Wenn ein Enkelkind gestorben ist - Angelika Thaysen - E-Book

Wenn ein Enkelkind gestorben ist E-Book

Angelika Thaysen

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Beschreibung

Großeltern sind wichtig im Familiensystem. Sie sind in Verbindung mit ihren Kindern und Enkelkindern. Gerade für die Kleinen spielen sie oft eine bedeutende Rolle. Die Trauer- und Sterbebegleiterin Angelika Thaysen hat selbst den Tod einer Enkelin erlebt und andere Großeltern interviewt, die ebenfalls ein Enkelkind verloren haben. Die Leser:innen erfahren, welche Themen am meisten beschäftigen, welche Fragen quälen und beantwortet werden möchten: Warum gerade du? Warum so jung? Gibt es so etwas wie Vorbestimmung? Wie hilfreich können Spiritualität, Religion oder Glaube sein? Gibt es Trost, wenn ein kleines Kind stirbt? Wie kann ich als Außenstehende unterstützen? Was können die Trauenden selbst tun? Systemtheoretische Erläuterungen heben die unterschiedliche Betroffenheit von Eltern, Großeltern, Geschwistern und Freunden hervor. Im praktischen Teil werden Rituale und Übungen vorgestellt, immer bezogen auf die besonderen Herausforderungen bei nicht gesehener, aberkannter Trauer, nach Trauma oder familiären Belastungen. Fragen nach der Resilienz und wie man sie stärken kann, finden mögliche Antworten. Ergänzt wird der Band mit Hinweisen zur Nutzung aktueller Online-Angeboten und Adressen, bei denen trauernde Menschen professionelle Hilfe finden können.

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Seitenzahl: 148

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EDITION Leidfaden

Hrsg. von Monika Müller, Petra Rechenberg-Winter, Katharina Kautzsch, Michael Clausing

 

Die Buchreihe Edition Leidfaden – Begleiten bei Krisen, Leid, Trauer ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen für Tätige in der Begleitung, Beratung und Therapie von Menschen in Krisen, Leid und Trauer.

Angelika Thaysen

Wenn ein Enkelkind gestorben ist

Trauernde Großeltern begleiten

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 5 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Vera Nagel

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2198-2856

ISBN 978-3-647-99366-9

Inhalt

Ein großes Dankeschön

Intro: Warum schreibe ich dieses Buch?

Teil 1: Was hilft uns zu verstehen? Einige theoretische Ausführungen

Was bedeutet es, Großeltern zu sein?

Das systemische Denken: Familie, Arbeit, Nachbarschaft, Gesellschaft

Krisen im System

Was ist Trauer?

Trauermodelle

Verlust von Zukunft

Übergänge im Leben

Trauer und Trauma – besondere Begleitumstände eines Todes

Aberkannte Trauer

Die Situation der Großeltern

Teil 2: Situationen und Themen trauernder Großeltern – Aus der Praxis

Die Interviews und wie es dazu kam

Die wichtigsten Themen in den Interviews

Plötzlicher Tod

Tod nach Krankheit

Genderaspekte

Todesumstände, Schuld

Das Verhältnis zum Enkelkind und zum eigenen Kind

Reaktionen der Umgebung

Wo stehe ich heute?

Weitere Enkel

Spiritualität

Teil 3: Wie können wir unterstützen und was hilft uns dabei? – Methodisches

Welche Angebote können wir trauernden Großeltern machen?

Gruppenangebote

Einzelbegleitung

Kriterien für eine gute Trauerbegleitung

Kleiner Einschub: Dramadreieck

Normalität

Struktur

Das Richtige zur richtigen Zeit

Symbole und Rituale

Symbole

Rituale

Übungen zu Ritualen

Weitere Übungen für die Arbeit mit Trauernden

Klangmassage

Klangschalenmeditation

Das Mandalatuch

Das Labyrinth

Begleitung durch das Labyrinth – Meditation

Neuer Lebensstand

Die Sonnenstrahlübung

Hoffnung

Trauertheorie vermitteln

Trauermodelle vorstellen

Literatur und Musik

Systemtheorie vermitteln

Das Mobile

Das Genogramm

Mein Sonnensystem

Der leere Stuhl

Das System einladen

Vulnerabilität, Ressourcen, Resilienz

Übungen zur Stärkung der Resilienz

In der Natur

Stabilisierende Körperübungen

Achtsamkeit

So-Ham-Meditation

Einen sicheren Ort finden

Eine innere Helferfigur finden

Last, but not least: Online-Angebote

Zum guten Schluss

Anhang

Fragebogen für Großeltern, die ein Enkelkind verloren haben

Gedicht »How to survive«

Webadressen von Trauerangeboten

Literatur

Für Uma

Ein großes Dankeschön

Allen Großeltern, die mir durch ihre Offenheit und ihre Bereitschaft, über einen so schweren Teil ihres Lebens zu erzählen, Impuls und Ermutigung zu diesem Buch gaben.

An alle meine Klientinnen und Klienten, die mir in den vielen Jahren meiner aktiven Zeit als Trauer- und Sterbebegleiterin Vertrauen schenkten und mich an ihren Schicksalen lernen ließen.

An meine Familie, die mir die Erlaubnis, auch über uns zu schreiben, und Unterstützung auf dem Weg schenkte.

»Don’t regret growing older – it’s a privilege denied to many.«

(Unbekannter Autor)

»Auch ein kurzes Leben ist ein ganzes Leben.«

(Unbekannter Kinderarzt)

Intro: Warum schreibe ich dieses Buch?

Das kleine Mädchen in der Wiege ist gerade zwei Wochen alt, sie liegt in der Wiege und schläft, ihre Mutter liegt auf dem Bett daneben an die Wand gelehnt, die Großmutter hockt auf der Bettkante. Zwei Frauen im Gespräch über das Leben und auch über den Tod, und sie beziehen das schlafende Baby gedanklich mit ein. Was hat die Großmutter bewegt, über den Tod ihrer Mutter zu erzählen? Ja, genau: Das Gefühl von der Rundung des Lebens – es passte so gut, die tote Urgroßmutter neben die dankbare Tochter, neben die noch von der Geburt erschöpfte Enkelin und die neugeborene Urenkelin zu holen, es schuf Einigkeit mit dem Lauf der Welt, der Zeit. Da passte die Reihenfolge noch. Die junge Mutter weinte, geschüttelt durch die wilden Hormone in ihr. Das Baby still, als hörte es, vertrauensvoll schlafend, gerne etwas von seiner Familiengeschichte. Und die lange verstorbene Urgroßmutter hatte eine Botschaft erhalten, dass es weitergeht mit den Frauen in der Familie – wir waren ja wenig genug!

Bevor dieses Mädchen ein Jahr alt werden konnte, starb es bei einem Verkehrsunfall: Bei dem familieneigenen Campingbus löste sich aus ungeklärter Ursache die Handbremse und er überrollte die Mutter, die, das Baby auf dem Arm haltend, genau in diesem Moment daran vorbeiging. Das kleine Mädchen war sofort tot, die Mutter überlebte nach mehreren Operationen und langen Krankenhausaufenthalten.

Nach so einem Unglück steigen Gedanken auf, die mir unerhört und unsagbar erscheinen, wie zum Beispiel dieser: Meine Tochter, das bist du, und du lebst, deine aber ist gestorben, und doch sind wir beide durch den Tod deiner Tochter noch mehr verwoben. Ganz nah darin und manchmal ganz fern. Wir erleben dieselben Situationen, aber wir sitzen an unterschiedlichen Orten, zu anderen Zeiten, haben unterschiedliche Perspektiven aufgrund unterschiedlicher Rollen.

Meine hilflose Liebe streckt ihre Arme zu dir aus … doch du bist unerreichbar. Ist es so? Dramatisiere ich? Sprechen wir dieselbe Sprache, können wir uns über die Jahrzehnte und Kilometer zwischen uns hinweg verstehen lernen?

Über meine gestorbene Enkelin möchte ich schreiben und über meine Erfahrungen als trauernde Großmutter. Lange Jahre habe ich gern und mit Hingabe als Sterbe- und Trauerbegleiterin gearbeitet. Ich habe Menschen in Einzelgesprächen und in Gruppen betreut. Ich habe Unterricht und Seminare gegeben, um andere Menschen zu befähigen, Gleiches zu tun. Ich habe in einem Buch darüber geschrieben und auf Vorträgen davon erzählt. Erst als ich sagte, ich kann nicht mehr, und etwas vor der Zeit in Rente ging, geschah das Unglück, und ich war plötzlich in ganz anderer Weise von den Themen Sterben und Trauer gefangen. Anders als früher, als es noch meine Arbeit war, konnte ich nicht abends Feierabend machen und sagen: »Genug für heute. Nein, diese Woche kann ich keine Termine mehr vergeben, es wird mir zu viel.«

Als direkt Betroffene begleite nicht ich die Trauer, sondern die Trauer begleitet mich. Nicht immer sicht- und fühlbar, aber doch so nah, dass sie mich jederzeit aus dem Hinterhalt überfallen und erwischen kann.

Ich sitze im Fitnessstudio auf einem Trainingsfahrrad in einem Kurs mit einer meiner Lieblingstrainerinnen. Sie ist letzten Sommer zum dritten Mal Mutter geworden, hat ein kleines Mädchen geboren, das jetzt etwas älter als meine zweite Enkeltochter ist, die kurz nach dem Tod der ersten Enkelin geboren wurde.

Die Tochter meiner Trainerin ist jetzt neun Monate alt und beginnt recht stark zu fremdeln. Sie wollte nicht unten am Tresen warten, bis die Krabbelstube aufmachte. Sie wollte nur Mama und noch mal Mama. Also hat die Mama sie mit nach oben in den Trainingsraum genommen. Wie schade, dass ich keine Kamera dabeihabe! Die durchtrainierte Mutter auf dem Rad, neben sich auf dem Boden das Körbchen mit der Tochter darin, die ganz zufrieden und neugierig der Mama zuschaut und ab und an in die Runde zu den strampelnden Frauen blickt, die sie alle ausnahmslos verliebt anhimmeln! Die Tochter wartet geduldig, bis die ihr gut bekannte Betreuerin aus der Krabbelstube endlich kommt und sie abholt. Sie nimmt sie auf dem Arm, das Körbchen bleibt verwaist am Boden neben dem Rad der Mutter stehen.

Mein Enkelmädchen war 8,5 Monate, als sie starb. Nach dem Unglück sahen wir tagelang auf den leeren Kinderwagen, ihr unbenutztes Hochstühlchen, an dem noch ein altes Lätzchen hing, das kleine vom Papa selbst gebaute Bettchen mit Schlafanzug, noch nach ihr duftend von ihrer letzten Nacht auf Erden, und auch auf den irgendwo im Wohnzimmer herumstehenden Autokorb. Leer, alles leer, alles plötzlich des Sinnes beraubt – wozu waren diese Gegenstände noch da?

Ich sitze auf dem Rad und kämpfe mit den Tränen. Ich habe den dringenden Impuls, abzusteigen und die Trainerin zu fragen, ob ich den Korb wegstellen darf. Wohin? Hinter mir sehe ich ihn im Spiegel, der Raum ist klein und übersichtlich, so bliebe also nur die Fahrradkammer, die mit einer Tür verschlossen ist. Aber wie erkläre ich das? Muss ich es erklären? Soll ich dieser jungen fröhlichen Frau sagen, dass mich ihr leeres Körbchen an meine tote Enkeltochter erinnert? Dass es mir Angst macht, es könnte wieder ein Unglück geschehen, gerade jetzt, wo mein Sohn mit seiner Frau und der gemeinsamen kleinen Tochter, 8,5 Monate, bei seiner Schwester in Spanien zu Besuch ist? Soll ich den Staub der Trauer über sie legen, die uns alle ja gar nicht kennt? Und wenn ich erzählen wollte, wann sollte ich das tun? Während der Stunde ist es nicht möglich, ohne dass alle … ja, was? Komisch gucken? Rätseln, was mit mir ist? Vielleicht sogar nachfragen, mir ihr Mitgefühl zeigen, damit ich endgültig in Tränen ausbreche? Fordern nicht unsere Fachverbände, dass es möglich sein sollte, die Trauer offen zu leben, sie aus der Tabuzone zu holen und eine neue Trauerkultur zu entwickeln und zu leben?

Trauer gehört zum Leben … das ist gar nicht so leicht. Ich entscheide mich dagegen, das Körbchen beiseitezustellen, schließe die Augen, gebe noch etwas mehr Gas mit den Pedalen, schlucke die Tränen hinunter. Nein, das ist jetzt kein schlechtes Zeichen! Weder für die Tochter der Trainerin, deren Korb es ist, noch für unsere lebende Enkelin, die jetzt so alt ist wie ihre Cousine, als sie starb. Die ganze Welt steht voller leerer und besetzter Kinderbettchen und Babykörbchen. Das ist völlig normal! Du wirst jetzt nicht abergläubisch werden! Ich strample, ich keuche, ich folge der Musik und den Rhythmen, ich arbeite die Trauer weg. Es funktioniert! Ich werde langsam wieder freier.

Ich schreibe dieses Buch, um unseren Horizont zu erweitern auf weitere von einem Todesfall betroffene Menschen, die in der Regel nicht in erster Linie zum Kreis der Hinterbliebenen gezählt werden und die viele Trauerbegleiterinnen1 deshalb nicht im Blick haben. Auch, damit wir für diese Menschen Angebote entwickeln können.

Weiter möchte ich Möglichkeiten aufzeigen, wie wir in einer durch einen Todesfall ausgelösten gestörten Balance eines Systems durch gute Kommunikation wieder Verständnis füreinander und Frieden miteinander erreichen können. Dazu werde ich über Systeme allgemein und das Familiensystem im Besonderen schreiben.

Die Trauer als ein Gefühl, das uns geschenkt ist, unsere Verluste und Abschiede zu durchleben, um eines Tages wieder Glück, Freude und Energie für unsere Zukunft zu gewinnen, wird ebenfalls theoretisch beleuchtet werden. Leider können die wenigsten Menschen die Trauer als ein Geschenk annehmen, sondern sie wird als ein ungeliebtes, ein wenig oder kaum besprochenes Thema tabuisiert, verklärt oder verteufelt. Es gibt kaum ein Wissen um die Abläufe und Herausforderungen der Trauer in unserer Gesellschaft; deshalb ist die Neigung gering, sich über einen längeren Zeitraum hinweg mit Trauernden zu beschäftigen, sie auch nach längerer Zeit nach ihrem Befinden zu fragen, sie zu tragen und manchmal auch zu ertragen. Und jetzt – wie um dem Ganzen eine Spitze zu geben – stirbt ein Kind! Oh nein, niemand möchte davon hören, und viele Menschen flüchten sich aus Unsicherheit, wie sie darauf reagieren könnten, in tiefe Schweigsamkeit, Vermeidung, Ausflucht, oft buchstäblich auf die andere Straßenseite. Nicht selten wird die Trauer der nicht direkt oder in zweiter Reihe Betroffenen, wie zum Beispiel die der Großeltern, dann abgewertet. Sie sind ja nicht die Eltern. Und das wird keineswegs nur von Außenstehenden so gesehen, sondern auch innerhalb einer Familie. Auf die Frage, ob sie mit ihrer Tochter gemeinsam trauern konnte, wie sie ihrer Tochter in der Trauer half, antwortete mir eine Großmutter: »Da war doch mein Schwiegersohn, das haben die beiden unter sich ausgemacht. Und sie wohnten ja so weit weg …« Diese Großmutter hat sich selbst kleiner und unwichtiger gemacht, als sie wahrscheinlich war, sie wollte nicht stören, sie wollte nicht aufdringlich sein …

Und tatsächlich sind wir bei einer bedeutenden Konkurrenz im Familiensystem: Der Ehemann ist auch der Vater, die Eltern bilden in der Regel eine Einheit, in der die Großeltern nur am Rande vorkommen. Da sucht vielleicht ein Elternteil gern Trost bei den eigenen Eltern, der andere nicht so sehr. Und lange geht es gut – wenn es vorher gut war.

1Da keine und keiner der Leserinnen und Leser sich immer nur »mitgemeint« fühlen soll, werde ich unregelmäßig zwischen den Geschlechtern wechseln und mal die weibliche und mal die männliche Form benutzen. Dafür bitte ich um Verständnis.

Teil 1: Was hilft uns zu verstehen? Einige theoretische Ausführungen

Da ich einige Male in diesem Buch auf Modelle der Transaktionsanalyse hinweisen werde, möchte ich diese hier kurz erklären. Es handelt sich um eine wissenschaftlich fundierte Methode, die ich hier natürlich nur sehr bruchstückhaft wiedergeben kann.

Die Transaktionsanalyse wurde in den 1960er Jahren von dem amerikanischen Psychoanalytiker Eric Berne als eine Therapieform begründet. Sie ist zugleich eine Persönlichkeits- und Interaktionstheorie, das heißt, sie analysiert u. a., wie wir miteinander umgehen. Transaktionen werden die verbalen und nonverbalen Kommunikationen genannt, die Menschen miteinander austauschen.

Ein sehr bekannter und natürlich stark verkürzender Satz aus der Transaktionsanalyse lautet: Ich bin okay – du bist okay. Menschen sind aufgefordert, sich auf Augenhöhe und wertschätzend zu begegnen. Wenn das nicht gelingt, bietet die Transaktionsanalyse gute Werkzeuge, die Ursachen aufzudecken, zu reflektieren und Handlungsalternativen zu entwickeln.

Ich nutze diese Modelle gern, weil sie in ihren Grundformen einfach zu erklären und verständlich sind. Auch Laien können psychische Prozesse mithilfe der Transaktionsanalyse relativ leicht nachvollziehen. Die Grundhaltung basiert auf dem humanistischen Menschenbild, das besagt, dass jeder Mensch gleiche Rechte hat, um sein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung führen zu können. Es gilt die Annahme, dass alle Menschen einzigartig und im Grunde gut sind.

Was bedeutet es, Großeltern zu sein?

Fragt man verschiedene Großeltern nach ihren Gefühlen, so erscheint in der Regel ein Strahlen auf ihren Gesichtern und es werden Sätze geäußert wie: »Es ist wunderbar, es ist einfach herrlich, ich bin so stolz und glücklich …« Je nach Temperament lauter oder leiser, von ausladenden Gesten begleitet oder eher verhalten. Aber was macht uns denn eigentlich so stolz und so glücklich? Enkel zu bekommen ist genauso ein Geschenk wie Kinder zu haben. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass wir Eltern werden, selbst wenn wir es wollen. Genauso entscheiden sich unsere Kinder dann später, ob sie sich wiederum auch vermehren möchten. Es spielen so viele Faktoren mit, wie etwa körperliche und seelische Gesundheit, Glück bei der Partnerinnenwahl, finanzielle Sicherheiten, berufliche Perspektiven und Lebenspläne, die einen Kinderwunsch entstehen lassen und dann eventuell auch realisieren helfen. Ganz sicher ist auch für viele Menschen bedeutsam, dass sie durch die Existenz von Kindern die Illusion einer kleinen Ewigkeit erleben. Oder ist es gar die Erhaltung der Art, ein unserer Tiernatur eingepflanztes Gen, das uns manchmal gegen jede Vernunft verleitet, ein Kind zu bekommen? »Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein«, sagte der Liedermacher Wolf Biermann nach der Geburt eines seiner Kinder. Denn auch äußere Faktoren wie der Klimawandel und der Zustand der Welt allgemein entmutigen manche Menschen, das Wagnis Kind einzugehen.

Dann ist da noch das Schicksal: Krankheit, Unfälle, Gewalt nehmen uns die Menschen, die uns am nächsten sind, die doch eigentlich unser Weiterbestehen nach unserem Tod sichern sollten. Wenn ein alter Mensch stirbt, stirbt ein Teil unserer Vergangenheit, wenn ein junger Mensch stirbt, stirbt ein Teil unserer Zukunft. Die Illusion, ewig zu leben oder zumindest ein wenig länger in Erinnerung zu bleiben, wird durch den Tod eines jungen Menschen genommen.

Ein Enkelkind schenkt uns ein Wiedererleben unserer eigenen Zeit als junge Eltern. Es kann Ersatz für verloren gegangene/erwachsen gewordene Söhne und Töchter sein. Ein zweites Mal das Größerwerden, die Entwicklung und das Lernen von kleinen Kindern zu begleiten, frischt das schon einmal Erlebte neu auf, lässt uns uns selbst wieder etwas jünger fühlen. Wir haben eine zweite Chance, reale oder auch nur vermutete Fehler in der Erziehung der eigenen Kinder zu vermeiden. Wir sind aber auch nicht allein und vollständig für alles verantwortlich. Auch kann ein Enkelkind, ebenso wie vorher vielleicht die Kinder, Projektionsfläche für immer Gewünschtes, aber nie selbst Gelebtes sein.

Sehr besonders und bedeutend war es für mich, meine Kinder als Eltern zu erleben. Lange vorher war natürlich klar, dass sie erwachsen sind, sich ihre Berufe, Wohnorte und Freunde unabhängig von uns Eltern aussuchten. Mit der eigenen Elternschaft machten sie einen weiteren und letzten Schritt in ihre Unabhängigkeit hinein, und wir als Großeltern waren plötzlich in der zweiten Reihe. Das empfand ich keineswegs als negativ. Die zweite Reihe ist ein schöner Platz, um zuzusehen, wie das Leben nach uns weitergehen kann und vielleicht auch weitergehen wird.

Großeltern und ihre Familien unterscheiden sich wie alle Menschen auch in ihren Wünschen nach Nähe und Verbundenheit untereinander. Immer aber, ob sie das wollen oder nicht, gehören sie einem Familiensystem an.

Das systemische Denken: Familie, Arbeit, Nachbarschaft, Gesellschaft

Wenn wir über die unterschiedliche Betroffenheit der einzelnen Glieder der Systeme sprechen, in denen sich ein Mensch aufhält, wird uns leicht schwindelig: Es gibt so viele Ebenen: die des Alters und der Generationen, die der Beziehungen, die der Ferne voneinander und die der Nähe zueinander – unabhängig vom Grad der Verwandtschaft. Das Geschlecht ist bedeutsam und auch die Erziehung: Was sind wir gewohnt, uns zu erlauben, und was nicht? Und wie sieht die Umgebung das? Unsere Freunde, Arbeitskolleginnen und Nachbarn? Wie ordnen sie uns als trauernde Menschen ein oder wie denken wir, dass sie uns einordnen?