»Also?«
»Was willst du wissen?«
»Das fragst du mich? Miri, zu Hause sitzt dein verzweifelter Ex-Freund, der nicht weiß, was er falsch gemacht hat, und mich würde es in der Tat ebenfalls interessieren. Hendrik meinte, dass du einen Neuen hast. Ist es dieser Nils?«
»Ja. Wir haben uns ineinander verliebt. Das passiert manchmal. Einfach so.«
»Ich verstehe dich nicht. Hendrik hat alles, was man sich wünschen kann. Er hat dich auf Händen getragen und du wirfst alles weg. Darf ich dich daran erinnern, dass du vor wenigen Tagen noch mit ihm im Urlaub warst?«
»Und ist dir vielleicht aufgefallen, dass ich mich so gut es ging abgesondert habe? Ich hatte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen. Nils musste ich auch besänftigen.«
»Mir kommen die Tränen. Warum bist du überhaupt mitgefahren und hast nicht vorher mit Hendrik gesprochen?«
»Weil ich zu feige war.«
»Aber dass er Gefühle hat, ist dir bewusst?«
»Er hatte doch seinen Spaß.«
»Miri! Ernsthaft? Was ist los mit dir?«
Miriam schwieg einen Augenblick, bevor sie schließlich antwortete:
»Ich bin schwanger, Pia. Nils und ich haben nach einer Feier angetrunken eine Nacht zusammen verbracht und wohl nicht richtig aufgepasst. Ich habe es einen Tag vor unserer Abreise erfahren. Da konnte ich ja nun schlecht absagen. So, jetzt weißt du es.«
Pia war fassungslos. Nur langsam fand sie ihre Worte wieder.
»Und du bist sicher, dass das Kind von Nils ist?«
»Ganz sicher. Das letzte Mal mit Hendrik ist schon länger her. Das passt zeitlich nicht. Außerdem haben wir immer verhütet.«
»Und mit Nils hat das nicht funktioniert?«
Miriam zuckte mit den Schultern.
»Du weißt, dass es Hendriks größter Wunsch ist, Vater zu werden. Es wird ihm das Herz brechen, wenn er das erfährt. Du hast ihn so lange hingehalten und dann kommt irgendein Typ und du bist schwanger. Nein Miri, das hat er nicht verdient und das kann ich auch nicht akzeptieren.« Pia nahm ihre Tasche und stand auf. »Ich wünsche euch Dreien alles Gute. Tue Hendrik den Gefallen und hole deine Sachen schnellstmöglich bei ihm ab. Er muss ja nicht ständig an dich erinnert werden.« Sie zog ihre Schuhe an und verabschiedete sich.
Wieder zu Hause, berichtete sie Stefan von dem Treffen. Pia war noch immer wütend. Es beschäftigte sie sogar so sehr, dass sie nachts kaum schlafen konnte.
Tags darauf sah Pia vom Fenster aus Miriam, die eben mit dem Auto vorfuhr. Sie holte etliche Umzugskartons aus dem Kofferraum, klingelte bei Hendrik und verschwand im Haus. Eine ganze Weile passierte nichts. Pia hatte sich inzwischen einen Kaffee gekocht und las die aktuellen Nachrichten. Irgendwann hörte sie schließlich Stimmen und gleich danach verstaute Miriam eine Kiste in ihrem Wagen. Wenig später folgte die zweite. Zur selben Zeit kam Stefan mit Ben vom Einkaufen zurück. Er grüßte Miriam und unterhielt sich kurz mit ihr. Am Ende umarmte er sie und kam herein.
»Wir sind da.«
»Wir sind da, Mama«, wiederholte Ben.
»Ich habe euch schon gesehen.« Pia lief ihnen entgegen und gab beiden einen Kuss. »Stell die Tüten ab. Ich räume sie gleich aus. Was hat denn Miriam gesagt?«
»Hast du uns beobachtet?«
»Vielleicht.«
Stefan schüttelte den Kopf. »Wir haben uns verabschiedet. Ich soll dir Grüße bestellen.«
»Danke.«
»Willst du nicht noch einmal mit ihr reden? Sie fährt gleich.«
»Ich habe alles gesagt.«
»Gut, das musst du wissen. Ich bin dann mit Ben im Garten.«
Nachdem er seinen Sohn am Abend ins Bett gebracht hatte, setzte sich Stefan zu Pia.
»Hast du alles für deine Reise gepackt?«
»So gut wie. Es fehlen nur ein paar Kleinigkeiten. Ben hat mir übrigens ein Plüschtier mitgegeben, das auf mich aufpassen soll.«
»Na da bist du ja jetzt beschützt«, lächelte Pia. »Siehst du noch mal nach Hendrik?«
»Ich denke, wir sollten ihn vorläufig in Ruhe lassen.«
»Glaubst du nicht, dass er jemanden zum Reden braucht? Explizit dich als seinen besten Freund?«
»Worüber soll ich denn mit ihm sprechen?«
»Vielleicht auch nur zuhören?«
»Miri bräuchte dich für selbiges sicherlich auch.«
»Das hat sie sich persönlich zuzuschreiben.«
»Bist du nicht gerade etwas ungerecht?«
»Warum? Sie hat Hendrik doch betrogen und wird gleich schwanger.«
»Kennst du beide Seiten der Geschichte?«
»Nein, aber das muss ich auch nicht. Gehst du nun zu ihm?«
»Ich schreibe ihm unter der Woche.«
»Gut, dann gehe ich.«
»Pia, hast du mir zugehört? Lass ihn doch erst einmal allein mit der Situation klarkommen.«
Doch Pia ließ sich nicht beirren und stand auf. »Du weißt, wo ich bin.«
Sie klingelte nebenan. Hendrik öffnete die Tür.
»Pia?«
»Ich wollte mal nach dir sehen.«
»Das ist lieb von dir. Komm rein.«
Er wirkte energielos. Von seiner sonst so fröhlichen Art war nichts zu spüren.
»Ich habe Miriam vorhin gesehen, als sie ihre Sachen abgeholt hat. Hat sie irgendetwas zu dir gesagt?«
»Wir haben kaum gesprochen. Ehrlich gesagt, verspüre ich auch gerade nicht das Bedürfnis, mich mit ihr zu unterhalten. Mir genügt die Auskunft, dass sie einen anderen hat.«
»Und was sagst du zu dem Kind?«
»Zu welchem Kind?«
»Das, das sie mit ihm gemeinsam bekommt.«
»Miri ist schwanger?«
»Ja«, antwortete Pia zögerlich. »Sie hat es dir nicht erzählt?«
»Offensichtlich hat sie es für nicht notwendig erachtet. Wusste sie es im Urlaub schon?«
Pia nickte.
»Und ich habe mich immer gewundert, weshalb sie so abweisend ist. Jetzt verstehe ich ihr merkwürdiges Verhalten.« Hendrik setzte sich auf die Couch. »Man Pia, ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht. Letzte Woche war doch noch alles in Ordnung und nun ist nichts mehr wie es war. Weißt du, wie oft sie mich bei dem Thema Kinderkriegen vertröstet hat? Ich habe es dir ja auf Mallorca erzählt. Und plötzlich ist sie von jemandem schwanger, den sie kaum kennt.«
»Ich begreife es auch nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, vorerst keinen Kontakt mit ihr zu haben.«
»Aber ihr seid doch beste Freundinnen.«
»Trotzdem muss ich es nicht gutheißen. Mach dir keine Gedanken. Es ist meine eigene Entscheidung. Kann ich noch etwas für dich tun?«
»Momentan nicht, nein.«
»Dann gehe ich wieder rüber. Falls du ein wenig Ablenkung benötigst, sind wir für dich da. Stefan fliegt zwar morgen nach Barcelona, aber Ben und ich sind hier.«
»Danke dir!« Er nahm sie in den Arm. »Schlaf gut.«
»Du auch.«
Am nächsten Vormittag brachte Pia Stefan zum Bahnhof. Zu Beginn ihrer Beziehung fand sie es schrecklich, ihn so lange nicht zu sehen. Mittlerweile war es Routine geworden. Selbst Ben hatte früh begriffen, dass sein Papa manchmal für längere Zeit nicht zu Hause war.
Um Hendrik auf andere Gedanken zu bringen, lud ihn Pia die kommenden Tage bei sich zum Abendessen ein. Er nahm das Angebot gerne an und sie hatte den Eindruck, dass es ihm guttat, nicht allein zu sein. Danach ging er dann in seine Wohnung zurück und Pia brachte Ben ins Bett.