Weltbeste Bildung - Yasmin Weiß - E-Book

Weltbeste Bildung E-Book

Yasmin Weiß

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Beschreibung

Wie schaffen wir es, in einer immer stärker digitalisierten Welt alle Menschen mitzunehmen und für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft fit zu machen? Die Expertin für digitale Bildung – Yasmin Weiß – macht deutlich, warum wir dafür lebenslanges Lernen brauchen und wie sich dieses erreichen lässt. Den Schwerpunkt setzt sie besonders auf die digitale Bildung sowie auf die Stärkung jener menschlichen Eigenschaften, die uns nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Dabei liegt es ihr fern, allein die Politik in die Pflicht zu nehmen, vielmehr sieht sie die Verantwortung bei jedem Einzelnen sowie bei den Unternehmen. Denn bereits jetzt fühlen sich viele Berufstätige digital abgehängt und stehen den neuen Schlüsseltechnologien skeptisch gegenüber. Wie es gelingt, diese Berührungsängste abzubauen und eine lernende Gesellschaft zu werden, um wirtschaftlich zukunftsfähig zu bleiben, zeigt dieses Buch.

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Yasmin Weiß

Weltbeste Bildung!

Wie wir unsere digitale Zukunft sichern

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Wie schaffen wir es, in einer immer stärker digitalisierten Welt alle Menschen mitzunehmen und für die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft fit zu machen? Die Expertin für digitale Bildung – Yasmin Weiß – macht deutlich, warum wir dafür lebenslanges Lernen brauchen und wie sich dieses erreichen lässt. Den Schwerpunkt setzt sie besonders auf die digitale Bildung sowie auf die Stärkung jener menschlichen Eigenschaften, die uns nachhaltig von immer intelligenter werdenden Maschinen unterscheiden. Dabei liegt es ihr fern, allein die Politik in die Pflicht zu nehmen, vielmehr sieht sie die Verantwortung bei jedem Einzelnen sowie bei den Unternehmen. Denn bereits jetzt fühlen sich viele Berufstätige digital abgehängt und stehen den neuen Schlüsseltechnologien skeptisch gegenüber. Wie es gelingt, diese Berührungsängste abzubauen und eine lernende Gesellschaft zu werden, um wirtschaftlich zukunftsfähig zu bleiben, zeigt dieses Buch.

Vita

Yasmin Weiß ist BWL-Professorin, Start-up-Gründerin sowie mehrfache Aufsichts- und Beirätin. Sie ist Expertin für digitale Bildung und die Arbeitswelt der Zukunft und analysiert, welche Kompetenzen in Zukunft benötigt werden, um die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben.

Für meine Eltern, die mir und meinen Geschwistern eine so hervorragende Bildung ermöglicht und mit ihrer bedingungslosen Liebe den Grundstein für alles Weitere gelegt haben.

Für meine Kinder, die mir die Welt bedeuten. Und die ich inspirieren möchte, »ohne Geländer zu denken« und sich viel zuzutrauen. Ich hoffe, sie werden begreifen, dass die schönsten Momente in einer digital vernetzten Welt immer noch analog stattfinden.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Ein sehr persönliches Vorwort: Mit Bildung völlig neue Welten erobern

1.

WARUM wir jetzt alle handeln müssen: Bildung als Sprungbrett in die digitale Zukunft

Technologierevolution als Chance –mit Hausaufgaben

Radikaler Wandel der Arbeitswelt

Transformation zum Ökosystem der lebenslangen Bildung

Machbares deutsches Bildungswunder

2.

Weltbeste Bildung ist Empowerment für die Gegenwart und die Zukunft

Bildungserfolg im 21. Jahrhundert: Vordenken statt Hinterherdenken

Metakompetenzen: Power Skills für die volatile Zukunft

Lernkompetenz: Das Lernen lernen

Kritisches Denken: Lernen, zu hinterfragen

Problemlösungskompetenz: Lernen, Herausforderungen zu meistern

Kreativität: Lernen, neue Wege zu finden

Resilienz: Lernen, im Sturm zu tanzen

Selbstkompetenz: Lernen, mit sich selbst gut umzugehen

Sozialkompetenz: Lernen, mit anderen gut umzugehen

Digitale Bildung: Das Wissen, aus dem Zukunft entsteht

Digital Core Skills: Was bereits Kinder lernen sollten und auch Erwachsene brauchen

Digital Citizenship Skills: Basisfähigkeiten für die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft

Digitale Ethik: Verantwortung und Anstand in der digitalen Welt

Interdisziplinäre Bildung und technologisches Studium generale: Das neue »Sexy« am Arbeitsmarkt

Qualifizierung in mehreren Disziplinen: »Hello, Multirationalität«

Qualifizierung entlang des T-shaped-Modells: »Bye-bye, One-Trick-Pony«

3.

WER muss handeln? Wer zum Ökosystem des lebenslangen Lernens gehört

Wir selbst: Weil wir Unternehmer unseres eigenen Kompetenzportfolios sind

Gesellschaft: Weil Bildung das nachhaltigste Geschenk ist, das wir anderen machen können

Wirtschaft: Weil diejenigen, die die Zukunft verändern, sie anderen erklären müssen

Politik: Weil unsere Investitionen im Heute unsere Zukunft im Morgen bestimmen

Bildungssystem: Weil unsere intellektuellen Ressourcen unser wichtigster nachwachsender Rohstoff sind

4.

Bildung als gesamtgesellschaftliche Herzensaufgabe: Wie das Mondfahrprojekt gelingt

Epilog: Wovon träume ich persönlich? »Bildung made in Germany« als weltweites Qualitätssiegel

Danksagung

Anmerkungen

1.

WARUM wir jetzt alle handeln müssen: Bildung als Sprungbrett in die digitale Zukunft

2.

Weltbeste Bildung ist Empowerment für die Gegenwart und die Zukunft

3.

WER muss handeln? Wer zum Ökosystem des lebenslangen Lernens gehört

Die Autorin

Mehr Infos unter

»Education is the most powerful weapon which you can use to change the world.«

Nelson Mandela

Ein sehr persönliches Vorwort: Mit Bildung völlig neue Welten erobern

»Education is the only gift that keeps on giving.«

Melinda Gates

24 Quadratmeter. So groß war das kleine Haus – oder besser gesagt die Hütte –, in der meine Mutter in den 1950er Jahren in Hongkong aufgewachsen ist. Ohne fließend Wasser. Ohne ein eigenes Bett. Ohne Spielzeug. Ohne einen Schreibtisch zum Hausaufgabenmachen. Ohne so ziemlich alles, was ein komfortables Zuhause ausmacht. Am schlimmsten aber: ohne leiblichen Vater. Mit acht Geschwistern und ihrer alleinerziehenden Mutter, die ihren Ehemann früh verloren hatte und ihr Bestes gab, um ihre neun jungen Kinder irgendwie zu ernähren und nicht hungrig ins Bett schicken zu müssen. Meine Großmutter hatte nur eine geringe Schulbildung. Ihr war es damit kaum möglich, weit über den persönlichen Tellerrand hinauszublicken und ihr Leben in eine andere, eine bessere Bahn zu lenken. Der frühe Tod ihres Mannes, meines Großvaters, sowie das Fehlen einer Grundausbildung verwehrten meiner Großmutter die Chance, ein Leben jenseits von Existenzängsten zu führen und realistische Träume für sich selbst zu entwickeln. Aber eines konnten diese Lebensumstände ihr nicht nehmen: ihren unbändigen Willen und die Hoffnung, dass ihre Kinder einmal ein besseres Leben führen sollten als sie selbst.

24 Quadratmeter. Unsere Küche im beschaulichen Süden von München, in der ich Teile dieses Buches verfasse und unsere Haushälterin jeden Morgen ein gesundes Frühstück für unsere Familie vorbereitet, ist deutlich größer. Ich blicke vom Tisch hinaus in den großen, nicht einsehbaren Garten mit den hohen, alten Bäumen und spüre jeden Morgen, was für ein privilegiertes Leben ich leben darf. Die Brücke zwischen der Kindheit meiner Mutter und dem Leben, das ich seit meiner Kindheit führe, ist Bildung. Exzellente Bildung. Meine Mutter ist ihren damaligen Lebensumständen durch Bildung entflohen und hat damit die Weichen für ein angenehmes, selbstbestimmtes Leben mit vielen Chancen und Möglichkeiten gestellt. Nicht nur für sich, sondern für ihre Kinder und Kindeskinder und vermutlich für alle, die in unserer Familie noch folgen werden. Bildung ist ein Geschenk, das über Generationen nicht aufhört zu schenken. Bildung eröffnet Chancen, die weit über die Gegenwart hinausgehen.

Dank meiner eigenen Familiengeschichte kann ich jeden Tag erspüren, was Bildung verändern kann, wenn man Zugang hierzu erhält. Wie durch Bildung ein Leben und das der nachfolgenden Generationen eine völlig andere Wendung nehmen kann und neue Welten erobert werden können. Neue geografische Welten, neue soziale Welten, neue Welten der persönlichen Vorstellungskraft, aus der neue Lebensrealitäten geschaffen werden können.

Meine Mutter hat im Alter von sechs Jahren ein Geschenk erhalten, das nicht nur das würdevollste Geschenk ist, das man einem Menschen aus prekären Lebensverhältnissen machen kann, sondern auch das nachhaltigste: eine Bildungspatenschaft, die eine herzensgebildete amerikanische Frau für meine Mutter damals übernommen hat. Diese Frau wurde für meine Mutter zu einer liebenden Pflegemutter und Jahre später für mich eine inspirierende Großmutter. Eine Frau, die Warmherzigkeit und kluge Weitsicht in sich trug. Das Motiv dieser großartigen Amerikanerin war Nächstenliebe, gepaart mit dem Wunsch, einem kleinen Mädchen die Hand zu reichen, damit es aus eigener Kraft etwas aus ihrem noch so jungen Leben machen kann. Die Bildungspatenschaft bestand aus der Übernahme von Schulgebühren, aus Inspiration sowie vor allem auch aus dem Glauben an einen jungen Menschen, der selbst noch zu jung war, um an sich selbst zu glauben. Und dem mangels Vorbildern die Vorstellungskraft fehlte, wie man sich in der großen, weiten Welt entfalten kann, wenn man nur die Chance dazu bekommt.

Meine Mutter konnte durch diese Bildungspatenschaft eine gute Privatschule in Hongkong besuchen. Wenn sie am frühen Abend nach einem langen Schultag in ihr beengtes Zuhause zurückkam, legte sie sich gleich schlafen, denn der einzige Tisch in der kleinen Hütte wurde von der Familie zum Abendessen benötigt. Gegen Mitternacht stand sie wieder auf, um ihren Geschwistern Platz im Bett zu machen, denn es gab nicht genug Schlafplätze für alle. Stattdessen nutzte sie die nächtliche Ruhe, um am Esstisch zu lernen und ihre Hausaufgaben zu machen. Sie arbeitete die ganze Nacht hindurch und ging am nächsten Morgen wieder in die Schule, ohne nochmals geschlafen zu haben. Meine Mutter dachte nicht darüber nach, wie beschwerlich ein solcher Alltag und Lebensrhythmus für ein junges Kind waren. Ihr gedanklicher Fokus lag auf der Chance, die sie durch diese Ausbildung erhalten würde. Nach ihrem Highschool-Abschluss wurde sie von ihrer amerikanischen Pflegemutter ermutigt, Hongkong zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Dort lernte sie mit 19 Jahren in Heidelberg einen jungen deutschen Studenten, meinen Vater, kennen und entschied sich zu bleiben.

Meine Geschwister und ich wurden in Deutschland geboren und sind behütet und zugleich weltoffen – zwischen Deutschland und Hongkong pendelnd – in einem Akademikerhaushalt aufgewachsen. Ich bin inmitten von Büchern, die mir auf Deutsch, Englisch und Chinesisch vorgelesen worden sind, und engen Bezugspersonen von drei Kontinenten groß geworden. Meine Geschwister und ich sind mit unseren Eltern viel gereist, haben sehr gute öffentliche und private Schulen und Universitäten im In- und Ausland besucht und konnten von Beginn an ein hervorragendes, internationales Netzwerk zu Menschen aufbauen, die mich zum Teil bis heute begleiten. »Education is the bridge to possible«, diesen Leitsatz haben wir verinnerlicht. Wir sind erzogen worden mit einem ausgeprägten Gefühl der Selbstwirksamkeit, mit einem dynamischen Selbstbild und der Selbstgewissheit, dass Talent und Durchhaltevermögen eine wunderbare Kombination bilden. Vor allem haben meine Geschwister und ich eine hohe Wertschätzung vermittelt bekommen, welch großes Privileg Bildung darstellt. Ich bin davon überzeugt: Talent, das auf fruchtbaren Boden fällt und mithilfe von anderen gefördert wird, gehört uns nicht allein, sondern der Gesellschaft. Wer dies nicht lebt, besitzt ein falsches Verständnis von Elite und trägt indirekt dazu bei, dass wir in Teilen noch immer eine recht undurchlässige Gesellschaft sind.

Es ist daher kein Zufall, dass ich mich – zusätzlich zu meiner Karriere in der Wirtschaft – für ein berufliches Engagement im Bereich der Bildung entschieden habe. Als Professorin junge Menschen in ihrer Ausbildung begleiten zu können, empfinde ich als Berufung, nicht als Beruf. Mich interessiert das Gelingen von Lernprozessen und das Entdecken individueller Potenziale, nicht die Dokumentation des Scheiterns. So viele Aufgaben von Lehrenden lassen sich inzwischen sehr gut digitalisieren. Das spielt zeitliche Kapazitäten frei, um junge Menschen persönlich zu begleiten, zu inspirieren und akademisches Scheitern zu verhindern, wenn es unnötig ist. Rund 50 000 junge Menschen in Deutschland verlassen im Durchschnitt Jahr für Jahr die Schule ohne Schulabschluss. Damit fehlt ihnen die Grundvoraussetzung für einen Ausbildungsplatz, und der Wirtschaft fehlen dringend benötigte Fachkräfte. Hier haben wir großen Handlungsbedarf.

In der Bildung zu arbeiten, bedeutet für mich, anderen das Handwerkszeug zu vermitteln, um Brücken selber bauen zu können. Brücken in eine selbstbestimmte, zunehmend technologisierte Zukunft, in der es so viel spannender ist, das Geschehen auf dem Spielfeld aktiv zu gestalten, als die Entwicklungen passiv vom Seitenrand zu beobachten. Exzellente Bildung ist auf individueller Ebene die zentrale Grundlage für eine selbstbestimmte Lebensführung. Auf kollektiver Ebene stellt exzellente Bildung die Grundlage für das soziale und ökonomische Wohlergehen ganzer Gesellschaften dar und schafft damit Zuversicht. Schlechte Bildung hingegen fördert Pessimismus. Und Letzteres will kein Mensch. Nicht einmal Pessimisten sind gerne pessimistisch.

Hoffen ist daher gut, Handeln ist aber besser. Das vorliegende Buch ist deshalb ein Weckruf zum Handeln. Denn wir sind gerade dabei, durch eklatante Defizite in der Bildung – vor allem auch in der digitalen Bildung – unseren Wohlstand sowie die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen zu gefährden.

Folgende Entwicklungen besorgen mich und waren auch Anlass, dieses Buch zu schreiben: Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft schreitet unaufhaltsam und mit großer Geschwindigkeit voran, was große Chancenpotenziale mit sich bringt. Gleichzeitig vergrößert sich der Abstand zwischen den technologisch Gebildeten und den technologisch Abgehängten in diesem Land. Und damit wächst die Kluft, wer in Deutschland zuversichtlich und wer ängstlich pessimistisch in die Zukunft blicken kann. Diese Spaltung der Gesellschaft ist nicht gesund, vertieft die bereits vorhandenen Gräben und gefährdet auf Dauer unseren gesellschaftlichen Frieden. Hier müssen wir dringend etwas tun.

Es ist aus meiner Sicht wenig sinnvoll, fortlaufend über das deutsche Bildungssystem zu schimpfen und den dafür zuständigen Instanzen und handelnden Personen die Schuld zuzuweisen, wer was auf welcher Ebene wann versäumt hat. Zielführender ist es, sich damit auseinanderzusetzen, wie jeder Einzelne von uns selbst aktiv werden, ein hohes Maß an Selbstverantwortung übernehmen und einen persönlichen Beitrag zur Bildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe leisten kann. Zum Erreichen von weltbester Bildung sind wir als Individuen gefragt, denn wir selbst stehen im Zentrum gelingender Lernprozesse. Aber wir sind auch als Gesellschaft und Wirtschaft gefordert, die unser klassisches Bildungssystem flankieren müssen. Für nachhaltig gelingende Bildung müssen wir als deutsches »Team« agieren, das solidarisch und gut untereinander abgestimmt handelt – weil wir verstanden haben, dass wir nur so wirkungsvoll vorankommen und unsere Zukunft sichern können. Wir müssen alle zusammen endlich in den Handlungsmodus kommen. Mit Pragmatismus, gesundem Menschenverstand und der Zuversicht, dass es noch nicht zu spät ist.

Hierzu möchte ich mit dem vorliegenden Buch konkrete Denkanstöße und Impulse zum Mitmachen geben. Denn Bildung ist eine komplexe Aufgabe. Ein Teamsport mit Rollen für jeden Einzelnen, jedoch einem gemeinsamen Ziel. Dieses sollte lauten: weltbeste Bildung. Denn Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, und die Art und Weise, wie gut wir heute das Thema Bildung umsetzen, definiert unseren Wohlstand morgen. Hierzu beizutragen, ist mir eine Herzensangelegenheit. Denn ich liebe dieses Land, das meiner Mutter damals eine neue Heimat gegeben und ihren Kindern exzellente Start- und Lebensbedingungen ermöglicht hat. Sorgen wir dafür, dass dies auch noch für unsere Kinder- und Enkelkinder gilt.

Somit ist dieses Buch ein Plädoyer für Aufbruch und für Veränderung. Ein hoffentlich eindringlicher Appell zum Handeln. Selbst wenn viele nur ein wenig tun, wird wenig zusammen viel. Und es gibt beim Thema Bildung – insbesondere in der digitalen Bildung – für uns alle viel zu tun. Die Gedanken in diesem Buch erheben nicht den Anspruch, allumfassend und vollständig zu sein. Vielmehr sollen sie zum persönlichen Reflektieren und Handeln anregen, neue Blickwinkel eröffnen und zu Diskussionen unter interessierten Menschen anregen, denen das Erreichen von weltbester Bildung ebenso am Herzen liegt wie mir.

Wer die Wirklichkeit verändern will, muss sie zunächst einmal begreifen. Zu veranschaulichen, wie und was wir lernen sollten, um fit für die Zukunft zu sein und digitale Bildung besser zu verstehen, ist Zielsetzung dieses Buches.

München und Tegernsee im Frühjahr 2022

Dr. Yasmin Weiß

1.WARUM wir jetzt alle handeln müssen: Bildung als Sprungbrett in die digitale Zukunft

»Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.«

John F. Kennedy

Woher kommt eigentlich unser Wohlstand von morgen? Was bewahrt uns unsere Prosperität, an die wir uns so gewöhnt haben? Und wie stellen wir sicher, dass wir in der Lage sind, mit veränderlichen Anforderungen Schritt zu halten und die digital vernetzte Zukunft so zu gestalten, dass sie lebenswert bleibt?

Diese Fragen sollten uns alle beschäftigen. Denn derzeit wird eine Menge durcheinandergewirbelt. Vieles, was über Jahrzehnte hinweg für uns selbstverständlich war, ist es nun nicht mehr. Wir befinden uns mitten in einer heiklen Übergangszeit – gesundheitlich, ökonomisch, ökologisch und politisch – und werden damit zu Zeitzeugen eines historischen Umbruchs, der unsere Zukunft erheblich beeinflussen wird. Gerade kristallisiert sich eine neue Weltordnung heraus: Geopolitisch ist die Welt, wie wir sie bislang kannten, seit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 eine andere. Technologisch werden diejenigen Nationen, die in den Schlüsseltechnologien der Zukunft die Nase vorn haben, wirtschaftlich führend sein und in der Weltpolitik von morgen maßgeblich den Ton angeben können.

Noch zählt Deutschland zu den wettbewerbsfähigsten Nationen der Welt. Aber wir dürfen es uns in nächster Zeit nicht bequem machen, denn sonst verpassen wir den Anschluss. Wir müssen technologisch einen großen Sprung nach vorne machen, unsere Innovationskraft steigern, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern an der technologischen Souveränität Europas arbeiten sowie das Geschäftsmodell unserer Volkswirtschaft neu ausrichten. Das macht uns nicht nur nach außen stark, sondern auch nach innen. Denn nur eine florierende Wirtschaft sichert eine stabile Gesellschaft, in der Zusammenhalt und Solidarität größer sind als das, was uns spaltet.

Meine persönliche Vision für Deutschland im Jahr 2030

Wir müssen uns trauen, Wirtschaft neu zu denken – mutig, offen, nachhaltig, dabei ohne Angst vorm Scheitern, mit viel Lust auf Zukunft. Vor diesem Hintergrund sieht meine ganz persönliche Vision für Deutschland im Jahr 2030 vor,

dass digitale Unternehmen – Konzerne wie Mittelstand – auf Basis von »Datenschutz made in Europe« mehr und mehr zur Visitenkarte der deutschen Wirtschaft werden,

dass Humanismus das Denken und Handeln unserer Wirtschaft prägt und wir gemeinsam mit den anderen EU-Staaten eine Art »Hippokratischen Eid für Technologie« entwickeln,

dass Nachhaltigkeit zur branchenübergreifenden DNA unserer Wirtschaft wird,

dass sich meine Heimatstadt München als neues, innovatives Silicon Valley etabliert und eine globale, diverse Tech-Elite anzieht, von der der gesamte Standort Deutschland profitieren wird, und andere deutsche Ballungszentren nachziehen,

dass wir zur »Start-up-Nation« werden, in der smarte Geschäftsideen rasch umgesetzt und skaliert werden können,

dass Erfinder- und Unternehmergeist Teil unserer Kultur werden und wir dafür auch eine höhere Fehlertoleranz und Risikobereitschaft entwickeln,

dass wir in einer Gesellschaft leben werden, die ihre Berührungsängste vor der Digitalisierung und neuen Schlüsseltechnologien verloren hat, und

dass die Mehrheit der Menschen hier verstehen, dass neue Technologien nicht lästige Bedrohungen darstellen, sondern wirksame Lösungen liefern können, um die größten globalen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.

Vor allem träume ich auch davon, dass wir in Deutschland

eine kontinuierlich lernende Gesellschaft werden, die aus technologie- und weltoffenen, neugierigen Individuen besteht und

dass wir verstanden haben werden, dass wir nur durch herausragende Bildung eine lebenswerte digitale Zukunft sichern können, weil wir in der Lage sind, sie selbst zu gestalten.

Von dieser Vision sind wir derzeit noch ein erhebliches Stück entfernt. Deutschland wie auch der Rest Europas leben schon seit einiger Zeit von ihrer Substanz. Unsere Gesellschaft ist in weiten Teilen überaltert, sozial undurchlässig, gesättigt und technologieskeptisch. Unsere Wirtschaft wird von den Supermächten USA und China massiv herausgefordert, die sich technologisch an die Spitze gesetzt haben und uns gerade bei den so wichtigen datengetriebenen Geschäftsmodellen und zentralen Schlüsseltechnologien der Zukunft in vielen Bereichen abhängen.

Wie können wir trotz der großen Herausforderungen optimistisch in die Zukunft blicken und eine solche ambitionierte Vision für Deutschland im Jahr 2030 in die Tat umsetzen?

Der Schlüssel lautet: Investitionen in »weltbeste Bildung«. Und zwar jetzt. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

Positive Bildungsrendite

Gebildete Menschen und Gesellschaften erfahren Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind und überzeugende Argumente darstellen, warum es sich für uns alle lohnt, in lebenslange Lernprozesse zu investieren:

Wohlstand: Wie die aktuelle bildungsökonomische Forschung1 belegt, ist nichts für den langfristigen und nachhaltigen Wohlstand des Individuums sowie ganzer Gesellschaften wichtiger als gute Bildung. Zwischen der Qualität der Bildung und der Leistungs- und Zukunftsfähigkeit einer Wirtschaft und Gesellschaft besteht ein eindeutig messbarer Zusammenhang.

Wachstum: Neuere wissenschaftliche Untersuchungen2 belegen zudem, dass die Qualität der kollektiven Bildung der Bevölkerung, wie sie etwa als Kompetenzen in internationalen Schülertests gemessen werden, der wohl wichtigste Bestimmungsfaktor für das langfristige volkswirtschaftliche Wachstum ist.

Gesundheit: Auch ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Bildung und Gesundheit positiv miteinander korrelieren. Dies gilt sowohl für die physische als auch die psychische Gesundheit. Menschen mit niedrigerer Bildung sind im Durchschnitt kränker und sterben deutlich früher als Menschen mit höherem Bildungsstand.3

Kriminalität: Zudem besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Bildung und Kriminalität.4 Ein Blick in deutsche Gefängnisse genügt: Dort haben rund 15 Prozent der Insassen nicht einmal einen Hauptschulabschluss, unter Gewaltverbrechern und Dieben gilt dies sogar für jeden Vierten.

Lebenszufriedenheit: Auch die wahrgenommene individuelle Lebenszufriedenheit und das Bildungsniveau hängen eng miteinander zusammen. Dies lässt sich durch einen höheren Grad an Selbstwirksamkeit für das Erreichen persönlicher Ziele begründen, wenn man die richtigen Fähigkeiten besitzt.

Somit sind Ausgaben für Bildung sehr nachhaltige Investitionen für Wohlstand und Wohlergehen in der Zukunft. Es gibt also eine positive Bildungsrendite, die sich für Individuen und das gesellschaftliche Kollektiv auszahlt.

Technologierevolution als Chance –mit Hausaufgaben

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach im September 2021 davon, dass wir vor »einer Dekade der Investitionen in die Zukunft« stünden. Dies gilt für uns alle: Wir müssen persönlich deutlich mehr Zeit und Energie investieren, um eine zunehmend komplexe und dynamische Welt im Wandel zu verstehen und kluge Entscheidungen zu treffen. Denn das, was Politik, Wirtschaft und wir als Gesellschaft in diesem Jahrzehnt entscheiden und wie wir handeln, wird das Leben nachfolgender Generation so prägen wie noch nie:

Zum einen setzen wir jetzt die Weichenstellungen, ob und in welcher Form wir auch in Zukunft ökonomisch noch an der Weltspitze mitspielen können.

Zum anderen entscheidet sich jetzt auch, ob wir bei den größten Herausforderungen unserer Zeit die so wichtige Kehrtwende wirklich schaffen werden.

Globaler Klimawandel, Umweltverschmutzung, Energiewende, Pandemien, kriegerische Auseinandersetzungen in der physischen und virtuellen Welt sowie Ressourcenknappheit sind nur einige der Herausforderungen, die wir erfolgreich bewältigen müssen, weil wir ansonsten massive Einbußen in unserer persönlichen Lebensqualität hinnehmen müssen und zukünftigen Generationen ihre ökonomische und ökologische Lebensgrundlage entziehen.

Gleichzeitig steht die Welt vor einer massiven Technologierevolution mit disruptiven Auswirkungen auf unser gesellschaftliches und berufliches Leben. In dieser liegen Risiken, aber vor allem auch große Chancen, wenn wir unsere Hausaufgaben richtig machen. Ich persönlich würde mir in der öffentlichen Debatte wünschen, dass wir mehr chancenorientiert diskutieren und die Potenziale neuer Technologien für eine breite Öffentlichkeit verständlich machen. Denn technologische Durchbrüche können zum wichtigsten »Game Changer« unserer Zeit werden. Dank neuer Technologien wie Quantencomputer, Künstliche Intelligenz, Roboter, 3-D-Druck oder Biotechnologie bekommen wir die historische Chance, deutlich bessere und effizientere Lösungen als bislang entwickeln und unsere begrenzten Ressourcen besser nutzen zu können. Fortschritt bemisst sich dabei nicht nur an dem, was an Neuem geschaffen wird, sondern immer auch an der Frage, was uns und nachfolgenden Generationen erspart bleibt. Und wenn wir alle die letzten zwei Jahre seit Ausbruch der globalen Pandemie oder die bereits jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels wie Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände betrachten, dann fällt uns vieles ein, was wir uns gerne erspart hätten und in Zukunft ersparen möchten.

Technologie selber ist isoliert betrachtet weder gut noch schlecht, aber durch die richtige Anwendung kann sie Leben retten. So war es beispielsweise die mRNA-Technologie, die uns den so wichtigen Impfstoff gegen Covid-19 in Rekordgeschwindigkeit geliefert und der Welt das große Potenzial von Biotechnologie in der Medizin vor Augen geführt hat. Nicht nur Biotechnologie, sondern auch Künstliche Intelligenz unterstützt menschliche Forscher derzeit an mehreren Fronten bei der Suche nach wirksamen Medikamenten im Kampf gegen Covid-19. Die Art und Weise, wie Künstliche und humane Intelligenz hier komplementär zusammenarbeiten, werden wir als Blaupause für künftige Pandemien heranziehen können, und zwar immer dann, wenn eine hohe Reaktionsschnelligkeit bei gleichzeitig hoher Komplexität der Problemstellung gefragt ist. Denn die wissenschaftlichen Aufgaben zur Entwicklung wirksamer Impfstoffe und Medikamente sind so datenintensiv und mehrdimensional, dass ein menschliches Ärzte- und Forscherteam sie mit herkömmlichen Methoden nicht mehr in der gebotenen hohen Geschwindigkeit lösen kann. Wir wären immer langsamer als ein sich schnell verbreitendes und mutierendes Virus.

Auch bei der Entwicklung von dringend benötigten Antibiotika ermöglicht inzwischen eine Künstliche Intelligenz eine hoch effiziente und effektive Entwicklung der Wirkstoffe, sie ist auch bei der Diagnose und Therapieentwicklung für die Volkskrankheit Krebs im Einsatz. Durch Künstliche Intelligenz wird es in Zukunft möglich sein, schwere Krankheiten noch einfacher zu quantifizieren, zu berechnen, vorherzusagen oder den Ausbruch sogar ganz zu verhindern.

Im Bereich der synthetischen Biologie werden derzeit bahnbrechende Fortschritte erzielt, insbesondere mit der CRISPR-Technologie. Diese beruht auf der sogenannten Genschere, mit der Forscher zielgenau defekte Gene gegen intakte austauschen können. Damit liegt den Wissenschaftlern ein Instrument zur Veränderung des menschlichen Erbguts vor und lässt das Ziel näher rücken, schwere Krankheiten wie Krebs und Diabetes wirksam heilen zu können.

Auch im Kampf gegen den Klimawandel könnte zukünftig die gewaltige Rechenleistung von Quantencomputern in Kombination mit den Daten von intelligenten Satellitensystemen den dringend benötigten Durchbruch verschaffen.

All dies schürt grundsätzlich einmal Zuversicht, denn wir haben dank der neuen Technologien kraftvolle Mittel zur Hand, um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Auf die neuen Technologien als Game Changer können und sollten wir als Menschheit nicht verzichten.

Status quo unserer Gesellschaft: Technologisch abgehängt und überfordert

Gleichzeitig zeichnet sich gerade sehr deutlich eine riskante Entwicklung ab, die der Zuversicht der Gesellschaft entgegensteht und sich sogar verschärfen wird, wenn wir nicht gegensteuern.

Die Mehrheit der Menschen versteht die neuen Technologien nicht einmal in Ansätzen und kann mit der rasanten Entwicklungsgeschwindigkeit kaum noch mithalten. Wenn wir ehrlich zu uns sind, ist der Großteil unserer Gesellschaft derzeit überfordert oder bereits abgehängt. Dies wiederum öffnet Tür und Tor für Technologieskepsis und für generelles Misstrauen gegenüber Innovationen, die wir gerade jetzt mehr denn je benötigen. Damit besteht unsere gesamtgesellschaftliche Hausaufgabe darin, flächendeckend zu qualifizieren und als Individuen selber bereit zu sein, sich ein Leben lang weiterzubilden und hinzuzulernen, gerade im Hinblick auf die neuen Technologien.

Wir können nur kluge und bewusste Entscheidungen für unsere Gegenwart und Zukunft treffen, wenn wir umfassend und faktenbasiert informiert sind, wenn wir Wissen bewerten, reflektieren, vernetzen und in einen übergeordneten Verständniskontext setzen können. Jeder in unserer Gesellschaft sollte zumindest in den Grundzügen die großen Megatrends wie Digitalisierung, Globalisierung und Nachhaltigkeit verstehen. Gesamtgesellschaftliches Ziel muss sein, möglichst alle Menschen mitzunehmen und ein omnipräsentes Megathema wie die Digitalisierung, die in alle Lebensbereiche abstrahlt, verständlich zu erklären. Und zwar so, dass es über alle Bildungsniveaus und Altersklassen hinweg in der jeweils gebotenen Tiefe verstanden wird. Denn gerade bei diesem Thema haben viele Menschen hierzulande das Gefühl, dass die Digitalisierungswelle nahezu jeden Bereich ihres Lebens überrollt – vor allem auch die Arbeitswelt. Sie befürchten, in der digitalen Welt aus 0 und 1 die nicht mehr benötigte Null zu werden. So entsteht keine Technologiebegeisterung. Wir dürfen also nicht die große Mehrheit der Menschen sehenden Auges abhängen, so dass sie aus einem nachvollziehbaren Reflex heraus Ängste und Widerstände entwickeln. Genau das aber passiert derzeit: Die große Mehrheit der Gesellschaft wird in einem schleichenden Prozess zu uninformierten und unbeteiligten Zuschauern degradiert, über deren Köpfe hinweg bei der Zukunftsgestaltung entschieden wird.

Woran wird das deutlich? Viele Menschen hören derzeit Begriffe wie etwa »Blockchain«, »Quantum Computing« oder »Big Data Analytics« und verstehen Bahnhof. Sie lesen in den Medien, dass große Tech-Konzerne wie Meta, Microsoft oder Apple mit Hochdruck am sogenannten Metaverse arbeiten, einem virtuell begehbaren Upgrade des Internets, mit dem wir zukünftig in eine dreidimensionale Welt eintauchen werden, die unsere bisherigen Erfahrungen in der virtuellen Welt deutlich übersteigen wird. Auch hier verstehen die meisten Menschen nicht nur sehr wenig, sondern es fehlt ihnen auch die Vorstellungskraft, was diese Entwicklung zukünftig für unser Leben und Arbeiten bedeuten kann. Die Mehrheit der Menschen fühlt sich so überrollt von diesen Entwicklungen, dass sie gar nicht erst die Neugierde und den Wunsch entwickeln, sich mit diesen digitalen Technologien persönlich auseinanderzusetzen. Oder sie hoffen, dass diese technologischen Trends wieder verschwinden werden wie ein lästiger Schnupfen, den man einfach nur aussitzen muss. Das allerdings wird nicht passieren. Und wenn wir uns als deutsche Gesellschaft nicht mit diesen neuen Technologien auseinandersetzen und Talente ausbilden, die hier führend sind, dann überlassen wir es anderen großen Tech-Nationen, allen voran den USA und China, mit ihrem Wertesystem und Geschäftsmodellen eine digitale Zukunft zu gestalten, die unsere Lebenswelten und die unserer Kinder prägen wird.

Digitale Alphabetisierung erforderlich

Auffallend ist, dass selbst Menschen, die im klassischen Sinne als gebildet gelten, im Hinblick auf digitale Technologien oftmals ziemliche Vorbehalte haben. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass digitale Bildung sowie ein grundlegendes Verständnis der neuen Schlüsseltechnologien inzwischen als ganz wesentliche Bestandteile einer zeitgemäßen Allgemeinbildung gewertet werden müssen. Eine solche wird nicht nur bei Menschen vorausgesetzt, die aktiv im Berufsleben stehen und mit digitalen Technologien arbeiten und kommunizieren. Jeder Mensch, der an einem digital vernetzten Alltag aktiv teilnimmt, indem er beispielsweise im Internet surft, chattet, Bilder und Mails versendet sowie Einkäufe, Buchungen und Überweisungen tätigt, benötigt ein Grundverständnis über die Chancen, aber auch die möglichen damit einhergehenden Risiken. Digitale Bildung ist ein Thema, das auch Schulkinder und Rentner betrifft. Auch diese Altersklassen müssen zielgruppengerecht qualifiziert und mit passenden Lernangeboten abgeholt werden, um sich bewusst, sicher und verantwortungsvoll in der digitalen Welt zu bewegen.

Grundsätzlich gilt, dass Akzeptanz von etwas Neuem immer eine direkte Funktion von Verständnis ist. Menschen, die Innovationen und übergreifende Trends wie die Digitalisierung nicht einmal in den Grundzügen verstehen, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht akzeptieren. Wir können ihnen das nicht übelnehmen.

Was wir daher nun dringend benötigen, ist eine große, flächendeckende Bildungsoffensive, eine »digitale Alphabetisierung« in diesem Land, damit wir nicht noch mehr Menschen abhängen und an den Anforderungen einer neuen privaten und beruflichen Lebenswelt vorbei qualifizieren.

Radikaler Wandel der Arbeitswelt

Der Arbeitsmarkt befindet sich global inmitten eines historischen Umbruchs und das gilt gerade auch für Deutschland. Hier schlagen die Megatrends der Digitalisierung, eine ungünstige demografische Entwicklung, die Neuausrichtung globalisierter Lieferketten und Energieimporte sowie die Transformation zu klimafreundlichen Geschäftsmodellen simultan in den Unternehmen auf und stellen den Arbeitsmarkt sowie die Arbeitswelt, wie wir sie bislang kannten, auf den Kopf.

Gleichzeitigkeit von Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel

Durch diesen Transformationsprozess der Wirtschaft entsteht eine Polarisierung am Arbeitsmarkt: Er teilt sich zunehmend in Gewinner und Verlierer auf. Einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting zufolge werden bis 2030 rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland ihre Arbeit verlieren, weil sie infolge der Digitalisierung oder des klimafreundlichen Umbaus der Wirtschaft ihren bisherigen Job nicht mehr ausüben können. Gleichzeitig entstehen – voraussichtlich sogar in deutlich höherer Anzahl – neue Tätigkeitsprofile und Jobs, für die es bislang zu wenig qualifizierte Menschen gibt. So rechnet die Boston Consulting Group mit einem Mangel von 3 Millionen Fachkräften bis 2030, insbesondere aus den Bereichen IT, Mathematik, Bildung und Gesundheit.5 Die Chancen, die sich aus diesem Wandel ergeben, werden aus meiner Sicht in der öffentlichen Debatte von den Sorgen über Arbeitsplatzverluste überstrahlt und damit geht positives Momentum verloren. Gesamtgesellschaftliches Ziel muss ja sein, für die Anforderungen, die neuen Tätigkeitsprofile und die Jobs der Zukunft zu begeistern, nicht Ängste zu schüren. Fakt aber ist: In dieser Entwicklung liegt viel gesellschaftlicher Zündstoff verborgen. Während einerseits Menschen um ihre berufliche Existenz bangen, brechen für andere goldene Zeiten am Arbeitsmarkt an.

Der Fachkräftemangel wird inzwischen als eines der höchsten Risiken für Unternehmen wahrgenommen. Laut Institut der deutschen Wirtschaft fehlten in Deutschland Ende des Jahres 2021 rund 465 000 Fachkräfte.6 Die offenen Stellen blieben unbesetzt. Es fehlen Informatiker, Ingenieure, Handwerker, Berufskraftfahrer, Service- und Pflegekräfte, Ärzte, Erzieher und Lehrer. Fast die Hälfte der deutschen Unternehmen spürte im Jahr 2021 eine Beeinträchtigung ihrer Geschäftstätigkeit, weil Fachpersonal fehlt.7 Tendenz steigend.

Der Fachkräftemangel wirkt sich in verschiedenen Dimensionen negativ für uns aus:

Er beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Er beeinflusst unsere kritischen Infrastrukturen: So hat beispielsweise der ausgeprägte Personalmangel in unseren Krankenhäusern inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass vielerorts und insbesondere in ländlichen Regionen die medizinische Versorgung nicht mehr in ausreichender Form gewährleistet werden kann.

Auch wird unsere Innovationskraft negativ beeinflusst. Gerade mittelständische Unternehmen geben an, dass sie derzeit bei Innovationen zurückfallen, weil ihnen qualifiziertes Personal für wichtige neue Innovationsvorhaben fehlt. Dabei sind es gerade Innovationen, mit denen die deutsche Wirtschaft ihre Leistungen in alle Welt verkauft.

Die Zahlen sind besorgniserregend, doch wirklich überraschend kommt der Fachkräftemangel nicht. Alleine der demografisch bedingte Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland liegt bei rund 400 000 Menschen im Jahr 2022. Dies ist mehr als die Einwohnerzahl von Städten wie Bochum, Bonn oder Bielefeld. Und diese Zahlen sind erst die Vorläufer des anstehenden massiven Alterungsschubs in den kommenden Jahren. Bis 2030 werden in Deutschland so viele Beschäftigte aus den geburtenstarken Babyboomer-Jahrgängen in Rente gehen, dass etwa drei Millionen Vollzeitkräfte dem Arbeitsmarkt abhandenkommen werden. Das wird die ohnehin schon große Fachkräftelücke und damit die Probleme für die Wirtschaft weiter verschärfen. Dabei handelt es sich beim Fachkräftemangel aufgrund der Datenlage um eine der am besten prognostizierbaren Herausforderungen überhaupt.

Diesem Problem kann nun mit Einsatz verschiedener Stellhebel begegnet werden:

Durch eine intelligente Einwanderungspolitik. Allerdings ist der globale Wettbewerb um international mobile Fachkräfte intensiv und Investitionen für Integrationsmaßnahmen hoch.

Durch eine bessere Nutzung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials, denn gerade viele Mütter in Deutschland arbeiten in Teilzeit oder kehren nach der Elternzeit erst gar nicht mehr auf den Arbeitsmarkt zurück. Oder sie können ihr Potenzial nicht voll ausschöpfen, weil die Arbeit in Unternehmen oftmals noch so organisiert wird, dass gerade verantwortungsvolle Jobs sich nicht mit den privaten Rollen der Frauen vereinbaren lassen. Deutschland ist in Bezug auf die Nutzung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials in vielerlei Hinsicht noch ein Entwicklungsland.

Durch weitere Automatisierung und den Einsatz von Technologie, um Arbeitskräfte gerade in jenen Bereichen zu substituieren, für die zu wenig menschliche Arbeitskräfte gefunden werden können. Ein Beispiel hierfür sind Reinigungs- und Serviceroboter, die bereits im Einsatz sind.

Durch eine bedarfsgerechte Ausbildung der Menschen für die Anforderungen und Jobs von morgen sowie durch fortlaufende Weiter- und Umqualifizierung, so dass die Menschen ihre Beschäftigungsfähigkeit erhalten und flexibel einsetzbar sind.

Und durch eine Verbesserung in unserem Bildungssystem, so dass möglichst kein junger Mensch die Schule ohne mindestens den Hauptschulabschluss verlässt.

Das Ziel muss sein, das qualitative und quantitative Angebot an Arbeitskräften mit der Nachfrage des Arbeitsmarkts bestmöglich in Übereinstimmung zu bringen und das individuelle Leistungspotenzial der Menschen in diesem Land zu entfalten und nutzbar zu machen.

Zur Bewältigung des Fachkräftemangels kommt es auf alle fünf Stellhebel an, aber die beiden letzten haben aus meiner Sicht die größte Wirkung, weil sie alle Menschen in diesem Land erfassen. Wir alle müssen das Richtige lernen. Gleichzeitig müssen wir bereit sein, Neues zu erlernen, uns kontinuierlich weiterzuentwickeln und bei Bedarf berufliche Neuanfänge machen.

Gewinner und Verlierer am Arbeitsmarkt

Die Übergangsphase zwischen dem Arbeitsmarkt von heute und dem von morgen wird für all diejenigen hart werden, die sich schwertun, sich weiter zu qualifizieren, umzulernen oder auch beruflich umzusatteln. An dieser Stelle hilft realistisches Erwartungsmanagement: Jede Art von Transformation tut zunächst einmal weh. Denn immerhin erleben wir gerade die größte globale Arbeitsmarktumwälzung seit der industriellen Revolution. Das hat natürlich Konsequenzen, denn in der Praxis wird es nicht immer möglich sein, die Personen, die ihren Job in Zukunft nicht mehr ausüben können, genau dort einzusetzen, wo neue Arbeitsplätze entstehen: Nicht jeder Taxifahrer, dessen Auto in Zukunft autonom fährt, kann Programmierer werden. Nicht jede Versicherungssachbearbeiterin, deren Tätigkeiten automatisiert werden, designt in Zukunft erfolgreich Computerspiele. Nicht jeder Callcenter-Mitarbeiter, dessen Job von einem Chatbot übernommen wird, kann stattdessen wirksame Cybersecurity-Lösungen entwickeln. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari spricht von »für die Wirtschaft überflüssigen Menschen«.8 Sie sind nicht nur arbeitslos, sondern nicht mehr kompatibel mit den Anforderungen der digitalen Wirtschaft.

Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Konsequenzen es für die Betroffenen und uns als Gesellschaft hat, falls diese Menschen nicht bereit sind zu lernen und sich neu zu orientieren. Denn nicht mehr wirklich gebraucht zu werden, macht einsam, frustriert und aggressiv. Was sollen diese Menschen tun, wenn keine Arbeit mehr für sie da ist? Und woher nehmen sie ihr Selbstwertgefühl und die Anerkennung, die in unserer Gesellschaft ganz wesentlich von der eigenen Arbeit gespeist werden und Teil unserer individuellen Identität sind? Und wo nehmen Arbeitgeber ihre dringend benötigten Fachkräfte in veränderten Tätigkeitsprofilen her?

Wie dieser Übergang gemeistert und sozial abgefedert werden kann, dass müssen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Bildungssystem zum Thema machen. Ein wesentlicher Schlüssel wird in gelingenden Lernprozessen liegen. Denn der Taxifahrer kann nach einer Umqualifizierung vielleicht Handwerker werden, die Versicherungssachbearbeiterin könnte zur Pflegekraft in einem Altenheim umgeschult werden und der Callcenter-Mitarbeiter könnte womöglich Kinderpfleger werden, wenn er zu einer beruflichen Neuausrichtung bereit ist. Um dies zu realisieren, müssen persönliche Veränderungsbereitschaft und Flexibilität auf passende Weiterbildungsangebote treffen. Nur so werden wir es schaffen, Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt besser miteinander in Einklang zu bringen.

Wandel gab es natürlich schon immer. Aber zwei Treiber machen den Wandel in der derzeitigen Arbeitswelt so radikal und damit auch unvergleichbar mit der Vergangenheit: sein Tempo und sein Fokus, das heißt, wer betroffen ist. Denn es sind nicht nur physische, repetitive Routinearbeiten, die verschwinden oder sich verändern werden, sondern durch lernende Roboter, digitalisierte Arbeitsprozesse und Künstliche Intelligenz auch anspruchsvolle, geistige Tätigkeiten. So werden beispielsweise routinemäßige anwaltliche, betriebswirtschaftliche oder ärztliche Tätigkeiten durch Technikeinsatz grundsätzlich automatisierbar, so dass auch Akademiker nicht per se davor geschützt sind, dass ein Teil ihrer Tätigkeiten durch Technologie substituiert werden kann. Derzeit sind technologische Lösungen im Einsatz, die als »Assistenten« der humanen Fachleute im Einsatz sind. Beispielsweise werden Radiologen in den Kliniken bereits durch Künstliche Intelligenz dabei unterstützt, Pathologien besser zu erkennen und bei der klinischen Entscheidungsfindung zu unterstützen. Und am Amtsgericht in Frankfurt wird zukünftig eine Künstliche Intelligenz namens Frauke die zuständigen Richter bei der Urteilsfindung bei Streitfällen zu Fluggastrechten unterstützen. Hierfür wertet die Software Bordkarten, Flugzeiten, Wetterdaten und vorangegangene Urteile des Amtsgerichts aus vergleichbaren Fällen aus und erstellt Urteilsvorschläge für die Richter, die das letzte Wort haben.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aus den Veränderungen am Arbeitsmarkt klare Gewinner und Verlierer hervorgehen werden:

Von der Digitalisierung profitieren werden Menschen, deren Job erhalten bleibt und durch die Unterstützung von Robotern und Computern in Zukunft sogar angenehmer, produktiver, kreativer, gesünder oder besser bezahlt wird. Vor allem werden Menschen zu den großen Gewinnern des Wandels zählen, die darauf spezialisiert sind, jene Jobs auszuüben, die neu entstanden oder besonders nachgefragt sind. Hierzu zählen beispielsweise Experten im Bereich von Softwareentwicklung, Datenanalysen, Robotik oder Cybersecurity. Sie können sich aussuchen, für welchen Arbeitgeber und zu welchen Konditionen sie arbeiten werden.