Wenn Kitsune erzählen … - Ellen A. Korei - E-Book

Wenn Kitsune erzählen … E-Book

Ellen A. Korei

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Beschreibung

Schauerliches lauert hinter verschlossenen Türen. Unheimliches begleitet einen nachts, wenn man auf unbekannten Wegen spaziert. Weit entfernt spielt ein Windspiel eine nostalgische Melodie und fängt jene ein, die es hören, führt sie in eine fremde Welt. In dieser Sammlung der Schauerliteratur vereint sich sowohl Gruseliges wie auch Sehnsüchtiges. Viele Geschichten führen in obskure Ebenen der Realität – seien es Geister, Dämonen oder vielleicht doch nur die eigene Angst, die sich manifestiert. Sie handeln von Begegnungen im Regen und in einsamen Gefilden sowie von den Schrecken, die sich hinter dem Schleier verbergen. Jene, die lieber noch mal nachschauen, ob die Tür wirklich versperrt ist, den eiskalten Schauer über den Rücken oder die Melancholie des Lebens suchen, werden hier fündig.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Vorwort
Kitsune – Blutrot und silberweiß
Shichinin Misaki – Sieben Geister
Hallo, kleiner Freund
Ein treuer Freund
Kakurenbo – Lass uns Verstecken spielen
Die sich öffnende Tür
Grenzwelt
Als der Regen endete …
Besuch
Totentanz
Einsamkeit
Gute Nacht – Der schwarze Mann von Tholenswehr
Unbekannt
Kinderspiel
Aokigahara – Wald ohne Wiederkehr
Bestie
Todesangst
Tods kleiner Bruder Schlaf
Das Vermächtnis von Hashima
Ich weiß, dass ich träume …
Bernstein
Strohblume
Gläserner Abend
Zombie vs. Kaffee
Auf der Schwelle …
Menschen sind wie Blumen …
Ein einziger Wunsch
Kriegsopfer
Da ist ein Raum …
Morgens im Wald
Just another lovestory …
Anmerkungen

Über das Buch:

Schauerliches lauert hinter verschlossenen Türen. Unheimliches begleitet einen nachts, wenn man auf unbekannten Wegen spaziert. Weit entfernt spielt ein Windspiel eine nostalgische Melodie und fängt jene ein, die es hören, führt sie in eine fremde Welt.

In dieser Sammlung der Schauerliteratur vereint sich sowohl Gruseliges wie auch Sehnsüchtiges. Viele Geschichten führen in obskure Ebenen der Realität – seien es Geister, Dämonen oder vielleicht doch nur die eigene Angst, die sich manifestiert. Sie handeln von Begegnungen im Regen und in einsamen Gefilden sowie von den Schrecken, die sich hinter dem Schleier verbergen.

Jene, die lieber noch mal nachschauen, ob die Tür wirklich versperrt ist, den eiskalten Schauer über den Rücken oder die Melancholie des Lebens suchen, werden hier fündig.

Über den Autor:

1982, weit im Süden Deutschlands wurde Ellen A. Korei quasi mit dem Stift in der Hand geboren – oder vielleicht zumindest mit der Ahnung, dass Worte Türen zu Welten öffnen können.

Während des Studiums der Germanistik und Geschichtswissenschaften an der Uni Tübingen lernte sie, dass jede Geschichte ein Echo hat. Selbst was wir Erinnerungen nennen, ist oftmals nur eine der vielen Formen des Erzählens. Seitdem folgte sie den Spuren von Legenden und Mythen, sowie den flüchtigen Momenten, in denen das Unheimliche sich zeigt, ohne gesehen werden zu wollen.

Auf diesem Weg erkundete sie vor allem auch Japan. Ob stille Schreine, Yokai oder andere geisterhafte Gestalten der Folklore – die feine Linie zwischen dem Abgründigen, aber Anziehenden, sowie der Eleganz asiatischer Erzählkunst wurde bald zu einer weiteren erzählerischen Heimat.

Ihr heutiges Schaffen befasst sich daher häufig mit den Schwellenwelten. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wie auch zwischen der Sehnsucht nach dem Unbekannten und der Schönheit des Bekannten. Ihre Texte suchen die Risse der Wirklichkeit und jene Stellen, an denen das Unsichtbare hindurch schimmert.

Ellen A. Korei

Wenn Kitsune erzählen …

Schauerliches aus der Zwischenwelt

Deutsche Erstausgabe 2025

Copyright © Ellen A. Korei 2025

Publikation erfolgt im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:

Anita Goltzsch

c/o IP-Management #7386

Ludwig-Erhard-Str. 18

20459 Hamburg

Covergestaltung und Illustrationen: Megumi M. Loy

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Werkes oder Teilen daraus, sind nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm, Einspeicherung, Einsprechen oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Ausführliche Informationen über den Autor:

https://www.patreon.com/c/bernsteinfuchs

https://www.instagram.com/bernsteinfuchs_elli/

Vorwort

Im Laufe eines Autorenlebens sammeln sich alle möglichen Geschichten und Schnipsel an; seien es Schreibübungen, Ausschreibungen oder was man so vor sich hinkritzelt.

Viele Ideen stecken in den teilweise wenigen Worten und anstelle diese weiterhin in den dunklen Tiefen unübersichtlicher und stets wachsender Datenhaufen versinken zu lassen, entschied ich mich, einige zu diesem Kurzgeschichtensammelband zusammenzufassen. Neben nostalgischeren Geschichten findet sich auch vor allem Schauerliches.

Die Erzählungen schildern Begegnungen in der Dunkelheit, im Regen, in verlassenen Wäldern. Sie sprechen vom Vergessen, von Ängsten, von jenem, was nachts hinter dir lauert, und davon, dass man manche Türen besser verschlossen hält. Manchmal führen sie an den Rand des Wahnsinns und ab und an sogar darüber hinaus, wenn jene Dinge bleiben, die nicht verweilen sollten. Einige erzählen auch von der Melancholie des Lebens, Trauer, Verlusten und den Narben, die man nicht mehr loswird.

Diese Sammlung aus Kurzgeschichten ist für jene, die gern der Sehnsucht nachgeben, die es lieben sich zu gruseln, die das kleine Kribbeln im Nacken suchen oder die nachts sicherheitshalber noch einmal prüfen, ob die Tür wirklich versperrt ist.

Kitsune – Blutrot und silberweiß

Kitsune – Füchse in Japan ihnen – wird nachgesagt Magie zu wirken und die Sinne der Menschen zu verwirren. Sie können sich verwandeln und werden begleitet von schwebenden Feuern in unnatürlichen Farben. Manche kennt man sogar als himmlische Füchse, Boten der Götter. Doch das Wesen der Kitsune ist nicht immer silberweiß, sondern manchmal auch blutrot …

***

Donner grollte in der Ferne und am Himmel zogen dicke Wolken auf, die sich vor die leuchtende Scheibe des Mondes drängten. Im fahlen Licht wetzte er durch den Wald, so schnell ihn seine Pfoten trugen – elegant und flink wie ein roter Blitz mit weißer Schweifspitze. Geschickt duckte er sich unter den Ästen der Büsche hindurch und sprang über herausragende Wurzeln und umgekippte Stämme.

Der Duft von bevorstehendem Niederschlag hing in der Luft. Vielleicht war das seine Chance. Wenn es regnete, würde dies seine Verfolger verlangsamen. Menschen waren normalerweise ungeschickter auf schlüpfrigem Untergrund.

Ich muss nur noch ein bisschen durch…

Ein Schuss knallte und unterbrach seine Gedanken, als er mit feurigem Schmerz seine Flanke traf. Ein Jaulen kam ihm aus dem aufgerissenen Maul und er verlor das Gleichgewicht. Von seinem eigenen Schwung erfasst prallte er gegen einen Baum und tauchte der Länge nach ins Unterholz. Kleine Äste bohrten sich in seinen Körper und um ihn herum drehte sich die Welt ein paar Mal, bis er endlich zum Liegen kam.

Sein Atem ging schwer. Mühsam hielt er ein Auge offen und versuchte, die Umgebung im Blick zu behalten. Die stampfenden Schritte seiner Verfolger donnerten heran. Äste knackten, Blätter raschelten und die Stimmen wurden allmählich klarer. Mit letzter Kraft stemmte er sich auf die Pfoten und kroch auf eine schmale Höhle zwischen dicken Baumwurzeln hinzu.

Ich darf nicht sterben.

»Shigeru!«, durchschnitt die Stimme eines Mannes die Luft – viel zu nah.

Augenblicklich presste sich der Fuchs flach auf den Boden und rührte sich nicht mehr. War er entdeckt worden?

»Drüben war ein Jaulen. Vielleicht ist der Fuchs in die Falle geraten. Lass uns nachsehen.«

»Ja, ich komm schon, Takeshi.«

Falle … Fuchs …

Yue! Ächzend rappelte er sich auf. Seine Läufe zitterten unter seinem Gewicht, sein Herz schlug so schnell, dass er glaubte, es müsste zerspringen und der Schmerz durchzuckte ihn bei jeder Bewegung. Trotzdem schleppte er sich durchs Unterholz, wo sich stetig Dornen und Kletten in seinem Fell verfingen.

Endlich lichteten sich die Blätter vor ihm. Er erkannte die Männer, die unten beim Flusslauf in der Nähe der hölzernen Brücke standen. Sie fixierten etwas am Boden.

Dort lag sie, seine Yue – strampelnd, ein Bein in der eisernen Falle, den Blick panisch nach oben gerichtet und ununterbrochen ein ängstliches Fiepen von sich gebend. Einer der Menschen hob sein Gewehr und richtet den Lauf auf die Füchsin.

Der Schuss hallte durch den Wald wie Donner. Vögel stoben aus den Wipfeln auf und der Gestank von Schießpulver wehte ihm in die Nase. Doch das, was sich am stärksten in seine Erinnerungen einbrannte, war ihr Jaulen, die leeren, weit aufgerissenen Augen und das Blut, das aus der Kopfwunde auf den Boden und die nahen Blätter spritzte. Dumpf prallte ihr Körper auf die Erde und der Geruch von Blut überlagerte jeden anderen.

Fassungslos starrte er die Szene an. Die Männer öffneten die Falle, traten ihren Leichnam achtlos zur Seite und verschwanden lachend zwischen den Bäumen.

Den Blick von Tränen getrübt schleppte er sich mit letzter Kraft zu ihr hinab. Kein Atem, kein Herzschlag – nichts. Einzig das Blut, das aus ihrem Leib floss, die Zunge, die schlaff aus dem geöffneten Maul hing, und die Augen, die glanzlos unter halb geschlossenen Lidern hervorblickten. Ihr seidig weißes Fell war vom Kampf struppig, und als er vorsichtig seine Schnauze an ihren schlanken Körper schmiegte, spürte er die langsam schwindende Wärme. Stattdessen breitete sich ein süßlicher Geruch aus, der ihren lieblichen Duft überlagerte und das Ende eines jeglichen Lebens begleitete. Ein von Trauer gezeichnetes Jaulen ausstoßend sackte er neben ihr zusammen.

Er wusste nicht, wie lange er hier gelegen hatte. Erst nach einer Weile erhob er sich wieder und biss vor Wut die Zähne aufeinander. Unruhig scharrten seine Krallen das Erdreich auf. Am Firmament verschluckten die Wolken endgültig die verbliebene Sichel des Mondes und ein Grollen rollte über den Wald hinweg. Aus seiner Kehle stieg ein Knurren auf und mit einem Heulen warf er den Kopf in den Nacken. Die ersten Tropfen fielen vom Himmel und trafen ihn im Gesicht. Dann setzte ein Rauschen ein, als der Wind durch die Wipfel der Bäume pfiff. Schlagartig schienen sich die Gewittertore der Wolken zu öffnen. Sturmfluten prasselten auf ihn nieder und ertränkten sein Klagen. Mit dem Regen wurde Yues Lebenssaft von der Erde gewaschen, und es verschwand der letzte Hauch ihres Duftes, als hätte sie nie existiert.

***

»Was ist das?« Setsuko stand mitten in der Nacht auf dem überdachten Gang der Herberge ihres Vaters. Gerade war sie aus ihrem Zimmer gekommen und hatte zur Toilette gehen wollen, als sie im Garten dieses Leuchten bemerkt hatte.

Ein Flackern wie von einem Feuer, doch von einem zartbläulichen Schimmer. Noch während sie hinstarrte, schälte sich eine Gestalt aus den Schatten. Sie hielt etwas in den Armen – silbern leuchtend, als trüge sie das Licht des Mondes in den Händen. Der Körperbau groß und schlank, bewegte sich der Schemen lautlos über das Grundstück. Auf dem Kopf erkannte sie die Umrisse von tierhaften, spitzen Ohren, aus dem Steißbein wand sich ein buschiger Schweif, der im Mondlicht rot mit weißem Ende leuchtete, und an den Fingern blitzten leicht gebogene, scharfe Krallen auf. Erschrocken sog Setsuko die Luft ein. Von dem Laut offensichtlich alarmiert zuckte der Kopf des Wesens augenblicklich in ihre Richtung. Gelb glühende Augen fixierten sie und schienen ihr bis in die Seele zu starren. Obwohl das Gesicht unkenntlich blieb, wusste sie, dass es den Mund aufriss.

Schreiend wirbelte sie herum. Ihre nackten Füße patschten über den Holzboden, als sie auf ihr Zimmer rannte. Mit einem Ruck riss sie die Schiebetür auf und stürmte hinein. Gerade noch im letzten Moment schob sie diese wieder zu. Da zerfetzte eine Klaue zischend Holz und Papier der Tür.

Kreischend stolperte Setsuko nach hinten und fühlte sich eine Sekunde lang schwerelos. Durch die Schlitze sah sie das bösartige Leuchten der fremdartigen Augen. Dann folgte der Aufprall und presste ihr die Luft aus den Lungen. Mit hochgerissenen Händen rollte sie zur Seite. Etwas hielt sie fest, schnürte sie regelrecht ein und ließ sie noch panischer werden. Die Wand beendete ihre Flucht und ihr stockte der Atem. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie in ihre Decke gewickelt war und hob verwirrt die Lider. Sie war vom Futon gerollt und lag am Rande des Raumes. Erst nach wenigen Momenten gelang es ihr, sich wieder aufzusetzen. Als sie zur Tür sah, erkannte sie, dass diese völlig intakt war. Nur langsam sickerte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass alles nur ein Traum gewesen war.

Traum? Nein. Es war eine Erinnerung. Früher als Kind hatte sie diesen Schemen, der etwas Leuchtendes ins Haus trug, auch schon gesehen. Setsuko verlor an Spannung und sank zusammen. Einige Male atmete sie tief durch, ehe sie zurück zu ihrem Bett krabbeln wollte. In dem Augenblick bemerkte sie ein Flackern, das sanft durch die durchlässige Tür drang. Unwillkürlich hob sie den Kopf und hielt schockiert die Luft an.

Vor der Tür zeichnete sich der Umriss einer Gestalt mit einem buschigen Schwanz und spitzen Tierohren ab. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, um mit doppelter Geschwindigkeit wieder einzusetzen.

Das ist kein Traum!

Der Schatten verharrte dort. Sie hörte das Knarren des Bodens. Dann erkannte sie, wie die Silhouette sich ganz langsam in ihre Richtung drehte. Es schien ihr, als würde der Blick durch die Tür hindurchgehen und sie fixieren.

Ein Fiepen unterdrückend zog sie die Decke über den Kopf und kauerte in der Ecke zusammen. Reglos blieb sie sitzen, hielt den Atem flach und kniff ängstlich die Augen zu.

Bitte, bitte tu mir nichts …

***

Am nächsten Morgen wachte sie in derselben Haltung auf – zusammengekrümmt in die Decke gewickelt. Nichts war passiert. Die Sonne warf ihre Strahlen zum Fenster herein, alles schien normal.

»Vielleicht war es doch nur ein Traum«, murmelte Setsuko zu sich selbst.

Noch etwas müde machte sie sich fertig und schlenderte zum Frühstücksraum. Es war außerhalb der Saison und nicht ein Gast fand sich in der Pension. Trotzdem ging sie wie jeden Tag in die Küche, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Schon von klein auf tat sie das, um ihren Vater zu unterstützen. Denn nur sie beide und zwei weitere Angestellte führten die Herberge. Ihre Mutter war gestorben, als sie noch ein Kind war. So setzte ihr Vater alles daran das Gasthaus, das mitten in diesem weitläufigen Wald lag, zu halten. Setsuko sah es als ein Vermächtnis ihrer Mutter an und half daher gerne aus. Darum öffnete sie auch heute schwungvoll die Tür und stieß prompt mit jemandem dahinter zusammen. Ein Poltern erklang und etliche Lebensmittel verteilten sich auf dem Küchenboden.

»Oh, entschuldige«, rief sie erschrocken und eilte hinein, um beim Aufheben zu helfen. Im nächsten Augenblick stockte sie, als sie Kou erkannte. Er war einer der zwei Mitarbeiter, doch normalerweise war er nicht in der Küche zuständig.

»Kou, du hier?«, brachte sie schließlich heraus und konnte nicht anders, als verblüfft zu blinzeln.

»Du bist früh auf«, gab er in seinem gewohnt mürrischen Ton von sich und schaute über die Schulter. Lässig strich er die kinnlangen, braunen Haare zurück und musterte sie aus seinen bernsteinfarbenen Augen. Das kantige Gesicht mit der geraden Nase und den schmalen Lippen hatte sie schon beim ersten Mal in den Bann geschlagen. Allerdings hatte er eine sehr kühle, manchmal fast abweisende Art. Trotzdem war er äußerst zuverlässig und so hatte ihr Vater ihn eingestellt.

Vollkommen in Gedanken versunken beobachtete sie jede seiner kontrollierten Bewegungen, als er die Lebensmittel wieder in den Korb einsammelte und auf den Tisch hievte.

»Du siehst blass aus«, sagte er schließlich und der Klang seiner Stimme ließ sie zusammenzucken.

»Äh, was?« Verlegen kratzte sie sich am Kopf, drehte sich etwas zur Seite, aber schielte ihn weiter an, wie er die Nahrungsmittel einräumte. Erstaunlich, obwohl er sie nicht ansah, entging ihm nichts an ihr. Das hatte sie schon immer an ihm bewundert. Entschlossen straffte sie sich.

»Sag mal, Kou«, fing sie unsicher an. »Du schläfst doch auch hier in der Pension. Ist dir nachts vielleicht mal was Seltsames aufgefallen?«

»Was meinst du?«

»Naja, sowas wie …« Menschliche Schatten mit Tierohren und Fuchsschwanz. Soll ich ihn das wirklich fragen? Sie schluckte noch mal und beäugte ihn ernst. Doch, ich mach’s! »Hast du gestern Nacht etwas gehört? Oder gar gesehen?«

»Werd genauer.«

»Vielleicht … einen Geist?«, sagte sie kleinlaut.

Nun drehte er doch den Kopf zu ihr. In seinen Augen blitzte es auf und er zog die Brauen zusammen. Mit einem Mal glaubte sie, seine Bewegungen würden fließender werden und sie war unfähig wegzusehen.

»A…also«, fing sie stockend an und zwang ihren Blick zu ihren Händen, die nervös an den Falten ihres Rockes zupften. »Ich weiß, wie seltsam das klingt, aber seit ich denken kann, habe ich diesen Traum von einer Gestalt mit Tierohren und einem Fuchsschwanz«, sprudelte es weiter aus ihr heraus. Jetzt hatte sie angefangen, also konnte sie es auch zu Ende führen. »Und letzte Nacht träumte ich davon. Als ich dann aber aufwachte, sah ich diesen flackernden Schein vor der Tür und auf einmal war da ein Schatten, der genauso aussah.«

Stille. Sie hörte das Rascheln seiner Kleidung, als er sich umdrehte, und das Klappern von Schneidebrett und Messer. Verwirrt schaute sie auf und entdeckte in seinen Haaren ein kleines Blatt. Gerade wollte sie es wegzupfen, als er zu ihr herumfuhr und ihre Hand abfing.

»Da … da war nur … etwas Laub«, sagte sie nervös. Schon ließ er sie wieder los, wandte sich um und fuhr sich kurz durch die feinen, seidigen Haare. Das Blatt war verschwunden.

»Klingt nach eine Kitsune Yokai«, meinte er in seinem üblichen Knurren und lenkte ihre Aufmerksamkeit um.

»Kitsune? Yokai?«, wiederholte sie ungläubig. »Ein Fuchsdämon? Aber warum sollte einer hier sein? Und warum sollte er …« Sie schluckte geräuschvoll. »… uns heimsuchen?«

»Hat Shigeru mal einem Fuchs etwas getan?«

»Vater? Nein, nicht dass ich wüsste«, antwortete sie und legte den Kopf schräg. Plötzlich zuckte Kous Blick herum und er fixierte sie aus stechenden Augen, sodass sie zusammenzuckte und unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Doch sofort entspannte er seine Züge wieder.

»Ich habe gehört, er hat früher gejagt«, fügte Kou ruhig hinzu und drehte sich um.

Das Geräusch des Messers, das auf dem Holzbrett hackte, hallte durch die Küche. Allerdings schaute sie weiterhin in sein Gesicht und versuchte eine Empfindung in seinem Ausdruck zu finden.

Was hat ihn eben so aufgeregt?

»Oh, ja, das muss gewesen sein, als ich noch klein war«, murmelte sie abwesend und schüttelte dann gezwungen den Kopf. »Was macht so ein Kitsune denn genau?«

»Kennst du die Legenden nicht?«

»Nicht so direkt«, gab sie zu und grinste ertappt.

Kou hielt den Blick stur aufs Gemüseschneiden konzentriert. Doch sie sah, wie sich ein Schleier über seine Augen ausbreitete und sein Ton wurde sanfter.

»Kitsune«, fing er leise an. »Manche erzählen sie seien Dämonen, weil sie mit der Geisterwelt verbunden sind, weil sie Magie beherrschen, Illusionen vorspielen und kleine Feuer von unnatürlicher Farbe, das Kitsunebi, erschaffen können. Man sagt, diese seien die Seelen von Toten, die sie begleiten.« Seufzend legte er das Messer zur Seite und stierte die Platte vor sich an. »Je älter sie werden, umso mehr Fähigkeiten und Schwänze haben sie ausgebildet. Und manche kommunizieren sogar mit dem Himmel und werden Inari genannt.« Kous Stimme sank zu einem Flüstern. »Jene haben dann ein Fell von unglaublicher Schönheit – meist in silbernem Weiß.«

»Inari«, wiederholte sie ehrfürchtig. »Fuchsgötter. Dann wären sie ja gut.«

»Nicht, wenn Shigeru ihren Zorn auf sich geladen hat«, fügte er an und griff erneut nach dem Messer um seine Arbeit fortzusetzen. Augenblicklich wirkte er wieder konzentriert. »Ich habe gehört, dass es einst einen Inari-Schrein im Wald gab.«

»Wirklich? Oh, vielleicht können wir ihn dann besänftigen.«

Kou hielt inne, drehte den Blick zu ihr und zum ersten Mal seit er hier war, sah sie ein sachtes Lächeln auf seinen Lippen.

»Ich werde mich umhören, ob ich ihn finden kann.«

»Danke, Kou!« Setsuko grinste breit. »Du bist der Beste.« Endlich beruhigt fing sie selbst mit der Arbeit an und konnte sich den ganzen Tag ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Bald hast du deinen Frieden zurück, kleine Kitsune.

***

»Yue!« Den Blick zum Mond gerichtete und in seinem Licht badend, blinzelte er träge und scharrte unruhig mit den Pfoten. Jede Nacht saß er am Fluss, in den Himmel aufschauend und von Erinnerungen gequält. Im Wasser erkannte er aus den Augenwinkeln seine Reflexion des roten Felles, das sie so geliebt hatte. Immer und immer wieder erlebte er den ersten Augenblick, als er sie einst getroffen hatte: Weiß glänzender Pelz, leuchtend silberne Augen und die schlichte Eleganz, wenn sie sich bewegte. Sein Herz brannte vor Sehnsucht, jedes Mal, wenn er daran dachte, bis das Bild von der grausamen Szene ihres Todes abgelöst wurde: Der Schuss, ihr Jaulen und das viele Blut, das diesen Boden getränkt hatte und dessen Farbe bis heute noch seinen Blick überschattete.

»Ich töte euch«, knurrte er und begann zu zittern. Jedes Haar stellte sich ihm auf, jeder Muskel spannte sich und ein Laut aus Schmerz und Zorn geboren jagte durch den Wald.

***

Setsuko erwachte schlagartig und riss erschrocken die Augen auf. Etwas hatte sie geweckt, doch konnte sie nicht sagen, was es gewesen war. Dann jedoch fiel ihr Blick zur Tür, die einen Spalt breit offen stand. Einige Herzschläge lang starrte sie die Öffnung an, bis sie sich schließlich erhob. Ein mulmiges Gefühl im Magen schlich sie darauf zu und hob die zitternden Finger, um die Tür weiter aufzuschieben. Ein sanftes Schaben von Holz auf Holz erklang, ehe es mit einem »klack« am Anschlag stoppte. Vorsichtig beugte sie sich hinaus und lugte in beide Richtungen des Ganges.

Nichts, nur Dunkelheit und Stille. Gerade wollte sie sich zurückziehen, als sie ein Zischen hörte. Augenblicklich schnellte ihr Kopf herum und sie sah um die Ecke einen bläulichen Schimmer.

Kitsunebi, hallte es ihr durch die Gedanken. Der Kitsune ist wieder hier!

Entschlossen straffte sie sich, atmete tief durch und lief auf nackten Füßen auf den Flur. Von dem kleinen Fuchslicht geführt, schlich sie weiter zum Eingangsbereich, wo sie es aus den Augen verlor. Doch bemerkte sie, dass auch hier die Tür zum Hof einen Spalt breit geöffnet war. Ganz vorsichtig huschte sie hin und spähte nach draußen.

Erschrocken riss sie die Augen und kurz darauf die Tür komplett auf. Ein Mann lag mitten im Hof und schnell rannte sie zu ihm. Als wollte der Mond ihr die Szene zeigen, schälte er sich in seiner vollen Größe hinter den Wolken hervor und warf sein silbernes Licht herab.

Setsuko gefror das Blut in den Adern.

»Takeshi«, flüsterte sie fassungslos und starrte auf die rote Pfütze, die sich um seinen Körper gebildet hatte. Der ältere Mitarbeiter lag mit zerfetzter Kleidung und aufgerissener Kehle auf den Steinen, den Blick starr und angsterfüllt zum Himmel gerichtet.

Ihr Herz setzte eine Sekunde aus, um dann hart und schmerzhaft wieder zu beschleunigen und die Angst wie zähes Gift durch ihre Venen zu pumpen.

Ein Schlag, zwei, drei …

Mit einem Kreischen fuhr sie herum und rannte zurück ins Haus.

»Hat Shigeru mal einem Fuchs etwas getan? Ich habe gehört, er hat früher gejagt«, hallten Kous Worte in ihrem Gedächtnis wider.

Panik krallte sich in ihr fest und sie fühlte die Schreckenskälte, die von innen heraus von ihr Besitz ergriff.

Papa!

Sofort steuerte sie auf die Treppe nach oben zu, wo er sein Schlafzimmer hatte. An der letzten Stufe blieb sie hängen und polterte auf den Boden. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen und sie rappelte sich stöhnend wieder auf.

Um sie herum begannen die Wände abzublättern. Das Holz am Geländer und den Treppenstufen bekam Risse und schien im Zeitraffer zu altern. Flecken erschienen auf dem Fußboden und die Holzdielen verschoben sich leicht. Ein Ächzen, als wäre das Haus uralt, erklang aus allen Richtungen, durchbrochen von dem Schaben einer Tür.

Setsukos Kopf schnellte herum und sie sah unten im Eingangsbereich einen Schemen hereingleiten. Neben ihm brannte die bläuliche Flamme in der Luft. Sofort erkannte sie die Fuchsohren und den Schwanz, das Gesicht selbst blieb allerdings in Schwärze gehüllt. Doch mit einem Ruck sah das Wesen auf und aus dem immer noch schattenhaften Antlitz stachen zwei gelb glühende Augen heraus.

Kreischend sprang Setsuko wieder auf die Beine und rannte wie von Teufeln gehetzt davon. Ihre Füße patschten auf die stetig morscher werdenden Holzdielen und die Umgebung zerfiel immer mehr. Verzweifelt versuchte sie sich auf den Weg zu konzentrieren und erreichte endlich das Zimmer ihres Vaters. Augenblicklich riss sie die Tür auf.

»Papa!« Und erstarrte mitten in der Bewegung. Lähmendes Entsetzen packte sie, als sie lediglich sein leeres Bett vorfand. »Papa?«, wiederholte sie mit zitternder Stimme.

Hinter ihr knarrte der Boden und ein Schleifen von Stoff war zu hören. Panisch wirbelte sie auf dem Absatz herum und erkannte an der Ecke bereits das Leuchten des Fuchslichtes. Gehetzt tastete ihr Blick umher und fand das Fenster. Ohne weiteres Zögern rannte sie darauf zu.

Es ist nicht hoch. Ich kann es schaffen. Ich kann es schaffen!

Ein Zischen drang an ihr Ohr und sie fuhr zusammen. Vor Schreck verlor sie das Gleichgewicht, als sie zur Tür sah, und kippte aus dem Fenster. Kurz schien die Zeit anzuhalten. An der Tür tauchte der Schatten des Kitsune auf – eine schlanke Gestalt. Eine Frau? Oder doch ein Mann?

Da hüpfte die Zeit in ihre gewohnte Geschwindigkeit zurück und Setsuko fiel. Über sich den leuchtenden Mond fühlte sie sich für einen Moment schwerelos. Dann traf sie auf das Vordach, rollte polternd darüber hinaus und krachte schmerzhaft in den Garten. Dunkelheit kroch aus ihren Augenwinkeln heran und sie wälzte sich gequält auf die Seite.

Ich darf das Bewusstsein nicht verlieren!

Das Bild von Takeshi kam ihr wieder in den Sinn. Sofort schlug die Angst um ihren Vater abermals zu, gab ihr noch einmal die Kraft sich hochzustemmen und weiter zu fliehen. Jede Bewegung bereitete ihr Qualen, doch sie drehte sich nicht um und lief um das Haus. Im Nebengebäude befand sich Kous Zimmer. Wenn ihr jetzt einer helfen konnte, dann er.

Also nahm sie sich zusammen und steuerte den Eingang an. Gerade wollte sie die Tür aufziehen, als jemand von innen sie öffnete und eine Gestalt vor ihr aufragte. Kreischend prallte Setsuko zurück, riss die Arme vors Gesicht und verlor den Halt. Erneut landete sie auf dem Hintern und keuchte schmerzerfüllt auf.

»Setsuko«, drang Kous Stimme zu ihr durch.

Schwer atmend schaute sie auf. Den Blick von Tränen der Erleichterung verschleiert.

»Kou«, flüsterte sie und rappelte sich zitternd auf. »Du musst mir helfen. Die Kitsune ist wieder da und Papa ist verschwunden und Takeshi …« Der Rest des Satzes ging in einem Schluchzen unter und sie krümmte sich zusammen, als das Bild des Leichnams in ihre Erinnerungen drängte.

Kou blieb beherrscht und sie sah seine Hand, die er ihr entgegenstreckte. Sofort griff sie danach und drückte sich an ihn.

»Wir … wir müssen doch was tun können?«, wimmerte sie.

»Ich habe den Schrein gefunden«, erwiderte er in seiner gewohnt ruhigen Art und ihr Kopf schnellte zu ihm hoch. Hoffnung breitete sich in ihr aus wie eine erblühende Blume, deren Duft sich wie Balsam auf ihre Seele legte.

»Dann schnell!«, platzte sie heraus. »Wir müssen den Kitsune beruhigen!«

***

Setsuko war Kou in den Wald gefolgt. Er hatte bereits nach kurzem die üblichen Wege verlassen und war tief ins Dickicht eingedrungen. Ständig hatten ihr Äste ins Gesicht gepeitscht, die sie in der Dunkelheit übersah. Kou, der vor ihr herging, schien weniger Probleme zu haben.

Fast wie ein Geist, dachte sie bei sich. Nur ein leichtes Rascheln begleitete seine Schritte und kein einziges Mal stolperte er über Wurzeln oder blieb an Zweigen hängen, wie sie es tat. Sie wusste nicht wie lange sie schon unterwegs war. Zumindest kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, als sie schließlich das Rauschen des kleinen Baches hörte. Auch hatte sie keine Ahnung mehr, wo genau sie war. Den weitläufigen Wald hatte sie immer nur auf den normalen Wegen durchquert und war nie bei Nacht hineingegangen.

»Kou«, gab sie von sich und unterdrückte einen Schmerzenslaut, als ihr einige Dornen über die Haut kratzten. »Wie weit ist es noch?«

Ein Ast schlug ihr ins Gesicht und sie fiepte erschrocken auf. Als sie die Augen wieder öffnete, war Kou verschwunden. Sofort spülte die Angst über sie hinweg wie eine gewaltige Welle. Schnell sprang sie zwei Schritte vor und … verlor den Boden unter den Füßen.

Mit einem Kreischen rutschte sie einen Abhang hinab, den sie nicht gesehen hatte. Der Wald drehte sich um sie herum, spitze Steine bohrten sich in ihre Haut und Wurzeln scheuerten ihre Arme auf. Erst am Flussufer kam sie wieder zum Halten und richtete sich zitternd auf.

»Kou!«, rief sie erleichtert, als sie ihn nicht weit von sich an einer kleinen Brücke stehen sah, den Kopf in den Nacken gelegt und vom Licht des Mondes eingehüllt. Er reagierte nicht, stand einfach nur reglos da.

»Kou?«, erklang ihre Stimme von einem ängstlichen Beben begleitet. Ganz vorsichtig ging sie auf ihn zu und langsam um ihn herum, ohne den Blick von ihm zu lassen.

Er hingegen schaute unverwandt gen Himmel. Sanfter Wind spielte in seinen Haaren und im Licht glühten seine Augen geheimnisvoll auf.

»Zehn Jahre ist es her«, murmelte er gedankenverloren.

»Was … meinst du?«, fragte sie stockend, doch er schien sie gar nicht wahrzunehmen.

»Vor zehn Jahren starb sie hier …«

»Sterben? Wer denn, Kou?«

Sein Kopf kippte wieder nach vorne und er sah sie an. Nein, nicht sie, etwas, das hinter ihr lag. Ganz langsam wandte sie sich um und gewahrte erst jetzt das bleiche Skelett eines Tieres, das dort versteckt in einem Nest aus Blättern lag. Erschrocken riss sie die Augen auf, dass sie meinte, sie müssten ihr gleich aus den Höhlen quellen. Ruckartig drehte sie sich zurück und …

Krallen, Zähne und leuchtend rotes Fell war alles, was sie noch sah, ehe ein Schmerz in ihrer Schulter explodierte und ihr das Bewusstsein raubte. Während ihre Beine bereits nachgaben, spürte sie das warme Blut, das aus der Wunde austrat und ihr Oberteil tränkte. Dann wurde es dunkel.

***

Es roch nach feuchter Erde und Laub. Die Luft war stickig, und als Setsuko mühevoll die Lider hob, war sie im ersten Moment nur von Finsternis umgeben. Ganz langsam zeichnete sich in ihren Augenwinkeln ein Leuchten ab und sie versuchte den Blick in diese Richtung zu wenden. Es gelang ihr nur unter Schmerzen. Doch dann erkannte sie die zwei Gestalten, die sich im Inneren der Höhle, wo sie offensichtlich lag, mit ihr befanden.

Kou … Papa!, durchzuckte es ihre Gedanken. Sie wollte sich aufrichten, stockte jedoch erneut, als sie des roten, feurigen Fuchsschwanzes und der spitzen Ohren an Kou gewahr wurde. Tränen schossen ihr in die Augen, verschleierten ihr die Sicht und sie sank mit einem Stöhnen zusammen.

»Du … warst es die ganze Zeit«, flüsterte sie erstickt, als ihr klar wurde, dass auch der Tempel im Wald nur eine Lüge gewesen war.

Er warf ihr nur knapp einen kalten Blick über die Schulter hinweg zu, drehte sich dann wieder zu ihrem Vater. Dieser saß mit panischem Ausdruck in die Ecke gedrückt da und hielt sich eine tiefe Wunde im Bein. Angst durchzuckte Setsuko augenblicklich.

»Tu ihm nichts!«, keuchte sie.

»Was … was willst du von mir?«, stotterte nun auch ihr Vater. »Wir haben nichts …«

»Nichts getan?«, fuhr Kou ihm wütend dazwischen. Setsuko hörte trotz der Entfernung das Mahlen seines Kiefers und sah, wie angespannt er war. »Nichts«, fauchte er, »außer mir Yue zu nehmen?«

»Yue?«, flüsterte ihr Vater völlig perplex und schien nicht einordnen zu können, wem der Name gehörte.

»Das schönste Wesen, das je auf dieser Welt lebte«, sagte Kou mit belegter Stimme. »Vor zehn Jahren, hast du mir genommen, was ich am meisten liebte.«

»Genommen?«, brabbelte ihr Vater nach, dann stockte er und Setsuko sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Zehn Jahre … was …«

»Ein Fuchs …«, murmelte sie selbst. Ganz langsam konnte sie erkennen, wie das Begreifen tröpfchenweise in den Verstand ihres Papas sickerte.

»Es … war doch nur … ein Fuchs«, flüsterte er.

»Nur ein Fuchs?« Mit einem Ruck wandte Kou sich mit funkensprühendem Blick um. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und er kam mit weit ausgreifenden Schritten auf Setsuko zu und packte sie am Kragen.

Ängstlich fiepte sie auf, hatte jedoch keine Kraft sich gegen seinen Griff zu wehren.

»Dann ist sie hier …«, zischte er über die Schulter zu ihrem Vater, »… nur ein Mensch.«

Der Schrei ihres Papas zerriss die Luft. Sie selbst brachte nur noch ein Röcheln hervor, ehe das warme Blut klebrig über ihren Hals rann.

»Kou …«

Sie sah seine Hand, die sich in ihr Sichtfeld hob und ein sanftes Glimmen, das wie Nebelfetzen an den Krallen zu haften schien. In ihrer Brust spürte sie ein Reißen und Zerren. Kurz darauf fühlte sie sich schwerelos. Die Umgebung war in helles Licht getaucht und der Schmerz verschwand. Langsam klärte sich ihre Sicht und sie sah Kou vor sich, der sie kühl musterte. Leicht bewegte sie sich zur Seite und bemerkte, dass er ihren Körper noch in den Klauen hielt. Mit einem dumpfen Poltern ließ er die blutüberströmte Leiche fallen.

Ein Schrei hallte durch die Höhle. Sie sah ihren Vater mit verzweifeltem Ausdruck aus der Ecke robben, direkt auf ihre einstige Hülle hinzu. Kou trat nur einmal nach ihren Überresten und winkte mit den Fingern in ihre Richtung. Sie spürte einen Zug und wurde gegen ihren Willen mitgezerrt.

Was ist das? Kou?

Keine Stimme. Sie folgte ihm aus dem Loch, wieder hinaus in den Wald. Jetzt erkannte sie, dass sie nicht unweit der Stelle waren, wo die Knochen seiner Freundin gelegen hatten. Hinter ihnen lag der Bau, der sich mit einem Fingerschnippen Kous verschloss und die Trauerschreie ihres Vaters erstickte. Zu ihrer Seite plätscherte der Fluss, in den Setsukos Blick fiel und sie erstarrte. Im Wasser spiegelte sich Kous Gestalt und neben ihm, genau wo sie sich befand, flackerte ein blaues Fuchsfeuer.

»… und kleine Feuer von unnatürlicher Farbe, das Kitsunebi, erschaffen können. Man sagt, diese seien die Seelen von Toten, die sie begleiten.«

***

Mitten in der Nacht tritt der Kitsune in Menschengestalt von einem Fuchslicht begleitet aus dem Wald, gekleidet in einen Kimono. Ein feuerroter Schweif windet sich aus seinem Rücken und spitze Fuchsohren lugen aus dem kinnlangen Haar. In den Armen wiegt er sacht die bleichen Knochen eines Tieres. Als ein Mondstrahl vom Himmel fällt, leuchten die Überreste wie pures Silber. Ein fahler Schein glimmt in den finsteren Augenhöhlen und um die Gebeine hüllt sich weißer Dunst.

»Yue«, flüstert der Kitsune von Trauer erfüllt und streichelt liebevoll über den Totenschädel des Fuchses.

Die Flamme neben ihm flackert auf, will sich aufbauschen und in eine andere Richtung ziehen. Doch wie von Geisterhand wird sie mitgezogen. Kou kehrt dem Wald den Rücken und verschwindet unter aufziehendem Nebel in der verlassenen Herberge.

Man sagt, man sieht noch heute sein Feuer durch die Gänge der alten Pension huschen. Manche erzählen sogar, man sähe seine Gestalt am Fenster stehen, in den Armen die schimmernden Überreste seiner Geliebten wiegend.

Shichinin Misaki – Sieben Geister

Bist du jemals in der späten Abenddämmerung umhergewandert? Oder gar bei Nacht am Ufer eines Flusses entlang geschlendert? Hast du dann ein Säuseln in den umstehenden Zweigen der Bäume und Büsche vernommen, oder einen kühlen Lufthauch, der sich einer Geisterhand gleich um deine Kehle legen wollte?

In solchen Nächten, so erzählt man sich vor allem auf der japanischen Insel Shikoku, kann es vorkommen, dass man auf die Shichinin Misaki trifft. Ein Tross aus sieben Geistergestalten, die im kargen Schein des Mondes ihrem Weg durch abgelegene Pfade folgen.

Diverse Erzählungen ranken sich um ihr Entstehen: Eine Bande brutaler Priester, die von jenen, die sie einst terrorisierten, getötet wurden, sieben Pilgerinnen, die im Meer ertranken, ein Clan von Samurai, der einer Falle zum Opfer fiel oder die in rituellem Selbstmord ihrem Anführer folgten.

Eines jedoch haftet allen Legenden an: Wer ihnen begegnet, stirbt.

Von Glück kann reden, wer nur mit ihrem Nebel in Berührung kommt. Befallen von hohem Fieber siecht man in wenigen Tagen dahin. Rettung gibt es nie. Doch immerhin bindet es einen nicht an ein Schicksal, das jene erfahren, die mit diesen Geistwesen noch direkter in Kontakt kommen.

 

So wie einst …

Takeo lebte etwas außerhalb der Großstadt in einem Dorf, das umrandet von einem bewaldeten Gebirge, eine idyllische Ruhe ausstrahlte. Von den Hügeln schlängelte sich ein Fluss herab, der am Rande des Waldes entlangführte und schließlich, von einem Damm geleitet, die Siedlung durchtrennte. Am Abend folgte Takeo häufig seinem Lauf, joggte auf dem Deich entlang, bis er die Kühle der ersten Baumausläufer erreichte – so auch heute. Am Waldrand angelangt, stoppte er kurz unschlüssig. Sollte er weiterhin dem nicht ansteigenden Weg folgen oder die anstrengendere Route, die den Berg hinaufführte, nehmen?

Normalerweise ging er nicht ganz so spät los. Heute allerdings hatte sich sein Trainingsrhythmus verschoben, nachdem er bei seinem Freund Kenji zu Besuch gewesen war. Noch einen Augenblick wog er die Möglichkeiten ab und entschloss sich ob der voranschreitenden Dämmerung dann doch für die kürzere aber beschwerlichere Strecke. So konnte er seinem Training genug abverlangen, ohne die übliche Zeit aufzuwenden. Für zwischendurch war das in Ordnung, so dachte er sich und joggte den steil ansteigenden Pfad ins Gebirge.

Nicht weit entfernt hörte er das Rauschen des Flusses. Unter seinen Sohlen knackten hin und wieder Äste, auf die er trat. Ansonsten verstummten nach und nach jegliche Geräusche. Er bemerkte es nicht einmal großartig, so fokussiert war er auf seinen Lauf. Nur eines fiel ihm auf: Es wurde kalt. Kälter als es zu dieser Jahreszeit gewöhnlich war und er zog fröstelnd den Reißverschluss weiter zu.

Es half nichts.

Fast kam es ihm vor als würden eisige Finger ihm unter seine Klamotten kriechen und daran zerren. Um dem unwirtlichen Klima zu entgehen, beschloss Takeo sein Tempo zu steigern. Dumpf hallte sein Sprint auf dem Waldboden nach – unnatürlich, unheimlich. Gleich dort vorne war die Abzweigung, die wieder hinab führen würde. Dann konnte er seine Runde bald beenden und …

 

Sie war weg …

Wie vom Donner gerührt starrte Takeo den Pfad vor sich an, der keine Anstalten machte, sich zurück ins Tal zu schlängeln, sondern nur stetig nach oben wies. Bei genauerer Betrachtung jedoch fand er einen Trampelpfad, fast nicht zu erkennen, der zumindest nicht weiter anzusteigen schien.

Hatte er sich verlaufen, die Abzweigung vielleicht schon verpasst?

Ich könnte umdrehen, den Weg einfach zurücklaufen, dacht er bei sich, doch warf er nicht einmal einen Blick über die Schulter zurück. Diesen fast unsichtbaren Weg hier hatte er noch nie zuvor entdeckt, dabei hatte er gefühlt sein halbes Leben in diesen Bergen und diesem Wald verbracht. Ehe er sich versah, bewegte sich sein Körper wie von selbst. Die Idee umzukehren und zurück zu joggen, hatte sich verflüchtigt wie eine flüchtige Schneeflocke, die einsam auf einer warmen Hand gelandet war.

Äste knackten. Die ersten Schritte sprang er um kleineren Unebenheiten auszuweichen. Schon bald fand er in seinen gewohnten Trab und folgte dem Weg, der sich, einer monströse Schlange gleich, stetig tiefer in den Wald wand.

Weiter, weiter, war alles, was in seinem Denken noch Bestand hatte. Etwas rollte ihm entgegen, wie ein gewaltige Welle, die alles von den Beinen reißen würde, was sie erfasste. Doch er stoppte nicht, beschleunigte stattdessen fortwährend. In seinem Kopf jagten sich die Gedanken, dass er sie selbst gar nicht mehr fassen konnte. Manche kamen ihm fremd vor, andere vertraut, aber nicht einer ließ sich klar erkennen. Vokabeln verzerrten sich, ein Rhythmus drängte sich ihm auf, dem er nicht widerstehen konnte und mit einem Schlag überrollte ihn eine unsichtbare Lawine und die Welt kippte um.

 

Stille …