Wenn Zeit allein nicht heilt - Willi Butollo - E-Book

Wenn Zeit allein nicht heilt E-Book

Willi Butollo

4,6

Beschreibung

Wenn Trauer zum Trauma wird – Trauer braucht Zeit. Das weiß jeder, der selbst trauert oder Trauernde begleitet. Doch wie kann man einem Trauernden helfen, wenn der quälende Zustand kein Ende nehmen will oder sich mit der Zeit sogar verschlimmert? Wenn der Verlust unfassbar und die Einsamkeit erdrückend bleibt? Willi Butollo und Gabriele Pfoh zeigen, wie man solche komplizierten Trauerverläufe von normaler Trauer unterscheiden kann und welche therapeutischen Möglichkeiten es gibt, die Beschwerden zu lindern. Ein unverzichtbares Buch für Trauerbegleiter, Seelsorger und Therapeuten.

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Willi Butollo und Gabriele Pfoh

Wenn Zeit allein nicht heilt

Komplizierte Trauer begleiten

Patmos Verlag

Inhalt

Vorwort

Einstimmung

1. Sterben, Tod und Trauer – früher und heute

Trauermodelle

2. Normale Trauer

Beschreibung von normaler Trauer

Trauer – Zustand und Prozess

Verlauf von normaler Trauer

Drei Säulen der Trauer: Gedanken, Gefühle und Verhalten – und die Rolle des Kontaktes

Trauer – eine Krankheit?

Unterschiedliche Verluste – eine Trauer

Risiken nach einem Verlust durch Tod

3. Umgang mit Tod und Trauer

Verantwortung für das Leben danach

Bewältigungsstrategien: Akzeptanz und Vermeidung

Aufhebung des Tabus und Trauer im Vergleich

4. Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Danach

Angst vor Sterben und Tod

Generationenwechsel

Raum für Gespräche

5. Spezielle Formen von Trauer

Antizipatorische Trauer

Unerwartete Trauer

Ambivalente Trauer

Verzögerte Trauer

Fehlende Trauer

Sozial aberkannte Trauer

Maskierte Trauer

Tabuisierte Trauer

6. Komplizierte Trauer

Häufigkeit und Relevanz der Komplizierten Trauer

Bestimmung von Komplizierter Trauer

Eine neue Kategorie: Anhaltende Trauerstörung

Kriterien für Komplizierte Trauer

Aufrechterhaltung von Komplizierter Trauer

Risikofaktoren und schützende Faktoren

Komorbide Beschwerdebilder

7. Was hilft bei Trauer?

Sprechen oder Anwesenheit – tun oder sein

Trauer und Familie

Rolle und Aufgaben der Helfer

8. Beratung und Behandlung bei Komplizierter Trauer

Der Gang zur Trauerberatung oder zur Psychotherapie

Ziele und Inhalte der Behandlung und Beratung

Gefühle, verbunden mit Komplizierter Trauer

Aufgaben, verbunden mit Trauer – Neuordnung des Weiterlebens

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Integrative Trauertherapie (ITT)

Literatur

Zitatnachweis

»Und wenn ich vom Grab weggehe, nachdem ich die Kerze neu angezündet, die vertrockneten Blumen entsorgt und das Unkraut gejätet habe, schaue ich auf das große Friedhofstor, durch das ich gleich gehen werde, und denke, was kommt jetzt, was mache ich nun?« Anonymes Zitat

Vorwort

Heilung oder Neuordnung – das ist hier die Frage. Wäre es nicht wünschenswert, wenn Trauer einfach heilen würde und der gefühlte Scherbenhaufen, den der Verlust eines nahestehenden Menschen hinterlässt, einfach wieder zusammengefügt werden könnte und alles wie früher wäre?

Sie ahnen es – oder vielleicht wissen Sie es bereits aus eigener Erfahrung: Nichts ist nach dem Tod eines nahestehenden Menschen mehr heil so wie vorher – nicht früher und nicht später. Auch die Zeit ist kein verlässlicher Helfer. Unwiderruflich hat der Tod das Bisherige beendet. Und so stehen die Hinterbliebenen der Aufgabe gegenüber, wie sie mit dieser Situation, mit diesem Verlust umgehen. Früher oder später müssen sie sich der Forderung stellen, ihr Leben neu zu ordnen, um das entstandene Chaos aufzuräumen – ob sie es wollen oder nicht. Denn die Veränderung in ihrem Leben hat mit dem Tod des anderen bereits stattgefunden.

Die Unterstützung, die wir dabei diesen Hinterbliebenen anbieten können, ist vielfältig und hängt meist auch davon ab, ob wir die Rolle des Trauerbegleiters als Profi oder Laie, zum Beispiel als Freund, Familienangehörige oder Nachbar, wahrnehmen. In jedem Fall stellt sich die Frage, was wir tun können, wie wir es tun und was wir vielleicht auch nicht zu tun brauchen. So ist es unser Anliegen, Ihnen als Trauerbegleiter, sei es in der professionellen oder privaten Rolle, Hilfestellungen an die Hand zu geben.

Einstimmung

Verlust durch Tod

Wer kennt sie nicht, die Trauer? Gewiss, wir würden gerne darauf verzichten, Trauer zu erleben. Doch die meisten Menschen müssen sich im Laufe ihres Lebens mit Trauer und Trauerreaktionen auseinandersetzen. Natürlich kann sich Trauer auf ganz unterschied­liche Verluste beziehen. So kennen wir unter anderem den Verlust des Partners oder der Partnerin durch Trennung oder Ehescheidung, den Verlust der Heimat, des Arbeitsplatzes, der Gesundheit, den Verlust unseres Ersparten oder den Verlust unseres Status oder Ansehens.

Dieses Buch beschäftigt sich mit dem Verlust durch den Tod eines nahestehenden Menschen. Es geht aber auch um das Überleben, den Umgang mit dem Unwiderruflichen und Permanenten, das Weiterleben der Hinterbliebenen nach dem Tod dieses Nächsten und um die Verantwortung für sich selbst in dieser neuen Situation, das Weiterleben zu gestalten.

Auswirkung des Todes auf Hinterbliebene

Der Tod eines wichtigen Menschen ist einschneidend für die Hinterbliebenen: eine der schmerzlichsten Erfahrungen, die wir kennen und die oft das Leben gründlich verändert. Die Frage, ob es schwierigere oder weniger schwierige Verluste gibt, stellen wir hier nicht, denn Trauer lässt sich nicht vergleichen. Sie verletzt, hinterlässt ihre Spuren, egal wie alt die verstorbene Person war, wie sie zu Tode kam oder wie lange der Tod zurückliegt. So geht es hier um Gefühle tiefer Traurigkeit, Verzweiflung, Verwirrung, Ärger, Angst, Schuld, Erleichterung, Einsamkeit und die Einschränkungen, die Trauer verursacht.

Es geht aber auch um neue Aufgaben und Anforderungen, die manchmal eine Überforderung darstellen können. Frühere Strategien, die halfen, schwierige Zeiten zu durchleben, greifen plötzlich nicht mehr. Ein Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit macht sich breit.

Obwohl es sich bei Tod und Trauer um eine universelle Erfahrung der Menschheit handelt und all unsere Ahnen sie auch erlebt haben, fühlen sich viele Trauernde alleingelassen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Auseinandersetzung mit Trauer für den Einzelnen hochindividuell und für sein soziales Umfeld oft schwierig ist.

Von Angehörigen, Freunden, Bekannten und Kollegen der Trauernden hören wir deren Sorge um sie. Ihre Gedanken und Sorgen kreisen um die Gesundheit der Trauernden, um die Tatsache, dass sie nicht mehr »die Alten« sind oder dass sie sich aus dem Leben zurückgezogen haben, obwohl »das alles jetzt doch schon so lange her ist«. Auch sie fragen sich, was zu tun ist.

Adressaten – die »Helfer«

An wen genau richten wir nun diesen Ratgeber? Als Antwort ein kleiner Exkurs in die Statistik: Laut Statistischem Bundesamt (2015) starben im Jahr 2014 in Deutschland circa 868 000 Menschen. Wissenschaftler schätzen, dass auf jeden Todesfall vier ­Hinterbliebene, also Trauernde, kommen und etwa 4 Prozent der Trauernden einen komplizierten Trauerverlauf erleben (Kersting, Brähler, Glaesmer und Wagner, 2011). »Hinterbliebene« nennen wir manchmal die »direkt« Trauernden. Die meisten dieser Trauernden sind wiederum eingebettet in ein soziales Umfeld: Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen, Nachbarn – alle Menschen, die sich auf irgendeine Weise um die Trauernden kümmern und so zu ihren Helfern werden. Sie gehören damit zum Kreis der Trauernden; gleichzeitig werden sie als Miterlebende der anderen Trauernden zu »indirekt« Trauernden. So haben sie dann eine – oft konfliktträchtige – Doppelrolle: Hinterbliebene und Helfer zugleich.

Zum Kreis der Helfer gehören aber auch Professionelle aus dem medizinischen, psychotherapeutischen und pflegerischen Umfeld, Seelsorger, Mitglieder von Kriseninterventionsteams, Bestattungsunternehmer oder freiwillige Helfer von Hospizvereinen, Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftsgruppen oder Trauercafés.

So haben wir es dann mit einer beträchtlichen und vielfältigen Gruppe zu tun, mit privaten und professionellen Helfern. An Sie alle ist dieses Buch gerichtet. Deshalb haben wir uns bemüht, relevante wissenschaftliche Fakten allgemeinverständlich zu präsentieren. So können sowohl Hinterbliebene als auch deren unterschiedliche Helfer von diesem Buch profitieren.

Unsere Arbeit mit Trauernden

Lange Zeit haben wir uns mit Tod und Trauer auseinandergesetzt – privat und von Berufs wegen. Spätestens seit Beginn einer Forschungsstudie unter der Leitung von Professorin Rita Rosner an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Jahr 2005 hat uns das Thema »fest im Griff«. In diesem Kontext wurde an der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz Trauernden nach einem Todesfall in besonderen Fällen therapeutische Hilfe angeboten und ein Ansatz entwickelt, der die bewährten Elemente der Kognitiven Verhaltenstherapie mit Elementen aus der Lösungsorientierten und Systemischen Therapie sowie der Gestalttherapie verknüpft (siehe den Abschnitt »Kognitive Verhaltenstherapie« in Kapitel 8).

Aus unserer Erfahrung mit Patienten heraus, die Angehörige unter besonders traumatischen Umständen verloren haben, stellen wir hier nun einen weiteren, noch wesentlich stärker mit den Konzepten der Humanistischen Psychotherapie verknüpften Ansatz vor (siehe den Abschnitt »Integrative Trauertherapie« in Kapitel 8). So begegnen wir in unserer Arbeit mit trauernden Klienten dem Tod täglich auf unterschiedliche Weise. Wir können die Verzweiflung unserer Patienten sehen, ihren tiefen Schmerz erkennen, ihre Ratlosigkeit beobachten und ihre Sehnsucht und Einsamkeit fühlen. Dies bleiben aber deren Gefühle und werden nicht die unseren. Häufig ist unser Rahmen der einzige, in dem sie dies alles jemandem anvertrauen können. Sie sagen, ihre Umwelt sei im Leben schon »weiter voraus« und sie seien mit ihrer Trauer allein und »steckengeblieben«.

Es ist uns immer ein Privileg, unsere Patienten und Patientinnen in unserer Arbeit kennenzulernen. Es zeugt von großem Mut, den Schritt zu machen und sich in eine Psychotherapie zu begeben; davor haben wir großen Respekt. Das damit verbundene Vertrauen, das uns entgegengebracht wird, würdigen wir.

Trauer und Psychotherapie

Aber braucht Trauer wirklich psychotherapeutische Behandlung? Trauerforscher haben mehrfach bestätigt, dass psychotherapeutische Interventionen nach einem Todesfall nur dann hilfreich sind, wenn es sich um eine besondere Form von Trauer handelt, die sogenannte Komplizierte Trauer. Deshalb ist eine spezifische psychotherapeutische Behandlung nur dann ratsam, wenn diese Form der Trauer sich bereits manifestiert hat. Das heißt, es macht keinen Sinn, in jedem Fall eines Verlustes eine unspezifische Trauertherapie durchzuführen, sozusagen als Präventivmaßnahme, um einen komplizierten Trauerverlauf zu verhindern. Schließlich schlucken wir im Winter ja auch nicht einfach Hustensaft in der Erwartung, dass es Erkältungszeit ist und wir bald einen Husten bekommen könnten.

Im Fall der Psychotherapie für Trauer ist es sogar so, dass ein zu frühes Eingreifen den natürlichen Trauerprozess stören und den Zustand der Trauernden dabei verschlechtern könnte. Das heißt aber nicht, dass Trauernde dabei alleingelassen werden müssen. Gerade hier wird deutlich, wie wertvoll es ist, unterschiedliche, auch nicht therapeutische Hilfsangebote zu haben.

So etwa können Freunde und Verwandte dafür sorgen, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Trauernden erfüllt sind. Sie ­können Hilfe im Alltag leisten, zum Beispiel beim Einkaufen oder Kochen oder bei Behördengängen. Die Abende und das Wochenende sind für Trauernde oft schwer zu ertragen, besonders, wenn sie den Partner beziehungsweise die Partnerin verloren haben. Hier kann den Trauernden die schiere Anwesenheit eines Menschen helfen. Als wenig hilfreich dagegen haben sich permanente Aufforderungen oder Vorschläge erwiesen. Eng getaktete Aktivitätspläne fürs Wochenende sind nicht nötig. Es muss auch kein Programm abgespult werden, jedoch sollten Helfer darauf achten, wenn Trauernde Wünsche äußern. Vielleicht äußert sich der oder die Trauernde ja in der Weise, dass es schön wäre, einen Spaziergang zu machen.

Andererseits wenden sich auch immer wieder Menschen an Psychotherapeuten, die erst kürzlich einen Verlust erlitten haben und einen ›normalen‹ Trauerprozess durchlaufen. Oftmals fehlt ihnen die soziale Unterstützung oder sie sind mit der Aufforderung konfrontiert, »nach vorn zu schauen« oder »zufrieden« zu sein, weil es dem Verstorbenen nun »besser gehe«. Das Unverständnis für ihren Zustand treibt sie in die Einsamkeit. Natürlich ist es legitim, auch in einem solchen Fall psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Therapeut kann dann feststellen, ob es sich bei der Trauerreaktion möglicherweise um ein Auffscheinen eines anderen Beschwerdebildes handelt.

Geht es tatsächlich ›nur‹ um ein normales Trauererleben, so reichen vielleicht ein paar Termine aus, in denen psychoedukativ gearbeitet wird. Der Trauernde lernt darin, seine Trauerreaktion als normal anzunehmen, was oft Erleichterung bringt. Da es sich bei der sogenannten normalen Trauer aber nicht um ein pathologisches Phänomen handelt, bedarf es auch keines störungsspezifischen Eingriffs.

Es kann auch vorkommen, dass sich in der Trauerreaktion eine allgemeinere Problematik im Gestalten von Beziehungen zeigt. Der Trauernde zieht sich komplett zurück, schottet sich von anderen ab oder hat das Gefühl, gar nicht mehr verstanden zu werden und allein dazustehen. Der Trauernde hinterfragt seine Existenz, zweifelt an einer höheren Macht, falls er vorher gläubig war, oder erlebt, dass sich plötzlich alle Spielregeln des Lebens geändert haben. Der daraus entstehende Selbstwertverlust kann auch den Wunsch nach einer Psychotherapie entstehen lassen. Trauer wird ›kompliziert‹, nicht nur weil das Gewicht des Verlustes so groß ist – das mag auch eine Rolle spielen –, sondern weil die Einstellung auf das Leben ›danach‹ nicht gelingt und dabei die Änderungen der zu gestaltenden Beziehungen die Betroffenen überfordern.

Noch einmal müssen wir klarstellen, dass professionelle Psychotherapie in professionelle Hände gehört. Aber Psychotherapeuten repräsentieren nur eine Gruppe von Helfern. Außer dem therapeutischen Angebot – oder zusammen mit diesem – gibt es eine Vielzahl von Angeboten, die Trauernden helfen. Viele andere Helfer und deren Hilfsangebote, die wie bereits beschrieben ganz unterschiedlicher Natur sein können, sind gleichermaßen wichtig.

Integratives Denken fördert Kooperation

In der wissenschaftlichen und fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Trauer kollidieren immer wieder unterschiedliche Theorien, Meinungen oder Disziplinen. Wir bevorzugen hier eine integrative und komplementäre Perspektive, in der bestimmte Ansätze gleichzeitig angewendet werden, die sich in der Praxis bewährt haben. Damit setzen wir auf Toleranz gegenüber und Kooperation mit anderen Hilfsmaßnahmen im Gegensatz zu Konkurrenzdenken oder Besserwisserei. Deshalb verzichten wir auf die Beurteilung der verschiedenen Hilfsangebote, die Trauernden zur Verfügung stehen, und betrachten sie nicht als ›alternativ‹, sondern als ›komplementär‹, also ergänzend. Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, zusätzlich zu einer Therapie auch einen Meditationskurs zu besuchen oder sich Massagen für das körperliche Wohl­ergehen zu gönnen. Auch schließt eine Psychotherapie nicht aus, dass zusätzlich noch religiöse seelsorgerische Angebote in Anspruch genommen werden, wenn Menschen gläubig sind.

Formalitäten

Fallbeispiele

Wir haben unsere Überlegungen durchgängig immer wieder mit Beispielen unterlegt. Diese beziehen sich auf unseren westlichen Kulturkreis. Die Beispiele sind von uns so verändert, dass sie nicht auf eine spezifische Person zutreffen. Mit doppelten Anführungszeichen gekennzeichnete Formulierungen sind Ausdrücke, die von Trauernden immer wieder wörtlich so verwendet worden sind. Wir betonen aber, dass die erwähnten Beispiele stets nur Einzelfallszenarien darstellen. Sie, als Leserin oder Leser, mögen sich deshalb nicht mit allen Details identifizieren können. Das heißt aber nicht, dass bei Ihnen etwas »falschläuft«, sondern deutet lediglich auf die Individualität der Trauer hin.

Geschlechterbezug

Beim Schreiben haben wir auf umständliche oder den Lesefluss beeinträchtigende Geschlechteranreden verzichtet. Da die Trauer vor keinem Geschlecht Halt macht und auch wir beiden Autoren unterschiedlichen Geschlechts sind, wechseln wir durchgängig, wenn auch unregelmäßig mit der Geschlechterform ab.

Sprache

Die deutsche Sprache bietet uns wenig Differenzierung bezüglich unserer Verlusterfahrungen, im Gegensatz beispielsweise zur englischen Sprache. Wenn wir im Deutschen einfach von Verlusten sprechen, könnte es sich um alle möglichen Verlustsituationen handeln, nicht nur um Verlust durch Tod. Die englische Sprache bietet den Begriff ›bereavement‹ an. Dabei wird schon deutlich, dass ein solch spezieller Begriff auch eine besondere Reaktion auf einen ganz bestimmten Verlust markiert, nämlich den Verlust eines Menschen durch Tod.

Ebenso wird der Begriff ›Trauer‹ im angelsächsischen Sprachraum differenzierter ausgedrückt, als wir es im deutschsprachigen Raum kennen. So gibt es den Begriff ›grief‹, der die individuelle, interne, emotionale Reaktion beschreibt. Die Beschreibung des öffentlichen, nach außen gerichteten oder ritualisierten Ausdrucks von Trauer hingegen wird mit ›mourning‹ bezeichnet. So wird deutlich, dass es sich bei der Trauerreaktion um ein vielschichtiges Phänomen handelt, bei dem wir es einerseits mit inneren, individuellen, andererseits aber mit äußeren, ritualisierten Prozessen zu tun haben. Letztere sind in der Regel durch Kultur und Religion bestimmt. Dabei geben diese kulturellen Ordnungen eine anleitende und sinnstiftende Orientierungshilfe. Ein Festhalten daran bietet uns eine Struktur, eine Rezeptur, an der wir uns entlangtasten, orientieren können, wenn wir den eigenen Halt verloren haben. Ein Ausbruch aus diesen Normen oder deren Ignorieren würde aber mit großer Kraftanstrengung verbunden sein.

Vielleicht fällt Ihnen beim Lesen dieses Buches auf, dass wir den Ausdruck des ›lieben‹ Menschen, der verstorben ist, vermeiden. Das heißt natürlich nicht, dass es sich für die meisten Trauernden nicht tatsächlich um einen von ihnen geliebten Menschen handelt, der gestorben ist. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass es gelegentlich auch – oder gerade – die Menschen sein können, die wir (vermeintlich) nicht geliebt haben, um die wir nun trotzdem trauern. Auch ihr Verlust kann durchaus einschneidend für uns sein. Deshalb bevorzugen wir den Ausdruck des »nahestehenden« oder »wichtigen« Menschen.

Insgesamt werden Sie vermutlich feststellen, dass Sprache und Ausdruck manchmal sachlich, ein anderes Mal vielleicht provozierend oder fast ungebührlich erscheinen. Dieser unterschiedliche Duktus ist gewollt: Er möchte Neugier und Gedanken wecken, manchmal vielleicht auch aufrütteln und ermuntern auf diesem schwierigen Weg. Wir möchten Sie auf diesem Weg begleiten und wünschen Ihnen dabei viel Neugierde.

Dieses Buch ist nicht als Vorlage von sogenannten Dos und Don’ts zu verstehen. Denn jedes Leben, jedes Schicksal ist absolut einmalig, während seiner Existenz und wenn diese zu Ende gegangen ist, es ist unwiederbringlich, für immer. Was weiterlebt, ist die versuchte Reaktivierung gemeinsamen Erlebens in der Erinnerung – im Bewusstsein der Überlebenden. Der Verlust innerhalb des Bewusstseins der Trauernden steht bei der Trauer und damit auch bei der Begleitung der Trauernden im Vordergrund. Die Trauer ist immer ein intrapsychischer Prozess, der aber auch nach außen im Verhalten der Trauernden sichtbar wird. Trauer ist somit ein Lebensprozess, für dessen Gestaltung jeder Trauernde allein verantwortlich ist.

Es geht also immer um die Psyche des Trauernden, um einen lebendigen Vorgang im Hier und Jetzt und in diesem Sinne nicht um die verstorbene Person. Gleichzeitig aber birgt das Verhalten Trauernder eine Botschaft für ihre Umwelt. Der intrapsychische Charakter des Trauerprozesses schafft auch eine gewisse Freiheit und damit Eigenverantwortung, ihn zu gestalten. Das gilt für den Umgang des Trauernden mit sich selbst, aber auch mit anderen.

Diesen Aspekt – Freiheit und Eigenverantwortung im Trauern – würden wir, neben der Bedeutung der Selbstakzeptanz, gerne in den Vordergrund unserer Betrachtungen stellen. Selbstakzeptanz ist in der Trauer deshalb so wichtig, weil viele Trauernde dazu tendieren, sich mit Selbstvorwürfen zu belasten. Zum Beispiel mit dem Vorwurf, dem Verstorbenen gegenüber etwas versäumt zu haben. Da es ein Tabu ist, Aggressionen an den Verstorbenen zu richten, wenden viele Trauernde die aufgestaute Aggression gegen sich selbst. Hier ist wichtig, dass Trauernde dazu angeleitet werden, sich selbst und ihre Gefühle so zu akzeptieren, wie sie sind.

Beim Lesen dieses Buches mögen Sie gelegentlich vielleicht feststellen, dass wir, die beiden Autoren, das Thema jeweils selbstbestimmt aus verschiedenen Richtungen beleuchten, weil wir auch unterschiedliche Sichtweisen haben und somit nicht immer gleicher Meinung sind. Wir halten das nicht für notwendig, aber sehen dies als eine Möglichkeit, die Komplexität dieses Themas zu illustrieren.

Wir wünschen uns, dass Sie, liebe Leserin und lieber Leser, in Ihrer Rolle als Trauerbegleiterin oder Trauerbegleiter die in diesem Buch angebotenen Informationen für sich aufnehmen, reflektieren und sich auch selbst und eigenverantwortlich entscheiden, welche Inhalte davon Sie gegebenenfalls umsetzen. Wir möchten mit unserer Information ein Angebot machen, das Ihnen hilft, Ihren eigenen Weg zu beschreiten, wenn Sie als Helfer gerufen werden. Unsere Vision ist es, dass dieses Buch nicht nur eine Informationsquelle, sondern auch ein Advokat für alle Trauernden und deren Helfer sein kann, mit Trauer auf ihre ganz eigene Weise umzugehen. Dabei ist alles offen. So kann es durchaus passieren, dass Sie sich beim Lesen dieses Buches auf unbekanntes Terrain begeben.

1. Sterben, Tod und Trauer – früher und heute

Sterben, Tod und Trauer gehören zur Geschichte der Menschheit. Religionen entstanden ja unter anderem auch aus dem Grund, die Angst vor dem eigenen Tod und die Trauer um die Verstorbenen erträglicher zu machen. Tatsächlich war der Umgang mit Tod und Trauer für die längste Zeit primär in der Domäne der Religionen angesiedelt. Die Erklärung dafür, warum ein Mensch stirbt und was mit ihm post mortem geschieht, findet sich zum Beispiel im christlichen Glauben in der Annahme, dass es sich dabei um Gottes Willen handele und dass der Mensch zu ihm (zurück)kehre; religionsimmanent ergibt dies einen Sinn und soll gleichzeitig trostspendend sein. Andere Religionen folgen ähnlichen Denkprinzipien, auch wenn sich diese – gemäß dem jeweiligen Religionsverständnis – anders darstellen. So ist zum Beispiel im Buddhismus nicht das weitere Leben oder das Weiterleben erstrebenswert, sondern das ultimative Ende, das Nirwana.

Die Orientierung zur Religion hin hat sich aber in der Neuzeit zumindest in Mitteleuropa deutlich geändert. Logisches Denken und kritisches Hinterfragen haben im westlichen Kulturkreis die uneingeschränkt übernommenen Lehren der Religionen zurückgedrängt. Andere Wissenschaften, voran die Psychologie, Sozialwissenschaften und Medizin, haben sich ebenso des Themas Tod und Trauer angenommen. Sterben und Tod haben sozusagen einen Sinneswandel erfahren. Das Konstrukt Trauer ist dadurch deutlich komplexer und facettenreicher geworden.

Durch viele Jahrhunderte hinweg bezeugen Literatur, Architektur, Kunst und Musik das Leid vieler Menschen, verursacht durch ihre Trauer. Man bedenke die Verzweiflung des Hiob aus dem Alten Testament, der in seinem Trauerschmerz den Tag seiner Geburt verflucht, und das Märchen der Gebrüder Grimm von Aschenputtel, dem Mädchen, das jeden Tag zum Grab der Mutter geht und weint.

Oder man erinnere sich nur an das prächtige Taj Mahal, das ein indischer Mogul als Grabstätte für seine Frau errichten ließ. Zu ihren Ehren und als Ausdruck seiner Liebe und Verehrung zu ihr, wie es heißt. Es wird aber auch gemunkelt, dass er eine weitere Grabstätte für sich selbst plante, die dem Taj Mahal ähneln sollte, als Ausdruck seiner Verbundenheit zu ihr – auch über den Tod hinaus. Und in seinem Song ›Tears in Heaven‹ betrauert Eric Clapton den Unfalltod seines vierjährigen Sohnes im Jahr 1991 und stellt sich die Frage, wie eine mögliche Begegnung im Himmel wohl aussehen möge.

Wenn es früher hauptsächlich die Religionen waren, die bei Trauer Antwort und Trost geben sollten, haben wir heute große Freiheiten, was unsere Erklärungshilfen und unsere Trauer betrifft und wo wir Rat und Hilfe suchen. Rituale wie das Trauerjahr mit all seinen Umgangsregeln boten einst einen Leitfaden dafür, was zu tun und was zu lassen ist: kein Tanz, keine lauten Feste, dafür schwarze oder gedeckte Kleiderfarben – um nur einige Beispiele zu nennen. Heute stellt sich oft eine Unsicherheit ein, wie man im ersten Jahr »über die Runden kommt« – trotz oder gerade wegen dieser Freiheit, die wir genießen. Bezahlt haben wir unsere Freiheit nämlich mit dem Aufgeben oder zumindest Aufweichen dieser Regeln und Rituale, die eine Struktur in schwierigen Zeiten schafften und uns oft als Stütze dienten.

Ausdruck unserer Trauer findet sich auch in unseren Begräbnisritualen und Begräbnisstätten, welche über die Jahrhunderte ­hinweg und in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Formen annahmen. In unserer westlichen Kultur kennzeichnete fast immer das Begräbnis den Anfang der Trauerarbeit. Begräbnisstätten waren Orte der Verbindung zwischen Lebenden und Toten. Waren Friedhöfe einmal Stätten der Ruhe und Besinnung, wo selbst die Adeligen nicht zu Pferde einreiten durften, sondern von ihrem ›hohen Ross‹ steigen mussten, so herrschte ein andermal reges Treiben und Unterhaltung dort. Die Tradition von Massengräbern wechselte zu Einzel- oder Familiengräbern, in ­neuerer Zeit aber wieder zu modernen Formen des Massengrabes als anonyme Bestattungen auf großen Feldern, in Friedwäldern oder bei Seebestattungen zum Beispiel. Außerhalb unserer deutschen Gesetzlichkeit bezeugt das Verstreuen der Asche in Ozeane oder auf Bergen die Verbundenheit des Menschen mit einem Größeren.

Schnell wird deutlich, dass die Grabstätte selbst nicht mehr immer eine Verbindung mit den Verstorbenen herstellt oder gar gewährleistet. Gräber im Sinne von Gedenkstätten müssen wir dann woanders finden. Sie können die unterschiedlichsten Formen annehmen: der Sessel am Fenster, der Picknickplatz am See, die Parkbank im Wald, eine spezielle Baumart, die überall stehen kann, ein besonderes Panorama, eine bestimmte Wetterlage oder eine Passage einer Sinfonie; eben immer dann und dort, wo die Nähe zur verstorbenen Person gefunden wird. Im Zeitalter der mobilen Gesellschaft ein wichtiger Punkt, der Flexibilität fordert und bietet. So sind Grabstätten und Gräber oft zweierlei. Grabstätten sind da, wo die Verstorbenen bestattet sind. Gräber sind dort, wo wir den Verstorbenen nahe sind.

Außerdem fordert unsere Gegenwart im Rahmen der sogenannten Integration auch gesetzliche Anpassungen an die Trauerrituale nicht christlicher Religionen, z. B. wenn religiöse Einstellungen eine Erdbestattung ohne Sarg vorsehen.

Auch die Riten in Verbindung mit dem nahenden Tod und dem Umgang mit den soeben Verstorbenen haben sich gewandelt. Wenn früher der Sensenmann seinen Tribut forderte, dann kam er in die Häuser der Menschen, denn gestorben wurde meist daheim. Spiegel wurden verhängt und die Fenster geöffnet, um die Seele entweichen zu lassen. Der Leichnam wurde von Angehörigen und Freunden gewaschen, eingekleidet und aufgebahrt. Das sonst private Haus wurde zu einem öffentlichen. Angehörige, Freunde, Nachbarn, das ganze Dorf kam, um sich zu verabschieden. Totenwache war Ehrensache und sollte verhindern, dass die Toten als Geister zurückkehrten. Alle halfen. Kinder wurden nicht ferngehalten; auch sie nahmen an diesen Abschiedsritualen teil. Jeder wusste, dass der Leichnam mit den Füßen voraus aus dem Haus getragen werden musste, damit sein Geist nicht zurückkehrte. Und alle standen Spalier, wenn dies geschah. Der Tod war ein Teil des Alltags und Sterben geschah im Kreis der Familie. Entsprechend beeinflusste dies die Art zu trauern. Die Unterstützung durch die Gemeinschaft war und ist dabei ein wichtiger Baustein.

Heute finden sich diese Bräuche hierzulande kaum noch, höchstens in ländlichen Gebieten; oder wieder in der Zusammenarbeit mit Bestattungsinstituten, die die Hinterbliebenen auf besondere Weise an den entsprechenden Ritualen teilnehmen lassen. In abgewandelter Form gibt es solche Bestattungsriten aber zum Beispiel in den USA, bei den sogenannten »wakes«. Oder wir finden es beim Schiv’a-Sitzen in der jüdischen Tradition.

Wenn die Menschen früher zu Hause starben, so sterben heutzutage die meisten im Krankenhaus oder in anderen Institutionen. Todesursache ist, in den Augen der meisten Angehörigen, nicht mehr in erster Linie Gottes Wille, und es ist auch nicht mehr der Sensenmann, der sein Opfer abholt; Ursache des Todes ist das Versagen oder die Grenzen menschlicher und medizinisch-technischer Fähigkeiten.

Die Totengräber von einst sind heute moderne Bestattungs­unternehmen oder Friedhofsangestellte. Oft werden die Toten schnell vom Ort des Sterbens entfernt und in Kühlfächern ­aufbewahrt, bevor der Leichnam entsorgt wird. Große städtische Friedhöfe hängen lange Listen mit den Namen der Verstorbenen aus, deren geschlossene Särge oder Urnen hinter Schaufenstern ­ausgestellt sind und deren Standort mit GPS-ähnlichen Angaben gefunden werden kann. Die Trauerfeiern werden im Viertelstundentakt der großen urbanen Friedhöfe abgewickelt und vielfach nur von den nächsten Angehörigen besucht. Bestattungsriten ­werden von Fremden zelebriert, die weder die Verstorbenen kannten noch deren Angehörige kennen. Die Bestattung reduziert sich auf ein fast artifizielles Ritual, das einer emotionalen Stütze oft gänzlich entbehrt. Kinder werden von den Verstorbenen oder Begräbnissen ferngehalten, um sie mit diesen Dingen nicht zu belasten.

Obwohl diesen modernen Ritualen und Gepflogenheiten keine Pietätlosigkeit unterstellt werden darf, so bezeugen sie doch eine Auslagerung des Themas Tod aus unserem Leben. Unsere Trauer findet dadurch keinen Anker. Die Beziehungen des Alltags sollen möglichst wenig von dem Verlust und seinen emotionalen Folgen »tangiert« werden, ein Ausdruck der Dissoziation des Todes aus dem Leben – und damit der Verarmung des Lebens und der gelebten Beziehungen. Denn die Kontrollierbarkeit unserer Existenz soll offensichtlich nicht in Frage gestellt werden.

Auch unsere innere Erwartungshaltung gegenüber dem Tod hat sich verändert. Fortschritte der modernen Medizin tragen nicht unwesentlich zu unserer stetig steigenden Lebenserwartung bei. So betrachten wir heute Kindersterblichkeit deutlich anders, als es unsere Vorfahren taten. Es erreichten zum Beispiel von Albrecht Dürers siebzehn Geschwistern insgesamt nur zwei das Erwachsenenalter. Und dass die Lebenserwartung von Frauen heute über der von Männern liegt, hat unter anderem mit der Bewältigung des Kindbettfiebers zu tun, dem viele junge Frauen in früherer Zeit zum Opfer fielen. Entsprechend folgern wir heute, dass die Alten vor den Jungen sterben, und betrachten die Statistiken als normal, die uns mitteilen, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer.

Insgesamt kann man postulieren, dass unsere große Freiheit im Umgang mit Tod und Trauer uns auch ein Stück Sicherheit gekostet hat, die ursprünglich durch gegebene Strukturen zur Verfügung stand. Durch das Fehlen formaler alter Rezepturen fühlen sich viele Trauernde alleingelassen: in ihrem Alltag und in ihrem Schmerz. Verschiedene Hilfsangebote können jetzt für sie nützlich sein.

Trauermodelle

Das letzte Jahrhundert wies uns mit Wucht auf Verlust und Trauer hin: Neben persönlichen Todesverlusten eines jeden Einzelnen waren es Aufstände und Revolutionen, Kriege, Holocaust, Terrorismus und Naturkatastrophen, gepaart mit der allzeit bereiten medialen Berichterstattung der neueren Zeit. Menschliche Verluste waren allgegenwärtig und nicht zu ignorieren.

Das Thema Trauer trat aus dem Kreis der Religionen heraus und wurde Gegenstand der medizinischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Trauer wurde zunehmend differenziert betrachtet und unterschiedliche Trauerverläufe, z. B. jener der Komplizierten Trauer, wurden beschrieben. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Modelle entwickelt, um den Trauerprozess besser beschreiben zu können. Die wichtigsten Modelle werden wir nachfolgend darstellen. Sie tragen zum Verständnis der Entwicklung des Konstrukts des komplizierten Trauerverlaufs bei.

Trauerarbeit (Sigmund Freud)

Auch wenn sich natürlich schon andere Autoren vor ihm des Themas Sterben, Tod und Trauer annahmen und obwohl seine Thesen nie mit Hilfe heute üblicher Methoden wissenschaftlich, also empirisch überprüft wurden, wird Sigmund Freud oft als Vater der Trauerforschung genannt.