Wenn Erben zum Streitfall wird - Christiane Wempe - E-Book

Wenn Erben zum Streitfall wird E-Book

Christiane Wempe

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Beschreibung

"Mein Bruder hat mich um mein Erbe geprellt!" – so oder so ähnlich begegnet uns das heikle Thema Erben typischerweise in Beratung und Psychotherapie und berührt damit oftmals eines der finstersten Kapitel einer Familiengeschichte. Verunsicherte Eltern, die ihr Erbe gerecht aufteilen wollen, stehen enttäuschten Kindern gegenüber, die sich benachteiligt fühlen. Die Testamentseröffnung, die den letzten Willen der Eltern unwiderruflich zum Ausdruck bringt, kann daher eine Lawine lostreten und schnell eskalierende Konflikte zwischen den erbenden Kindern befeuern. Dabei können tief in die Familienhistorie zurückreichende ungelöste Konflikte hochgespült werden, denn die Verteilung des Erbes bringt ans Tageslicht, was alle schon immer geahnt haben: Eltern begünstigen auch am Ende ihres Lebens noch ihre Lieblingskinder – zum Nachteil der Ungeliebten. Die Geschwisterbeziehung wird auf eine harte Probe gestellt, viele zerbrechen daran. Christiane Wempe liefert in ihrem Buch praktische Anregungen und zeigt Berater:innen und Psychotherapeut:innen, wie sie Menschen bei der Verarbeitung solch kränkender Erfahrungen und der oft fatalen Folgen für die Familiendynamik begleiten können.

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Leben.Lieben.Arbeiten SYSTEMISCH BERATEN

Herausgegeben vonJochen Schweitzer undArist von Schlippe

Christiane Wempe

Wenn Erbenzum Streitfall wird

Eskalationen in der Familie vermeiden

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit einer Abbildung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: 3006607/photocase.de

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2625-6096

ISBN 978-3-647-99349-2

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Vorwort

IDer Kontext

1Das liebe Geld und seine Schattenseiten

1.1 Vorbemerkungen

1.2 Zur Bedeutung von Geld in Familien

1.3 Eltern als Erblasser: Wie sag ich’s meinen Kindern?

1.4 Kinder als Erben: Eine Zerreißprobe für ihre Beziehung

1.5 Individuelle Einflüsse: »Was heißt hier gerecht?«

1.6 Erbschaftskonstellationen in speziellen Kontexten

IIDie systemische Beratung

2Erbschaftskonflikte in Beratung und Psychotherapie

2.1 Vorbemerkungen

2.2 Erbe als Herausforderung für Eltern und Kinder

2.3 Erbschaftskonflikte auf der Geschwisterebene

2.4 Muster der Erbschaftsaufteilung und ihre Probleme

2.5 Spezifische Ansatzpunkte für Beratung und Psychotherapie

2.6 Individuelle Beratungsansätze

IIIAm Ende

3Auch der Tod bringt Leben in die Familie: Erbstreitigkeiten

4Literatur

5Die Autorin

Für Phillip und Stefan

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten.

Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick.

Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind.

Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten.

Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

Es gibt wenige Übergangsmomente im Verlauf des Familienlebenszyklus, an denen kritische Punkte im Beziehungssystem so krass offengelegt werden wie den Erbfall. Neben die Trauer (oder die mehr oder weniger ambivalent erlebte Erleichterung) um den Verlust eines nahestehenden Menschen, meist Eltern oder Großelternteil, tritt schnell die Frage, wie mit dem nun frei gewordenen Besitz umzugehen ist. Je nachdem, ob und in welcher Detailtiefe dies vom Erblasser geregelt wurde, können Gefühle über die Ungerechtigkeit der von ihm oder ihr gewählten Lösung aufkommen, können sich schwierige und hoch emotionale Verteilungskämpfe unter Geschwistern, Vettern und Kusinen, Zweit- oder Dritt-Partner:innen des Verstorbenen ergeben.

Das Kernthema hier ist die Frage danach, was angemessen, was »gerecht« ist – und wenn man den Zahlen glaubt, wonach etwa ⅙ bis ⅓ aller Erbvorgänge mehr oder weniger massiv strittig verlaufen, kann man erahnen, wie schwierig die Verrechnungsvorgänge sind, die hier jeder der Betroffenen über eigene Verdienste, Rechte bzw. Verpflichtungen und die der jeweils anderen vornimmt. Über diese »innere Kontenführung« wird im Alltag wenig geredet, doch der Erbfall »bringt es an den Tag«, wie es so schön heißt. »Ausgerechnet das Bild, das ich schon als Kind geliebt habe und das mir mehrfach versprochen wurde, soll an den Bruder gehen, der dafür gar keinen Sinn hat? Und das nach alldem, was ich für die Eltern getan habe!« – wie unter einer Lupe werden Spannungen überdeutlich, die vielleicht lange unterschwellig geblieben waren. Je weniger die Familien gelernt haben, sich über diese Themen auseinanderzusetzen, je größer das Harmoniebedürfnis und die Angst vor Streit, desto verletzlicher sind sie, wenn sie die Heftigkeit der Gefühle, die hier freigesetzt werden können, unvorbereitet treffen.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass bei der möglichen Empörung über ungerechte Erbregelungen heftige Gefühle wachgerufen werden, die die Qualität der Familienbeziehungen nachhaltig beeinträchtigen können. Wir wissen nicht genau, wie viele Familien in Folge unglücklich verlaufener Erbfolgevorgänge tatsächlich auseinandergebrochen sind, wie viele Geschwister einander für immer den Rücken gekehrt haben – anekdotische Evidenz, tragische Einzelfälle werden viele Beraterinnen und Berater von Familien berichten können.

Angesichts der Tragweite dieser Probleme erstaunt es, wie wenig sich gerade die Familienpsychologie, die Familientherapie bzw. die systemische Therapie dieser Thematik angenommen haben. Die Fachliteratur, die sich tiefgreifend mit den mit Erbe verbundenen Problemen auseinandersetzt, ist bis heute recht überschaubar – ein echter »blinder Fleck«! Umso erfreulicher ist es, dass sich die Autorin dieses Buches als erfahrene Familienpsychologin und psychotherapeutische Praktikerin diesem Themenfeld widmet.

Ausgehend von der unendlichen möglichen Vielfalt von Familienkonstellationen, Geschlechterverhältnissen und Geschwisterbeziehungen sucht sie nach verbindenden Mustern, die helfen, die jeweils sehr persönlichen Kränkungen und Enttäuschungen zu verstehen und einzuordnen. Die bereits angesprochenen Dilemmata der Gerechtigkeit stehen dabei natürlich stark im Vordergrund: Es ist eben unmöglich, eine abstrakte »Gerechtigkeit« in zwischenmenschlichen Alltag herzustellen, fast immer wird es Kompromisse geben, wird die eine oder die andere Seite mit dem Gefühl leben müssen, schlechter weggekommen zu sein – eine Empfindung, von der jede Mutter und jeder Vater mit kleineren und manchmal auch größeren Kindern ein Lied singen kann (wie oft wird doch gerade das Weihnachtsgeschenk, das der andere bekommen hat, als so viel besser erlebt als das eigene …). So liegt es nah, dass alte Geschwisterrivalitäten wieder wachgerufen und im Erbfall recht unvermittelt »scharf« gestellt werden. Welche Tragik, wenn dann eine der wichtigsten Verbindungen, die Menschen in ihrem Leben haben, bricht oder dauerhaft beschädigt wird. Professionelle Beratung kann hier helfen, andere, reifere Lösungen zu finden als den Bruch. Es wird Zeit, dass die Chancen wahrgenommen werden, die darin liegen, das Thema Erben in Beratung und Therapie anzusprechen, ehe die solchen Streitigkeiten innewohnenden Eskalationsschleifen beginnen und sich vielleicht auf juristischen Gleisen noch verschärfen.

Das vorliegende Buch soll zum einen sensibel machen für die vielen möglichen Fallstricke, die in Familien »herumliegen«, wenn es um Vererben und Erben geht und es soll zugleich zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, diese früh zu erkennen, präventiv anzugehen oder, wenn man schon in der Falle von Wut und Eskalation steckt, doch so zu bearbeiten, dass möglichst wenig »Beziehungsporzellan« zerschlagen wird. In diesem Sinn wünsche ich diesem schönen Band, dass er in den Händen von interessierten Laien und therapeutischen Praktikerinnen und Praktikern gute Wirkung entfaltet.

Arist von Schlippe

Der Kontext

1Das liebe Geld und seine Schattenseiten

1.1 Vorbemerkungen

»Unsere Mutter ist noch nicht mal richtig unter der Erde, und mein Bruder hat schon hinter meinem Rücken die wertvolle Münzsammlung, die unser Vater so gehütet hatte, weggeschafft. Angeblich hatte unser Vater sie seinem Enkel schon vor Jahren versprochen, na also, davon weiß ich nichts, das glaube ich nie im Leben! Meine Töchter hätten auch gern ein paar Münzen zur Erinnerung an den Opa gehabt« – wer kennt solche Geschichten aus seinem Umfeld nicht, in denen auf unschöne Weise um das Erbe gerungen wird? Betroffene können ein Lied davon singen. Erbgeschichten bergen reichlich Zündstoff in sich, viele der oft jahrelang andauernden zermürbenden Zerwürfnisse sind an Heftigkeit kaum zu überbieten. Unter den Familienmitgliedern sind Unterstellungen und Vorwürfe an der Tagesordnung, an deren Ende oftmals eisiges Schweigen und Kontaktabbruch stehen. Manchmal sind weitere Verwandte oder Außenstehende an den Konflikten beteiligt, was die Sache nicht einfacher macht.

Lassen sich die Probleme nicht im Kreis der Familie lösen, vor allem, wenn die Kommunikation untereinander völlig abreißt, wird üblicherweise Rechtsbeistand eingeholt, was den Ton noch verschärfen und die Konflikte weiter anheizen kann. Solche Erbauseinandersetzungen können Rechtsanwälte und Gerichte manchmal über Jahre beschäftigen, wobei sich wahre zwischenmenschliche Abgründe auf