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Joel Martinez, ein praktisch denkender und gut organisierter Computerprogrammierer, ist der Mitbewohner von Ian Cooper, einem zertifizierten, IQ-in-der-Stratosphäre Mathegenie, das im wahrsten Sinne des Wortes in seinem alltäglichen Chaos seine Unterwäsche nicht finden kann. Als er über die Feiertage seine Mutter besucht, lässt er Ian mit einem unguten Gefühl zurück. Um sich abzulenken, erzählt er seiner Schwester Geschichten über den Alltag mit Ian und stellt fest, dass er weit mehr für Ian empfindet, als ihm bewusst war. Als Ian ihn verstört anruft, weil die einzige, die ihn liebt (eine halb verwilderte Katze namens Elender Bastard) eingeschläfert werden muss, eilt Joel nach Hause und hofft, dass sich Gegensätze tatsächlich anziehen.
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2014
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JOELBEFESTIGTE die Telefonliste vorsichtig mit einem Klebestreifen am Kühlschrank, dann seine Reiseroute und schließlich den Magnetkalender mit den Erinnerungen, alle in kräftigen, schwarzen, eckigen Druckbuchstaben.
„Ian… Ian? Ian, hörst du mir zu?“
Joels Mitbewohner, Ian Cooper riss sich von seiner Arbeit und damit auch aus der Gedankenwelt eines Genies los, und richtete seine blauen Augen mit dem leichten Silberblick auf die Liste. Dieses einfältige breite Grinsen war vermutlich der einzige Grund, warum Joel es fünf Monate als Ians Mitbewohner ausgehalten hatte, aber es beruhigte ihn jetzt kein bisschen.
„Ich verstehe, Joel. Mach dir keine Sorgen, Kumpel. Ich habe viele Jahre allein gelebt. Ich werde vier Tage ohne dich überleben.“
Joel war sich da nicht so sicher. Im Grunde war er ziemlich überzeugt, dass Ians Überleben bis zu diesem Moment reines Glück gewesen war.
„Es sind fünf Tage, und wenn du dir so sicher bist, dass es so leicht werden wird, dann sprich mir nach: Das ist meine Reiseroute, wann ich wo sein werde. Hier ist die Telefonnummer meiner Mom, die Nummer meiner Schwester, meine Handynummer und wann mein Rückflug landet. Kommst du damit klar?“
„Ich habe deine Handynummer, du dämlicher Kerl“, protestierte Ian, und Joel verdrehte bewusst nicht die Augen. Ja, Ian hatte tatsächlich seine Handynummer, nur dass sie in Ians Handy gespeichert war, und Joel wusste genau, dass Ian in den letzten vier Monaten mindestens fünf neue Handys hatte kaufen müssen.
„Das ist nur, falls du dein Handy verlierst oder es gestohlen wird“, erklärte Joel geduldig, und Ian unterbrach ihn mit einem ernsthaften Nicken.
„Aber selbst wenn es verloren geht, Kumpel, habe ich deine Nummer noch im normalen Telefon.“ lächelte Ian triumphierend und Joel musste nachgeben. Ja, seine Nummer war in beiden Mobilteilen des Festnetztelefons gespeichert. Weil Joel sie dort gespeichert hatte. Nachdem er das Festnetztelefon gekauft hatte. Nachdem Ian sein drittes Handy verloren hatte.
„Okay“, gab Joel nach, nachdem er zwei Mal nachgeschaut hatte, um sicher zu gehen, dass beide Mobilteile eingesteckt, aufgeladen und nicht defekt waren. (Sie hatten eins nach Ians unklugem Inline Skate Parabel/Hyperbel Experiment ersetzen müssen) „Also, die Telefone funktionieren. Vergiss nicht den Termin beim Tierarzt mit dem Elenden Bastard am Dienstag.“
Ian blinzelte und ein plötzlicher Anflug von Panik huschte über seine attraktiven Gesichtszüge. Er hatte eines dieser Gesichter, in denen die Wangenknochen Schatten warfen. Nicht einmal ein schmaler Kinnbart konnte Joels südländische Gesichtszüge mit seinen breiten Wangen und dem kantigen Kinn, im Vergleich zu Ians schmalem Profil mit der römischen Nase, anders als gewöhnlich erscheinen lassen. Selbstverständlich nahm Ian sein gutes Aussehen anscheinend gar nicht wahr.
„Ähm, was für ein Tag ist heute?“ fragte Ian entschuldigend und Joel schloss resigniert lächelnd die Augen. Natürlich, sein gutes Aussehen war nicht das einzige, was Ian Cooper nicht wahrnahm.
„Siehst du, hier – das ist der Kalender. Heute ist Samstag, siehst du? Großes Flugzeug, das heißt Joel geht atta.“
Ians Kichern war so liebenswert wie sein offenherziges, einfältiges Lächeln. „Mach nur, behandle mich wie ein Kind, Kumpel! Ich hab´s verdient!“
Joel schüttelte den Kopf und widerstand dem Drang, sich in diesem Lächeln zu verlieren. „Wie lange warst du wegen deinem Artikel auf?“
Ian zwinkerte, und weil Joel ihn kannte, konnte er die leichte Röte durch den Mangel an Schlaf in Ians frühlingsblauen Augen sehen. „Habe bis jetzt noch nicht geschlafen – Riemann, er hat nach mir gerufen, weißt du?“ Joel nickte. Er wusste, dass Ian ein Genie war – ein offiziell bestätigtes, IQ-in-der-Stratosphäre-Genie. Die Davis University war bereit, für Ians Wohnung und Verpflegung zu zahlen, nur damit er für sie Artikel schrieb und ein paar Gastvorlesungen hielt. Den Rest seines Einkommens bestritt Ian durch seine Arbeit als Buchhalter für die Mitglieder der Fakultät und deren gut betuchte Freunde. Das erklärte auch, warum er Handys und Küchentische einfach so ersetzen konnte. Weil er ein verdammt guter Buchhalter war. Es waren die kleinen Dinge des Alltags, bei denen er Hilfe brauchte.
„Ich verstehe, Ian. Aber versuch, dich jetzt zu konzentrieren. Das Taxi ist jeden Moment hier. Im Gefrierschrank sind Tiefkühlgerichte, im Kühlschrank ist Milch, Brot und Fleisch fürs Mittagessen, Obst liegt auf der Mikrowelle, und Erdnussbutter und Gelee sind im Schrank. Um Himmels Willen, iss! Okay?“
Ian nickte ernüchtert. „Diesen Fehler mache ich kein zweites Mal, ich verspreche es.“
Joel wollte nicht mal daran denken, er bekam davon Magenschmerzen. „Ich verlasse mich auf dich. Elender Bastard hat sich öfter als sonst übergeben. Ich habe ihr für Montag einen Termin beim Tierarzt gemacht. Du musst sie hinbringen, Ian. Ich rufe dich an und erinnere dich daran, aber du musst das Telefon finden und deinen Hintern in Bewegung setzen, hast du mich verstanden?“
Ian nickte ernst. „Ich verstehe, Kumpel. Sie ist eine gute Katze. Ich hasse es, dass sie sich so schlecht zu fühlen scheint, weißt du?“
Joels Lächeln wurde weich. „Ich weiß.“
Und genau das war es, was Joel davon abhielt, einfach zu verschwinden, trotz des Chaos, das es bedeutete, mit Ian Cooper zu leben.
Ians Herz war so groß wie der verdammte Himmel. So einfach war das. Wie konnte man einen Typen sich selbst überlassen, der eine streunende Katze aufnahm, sein ganzes Bargeld Obdachlosen überließ, von denen es in der Innenstadt von Sacramento nur so wimmelte und der, egal wie wütend Joel über seine Dämlichkeit war, einfach sein offenherziges, unschuldiges, frühlingsblaues Lächeln lächelte und sagte „Du hast recht, Kumpel. Ich bin eine Katastrophe. Ich hab Glück, dass du da bist.“
Es klopfte an der Tür und Joel hatte seine Antwort.
Er würde Ian verlassen, weil seine Mutter ihn angerufen hatte und ihn gebeten hatte, sie vor den Feiertagen zu besuchen.
Ian blinzelte Richtung Tür und sein üblicher offener, fröhlicher Gesichtsausdruck änderte sich dramatisch. „Oh, richtig“, murmelte er. „Du musst los.“
„Ich bin Mittwoch Abend zurück“, sagte Joel und umarmte mit seinen kompakten 1,80 m Ians große 1,93 m. Es war eine kurze „Männer“-Umarmung, bei der man sich gegenseitig kurz kräftig auf den Rücken klopft. „Keine Sorge, im Gefrierschrank ist ein fertiges Thanksgiving Dinner und ich kann ein Taxi nach Hause nehmen---„
„Nein!“ Ian war jetzt weder verträumt, noch verschlafen. Eigentlich verstärkte sich sein Griff um Joels Schultern für einen Moment. „Ich komme und hole dich ab.“
Joel wollte ihm nicht widersprechen --- es würde seine Gefühle verletzen --- aber er wollte auch nicht stundenlang am Flughafen warten. „Ich rufe dich an, wenn ich gelandet bin“, sagte er ausweichend und dachte, wenn er Ian Bescheid sagen würde, wenn er landete, wäre die Wartezeit nicht allzu lang.
Ian war ein Genie.“Und ich werde am Gate sein, wenn ich deinen Anruf annehme!“ sagte er würdevoll, und Joel grinste, verdrehte die Augen und griff nach seinem Gepäck. „Viel Spaß bei deinem Besuch, Kumpel!“
„Pass auf dich auf, Ian!“
„Wenn du meinst“, gab Ian sanft zurück, und dann, als Joel durch die Tür verschwunden war, brüllte er „Pass auf dich auf!“ in voller Lautstärke.
Joel versuchte, nicht zusammenzuzucken, solange Ian ihn noch sehen konnte. Es war 6.30 Uhr morgens und Ian hatte gerade wahrscheinlich jeden einzelnen Mieter in ihrem dreistöckigen modernisierten Haus im viktorianischen Stil aufgeweckt. Was soll´s, er wäre aus der Stadt raus, eher der alte Mr. Pomerantz seinen Hintern vom Bett zu seiner Wohnungstür geschafft hatte, um sich zu beschweren.
„ICHMAG den Kinnbart, Bruderherz, aber du siehst dünn aus. Du isst nicht genug!“
Joel verdrehte zu dem Kommentar seiner Schwester --- mit ihren großen Brüsten, dem langen Oberkörper und den einladenden Hüften --- die Augen. „Du musst gerade reden, Schwesterherz, was? Stopfst du dir Äpfel in den BH, damit dein Bauch so flach erscheint?“
Melody Martinez lachte und wuschelte ihrem jüngeren Bruder durch die Haare. Es war spät am Sonntagabend, ihre Mutter war im Bett, und nachdem sie den Nachtisch restlos verputzt und das Geschirr gespült hatten, nahm sich jeder eine Gabel, und sie machten sich noch über den Kuchen her
„Nein, ich habe trainiert, Mel, sagte Joel jetzt mit einer Gabel voll Kuchen im Mund. „So habe ich Ian kennengelernt.“
„Dein irrer Mitbewohner?“ Melody nahm sich auch eine Gabel voll. Pecan war ihre Lieblingssorte. Da keiner von ihnen vorhatte, bis zum eigentlichen Thanksgiving zu bleiben, hatte ihre Mutter sich für diese vier Tage, bevor sie wieder in die Flugzeuge stiegen und Denver verließen, Joel Richtung Sacramento und Melody Richtung Los Angeles, selbst übertroffen.
„Er ist nicht irre, Mel“, sagte Joel ernst. „Er ist nur zielstrebig.“
„Ja, Irre sind zielstrebig, weißt du. Er hat dich bestimmt im Fitnessstudio verfolgt!“
Joel schüttelte den Kopf und erinnerte sich an das erste Mal, als er Ian Cooper gesehen hatte. „Das einzige, was Ian im Fitnessstudio verfolgt, sind Verletzungen.“
Mel lachte, aber Joel konnte nicht lachen.
Ian war unter dieser Hantel so hilflos gewesen
Joels Arbeitskollege hatte ihn ins Fitnessstudio seiner Familie mitgenommen, und Joel war dankbar dafür. Dort gab es eine kunterbunte Mischung aus Menschen --- Hardcore Gewichtheber mit Tattoos und Motorrädern, durchtrainierte Geschäftsfrauen an den Geräten, rüstige ältere Leute, die die Yoga- und Arthritis-Kurse genossen, und sogar Kinder, die um den Ballpool der Kinderbetreuung rannten. Joel, der in der Latino-Gegend im Süden von Denver aufgewachsen war, fühlte sich durch diese Vielseitigkeit sicher. Es fühlte sich wie eine wirkliche Gemeinschaft an, nicht wie eins dieser überkandidelten Fitnesscenter, die bevorzugt von Gym Häschen heimgesucht werden.
Für solche Frauen hatte Joel sich sowieso nie ernsthaft interessiert.
Und das schwarze Brett bestätigte diesen Eindruck noch. Anzeigen für Welpen zum Verschenken, für Fahrgemeinschaften und, so hoffte Joel, für Mitbewohner.
Als er in die Stadt gezogen war, war er in einem dieser Appartementgebäude untergekommen, die eher einem Kaninchenbau ähnelten. So eines, wo jedes Appartement die Form einer Keksdose hatte und man mitbekam, was die Nachbarn machten, ob man wollte oder nicht. Joel hätte es dort wahrscheinlich ausgehalten, bis er sich die Miete für etwas Besseres leisten oder ein Haus kaufen konnte, aber er wollte mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Und da er sowieso umziehen musste, suchte er etwas mit… naja, Charakter. Er war in seinem kleinen Hybrid-Auto durch die Stadt gefahren und hatte die Gegenden mit den viktorianischen Gebäuden entdeckt. Manche waren hochklassig, manche waren verfallen, und manche waren irgendetwas dazwischen, aber sie erschienen… erlesen. Interessant. Sie hatten Charakter, und Joel war in einer fremden Stadt und hatte schon einen zweiten angenommen. Der erste war in einem großen Büro mit abgetrennten Bereichen. Er hatte dafür gesorgt, den zweiten Job in einem großräumigen, offenen Bürobereich zu bekommen, mit Leuten, die wussten, wir ihre Kollegen aussahen. Er wollte Charakter.
Dann unterbrach der erste erstickte Laut Joels Beschäftigung mit dem schwarzen Brett. Er drehte sich um und sah einen schlaksigen Mann ohne Hemd, der unter einer Hantel eingeklemmt war, die für eine solch schlanke Figur ernsthaft überladen wirkte.
Joel ließ seine Sporttasche fallen und eilte dem armen Bastard zur Hilfe. Als er die Hantel anhob und in der Halterung ablegte, bekam er eine auf-dem-Kopf Version dieses süßen, einfältigen Grinsens zu Gesicht, das die nächsten fünf Monate sein Leben bestimmen würde.
„Danke, Kumpel. Das hätte mich fast geschafft.“ Der Mann war Mitte zwanzig, wie Joel, und seine blonden Locken bildeten einen stacheligen, verschwitzten Kranz um seinen schmalen Kopf. Joel würde später feststellen, dass sie, abgesehen vom Schweiß, immer so aussahen.
„Naja, du musst schauen, dass du immer einen Aufpasser hast“, sagte Joel ernst.
„Ja, Kumpel, wenn du meinst.
