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Das Phänomen der "inneren Emigration" ist auf dem Gebiet der Exilmusik hinreichend untersucht. Weniger dagegen das der "inneren Rückkehr". Musikwissenschaftler Michael Haas untersucht in seinem Essay in Kursbuch 198 beispielhaft die Artefakte zweier Wiener Komponisten, an denen eine "innere Rückkehr" sichtbar wird: Musik, die nie für ein hörendes Publikum gedacht war, sondern einzig von der Sehnsucht gespeist ist, an einen Ort zurückzukehren, der Heimat bedeutete.
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Seitenzahl: 25
Veröffentlichungsjahr: 2019
Inhalt
Michael Haas»Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien«Exilmusik und Rückkehr
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Impressum
Michael Haas»Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien«Exilmusik und Rückkehr
Auf meine Frage, warum er, der fast sein ganzes Leben in Kalifornien zugebracht hat, im Stil von Hugo Wolf, Gustav Mahler und Richard Strauss komponiere, sagte Robert Fürstenthal (1920–2016) den bemerkenswerten Satz: »Wenn ich komponiere, bin ich wieder in Wien.« 1 Er ist nicht nur titelgebend für meinen Beitrag hier, sondern auch für die Dauerausstellung des exil.arte Zentrum der mdw – der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.2 Der Musikkritiker und Komponist Walter Arlen (geb. 1920) hingegen, der in Santa Monica lebt, hat seine Kompositionen in einem ausgesprochen amerikanischen Idiom des 20. Jahrhunderts gehalten. Aber wie bei Fürstenthal waren auch seine Werke von vornherein »für die Schublade« vorgesehen. Dass er Rilke-Gedichte nach englischer Übertragung vertonte, erklärte Arlen damit, dass es zu jener Zeit keine Rilke-Ausgaben auf Deutsch in Los Angeles gegeben habe.3 Der Operettenkomponist Robert Freistadtl (1889–1948) komponierte im englischen Exil Volksmärsche als Zeitvertreib – also ebenfalls alles für die Schublade –, wie auch Julius Bürger (1897–1995), der seine Wienerlieder im New Yorker Exil, oder Hanns Eisler, der seine später unter dem Titel Hollywooder Liederbuch veröffentlichten Kunstlieder im Exil in Los Angeles komponierte.
Über lange Zeit hat man sich auch im Bereich der Exilmusik intensiv mit der »inneren Emigration« von Komponisten wie Karl Amadeus Hartmann 4, Felix Petyrek 5 oder Max Butting 6 befasst. Allesamt Komponisten, die in Nazi-Deutschland geblieben sind und weiterhin komponierten, ohne Werke für Aufführungen freizugeben, und die ihren Lebensunterhalt durch Konzertauftritte oder auch eine Professur verdienten oder wie Karl Amadeus Hartmann gänzlich in finanzieller Abhängigkeit – in seinem Fall vom Schwiegervater – lebten. Die erzwungene Abstumpfung der Kunst unter der NS-Diktatur führte unausweichlich zu einem kreativen Vakuum, durch die »innere Emigration« wurde Kreativität regelrecht abgewürgt. Nicht einmal ein gewagtes »Samisdat« der Musik kam zustande. Progressives oder Experimentelles wurde höchstens noch der Schublade anvertraut ganz wie Freistadtls Volksmärsche.
Als der Krieg vorbei war und Deutschland ein neues Musikland werden wollte, tauchten auf einmal reihenweise Komponisten aus der »inneren Emigration« auf. Auch Mitläufer oder Parteimitglieder behaupteten, sie seien in ihrer Kreativität so gehemmt gewesen, dass sie ihre wahre Schaffenskraft gar nicht gewagt hätten preiszugeben und als Ersatz Nazi-Märsche geliefert hätten. Es wurde zu kompliziert und zeitaufwendig die Belastung von Komponisten wie Hugo Hermann 7, Hermann Heiß8 oder Wolfgang Fortner9 zu bewerten oder sie mit dem gänzlichen Schweigen in Deutschland von Karl Amadeus Hartmann zu vergleichen. Hat man in der NS-Zeit – und war es auch nur im Verborgenen – Zwölftonmusik komponiert, war man im Grunde Antifaschist, selbst wenn man eine Bearbeitung des »Horst-Wessel-Liedes« für die Partei geliefert hatte. Die »innere Emigration« wurde plötzlich das große Ausweichen für die, die irgendwie mitgelaufen sind oder mitlaufen mussten. Aus der »inneren Emigration« hat man plötzlich eine Art »Widerstand« heraufbeschworen. Klar ist, dass nicht jeder emigrieren konnte, und ein Affidavit 10
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