Wenn die Blüten fallen - G. A. HARDER - E-Book

Wenn die Blüten fallen E-Book

G.A. HARDER

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Beschreibung

Daria lebte mit ihrer kleinen Familie in einem beschaulichen Ort in Deutschland, fernab von ihrer Heimat und der Gemeinde der Mennoniten. Dass ihre Ehe nach 5 Jahren in die Brüche ging und ein erbitterter Kampf um das Sorgerecht entbrannte, ließ den Himmel über ihrem Kopf einstürzen und oft verzweifeln. Der Gedanke "welchen Sinn das Leben noch für sie hatte" bedrängte sie und sie war kurz davor alles, vor allem sich selbst, aufzugeben. Doch ein kleines Wunder, das sich bisher als Last anfühlte, rettete ihr das Leben und machte es für sie lebenswert. Dass sie hierbei die Hilfe eines fremden Mannes bekam, der eine unglaubliche Freundschaft mit sich brachte, ahnte sie vorerst nicht. Ein Roman über Trennung und Verbitterung, Entdeckung und Freundschaft, viele schöne und weniger schöne Dinge des Lebens. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft und das Kämpfen ums Überleben. Eine Geschichte um Glauben, Hoffnung und Liebe.

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Seitenzahl: 388

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Anmerkung der Autorin
Triggerwarnung
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
KAPITEL 54
KAPITEL 55
KAPITEL 56
KAPITEL 57
KAPITEL 58
KAPITEL 59
KAPITEL 60
KAPITEL 61
Danksagung
G. A. HARDER

WENN DIE

BLÜTEN

FALLEN

G. A. HARDER

WENN DIE BLÜTEN FALLEN

BLÜTEN-DILOGIE

TEIL 1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

© 2024 G. A. Harder

IMPRESSUM

Herausgeber:

Gina Aurelie Harder

Box 750 – Loma Plata

Kolonie Menno – Paraguay

[email protected]

www.gaharder.jimdofree.com

Autor:

G. A. Harder

Coverdesign:

Datei: Gina Harder

Zeichnung: Rebekka Wiebe

Lektorat:

Michèle Keller – Ljuba Keller

Korrektorat:

Michèle Keller – Ljuba Keller

Anmerkung der Autorin

Lieber Leser*innen

Zum einen - ein herzliches Dankeschön an alle, die mich bei diesem Werk unterstützen. Sei es durch den Kauf, die Bearbeitung oder zur seelischen Unterstützung.

Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass dieses Projekt ein absolutes Herzens- sowie Low Budget Projekt ist. Neben fiktiven Aspekten wurde zum Teil auch meine Lebensgeschichte aufgeschrieben, die mich einige Tränen, Emotionen und Ängste aus der Vergangenheit gekostet haben.

Ein besonderer Dank geht an Ljuba und Michèle Keller. Sie sind zwar kein professionelles Lektorat, dennoch steckt in jeder Zeile Blut und Schweiß. Gemeinsam haben wir das Buch so gut wie wir es konnten mehrfach überarbeitet und viel Liebe in diese Geschichte investiert.

Für konstruktive Kritik bin ich jederzeit offen. Ich würde mich dennoch darüber freuen, wenn man es mir ein wenig nachsieht, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist und ich das Werk soweit als dieses lassen wollte, was es nunmal ist.

Denn dieses Buch ist ganz anders als alles, was ich bisher geschrieben habe. Manchmal ist es mir ziemlich schwergefallen. Es gab Tage, an denen ich mir die

Frage stellte: »Warum habe ich nicht einfach wieder einen Roman voller Farben geschrieben?«

Die Antwort lautet schlicht: Weil es im Leben auch um das Düstere, Unschöne und das Traurige geht. Um das Schwarz zwischen den Farben. Und auch wenn wir vor solchen Dingen in aller Regel lieber die Augen verschließen, verschwinden sie dadurch nicht.

Ich persönlich möchte daher einen Teil meines Lebens für euch veröffentlichen und euch einen Einblick gewähren. Nicht nur, um die Qualen in der Vergangenheit zu beschreiben, sondern auch, um zu einer Diskussion einzuladen und zu ernsthaftem Nachdenken anzuregen.

„Wenn die Blüten fallen” reißt schwierige Themen an, die bei einigen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, unangenehme Reaktionen auslösen könnten. Ich bitte euch, hierzu die Triggerwarnung auf der nächsten Seite zu beachten.

Aber ihr werdet auch einige sehr positive Dinge in diesem Buch finden, versprochen!

Die Rede ist von Liebe, Freundschaft und Humor.

Daher hoffe ich, dass ihr Daria willkommen heißt und sie kennenlernt.

Triggerwarnung

Um euch selbst zu schützen und eure Grenzen nicht zu überschreiten, bitte ich euch diese Triggerwarnung ernst zu nehmen, falls ihr mit folgenden Themen nicht umgehen könnt In diesem Buch geht es um ungewollte Schwangerschaft, seelische Gewalt, Mobbing, Depressionen, Suizidgedanken, Selbstverletzendes Verhalten, Panikattacken, Angststörung, Krebs und toxische Beziehung.

Jedes dieser Themen kann negative Empfindungen oder Erinnerungen hervorrufen. Bitte seid euch dieser Verantwortung bewusst.

Eine persönliche Anlaufstelle oder Hilfe für solche Themen, zb Depressionen oder Suizidgedanken, findet ihr hier:

PARAGUAY

ZP30 Seelsorge Abteilung: +595984 777 707

Sanatorium Eirene: +595981567238

DEUTSCHLAND

Hilfetelefon Seelsorge: 0800 111 0 111 - 0800 111 0 222

Hilfetelefon Depression: 0800 33 44 5 33

Hilfetelefon Gewalt: 0800 0 116 016

www.telefonseelsorge.de

Für Marcel L,

du hast mich aus dem Krieg des Lebens gezogen und mir gezeigt, wie schön die Welt trotz allem sein kann. Danke für mein Leben, für deine Freundschaft, für dich.

In Erinnerung an Hanna ✞2015 & Kevin ✞2020

KAPITEL 1

Veilsdorf, August 2017

Die Luft wurde immer dicker und ich bekam das Gefühl, als ob sich Hände um meinen Hals schlangen und mir die Luft nahmen.

Ich schluckte meine Angst runter und versuchte stark zu sein, während ich auf das Bild an der Wand gegenüber starrte. Immer noch hatte ich die Befürchtung, oder besser gesagt den Wunsch, dass alles nur ein Missverständnis sei. Dass ich nur hier war, um das Missverständnis auszuräumen. Dass Tests mal falsche Ergebnisse lieferten, wusste ich. Es stand schließlich auf jeder Verpackung, dass sie nur zu 95 % sicher sind. Aber wenn gleich drei Tests dasselbe Ergebnis lieferten, dann konnte mich jetzt nur noch die Ärztin retten. Ich betete insgeheim, dass alles gut gehen würde.

Gott, bitte lass es ein Irrtum sein. Ich weiß, ich bin die letzte Person auf der Erde, die auf Hilfe von dir hoffen kann. Doch bitte lass es nicht zu. So vieles habe ich hingenommen, so vieles verloren. Und schließlich dachte ich sogar, den Glauben an dich verloren zu haben. Doch wenn du noch da bist, wenn du mich tatsächlich hörst, dann bitte Gott, lass es ein Irrtum sein.

„Frau Kneip?” Die Ärztin riss mich aus meinem verzweifelten Gebet.

Mit einem Lächeln versuchte ich meine Angst zu überspielen, doch meine vor Furcht zitternden Hände konnte ich nicht verbergen. Die nächsten Minuten würden ein Resultat hervorbringen, das mein gesamtes Leben auf den Kopf stellte. Zumindest das bisschen, was ich noch als Leben bezeichnen konnte.

„Guten Tag Frau Kneip, wie geht es Ihnen?” Freundlich wie immer wies mich Dr. Winter zum Untersuchungsstuhl.

„Etwas aufgeregt, um ehrlich zu sein.” Ich versuchte, das Zittern meiner Hände zu verstecken und zwang mich zu einem Lächeln.

„Ich sehe, Sie sind für eine Schwangerschaftsuntersuchung hergekommen? Haben Sie denn zu Hause schon einen Test gemacht?”

„Ja, drei sogar …”

„Ich verstehe. Sie und Ihr Mann sind noch nicht wieder zusammen?”

Stumm schüttelte ich den Kopf und sah auf den Boden. Auch wenn Dr. Winter niemals irgendjemanden verurteilen würde, so fühlte sich diese Frage dennoch genau danach an. Wer konnte es ihr schon verübeln? Eine frisch getrennte Ehefrau, die gerade mal zwei Monate nach der Trennung schwanger war. Wenn ich wenigstens schon im zweiten Monat wäre, dann wäre es vielleicht akzeptabel. Aber soweit war ich noch nicht. Ich wusste ganz genau, dass es höchstens der dreiundzwanzigste Tag sein konnte. Und ich wünschte mir, dass dieses Kind nicht von meinem Ex-Mann war.

„Ist es wahr, dass seine neue Frau bereits bei ihm eingezogen ist?”

Stumm nickte ich und das Wissen, dass mein Ex-Mann vor dreiundzwanzig Tagen seine neue Lebensgefährtin mit mir betrogen hatte, ließ mich vor Scham beinahe im Boden versinken. Ich war nicht besser als er. Auch wenn er mich über mehrere Monate betrogen und sich für die neue Frau entschieden, so war da doch dieser eine Abend gewesen, der unser beider Gefühle füreinander wieder entfacht hatte. Und ich war auch noch so dumm gewesen und hatte gehofft, dass es zu einer Versöhnung führen könnte. Dem war jedoch nicht so. Denn zwei Tage danach war sie bei ihm eingezogen, während ich noch nicht einmal alle meine Sachen in die neue Wohnung bringen konnte.

Ich musste zugeben, dass ich womöglich die dümmste Person auf diesem Planeten war. Wer jetzt allerdings denkt, dass ich selber schuld war, nicht zu verhüten, den kann ich beruhigen. Denn ich hatte nach der Trennung die Pille regelmäßig weiter genommen. Außerdem war mein Körper bereits seit meinem ersten Sohn dafür bekannt, bei Stress oder in emotional belastenden Zeiten nicht genug Kraft zu haben. Dass ich in den letzten Monaten ein Wrack gewesen war, hätte ich wissen müssen. Ganz abgesehen davon, dass ich nach wie vor mit meinem Suizidversuch vor mehr als acht Monaten zu kämpfen hatte. Acht Monate … Wie glücklich mein Ex-Mann wäre, wäre es mir gelungen. Tatsächlich war er damals schon mit der neuen Flamme zusammen und ich hatte mir tagtäglich Vorwürfe gemacht, dass er sich von mir und unserem Sohn mehr und mehr entfernte. Ich hatte mich als nichtsnutziges Wesen betrachtet und den Suizid als einzige Möglichkeit gesehen, von dieser Welt zu fliehen. Allem ein Ende zu bereiten und jedem Ruhe vor mir zu gönnen.

„Wie sieht es mit Ihrer Psychologin aus? Treffen Sie sie noch?”

Ich war froh, dass mich Dr. Winter wieder ins Hier und Jetzt holte.

„Ja, jetzt wieder öfter. Seit der Trennung.”

„Das ist gut. Sie wissen, dass auch ich immer für Sie da bin. Es ist bestimmt nicht einfach, so weit entfernt in einem ganz anderen Land zu sein. Sie brauchen jede Unterstützung, die Sie bekommen können. Und vergessen Sie nicht - Sie sind nicht allein. Auch in Deutschland haben Sie eine Familie gefunden, die Sie sehr liebt.”

Zaghaft lächelte ich sie an. Dann verschwand sie kurz hinter der Sichtschutzwand, sodass ich mich wieder anziehen konnte.

Quälende fünf Minuten später saß ich am Schreibtisch der Ärztin, während sie die ersten Daten in einen Mutterpass eintrug.

Es war also kein Alptraum, sondern die schreckliche Realität: Ich war schwanger und trug das Kind meines Ex-Mannes in mir. Verzweiflung und Panik schlichen sich in mein Herz und ich seufzte tief.

„Darf ich fragen, ob das Kind von Kevin ist?” Dr. Winter musterte mich aufmerksam. Ihr entging meine Anspannung nicht. Ich nickte stumm. „Weiß er es?” Ich schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Schluchzen.

„Er darf es nicht erfahren. Niemand darf es erfahren.” Ich bohrte meine Fingernägel in die Handinnenfläche und holte tief Luft. „Dr. Winter, ich würde gerne meine Optionen für eine Abtreibung wissen.”

Überrascht und beinahe schockiert sah sie mich an und legte den Stift hin.

„Ich hätte nicht gedacht, dass das für Sie infrage kommt, Daria. Aber natürlich ist das ganz klar Ihre Entscheidung. Für eine Abtreibung müssen Sie erst einmal eine gesetzlich vorgeschriebene Beratung besuchen. Ich gebe Ihnen den Kontakt zu einer Mitarbeiterin bei der Schwangerschaftsberatungsstelle in Hildburghausen. Sie wird Ihnen einen Beratungsschein ausstellen, aufgrund dessen wir den Abbruch einleiten können. Da Ihre Schwangerschaft noch nicht so weit fortgeschritten ist, hätten Sie die Option, eine medikamentöse Abtreibung durchzuführen. Dazu wird die Beraterin Ihnen ebenfalls Informationen geben. Im Normalfall reicht ein Beratungstermin aus. Sollte die Beraterin jedoch der Meinung sein, dass weitere Termine nötig sind, können es bis zu zwei oder drei werden. Bei Ihrer Vorgeschichte ist das sehr wahrscheinlich.”

Ich nickte und nahm die Karte mit dem Namen und der Telefonnummer der Mitarbeiterin entgegen.

„Wenn Sie einen Beratungsschein haben, können Sie erneut einen Termin bei mir machen. Ich werde die Sprechstundenhilfe bitten, Sie so schnell wie möglich einzuplanen.” Sie reichte mir den Mutterpass und wie in Trance stand ich auf, um den Raum zu verlassen.

„Daria … Egal wofür Sie sich entscheiden, seien Sie sich bewusst: Eine Abtreibung ist nicht einfach, aber auch schwanger zu sein zu solch einem Zeitpunkt ist schwierig. Sie sind eine starke Mutter und haben bereits einen wunderbaren Sohn. Ich bin mir sicher: Egal wofür Sie sich entscheiden - Ihre Liebsten werden Ihre Entscheidung respektieren.”

„Danke”, flüsterte ich mit trockener Kehle und verließ die Arztpraxis.

Erst als ich die Wagentür zuknallte und den Mutterpass auf meinem Beifahrersitz betrachtete, löste sich ein lauter Schluchzer aus meiner Brust und Tränen liefen meine Wangen herunter. Die Erkenntnis, dass ich tatsächlich schwanger war und das auch noch von meinem Ex-Mann, zum unmöglichsten Zeitpunkt überhaupt, traf mich hart. Es war ein Gefühl, als würde die ganze Welt um mich zusammenbrechen. Als würde eine riesige Hand in meinen Brustkorb greifen und mein Herz langsam darin zerdrücken. Abermals kam kurz der Gedanke in mir auf, dass der Tod ein so viel einfacherer Ausweg wäre. Doch so schnell die Idee aufkam, schüttelte ich sie auch wieder ab.

Ich durfte mein Leben nicht beenden. Meine Umstände durften mich nicht dazu drängen. Aber war es nicht genauso schlimm, dass ich im Gegenzug das Leben eines Kindes, meines Kindes, beenden würde?

KAPITEL 2

Veilsdorf, 02. September 2017

SARAH:

Daria, gib dir einen Ruck. Du hast versprochen, dass du heute mit zu dieser Geburtstagsfeier gehst. Nico hat extra versichert, dass Kevin nicht da sein wird. Also los, wir trinken heute und feiern ordentlich!

Ich starrte auf die Nachricht von Sarah und lächelte. Zwei Wochen lang hatte sie mich angebettelt, endlich meine kleine Höhle zu verlassen und unter Menschen zu gehen. Du musst dir dein eigenes neues Umfeld aufbauen, meinte sie ständig. Sie hatte recht. Ich brauchte meine eigenen Freunde und davon gab es genau zwei. Der Rest, wie Nico zum Beispiel, gehörte zu Kevins Freundeskreis. Fast alle fanden es scheiße, was Kevin getan hatte und wie er seine Familie für eine neue Frau zerstörte. Doch ich wollte nicht der Grund sein, dass sie sich gegen ihn stellten. Immer noch machte ich mir Vorwürfe, dass alles meine Schuld war und Kevin sich deshalb eine andere, eine bessere Frau gesucht hatte.

Tagtäglich kämpfte ich in einem Rosenkrieg. Dabei ging es nicht einmal um die Scheidung, sondern um das Sorgerecht für unseren Sohn. Das alleinige Sorgerecht wollte ich nicht. Aber ich wollte, dass mein Sohn bei mir lebte. Er war der Einzige, der mich noch in Deutschland hielt. Jedoch musste ich jede zweite Woche ohne jeglichen Kontakt zu meinem Sohn auskommen, obwohl ich gerade einmal 400 Meter von ihm entfernt wohnte.

Ich sah auf das Stück Papier, das auf der Kommode vor mir lag und dachte über die drei letzten Termine bei der Beratungshilfe nach. Endlich hatte ich den Beratungsschein für Dr. Winter bekommen und bereits am Montag war der Termin für den Schwangerschaftsabbruch. Ein Schaudern durchfuhr meinen Körper und ich holte tief Luft. Bisher wusste niemand von meiner Schwangerschaft. Meine Morgenübelkeit war schon vor zwei Wochen eingetreten und womöglich würde diese Schwangerschaft ebenso wie meine erste werden: Mit monatelangem Erbrechen und Übelkeit. Gleichzeitig würde man meinen ältesten Sohn noch mehr von mir fernhalten, wenn ich nicht imstande war, ihn zu betreuen. Das Schlimmste würde allerdings sein, dass mein Ex völlig durchdrehte und mir das ungeborene Kind entzog. Bis heute hatte ich mir geschworen, nie einen Abbruch vornehmen zu lassen. Ich fand es auch jetzt noch schrecklich und unmenschlich. Aber nach allem, was ich bereits getan und durchgemacht hatte, traute ich mir selbst diese Tat zu. Auch wenn sie schrecklich war. Ich war ein Monster und wenn ich das hier nicht durchzog, würde ich meinen ältesten Sohn verlieren.

Nein, ich konnte das ungeborene Kind nicht austragen.

DARIA:

Alles gut, ich komme ja. Soll ich dich abholen? Ich werde keinen Alkohol trinken, also kann ich auch fahren. Bin um sieben Uhr bei dir.

Ungeachtet dessen, dass der Schwangerschaftsabbruch feststand, trank ich keinen Alkohol.

Ich verschwand im Bad und beschloss, mich für heute extra hübsch zu machen. Die letzten Wochen hatten ihre Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Unter meinen Augen lagen dunkle Ringe, die mehr Schminke brauchten als gedacht. Als ich schließlich mit dem Make-up und den Haaren fertig war, täuschte mein hübsches Spiegelbild über all die Dinge hinweg, die mich Stück für Stück innerlich zerfraßen. Niemand würde sehen, was tatsächlich in mir vorging. Jeder würde heute Abend meine perfekte Seite kennenlernen und das fröhlichste Lächeln zu Gesicht bekommen. Ich wusste mittlerweile ganz genau, wie ich mein verletztes Ich überspielen musste, um der Welt die überglückliche Daria zu zeigen. Kevins Freunde würden ihm mit Sicherheit berichten, dass ich auf der Feier war und ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, dass man mich als Häufchen Elend erlebte. Er sollte glauben, dass ich ohne ihn sehr gut klar kam und mein Leben nach unserer Trennung einen besseren Weg eingeschlagen hatte. Seit unserem letzten intimen Zusammensein, bei dem ich ungewollt schwanger geworden war, wirkte er noch kühler auf mich und schien mich regelrecht zu hassen. Vielleicht machte er sich Vorwürfe, dass er seine neue Frau betrogen hatte. Aber was ging es mich an? Wieso zerfraßen mich jetzt die Schuldgefühle? Warum hatte ich das Gefühl, dass ich die Böse in dieser Geschichte war, obwohl er das Ganze begann?

Nein, dies war das erste Mal, dass ich mir ganz bewusst war, dass ich nicht die alleinige Schuld trug und diese Last würde ich auf keinen Fall auf mich nehmen.

Sarah hatte recht. Ich musste mir mein eigenes Leben aufbauen. Doch wie sollte ich das schaffen, wenn trotz all der Grausamkeit und dem Schmerz mein Herz noch immer Kevin gehörte? Ich würde ihm niemals verzeihen, was er getan hatte. Und ich schwöre bei Gott, ich würde ihm keine zweite Chance geben. Doch ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn immer noch liebte. Der Hass auf ihn wuchs in mir. Aber er würde wahrscheinlich nie größer sein, als die Liebe zu ihm. Ich hatte ihm nicht einfach so vor vier Jahren das Ja-Wort gegeben. Er war die Liebe meines Lebens und würde auf eine gewisse Art immer in meinem Herzen bleiben. Doch mittlerweile sehnte ich mich wieder nach jemandem, der für mich da war und mir die Liebe gab, an die ich kaum noch glaubte.

Verdiente ich es nicht auch, jemand Neues kennenzulernen? Verdiente ich nicht ebenfalls erneutes Glück in der Liebe?

Würde ich je wieder jemanden so lieben können wie Kevin?

KAPITEL 3

Eisfeld, 02. September 2017

Wie ich bereits geahnt hatte, befanden sich viele von Kevins Freunden auf der Feier. Doch es waren auch unbekannte Gesichter darunter. Tatsächlich tat es mir besser unter Leute zu gehen, als ich gedacht hatte.

Sarah versuchte, mich stets bei Laune zu halten und nachdem die ersten Minuten vergangen waren, hatte ich auch langsam nicht mehr das Gefühl, angestarrt zu werden und dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde. Ich lernte neue Menschen kennen und fühlte mich trotz allem immer wohler. Es kam mir so vor, als wären alle sehr vorsichtig mit dem, was sie zu mir sagten und als ob sie bewusst die Fragen umgingen, wie ich mit der Trennung klar käme. Ich war dankbar dafür. Je mehr neue Bekanntschaften ich schloss, desto mehr hatte ich das Gefühl, nicht mehr nur von Kevins Freunden umgeben zu sein, auch wenn diese überaus nett waren.

Dennoch flüsterte in meinem Inneren ständig eine Stimme, dass sie nur aus Anstand freundlich seien und viele mich belächelten. Nur Nico und Sarah erschienen sichtlich froh, dass ich hier war. Sie waren die Einzigen, die tatsächlich zu mir hielten und mir nie etwas vormachen würden.

Das Wohnzimmer wurde immer voller und ich beschloss in den Garten zu gehen, um frische Luft zu schnappen.

„Daria, du hast noch kein einziges Bier getrunken. Los, schnapp dir eins!” Nico deutete auf den Tisch, der voll mit Bierflaschen beladen war.

Ich schüttelte den Kopf und lächelte, während ich meine Wasserflasche hochhielt.

„Bin heute Fahrerin”, log ich ihn an, obwohl es zum Teil der Wahrheit entsprach.

Nico stand mit drei weiteren Jungs um den Grill. Ich überlegte, ob sie ebenfalls mit Kevin befreundet waren. Allerdings hatte ich sie noch nie zuvor gesehen. Mir war die Vierergruppe jedoch unangenehm. Deshalb sah ich mich nach Sarah um, um mich mit ihr zu unterhalten.

„Wie läuft es auf der Arbeit? Was macht deine Ausbildung?”, fragte mich Nico plötzlich und winkte mich zu sich, was meine Anspannung verstärkte. Denn nun konnte ich mich nicht mehr davonschleichen.

Ich trat auf die kleine Gruppe zu und stellte mich neben Nico. Immer lächeln, spiele ihnen dein Glück vor, Daria. Lass sie niemals sehen, wie zerbrochen du eigentlich bist!

„Alles läuft super. Ich versuche, im Januar meine vorzeitige Abschlussprüfung zu machen”, antwortete ich und bemerkte, wie meine Stimme zitterte. Allerdings nicht allzu stark, sodass ich mir sicher war, dass mein Lächeln und meine vorgegaukelte heile Welt davon ablenken würden.

Das dachte ich zumindest, bis mich der Blick aus einem Augenpaar traf. Diese Mischung aus kristallblauem Meer und einem tobenden grauen Sturm, aus Kühle und Strenge fesselte mich und nahm mir die Luft zum Atmen. Der Mann, zu dem die ungewöhnliche Augenfarbe gehörte, sah mich direkt an. Er strahlte Autorität aus und sein kurzgeschnittenes Haar, welches an das eines Soldaten erinnerte, ließ ihn noch strenger wirken. Sein Gesicht zeigte keinerlei Freude. Stattdessen lag darin irgendwie Enttäuschung. Was mir jedoch höllische Angst einjagte, war sein Blick. Er sah mich nicht einfach nur an und fragte sich, wer ich war. Nein, sein Blick war durchdringend, ging bis tief in meine Seele. Und vielleicht sah er dort etwas, was ihm vertraut vorkam und wusste ganz genau, was sich in mir abspielte. Diesem fremden Typen konnte ich nichts vorspielen. Er war ein lebendiger Lügendetektor. So zumindest schätzte ich ihn ein.

Beinahe wäre mir das Lächeln vergangen. Gerade noch rechtzeitig wandte ich meinen Blick abrupt von ihm ab und hielt mich an meiner Wasserflasche fest.

„Wow, das ist ja hervorragend. Da bist du bestimmt schon fleißig am Lernen, oder?” Nico schien aufrichtig erfreut über diese Nachricht zu sein. Ich nickte stumm, denn in meiner Kehle saß ein dicker Kloß, da ich den strengen Blick des fremden Typen nach wie vor auf mir spürte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er einen Schluck von seinem Bier nahm. Währenddessen blieben seine Augen auf mich gerichtet, was mich nur noch nervöser werden ließ.

„Was lernst du denn?”, fragte ein anderer Typ neben mir und ich räusperte mich kurz.

„Pharmazeutisch kaufmännische Angestellte”, antwortete ich. Wie ich es hasste diesen langen Titel auszusprechen! „Kurz auch PKA genannt, also Apothekenmitarbeiterin”, fügte ich hinzu, da die meisten keine Ahnung hatten, worum es sich bei dem Begriff handelte.

„Krass, wie lange dauert die Ausbildung dazu?”

„Drei Jahre.”

„Sie ist aber schon fast vier Jahre dabei und ein Jahr davon war sie in Elternzeit. Sie ist absolut taff, hat trotz Schwangerschaft das zweite Jahr durchgemacht und begann sofort das dritte nach dem Elternjahr. Aufgeben war für sie keine Option.” Nico hob seine Bierflasche und prostete mir zu. Vor Verlegenheit stieg mir Röte ins Gesicht.

Toll, Nico! Musstest du gleich mein halbes Leben in der Runde ausposaunen?

„Echt? Wow. Du bist also Mutter?”, fragte der Typ neben mir. „Ich heiße übrigens Steffen.”

„Daria”, antwortete ich mit leichtem Lächeln. „Und ja, ich habe einen zweijährigen Sohn.”

„Und da schaffst du es noch zu lernen? Der Vater des Kindes wird aber bestimmt helfen, oder?”

Seine Worte waren mir so unangenehm, dass ich schwer schluckte und eine Kälte um mich herum aufziehen spürte.

Nico räusperte sich kurz. „Sie ist … oder war … Kevins Frau. Kevin Reinhardt.”

„Ah …”, meinte Steffen knapp und schwieg betreten für einen Moment. Er schien sich etwas blöd vorzukommen. „Entschuldige bitte. Ich wusste das nicht. Ich kenne Kevin von früher, wir waren in der gleichen Klasse.”

Lächelnd nickte ich und antwortete nichts darauf. Es gab auch nichts dazu zu sagen.

Ich ließ meine Blicke schweifen und sah flüchtig den Unbekannten an. Er beobachtete mich immer noch eindringlich, als erwartete er etwas von mir oder suchte etwas in mir.

„Bist du aus Südamerika? Brasilien?”, versuchte Steffen das Thema zu wechseln. Ich war ihm dankbar dafür, denn die Blicke des Unbekannten bereiteten mir Unbehagen.

Kannte er Kevin? War er ein Freund von ihm? Wieso sah er mich so erwartungsvoll an?

„Ich stamme aus Paraguay”, antwortete ich.

„Wow, dein Deutsch ist wirklich sehr gut.”

Ich lächelte, denn dieses Kompliment hatte ich schon oft gehört. Nichtsdestotrotz hätte ich am liebsten die Augen verdreht, so sehr nervte es mich. Ja, ich komme vom Arsch der Welt, aber deswegen bin ich nicht zu dumm, um eine Fremdsprache zu lernen. Und bekanntlich ist das weltweit möglich.

„Deutsch habe ich bereits im Kindergarten gelernt und bin in einer deutschen Gemeinschaft aufgewachsen.”

„Das ist wirklich cool. Vermisst du Paraguay denn?”

„Manchmal”, sagte ich lächelnd. Obwohl ich viel lieber schreien wollte, dass ich mein Heimatland in letzter Zeit jeden verdammten Tag vermisste.

Wie durch Zufall wanderte mein Blick genau in diesem Moment zu dem fremden Mann und … Täuschte ich mich, oder lag auf seinen Lippen ein Lächeln – eines, das voller Spott war?

War dieser Typ noch ganz dicht? Wieso grinste er darüber, dass ich meine Heimat vermisste?

Mein Lächeln verging mir und ich starrte ihn entsetzt an. Da war zum ersten Mal Unsicherheit in seinem Gesicht erkennbar. Schnell löste ich meinen Blick wieder von seinem und kam mir sofort dumm deswegen vor.

„Ich gehe mal Sarah suchen”, sagte ich knapp zu Nico, den anderen lächelte ich kurz zu. Dann löste ich mich endlich von der kleinen Gruppe und flüchtete vor dem komischen Typen.

Jedoch änderte ich rasch meine Meinung und ging statt Sarah zu suchen auf den Balkon, der in dem Moment menschenleer war. Die meisten Gäste hielten sich im Garten auf. Oder im Wohnzimmer, in dem es wohlig warm war. Die Ruhe auf dem Balkon tat mir gut und ich konnte endlich wieder tief durchatmen.

Leider wurde mir die Stille nur einen Moment gewährt. Bereits nach wenigen Sekunden hörte ich Schritte hinter mir, die sich eilends näherten. Dann tauchte auch schon der verwirrende Typ mit den strengen Augen neben mir auf und stellte sich ans Geländer des Balkons. Mir gefror beinahe das Blut in den Adern.

KAPITEL 4

Eisfeld, 02. September 2017

„Ich habe mich vorhin nicht vorgestellt. Mein Name ist Bastian.”

Etwas überrascht darüber, dass seine Stimme nicht ganz so autoritär und kalt klang, wie es seine Augen und sein Erscheinen ahnen ließen, schenkte ich ihm einen kurzen Blick.

„Daria”, gab ich knapp von mir.

Was wollte er jetzt? Wieso war er mir überhaupt bis auf den Balkon gefolgt? Wenn nicht so viele Leute unten im Garten versammelt wären, könnte man diese Situation beinahe mit einer verrückten Mordgeschichte verbinden. So kalt wie dieser Bastian wirkte, könnte er sogar ein Psychopath sein. Die ganze Situation war so unangenehm, dass mir ein Schauder über den Rücken lief und mich kurzweilig frösteln ließ.

Bastian merkte das natürlich und obwohl ich ihn gerade noch für einen Verrückten gehalten hatte, zog er ruckartig seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Begleitet von einem Gesichtsausdruck, der hartnäckig den Eindruck vermittelte, dass es keinen Widerspruch meinerseits bedarf.

„Das ist nicht nötig. Ich habe meine Jacke im Wohnzimmer und kann sie holen”, startete ich dennoch einen schwachen Versuch, doch Bastian lächelte nur leicht.

„Ich glaube, du warst gerade dabei, den Menschen dort unten zu entkommen. Da wirst du sicherlich nicht sofort deine Jacke holen wollen.” Er lächelte und sah zum Feld, das sich hinter dem Garten erstreckte. „Außerdem wäre ich ein ziemlicher Arsch, wenn ich dich hier weiter frieren lassen würde.”

„Ach ja, wenn du aber meine Ruhe störst, bist du es nicht?” Ich erschrak über meine Frage und hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Doch bevor ich meine Frage wiedergutmachen konnte, lachte er auf.

„Touché. Ich denke, das zählt höchstens als Ruhestörung. Dennoch glaube ich nicht, dass du allein sein willst. Schätze, du wolltest dir nur Kraft holen, um dein Spiel weiterzuspielen.”

„Mein Spiel?”, fragte ich verwirrt und sah ihn an. „Welches Spiel denn bitte?”

„Deine ach so glückliche kleine Welt, die du jedem vorspielst. Das ist doch alles nur erlogen. Habe ich recht?” Ungläubig und schockiert starrte ich ihn an. Wer war er? Hatte er vielleicht sogar Superkräfte? Woher wusste er das so genau? Jedem anderen konnte ich vormachen, dass alles in Ordnung sei. Warum also ihm nicht?

„Und mal ehrlich? Wer vermisst sein Heimatland nur manchmal, wenn man schwere Zeiten hat?”

„Ich weiß nicht, was du meinst”, gab ich verärgert von mir und starrte ebenfalls auf das Feld.

Bastian sah mich an und schien Freude daran zu haben, mich zu verärgern.

„Wie geht es dir, Daria?” Nicht verstehend was er mit dieser direkten Frage bezwecken wollte war ich bereit, ihm diese perfekte Lüge, die ich jedem anderen auch gab, vor die Füße zu legen. Er wandte sich jedoch zu mir und verschränkte seine Arme, während er sich an das Balkongeländer lehnte. „Und keine Märchen. Niemandem geht es gut nach einer Trennung, geschweige denn einer Ehescheidung und dazu noch dem Sorgerechtsstreit. Mal abgesehen davon, dass sich deine Familie am anderen Ende der Welt befindet und du hier vielleicht noch nicht so viele Freunde hast, wie du es in deiner Heimat hattest.”

Schockiert blieb mein Blick in seinem gefangen. Obwohl ich mich vorhin noch gewundert hatte, dass seine Stimme nicht so autoritär war, wie es sein Auftreten und sein Blick vermuten ließen, so war der Ton in den letzten Sätzen eindeutig strenger geworden. Ich fürchtete mich vor dem, was geschehen könnte, wenn ich ihn anlog. Doch so leicht gab ich mich nicht geschlagen.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Die Trennung ist schon fast drei Monate her und ich habe mich daran gewöhnt. Er ist glücklich und ich sollte es auch sein.”

„Stimmt, das solltest du. Bist du aber nicht.”

Nur kurz sah ich ihn an und wandte meinen Blick wieder zum Feld. Er jedoch hielt seine Augen auf mich gerichtet und ich spürte, wie er versuchte mich zu brechen. Seine Blicke waren beinahe wie Messerstiche. Ich hoffte, dass er irgendwann genug hätte und mich nicht mehr ansah. Doch das hatte er wohl nicht vor. Wie konnte jemand so viel Selbstvertrauen und Arroganz aufbringen? Vor allem - woher wusste er so viel?

Um von der unnatürlichen Stille abzulenken, wollte ich einen Schluck aus meiner Flasche nehmen, als ich merkte, dass diese bereits leer war. Bastian reichte mir seine Flasche Bier und ich sah ihn unverständig an.

„Giftig bin ich nicht. Oder teilst du einfach nicht gern?”, gab er fesch als Antwort. Ich schüttelte nur den Kopf und erzwang mir ein Lächeln. „Nein. Es ist nur so, dass ich heute fahre und somit keinen Alkohol trinke.”

Er sah auf sein Bier und hob eine Augenbraue. „Das ist alkoholfreies Bier.”

„Geöffnete Drinks von Fremden nehme ich nicht”, antwortete ich genervt und bemerkte, wie meine Augen zu funkeln begannen. Wieso konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen?

Einen Moment blieb er still und betrachtete mich, als ob er versuchte ein Rätsel zu lösen. Er beugte sich über das Balkongeländer. „Hey Nico, wirf mal bitte ein Wasser hoch.”

Peinlich berührt merkte ich, wie sich meine Wangen erhitzten, als gleich mehrere Leute zu uns hochsahen. Ungerührt nahm Nico eine Flasche und warf sie hoch. Bastian fing diese einwandfrei auf. Die Blicke wandten sich auch schnell wieder von uns ab. Dennoch war mir nicht wohl.

Mit einem kleinen Grinsen reichte Bastian mir die Flasche.

„Danke”, kam es knapp und leise von mir.

„Nun, ich konnte dich ja nicht verdursten lassen. Vor allem, wenn du mir noch ein paar Antworten schuldest.”

Ich verschloss die Flasche wieder und zog die Jacke dichter um mich, als ein kühler Wind über den Balkon zog. Bastians Duft, der an seiner Jacke hing und ein angenehmes Parfum trug, umhüllte mich und mir wurde bewusst, dass ich ja seine Jacke trug und nicht meine. Diese Situation war für mich etwas unangenehm und doch machte genau diese kleine Geste mich ein klein wenig glücklich. Denn es erinnerte mich, dass auch in dieser Welt Dinge wie aus einem Märchenfilm geschehen konnten.

„Welche Antworten?”

„Wie es dir geht.”

„Das habe ich doch bereits gesagt.”

„Ja, das hast du mir gerade eben vorgelogen. Lügen zählen nicht als Antwort.”

Mir reichte seine teils arrogante Art und Weise. Was und wer glaubte er zu sein, dass er so mit mir reden konnte? Er war ein Fremder. Und selbst wenn er einer von Kevins Freunden war, so war auch ich fremd für ihn.

„Hör zu … Ich weiß nicht, wer du bist oder was du willst. Aber ziemlich sicher bist du einer von Kevins Freunden, weshalb ich dich jetzt bitte, mich in Ruhe zu lassen. Falls Kevin etwas wissen will, muss er es nicht versuchen, durch seine Freunde zu erfahren.” Ich nahm seine Jacke ab und genoss noch für einen winzigen Moment das Parfüm, das sich auf meiner Haut und in meinen Haaren abgesetzt hatte. „Ich danke dir für das Wasser und die Jacke.”

Obwohl ich ihm die Jacke reichte, nahm er diese nicht entgegen, sondern hielt seine Arme verschränkt, während er immer noch lässig am Balkongeländer lehnte. Seine Augen tauchten in mich hinein und ich wusste nicht genau, was er in diesem Moment dachte. Denn sein Blick war wieder einmal kalt und autoritär, als ob ich ihm gerade eine Enttäuschung darlegte. Nachdem Sekunden verstrichen waren und er die Jacke nicht genommen hatte, legte ich sie über das Balkongeländer und wandte mich von ihm ab. Mit der Angst in meiner Brust, dass er mich nicht einfach so gehen lassen würde, verließ ich den Balkon.

Doch er rief mich nicht zurück. Machte keine Anstalten mich aufzuhalten, geschweige denn sich zu erklären. Wer war dieser Bastian? Woher wusste er so vieles über mich und wieso erlaubte er sich so zu tun, als würde er mich besser kennen als sonst jemand?

KAPITEL 5

Eisfeld, 02. September 2017

Erst als ich mich an Sarahs Seite wiederfand, war ich mir sicher, dass dieser Bastian mir nicht gefolgt war. Wer wusste schon, was in ihm vorging und welche Art Mensch er war?

Seitdem ich mich so sehr in meinem Ex getäuscht hatte und erfahren musste, wie unglaublich stark man sich in einem Menschen irren konnte, traute ich niemandem mehr. Schon gar nicht jemandem wie Bastian, der eindeutig einer von Kevins Freunden war und mich wohl nur in dessen Auftrag ausspionierte. Ich wusste wie Kevin tickte und das, obwohl er sein Glück gefunden hatte, mir nie gönnen würde. Er war zerfressen von Neid und wenn er je erfahren würde, dass ich glücklich wäre, dann würde er mir das Leben zur Hölle machen. Davor hatte ich jedoch keine Angst, denn das Glücklichsein hatte sich von mir verabschiedet und würde wohl auch in diesem Leben nicht mehr auftauchen. Nicht bei mir.

„Hey, ich habe dich gesucht. Wo warst du denn?” Sarah reichte mir ein Glas Sekt und ich schaute sie fragend an, woraufhin sie auf die Flasche zeigte. „Extra alkoholfrei. Du magst den doch.”

„Ja, aber klar. Danke dir.” Ich war froh, endlich einen vernünftigen Drink zu bekommen, selbst wenn dieser alkoholfrei war. Doch nach dem zweiten Schluck bemerkte ich, dass es keine so gute Idee gewesen war. Übelkeit machte sich langsam in mir breit und auch wenn ich den Drink genoss, schien es jemand anderes nicht zu mögen.

Ernsthaft? Es ist doch nur Saft und extra alkoholfrei! In Gedanken schimpfend ertappte ich mich wieder einmal, wie ich erneut mit meinem ungeborenen Kind kommunizierte, auch wenn es ein Schimpfen war. In den letzten Tagen hatte ich immer wieder Gespräche geführt, wenn ich alleine war. Abends auf der Couch hatte ich schon so oft meinen Bauch gestreichelt. Dabei würde nichts davon gut tun, was ich am folgenden Montag vorhatte.

Am liebsten würde ich das volle Wohnzimmer verlassen und frische Luft schnappen. Doch ich hatte zu viel Angst, diesem Typen wieder über den Weg zu laufen. Also versuchte ich mit der Übelkeit klarzukommen und wartete darauf, bis sich der Abend dem Ende zuneigte. Spaß hatte ich auf jeden Fall nicht, aber keiner hier merkte das. Denn mein Lächeln und meine Fröhlichkeit, die ich mit den anderen hier teilte, überspielte alles.

Nur als Bastian durch das Wohnzimmer trat und mir einen kurzen, flüchtigen Blick zuwarf, fror ich innerlich und alles um mich wurde kalt.

„Daria, du siehst etwas blass aus. Ist alles gut?” Sarah sah mich besorgt an und ich setzte meine Schauspielkünste erneut ein.

„Ja, na klar. Bin nur ein wenig müde und nicht gewohnt so lange auf zu sein.” Ich sah auf die Uhr und tatsächlich war es auch schon kurz nach zwölf. Die Zeit war so schnell vergangen.

„Du hast recht. Ich muss morgen noch zum Geburtstag meiner Großmutter. Sie schimpft mich zum Fuchs in den Wald, wenn ich zu spät auftauche. Wir sollten gehen.”

Dankbar nickte ich Sarah zu und trank noch den letzten Schluck aus der Wasserflasche.

Im Flur zog ich meine Jacke an und sah mich kurz zu Sarah um, die jedoch bereits draußen war. Ich war froh, endlich den Abend hinter mir zu haben. Denn mein gefälschtes Glück war anstrengend und die Sache mit den fremden Typen hatte mich echt umgehauen. Dazu kamen noch all die Hormone. Ich brauchte dringend Schlaf.

Veilsdorf, Mitternacht

Zu Hause angekommen, warf ich mich auf die Couch und machte den Fernseher an. Ja, es war bereits ein Uhr nachts, doch ich brauchte die Ablenkung, um einzuschlafen. So war es seit der Trennung. Wenn ich ohne den Fernseher einschlief, brach ich nur in Tränen aus und all die Erinnerungen kamen hoch. Das wollte ich einfach vermeiden und war froh, dass die Stimmen aus dem langweiligen Westernfilm mich in den Schlaf führen würden.

Schnell wollte ich noch mein Handy an das Ladegerät hängen und bemerkte dabei eine Nachricht einer fremden Nummer.

UNBEKANNT:

Die dritte Zunge tötet drei: Den, der spricht, den, zu dem gesprochen und den, von dem gesprochen wird.

Mit zitternden Händen hielt ich das Handy in der Hand und starrte ungläubig auf die Nachricht. Kälte durchfuhr mich und Angst machte sich in mir breit. Wer machte so etwas? Wer sendete jemandem so eine schreckliche Nachricht und das auch noch mitten in der Nacht? Das sollte doch wohl ein blöder Scherz sein! Steckte Kevin etwa dahinter?

Obwohl meine Finger vor Angst zitterten, als ich das Profil der Nummer öffnete, baute sich gleichzeitig Wut in mir auf. Kein Profilfoto. Welcher Mensch tat so etwas Feiges?

DARIA:

Wer bist du und was soll diese verdammte Scheiße?

Ohne groß nachzudenken, sendete ich die Nachricht ab, während sich Wut und Angst vermischten. Sofort sah ich, dass die Nummer online war und danach auf schreibt wechselte.

Mein Atem wurde flacher und ich vergaß beinahe weiterhin Luft zu holen, während ich unruhig mit meinen Fingern auf der Rückseite des Handys trommelte.

Gönnte sich mein Ex etwa einen schlechten Scherz? Wer sonst würde mir etwas so Boshaftes schreiben?

UNBEKANNT:

Ich wusste doch, dass mehr in dir steckt als das »unschuldig, glücklich spielende Mädchen«. Tut mir leid, wenn ich dich mit dieser Nachricht überfordert habe, doch sie regt zum Nachdenken an und ich fand, dass ich dir dieses Zitat schuldete.

Ungläubig starrte ich auf die Nachricht und frustrierte nun noch mehr, als schließlich eine weitere Nachricht eintraf.

UNBEKANNT:

Hier ist Bastian. Von vorhin auf Nicos Feier.

NA TOLL! Mir fiel ein Stein vom Herzen, während gleichzeitig mein Puls begann höher zu schlagen. Ohne mich zu beruhigen und einen kurzen Moment zu warten, ließ ich meine Wut in der Antwort zu ihm raus.

DARIA:

Was bildest du dir ein? Diese Nachricht ist absolut bösartig und gemein. Ich hatte Angst! Und dazu noch jemanden Fremden sowas zu senden!

Unruhig starrte ich auf die Antwort und im nächsten Moment tat es mir leid, dass ich ihn so anfuhr. Aber dazu hatte ich das Recht! Ich las seine Nachricht immer wieder durch und ebenso das Zitat, doch was wollte er damit bezwecken? Wieso fand er, dass ausgerechnet dieses absolut absurde und bescheuerte Zitat zu mir passte?

BASTIAN:

Es tut mir leid, wenn ich dir damit Angst einjagte. Das war keinesfalls meine Absicht. Jedoch wünsche ich mir, dass du dir diesen Satz mit ins Leben nimmst. Ich fand es schade, dass du mich einfach so hast stehen lassen, obwohl du eindeutig jemanden gebraucht hättest, um zu reden.

Damit brachte er meine Empörung zum Höhepunkt und ich schnaufte laut los, als ob er es durch das Handy hören könnte.

Was glaubte er eigentlich, wer er sei? Woher nahm er sich das Recht, mir etwas so Boshaftes zu schreiben? Oder war er immer noch mit seinen Freunden zusammen und sie hatten den Spaß ihres Lebens, indem sie mir eins auswischten?

DARIA:

Erstens: So etwas Dummes schreibt man keinem, den man nicht kennt. Im Grunde gar keinem. Zweitens weiß ich überhaupt nicht, was es mit dem Zitat auf sich hat und wieso ausgerechnet so etwas Böses mein Leben begleiten sollte. Drittens: Wenn ich jemanden gebraucht hätte zum Reden, dann hätte ich mich an meine Freundin gewandt. Nicht an einen wildfremden Kerl, der behauptet, er wisse alles über mich und es dazu noch schafft, mir mitten in der Nacht eine höllische Angst einzujagen!

Bei den letzten Worten musste ich schmunzeln und als ich bemerkte, wie ich über meine höllische Angst von vor wenigen Sekunden schmunzelte, brachte es mich sogar zum Lachen. Irgendwie war ich so erleichtert, dass diese Nachricht von Bastian kam und nicht von sonst jemandem.

Erneut kam eine Nachricht von ihm und sofort war ich erleichtert, dass ich ihn nicht vergrault hatte.

BASTIAN:

Erstens: Der Satz ist nicht »dumm«. Zweitens: Das ist ein hebräisches Sprichwort und mit der dritten Zunge ist die Verleumdung gemeint. Insofern damit gemeint, dass du deine Gefühle und dein wahres »Ich« verleumdest. Damit tust du nicht nur dir selbst weh, sondern auch allen anderen. Irgendwann zerbricht jeder daran und stirbt innerlich.

DARIA:

Klar, sehr weise und dazu noch ein hebräisches Sprichwort. Bist du Hebräer, oder wirfst du einfach so mit solch weisen Sprüchen herum?

BASTIAN:

:) Das nennt man nicht hebräisch, sondern im ersten Fall Israelit. Oder in meinem Fall, da ich Deutscher bin, jüdisch. Irgendwann zerbricht jeder daran und stirbt innerlich.

Oh. Das war ein Schlag ins Gesicht für mich. Womöglich hatte ich ihn beleidigt? Wie konnte ich nur so blöd sein? Was sollte ich ihm jetzt antworten? Jüdisch? Ich hatte immer gedacht, die leben alle in Israel. Bastian jedoch hätte ich nie im Leben für einen Juden gehalten. Das Handy vibrierte und ich bemerkte, dass ich wohl zu lange eine Antwort überlegte.

BASTIAN:

Drittens: Ich weiß so gut wie nichts über dich. Dennoch habe ich dein falsch gespieltes Glück durchschaut und fand es schrecklich. Es tat mir ja selbst beinahe weh, das weiter mit anzusehen. Außerdem glaube ich nicht, dass du deiner Freundin davon erzählen würdest, denn selbst ihr spielst du eine Geschichte vor, die aus Lügen besteht.

Noch immer starrte ich nur auf das Handy und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Doch er schrieb sofort weiter.

BASTIAN:

Es war keinesfalls meine Absicht, dir Angst zu machen. Obwohl ich es gerne gesehen hätte, muss ich zugeben ;) Aber es tut mir aufrichtig leid. Geht es jetzt wieder?

Ein Lächeln flog über mein Gesicht und ich atmete tief ein.

DARIA:

Es geht wieder ...

Kurz überlegte ich und schrieb dennoch die Frage, die in mir brannte.

DARIA:

Du bist tatsächlich jüdisch? Wie kommt es dazu?

BASTIAN:

Ich bin froh, dass ich dich erst einmal nicht vergrault habe und ja, ich bin teilweise jüdisch. Jedoch nicht ganz so extrem, wie ich es von meinem Volk aus wohl sein sollte. Aber dennoch stehe ich zu dem, was ich glaube. Und du? Bist du religiös?

Das machte neugierig. Ich hatte schon immer dieses große Interesse an all den verschiedenen Religionen und hatte von so vielen gehört. Doch vom Judentum noch nicht so viel.

DARIA:

Evangelisch.

Antwortete ich kurz und verschwieg dabei, dass mein Glaube heute wohl kaum mehr als evangelisch zu bezeichnen war. Wie auch? Gott hatte mich im Stich gelassen und wenn ich erst am Montag meinen Termin wahrnehmen würde, dann würde er auch nie wieder zu mir kommen. Die Enttäuschung, die Gott wohl wegen mir haben müsste, konnte ich beinahe fühlen.

BASTIAN:

Bist du mir noch böse?

Etwas skeptisch sah ich auf seine direkte Frage und musste erneut lächeln.

DARIA:

Nein, alles vergeben. Woher hast du meine Nummer?

BASTIAN:

Ich habe Stillschweigen geschworen, sonst bringt mich jemand um ;)

DARIA:

Alles klar, dann lasse ich es mal darauf beruhen und hoffe, dass du nicht umgebracht wirst :)

Ein Smiley? Ernsthaft? Verdammt, was machte ich hier nur? Eben hatte ich diesen Typ noch verabscheut! Und jetzt brachte er mich zum Lächeln?

Ich schüttelte den Kopf und atmete tief ein. Nein, Daria, das kommt jetzt nicht infrage. Nicht jetzt und auch nie wieder in deinem Leben. Durch keinen einzigen Kerl wirst du je wieder die Chance haben glücklich zu werden.

BASTIAN:

Hör mal, ich weiß, du hältst mich für einen Fremden und ja, das werde ich wohl auch immer bleiben, wenn wir das nicht ändern. Doch ich würde dich gern kennenlernen. Ich bin mir sicher - nachdem, was ich heute so über dich bemerkt und wahrgenommen habe, könntest du eine Ablenkung gebrauchen. Warst du schon einmal in Erfurt?

Etwas überrascht und verwirrt wusste ich nicht, worauf er hinauswollte. Doch meine Neugierde war größer und obwohl ich bereits zweimal in Erfurt war, log ich weiter.

DARIA:

Nein, bisher noch nicht.

BASTIAN:

Es ist eine schöne Stadt, die definitiv für Ablenkung sorgt. :) Was machst du morgen?

DARIA:

Wenn ich noch später ins Bett gehe, dann wohl den ganzen Sonntag schlafen :D

Ungeduldig tippte ich mit dem Zeigefinger auf der Handyhülle und fragte mich, worauf er hinauswollte. Wollte er ein Treffen? Oder war das reine Neugierde? Wollte er vielleicht einfach Konversation? Und warum stellte ich mir über all das so viele Fragen?

BASTIAN:

Dann solltest du jetzt schlafen gehen ;) Ich würde dich morgen gern zu einem Kaffee, oder zum Mittagessen, einladen und zeige dir dann die Stadt. Nimmst du meine Einladung an?

Todmüde blickte ich auf den Bildschirm und las die Nachricht immer wieder von vorne. Er lud mich ein? Auf einen Kaffee? Dieser so arrogante Besserwisser? Der Typ, der mir gerade noch eine Höllenangst einjagte? Mit ihm sollte ich Zeit in einer fremden Stadt verbringen und einen Kaffee trinken?

Ich war zu müde, um mir noch weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Doch die Gedanken schweiften ab und ich erwischte mich dabei, dass ich ihm recht gab. Langsam musste ich selbstständig werden und neue Leute kennenlernen. Eine Ablenkung war perfekt. Und wenn ich morgen zu große Angst dafür bekommen würde, konnte ich ihm immer noch absagen.

DARIA:

Okay …

BASTIAN:

Klasse. Soll ich dich abholen?

Kurz überlegte ich, ob das so eine gute Idee war. Sollte ich nicht doch lieber noch absagen? Ach … Was hatte ich schon zu verlieren? Ich brauchte diese Ablenkung unbedingt!

DARIA:

Nein, schick mir morgen bitte einfach die Adresse des Parkhauses, wohin ich kommen soll und ich fahre selbst. Ist mir lieber. Um 10?

BASTIAN:

Klar, weil du nicht allein mit einem fremden Typen im Wagen fahren willst, der dir gerade eben fast eine Todesangst eingejagt hat? ;) 10 klingt super. Dann schlaf gut, ich melde mich um acht.

Gerade so schaffte ich es noch, seine letzte Nachricht zu lesen und schmunzelte, während mich die Müdigkeit nun endgültig überkam.

KAPITEL 6

Veilsdorf, 03. September 2017

Das vibrieren meines Handys ließ mich langsam die Augen öffnen und erst nachdem ich einige Sekunden an die Decke gestarrt hatte, raffte ich mich auf und griff danach.