Weil mein Herz bei dir zu Hause ist - Nicola J. West - E-Book

Weil mein Herz bei dir zu Hause ist E-Book

Nicola J. West

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Beschreibung

Die toughe Fitnesstrainerin Renée hat sich schon immer über ihr Privatleben ausgeschwiegen. Selbst ihre engsten Freunde wissen nichts von ihrer kriminellen Vergangenheit und den ärmlichen Verhältnissen, in denen sie aufwuchs. Fynn wuchs hingegen behütet auf. Seine Eltern haben ihn immer in allem unterstützt, waren sehr bedacht darauf, ihm alles zu ermöglichen. Als Teenager verliebte er sich in die rebellische Renée, die seine Gefühle erwiderte, nur um ihn dann von einem Tag auf den anderen sitzen zu lassen und spurlos zu verschwinden. Jahre später bringt das Schicksal sie wieder an einem Ort zusammen und sie sind gezwungen miteinander auszukommen. Wird Fynn verstehen, was René damals zu dem drastischen Schritt bewogen hat und verzeihen, dass sie ihm das Herz brach? Oder ist zu viel Zeit vergangen und Renées Aufrichtigkeit und ihr Wandel kommen zu spät?

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1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
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24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel

Nicola J. West

Weil mein Herz bei dir zuhause ist

I M P R E S S U M

»Weil mein Herz bei dir Zuhause ist« von Nicola J. West

Copyright © 3. Auflage 2021 Blitzeis Verlag,, Liebesallee 1a, Eddelak

Vervielfältigung und Verbreitung (auch in Ausschnitten) ist ausdrücklich untersagt. Missachtung wird geahndet.

Umschlagsgestaltung - Forcoverservice

Korrektorat und Lektorat: Sabine L.

ISBN: 9783752686609

Die toughe Fitnesstrainerin Renée hat sich schon immer über ihr Privatleben ausgeschwiegen. Selbst ihre engsten Freunde wissen nichts von ihrer kriminellen Vergangenheit und den ärmlichen Verhältnissen, in denen sie aufwuchs.

Fynn wuchs hingegen behütet auf. Seine Eltern haben ihn immer in allem unterstützt, waren sehr bedacht darauf, ihm alles zu ermöglichen. Als Teenager verliebte er sich in die rebellische Renée, die seine Gefühle erwiderte, nur um ihn dann von einem Tag auf den anderen sitzen zu lassen und spurlos zu verschwinden.

Jahre später bringt das Schicksal sie wieder an einem Ort zusammen und sie sind gezwungen miteinander auszukommen.

Wird Fynn verstehen, was René damals zu dem drastischen Schritt bewogen hat und verzeihen, dass sie ihm das Herz brach? Oder ist zu viel Zeit vergangen und Renées Aufrichtigkeit und ihr Wandel kommen zu spät?

1. Kapitel

Die Sonne hing tief über der stilvoll in schwarz, rot und gelb geschmückten Terrasse und außerhalb der Lichtkegel erkannte ich die Athleten und Trainer nur noch, wenn sie mir sehr nahekamen.

Fynn stand mit zwei weiteren ebenso brünetten Spielern zusammen in einer dunkleren Ecke nahe dem frischlackierten Jägerzaun, der den befestigten Bereich vom Garten trennte. Einer von ihnen gestikulierte wild, Fynn nickte oft und fuchtelte durch die Luft, wie er es damals nie getan hatte. Mochte er auch im Schatten stehen, er war dennoch viel präsenter als früher. Er zog meine Blicke magisch an und ich ahnte, dass er es gewöhnt war, es sogar forcierte und genoss.

Mein Herz klopfte schneller, als er seinen Blick in meine Richtung wandte und zog sich in einem stechenden Schmerz zusammen, als er sich wieder umwandte, ohne mich gesehen zu haben. Was gewesen war, schien lange vorbei, aber dass er durch mich hindurch blickte, als wäre ich Luft, sandte einen Monsun durch meine Brust.

Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper, wartete im Verborgenen ab, bis Fynn sich von den anderen entfernte und alleine dem Hoteleingang zustrebte. Zeit, Hallo zu sagen und herauszufinden, wie er mir gegenüber gestimmt war. Unter meinen Füßen quietschte der Rasen feucht vom Abendtau. Ich zog die Schultern hoch, verspannte mich mit jedem Schritt mehr, den ich mich von der Feuersäule entfernte. Wie hielten die Männer es bloß noch in T-Shirts zwischen den hohen Eschen im Garten aus, während ich in meinem langärmeligen Rollkragenpullover schon zitterte?

Zwei geschickte Hände berührten mich von hinterrücks an den Schultern und schlagartig wurde mir wärmer. Der knisternde Stoff einer Trainingsjacke schmiegte sich um meine Arme.

»Du sahst aus, als wäre dir kalt.« Die Stimme löste keine Erinnerungen in mir aus. Nuscheln konnten sie alle gut und ich musste mich nach dem edlen Spender umdrehen, um die Puzzleteile ›sanfte Hände‹, ›zuvorkommend‹ und ›Nuschler‹ zusammenzuführen.

»Lasse«, rutschte sein Name über meine Lippen. Er ersetzte das klirrende Eis in mir mit seinem natürlich wirkenden Feuer.

Ein schiefes Lächeln zierte seinen sonst so einladend geschwungenen Mund. Auf sympathische Weise standen seine strahlend weißen Zähne im Oberkiefer etwas verdreht und seine Ohren zuckten belustigt aufwärts. Verlegenheit suchte ich in seinem jungen Gesicht vergebens. »Ja, Lasse Kramer, wir wurden einander noch nicht vorgestellt.« Das schiefe Lächeln wandelte sich in ein Grinsen und seine smaragdfarbenen Augen strahlten heller als der Mond. »Leider.« Er hielt mir die rechte Hand hin und drückte sachte, aber fest genug, als ich zupackte. Wie warm seine Haut sich trotz der kalten Nacht anfühlte.

»Renée Winter.« Befangenheit ergriff unter seinem Strahlen Besitz von mir. Meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren fremd. »Ich bin eine der Fitnesstrainerinnen.«

»Ich weiß.« Wieder dieses halbe Grinsen. Der Leberfleck auf seinem linken Jochbein sprang. »Ich habe aufgepasst, als der Cheftrainer gesagt hat, wer für unser Wohl zuständig ist.«

Er stand so nahe vor mir, dass ich den Hauch von Pfefferminze bei jedem seiner Atemzüge auf meiner eigenen Zunge schmeckte. Nur mit Mühe schüttelte ich mich nicht darunter. Ich hasste nichts auf dieser Welt leidenschaftlicher als Pfefferminze. Doch ich wollte nicht zurückweichen. Nicht einen halben Schritt.

»Hey.« Lasse streichelte an meinem Arm herab, legte eine Feuerspur über die Haut unter seiner eigenen Jacke. »Du scheinst wirklich zu frieren, vielleicht gehen wir besser rein, bevor du dich verkühlst.«

»Wir?« Ich musterte sein Gesicht, das genug Kanten aufwies, um als interessant zu gelten. Sanfte Fältchen standen um seine Augen. Er schien genauso gerne zu lachen wie ich.

»Na ja ... Ohne Jacke wird mir auch langsam kalt. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich begleite, oder?«

»Nein, das nicht, aber ich wollte eigentlich ...« Über Lasses Schulter hinweg fand ich Fynns Kreuz. Wieder stand er mir abgewandt, unterhielt sich mit den anderen Torhütern, interessierte sich schlicht kein bisschen für mich. Nur mühsam hielt ich meine Zähne vom Knirschen ab, wurde aber auch so mit Schmerzen in meinem lädierten Kinn belohnt. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst und sah wieder Lasse an, was auf alles außer mein Herz beruhigend wirkte. »Aber das kann bis morgen warten. Gehen wir rein.«

»Gehen wir.« Lasses Hand schwebte über meiner linken Schulter, als wir uns in Bewegung setzten. Die von ihm ausgehende Wärme drang bis auf meine nackte Haut. Wie ein Hauch von Sommerwind. Angenehm kühlend. Nur andersherum.

Trotz aller Anstrengung konnte ich das Grinsen nicht im Zaum halten. Wenn ich diese Gedanken später mit Bella teilte, würde sie darauf plädieren, dass ich doch zum Doc ging. Ihn testen ließ, ob mein Gehirn in Mitleidenschaft gezogen wurde bei unserem Unfall. Der Tag war lang, Bella. Sieh es mir nach.

»Worüber lachst du?« Licht schien durch die Glastür der Lobby auf unsere Gesichter, legte Schatten über Lasses Augen und spielte in seinen wirren Locken, die er zum Abend nicht mehr mit Gel malträtierte. Ob sie sich so drahtig anfühlten, wie sie aussahen? Oh, Renée!

»Äh ...« Sehr intelligent. »Nichts. Es ist nichts.«

Lasse lachte. Heller und fröhlicher noch als er sprach. »Ich glaube dir kein Wort. Aber ich kenne dich noch nicht gut genug, um eine Schätzung abzugeben.« Er nickte zur Tür. »Ladies first.«

»Vielen Dank.« Ich trat hindurch und wandte mich Lasse zu, ging rückwärts weiter, bis er sich wieder an meine Seite gesellte. Unsere Schritte klangen laut auf dem hellen Marmorboden, übertönten die ins Schloss fallende Tür spielend. Die Lobby lag im Dämmerlicht. Vermutlich nicht, um Strom zu sparen, sondern um uns den Übergang zu erleichtern. Die Helligkeit biss dennoch in meinen Augen und machte es mir schwer, Lasse ins Gesicht zu sehen. »Und wohin jetzt?«

Er hob die Arme, jagte einen Luftzug über meine erwärmte Haut. »Wohin du willst.« Wieder dieses Lächeln, das meine Knie traf. »Ich zwinge dich zu gar nichts. Aber ich fände einen Kaffee nicht schlecht. Der Tag war lang.«

»Und wie.« Nur mühsam unterdrückte ich ein Gähnen und gleich darauf einen Schmerzlaut, der über meine Zunge huschen wollte.

Lasse musterte mich von der Seite, als hätte er ihn dennoch gehört. Ohne mich aus dem Blick zu lassen umrundete er einen Stützpfeiler, bog nach rechts ab und stellte sicher, dass ich ihm folgte. »Was ist mit deinem Kinn passiert?«

Ungeschickt patschte ich sofort meine Hand darauf, zuckte zusammen. Ohne Einladung griff Lasse danach, zog mit seinen heißen Fingern meine viel kühleren herab, hielt sie in seinen, als versuchte er, sie mit sich zu wärmen.

»Ist das auch nichts?« Er suchte den Blick in meine Augen, den ich ihm aber nicht gewährte.

Diese eine Frage löste Erinnerungen aus, die ich nicht haben wollte. Ich schluckte hart, ließ ihn nach seinem tiefen Luftholen aber nicht zu Wort kommen. Nach vorne, wenn zurück schmerzt. »Bella ... Isabel und ich hatten einen Unfall heute Mittag. Mit dem Van kurz vor dem Hotel. Uns ist jemand rein gefahren und ich bin mit dem Gesicht gegen das Lenkrad geknallt.«

»Oh.« In Lasses Augen flackerte etwas, das ich zu gut kannte. Es war der Wunsch, mich zu beschützen, er fühlte meinen Schmerz mit, aber er glaubte mir nicht. »Hast du den Doc das anschauen lassen?«

»Nein, das ist nichts, womit ich ihn behelligen muss. Und ich hoffe, du behältst es für dich. Ich möchte nicht, dass alle denken: War ja klar, Frau am Steuer.«

Der steinerne Boden wurde durch einen blau-grau gemusterten Teppich abgelöst, als wir dem engeren Gang nach links folgten.

»Wir alle wissen, glaube ich, dass ihr Frauen deutlich besser fahrt als wir.«

»Was daran liegt, dass Autos und Männer in Gemeinschaft immer was von einem Schwanzvergleich haben.« Ups.

Ein, zwei Sekunden musterte Lasse mich eingehend mit offenem Mund. »Okay.« Er entließ die angestaute Luft in einem Schwall. »Ich werde dir nicht sagen, was für ein Auto ich fahre. Da komme ich zu schlecht weg.«

Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe und mein Blick zum Glück nicht in seinen Schritt. Ich suchte nach Röte in seinem Gesicht, fand jedoch nicht die Spur. Stattdessen streckte er die freie Hand aus – seine andere hielt meine zu meinem Erstaunen noch immer umgriffen – und legte den Daumen genau in die Mitte des blauen Flecks an meinem Kinn. Mit dem Mittelfinger drückte er von unten gegen meinen Kiefer, bis ich nachgab und ihn hob, zuließ, dass er mein Gesicht zur kerzenförmigen Lampe an der in dunklem Rot tapezierten Wand drehte. Er überragte mich um einen ganzen Kopf und ich war versucht, mich auf die Zehenspitzen zu heben.

»Was tust du da?«, nuschelte ich, bekam die Zähne dank seiner Finger, die noch schwach nach einer scharfen Soße, nicht aber nach Bratwurst rochen, kaum auseinander und biss die Schmerzlaute zurück.

»Schlimm ist es nicht, mit der richtigen Salbe brauchst du das morgen schon nicht mehr überschminken.«

»Äh ...« Ich schielte auf seine Finger herab, die mich offensichtlich nicht mehr loslassen wollten. Nicht, dass ich es unangenehm fand, wie er mich berührte, doch langsam versteifte sich mein Nacken, und das flackernde Licht legte tanzende Schatten vor meine Augen. »Danke, Herr Doktor?«

»Entschuldige.« Er lachte leise, zog die Finger zurück und ich vermisste sie augenblicklich, klammerte mich fester in seine andere Hand. Lasse erwiderte den Druck, ohne zu zögern. »Berufskrankheit.«

»Im Fußball ist Handspiel nicht erlaubt und dafür gibt es oft schneller die Rote Karte, als du gucken kannst.«

»Ich mag deine Schlagfertigkeit, Renée.« Er schob die Zungenspitze zwischen die Lippen. Seine Mundwinkel zuckten, als er meinem Blick gewahr wurde, und wanderten noch weiter aufwärts, als ich ihm eilig in die Augen schaute. »Ich meinte nicht den Fußball. Mein Onkel ist Arzt und Fußball ist Spaß, ein wahnsinniges Hobby, aber nach meiner aktiven Karriere will ich was Ordentliches machen und in seine Fußstapfen treten.«

»Wow. Hochgesteckte Ziele. Medizin finde ich unglaublich spannend. Leider war ich in der Schule nicht gut genug, um zu studieren.«

»Mit genügend Wartesemestern geht doch heute fast alles.« Er zuckte mit den Schultern und entließ meine Hand aus seiner, ging einen ersten Schritt den Gang weiter hinab und ich folgte selbstverständlich. »Allerdings ... Ich bin zweiundzwanzig. Wer weiß, was ich in ein paar Jahren will. Vielleicht holen wir den Titel. Und in der neuen Saison spiele ich für den Meister. Wenn ich zehn Titel habe, will ich vielleicht ja doch lieber Trainer werden. Was wolltest du werden, als du ...« Ein leichter Rotschimmer überzog seine zuckenden Ohren.

»Als ich jung war?«

»Genau das wollte ich nicht sagen. Also doch ... im ersten Moment schon. Aber ich meinte das anders. Was wolltest du werden, als du zehn oder zwölf oder dreizehn warst? Das meinte ich mit jung.«

»Hm ...« Ich presste die Lippen aufeinander und versuchte, mich zu erinnern. Ein kleiner Ball ploppte über eine große Platte. »Ich weiß nicht, ob ich da zehn oder erst acht war. Aber ich wollte mal Profitischtennisspielerin werden.« Darüber, was ich mit dreizehn war und wollte, musste ich nicht sprechen.

Lasses Gesicht erhellte sich und er blieb augenblicklich stehen. »Bist du gut?«

»Willst du es herausfinden?«

Das wollte er. Und in bester Fußballermanier: sofort.

Noch ehe ich zugestimmte, machte Lasse schon auf dem nicht vorhandenen Absatz seiner weißen Turnschuhe kehrt und eilte mir beinahe davon. Ich ersparte mir ein Kopfschütteln und grinste nur vor mich hin, setzte meine Schritte weiter als gewöhnlich, bis ich wieder an seiner Seite lief. Auf seinem Gesicht stand ein gewinnendes Grinsen. Mal sehen, wie lange noch.

»Ich hatte eher an morgen oder einen der kommenden Tage gedacht«, sagte ich etwas atemlos. »Aber was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich arbeite so lange schon mit Fußballern und ich habe noch keinen kennengelernt, der am Samstag schon weiß, was er am Mittwoch tun wird.«

»Das ist auch ganz klar. Es liegt auf der Hand, warum das so ist, Renée.« Mein Name klang bei ihm wie eine Frage, obgleich er sonst in allem sicher wirkte. Auch das erschien mir allerdings typisch und ich verkniff mir jeden Kommentar. »Wir leben den Moment, weil wir wissen, dass morgen unsicher ist. Einmal falsch auftreten und dein Kreuzband ist durch oder deine Achillessehne oder irgendwas anderes, das du brauchst, um glücklich zu sein. Wenn du dich verletzt, hast du erst mal schlicht keinen Bock auf gar nichts mehr.« Er sah mich nicht an, schien sich meiner sicher zu sein und seiner Worte ebenso. Er wusste, wovon er sprach, und ich erinnerte dunkel, dass er auch schon einmal länger pausieren musste.

Bevor ich antworten konnte, tauchte eine rote Flügeltür vor uns auf. Schwungvoll drückte Lasse den rechten Teil auf und ließ mich zuerst passieren. Als das Neonlicht aufflackerte, sah ich mich mit einer Tischtennisplatte konfrontiert. Sie nahm einen Großteil des fensterlosen Raumes ein. An der Wand zu meiner Rechten standen zwei weiße Tische und wirr darum verteilt ein paar ebenso helle Stühle, die unbequem und durchgesessen wirkten. Der Geruch von altem Schweiß und abgenutztem Gummi stieg mir in die Nase.

»Das wird jetzt gleich ein bisschen schmerzhaft für dich.« Lasse rieb die Hände gegeneinander und nickte zur Platte.

Meine linke Augenbraue verselbständigte sich. »Ist das so?«

»Es ist mein erster Tag in einem großen Turnier und ich kann ihn leider nicht mit einer Niederlage beginnen. Tut mir leid?« Er preschte an mir vorbei, griff nach den auf der Platte liegenden Schlägern und hielt mir beide schwungvoll hin. Mit der schwarzen Seite nach oben.

»Tja, mir geht es ähnlich.« Ich griff den rechten, drehte ihn ein paar Mal hin und her. Er lag gut in der Hand, war aber von eher minderer Qualität und die rote Seite blätterte an den Kanten ein bisschen nach oben. Immerhin schien das helle Holz noch glatt, kein Splitter bohrte sich in meine Haut. Auf in die Schlacht. »Ich hoffe, du hast starke Nerven, Lasse Kramer.«

Siegessicher grinste er und stellte sich auf. »Möge der Bessere gewinnen.«

Ich bekam den ersten Aufschlag, ließ ihn springen, ließ ihn hechten und ließ ihn gnadenlos untergehen.

»Revanche« forderte er, die Finger in die Tischplatte verkrallt. Die Knöchelchen traten weiß hervor. Ich zog seine Trainingsjacke aus und warf sie auf einen der Stühle, kreiste die Schultern vor und zurück und stellte mich wieder auf.

Er bückte sich erst nach einigen tiefen Atemzügen nach dem letzten verpassten Ball und schlug überraschend schwungvoll auf.

Dieses Mal ging ich es ruhiger an, gab ihm die Chance, wenigstens ein paar Punkte zu holen, bevor ich ihn mit den kommenden fünf Bällen vorführte.

Mit offenstehendem Mund blickte er dem letzten Verpassten hinterher, der ping-pong-ping unter einen Schubladenschrank rollte.

»Mach dir nichts draus, Lasse, du hast gut gespielt.« Ich schaffte es leider nicht, das Lachen aus meiner Stimme zu wischen. »Du warst ein würdiger Gegner.«

»Mein Geheimnis gegen deines.« Im Gegensatz zu mir hechelte er atemlos, seine Stimme so kratzig, dass er sich nach zwei Worten räuspern musste. »Ich erzähle keinem von eurem Autounfall und du behältst für dich, dass ich wie ein Mädchen gespielt habe.«

»Ich bin ein Mädchen!«

»Mit einem ziemlich männlichen Vornamen.«

»DieKarte?« Ich hielt die Arme verschränkt, den Schläger wie ein Schild vor der Brust. »Echt jetzt? Was denkst du, wie oft ich das schon gehört habe?«

Tief atmete Lasse ein und aus, ein und aus, bevor er den Schläger auf die Platte legte, sich auf die Lippe biss, den Kopf schüttelte. »Ich bin kein guter Verlierer, tut mir leid.«

Ich senkte die Arme. »Du bist Fußballer. Wie könntest du also? Du kannst für morgen ein anderes Spiel vorschlagen, wenn du möchtest.«

»Du spielst auch gegen schlechte Verlierer?«

»Ich habe keine Angst vor dir.«

Erneut erzielte ich dieses Flackern in seinen Smaragd-Augen. Wieder sagte er kein Wort, musterte mich nur mit gerunzelter Stirn.

»Was denkst du? Ganz ehrlich, Lasse, was denkst du über mich?«

Er strich sich die feuchten Löckchen aus der Stirn, ruinierte seine nicht vorhandene Frisur endgültig. »Nichts, was ich schon aussprechen kann. Ich kenne dich nicht, aber ich möchte eine Chance haben, dich besser kennenzulernen. Also sage ich dir jetzt nur, dass ich drei Schwestern habe. Möchtest du jetzt einen Kaffee?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« Ich beobachtete Lasses nachdenkliches Mienenspiel. »Nicht, weil ich deine Gesellschaft nicht schätze. Im Gegenteil. Aber ich möchte heute Nacht schlafen können und Bella sagt, ich habe ohnehin viel zu viel Energie. Womit sie vermutlich recht hat.«

»Bestimmt.« Lasse lachte dieses leise Lachen, das meine Sinne wacher machte als jeder Kaffee. »Doch das gefällt mir so. Aber wenn du morgen noch lächeln willst, solltest du dein Kinn wirklich mit etwas behandeln.«

»Ich muss dann eh seriös wirken. Also vielleicht ist es gut, wenn ich nicht immer nur lächle?«

Lasse schnappte sich seine Jacke und hielt mir die Tür ein drittes Mal an diesem Abend auf. »Ich möchte dich aber lächeln sehen. Es steht dir besser als Ernsthaftigkeit.« Er trat nach mir heraus auf den kühleren Gang und als die Tür ins Schloss fiel, fand ich meine rechte Hand in seiner linken. Verschwitzte Finger legten sich um meine, erinnerten mich an eine Zeit, als ich wirklich noch jung war und Fynn mich zum Kerwestand mit den Liebesäpfeln zog und mir den schönsten aussuchte.

»Komm!« Lasse zupfte an meinen Fingern, bis ich in sein Gesicht sah und seinen leuchtenden Augen gewahr wurde, etwas von mir in ihm verlor. »Wir behandeln das eben.«

Natürlich verfügte keiner der Spieler über den Zugangscode für den Trakt, in dem sich der Kraftraum, die Büros der Trainer und die Behandlungszimmer befanden. Der wurde vertraulich an uns Angestellte übermittelt, und als wir an der verschlossenen Tür ankamen, sah Lasse demonstrativ weg. Die freie Hand über den Augen wie ein Zweitklässler beim Versteckspiel. Mit der anderen hielt er noch immer die meine und umständlich, da mit links, gab ich den siebenstelligen Pincode ein, verschaffte uns Zutritt.

»Es fühlt sich an, als würden wir einbrechen.« Mein Herz schlug in meiner Kehle und meine Stimme klang selbst in meinen eigenen Ohren überraschend dünn.

»Du kennst den Zugangscode, also ist es technisch gesprochen kein Einbruch. Glaube ich zumindest.« Lasse ließ die Hand sinken. Seine Mundwinkel so hoch erhoben, dass es wehtun musste. Viel zu viele Fältchen standen um seine noch so jungen Augen. »Aber wir tun es ja mit besten Absichten.«

An diesem Punkt schieden sich mit Sicherheit die Geister, doch ich schwieg und führte meinerseits Lasse bis zu dem Raum, in dem der Doc die Spieler behandeln sollte. Ich öffnete die Tür mit so heftig klopfendem Herzen, dass Lasse es vermutlich hörte. Als ich aufblickte, blitzte in seinen Augen Abenteuerlust und ich täte gut darin, mich loszureißen und wegzulaufen. Nur steigerte es seine Attraktivität in einem Maße, über das ich nur die Augen schließen und um Widerstandskraft bitten konnte.

»Setz dich da hin«, forderte er und deutete zur Liege, deren Auflage aus schwarzem Kunstleder bestand, entließ meine Hand endlich aus seiner. Kühler Schweiß blieb auf meiner Haut liegen, arbeitete sich in einer Gänsehaut bis herauf an meinen Hals. Mein Glück, dass der Rollkragen jeden Zentimeter verdeckte, sie unsichtbar machte.

Vorsichtig, um die Papierauflage nicht zu zerknicken, sank ich auf die Liege, die selbst unter meinem geringen Gewicht quietschte, behielt die Füße aber am Boden. Lasse blickte sich um, wie ein Einbrecher auf der Suche nach den besten Schmuckstücken, während ich auf seinen erstaunlich wohlgeformten Po starrte. Es müsste hier nach Desinfektionsmittel oder Zitrusreiniger stinken, doch in meiner Nase schien nur Raum für Lasses herbes Parfüm.

»Ah, hier. Wusste ich doch, dass er so etwas haben muss.« Lasse griff eine weiße Tube aus einer der vielen Schubladen der glänzendweißen Apothekerkommode. Vertieft in seine wahre Berufung öffnete er die Salbe und drückte eine erdnussgroße Menge auf die Spitze seines linken Zeigefingers.

Bis zu diesem Moment hatte ich ihn für einen Rechtshänder gehalten. Seltsam.

Er wandte sich mir wieder zu, trat direkt vor mich, stand halb zwischen meinen leicht geöffneten Beinen und streckte die andere Hand aus, hielt aber kurz vor meinem Gesicht inne. »Darf ich dich berühren?«

Ein Glucksen sprang über meine Lippen, ohne, dass ich es zurückhalten konnte. »Du fragst mich das ernsthaft, nachdem du jetzt einen halben Abend lang an mir herum gegrabbelt hast?«

»Gespaltene Persönlichkeit.« Er knallte diese beiden Worte so heraus, dass mir buchstäblich die Kinnlade herunterklappte. Lasse lachte, warm und von absoluter Freude erfüllt, die sich heiß in meiner Brust sammelte und meine Mundwinkel zittern ließ. »Wenigstens in der Schlagfertigkeit scheine ich dir nicht nachzustehen. Also?«

»Du darfst mich berühren.« Möglich, dass ich damit eine Einladung zu Dingen aussprach, die ich aus professioneller Sicht noch bereuen würde, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, die Worte zurückzunehmen. Bewusst spannte ich meinen Körper an, wappnete mich.

Sanft betastete er den blauen Fleck an meinem Kinn, massierte die nicht mehr kalte Salbe mit dem Daumen ein. Die übrigen Finger streichelten knapp über der Gänsehaut unbewusst ebenso empfindsame Stellen. Es kribbelte bis herab in meine Fußsohlen und ich presste die Zehen zusammen, um Lasse nicht von mir zu stoßen oder ihn gewaltsam an mich zu ziehen.

»Gut?« Er behielt mein Kinn in seiner behutsamen Hand. Wie sanft konnten die Finger eines Riesens sein? Er musterte mich genau und mit seinem Gesicht so dicht vor meinem, dass ich nur noch auf seine Lippen sehen konnte, die im Auslaut des Wortes leicht geöffnet blieben. Wovon sprach er?

Mein törichtes Herz klopfte wie ein Presslufthammer, der sich nach Sanftheit sehnte. Mein Körper straffte sich, mein Kinn schmiegte sich fester in Lasses Hand, ohne, dass ich etwas dagegen unternahm. Alles in mir verlangte nach Berührungen. So nachdrücklich, dass ich um ein Haar aufschrie, und mir auf die Lippe biss, um es nicht zu tun.

»Hey?« Lasses Augen wanderten unruhig. In dem unbeschreiblichen Farbton flackerte Kerzenlicht. »Alles okay mit dir? Du hast keine Allerg...«

»Ich ... nein. Nein, alles gut. Keine Allergien oder irgendwas, ich war nur ... gedanklich woanders.« Oh nein, ich befand mich genau hier. Und im Jetzt. Aber ich sollte es nicht sein. Wirklich nicht.

»Gut. Ich hatte schon Angst, dass ...« Lasses Augen verengten sich ein bisschen, sein Blick wurde fokussierter, als er sich unterbrach, und zwei Fältchen bildeten sich auf seinem oberen Nasenrücken.

»Was?« Atemlos preschte die Frage über meine Lippen.

»Du hast gesagt, ich darf dich berühren, ja?«

Oh Gott. Vor meinem inneren Auge flackerte ein alter Film auf. Eine Szene aus Eiskalte Engel, in der der männliche Hauptcharakter Cecile erklärte, dass er nicht gesagt hatte, wo er sie küssen wollte. »Ja.« Ich versuchte, das Gesicht nicht seltsam zu verziehen. Im Gegensatz zu Cecile ging ich nicht als unschuldige Jungfrau durch.

»Gut.« Lasse nickte mehr sich selbst als mir zu und schob seinen obszön hochgewachsenen, schlanken Körper etwas näher heran. Seine Wärme legte sich, ohne, dass er mich irgendwo anders als am Kinn berührte, über mich wie eine Decke. Und mein Becken zuckte ihm entgegen. Zwischen uns weniger Platz als ein Fußball benötigen würde, um hindurchzufliegen.

Er gluckste. »Sehr gut«, flüsterte er, und als verstünde ich die erwachsene Welt, in der ich zu lange schon lebte, doch nicht, riss ich die Augen auf, als seine Lippen sich auf meine senkten.

Sofort zog er sich zurück, hielt die Smaragde aber vor mir verborgen. Seine geschwungenen dichten Wimpern flatterten über seine leicht gebräunte Haut. Sein Atem geisterte noch immer über mein Gesicht und ich leckte über meine Lippen. Keine Pfefferminze mehr.

Seine Zunge stippte vor, nur ein winziges Stück, doch weit genug, um etwas in meiner Mitte explodieren zu lassen, und schneller, als ich realisierte, verkrallten sich meine Finger in dem Stoff seines blauen T-Shirts und ich zog ihn zu mir. Seinen Mund auf meinen, seinen Körper so nah an mich heran, dass ich nicht mehr wusste, wo seiner begann und meiner endete.

Die Papierunterlage auf der Liege knisterte, knasterte, riss, als ich mich zurück schob, meine Beine anhob und sie um Lasses Po schlang. Ein Keuchen, Aufstöhnen perlte aus seinem Mund auf meine Zunge und ich zitterte unter seinem kundigen Spiel. So. So hatte mich noch niemand geküsst. So wie Lasse küsste, hatte sich bisher noch nicht einmal Sex jemals für mich angefühlt.

Als Lasse sich schließlich fast gewaltvoll von mir löste, schienen seine Augen dunkel und ich musste kein Ratekünstler sein, um zu wissen, was in ihm vorging und wie er den Abend am liebsten fortführen würde.

Sein Gesicht war gerötet und seine Hände streichelten verschwitzt noch über meine Wangen, seine Daumen zitterten und sein Atem geisterte unstet über meine ebenfalls erhitzte Haut.

»Was war das jetzt?«, fragte ich und wollte eigentlich etwas ganz anderes von ihm wissen. Hören, ob es weiterging. Nicht heute Nacht, das war uns beiden klar, aber vielleicht morgen?

Er streichelte über meine Schultern langsam an meinen Armen herab, folgte mit dem Blick, bis er meine Hände erreichte und zugriff. So wie er mich hierher gezogen hatte, half er mir jetzt auch sanft aber nachdrücklich von der Liege. Mein Herz pochte in meiner Stirn. Mein Verlangen war lange nicht gestillt. »Schön war’s«, sagte er und ich fand keine Scham, keine Reue in seinen Zügen. Er ließ meine linke Hand los, riss einhändig das Papier von der Liege, knüllte es sich unter den Arm.

Als wären wir ein eingespieltes Team zog ich am fransigen Ende der Rolle und breitete ein neues Stück auf dem nun warmen Lederimitat aus. Erst als ich wieder aufsah, entließ Lasse auch meine linke Hand aus seiner rechten. »Und war’s das jetzt?«

Grübchen bildeten sich über seinem Dreitagebart, für dessen Züchtung er eher drei Wochen gebraucht zu haben schien. »Sollte es, wenn wir professionell sein wollen, oder?«

»Ja.« Ich entließ die ganze Luft aus meinen Lungen. »Sollte es.«

Lasse schritt mir voraus, öffnete die Tür und ließ mich hindurch, schaltete das Licht aus. Das Surren der Neonröhre verstummte und nebeneinanderher trotteten wir den langen Gang entlang, der nur von der Notbeleuchtung erhellt wurde. Lasse stopfte das Papier in den Mülleimer, der vor den vielen Räumen parkte und aussah, als wäre er noch nie zuvor benutzt worden. Keiner von uns sprach ein Wort, bis Lasse nach links zur Treppe und ich nach rechts auf den Korridor musste.

»Gute Nacht, Lasse«, sagte ich, ohne innezuhalten, und ohne auch nur ein bisschen Unruhe in meinem Körper. Ich musste keine Angst vor morgen, vor Konsequenzen haben. Gäbe es welche, sie hätten uns längst ereilt.

»Gute Nacht, Fitnesstrainerin.« Er sah mich nicht an, aber ich wusste um seine zuckenden Mundwinkel. »Ich freue mich auf unsere Einheit morgen.« Und wie ein Flummi hüpfte er davon.

2. Kapitel

Nach einer schweißtreibenden Trainingseinheit am Vormittag amüsierte sich beschienen von der Mittagssonne jetzt ein Großteil der Mannschaft beim Wasserball im Außenpool. Jede Mannschaft bestand aus sechs Spielern und einem Torwart, doch im Pool tummelten sich, wenn ich mich nicht verzählte, neunzehn Spieler. Die Luft war scher vom Chlor und rund um meine in ehemals weißen Turnschuhen steckenden Füße bildeten sich Wasserpfützen.

Fabi, die Nummer eins im Fußballtor, stand ebenso wie ich am Rand und beobachtete das Ganze mit verschränkten Armen. Wir hatten bisher kein Wort miteinander gewechselt und es sah für mich nicht aus, als würde sich das bis zum Ende des Turniers ändern.

Nicht, dass wir einander nicht mochten, doch Fabi trainierte mit Marc und vertraute ansonsten auf Isabel, die in diesen Minuten allerdings ihr Augenmerk auf andere Bälle richtete.

Zwei.

Wasserbälle.

Und möglicherweise die von unserem Mittelfeldstar David, in die ihr Fuß rauschte, um ein Tor zu vermeiden. Allerdings schien er hart im Nehmen und wehrte jegliche ... Behandlung ab. Bei Bellas geschickten Händen die bessere Entscheidung.

Während Fabi das Ganze mit mürrischer Miene betrachtete, verfolgte ich das Spektakel bis an die Ohren heran grinsend. Wie könnte ich auch nicht? Eine Menge attraktiver Männer kämpfte mit nacktem Oberkörper in viel zu kaltem Wasser um einen Ball. Und einer von ihnen hieß Lasse Kramer.

Ich versuchte inständig, mich auf das Spiel, den Punktestand oder darauf zu konzentrieren, dass einer unserer Stürmer permanent mit unfairen Beingrätschen spielte, aber immer so subtil, dass es ihm niemand beweisen konnte. Doch es gelang mir nicht. Nicht einmal zwei Minuten lang, und vermutlich würde ich nicht bemerken, wenn sie ein anderes Spiel begannen, denn meine Augen hafteten an Lasse.

An seinen schlanken, durchtrainierten Körper, den er in einer Lockerheit bewegte, die ich als Fallstudie benutzen könnte. Vielleicht würde ich mich darauf berufen, wenn Conny oder jemand anders aus dem Trainerstab mein Starren mitbekam. Ich arbeitete. Schwer.

Dass Lasse es bemerkte, machte mir keine Angst. Ich wusste, dass er es wusste. Er selbst sorgte dafür, dass ich nur ihn ansah, schielte zu mir herüber, bis ich es dauerhaft erwiderte, statt mich krampfhaft auf etwas anderes zu konzentrieren.

Mein Herz klopfte bis auf meine Zunge und Gnade allen Gott, wenn ich die nicht später in seinem Mund versenken durfte. Ein angefangenes Spiel musste man beenden. Spielerehre.

»Eyyy!« Ein gequälter Schrei drang an mein Ohr, dann noch einer. Tumult, Chaos und Gebrüll ließen meinen Blickkontakt mit Lasse abbrechen und viel zu viele Arme zogen meine Aufmerksamkeit zu ...

Es brauchte eine Weile, bis ich herausfand, wer in der Mitte des Knäuels steckte und dass es sich nicht um Rudelbildung handelte.

Fynn. Blut lief an seiner Braue, seiner Schläfe hinab, seinen Hals hinunter und tropfte ins Wasser. Zu viel Blut, als dass es aus einer kleinen Wunde sickerte. Hin und her gerissen, zwischen den Optionen an den Beckenrand zu eilen oder den Doc zu holen, stand ich wie eingefroren da. Mein Herz klopfte wild in meiner Stirn, in der verschwommene Panik schipperte.

Fabi packte an, kniete an der Wasserkante, sprach mit dem anderen Torwart, den immer noch viel zu viele Hände betatschten. Ich trat zwei Schritte zurück, mit dem klaren Ziel, den Doc zu holen, da genug fähige Menschen um unseren verletzten Goalie herum schwammen und ihn vorm Ertrinken beschützten. »Ey!«

Beim besten Willen erschloss sich mir nicht, wieso ich sofort wusste, dass ›Ey‹ ich war, aber ich wandte mich zum Schauplatz um.

Fabi ruderte wild mit einem Arm. Die aschblonden Brauen zusammengezogen, den Kopf vorgereckt sah er aber nicht mich, sondern Bella an, nickte mit der Zungenspitze zwischen den Lippen, bevor er mit gerunzelter Stirn winkte. »Renéeeee, ist nicht schlimm. Der Dödel braucht keinen Abschleppdienst.«

Dunkles, kehliges Männerlachen erklang und selbst Fynn schmunzelte sichtlich, wischte sich über die Schläfe, packte mit der unblutigen Hand Fabis und hievte sich auf den Beckenrand. Wasser rann in gröberen Strömen als das Blut, sein fröstelnder Körper glänzte im schwachen Sonnenschein.

Wie in aller Welt war aus dem siebzehnjährigen, etwas pummeligen Jungen mit dem Allerweltsgesicht und den leicht fettigen Locken ein so wunderschöner Mann geworden? Alles an ihm wirkte durchtrainiert. Seine Oberarme, seine gestählte Brust, seine Oberschenkel. Seine unfassbar kräftigen Oberschenkel. Das Sixpack, über das Wasser und Blut rannen, beachtete ich zu meinem eigenen Schutz nicht. Ich sah ihm lieber ins seltsam gleichmütige Gesicht, bis Fabi ihm unsanft ein Handtuch hinein knallte, es auf die Wunde an der Augenbraue drückte, ehe Fynn zupackte.

Im Pool ging das Spiel nicht weniger wild weiter. Sie ersetzten Fynn, und Fabi wandte sich nach einer letzten, dem Gesichtsausdruck nach, mitfühlenden Frage dem bunten Treiben zu. Ließ Fynn alleine, statt weiter dessen Schulter zu drücken.

Auf seltsam wackeligen Beinen rutschte ich zu ihm herüber. Der Bereich rund um den Pool schimmerte glitschig von den herüber platschenden Wassermassen, sodass ich um meine Standfestigkeit fürchtete und mich noch mehr davor, kopfüber im Pool zu landen. Spätestens dann wäre es angebracht, den Doc zu holen, und das vermied ich nur zu gerne. Ich ging etwas langsamer und bedachter, bis ich bei Fynn ankam, der das Gesicht noch immer im Handtuch verbarg. Meine Finger zitterten. »Darf ich’s mir mal ansehen?«

Fynn zuckte sichtlich zusammen. Hatte er mich zuvor nicht wahrgenommen oder musste ich das auf den Schlag an den Kopf zurückführen? Beides schien mir auf die eine oder andere Weise bedenklich. »Ist nicht so schlimm«, nuschelte er in den feuchten, fleckig-rosafarbenen Baumwollstoff.

»Ich würde es trotzdem gerne sehen. Vielleicht muss es getapt oder geklammert werden. Es hat deine Augenbraue erwischt, oder?«

»Schätze, wenn was anderes an mir so bluten würde, müsste ich mir mehr Sorgen machen.« Ich kannte seine Stimme. So gut, dass ich sie nie vergessen könnte, obwohl wir uns bald zehn Jahre nicht gesehen hatten. Damals aber klang sie freundlicher, leiser und weicher. Nicht angefüllt von ... grimmigem Zorn? War es das? War er immer noch wütend auf mich?

Ein negatives Prickeln erreichte kalt meine in nassen Socken steckenden Zehenspitzen. »Wenn das Blut zu lange fließt, musst du das auch so.«

Er reagierte nicht. Er saß nur da. Das blutige Handtuch auf die Wunde gepresst.

»Ich denke, ich gehe doch besser den Doc ho...«

»Herrgott.« Fynn knallte das Tuch auf den Boden. Es klatschte in eine der Pfützen. Wasser spritzte auf und tränkte meine Hosenbeine. In seinen grünen Augen blitzte kalte Wut, als er sie zu Schlitzen verengte. Seine Nasenwurzel zuckte und er reckte das Kinn vor, das heute ein erstaunlich dichter Bart bedeckte. Früher spross da kaum heller Flaum.

»Willst du es nun ansehen oder nicht?« Er öffnete die Augen, kräuselte die Stirn noch härter, provozierte einen neuerlichen Blutschwall. Mit dem krummen Zeigefinger, den er sich zu Amateurzeiten zweimal gebrochen hatte, deutete er auf die Wunde. »Ich habe mich dort verletzt und nicht an meinem Mund.«

»Entschuldige.« Ich wusste nicht wofür, brachte das Wort aber dennoch hervor, hielt mit den Händen inne, erinnerte mich an Lasses Frage vom Vorabend und wie gut sie mir gefiel. »Darf ich dich berühren?«

Fynn verdrehte die Augen, folgte mir jedoch mit dem Blick. Sachte berührte ich seine nassen, drahtigen schokoladenfarbenen Haare, strich sie zurück, um sie aus der Wunde zu halten, fasste mit den Fingern der anderen Hand an sein Kinn. Barthaare kratzten über meinen Daumen. Wie nur hatte er so erwachsen werden können? Und das so. So. Sodass mir jegliche Worte dafür fehlten.

Er beobachtete mich genau, während ich versuchte, mich auf nichts, als seine Verletzung zu konzentrieren. Das Blut sickerte aus der Augenbraue. Ein glatter, aber flacher Cut. Er biss die Zähne aufeinander, den Schmerz zurück, den ich in seinen Augen las.

»Ich soll dich übrigens von meinen Eltern grüßen.«

Seine Augen standen still und er musterte mich, als hätte er mich nie zuvor gesehen. Als wäre ich ein Fangirly, das dumme Sachen sagte, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Okay.« Er bewegte die Brauen und zuckte zusammen. »Danke.« Kein Gruß zurück.

»Du erinnerst dich an ...«

»Ja. Natürlich! So hart war der Schlag auf den Kopf nicht.«

Ich hielt inne, die Finger noch immer in seinem Gesicht, das genau wie der Rest seines Körpers an Definition gewonnen hatte. Rammte die Zähne in meine Unterlippe, um die Frage, die unbedingt herauswollte, nicht zu stellen.

»Was?« Seine Spucke fand auf meine Finger. Blut rann über meinen Daumen. Blassrot und warm.

»Du bist nicht immer noch wütend auf mich, oder?«

»Nein, bin ich nicht.« Mit beiden Händen umfasste er meine Gelenke, zog meine Arme mühelos herab. Meine Fingernägel kratzten über seine Haut, seine an meinem Puls. Ich hörte die Berührung trotz des Jubels im Pool. »Und jetzt reicht’s, ich gehe zum Doc.« In einer fließenden Bewegung kam er auf die Füße. So schnell, dass ich zurücktaumelte, gefährlich nah an den Beckenrand. Sein Gesicht wurde um Nuancen blasser und er schwankte, zwei Fingerspitzen auf der Nasenwurzel.

Ich fing mich, während er wankte. »Ich sollte dich doch besser beglei...«

»Va te coucher, Renée!« Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung und ließ mich stehen.

Fahr zur Hölle? Fahr zur Hölle, Renée? In der freundlichsten Version, die ich kannte. Aber am Ende blieb die Bedeutung gleich.

3. Kapitel

Halb zehn hatte Lasse gesagt. Um halb zehn am Abend wollten wir uns im Hotelkeller auf dem riesigen Schachbrett treffen. Unmöglich es nicht als imposant zu bezeichnen. Die Figuren wirkten wie geschnitzt. Als ich den Kopf eines weißen Pferdes berührte, stellte ich jedoch fest, dass es aus Plastik bestand. Anders könnte man die mannshohen Figuren wohl trotz der Rollen nicht bewegen.

Lasses Empfehlung lautete: Zieh dich warm an. Ein Teil von mir hatte das wortwörtlich genommen und eine Kapuzenjacke über das Top gezogen, doch hier unten herrschte stickige Wärme, die mich in Versuchung führte, ihn auszuziehen.

»Wenn ich du wäre, würde ich den lieber anlassen.«

Ich zuckte zusammen, wirbelte herum, ließ die Hände sinken, statt weiter mit dem Saum meines Shirts zu spielen.

»Habe ich dich erschreckt?« Lasse lachte leise und mein Blick wanderte zu der blauen Wuppertal-Mütze, die er über die wirren Locken gestülpt trug.

»Nein.« Ich konnte nicht aufhören, ihn anzustarren.

»Tut mir leid, dass es Wuppertal ist. Von Leverkusen habe ich leider keine.« Statt sie abzusetzen, schob er sie nur ein Stück aus der Stirn und baute am Hinterkopf eine gröbere Falte ein. Er besaß ein Mützengesicht, aber wozu trug er sie in einem stickigen, fensterlosen Hotelkeller?

»Nicht, dass mich das wundert. Und ich arbeite nur in Leverkusen. Im Herzen bin ich Wiesbaden-Fan, also ist es mir einerlei. Aber wieso die Verkleidung? Ankleidung. Wie auch immer du das nennen willst.«

»Schutzmaßnahme.«

»Schutzmaßnahme«, echote ich wie ein grenzdebiler Papagei. »Wir spielen Schach, oder?«

»Du hast Harry Potter nicht gelesen?«

Ich verstand von immer mehr immer weniger, umso älter ich wurde. Und wenn wir nur von Minuten sprachen. Außerdem bildete Schweiß unschöne Flecken in meinen Achseln, und da ich die Gefahr noch immer nicht erkannte, zog ich den Zipper herunter und warf meine Jacke über die nächstgelegene Stuhllehne. »Nein, aber ich habe die Filme gesehen.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, betastete die feuchten Stellen mit den Fingerspitzen. Igitt. »Allerdings ...« Ich betrachtete die Plastikfiguren erneut. »... sind die hier kaum magisch, oder?«

»Die nicht.« Lasse kam ein Stück näher, hob die Hände, setzte die Mütze ab, zog sie aber sofort wieder über seine Locken, ehe er fortfuhr. »Aber dieser Abend könnte es durchaus werden. Bist du gut? Im Schach spielen, meine ich?«

»Gute Frage. Ich habe lange nicht mehr gespielt.« Ich fasste meine Haare am Hinterkopf zusammen und band das Gummi, das ich bisher am Handgelenk trug, um die seit zwei Stunden roten Längen.

»Die Farbe gibt dir ein bisschen was Teuflisches.« Lasse rupfte die Mütze vom Kopf und warf sie zu meiner Jacke, verfehlte den Stuhl um Zentimeter.

»Ist das gut oder schlecht?« Ich hielt den Blick auf die blaue Baumwolle gerichtet.

»Das wird sich im Verlauf des Spiels zeigen.« Lasse kam ein paar Schritte heran. So nah, dass seine Wärme auf meiner Haut prickelte. Es mochte seltsam klingen bei meinem Beruf, aber privat hasste ich schwitzende Leiber in meiner direkten Nähe. Lasses aber erschien unfassbar erstrebenswert und mein rascher schlagendes Herz drängte mich zu ihm. Nahe genug, dass ich die Mischung aus Minzbonbons und herben Aftershave einsog. Wieso rasierte er sich abends?

»Weil es morgens zu gefährlich ist. Da schlafe ich noch halb.«

Mein Herz stand still, wie man es sonst über verdrehte Augen beim Glockenschlag sagte. »Habe ich die Frage gerade laut gestellt?«

»Nein, ich beherrsche Telepathie.«

»Sicherlich.« Ich versuchte, meinen Puls zu entschleunigen. »Gut, welche Farbe willst du?«

»Schwarz, weil weiß besser zu einem Engel passt.«

»Ich bin nicht sicher, in wie weit das auf mich zutrifft, aber ich akzeptiere deine Wahl.«

»Vielen Dank.«

Mir waren nicht mehr alle Regeln des Spiels geläufig, aber Lasse erklärte sie mir geduldig, obwohl er dadurch ins Hintertreffen geriet. Ein Gentleman. Bis zu dem Punkt, an dem mein erster Bauer von ihm gefällt wurde. »Das bedeutet, du musst ein Kleidungsstück ablegen.«

»Wie bitte?« Mir war am Nachmittag beim Training eine Fliege ins Ohr gesurrt und das Brummen über Stunden geblieben. »Ich habe gerade verstanden, ich soll ein Kleidungsstück ablegen. Aber das kannst du unmöglich gesagt haben.«

In Lasses Gesicht stand eine Mischung aus Unschuld und Provokation. Licht und Schatten huschten über seine Wangen, seine verräterisch zuckenden Mundwinkel.

Ein Prickeln rann über meine Kopfhaut und meinen Nacken herab. »Du hast das gesagt, oder?«

Die Unschuld wich einem Lachen. In seinen Augen blitzte der Schalk. »Ja.«

Das Prickeln sammelte sich in meiner unteren Mitte, als ich mich dem Feld zuwandte, Lasse genauer betrachtete und mir unweigerlich vorstellte, wie er nackt aussah. So intensiv, dass ich mich glücklich schätzte, kein Mann zu sein. Bella würde sagen, dass es einem das Höschen auszog. Und das sah ich noch als netteste Umschreibung an für das, was geschah. »Du leugnest das nicht mal?«

»Nein.« Er verschränkte die Arme vor der im schwarz-weiß gestreiften T-Shirt steckenden Brust. »Ich amüsiere mich nur still immer noch darüber, dass du Schach als nicht körperbetont bezeichnet hast.«

»Ich mich jetzt auch.« Ich kickte einen Schuh zu seiner Mütze. »Akzeptiert?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ist es für dich in Ordnung? Das Spiel?«

Ich zählte die Kleidungsstücke an Lasses Körper und ahnte, dass er das Gleiche bei mir tat. »Wie weit gehen wir?«

»Bis zum Matt?« Keine Frage, nur eine Art gelassener Provokation, und meine Mitte sprang darauf an. Wenn ich gut spielte, wäre Lasse bis dahin tatsächlich nackt. Und hatte ich Schach bisher immer als langweilig empfunden, bekam es mit dem Vorwort Strip einen interessanten Charakter.

»Okay. Bis zum Matt. Aber wehe ich höre Klagen von dir, wenn ich dich ... ausziehe.« Das geeignete Wort wäre ›abziehe‹, aber Lasses Augen blitzten noch dunkler. Seine Mundwinkel zuckten. Er verstand mich genau. Und das Spiel nahm an Fahrt auf.

Weder Lasse noch mir ging es noch darum, den anderen zu besiegen, nein, wir trugen ein anderes Spiel aus, das nur davon handelte, alle Figuren des anderen vom Brett zu kegeln.

Umso weiter wir fortschritten, desto heißer wurde es im Raum. Undenkbar, sich anzuziehen. Beim nächsten Bauern aber fand ich mich vor der Entscheidung, entweder im BH oder im Tanga vor Lasse zu stehen. Als Nächstes würde sein T-Shirt fallen, aber um für mich den größtmöglichen Gewinn herauszuholen, musste ich noch zwei seiner Figuren fällen.

»Zählt das Matt als gefallene Figur?« Nur um ihn nervös zu machen, blickte ich direkt in seinen Schoß. Weite Shorts. Das Spiel gestaltete sich unfair. Er hatte sich vorbereitet.

»Nein.« Lasse lachte. Grübchen in den Wangen.

»Das bedeutet, ich kann nur verlieren?« Ich haderte noch immer mit der Entscheidung, die Jogginghose oder das Top fallen zu lassen. Vor dem Stuhl auf dem Fußboden machten sein Pullover und meine Jacke Liebe.

»Interessant.«

Ich zog die Brauen hoch und steckte meinen Zopf fest.

»Gewinnen bedeutet für dich also mich nackt zu sehen?« Er überkreuzte die Arme und fasste mit beiden Händen in den Bund seines weißen T-Shirts.

Äh ... »Ja«, gab ich zu und hob den Blick in seine Augen. »Du hast das Spiel begonnen. Sag mir, dass deine Absicht eine andere war.«

Lasse lachte. »Meine Absicht war eine gänzlich andere.«

Verarsch mich nicht.

»Ich hatte nicht vor, mich auszuziehen.« Sein Blick wanderte begehrlich an mir herab. Seltsamerweise wirkte es auf mich aber nicht berechnend, nicht unangenehm. Eher im Gegenteil. Oh, Lord.

»Aber du hattest vor, mich auszuziehen.«

Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich habe dich nicht berührt. Bisher.« Das letzte Wort nichts als ein Flüstern, das ich mir eingebildet haben könnte. Haben wöllte? Wöllte? Du lieber Himmel. Er rupfte das T-Shirt über den Kopf, warf es zu den anderen Sachen und wuschelte sich durch die Haare. Verboten. Er sah verboten aus. Jetzt schon, als hätten wir es dem Kleiderhaufen gleichgetan und uns auf dem Fußboden vermengt.

In meinem Kopf sangen die Sportfreunde Stiller.

»Was tust du?« Hatte ich ihm die Frage nicht am Vorabend schon gestellt? Wurde das zu unserem Running Gag? Und wenn ja, wo endete er?

»Die Chancengleichheit herstellen. Ich finde es übrigens intimer, wenn du nur noch im Höschen vor mir stehst, also zieh das Shirt aus.«

Ich suchte vergeblich nach der Logik. Mein Kopf zog blanker als ich. »Weil du das eine intimer findest, soll ich das andere machen?«

»Das Beste kommt zum Schluss.«

Ich sah auf seine glattrasierte Brust und seinen schlanken Bauch, der muskulös genug war, um als durchtrainiert zu gelten, zog mir das Top über den Kopf und fand Lasses Blick überraschend nicht in meinem Dekolleté.

»Du bist dran.« Er nickte zum Spielfeld. »Und du hast zwei Möglichkeiten. Entweder spielst du darauf, mich nackt zu sehen, oder du möchtest das Spiel gewinnen und mich matt setzen.« Lasse stand nur in dunkelblauen Shorts mitten auf dem Feld, die Arme erhoben, als wartete er auf Regen.

Gab es zwei Möglichkeiten? Ja, aber ich musste sie nicht durchdenken. Ich würde ... Mir stockte der Atem und nur mit Mühe hielt ich meinen Unterkiefer im Zaum. »Warte mal ... das bedeutet ja, es geht hier nur noch um die Moral.«

Lasse lachte und deutete mit beiden Händen an seinem Körper herab, sah mich zum ersten Mal genauer an und verweilte kurz am Ansatz meiner Brüste, ehe er bis zum Bund meiner Hose wanderte. »Du willst sagen, dass alles, was wir bisher getan haben, besonders moralisch war? Nicht verwerflich? Strip-Schach? Ich schätze, wenn jemand das Conny steckt, dann fliege ich hochkant aus der Mannschaft und brauche nie wieder auf eine Einladung hoffen.«

»Aber du tust es trotzdem.« Ich schluckte und trat näher heran, legte meine Finger ans Pferd. Jenes, das seine Shorts anstelle seines Königs bedrohen könnte. »Wieso?«

Er senkte die Schultern ein Stück und hob eine zur Faust geballte Hand, zählte an den Fingern auf, wie ich es auch oft tat. »Weil du auf wunderschöne Weise wirklich reizvoll bist. Weil ich jung bin. Weil ich Abenteuer mag. Weil mir Medaillen nicht so wichtig sind wie das Leben zu leben. Weil es mehr als nur Fußball gibt.« Sein rechter Brustmuskel zuckte, sein Herz klopfte kräftig genug, dass ich es sah. »Und das ist das, was man mir wohl als tatsächlich verwerflich ankreiden kann.«

»Sollte man aber nicht.« Ich machte das Einzige, was mir noch richtig erschien. Ich ließ das Rössl nicht springen, sondern schubste es an, sodass es vom Brett rollte. Lasses Augen wurden groß wie Fußbälle, und das Unverständnis, das darin flackerte, seine geröteten Wangen, machten ihn so attraktiv, anziehend, dass ich die Augen schloss, innerlich viel zu sehr zitterte, um noch klar zu denken, besonnen zu handeln.

Mit beiden Händen griff ich in den Bund meiner Jogginghose und mit einem Ruck glitt sie zu Boden. Ich hob beide Arme, meine Hände an Lasses Wangen, die unter meinen Fingern glühten, zog seinen Mund blind auf meinen und fühlte mich wie am Vorabend überwältigt von dem, was er in mir auslöste.

Es war nur ein Kuss, hart genug, dass er lieblich schmerzte, und meine Mitte, die mit seinem Oberschenkel kollidierte, beinahe zerriss. Bruchteile einer Sekunde, bis Lasse mit beiden Händen meinen Körper packte. Mit einer mein Kreuz stabilisierte, mit der anderen über mein Schulterblatt streichelte, die Finger in meinem BH-Träger verwirrte.

Seine Zunge streichelte meine, seine Schneidezähne reizten meine Oberlippe und ich schob mich so nah an ihn, dass es wie in der letzten Nacht nur noch uns beide gab. Uns beide als eins? Noch nicht. Aber alles in mir verzehrte sich danach.

Ich wollte jeden Zentimeter von Lasses Haut berühren. Mit den Fingerkuppen, meinen Lippen, meiner Zunge. Ich wollte mehr schmecken als nur Pfefferminze. Salziger Schweiß und Lasses ureigene Note mein Ziel; und eine Nacht, die keiner von uns vergessen würde.

Ich küsste sein Kinn, mich an seinem Hals herab. Seine Finger unruhig auf meiner entblößten Haut, mit einer klaren Endstation. Mit den Kuppen auf Abwegen, tiefer gleitend bis zum letzten störenden Stück Stoff.

Lasse stöhnte, schob sein Becken gegen meine Hand und entlockte mir ein Keuchen. Sein Gesicht verzerrt vor Lust. Ich spielte dieses Spiel nicht erst seit gestern, doch Lasses Mimik war ein Fest. Ich hatte nie zuvor etwas Anregenderes gesehen als sein Mienenspiel. Die flatternden karamellbraunen Wimpern, wie er die Schneidezähne in die Unterlippe rammte, um nicht zu laut zu werden, wie sein Adamsapfel sprang, als er den Kopf in den Nacken legte.

Ich versenkte die Fingerkuppen unter dem Bund seiner Shorts. Pulsierende Wärme, das liebliche Zucken einer beginnenden Erektion. Von ihm ging so viel Hitze aus, dass es genügen würde, um nackt an einem Wintertag zu überleben. Und während ich ihn vorsichtig erkundete, reizte, es in meiner Mitte langsam zog, stellte ich mir vor, wie wir beide uns durch frischen Schnee wälzten. Wie Flocken sich auf seine Haare, sein Gesicht, seine Zunge legten, wie unsere Lippen einander trafen und unsere Körper sich vereinten.

Ich konnte mich nicht sattsehen an seinem Gesicht, während ich langsam in die Knie ging. In mir den Drang seine ebenmäßige Haut zu küssen, die wunderschön über den Muskeln spannte, aber ich konnte nicht alles zugleich haben. Leider nicht. Ich zog die Finger bis an den Bund seiner Shorts zurück, hakte sie ein. Wie viele Muskeln in ihm spielten, ließ mein Herz zum Presslufthammer werden. Ich wollte jeden berühren, doch so viel Zeit blieb uns nicht. Nicht heute Nacht. Vielleicht gar nicht während des Turniers, denn Lasse teilte ein Zimmer mit Fynn.

Ausgerechnet ... Nein. Nicht der Moment, um an den Nachmittag zurückzudenken. An Fynn. An damals. Ich konzentrierte mich nur auf Lasse und seine sich eilig hebende Bauchdecke, drückte einen Kuss auf die gespannte Haut über seinem Nabel und stupste meine Zunge mitten hinein.

Lasse belohnte mich mit einem Laut, der in meine Mitte wanderte, stolperte zurück, riss die Augen auf. Eben noch grüne Smaragde – jetzt unergründliche Bergseen.

Grübchen der Lust entstanden auf seinen Wangen und mit einer Hand packte er den Turm, hielt sich daran fest, obwohl der drohte davon zu rollen. »Ich habe die Location nicht gerade weise gewählt.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Hast du nicht gesagt, dass du Abenteuer magst?«

»Ich dachte nicht, dass du so weit gehen würdest.« Er blickte von links nach rechts, rollte nur mit den dunklen Augen. »Hier.«

Ich stellte den Fuß auf, drückte das Knie durch, bereit aufzustehen, wenn er mich bat. »Ich kann aufhören, wenn du willst.«

Viele gruslige Filme hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen, aber Lasses Gesichtsausdruck als puren Horror zu interpretieren, fiel mir nicht schwer, und lachend senkte ich den Blick, küsste die vibrierende Haut direkt unter seinem Nabel.

Lasse legte beide Hände auf meine Oberarme, sachte streichelnd, bevor er zupackte, mich auf die Füße hob, seinen Mund verlangend auf meinen presste. Ein Spiel mit mir begann, das mich schwindlig machte, mich das Becken gegen seines pressen, fühlen ließ, bis mein Herz in den Zehen schlug. Lust rauschte in meinen Ohren und Lasses kundige Finger auf den Rundungen meines Pos nahmen mir schier die Orientierung, das Gefühl für Zeit und Raum.

»Du hast noch viel zu viel an«, murmelte ich gegen die heiß-verschwitzte Haut an seinem Schlüsselbein, stupste mit der Zunge in die Mulde an seinem Hals, brachte ihn zum Lachen. Ungeschliffen und kehlig.

»Sagst du mir?« Er flüsterte gegen meine Stirn, drückte die Fingerkuppen in die glühende Haut meiner Venusgrübchen. »Du hast viel zu viel Stoff an dir.«

Ich biss vorsichtig zu, zupfte an der Haut. Darauf bedacht, keine Spuren und nur betörenden Schmerz zu hinterlassen, den er am Morgen noch spüren würde wie ein Brandzeichen, das verblasste, doch niemals mehr verging. »Und es ist vollkommen an dir, das zu ändern.«

»Darf ich?« Er stieß dieses Giggeln aus, das ein Feuer wie einen Mikro-Orgasmus durch meine Venen jagte.

»Fragst du wirklich?«

»Ich bin höflich.«

Ich klatschte ihm die Hand gegen die nackte Brust.

»Gut erzogen.« Er lachte, als ich aufsah, verstand mich wortlos besser als mein Ex es nach fünf Jahren ...

»Fuck.« Lasse schubste mich zurück, stolperte in den Turm, bückte sich, warf mir einen Pullover in den Arm, bevor ich irgendwas verstand. »Auf dem Gang. Licht.« Er packte seine Hose, Schuhe, kickte Socken unter den nächstgelegenen Schrank. »Da ist wer.«

Und erst nach endlosen Sekunden begriff mein Kopf, der von der Lust bestimmt, noch atemlos gefangen war, was das bedeutete. Malte mir aus, dass Conny, der Manager oder der Doc uns hier fand. Etwas, das ich längst hätte bedenken sollen.

Ich stopfte mein Top in die nächstbeste Schublade, zog mir Hose und Schuhe an, den Pullover über. Falschrum, korrigierte es nur gerade noch, bevor jemand den Raum betrat, sah mich um. Keine Spur mehr von Lasse. Dafür stand Paul vor mir.

All meine im Schreck noch vorhandene, pulsierende Lust verschwand im Nu. Eine kalte Dusche hätte nicht besser funktioniert.

»Du bist alleine hier?« Er blickte an mir vorbei durch den Raum.

Nur mühsam widerstand ich dem Drang, mich umzudrehen und ebenso jede Ecke abzuscannen. Ich musste es ja besser wissen. Herrgott, ich wusste es besser. Und genau davon galt es Paul abzulenken. Nur wie?

Er runzelte die Stirn. »Ich habe eben Stimmen gehört und du neigst eigentlich nicht zu Selbstgesprächen.«

Oh Himmel. »Ja, ich äh ... Ich habe telefoniert.«

Seine hellen Brauen formten Bögen. Eine stumme Frage, ein ›Verarschen kann ich mich auch alleine.‹ Hitze, höllischer als jene, die Lasse in mir ausgelöst hatte, wallte in mir auf. Unangenehm wie ein Hustenanfall für einen Spion. »Mit eingeschaltetem Lautsprecher. Ich fand es ziemlich gruslig hier ... so alleine.« Ich hob den rechten Arm, schob den Ärmel ein Stück zurück, was erstaunlich leicht ging. Hatte ich den Pullover in kurzer Zeit ausgeleiert? Falls ja, sollte jemand den Hersteller verklagen. »Siehst du? Gänsehaut.« Ich schüttelte den Arm, versteckte ihn gleich darauf, denn von einer Gänsehaut keine Spur. Wie auch, wenn ich noch glühte?

»Okay.« Paul lehnte im Türstock. »Und was wolltest du überhaupt hier unten? Heimlich telefonieren?«

Ich verdrehte die Augen, schob mich an ihm vorbei auf den Gang. »Nein, ich hatte nur meinen Pullover vergessen vorhin. Hab ihn gefunden.« Den Blödsinn würde mir nicht einmal ein Fremder glauben.

»Seit wann schreibt man Renée mit einem L vorne?«

»Was?« Ich wirbelte herum, der Pullover schlackerte um meinen Körper und siedend heiß kam die Erkenntnis. Mit offenem Mund blickte ich herab, griff in den Saum und fand die verräterischen Initialen L.K. »Ach herrje«, rief ich, wirbelte die Arme durch die Luft. »Jetzt ... Ich hatte mich schon gewundert, was damit geschehen ist, dass der plötzlich so weit sitzt. Wie eingelaufen, nur andersherum. Das ... Hey, der lag da und ich hätte schwören können, dass ich meinen da liegen lassen habe. Da ...« Schluss, was sollte das Versteckspiel, was wollte ich verbergen? Und warum? Ich arbeitete mit meinen Spielern. Mir war nicht verboten, mich auch in der Freizeit mit ihnen zu ... beschäftigen »Okay, gut, ich war mit Lasse hier unten. Wir haben Schach gespielt. Mir ist kalt geworden und er hat mir seinen Pullover geliehen.«

»Und wo ist er jetzt plötzlich hin?«

»Hier.« Wie einstudiert tauchte Lasse auf Kommando auf. In langen Trainingshosen, T-Shirt und mit so unschuldigen Augen, dass er damit meine Großmutter überzeugt hätte. Nur die Haare standen wirr um seinen Kopf. Mein Werk. Und von ›kalt‹ konnte keine Rede sein. »Ich war bloß auf dem Klo.«

»Scheint da keinen Spiegel zu geben.« Pauls Blick wanderte zwischen uns beiden hin und her.

»Wie?«

Er deutete auf Lasses Kopf und Lasse packte sofort mitten in seine wuscheligen Locken, verwuschelte sie noch mehr.

»Ist doch alles bestens.« Er grinste Paul erstaunlich selbstsicher an. »Nur keinen Neid.«

Fast hätte ich gelacht, Paul trug schon eine Glatze, als ich ihn vor fünf Jahren kennenlernte.

»Bestimmt nicht. Ich kann dir einen Kamm leihen, falls du deinen vergessen hast.«

Wofür besaß er einen Kamm?

»Wer hat gewonnen?«

»Wobei?« Lasse runzelte die Stirn und ich nickte knapp zurück. »Ach ... ach so, Schach. Renée. Sie ist unschlagbar.«

Paul durchlöcherte mich. »Im Schach? Seit wann beherrscht du die Regeln?«

»Lasse ist ein guter Lehrer. Aber wir sollten jetzt gehen. Es ist schon spät.« Ein Gähnen vorzutäuschen wäre zu viel, also beließ ich es dabei, vorauszugehen. Die anderen folgten zum Glück. Oder Pech.

»Und wieso war das ein Geheimnis?«

Ich wandte mich um. Lasses Blick ein einziges Fragezeichen. Ein Hilfeschrei.

»Oh äh ... Bella hatte die Idee, wir könnten ein kleines Schachturnier veranstalten mit allen und na ja, du kennst mich, ich verliere nicht gerne, und Lasse hat angeboten, mir ein paar ... Tricks beizubringen.«

4. Kapitel

Auffällig unauffällig wartete Lasse wie verabredet vor meiner Zimmertür. Nicht direkt davor, aber in unmittelbarer Ferne. Nähe. Wie sagte man? Egal. Ich kämpfte genug damit, meine Gesichtszüge im Zaum zu halten. Und mein vor Freude wild klopfendes Herz. Ich hatte nichts anderes vor, als mit Lasse zu reden, aber das genügte, um den Tag zu lieben, nachdem der Vormittag mich an meine Grenzen brachte.

»Hey«, begrüßte ich Lasse, als hätten wir uns heute noch nicht gesehen. Als wäre er mein Nachbar, der zufällig nebenan eingezogen war, wie in dem Lied von Max Giesinger. Roulette wäre eine spannende Erfahrung. Gab es da eine Stripversion?

»Hey«, gab er zurück, stieß sich aber nicht von der Wand ab, an der er lässig lehnte. In Shorts und Muskelshirt. Seine Oberarme und Schenkel ein anregendes Gedicht.

Ich öffnete die Zimmertür und vollführte eine einladende Geste. Er schob sein Handy in die Hosentasche und folgte mir unaufgeregt ins ... Allerheiligste.

»Nobel geht die Welt zugrunde. Interessant, dass sie dir so ein Zimmer geben wie den Stars.«

»Tja, ich bin eben wichtig. Allerdings muss ich es mir mit Bella teilen.«

Lasses Augenbrauen wanderten in die Höhe.

»Sie wird nicht herkommen heute Mittag, sie weiß eh alles und schweigt, so wie ich über das, was sie tut. Das mit dir und mir ist nicht verwerflich und äh ... und ich habe es ernst gemeint, ich möchte mehr über dich wissen. Ganz harmlos.«

»Dann passt es ja zu mir. Harmlos.« Er ging bis zur Terrassentür, die wir am Mittag vergessen hatten zu schließen. Das Hotel aber war ohnehin von Sicherheitspersonal umstellt. Besser geschützt als das Pariser Gefängnis. »Darfst du mich überhaupt herbringen?«

»Mir hat es zumindest niemand verboten.« Ich streifte mir das Shirt über den Kopf und betrachtete mich im bodentiefen Spiegel, der sinnigerweise gegenüber der Badezimmertür hing. Ein rotes Bikinioberteil mit einer silbernen Schnalle zwischen dem, was Felix ›Hügelchen‹ nannte. »Und du hältst mich nicht unbedingt für ein braves Mädchen, nehme ich an.«