Wer ernährt die Welt wirklich? - Vandana Shiva - E-Book

Wer ernährt die Welt wirklich? E-Book

Vandana Shiva

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Beschreibung

In dieser Abrechnung der Aktivistin Vandana Shiva wird eindrucksvoll dargelegt, wie die Agrargroßindustrie mit Chemie und Gentechnik den Planeten plündert, die Lebenswelt zugrunde richtet und unsere Gesundheit untergräbt. Und sie zeigt faktenreich und sachkundig auf, wer wirklich unsere Nahrungsgrundlage sicherstellt und wie wir den Hunger besiegen und unsere Nahrungssicherheit wieder herstellen können. Nur 30 Prozent der von den Menschen verzehrten Lebensmittel stammen aus industriellen Großbetrieben, 70 Prozent aus kleinen, biologisch vielfältigen Betrieben. Dafür werden 75 Prozent der ökologischen Zerstörung unseres Bodens, unseres Wassers und unserer biologischen Vielfalt durch industrielle Anbaumethoden verursacht, und 40 Prozent der Klimaverwüstung, die wir heute erleben, ist auf die industrielle globalisierte Landwirtschaft zurückzuführen. Das heißt: Die industrielle Landwirtschaft wird, bis sie auch nur 40 Prozent unserer Nahrungsmittelversorgung bereitstellen kann, 100 Prozent unserer ökologischen Lebensgrundlage zerstört haben. Dies ist ein Rezept für unser Aussterben, nicht für die Ernährung der Welt. Der biologische Anbau in landwirtschaftlichen Betrieben und Gärten überall muss zur planetarischen Mission werden. Wir müssen für ein Ernährungs- und Landwirtschaftssystem innovativ tätig werden, das die Erde, unsere Gemeinschaften, unsere Städte und unsere Gesundheit regeneriert. Das ist Agrarökologie.

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Seitenzahl: 318

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Vandana Shiva

Wer ernährt die Welt wirklich?

Das Versagen der Agrarindustrie und die notwendige Wende zur Agrarökologie

Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2021

Vandana Shiva

Wer ernährt die Welt wirklich?

© Giangiacomo Feltrinelli Editore srl, Milano, 2015

Erstmals veröffentlicht als Chi nutrirà il mondo von Vandana Shiva im April 2015 von Giangiacomo Feltrinelli Editore, Mailand, Italien.

Das Recht von Vandana Shiva, als Autorin dieses Werkes identifiziert zu werden, wurde von ihr in Übereinstimmung mit dem Copyright, Designs and Patents Act, 1988 geltend gemacht.

Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Lentz anhand der englischen Ausgabe Who really feeds the World? erschienen bei ZED Books, London.

© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlag:

Illustration: Val_Iva/shutterstock.com

Gestaltung: Dragon Design, GB

Satz und Gestaltung:

Dragon Design, GB

eISBN 978-3-89060-361-2

ISBN 978-3-89060-798-6

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de

Für alle Wesen, die uns Nahrung geben.

Für Richa und ihr Lektorat.

Vorbemerkung des Verlages

Das Buch wurde bereits 2014 verfasst, und die Zahlen stammen aus jenem Jahr. Gleichwohl ist das Buch in seinen Grundaussagen höchst aktuell, und an den Verhältnissen, die die damaligen Zahlen widerspiegeln, hat sich wenig geändert – und wenn, dann zum Schlechteren. Die Zeit verrinnt, eine Umkehr zu einer lebensförderlichen Agrarökologie ist ein Gebot dringlichster Notwendigkeit.

Inhalt

Einführung

1. Agrarökologie ernährt die Welt, nicht ein gewalttätiges Wissensparadigma

2. Lebendiger Boden ernährt die Welt, nicht chemische Düngemittel

3. Bienen und Schmetterlinge ernähren die Welt, nicht Gifte und Pestizide

4. Biodiversität ernährt die Welt, nicht giftige Monokulturen

5. Kleinbauern ernähren die Welt, nicht industrielle Großbetriebe

6. Saatgutfreiheit ernährt die Welt, nicht Saatgutdiktatur

7. Lokalisierung ernährt die Welt, nicht Globalisierung

8. Frauen ernähren die Welt, nicht Konzerne

9. Der Weg in die Zukunft

Anhang:

Ag One: Die Rekolonialisierung der Landwirtschaft

Endnoten

Abbildungsverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Einführung

Wir sind mit einer tiefen und sich verschärfenden Krise konfrontiert, die in der Art und Weise begründet ist, wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, verarbeiten und verteilen. Das Wohlergehen des Planeten, die Gesundheit der Menschen und die Stabilität der Gesellschaft sind durch eine globalisierte industrielle Landwirtschaft, von Gier und Profitdenken getrieben, ernsthaft bedroht. Ein ineffizientes, verschwenderisches und nicht nachhaltiges Modell der Nahrungsmittelproduktion treibt den Planeten, seine Ökosysteme und seine vielfältigen Arten an den Rand der Vernichtung. Nahrungsmittel, deren Hauptzweck eigentlich darin besteht, für Nahrung und Gesundheit zu sorgen, sind heute das größte Gesundheitsproblem der Welt: Fast eine Milliarde Menschen leiden an Hunger und Unterernährung, zwei Milliarden leiden an Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes, und unzählige andere leiden an Krankheiten, einschließlich Krebs, die durch die Gifte in unserer Nahrung verursacht werden.1

Anstatt Grundlage unserer Ernährung zu sein, wurde Nahrung zu einer Ware: zu etwas, mit dem man spekulieren und mit dem man Profit machen kann. Dies führt zu steigenden Lebensmittelpreisen und schafft überall soziale Instabilität. Seit 2007 gab es 51 Lebensmittelaufstände in 37 Ländern, darunter Tunesien, Südafrika, Kamerun und Indien.2 Das Ernährungssystem ist in jedem der Aspekte, auf die es ankommt, schwer gestört: Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Frieden.

Heute ist eine Alternative zu diesem System zu einem Imperativ für unser Überleben geworden. Beginnen wir also mit der Frage: »Wer ernährt die Welt?«

Ernährung und Landwirtschaft sind zu Schauplätzen großer Paradigmenkriege geworden. Auf der Basis dieser beiden gegensätzlichen Paradigmen wird jeweils eine bestimmte Art von Wissen, Wirtschaft, Kultur und natürlich auch von Landwirtschaft umgesetzt. Jedes dieser Paradigmen behauptet von sich, die Welt zu ernähren; doch in Wirklichkeit tut dies nur ein Paradigma.

Das vorherrschende Paradigma ist ein industrielles, mechanisiertes Paradigma, das zum Zusammenbruch unserer Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme geführt hat. Diese Krise ist kein Zufall; sie ist in den Bauplan des Systems selbst eingebaut. Das Herzstück dieses Paradigmas ist das Gesetz der Ausbeutung, das die Welt als eine Maschine und die Natur als tote Materie betrachtet. Dieses Paradigma sieht den Menschen als von der Natur getrennt und jeden Teil der Natur als vom Übrigen trennbar an: den Samen vom Boden, den Boden von der Pflanze, die Pflanze von der Nahrung und die Nahrung von unserem Körper. Das industrielle Paradigma beruht darauf, Mensch und Natur als bloße »Inputs« in einem Produktionssystem zu sehen. Die Produktivität der Erde und ihrer Menschen wird durch ein fein gesponnenes gedankliches Konstrukt unsichtbar gemacht, und Kapital und Konzerne werden als Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft dargestellt.

Das Paradigma der industriellen Landwirtschaft wurzelt im Krieg: Sie verwendet buchstäblich dieselben Chemikalien, um die Natur zu zerstören, die einst zur Ausrottung von Menschen eingesetzt wurden. Das Paradigma beruht auf der Annahme, dass jedes Insekt und jede Pflanze als Feind anzusehen ist, der mit Giften ausgerottet werden muss, und sucht ständig nach neuen und stärkeren Gewaltinstrumenten; dazu gehören Pestizide, Herbizide und gentechnisch veränderte Pflanzen, die Pestizide erzeugen. Während die Technologien der Gewalt immer raffinierter werden, schrumpft das Wissen über Ökosysteme und Biodiversität. Je tiefer die Ignoranz gegenüber der reichen biologischen Vielfalt und den ökologischen Prozessen des Planeten geht, desto größer wird die Arroganz der zerstörerischen Konzerne, die behaupten, Schöpfer zu sein. Das Leben wird neu definiert: als Erfindung derjenigen, deren einzige Fähigkeit darin besteht, es zu vergiften und zu töten.

Werkzeuge, die mit dem Ziel zu beherrschen erfunden wurden und dem Gesetz der Ausbeutung und Dominanz unterliegen, schaden der Gesundheit der Menschen und der Umwelt. Diese Werkzeuge sind oft Gifte, die als »Agrochemikalien« vermarktet werden, und man sagt uns, dass Landwirtschaft ohne sie heute nicht mehr möglich sei. In Wirklichkeit prägen die Konzerne, die diese Chemikalien herstellen, das Paradigma der Möglichkeiten. Sie definieren, was Wissenschaft ist, wie ein effizientes Nahrungsmittelproduktionssystem aussieht und wo die Grenzen von Forschung und Handel verlaufen sollten. Übertragen auf die Landwirtschaft und das Ernährungssystem bringt ein Paradigma, das in der Gewalt des Krieges und einer militarisierten Denkweise wurzelt, den Krieg auf unsere Felder, auf unseren Teller und in unseren Körper.

Aber es gibt noch ein weiteres, ein im Wiedererstehen begriffenes Paradigma: eines, das die Kontinuität mit althergebrachten Formen der Zusammenarbeit mit der Natur aufrechterhält und dem Kreislaufgesetz von Ausgleich und Rückführung folgt. Nach diesem Gesetz geben und nehmen alle Lebewesen wechselseitig. Dieses ökologische Paradigma der Landwirtschaft beruht auf dem Leben und dem Eingebunden-Sein. Und es ist auf die Erde und die Kleinbauern, insbesondere auf die Bäuerinnen, ausgerichtet. Es erkennt das Potential fruchtbringenden Saatguts und fruchtbarer Böden zur Ernährung der Menschheit und der verschiedenen Arten, mit denen wir alle als Erdenbewohner verwandt sind. In diesem Paradigma besteht die Rolle der menschlichen Gemeinschaft darin, als Mitschöpfer und Mitproduzenten mit Mutter Erde zusammenzuwirken. In diesem Paradigma ist Wissen kein Besitz; vielmehr erwächst Wissen aus der Praxis einer Landwirtschaft, bei der wir alle am Netz des Lebens teilhaben. In der ökologischen Landwirtschaft werden die Kreisläufe der Natur intensiviert und diversifiziert, um mehr und bessere Lebensmittel zu produzieren und dabei weniger Ressourcen zu verbrauchen. Im ökologischen Landbau werden die Abfälle der Pflanzen zu Nahrung für Nutztiere und Bodenorganismen. Bei Einhaltung des Kreislaufgesetzes gibt es keinen Abfall; alles wird wiederverwertet.

Ökologische Ernährungssysteme sind regionale Ernährungssysteme, die anbauen, was sie können, und nur wirkliche Überschüsse exportieren; es wird importiert, was vor Ort nicht angebaut werden kann. Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit ergeben sich auf natürliche Weise aus dem Kreislauf der Rückführung und aus der Lokalisierung der Nahrungsmittelproduktion. Die Ressourcen der Erde, die für die Aufrechterhaltung des Lebens unabdingbar sind, wie die biologische Vielfalt und das Wasser, werden als »Gemeingut« verwaltet oder als gemeinschaftlich genutzte Räume. Das ökologische Paradigma kultiviert Mitgefühl für alle Lebewesen, einschließlich der Menschen, und stellt sicher, dass niemandem sein oder ihr Anteil an der Nahrung vorenthalten wird.

Heute steht das industrielle Paradigma dem ökologischen Paradigma diametral gegenüber, und das Gesetz der Ausbeutung steht dem Gesetz des Ausgleichs gegenüber. Dies sind Paradigmenkriege der Wirtschaft, der Kultur und des Wissens, und sie bilden die Grundlage der Nahrungsmittelkrise, mit der wir es heute zu tun haben.

»Wer ernährt die Welt?« Die Antwort hängt davon ab, welches Paradigma wir als Linse nehmen, denn die Bedeutung von »Nahrung« und »Welt« unterscheidet sich zwischen den beiden Paradigmen sehr stark. Lassen Sie uns dies zunächst aus der Perspektive des vorherrschenden Paradigmas untersuchen: der industriellen, mechanisierten Landwirtschaft.

Unter diesem Paradigma ist »Nahrung« eine bloße Ware, die um des Gewinns willen produziert und gehandelt wird, und die »Welt« ist ein globaler Marktplatz, auf dem Saatgut und Chemikalien als landwirtschaftliche Betriebsmittel und Erzeugnisse als Ware »Lebensmittel« verkauft werden. Wenn man den Planeten durch diese Linse betrachtet, dann sind es chemische Düngemittel und Pestizide, Saatgut und GVO, Agrarindustrie und Biotechnologiekonzerne, die die Welt ernähren.

Die Realität sieht jedoch so aus, dass nur 30 Prozent der Lebensmittel, die die Menschen essen, aus industriellen Großbetrieben stammen. Die anderen 70 Prozent stammen von Kleinbauern, die auf kleinen Parzellen arbeiten.3 Inzwischen verursacht die industrielle Landwirtschaft 75 Prozent der ökologischen Schäden auf unserem Planeten.4 Diese Zahlen werden regelmäßig ignoriert, versteckt und geleugnet, und der Mythos, dass die industrielle Landwirtschaft die Welt ernährt, wird weltweit propagiert.

Ein mechanisiertes, gewalttätiges Paradigma prägt das Wissen und die vorherrschenden Ansichten über Wissenschaft, Technologie und Politik für Ernährung und Landwirtschaft. In Wirklichkeit kann ein Ernährungssystem, das die Wirtschaft der Natur zerstört – das ökologische Fundament, auf dem die Nahrungsmittelproduktion beruht –, die Welt nicht ernähren. Ein Agrarsystem, das darauf abzielt, Kleinbauern zu verdrängen, die die soziale Grundlage der wirklichen Landwirtschaft bilden, kann die Welt nicht ernähren. Jeder Aspekt der industriellen Landwirtschaft zerreißt das zerbrechliche Netz des Lebens und zerstört die Grundlagen der Ernährungssicherheit.

Die industrielle Landwirtschaft tötet Bestäuber und nützliche Insekten. Seiner Zeit um Jahre voraus, warnte Einstein: »Wenn die letzte Biene verschwindet, wird auch der Mensch verschwinden.« In den letzten drei Jahrzehnten sind in einigen Regionen 75 Prozent der Bienenpopulationen durch giftige Pestizide getötet worden.5 Chemische Pestizide töten Nützlinge und schaffen an ihrer Stelle Schädlinge. Synthetische Düngemittel zerstören die Bodenfruchtbarkeit, indem sie Bodenorganismen abtöten, die auf natürliche Weise lebenden Boden schaffen, und chemische Düngemittel tragen darüber hinaus zur Bodenerosion und Bodendegradation bei.

Die industrielle Landwirtschaft treibt Raubbau mit Wasser und verschmutzt es. 70 Prozent des Wassers auf dem Planeten werden durch die intensive Bewässerung, die in der chemieintensiven industriellen Landwirtschaft erforderlich ist, verbraucht und verschmutzt.6 Die Nitrate im Wasser aus industriellen Landwirtschaftsbetrieben schaffen »tote Zonen« in den Ozeanen: Bereiche, in denen kein Leben existieren kann. Die industrielle Landwirtschaft ist in erster Linie eine von fossilen Brennstoffen angetriebene Landwirtschaft. Die Ersetzung von Menschen durch fossile Brennstoffe ist entsprechend einer Logik, die Menschen als Rohstoff oder landwirtschaftliche Betriebsmittel behandelt, scheinbar effizient durchgeführt worden. Aber die finanziellen und ökologischen Kosten der fossilen Brennstoffe sind astronomisch. In der US-Landwirtschaft hat jeder der dort Arbeitenden mehr als 250 versteckte »Energiesklaven« hinter sich. Ein Energiesklave ist der fossile Brennstoff, der einer Person entspricht, und wenn wir die Intensität der fossilen Brennstoffe in unseren Systemen der Nahrungsmittelproduktion und des Nahrungsmittelkonsums berücksichtigen, ist es nur allzu klar, dass die industrielle Landwirtschaft mehr verbraucht als sie produziert. Wie Amory Lovins betonte: »Was die Anzahl von Arbeitskräften angeht, so beträgt die Erdbevölkerung nicht vier Milliarden, sondern etwa 200 Milliarden, wobei der entscheidende Punkt ist, dass etwa 98 Prozent von ihnen keine konventionellen Nahrungsmittel essen.«7 Das liegt daran, dass sie keine Menschen sind; sie sind Energiesklaven, und sie verzehren Erdöl. Die industrielle Landwirtschaft verwendet zehn Einheiten fossiler Energie als Input, um eine Einheit Lebensmittel als Output zu produzieren. Diese vergeudete Energie trägt dazu bei, die Atmosphäre zu verschmutzen und unser Klima zu destabilisieren.

Das industrielle Paradigma der Landwirtschaft verursacht die Klimazerrüttung. 40 Prozent aller Treibhausgasemissionen, die für sie verantwortlich sind, stammen aus dem auf fossilen Brennstoffen basierenden globalen Agrarsystem.8 Die fossilen Brennstoffe, die für die Herstellung von Düngemitteln, den Betrieb von Landmaschinen und den verschwenderischen Transport von Lebensmitteln über Tausende von Kilometern rund um den Globus verwendet werden, tragen zu den Kohlendioxidemissionen bei. Chemische Stickstoffdünger stoßen Distickstoffoxid aus, das 300 Prozent destabilisierender für das Klima ist als Kohlendioxid.9 Zudem ist die Massentierhaltung eine Hauptquelle für Methan, ein weiteres Gas, das für die globale Erwärmung verantwortlich ist. 1995 berechneten die Vereinten Nationen, dass die industrielle Landwirtschaft mehr als 75 Prozent der Agrobiodiversität – der in der Landwirtschaft genutzten Artenvielfalt – zum Aussterben gebracht hat. Heute dürfte diese Zahl 90 Prozent erreicht haben.

Paradoxerweise wird diese ökologische Zerstörung des Naturkapitals zwar durch die »Ernährung der Menschen« gerechtfertigt, doch das Problem des Hungers ist gewachsen. Einerseits leiden eine Milliarde Menschen unter ständigem Hunger, während andererseits zwei Milliarden an ernährungsbedingten Krankheiten wie Fettleibigkeit leiden. Dies sind die zwei Seiten derselben Medaille: der Ernährungskrise. Da sich durch die McDonaldisierung von Lebensmitteln Junkfood über den ganzen Globus verbreitet, bekommen selbst diejenigen, die genug zu essen haben, selten die Nährstoffe, die sie brauchen. Entgegen der landläufigen Meinung geht es bei Adipositas nicht darum, dass die Reichen zu viel essen: Oft sind es die Armen in den Entwicklungsländern, die die schwerste Last ernährungsbedingter Krankheiten zu tragen haben. Hinzu kommt, dass Krankheiten stetig zunehmen, die mit der industriellen Ernährung und den Giftstoffen in unserer Nahrung zusammenhängen, darunter auch Krebs. Nicht Waren ernähren Menschen, sondern Lebensmittel.

Auch wenn das industrielle Agrarsystem der Konzerne Hunger schafft, wobei es nur zu 25 Prozent zum Ernährungssystem beiträgt und 75 Prozent der Ressourcen der Erde verbraucht, und obwohl es eine bestimmende Kraft hinsichtlich der ökologischen Zerstörung und der Störung der natürlichen Systeme ist, von denen die Nahrungsmittelproduktion abhängt, hält sich der Mythos, dass die industrielle Landwirtschaft die Welt ernährt, hartnäckig. Dieser Mythos baut auf der Grundlage eines veralteten Paradigmas auf, eines Paradigmas, das in Wirklichkeit wissenschaftlich überholt ist. Falsche Vorstellungen von der Natur als toter Materie und als etwas, das vom Menschen nach Belieben manipuliert werden kann, haben uns glauben lassen, dass wir um so mehr Nahrung erzeugen, je mehr Gifte wir in das Nahrungssystem einbringen. Ein ökologisch destruktives und ernährungsphysiologisch ineffizientes Ernährungssystem ist in unseren Köpfen zum vorherrschenden Paradigma und zur hochgelobten Praxis auf unserem Land geworden, obwohl in Wirklichkeit kleine, biodiversitätsreiche Bauernhöfe, die mit den Prozessen der Natur arbeiten, den größten Teil der Lebensmittel produzieren, die wir essen.

Die industrielle Landwirtschaft verträgt sich nicht mit Vielfalt. Vielfalt ist nahrhaft und natürlich resistent, aber um die Profite zu steigern, macht die industrielle Landwirtschaft die Nutzpflanzen von externen Inputs wie chemischen Düngemitteln, Pestiziden, Herbiziden und genetisch modifiziertem Saatgut abhängig. Nicht nur, dass die industrielle Landwirtschaft immer mehr wie ein chemischer Krieg gegen den Planeten aussieht, auch die Verteilung von Nahrungsmitteln sieht wie ein Krieg aus, mit sogenannten »Freihandels«-Verträgen, die Bauern gegen Bauern und Länder gegen andere Länder ausspielen, im ständigen »Wettbewerb« und Konflikt. Der »Freihandel« erlaubt es Konzernen und Investoren, sich jedes Saatgut, jedes Wasser und jeden Quadratmeter Land anzueignen; er beutet die Erde, die Bauern und alle Bürger grenzenlos aus. Dieses Modell sieht den Profit als das Endziel, bei dem weder an den Boden noch an die Produzenten und die Gesundheit der Menschen gedacht oder dafür gesorgt wird. Konzerne bauen keine Nahrungsmittel an, sondern machen Gewinne.

Das industrielle Paradigma ersetzt Wahrheiten durch Manipulation und die Realität durch Fiktionen.

•Die erste Fiktion ist die Fiktion, einen Konzern wie eine natürliche Person zu behandeln. In dieser Verkleidung schreiben Konzerne die Regeln von Produktion und Handel, um ihre Profite zu maximieren und Lebewesen auszubeuten.

•Die zweite Fiktion ist, dass »Kapital« – nicht die ökologischen Prozesse der Natur und die harte und intelligente Arbeit der Bauern – Reichtum und Nahrung schafft. Mensch und Natur werden auf bloße Inputs reduziert.

•Die dritte Fiktion ist, dass ein System, das mehr Inputs verbraucht als es produziert, effizient und produktiv sei. Dies wird vorgetäuscht, indem die Kosten für fossile Brennstoffe und Chemikalien sowie die verheerenden Gesundheits- und Umweltkosten eines chemieintensiven Systems für den Planeten und seine Menschen verschleiert werden.

•Die vierte Fiktion ist, dass das, was für Konzerne profitabel ist, auch profitabel und gut für die Bauern ist. Tatsächlich werden die Bauern in dem Maße ärmer, wie die Profite der Konzerne in den Lebensmittel- und Agrarsystemen steigen. Die Bauern werden ärmer, weil sie sich immer tiefer verschulden und schließlich von ihrem Land vertrieben werden.

•Die fünfte Fiktion ist, dass Lebensmittel eine Ware sind. Die Realität sieht so aus: Je mehr Lebensmittel in eine Ware verwandelt werden, desto mehr werden sie den Armen genommen – was Hunger schafft – und desto mehr werden sie in ihrer Qualität gemindert – was zu Krankheiten führt.

Worüber wir hier sprechen, ist kein Lebensmittelsystem – es ist ein Anti-Lebensmittelsystem. Nahrungsmittel werden in sich zum Widerspruch, wenn sie gewaltsam aus dem Nahrungsnetz und der lokalen Wirtschaft herausgezogen werden, um dann gegen Gewinn gehandelt und schließlich als Abfall entsorgt zu werden. Das Ergebnis ist eine ökologische Katastrophe, Armut und Hunger. Die Zukunft der Nahrung hängt davon ab, dass wir uns daran erinnern, dass das Netz des Lebens ein Nahrungsnetz ist. Dieses Buch ist diesem Erinnern gewidmet, denn wenn wir die Ökologie der Nahrung vergessen, ist das ein Rezept für Hunger und unser Aussterben.

Über die letzten drei Jahrzehnte wurde mir immer deutlicher, dass unser gegenwärtiges Ernährungssystem kaputt ist. 1984 begann ich, die Grüne Revolution im Punjab zu untersuchen. Die Grüne Revolution ist die irreführende Bezeichnung für ein auf Chemikalien beruhendes Landwirtschaftsmodell, das 1965 in Indien eingeführt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg suchten Chemiekonzerne verzweifelt nach neuen Märkten für ihre synthetischen Düngemittel, die in den Sprengstofffabriken des Krieges hergestellt wurden. Doch die einheimischen Nutzpflanzensorten kamen mit dem Kunstdünger nicht zurecht, so dass man Zwergsorten züchtete, die die Chemikalien aufnehmen konnten und im Gefolge von ihnen abhängig wurden. Mitte der 1960er-Jahre war dieses neue Saatgut-Chemikalien-Paket bereit, unter dem Etikett der Grünen Revolution in die Länder des Globalen Südens exportiert zu werden.

Das falsche Narrativ, das die Grüne Revolution einführte, ist wesentlich für das Verständnis der vorherrschenden Erzählung, die rund um Nahrung und Landwirtschaft herum entstanden ist. In dieser Erzählung wird der Grünen Revolution das Verdienst zugeschrieben, Indien vor dem Hunger gerettet zu haben, wofür Norman Borlaug, der führende Wissenschaftler des Projekts, 1970 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Doch 1965 gab es in Indien keinen Hunger. Aufgrund einer landesweiten Dürre waren die Lebensmittelpreise in den Städten gestiegen, und das Land musste Getreide importieren. Doch im Rahmen einer Politik zur Durchsetzung von Chemikalien in der Landwirtschaft wurde von der US-Regierung und der Weltbank für die Lieferung von amerikanischem Getreide nach Indien zur Bedingung gemacht, dass man auch Saatgut und Chemikalien importieren dürfe.

Zwischen dem vorgeblichen Erfolg der Grünen Revolution und den Realitäten im Punjab klaffte eine große Lücke. Da der Anbau im wesentlichen auf Reis und Weizen beschränkt wurde, produzierte der Punjab mit der industriellen Landwirtschaft weniger Nahrungsmittel. Einst bauten Bauern im Punjab 41 Weizensorten, 37 Reissorten, vier Maissorten, acht Bajrasorten, 16 Zuckerrohrsorten, 19 Hülsenfrüchtesorten und neun Ölsaatensorten an.10 Ein Großteil dieser Vielfalt wurde zerstört. Anstelle von Weizenkörnern mit Namen wie Sharbati, Darra, Lal Pissi und Malwa, die den Ursprung und die Qualität der Nutzpflanzen beschrieben, finden wir persönlichkeitslose Monokulturen mit den Namen HD 2329, PBW 343 und WH 542: Pflanzen, die von Schädlingen und Krankheiten befallen werden und immer höhere Dosen von Pestiziden benötigen.

Während die Grüne Revolution im Punjab verwüstete Böden, ausgelaugte Grundwasservorkommen, schwindende Artenvielfalt, verschuldete Bauern und einen »Krebszug« hinterließ, der die Opfer von pestizidbedingtem Krebs zur kostenlosen Behandlung nach Rajasthan bringt, wird dieses nicht nachhaltige Modell in die östlichen Staaten Indiens und nach Afrika exportiert. Bill Gates mit seinen Milliarden von Dollar drückt durch die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika [siehe auch Anhang] Chemikalien und kommerzielles Saatgut blindlings nach Afrika. Tatsächlich zwingt die gesamte Hilfe, die über die Politik der G8-Staaten erfolgt, Afrika auf undemokratische Weise ein gescheitertes Modell auf. Traurigerweise wurden die wahren Lehren aus der Grünen Revolution im Punjab nur von denen gezogen, die in ihrem Gefolge zerstört wurden.

Heute ist eine zweite Grüne Revolution im Gange: eine, die aus GVOs besteht. GVO oder genetisch veränderte Organismen sind gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, in die Gene für Giftstoffe eingeführt wurden. Wie die ursprüngliche Grüne Revolution erheben GVO den Anspruch, »die Welt zu ernähren«. Aber die Realität ist, dass GVO nicht mehr produzieren, dass sie zu einem verstärkten Einsatz von Chemikalien geführt haben und dass sie es nicht schaffen, Unkraut und Schädlinge zu bekämpfen. Die Gentechnik schafft eine völlig neue Art der Umweltverschmutzung auf unserem Planeten, die sich negativ auf Pflanzen und Tiere, die menschliche Gesundheit und die Lebensgrundlagen von Landwirten und lokalen Gemeinschaften auswirkt. Die einzigen Nutznießer gentechnisch veränderter Nutzpflanzen sind die Konzerne, da sie mehr giftige Chemikalien verkaufen und auch Lizenzgebühren auf Saatgut erheben. Tatsächlich ist die Gier der Konzerne und ihr Wunsch, Saatgut zu besitzen, der einzige Grund, warum GVO auf undemokratische Weise in die Lebensmittel- und Landwirtschaftssysteme auf der ganzen Welt gedrückt werden.

Aber etwas verschiebt sich. Der Zorn, der 1984 im Punjab ausbrach, bricht überall aus – sei es in den Straßen Ägyptens, wo der Arabische Frühling als Protest gegen den Anstieg der Brotpreise begann; oder in Syrien, wo der Konflikt als Protest von Bauern begann, die wegen einer großen Dürre um Ausgleich für Ernteausfälle baten; oder in Millionen von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die sich dem Marsch gegen Monsanto anschlossen. Das war ein selbstorganisiertes globales Bürgerbegehren, und es protestierte gegen die Kontrolle der Konzerne über das, was wir anbauen und essen. Es gibt sie überall, weil das dominierende industrialisierte und globalisierte Ernährungssystem, das von einer Handvoll Konzerne kontrolliert wird, den Planeten, die Lebensgrundlagen der Bauern, die Gesundheit der Menschen, die Demokratie und den Frieden zerstört. Angesichts dessen ist die Neuausrichtung unseres Ernährungssystems zu einer Überlebensfrage geworden.

Was also hindert uns daran, auf ein umweltfreundliches und menschenfreundliches Ernährungssystem umzustellen?

Das erste Hindernis ist die Macht der Konzerne, die in der Architektur des Krieges verwurzelt sind. Nur fünf Saatgut- und Chemiegiganten – Monsanto, Syngenta, Bayer, Dow und DuPont – wollen unser Ernährungssystem vollständig beherrschen. Konzerne sind ein juristisches Konstrukt, und doch beanspruchen sie die Rechte einer natürlichen Person. Aber Konzerne sind keine Menschen. Sie werden nicht geboren und sie sterben nicht. Sie können keine Lebensmittel anbauen und sie können keine Lebensmittel essen. Dennoch okkupieren sie unsere nachhaltigen und nährenden Lebensmittelsysteme und ersetzen sie durch Warenhandel und Gewalt.

Das zweite Hindernis ist das militarisierte, mechanistische, reduktionistische und fragmentierte Paradigma der Landwirtschaft, das blind ist für das, was die unterschiedlichen Spezies beitragen, und für die ökologischen Abläufe und Funktionen, die sie bereitstellen und an denen sie teilhaben. Dieses Paradigma weigert sich, Frauen und Kleinbauern wahrzunehmen und einzubeziehen, die den größten Teil der Welternährung liefern und deren Wissen für eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion unerlässlich ist.

Das dritte Hindernis ist die Gier und ein auf Gier beruhendes Wohlstandskalkül. Die Profitgier der Konzerne blockiert den Übergang zu einem gesunden, nachhaltigen und demokratischen Ernährungssystem. Für die Bauern manifestiert sich das System der Gier der Konzerne in der Notwendigkeit, der Illusion von mehr Geld nachzujagen, obwohl sie die Verlierer in einem teuren industriellen Produktionssystem sind. Als Bürger reduziert uns die Gier der Konzerne auf bloße Verbraucher, und die Mehrheit von uns hat keine Ahnung, wie, wo und von wem die eigenen Lebensmittel angebaut wurden und was sie tatsächlich enthalten.

Wer ernährt die Welt also wirklich? Auch hier müssen wir uns fragen, was wir unter »Nahrung« und was wir unter »Welt« verstehen. Wenn »Nahrung« das Netz des Lebens ist – die Währung des Lebens, unsere Ernährung, unsere Zellen, unser Blut, unser Verstand, unsere Kultur und unsere Identität – und die »Welt« Gaia ist – unser reicher und lebendiger Planet, unsere Mutter Erde, auf der vielfältige Wesen und Ökosysteme, eine Vielzahl von Völkern und Kulturen leben – dann sind es die Beiträge der biologischen Vielfalt sowie des Mitgefühls, des Wissens und der Intelligenz der Kleinbauern, die die Welt ernähren. Meine eigene Forschung und gelebte Erfahrung der letzten drei Jahrzehnte haben mich gelehrt, dass die Antwort auf die Nahrungsmittelfrage nicht in der industriellen Landwirtschaft liegt, sondern in der Agrarökologie und der ökologischen Landwirtschaft.

Nahrung wird durch den Boden, vom Saatgut, von der Sonne, vom Wasser und von den Bauern erzeugt, die alle miteinander interagieren. Nahrung verkörpert ökologische Beziehungen, und das Wissen und die Wissenschaft über die Wechselwirkungen und Verflechtungen, die Nahrungsmittel hervorbringen, heißt Agrarökologie. Es ist die Agrarökologie, die uns ernährt.

Fruchtbarer Boden ist die Grundlage der Nahrungsmittelproduktion. Die Fruchtbarkeit des Bodens wird durch Milliarden von Bodenorganismen geschaffen, die sich zum Nahrungsnetz des Bodens zusammenschließen. Biodiversität und Böden, die reich an organischer Substanz sind, sind auch die beste Strategie für Klimaanpassung und Gewässerschutz. Wasser ist für lebendige Böden lebenswichtig, und die biologische Landwirtschaft bewahrt Wasser, indem sie die Wasserspeicherkapazität der Böden durch das Wiedereinbringen organischer Stoffe erhöht. Der Boden wird wie ein Schwamm, der mehr Wasser aufnehmen kann, wodurch sich der Wasserverbrauch verringert und zur Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimazerrüttung beigetragen wird. Lebendiger Boden ist es, der uns ernährt.

Bestäuber wie Schmetterlinge nehmen Pollen von einer Pflanze zur anderen und befruchten sie dabei. Ohne Bestäuber würden sich Pflanzen nicht vermehren. Bestäuber sind es, die uns ernähren.

Den Planeten zu ernähren bedeutet, die Integrität und Vielfalt des Nahrungsnetzes zu erhalten: vom Boden bis zu den Ozeanen, von den Mikroorganismen bis zu den Säugetieren, von den Pflanzen bis zum Menschen. Das Nahrungssystem befindet sich nicht außerhalb der Natur und der Erde. Es beruht auf den ökologischen Prozessen, durch die der Planet Leben schafft, erhält und erneuert. Der Planet ist lebendig: Seine Währung ist das Leben; seine Währung ist die Nahrung. Der altindische Text Taittiriya Upanishad erinnert uns daran: »Alles ist Nahrung. Alles ist die Nahrung von etwas anderem.« Im Gegensatz zu dem, was uns die industrielle Landwirtschaft erzählt, ist die Natur sehr lebendig, und es ist ihre Vielfalt, die uns ernährt.

Bauern sind Pflanzenzüchter und Saatgutretter, Bodenschützer und -erbauer und Wasserbewahrer. Bauern sind die Lebensmittelproduzenten. Während sie nur 30 Prozent der weltweiten Ressourcen verbrauchen, liefern Kleinbauern 70 Prozent der Nahrungsmittel der Erde. Kleinbauern, Bauernfamilien und Gärtner sind es, die uns ernähren.

Saatgut ist das erste Glied im Lebensmittelsystem. Ohne Saatgut gibt es keine Nahrung. Ohne Vielfalt des Saatguts gibt es keine Vielfalt der Nahrungsmittel und der Ernährung, die für die Gesundheit lebenswichtig ist. Ohne Vielfalt des Saatguts gibt es keine Klimaresistenz in Zeiten von Klimachaos und Klimainstabilität. Saatgut ist es, das uns ernährt.

Lebensmittel sind keine Handelsware; sie sind kein Parfüm oder Schmuckstück, das überall auf der Welt verkauft werden kann. Jedes Lebewesen geht anders mit Nahrung um, und jede Kultur oder Örtlichkeit produziert ihre eigene Nahrung. Da jeder Mensch essen muss, ist die lokale Nahrungssouveränität der Schlüssel zur Ernährungssicherheit: Lokalisierung ist es, die uns ernährt.

Die Arbeit mit Saatgut, Biodiversität, Boden und Wasser nach den Gesetzen der Natur und Ökologie ist die Grundlage der Nahrungsmittelproduktion. Dieses Wissen und seine Anwendung gehören traditionell den Frauen, die die Mehrheit der Nahrungsmittelproduzenten der Welt ausmachen. Frauen sind es, die uns ernähren.

Nahrung ist Leben, und sie wird durch lebendige Prozesse geschaffen, die Leben erhalten. In der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion stehen die Natur und ihre Gesetze an erster Stelle. Diese Gesetze zu verletzen und die Grenzen der Natur bei der Erneuerung – Saatgut und Boden, Wasser und Energie – zu überschreiten, ist ein Rezept für Ernährungsunsicherheit und künftige Hungersnöte. Während die ökologische Landwirtschaft die Wirtschaft der Natur verjüngt, produziert sie mehr und bessere Lebensmittel und verjüngt die Gesundheit und das Wohlergehen von Gemeinschaften. Das Sorgetragen für die Erde und für die Ernährung der Menschen gehen Hand in Hand.

Die Ernährung des Planeten wirft einige der grundlegendsten Fragen unserer Zeit auf. Die Ernährungsfrage wird zu einer ethischen Frage über unsere Beziehung zur Erde und zu anderen Arten; darüber, ob wir das Recht haben, andere Arten auszurotten oder großen Teilen der Menschheitsfamilie sichere, gesunde und nahrhafte Lebensmittel zu verweigern. Sie wird zu einer Frage darüber, ob die Menschen als Mitglieder der Erdengemeinschaft leben werden oder sich selbst zum Aussterben verurteilen, indem sie die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft zerstören. Sie wird zu einer kulturellen Frage: über unsere Ernährungsweisen, unsere Identität und unser Heimat- und Verwurzelungsgefühl.

Die Ernährung der Menschen ist eine Frage der Erkenntnis: Wollen wir weiterhin ein destruktives, reduktionistisches, mechanistisches Paradigma pflegen und Saatgut und Boden als tote Materie und bloße Maschinen sehen, die manipuliert und vergiftet werden können? Oder wollen wir Saatgut und Boden als lebendige, sich selbst organisierende, sich selbst erneuernde Systeme betrachten, die uns ohne den Einsatz von Chemikalien und Giften Nahrung geben können? Ebenso ist es eine Frage der Erkenntnis: Wollen wir die jahrhundertelange bäuerliche Landwirtschaft als wissensbasiert und die Bauern als intelligent ansehen? Oder wollen wir die Bauern für ignorant halten, nur weil sie vielleicht nicht studiert haben?

Die Ernährungsfrage ist auch eine wirtschaftliche Frage: Es geht darum, ob die Armen zu essen haben oder hungern; es geht darum, ob öffentliche Steuern dazu dienen, ein ungesundes und nicht nachhaltiges Nahrungsmittelsystem zu subventionieren; es geht darum, ob Saatgut ein Gemeingut ist oder durch Patente zum Besitz von Konzernen wird; und es geht darum, ob Nahrung nach den Prinzipien von Gerechtigkeit, Fairness und Souveränität verteilt wird oder auf der Grundlage der unfairen Regeln des sogenannten »Freihandels«.

Als mir klar wurde, wie fehlgeleitet und sogar verlogen das vorherrschende System der Landwirtschaft war, beschloss ich, etwas dagegen zu unternehmen. Ich widmete mein Leben der Rettung von Saatgut und der Förderung des ökologischen Landbaus und der ökologischen Nahrungserzeugung. Anstatt den Chemie- und Kapitaleinsatz zu intensivieren, der unsere Kleinbauern in die Verschuldung trieb, setzte ich mich dafür ein, die biologische Vielfalt und die ökologischen Prozesse zu intensivieren und mit der Natur zusammenzuarbeiten, anstatt ihr den Krieg zu erklären.

1987 gründete ich Navdanya, eine Bewegung zur Rettung von Saatgut, zum Schutz der Artenvielfalt und zur Verbreitung ökologischer Anbaumethoden. Wir haben geholfen, mehr als hundert kommunale Saatgutbanken zu schaffen, die den Bauern Saatgut frei zur Verfügung stellen, damit sie schmackhafte, nahrhafte Feldfrüchte ohne externe Inputs anbauen und so ihre eigene Ernährung verbessern und gleichzeitig höhere Einkommen erzielen können. Diese Saatgutbanken haben Bauern in Zeiten extremer klimatischer Bedingungen wie Dürren, Überschwemmungen und Wirbelstürmen gerettet. Beginnend mit dem Retten und Teilen von Saatgut teilen wir nun die Samen des Wissens der Agrarökologie. Über unsere Erduniversität verbreiten wir Ideen und Praktiken im Zusammenhang mit lebendem Saatgut, lebendigem Boden, lebendiger Nahrung, lebendigen Volkswirtschaften und lebendigen Demokratien. Durch die Praxis der biodiversitätsbasierten ökologischen Landwirtschaft lehren wir, wie Nahrungsmittel in Gesundheit und Fülle angebaut werden können und wie Landwirtschaft betrieben werden kann, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu verbessern, die Biodiversität zu vergrößern, das Wasser zu erhalten und die Treibhausgase zu reduzieren, die zur Klimazerrüttung beitragen.

Der Wettstreit zwischen den beiden Paradigmen des Essens ist ein Wettstreit zwischen zwei Ideen und Gestaltungsprinzipien. Das eine Paradigma basiert auf dem Gesetz der Ausbeutung und dem Gesetz der Herrschaft, ausgehend von Kriegen und wurzelnd in Gewalt. Das andere Paradigma ist in die Agrarökologie und eine lebendige Wirtschaft eingebettet und beruht auf dem Gesetz des Ausgleichs: der Rückführung an die Gesellschaft, die Kleinbauern und die Erde. Es verkörpert die Werte des Teilens und der Fürsorge, nicht Egoismus und Gier. Heute ist ein Paradigmenwechsel zu einem globalen Überlebensimperativ geworden, der keinen Aufschub duldet.

»Wer ernährt die Welt wirklich?« ist die Destillation aus drei Jahrzehnten Forschung und Aktion und ein Aufruf zu einem globalen Wandel.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel und einen Machtwechsel. Eine von der Gier der Konzerne geprägte industrielle Landwirtschaft bringt uns weder Nachhaltigkeit noch Gesundheit und kann sie auch nicht bringen. Stattdessen können wir den Übergang zur Agrarökologie vollziehen und uns im Überfluss ernähren, indem wir uns darauf ausrichten, Saatgut zu bewahren, dem Boden etwas zurückzugeben, die biologische Vielfalt zu pflegen und unsere Kleinbauern und Frauen zu schützen. Wir müssen aufhören, unseren schönen Planeten zu schänden. Es liegt in unserer Hand, die Saat der Hoffnung für ein Ernährungssystem zu säen, das für die Gesundheit und das Wohlergehen des Planeten und aller seiner Menschen arbeitet.

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Agrarökologie ernährt die Welt, nicht ein gewalttätiges Wissensparadigma

Die letzten zehntausend Jahre hat die Menschheit ökologisch gewirtschaftet. Verfahren und Kreisläufe der Natur haben zu Erneuerung, Reproduktion und Vielfalt geführt und allen Wesen ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Diese nachhaltigen Systeme sind nicht feststehend oder statisch; sie befinden sich in ständiger Entwicklung. Als Teil dieser ökologischen Systeme hat sich die biologische Landwirtschaft entwickeln können. Sie entwickelte sich sogar so gut, dass selbst diejenigen, die als erste von der industriellen Landwirtschaft profitieren konnten, feststellen mussten, dass ihre Chemikalien und Pestizide wenig zur »Verbesserung« der traditionellen ökologischen Landwirtschaft beitragen konnten.

Bereits 1889 wurde Dr. John Augustus Voelcker nach Indien entsandt, um die britische Kolonialregierung bei der Einführung der chemischen Landwirtschaft auf indischen Farmen zu beraten. Beim Studium der indischen Landwirtschaftssysteme erklärte Voelcker: »Es gibt wenig oder nichts, was verbessert werden kann. […] Sicher ist, dass zumindest ich nie ein perfekteres Bild eines sorgfältigen Anbaus gesehen habe. Ich darf mir erlauben zu sagen, dass es viel einfacher ist, Verbesserungen in der englischen Landwirtschaft vorzuschlagen, als der indischen Landwirtschaft sinnvolle Vorschläge zu machen.«1 Mehr als zwanzig Jahre später schrieb Sir Albert Howard, der »Vater« der modernen nachhaltigen Landwirtschaft, über Indien und China: »Die landwirtschaftlichen Praktiken des Orients haben die höchste Prüfung bestanden, sie sind fast so nachhaltig wie die des Urwaldes, der Prärie oder des Ozeans.«2 Das Bemerkenswerte an diesen Aussagen ist, dass diese beiden Männer immerhin Kolonisatoren waren, die größere Profite aus und eine stärkere Kontrolle über das Land der Einheimischen anstrebten. Doch sogar sie konnten keine Mängel in den vorhandenen »perfekten« Anbaumethoden finden. Entgegen der landläufigen Meinung gab es die Hungersnöte nicht deshalb, weil die einheimische Landwirtschaft nicht im Überfluss Nahrungsmittel produziert hätte, sondern wegen der kolonialen Ausbeutung, wie die große bengalische Hungersnot von 1943 beweist.3

In den letzten fünfzig Jahren hat sich jedoch etwas verschoben. Dieses letzte halbe Jahrhundert war ein kurzlebiges Experiment mit nicht nachhaltiger, chemikalien-, wasser- und kapitalintensiver Landwirtschaft.4 Diese neue Landwirtschaft, die oft fälschlicherweise »konventionell« (also herkömmlich) genannt wird, hat die ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft zerstört, die natürliche Umwelt verwüstet und weltweit zu Ernährungsunsicherheit geführt. Angesichts der Tatsache, dass seit Jahrtausenden selbsttragende Systeme existierten, stellt sich die Frage: Wie wurde diese ökologisch so verheerende Landwirtschaft zum vorherrschenden Paradigma für die Landwirtschaft auf der ganzen Welt? Um diese Frage zu klären, müssen wir uns die Denkweisen – die Wissensparadigmen – ansehen, die zu dieser neuen Landwirtschaft geführt haben.

Wie der Physiker Thomas Kuhn geschrieben hat, sind alle wissenschaftlichen Systeme von Wissensparadigmen geprägt. Dies gilt auch für die in der Landwirtschaft angewandte Wissenschaft und Technik. Technologische Werkzeuge für die Nahrungsmittelproduktion existieren nicht unabhängig von dem Wissensparadigma, dessen Teil sie sind. Und die Ausgereiftheit und Nachhaltigkeit eines landwirtschaftlichen Agrarsystems hängt von der Ausgereiftheit des Wissensparadigmas ab, das es steuert.

Traditionelle Landwirtschaft und ökologischer Landbau haben ihre Wurzeln in mehreren Wissensgebieten, die gemeinsam das entstandene Wissensparadigma der Agrarökologie bilden. Die Agrarökologie berücksichtigt die Verflechtung des Lebens und die komplexen Prozesse, die in der Natur ablaufen. Das seit Jahrhunderten bewährte agrarökologische Wissen, das sich in den jeweiligen Ökosystemen und Kulturen entwickelt hat, wird heute durch die neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft bestätigt: von der Erde als Lebewesen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse in der Epigenetik, über die Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelt und neue Erkenntnisse über den ökologischen Nutzen, den biologische Vielfalt und die Ökosysteme erbringen. All dies trägt dazu bei, dass Agrarökologie als wissenschaftliches Paradigma anerkannt wird.

Während der industriellen Agrarrevolution wurden diese traditionellen Wissenssysteme durch eine militarisierte Denkweise ersetzt, die auf Gewalt gegenüber der Erde beruhte. Die in diesem System entworfenen Werkzeuge wurden in Unkenntnis des verletzlichen Lebensnetzes entwickelt und störten und zerstörten die ökologischen Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion. Die industrielle Landwirtschaft ist kein Wissenssystem, das auf dem Verständnis ökologischer Prozesse innerhalb eines Agrarökosystems beruht; sie ist vielmehr eine Ansammlung von Gewaltmitteln. Diese Mittel kamen im wahrsten Sinne aus der Kriegsführung, denn sie beruhen auf Chemikalien, die ursprünglich dazu gedacht waren, Menschen zu töten.

Die Auseinandersetzung darüber, wer die Welt wirklich ernährt, ist in erster Linie eine Auseinandersetzung darüber, welches Wissensparadigma eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion gewährleistet. Ausgeklügelte, nachhaltige Denk- und Lebensmittelproduktionssysteme gab es schon immer. Schließlich hat die Menschheit nicht erst heute mit dem Essen begonnen. Wie ist es dazu gekommen, dass die Grüne Revolution und die industrielle Landwirtschaft Systeme verdrängt und zerstört haben, die die Menschheit über Jahrtausende ernährt haben? Und warum wurde das Wissen über ökologische Agrarsysteme – die Agrarökologie – durch Werkzeuge der Kriegsführung ersetzt? Und wie konnte eine überholte mechanistische Philosophie die Landwirtschaft auch dann noch dominieren, als neu aufkommende wissenschaftliche Disziplinen sich mit indigenem Wissen verbanden, um Landwirtschaft und Ernährung als ein gesamtes System zu betrachten? Und schließlich: Wie können wir in eine Zukunft gehen, die auf den ökologischen Grundlagen der Landwirtschaft beruht, ohne die es keine Nahrungsmittelerzeugung geben kann?

Wenn Gifte in die Landwirtschaft eingeführt werden, um Schädlinge zu bekämpfen, oder wenn GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) mit dem Argument, die »Welternährung sicherzustellen« eingeführt werden, ist die Rechtfertigung immer »Wissenschaft«. Was wir allgemein als »Wissenschaft« bezeichnen, ist jedoch in Wirklichkeit bloß die westliche, mechanistische, reduktionistische moderne Wissenschaft, die während der Industriellen Revolution zum vorherrschenden Weltbild wurde und die sich seither als dominantes Paradigma festgesetzt hat.

Seit Mitte der 1700er-Jahre, als der Kolonialismus seinen Höhepunkt erreichte, musste das Land, das einst von Gemeinschaften in den sogenannten Allmenden gemeinsam bewirtschaftet wurde, aufgeteilt und privatisiert, nämlich »eingehegt« werden, um Industrien und Imperien aufzubauen. Dazu musste das Wissen um die Erde und ihre Arten als miteinander verbunden und sich gegenseitig fördernd durch etwas ersetzt werden, das Gewalt gegenüber dem Land rechtfertigte. Um das industrielle System in Gestalt neuer gewaltsamer Technologien und das kapitalistische System in Gestalt einer jetzt gewinnorientierten Wirtschaft einzuführen, wurde eine bestimmte Art von Wissenschaft gefördert, und die galt forthin als das einzig Wissenschaftliche. Zwei wissenschaftliche Theorien dominierten dieses neue industrielle Paradigma, und sie prägen bis heute, wie wir Nahrung, Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung praktisch angehen.

Die erste Theorie ist die newtonsch-kartesische Idee der Trennung: eine fragmentierte Welt aus festen, unveränderlichen Atomen. In dieser Weltanschauung sind, wie Newton selbst schreibt, »die festen, massereichen, undurchdringlichen, beweglichen Teilchen … so hart, dass sie sich nie abnutzen oder in Stücke brechen: keine gewöhnliche Macht, die in der Lage ist, das zu teilen, was Gott selbst in der ersten Schöpfung eins gemacht hat. … Und daher möge die Natur beständig sein«.5 Dieses Weltverständnis sieht die Natur als aus toter Materie zusammengesetzt an: ein Lego-Bausatz, in dem unveränderliche Teilchen und Stücke ohne übergreifende Konsequenzen verwendet, bewegt und ersetzt werden können. Diese mechanistische Annahme hat heute zu einem genetischen Reduktionismus und genetischen Determinismus und zur Entwicklung dessen geführt, was als das zentrale Dogma der Molekularbiologie bekannt geworden ist, nämlich der Glaube, dass genetisches Material, die DNA, als Mastermolekül dient. Dieses Dogma war so grundlegend in den wissenschaftlichen Glauben eingeschrieben, dass es »das Äquivalent zu den in Stein gemeißelten Zehn Geboten war«.6