Wenn Irre Irrenärzte werden - Ulrich Buchner - E-Book

Wenn Irre Irrenärzte werden E-Book

Ulrich Buchner

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Beschreibung

Achtung Psychotherapie! – Wie überholt sind die gängigen Therapiesysteme?

Durch zweifelhafte Therapieformen wird in unserem ohnehin angespannten Gesundheitssystem jede Menge Geld verschwendet. Der Klient muss sich anpassen, ohne auch nur eine leise Ahnung davon zu haben, was ihm widerfährt. Mangelnde Transparenz und das Ausblenden von sozialen Ursachen für psychische Störungen bürden dem Klienten eine Verantwortung auf, die dieser gar nicht hat.
Mit seiner Streitschrift will Ulrich Buchner aufklären und Licht ins Dunkel der Psychotherapie bringen. Sein Fazit: Glück und Zufriedenheit kann man lernen – durchaus auch ohne therapeutische Hilfe.

  • Wie Klienten zu Objekten werden
  • Eine Streitschrift, die im Dschungel der Psychotherapie aufräumt
  • Der unmündige Klient: einem Therapiesystem mit fragwürdigem Nutzen ausgeliefert

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Inhaltsverzeichnis

VorwortDas Konzept des BuchesTeil 1 - Wie der Dschungel entstanden ist – Historischer Hintergrund und die heutigen Rahmenbedingungen der Psychotherapie
Psyche – Was ist das?
Copyright

Vorwort

Im Jahr 1968 veröffentlichte der französische Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre in der Zeitschrift Les temps modernes, zu deren Gründern er zählte, einen Tonbandmitschnitt, der ihm kurz zuvor zugestellt worden war. Ein junger Mann, der sich seit seinem 14. Lebensjahr einer psychoanalytischen Behandlung unterzogen und diese mit 28 Jahren mangels Erfolg beendet hatte, tauchte drei Jahre später mit einem Tonband »bewaffnet« bei seinem ehemaligen Psychoanalytiker auf und drehte den analytischen Prozess einfach um! Er schaltete das Tonband ein und unterzog den Analytiker einer Analyse. Dieser Dialog endete damit, dass sich der Psychoanalytiker nicht nur psychisch, sondern auch physisch bedroht fühlte. Er warf seinem ehemaligen Klienten immer wieder vor, dass der ihm Gewalt antun wolle, dabei wollte dieser doch nur reden. Die Aufnahme endete damit, dass der Psychoanalytiker die Polizei rief!

Ein Arzt und Psychotherapeut, dessen Aufgabe darin besteht, Menschen durch seine Methode zu helfen, fühlt sich körperlich bedroht, sobald er selbst mit dieser Methode behandelt wird!

Wie kann das sein? Ist es überhaupt eine Heilmethode, wenn sie in Wirklichkeit gar nicht heilt, sondern den Klienten immer nur glauben lässt, er befände sich auf dem Weg der Besserung? Letztendlich wird aber nichts besser; höchstens vielleicht das Verständnis des Klienten für die Heilmethode des Therapeuten. Kann man das so sehen?

Dieser Frage will dieses Buch nachgehen und dabei den gesamten Prozess der Psychotherapie – vom Suchen und Finden eines Therapeuten über die verschiedenen Methoden der Therapie bis hin zum tatsächlichen Therapieverlauf und dem Ende desselben – der These unterwerfen, dass der Klient, je weiter er sich innerhalb dieses Prozesses befindet, sich desto mehr seinem Therapeuten und dessen Methode ausliefert. Kurz gesagt: dass er sich selbst dabei selber immer mehr verliert und zum Objekt der Therapie wird.

Natürlich werde ich mich auch mit der Frage befassen, inwieweit das gewollt ist oder quasi als »Fehler« tief im System Psychotherapie angelegt ist, wie es heute im Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird.

Das Konzept des Buches

Ungefähr 900.000 Deutschen wird jährlich eine Psychotherapie empfohlen, ca. 300.000 davon beginnen eine. Nicht mitgerechnet sind dabei diejenigen, die »nur« nach einer gelegentlichen psychologischen Beratung, einer Eheberatung oder Paartherapie oder einem Coaching suchen. Die meisten von ihnen werden dabei zum ersten Mal mit jenem Psycho-Dschungel konfrontiert, in dem sich zahlreiche ähnliche, aber auch unterschiedliche Berufsbezeichnungen, Hunderte von Therapie- und Beratungsformen sowie unterschiedliche Abrechnungsmodalitäten tummeln.

Kein Mensch, der sich nicht ausführlich mit dem Thema »Psychotherapie« befasst, kann auch nur den Hauch eines Durchblicks haben, was sich in diesem Dschungel alles verbirgt. Dieses Buch will unter einer provokanten Prämisse einen verständlichen Beitrag zur Aufklärung leisten.

Interessanterweise gibt es jede Menge Ratgeber zu den Themen »Psychologie« und »Psychotherapie«, aber meines Wissens keinen einzigen, der einen Einblick gibt in die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Berufsgruppen, eine Auflistung, wer was macht und machen darf, wer sich wie nennen und wie und mit wem abrechnen darf, oder wie die einzelnen Berufsgruppen miteinander umgehen und sich ihre Geschichte entwickelt hat.

Nur ein Einblick in diese Zusammenhänge lässt aber Max oder Martina Mustermann ggf. die Augen aufgehen und kann ihnen klarmachen, warum auf diesem Gebiet so wenig Transparenz herrscht. Der Mangel an Aufklärung hat natürlich seine Gründe: Ähnlich wie Ärzte es nicht wollen, dass ihre Patienten genau informiert werden über ihr Abrechnungsverhalten – sprich, wie viel genau welche Behandlung kostet –, mögen es Psychotherapeuten nicht, wenn ihre Klienten versuchen, einen Blick hinter die Kulissen ihrer Arbeit zu werfen. Ärzte und Psychologen sehen sich nach wie vor als Fachleute für die körperliche bzw. psychische Gesundheit des Menschen und genießen diesen Status durchaus. Somit haben die Berufsgruppen der Psychotherapeuten ein Interesse daran, ihr »Herrschaftswissen« für sich zu behalten. Den Klienten von Anfang an kleinzuhalten, macht dies leichter.

Der Klient steht somit vor einer Vielzahl an Berufsbezeichnungen und Therapieformen, die es ihm letztendlich unmöglich macht, eine rasche Entscheidung darüber zu treffen, welche Methode für ihn die beste ist und welcher Therapeut der geeignetste. Hierin liegt bereits ein erster Schritt zu einer Objektivierung des Klienten.

Die meisten Klienten nehmen den erstbesten Therapeuten, der ihnen möglichst zeitnah einen Termin anbietet. Von dem werden sie dann in die große Thematik »Psychotherapie« eingeführt. Kritische Klienten fragen dann vielleicht einmal nach dem Hintergrund ihres Therapeuten: Welche Ausbildungen er hat oder welche anderen Verfahren es überhaupt noch gibt und wie deren Vorgehen ist. Die meisten geben sich aber sofort der Therapie hin und scheitern somit schon an der ersten Hürde zu einer wirklich kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Damit ist dann der zweite Schritt zu ihrer Objektivierung vollzogen.

Sie begeben sich in die Hände – oder soll man sagen, »unter die Fuchtel«? – eines Therapeuten, der ihnen mit seinem speziellen Wissen den Weg aus ihren Problemen weisen soll – und sie dabei häufig noch tiefer in den Schlamassel hineinzieht. Oftmals bleibt dem Klienten gar nichts anderes übrig, als dem Therapeuten Folge zu leisten – sei es, ein Traumtagebuch zu führen, sich seinen Ängsten konfrontativ und absichtlich auszusetzen oder sich zu fragen, ob er sich gerade in seinem »Kind-Ich-Zustand« oder doch dem »Erwachsenen-Ich-Zustand« befindet. Der Klient wird damit zum Komplizen des Glaubenssystems des Therapeuten – und somit zum Objekt. Wehrt er sich gegenüber dem Therapeuten, wird er oft als »therapieresistent« bezeichnet, dessen Widerstände überwunden – oder doch eher: »gebrochen« – werden müssen; ansonsten folgt die Drohung des Therapeuten, ihn nicht mehr weiterzubehandeln. Unterwirft sich der Klient dem Therapeuten nicht, bleibt ihm nur noch der Therapieabbruch und damit in der Regel das Problem, dass seine Krankenkasse die Kostenübernahme einer weiteren Therapie erst wieder nach zwei Jahren bewilligt.

Dieses Buch will ein bisschen zur Rodung jenes Dschungels beitragen, an dessen Eingang sich ein ganz normaler Klient zu Beginn einer Therapie immer wieder findet. Das Motto lautet: »Achtung Psychotherapie! – Wie Klienten zu Objekten werden«. Dazu betrachte ich zunächst die Rahmenbedingungen von Psychotherapie, also: Welche Berufsbezeichnungen gibt es, welche Ausbildungen stehen dahinter, wer darf was wie mit wem machen? Auch die gesetzlichen Regelungen zum professionellen Heilen werden angesprochen. Es geht also um die Zusammenhänge und Entwicklungen, aus denen sich – wie ich darlegen werde – durch Verbindung mit einer gockelhaft verteidigten Machtposition der einzelnen Berufsgruppen gegenüber den Klienten eben jenes undurchsichtige Konstrukt gebildet hat. Dabei beschäftige ich mich auch mit der Frage, was »Psyche« eigentlich ist und wie sie in der therapeutischen Praxis behandelt wird. Aus den historischen Zusammenhängen, die dem Leser durchaus ein Schmunzeln oder auch eine Portion Wut hervorzaubern dürften, ergibt sich dann nahezu wie von selbst die erste Konsequenz zur Verdinglichung des Klienten.

Für »Eilige« gibt es eine kurze Zusammenfassung, in der die einzelnen Berufsbezeichnungen jeweils mit einem Satz beschrieben werden.

Im zweiten Teil werde ich das Thema »Psychotherapie« als solches, also den eigentlichen therapeutischen Prozess, betrachten. Welche Berufsfelder dürfen mit den Krankenkassen abrechnen, welche nicht? Was sind die Vorteile einer Kassenbehandlung, was sind die Nachteile?

Ich werde beschreiben, wie eine Therapie im Rahmen der Kassenzulassung, aber auch außerhalb, abläuft, welche Pflichten Therapeuten haben und welche Rechte die Klienten schützen, ehe ich die gängigsten Therapieformen kurz vorstelle. Auch hierbei wird schnell deutlich, wie der Prozess der Objektivierung des Klienten ganz von selbst voranschreitet und dieser sein eigenständiges kritisches Denken immer mehr verliert. Worin die Ursachen hierfür liegen, werde ich ebenfalls untersuchen.

Natürlich gebe ich hier auch einen ersten Einblick in die gängigsten therapeutischen Verfahren wie etwa Psychoanalyse, Kognitive Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie etc. Nein, ich werde nicht alle beschreiben, sondern nur die gängigsten – insgesamt gibt es mehr Therapieformen, als es Tage im Jahr gibt, nämlich über 500. Und Sie können sich sicher sein – ich kenne sie auch nicht alle!

Ich werde auch versuchen, die Frage zu beantworten, welche Therapien für welche psychischen Probleme geeignet sind und welche nicht – und natürlich die Gretchenfrage für alle Ratsuchenden: Wie finde ich einen guten Therapeuten? (Ja, trotz meiner These gibt es tatsächlich hervorragende Therapeuten!)

Den Abschluss bildet ein kleiner psychologischer »Alltagsratgeber«, in dem ich zahlreiche Tipps gebe, was Menschen vorbeugend tun können, um sich ihre psychische Gesundheit zu bewahren – sowohl innerhalb einer Therapie als auch im alltäglichen Leben: »Wie bleibe ich psychisch gesund?« und »Wie beuge ich psychischen Problemen vor?«. Kleine, simple, aber auch umfangreichere Tipps, wie Sie psychisch stabil, selbstbewusst und zufrieden sein können.

Bevor ich nun anfange, möchte ich noch kurz erwähnen, dass ich mich entschlossen habe, bei den Berufsbezeichnungen sowie beim Begriff »Klient« jeweils bei der männlichen Schreibweise zu bleiben – einfach, weil es sich meiner Meinung nach leichter liest als die Doppelbezeichnung Therapeut/Therapeutin. Ich hätte mich sicher auch für die weibliche Schreibweise entscheiden können, die männliche erscheint mir jedoch schlicht eingängiger – weil gewohnter. Die Hardcore-Feministinnen mögen mir verzeihen.

Legen wir also los!

Teil 1

Wie der Dschungel entstanden ist – Historischer Hintergrund und die heutigen Rahmenbedingungen der Psychotherapie

Um einen Eindruck zu geben von dem Begriffswirrwarr der Berufsbezeichnungen, stelle ich mich zunächst einfach einmal selbst vor:

Ich habe Psychologie studiert, bin also Diplompsychologe, praktiziere Psychotherapie, bin aber kein Psychotherapeut, weder ein ärztlicher noch ein psychologischer. Ich bin kein Psychiater und auch kein Psychoanalytiker. Ich arbeite verhaltenstherapeutisch und tiefenpsychologisch. Dennoch bin ich weder ein Anhänger der tiefenpsychologischen Lehre Sigmund Freuds noch derjenigen Alfred Adlers und auch nicht derjenigen Carl Gustav Jungs. Mein tiefenpsychologischer Hintergrund ist einer, den es in der Psychologie eigentlich gar nicht gibt, nämlich der der existenziellen Psychoanalyse Jean-Paul Sartres. Natürlich arbeite ich auch als psychologischer Berater, Paarberater und Coach. Wie das kommt?

Nun, ich habe mein Diplom 1989 gemacht, zehn Jahre vor Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes, das den Titel »Psychotherapeut« ausdrücklich schützt und auf Psychologen und Ärzte mit Zusatzausbildung beschränkt. Zu dieser Zeit war ich aber in einer ganz anderen Branche tätig und habe davon erst ein paar Jahre später etwas mitbekommen, als ich zurück zu meinen beruflichen Wurzeln ging. Nun darf ich also Psychotherapie ausüben, mich jedoch nicht Psychotherapeut nennen – und auch nicht mit den Kassen abrechnen, was ich allerdings auch gar nicht möchte.

Na? Wissen Sie jetzt, was ich mache? Wahrscheinlich haben Sie höchstens den Hauch einer Ahnung davon, aber so richtig schlau werden Sie wohl aus meiner Beschreibung nicht geworden sein.

Wie kommt es, dass es eine solche Begriffsvielfalt bei den Berufsbezeichnungen gibt, obwohl sie sich doch alle mit demselben beschäftigen – nämlich der menschlichen Psyche? Nun – um es vorwegzunehmen – dahinter steckt ganz einfach ein Standesdünkel. Anstatt zum Wohle ihrer Patienten oder Klienten sinnvoll zusammenzuarbeiten, bekriegen sich leider immer noch manche Ärzte, Psychologen und Heilpraktiker darum, wer denn nun die Feldherrschaft und das Herrschaftswissen über die menschliche Psyche besitzt. Dieser Clinch hat natürlich historische Wurzeln, aber bevor wir 100 Jahre in der Zeit zurückgehen, sollten wir uns zunächst einmal fragen, worüber wir hier überhaupt verhandeln; also: Was versteht man eigentlich unter »Psyche«?

Und damit sind wir bereits mittendrin im Schlamassel!

Psyche – Was ist das?

Bitte nicht erschrecken – auch, wenn’s jetzt ein bisschen philosophisch wird! Aber es ist eine berechtigte Frage, was dieses Ding namens »Psyche« eigentlich ist. Woraus besteht es? Ist es überhaupt ein Ding? Ist Psyche gar ein anderer Ausdruck für Seele? Haben/besitzen wir eine Psyche oder sind wir sie gar? Ist Psyche Bewusstsein oder hat sie eines? Ist Psyche gleichzusetzen mit dem Ich oder ist das Ich wieder etwas anderes? Viele Religionen glauben, dass die Seele eines Menschen nach seinem Tod weiterexistiert – auch die Psyche? Oder sind beide dasselbe?

Ein Hammer ist ein Hammer, eine Hand ist eine Hand. Und jeder weiß, was damit gemeint ist. Bei der Psyche liegt die Sache anders.

Kann es sogar sein, dass Psyche eigentlich vielmehr ein Prozess ist – besser gesagt: die Einheit eines Prozesses? So wie das Ich quasi die Einheit unseres Lebens ist.

Natürlich könnten wir das jetzt so halten, wie es die Lerntheoretiker der ersten Schule getan haben. Der amerikanische Psychologe John B. Watson (1878 – 1958) etwa hat sich keinen Deut darum geschert, was die Psyche in Wirklichkeit ist – er hat sie einfach als eine Art Black Box bezeichnet, auf die auf der einen Seite Reize einprallen, die darin irgendwie verarbeitet werden, und aus der auf der anderen Seite dann irgendwelche Reaktionen herauskommen. Watson hat sich lediglich dafür interessiert, welche Reize man miteinander verknüpfen muss, damit hinten bestimmte Reaktionen herauskommen.

Sie haben sicher schon einmal vom Pawlow’schen Reflex gehört. Dieser war im Grunde der Ursprung der Lerntheorie. Der russische Mediziner und Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 – 1936) beschäftigte sich mit der Verhaltensforschung und vertrat die Überzeugung, dass Teile des Verhaltens auf der so genannten Konditionierung beruhen. Berühmt wurde sein Experiment, in dem er jedes Mal, wenn ein Hund Nahrung vorgesetzt bekam und schon beim Anblick der Speise mit Speichelfluss reagierte, eine Klingel betätigte. Nachdem er das mehrmals gemacht hatte, reagierte der Hund bereits durch das Klingeln und ohne Nahrung mit Speichelfluss. Der »Pawlow’sche Hund« war geboren.

Watson und seine Kollegen haben später diese Konditionierungs-Experimente verfeinert und um den Belohnungseffekt erweitert.

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Pawlow war Mediziner, Watson dann Psychologe. Ja, genau – zu Pawlows Zeiten gab es die Psychologie als eigenständige Wissenschaft noch gar nicht; dagegen hat sich Watson ein paar Jahrzehnte später als Psychologe bezeichnet.

Auch das hängt mit dem Wirrwarr unserer heutigen Berufsbezeichnungen zusammen, aber das nur am Rande.

Zurück zur Psyche. Pawlow und Watson haben sich also recht wenig um diesen Begriff gekümmert – im Gegensatz zu uns, wir wollen’s wissen.

Graben wir daher ein bisschen beim Ursprung des Wortes, also im Griechischen: Psyche bedeutet so viel wie »Atem«. Später wurde der Begriff gleichgesetzt mit »Seele«.

Hier sei mir eine wichtige Randbemerkung gestattet. Wir können aufgrund der Struktur unserer Sprache Prozesse eigentlich nicht wirklich beschreiben. Unsere Sprache ist nach dem Subjekt-Prädikat-Objekt-Schema aufgebaut. Es gibt immer ein »Es«, das ein »Etwas« tut. Nehmen wir den einfachen Satz »Es regnet«. Der Sachverhalt, dass es regnet, ist eigentlich ein Prozess, es sei denn, man glaubt an irgendeinen Regengott, der bewirkt, dass es regnet. Klingt absurd, aber so ein »Es« gibt uns unsere Sprachstruktur vor, wenn wir einen Prozess beschreiben.

Wenn wir uns nun die zwei Bedeutungen von Psyche anschauen, stellen wir fest, dass die ursprüngliche Bedeutung im Kern einen Prozess darstellt: Atmen, während die später hinzugefügte Interpretation, Seele, eher ein (zugegebenermaßen ebenfalls recht schwer zu definierendes) Ding ist. Dem Regen wurde also ein Regengott gegeben. Doch passt dieser Akteur-Modus zur Psyche?

»Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen«, hat der griechische Philosoph Heraklit einmal gesagt. Damit ist er der Wahrheit des Lebens ziemlich nahe gekommen. Das Leben ist ein Fluss, und wir können zwischendurch nicht einfach »Stopp!« sagen und anhalten. Zu Ende ist es erst mit dem Tod. Und natürlich wissen wir heute, dass auch unser Körper ständig im Fluss ist. Die Zellen erneuern sich immer wieder, auch unsere Gehirnzellen. Da unser Bewusstsein (in welcher Form auch immer) mit unseren Gehirnzellen, also mit unserem Körper, verknüpft ist, liegt es nahe, dass wir die Psyche ihrem sprachhistorischen Ursprung folgend als einen Prozess betrachten, der einer andauernden Veränderung unterworfen ist, die frühestens mit dem Tode endet.

»Frühestens« deswegen, weil wir aufgrund der Struktur unseres Universums und allem, was wir darüber wissen, nur vermuten können, was mit unserer Psyche oder Seele nach unserem Tod geschieht. Es ist wissenschaftlich keineswegs zweifelsfrei bewiesen, dass unsere Psyche von unserem Gehirn erzeugt wird. Tatsächlich gibt es hochrangige Wissenschaftler wie den Physik-Nobelpreisträger und Preisträger des Alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr, der die Anschauung vertritt, unser Gehirn sei eher eine Art Empfangsgerät für ein unendliches Bewusstsein oder eine unendliche Psyche – genauso wie ein Radio selbst keine Musik erzeugt, sondern sie eben nur empfängt und umwandelt. Wie es sich dabei tatsächlich verhält, werden wir alle erst nach unserem eigenen Tod »erfahren« – falls überhaupt.

Fassen wir also kurz zusammen: Es macht mehr Sinn, die Psyche als andauernde Veränderung und Bewegung zu betrachten. Sie ist kein statisches Ding wie ein Löffel oder Tisch (wobei Gegenstände auf atomarer und subatomarer Ebene ebenfalls Prozesse sind, aber das ignoriere ich jetzt mal).

Mit der Psyche beschäftigt sich der Mensch im Grunde bereits, seit es ihn gibt. Psychisches Wohlergehen ist für ein zufriedenes Leben eine grundlegende Voraussetzung. So hat sich sicherlich auch der Neandertaler gefragt, was er für sein psychisches Wohlempfinden tun kann, wenngleich wohl nicht mit diesen Worten, sondern abstrakter. Aber er wird sich schon gefragt haben, ob ihm im Augenblick ein Nickerchen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

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eISBN 978-3-641-06378-8

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