Wer, wenn nicht wir? - Zarah Bruhn - E-Book

Wer, wenn nicht wir? E-Book

Zarah Bruhn

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Beschreibung

Wir müssen handeln – und wir können es auch! Zarah Bruhn wagt den mutigen Blick nach vorn und zeigt aus ihrer Erfahrung heraus konkrete Wege in die Welt von morgen auf. Sie macht sichtbar, wie viele Menschen bereits heute an der Lösung unserer gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen arbeiten, und berichtet von ihren Begegnungen: vom Friedensnobelpreisträger bis zur CEO eines Dax-Unternehmens, von der genialen Superhackerin bis zu visionären Sozialarbeitern aus aller Welt. Sie haben Antworten. Sie sind innovativ. Sie sparen dem Staatshaushalt Milliarden. Und sie können uns Vorbilder sein. Mit Weitblick analysiert Bruhn die Lage unseres Landes und erklärt, wie sich Wirtschaft und Soziales auf neue Weise zusammendenken lassen: Sie hinterfragt unsere Definition von Wert und führt vor, wie sich unser Wirtschaften auf den gesellschaftlichen Mehrwert hin ausrichten lässt, sie macht Vorschläge, wie wir Politik und Behörden mobilisieren können, und sie verdeutlicht, wie viel jede und jeder Einzelne von uns bewirken kann. Zarah Bruhn liefert uns eine neue, gemeinsame Vision für die Zukunft. Ein mitreißendes und inspirierend positives Plädoyer gegen die Ohnmacht.

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zarah Bruhn

Wer, wenn nicht wir?

Unsere Zukunft neu denken

 

 

 

Über dieses Buch

Wir müssen handeln – und wir können es auch! Zarah Bruhn wagt den mutigen Blick nach vorn und zeigt aus ihrer Erfahrung heraus konkrete Wege in die Welt von morgen auf. Sie macht sichtbar, wie viele Menschen bereits heute an der Lösung unserer gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen arbeiten, und berichtet von ihren Begegnungen: vom Friedensnobelpreisträger bis zur CEO eines Dax-Unternehmens, von der genialen Superhackerin bis zu visionären Sozialarbeitern aus aller Welt. Sie haben Antworten. Sie sind innovativ. Sie sparen dem Staatshaushalt Milliarden. Und sie können uns Vorbilder sein.

Mit Weitblick analysiert Bruhn die Lage unseres Landes und erklärt, wie sich Wirtschaft und Soziales auf neue Weise zusammendenken lassen: Sie hinterfragt unsere Definition von Wert und führt vor, wie sich unser Wirtschaften auf den gesellschaftlichen Mehrwert hin ausrichten lässt, sie macht Vorschläge, wie wir Politik und Behörden mobilisieren können, und sie macht deutlich, wie viel jede und jeder Einzelne von uns bewirken kann.

Zarah Bruhn liefert uns eine neue, gemeinsame Vision für die Zukunft. Ein mitreißendes und inspirierend positives Plädoyer gegen die Ohnmacht.

Vita

Zarah Bruhn, 1991 geboren, ist Gründerin, Sozialunternehmerin, Aufsichtsrätin und zugleich politisch aktiv. Bereits als Studentin arbeitete sie bei einem Risikokapitalfonds und gründete im Alter von nur 25 Jahren das Unternehmen «socialbee». Seit 2016 hat ihr Start-up Tausende Geflüchtete bei Unternehmen eingestellt, es bekämpft den Fachkräftemangel und setzt sich für Diversität und Weltoffenheit in der deutschen Wirtschaft ein. 2022 wurde sie erste Beauftragte für Soziale Innovationen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, kurz darauf in den Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung berufen. Seit 2025 baut sie bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) den Schwerpunkt Soziale Innovationen auf und sucht nach gesellschaftlichen Durchbrüchen, die unser Zusammenleben grundlegend verändern. Für ihre Arbeit wurde Bruhn vielfach ausgezeichnet, u.a. als «Sozialunternehmerin des Jahres».

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung Tina Welther

ISBN 978-3-644-02428-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Einleitung:Schluss mit der Ohnmacht

Es ist ein regnerischer Tag, und ich spaziere durch die Gassen Münchens. «Heute geschlossen wegen Weltschmerz», verkündet ein schiefes Schild drüben an einem kleinen Ladeneingang. Daneben ist auf einem roten, regennassen Zeitungsständer eine «Bild»-Schlagzeile zu sehen: «Atomkrieg in Europa?» Die Zeiten haben sich geändert. Egal ob Klimakrise, Rechtsruck oder Ukrainekrieg, wir müssen anerkennen: Die Welt, wie wir sie kennen, fällt auseinander. Alles, was gestern noch sicher war – Wohlstand, Frieden in Europa, eine lebenswerte Zukunft –, wird heute auf den wohl größten Prüfstand gestellt, den die Bundesrepublik bisher erlebt hat.

Ja, heute tut die Welt wirklich weh. Weltschmerz – was bedeutet das eigentlich? Ich denke lange darüber nach. «Die Diskrepanz zwischen der idealen Vorstellung vom Leben und der harten Realität», schlägt mir die Suchmaschinen-KI als Definition vor. Ja, das trifft es, genau das spüre ich. Denn wie vermutlich viele meiner Generation bin ich mit dem Gefühl aufgewachsen, dass es mit der Welt immer nur aufwärtsgeht. Dass sich die freiheitlichen, demokratischen Werte, auf die wir in Europa so stolz sind, auch weltweit immer weiter durchsetzen und dass sie durch die EU, die NATO und die UN geschützt werden. In den letzten Jahren ist diese Gewissheit, dieses Urvertrauen in eine bessere Welt, brüchig geworden, und plötzlich scheint nichts mehr selbstverständlich.

Ohnmacht macht sich breit, wenn wir die Nachrichten lesen. Die täglichen Weltereignisse rund um Politik, Wirtschaft und Klimawandel sind erdrückend. Jeden Tag kommen neue dazu, mit einem schier unendlichen Gewicht walzen sie alles nieder. Und wir? Wir sind mittendrin. Handlungsunfähig, als passive Beobachter, aber doch auch als aktiv Betroffene. Als scheinbar machtloser Spielball in einem Spiel, das andere spielen. Ping, Pong, Ping, Pong. Klar, dass man da auf schlechte Gedanken kommt.

 

Ping, Pong, Ping, Pong.

Mal ehrlich, was kann ein einzelner Mensch schon tun? Ich? Du? Wir sind doch nur Rädchen im System, klitzekleine Lichter angesichts all der Probleme dieser Welt. Wer etwas anderes denkt, macht sich doch lächerlich.

 

Ping, Pong, Ping, Pong.

Hey, das Leben geht weiter. Es bringt doch sowieso alles nichts. Also warum aufregen? Klar ist das eine bittere Pille, aber je eher wir uns damit abfinden, desto besser. Einfach keine Nachrichten mehr lesen. Konzentrier dich doch lieber auf dich, deine Familie und deinen Job. Vielleicht ist es mal wieder Zeit für eine Gehaltserhöhung?

 

Ping, Pong, Ping, Pong.

Schluss jetzt mit diesen Bad Vibes, lieber schön durchatmen und ein bisschen abschalten. Genießen. Das Weltgeschehen ist ohnehin eine zu schwere Last für den Einzelnen. We might as well just enjoy the ride! Lasst uns doch einfach die Party feiern, bis sie zu Ende ist. Und wer weiß, vielleicht wird es irgendjemand ja doch richten. Die Wirtschaft. Oder die Politiker da oben. Dafür haben wir ja die Demokratie. Augen zu, Musik an, der Fuß wippt mit. Den Song von K.I.Z. und AnnenMayKantereit im Ohr, singen wir aus unserem Atomschutzbunker: «Hurra, die Welt geht unter!»

 

Zynismus beiseite. Viele von uns haben sich inzwischen abgefunden mit der eigenen Machtlosigkeit, damit, die Nachrichtenlage nicht beeinflussen zu können. Und klar, ich verstehe, dass man angesichts der Krisen in der Welt einfach nur noch den Kopf in den Sand stecken will. Die Weltlage ist erdrückend – und die resultierende Ohnmacht zeigt sich bei jedem anders: Die einen bleiben ängstlich in der Nachrichtenspirale gefangen, die anderen wenden sich ab, werden zynisch, wütend oder ziehen sich auf ihre Kernfamilie und ihre unmittelbaren Bedürfnisse zurück. Das aber ist gefährlich für unsere Gesellschaft. Zukunftsängste und diese zunehmende Lethargie, das Gefühl der vermeintlichen Wirkungslosigkeit des eigenen Tuns, sind fatal für uns, für Deutschland, für Europa.

Doch – Achtung, Spoiler! – es gibt ein Gegenmittel. Gegen die Ohnmacht, gegen die gefühlte Machtlosigkeit. Dieses Buch ist nicht weniger als ein mächtiges Gegengift gegen all die miese Laune da draußen. Es zeigt eine andere Perspektive auf die Welt und unsere Rolle darin. Warum die Lage besser ist, als sie scheint. Und warum genau jetzt die Zeit ist, in der wir so wirksam sein können wie noch nie.

Zu spüren, dass das eigene Handeln einen Unterschied macht, ist der beste Weg aus der kollektiven Ohnmacht, die unsere Gesellschaft lähmt. Deutschland redet sich schlecht – dabei können wir viel mehr bewegen, als wir denken. Es ist Zeit für eine Aufbruchsstimmung: für eine neue Neugier und einen Zukunftsoptimismus.

In den heutigen Zeiten erscheint jegliche Zuversicht oft schon wie eine Form der Provokation. Aber warum eigentlich? Optimismus ist nicht naiv, sondern eine Geisteshaltung, die es überhaupt erst möglich macht, Chancen zu sehen und Wege, die ins Handeln führen. Und diese alternative Perspektive brauchen wir mehr denn je. Wie wäre es also, wenn wir unseren Blickwinkel ändern? Wenn wir uns nicht von Bedrohungsszenarien einschüchtern lassen, sondern auf das schauen, was wir bereits leisten und was schon heute das Potenzial hat, die Welt zum Positiven zu verändern?

Der Sprung ins Positive bedeutet nicht, die Krisen schönzureden oder Probleme zu ignorieren. Um wirksam werden zu können, müssen wir unser Problem gut kennen. Dazu gehört auch, unsere Ohnmacht besser zu verstehen. Wir müssen herausfinden, was uns lähmt, als Einzelne und als Zivilgesellschaft, im Bereich der Wirtschaft und auf der Ebene von Staat und Politik. Denn diese Ebenen sind die Schlüsselbereiche unserer Zukunft, und wie wir sie gestalten, entscheidet darüber, in welcher Welt wir leben. Mit diesem Wissen können wir ins Handeln kommen, unsere Welt selbst gestalten. Lasst uns dafür noch einmal kurz tiefer in die Krise eintauchen – danach geht es aufwärts, versprochen!

UNGESUNDE DYNAMIKEN

Früher waren die Krisen weit weg, jetzt sind sie direkt vor unserer Haustür. Sie begegnen uns nicht nur im Fernsehen oder in der Zeitung, sondern auch im Liveticker auf unseren Smartphones. Jeden Tag eine neue deprimierende Schlagzeile. Jeden Tag noch mehr destruktive Nachrichten, und wenn man denkt, es kann nicht schlimmer werden, übertrifft Donald Trump sich mal wieder selbst. Die Vereinigten Staaten, einst liberaler Sehnsuchtsort, ein Symbol der Freiheit und Gerechtigkeit, sie existieren so nicht mehr. Und auch die westliche Werteallianz wankt. Getreten mit Füßen vom Egoismus wirtschaftlicher Eliten wie Trump und Elon Musk, die nicht führen, sondern zerstören. Sie sind die personifizierten «Wolfs of Wall Street», die am wertegeleiteten Konstrukt westlicher Demokratien radikalen Raubbau betreiben und in einer nie da gewesenen Vermischung aus Wirtschaft und Politik das Oligarchentum stärken. Mit ihnen droht die ganze Idee der freien Welt zu zerbrechen.

Wie könnte man da all den Stimmen, die sich seit Jahren mehren, widersprechen: Wir erleben den Zerfall der internationalen Ordnung (Henry Kissinger) und das Ende der globalen Sicherheitsarchitektur (Hillary Clinton). Zusätzlich droht im Nahen Osten eine Eskalationsspirale (Annalena Baerbock), und im Kampf um die Ukraine könnte sich der nächste Atomkrieg entwickeln (António Guterres).

Auch in Europa nehmen die Krisennarrative zu. Die NATO bröckelt, unser einst so stabiler Schutzschirm ist plötzlich verdammt löchrig. Deutschland gilt als das «kranke Kind Europas» und weiß dem wenig entgegenzusetzen. Schlimmer noch: Die deutsche Wirtschaft hat ernsthafte Probleme, sich an die Industrie der Zukunft anzupassen, ein Rechtsruck durchzieht Politik und Gesellschaft, der Rassismus ist auf dem Vormarsch. Konfrontiert mit einer AfD, die bei den Bundestagswahlen im Februar 2025 über 20 Prozent erreichte, schürt selbst die politische Mitte mangels Zukunftsperspektiven hauptsächlich Ängste: Wohlstandsverlust, Deindustrialisierung, Zerfall der inneren Sicherheit. Migration wird zum gemeinsamen Feindbild und zur Projektionsfläche für alles erklärt, was schlecht läuft. Einerseits werden die globalen und nationalen Probleme wie Klimakrise, Rechtsruck, Wirtschaftskrise immer größer. Andererseits überkommt uns die bittere Erkenntnis, dass sich selbst die scheinbar gesicherten gesellschaftlichen Errungenschaften durch Trump, Musk, Putin und Co. durchaus zurückdrehen lassen. Wofür Klimaschützer:innen, Wirtschaftsforscher:innen oder Feminist:innen jahrzehntelang gekämpft haben, wird nun zunehmend infrage gestellt.

Während die Einzelnen in unserer Gesellschaft angesichts all dieser Negativmeldungen oft gelähmt zurückbleiben, ist die globale Wirtschaft so umtriebig wie eh und je. Im Guten wie im Schlechten. Denn einerseits zeigt sie sich anpassungsfähig, innovativ und schnell – und andererseits als ein Fähnchen im Wind. Ist Klimawandel en vogue? Dann werden Klimaziele ausgerufen und schneller neue Technologien zur Bekämpfung der globalen Erwärmung entwickelt, als man «EU-Klimaschutzverordnung» sagen kann. Plötzlich steht auf Produkten, ob sie nachhaltig produziert wurden, Lieferketten werden sozialer gestaltet, und die Unternehmensbelegschaften laufen während ihrer Arbeitszeit auf Klimademos von Fridays for Future mit. Was aber, wenn die politische Lage sich verändert?

Ironischerweise war Elon Musk lange Zeit ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Wirtschaft für Umwelt und Gesellschaft arbeiten kann. Obwohl wir den Umstieg auf die E-Mobilität so dringend für die Klimawende brauchen, waren E-Autos jahrelang vor allem eins: Ladenhüter. Erst Tesla gelang es, das E-Auto aus der Öko-Ecke zu holen, mit einem innovativen, schönen Design, einer modernen, schnellen Infrastruktur und einem ganzheitlichen grünen Energiekonzept. Die Welt wurde zum E-Auto-Fan und die Nische zum Mainstream. Vom Hype um Tesla profitierten auch die anderen Hersteller, der gesamte Markt boomte: Während 2018 gerade mal 2 Prozent aller Neuzulassungen E-Autos waren, waren es fünf Jahre später schon ganze 18 Prozent.

Spätestens seit 2024 hat sich das öffentliche Bild von Elon Musk grundlegend verschoben. Heute dient seine Geschichte weniger als Positivbeispiel und mehr als Warnung dafür, wie schnell sich der Wind drehen kann – und zwar in der gesamten Wirtschaft. Gestern war Diversität noch wichtig, um Aufträge und Talente zu bekommen, heute droht Trump mit Konsequenzen für den «woken Wahnsinn», und schon schwenken Weltkonzerne wie Accenture, Walmart oder auch das deutsche Softwareunternehmen SAP um, ändern ihre Einstellungsrichtlinien und erklären die ehemals vertretenen Werte für überflüssig. Schauen wir der Realität ins Auge: Die Wirtschaft ist nicht darauf ausgelegt, etwas anderes als ihren eigenen finanziellen Vorteil zu optimieren. Mag sie auch auf beeindruckende Weise die Ideen und Ambitionen von talentierten Menschen fördern, die Eigeninitiative jedes Einzelnen und damit die Innovationskraft der ganzen Gesellschaft, so springt sie doch meist nur aus Opportunismus auf kulturelle und politische Trends auf. Am Ende richtet sie alles auf eine Kennzahl aus: den Gewinn. Gerät dieser ins Wanken, ist der Rest nur noch «nice to have».

Nicht unser Problem, mögen da einige denken, genau dafür haben wir ja staatliche Regeln und hierzulande – anders als in den USA – auch einen starken Sozialstaat, der Ausgleich schaffen kann. Doch selbst wenn die Ausgangssituation in den Vereinigten Staaten eine völlig andere ist als bei uns, so sind auch wir nicht vor Fehlern gefeit: Während Trump und seine Verbündeten an der Aushöhlung des Staats arbeiten und finden, er solle die Wirtschaft besser gar nicht beschränken und alles den freien Markt regeln lassen, mit allen sozialen Negativkonsequenzen, herrscht in Deutschland das umgekehrte Prinzip. Dem Staat kommt die Rolle des Kümmerers für alle Probleme zu, der immer mehr übernehmen will, diesem Anspruch allerdings immer weniger gerecht werden kann.

Während der Staat versucht, die sozialen Herausforderungen mit immer mehr Budget zu bewältigen, soll der Wirtschaft maximale Freiheit zustehen, um agil und innovativ zu bleiben und ihre Renditen zu steigern. Denn dadurch steigen auch die Steuereinnahmen, mit denen der Sozialstaat uns wiederum den Rücken freihalten soll. Diese Weltentrennung war unser Stolz, ja unser Erfolgsmodell: ein starker Sozialstaat, eine starke Wirtschaft. Doch dieses Modell kommt mittlerweile an seine Grenzen, und die Trennung der Welten mutiert zu Deutschlands Bremsklotz.

Der Staat, der seit Jahren schwerfälliger wird, schafft es immer weniger, dem Anspruch als Problemlöser gerecht zu werden, und versinkt immer tiefer in seiner eigenen Bürokratie. Gleichzeitig entmündigt er genau mit dem Festhalten an diesem Anspruch die Wirtschaft wie auch die Bürgerinnen und Bürger. Die Folge: Man gibt die Verantwortung mit der Steuererklärung ab und erhält einen Freifahrtschein, selbst nichts tun zu müssen. Und sich dann zu beschweren, wenn der Staat es nicht hinkriegt.

Ist diese Dynamik nicht irgendwie ungesund? Stellen wir uns vor, ein Beziehungspartner würde sagen: «Kümmer dich gefälligst um den Haushalt, die Kinder, die Großeltern und den Garten. Und lass mich in Ruhe, ich muss das Geld verdienen – von dem du ohnehin zu viel ausgibst.» Für mich klingt das eher nach einer veralteten Rollenverteilung, nicht nach dem Fortschritt des 21. Jahrhunderts.

Doch die Wirtschaft könnte so viel mehr. Denn in ihr liegt ein enormes Potenzial – das wir nur in die richtige Richtung lenken müssen. Statt Probleme wie Klimawandel, soziale Spaltung oder Armut weiter zu befeuern, kann sie ebenso gut an ihrer Lösung arbeiten und ihr Versprechen auf Wohlstand und Weltverbesserung einlösen.

Was wäre also, wenn wir diese Trennung der Welten, die ohnehin an ihr Limit gekommen ist, endlich aufheben und Staat und Wirtschaft nicht als Gegenspieler, sondern als komplementäre Kräfte begreifen würden? Wenn wir die Wirtschaft nutzten, um auf unternehmerische Weise soziale und ökologische Ziele zu erreichen und gemeinsam an den großen Herausforderungen unserer Zeit zu schrauben?

Es ist möglich, gemeinsam eine bessere Zukunft zu bauen. Dazu müssen wir jedem einzelnen Menschen Verantwortung geben, die Eigeninitiative aller mobilisieren – und ihre mutigen Ideen und ihre Innovationskraft auf die Krisen von heute lenken. Und wir müssen die Beziehung zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Staat von Grund auf neu denken.

ZEIT FÜR EINE POSITIVSPIRALE

Ich bin überzeugt, dass jeder von uns die Welt verändern kann. Doch diese Haltung war nicht automatisch da. Sie ist das Ergebnis eines Lernprozesses und Ausdruck einer bewussten, persönlichen Entscheidung.

Seit zehn Jahren beschäftige ich mich nun beruflich mit der Frage, wie wir es schaffen, unsere Zukunft neu zu denken. Wie wir jeden Einzelnen dazu bringen, unsere Gesellschaft unternehmerisch und mit Freude mitzugestalten. Meine verschiedenen Rollen haben mich geprägt. Sie haben mir neue Perspektiven geschenkt und meinen Blick auf die Welt neu geformt: als Gründerin eines Sozialunternehmens. Als Beauftragte für Soziale Innovationen in der Politik. Als Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Als Impact-Investorin auf der Suche nach gesellschaftlichen Durchbrüchen bei der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND). All diese Themen wären mir als Betriebswirtschaftlerin früher nicht einmal ansatzweise in den Sinn gekommen. Ich habe die Kluft zwischen Wirtschaft und Sozialem selbst gelebt, ja sie geradezu verkörpert – denn mein Lebensziel sah lange Zeit ganz anders aus als heute.

Eigentlich wollte ich Investmentbankerin werden. Das große Geld verdienen. Raus aus der Mittelschicht, raus aus dem bayerischen Dorfleben, in dem der Horizont bei der Rauchbier-Brauerei am Ende der Straße aufhört. Anerkennung, Reichtum und einen hohen Status erlangen. Mich erst mit den Besten der Besten aus meinem Elite-Studiengang messen, um dann mit den klügsten Köpfen der Welt arbeiten zu können. Zusammen oder gegeneinander bei Banken wie J.P. Morgan, Goldman Sachs oder Merrill Lynch auf steigende Kurse spekulieren, in spannende Firmen investieren und dabei selbst reich werden. Mein «Potenzial» entwickeln. Zwischen London, New York und San Francisco jetten, im schicken Hosenanzug so etwas wie die coole Businessversion von «Sex and the City» leben. Ein Loft in der Hauptstadt, ein Zweitwohnsitz am See. Harte Arbeit, wilde Partys. Das ist kein Traum, sondern mittlerweile Realität – zwar nicht für mich, wohl aber für einige meiner Kommilitonen.

Was in dieser großen Vision nicht vorkam, war soziales Engagement, in welcher Form auch immer. Ist das nicht das Berufsfeld mit den Sozialarbeiter:innen, die sich selbst ausbeuten und nichts verdienen?, fragte sich mein jüngeres Ich. Klingt anstrengend. Also, wirklich gut, dass das jemand macht – aber für mich wär das nichts. Ich bin doch nicht Mutter Teresa. Hauptsache Spaß haben. Die Welt gehört uns, also denen, die was leisten! Schließlich finanzieren wir, die zukünftige Wirtschaftselite, einmal den teuren und sowieso viel zu ineffektiven Sozialstaat mit unseren Steuern. Aber na ja, vielleicht findet sich für dieses Problem auch ein schönes Schweizer Schlupfloch.

So vorgezeichnet mein Weg schien, so anders sollte es für mich kommen.

Ich hätte mir damals nicht träumen lassen, dass ich ein eigenes, soziales Start-up gründen würde, das Tausende Geflüchtete integriert und Unternehmen hilft, Zugewanderte unbürokratisch und langfristig einzustellen. Oder in diese ach so lästige Politik zu gehen, um mich für mehr Sozialunternehmertum und gesellschaftliche Innovationen einzusetzen. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich so viele Menschen kennenlernen würde, die wirklich im großen Stil Einfluss auf die Welt nehmen. All diese Begegnungen haben mich verändert. Meinen Wertekompass wie auch mein eigenes Verständnis von Wirtschaft, Staat und meiner Rolle darin.

 

In diesem Buch will ich euch mit auf diesen Weg nehmen. Einen Weg, der mich ins Handeln gebracht hat. Denn was ich auf diesem Weg vor allem gelernt habe, ist, dass es allen Grund gibt zu hoffen. Warum? Weil bereits heute so viele mutige, einflussreiche und inspirierende Menschen an einer besseren Welt arbeiten. Während meiner Tätigkeit als Sozialunternehmerin und in der Politik, aber auch bei der Recherche für dieses Buch habe ich viele von ihnen getroffen. Darunter waren ein Friedensnobelpreisträger, CEOs von Dax-Unternehmen, mutige Politik-Quereinsteigerinnen und eine geniale Super-Hackerin, ambitionierte Gründer und visionäre Sozialarbeiter. In allen Ecken der Welt gehen diese «Changemaker» Probleme wie den Klimawandel, Bildungsungerechtigkeit oder Armut an – und sparen den angespannten Staatshaushalten dabei Milliarden. Sie haben Antworten, sind innovativ und denken dabei doch unternehmerisch. Vor allem aber zeigen sie mitreißende, konkrete und positive Wege in die Zukunft auf.

Die sechs Menschen, die ich euch vorstellen werde, haben sich in den verschiedensten Teilen der Erde auf den Weg gemacht, in Indien, Taiwan, Brasilien, England, Bangladesch und Deutschland. Ihre Modelle werden weltweit kopiert und verändern Staaten, Gesellschaftssysteme und selbst den Kapitalmarkt. Ihre Geschichten und Hintergründe könnten unterschiedlicher nicht sein: Rodrigo Baggio aus Brasilien und Jeroo Billimoria aus Indien, die unabhängig voneinander in ihrem Land und weit darüber hinaus Bildungsorganisationen aufgebaut haben, um Millionen von Straßenkindern eine Perspektive zu geben, und die mittlerweile gemeinsam eine globale Bewegung für Sozialunternehmertum angestoßen haben. Daneben Muhammad Yunus, ein ehemals verfolgter Friedensnobelpreisträger, der heute das Amt des Regierungschefs in Bangladesch innehat und die demokratische Hoffnung des Landes ist. Dazu Audrey Tang, eine taiwanesische Superhackerin, die die Demokratie neu erfindet, Martina Merz, eine schwäbische Ingenieurin, die die dreckigsten Industrien der Wirtschaft auf grün umkrempelt, und Sir Ronald Cohen, der Vater des britischen Venture-Capitals und der Pate des weltweiten Impact-Investings. Ehemals aus Ägypten geflohen, später in England zum Ritter geschlagen, revolutioniert er den globalen Kapitalmarkt auf soziale Weise.

Diese sechs Personen gehen die gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit jeweils aus ihrer ganz eigenen Perspektive an. Und doch haben sie viele Gemeinsamkeiten, denselben Blick auf die Welt. Sie drehen an den großen Rädern, damit zukünftige Generationen sich an unsere heutigen Probleme vielleicht nicht einmal mehr erinnern. Sie sind die alternativen Vorbilder, die ich in der klassischen Businesswelt nie kennengelernt habe, und für mich die großen Heldinnen und Helden unserer Zeit. An ihnen zeigt sich, wie viel Einfluss eine einzelne Person haben kann, gerade auch im Positiven. Sie haben kluge Strategien dafür, wie wir das Beste aus den Stärken der Menschen, aus Wirtschaft und Politik herausholen können, wenn wir sie nur auf die Lösung unserer größten gesellschaftlichen Herausforderungen ausrichten. Sie reißen Hunderte, Tausende, ja Millionen von Menschen mit sich und verändern das Weltgeschehen in unvorstellbaren Dimensionen. Und das Gute? Sie sind nicht allein, sondern ein paar ausgewählte Stellvertreter eines ganzen Kosmos an Menschen, die schon heute an strukturellen Lösungen und kraftvollen Ansätzen für eine bessere, gerechtere, klimafreundlichere Welt schrauben.

Es wird Zeit, diesen Changemakern zu folgen und selbst zu einer positiven Kraft für die Zukunft unserer Gesellschaft zu werden. In Deutschland haben wir dafür alles, was es braucht: hohe Bildung, Wohlstand und eine starke Wissenschaft und Wirtschaft. Statt Angst zu haben, tief zu fallen, brauchen wir den Mut und die Ambition, im großen Stil an der Gestaltung unserer Zukunft zu arbeiten und Deutschland und Europa aus dieser Stärke heraus für die kommenden Herausforderungen zu rüsten.

Denn wer, wenn nicht wir? Es ist unsere eigene Entscheidung, wie wir auf die Welt blicken – und es ist unsere Entscheidung, was wir damit machen.

Dieses Buch soll eine Ermutigung sein. Ich möchte zeigen, wie wir es schaffen, über Bedrohungsszenarien hinauszublicken und Licht am Horizont zu sehen. Wie jeder Einzelne von uns wieder das Gefühl bekommt: Ich kann einen Unterschied machen. Denn wir können so viel lernen von all den Vorbildern, all den besonderen Menschen, die sich bereits der Lösung großer Probleme widmen. Sie zeigen uns unmissverständlich: Probleme sind nicht das Ende – sie sind der Anfang. Und jeder von uns kann Teil der Lösung sein.

TEIL IPerspektivwechsel wagen: Was uns bremst – und wie wir das ändern

1Eine gelähmte Gesellschaft: Woher kommt die Ohnmacht der Einzelnen?

Es ist wie bei einem Autounfall: Man will eigentlich nicht hinschauen, kann aber nicht anders.

Scroll – ein Kind im Gazastreifen, dem ein Bein fehlt.

Scroll – eine Jahrhundertflut reißt Bäume und Häuser mit sich.

Scroll – Elon Musk zeigt den Hitlergruß bei Trumps Vereidigung.

Scroll – mit Drogen vollgepumpte russische Soldaten schießen auf ukrainischem Kriegsgebiet um sich.

Scroll – bei einer Messerattacke in einem Kindergarten sterben ein Vater und ein Kind.

Jedes Mal, wenn wir nach oben wischen, scheint die Welt ein bisschen dunkler, die Zukunft ein bisschen trostloser. Der tägliche Nachrichtenkonsum ist zu einer Art toxischer Dauerschleife geworden. Wie in einem Karussell drehen wir uns weiter und weiter, und dabei verpassen wir paralysiert jede Ausstiegschance.

Ohnmacht, das ist ein Zustand der Hilflosigkeit, in dem ein Mensch das Gefühl hat, keine Kontrolle über sein Leben oder die eigene Umgebung auszuüben. Kein Wunder, dass dieses Gefühl momentan um sich greift wie lange nicht mehr. Denn die Medien sind voll von Schlagzeilen und Aufmerksamkeit heischenden Bildern, die unsere Urängste triggern. Drohender Wohlstandsverlust, Kriegsszenarien, Klimakatastrophen – das ist ein Nachrichtencocktail, der eine Gesellschaft lähmen kann. Wie ein Nervengift in Langzeitdosierung, das süchtig und zugleich handlungsunfähig macht.

Diese Abhängigkeitsspirale ist nicht nur ein Gefühl, sondern real. Immer mehr Menschen werden zu sogenannten «Doomscrollern». Das heißt, sie durchforsten in endloser Alarmbereitschaft Nachrichtenfeeds auf der Suche nach immer mehr schlechten Nachrichten, die dann ihre Existenzängste weiter schüren – ein Teufelskreis, der Stress erzeugt und Depressionen auslösen kann.

Doch warum sind negative Nachrichten so weit verbreitet? Warum klicken sie so gut? Ganz einfach: Wir sind als Spezies evolutionär darauf gepolt, Bedrohungen stärker wahrzunehmen als Chancen. Unsere Antennen wurden schon in der Steinzeit vor allem in die eine, negative Richtung geschärft, um Gefahren schnell zu erkennen. Eine Evolutionsstrategie für die Sicherung des eigenen Überlebens, die früher sehr nützlich war und heute immer mehr zum Problem wird. Denn unsere angeborene Anfälligkeit fürs Negative lässt sich hervorragend vermarkten. Die Medien nutzen den sogenannten Negativitätsbias zur Maximierung ihrer Reichweite – und generieren damit Werbeeinnahmen. «If it bleeds, it leads» ist das Motto: Was blutig ist, verkauft sich besser. Im Vergleich zu Fortschrittsmeldungen erzeugen Katastrophen mehr Aufmerksamkeit, mehr Klicks, mehr Geld. Und die sozialen Medien? Heizen den Effekt noch weiter an. Denn was am besten klickt, wird von den Algorithmen nach ganz oben gespült.

Je mehr schlechte Nachrichten wir konsumieren, desto eher erreichen wir den Zustand der «erlernten Hilflosigkeit». Denn der Negativitätsbias verzerrt die Realität – und das bedeutet, wir schätzen die Welt bedrohlicher ein, als sie in Wirklichkeit ist. Was dabei besonders gefährlich ist: Wir bekommen das Gefühl, selbst nichts in der Welt verändern zu können. Obwohl das gar nicht stimmt.

DER SOG DES NEGATIVEN

Unser Gehirn befördert also eine Art des Nachrichtenkonsums, die uns vor allem das Schlechte und Angstmachende wahrnehmen lässt. Und genau die Ohnmacht, die lähmende Lethargie, die kollektive Erschöpfung, die dadurch so oft entstehen, ersticken den Glauben an unsere eigenen Fähigkeiten. Sie hemmen Optimismus, dämpfen Veränderungsenergie und bremsen jeglichen Wunsch, eine bessere Zukunft zu bauen, aus. Der Negativitätsbias und die erlernte Hilflosigkeit setzen eine Abwärtsspirale in Gang, die nicht nur zum Doomscrolling führen, sondern auch ins Gegenteil umschlagen kann: in die Abschottung von Informationen. Nach dem Motto: Wenn es zu viel wird und ich sowieso nichts ändern kann, dann lieber Augen und Ohren verschließen – und die Welt einfach ausblenden.

Oft fängt das schleichend an. Wir schauen vielleicht weniger in unsere Nachrichten-Apps, deinstallieren sie irgendwann. Ab und zu bekommen wir über Instagram, TikTok oder YouTube informative Kurzvideos eingespielt. Ob sie Facts oder Fakes sind? Keine Ahnung. Ist ja auch egal, Hauptsache unterhaltsam. Und wenn die Tagesschau läuft? Och nö, lieber schnell umschalten auf leichtere Kost. Endlich Detox! Wir fliehen vor der Wirklichkeit und lenken uns ab, mit Fernsehen, Netflix, TikTok-Hacks oder lustigen Insta-Stories. Gerade junge Menschen wandern immer mehr in ihre selbst geschaffene, meist fiktionale Medienrealität ab. Andere wiederum schalten komplett ab.

Ein bisschen weniger schlechte Nachrichten zu konsumieren, auch einmal die Stopptaste zu drücken, ist ja grundsätzlich nicht verkehrt. Aber die Nachrichtenmüdigkeit, die «news fatigue», ist keine aktive Strategie, sondern vielmehr Ausdruck der Überforderung. Ein Akt der Resignation, der dazu führt, dass sich Menschen nicht nur von den Medien, sondern auch vom politischen Geschehen und den gesellschaftlichen Herausforderungen abwenden. Die Nachrichtenvermeidung steht als Symptom für eine regelrechte Entfremdung von der Gesellschaft.

Diese Entwicklung lässt sich messen. Seit 2017 geht das Interesse an Nachrichten in Deutschland spürbar zurück, die Nachrichtenvermeidung nimmt zu. Auch das Interesse an Politik sinkt, ebenso wie das generelle Vertrauen in den Wahrheitsgehalt von Nachrichten. Eine Befragung des Rheingold Instituts aus dem Jahr 2023 ergab, dass 59 Prozent der Deutschen sich von den vielen Krisen der Welt überfordert fühlen. Nur 39 Prozent informieren sich demnach noch regelmäßig über das Weltgeschehen. «Deutschland auf der Flucht vor der Wirklichkeit», lautete der Titel der Studie. Mehr als die Hälfte der Befragten würden am liebsten auswandern, wenn sie auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland schauen. Statt anzupacken, wird häufig verdrängt oder weggeschaut.

Doch das hat Folgen: weniger gesellschaftliches und politisches Engagement, weniger demokratische Beteiligung. Da es in der Flut von Informationen immer schwieriger wird, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden, sortieren viele Menschen am Ende aus Überforderung alles aus, was nicht unmittelbar relevant für das eigene Leben im Hier und Jetzt ist. Sie resignieren, ziehen sich ins Privatleben zurück und stellen Familie, Job und das eigene Wohl in den Fokus. Etwa 70 Prozent wollen sich mehr auf sich konzentrieren, ihr Leben und ihre Freizeit mehr genießen – knapp 90 Prozent suchen im persönlichen Umfeld von Familie und Freunden Zuversicht und Halt. Anliegen, die die Gesellschaft als Ganzes betreffen, werden herunterpriorisiert oder ignoriert. Frei nach dem Motto: Wenn ich ohnehin nichts ändern kann, dann schaue ich eben auf mich. Hauptsache, mir geht’s gut!

Doch was bedeutet das für uns als Gesellschaft, wenn der Einzelne immer weniger auf die Gemeinschaft, dafür immer mehr auf sich selbst schaut? Für mehr als die Hälfte der Befragten ist beispielsweise der Klimawandel keine der fünf wichtigsten Krisen, 44 Prozent finden gar, die Politik tue genug oder sogar zu viel dagegen. Das eigene Wohlergehen scheint wichtiger. Vor allem das, was unmittelbar den Geldbeutel berührt, wie die Inflation oder die Energiekrise, wird zur Priorität. Der Optimismus im Hinblick auf die eigene Zukunft ist zwar mit knapp 90 Prozent weiterhin groß, doch dank des politischen Pessimismus von rund 80 Prozent blicken am Ende gerade einmal 55 Prozent der Befragten noch mit Zuversicht in die Zukunft.

Statt in einer positiven Aufbruchsstimmung an unserer Zukunft zu bauen, finden wir uns mit einer solchen Weltsicht mental in einer Art Nachspielzeit wieder. Die Endzeitatmosphäre im Nacken, gilt es vor allem, das bisher Erreichte nicht zu verlieren und sich abzusichern. Zwei Drittel aller Deutschen fürchten den Wohlstandsverlust. Die verbreitete Erzählung lautet: Früher war Deutschland noch Exportweltmeister, ein florierendes, wirtschaftsstarkes Land, die Nummer eins in Europa. Die Vorschau: Deutschland ist auf dem absteigenden Ast. Die Angst geht um, dass alles schlechter wird. Dass es wirklich besser wird, glauben wenige. Aber die guten alten Zeiten sollen bitte noch ein kleines bisschen weitergehen!

Genau das Narrativ des drohenden Niedergangs ist jedoch brandgefährlich, denn es wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Je schlechter wir uns reden, je ohnmächtiger wir uns fühlen, desto weniger handeln wir und befeuern damit unsere eigene Abwärtsspirale.

Die Mehrheit der Befragten ist für den Wandel und fürs Selbstanpacken kaum zu mobilisieren. Warum sich noch engagieren, wenn ohnehin alle Fortschritte der letzten Jahre wieder zurückgedreht werden? Schaut man genauer hin, zeigt sich, wie paradox diese Einstellung ist: Obwohl etwa drei Viertel der Teilnehmenden im Jahr 2023 aussagen, dass der Einsatz jedes Einzelnen mehr denn je zähle, wenn es darum geht, unsere Probleme zu meistern, glaubt weniger als die Hälfte der Menschen, dass ihr eigenes Engagement wirklich einen Unterschied macht. Und so wird die Ohnmacht des Einzelnen zur kollektiven Entmutigung, die unsere Gesellschaft lähmt und uns handlungsunfähig zurücklässt.

Denn statt die eigene Energie auf Lösungen, auf Potenziale, auf Stärken hin auszurichten, konzentrieren sich Menschen in einer ohnmächtigen Gesellschaft stärker auf Defizite und Fehler. Sie geben schneller auf, sind risikoaverser und bremsen Innovation und Fortschritt aus. Wir kennen es vielleicht: Neue Ideen werden erst einmal mit Skepsis begutachtet. Bringt das denn alles überhaupt etwas? Wie oft habe ich – in der Politik, im Privaten – selbst erlebt, wie Blockadehaltungen und Pessimismus die mutigen Lösungen derjenigen ausbremsen, die voller Zuversicht und Energie Ideen vorantreiben.

Umgekehrt öffnet der Dauerfokus auf Defizite auch denjenigen Akteuren Tür und Tor, die mit einfachen Erklärungen und klaren Feindbildern auf Stimmenfang gehen. Denn auch die Solidarität innerhalb einer Bevölkerung schrumpft durch die Verbreitung destruktiver Narrative. Gerade wenn Menschen den Eindruck haben, dass die Gesellschaft in einem schlechten Zustand ist, sinkt auch ihre Bereitschaft, anderen zu helfen. Egoismus und Isolation nehmen zu, untergraben unseren Zusammenhalt und schwächen unser demokratisches Fundament.

Das Prinzip «America First», mit dem Donald Trump die US-Wahlen gewonnen hat, verfängt immer mehr auch bei uns. Denn populistische Narrative bieten für viele einen erlösenden Ausweg aus dem Gefühl der eigenen Wirkungslosigkeit.

Der Eindruck, politisch nichts ändern zu können, führt zum wachsenden Erfolg rechtsextremer Parteien. Während die politische Mitte sich in Grabenkämpfen verliert, übernehmen andere die Bühne. Parteien wie die AfD haben das Schimpfen über ein kaputtes System perfektioniert und es paradoxerweise geschafft, ihre rückwärtsgewandte Politik als Vision, als Erneuerung zu inszenieren. Ihre Narrative sind klar, einfach, oft brutal – und sie geben ihren Wählern ein Gefühl von Kontrolle, von Handlungsmacht über sich selbst zurück.

Nehmen wir das Beispiel Migration: Hier treibt die AfD die Parteien der Mitte vor sich her wie bei keinem anderen Thema. Der Überbietungswettbewerb, wer am härtesten gegen «die Ausländer» vorgeht, ist bis in die politische Mitte hinein in vollem Gange. «Wir müssen endlich im großen Stil abschieben», zitierte der «Spiegel» im Oktober 2023 den Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Titelseite. Friedrich Merz nutzte im Januar 2025 die Stimmen der AfD, um sich eine Mehrheit für seinen Fünf-Punkte-Migrationsplan zu beschaffen. Die Brandmauer, die zuvor AfD und rechtes Gedankengut ferngehalten hat, bröckelte. Während sich die Parteien der Mitte immer weiter nach rechts orientieren, um die AfD zu verhindern, profitiert das Original.

Schauen wir wiederum auf Europa als Ganzes, wirken die 20 Prozent für die AfD in den Bundestagswahlen 2025 fast harmlos. Während Länder wie Frankreich, Schweden oder Holland mit Ach und Krach Mehrheiten ohne die Rechtspopulisten bilden können, haben diese in Ungarn oder Italien schon die Macht übernommen. In mehreren EU-Ländern sind rechtsextreme Parteien bereits an der Regierung beteiligt. Sie sind auf dem Vormarsch und werden europaweit immer stärker.

Die Rechtspopulisten nutzen destruktive Narrative gezielt für sich. Sie schüren bewusst Ängste und verbreiten Untergangserzählungen, sie profitieren von der Ohnmacht der Menschen, ihrer politischen Orientierungslosigkeit – und heizen mit simplen Antworten und reißerischen Fake News die Social-Media-Algorithmen an. Neben der Linken, die im letzten Bundestagswahlkampf auch auf Social Media an Popularität gewonnen hat, ist die AfD auf allen gängigen Plattformen die Partei mit den meisten Aufrufen und Engagement-Raten, also der Zahl von Likes und Kommentaren pro Follower. Die Raten des als gesichert rechtsextrem eingestuften Björn Höcke sind Anfang 2024 im Schnitt viermal so hoch gewesen wie die von Friedrich Merz. Auch Milliardär Elon Musk missbraucht seinen Chefposten bei der Kurznachrichtenplattform X, um Desinformation zu streuen. Dabei richtet er die Algorithmen immer weiter auf rechte Inhalte aus, damit deren Reichweite durch die Decke geht.

Doch wer denkt, das war alles – weit gefehlt. Dieses Phänomen findet sich überall. Ganz vorn dabei ist auch der Kreml, der destruktive Narrative und Fake News auch hier in Deutschland strategisch streut, um seine Ziele zu erreichen. Er führt mit seiner sogenannten «Social Design Agency», einer staatlich gelenkten Online-PR-Firma, einen digitalen Feldzug gegen den Westen und manipuliert unseren täglichen Newsfeed, um seine Ziele zu erreichen. Diese werden erschreckend freigiebig öffentlich kommuniziert. Hier ein paar Beispiele: Der Indikator «Zukunftsangst in Deutschland» soll in Umfragen bei über 50 Prozent liegen; mehr als 55 Prozent der Deutschen sollen dagegen sein, dass wir unser Vermögen opfern, um uns gegen Russland zu verteidigen; die AfD soll deutliche Wahlgewinne einfahren, die Grünen hingegen sollen stärker abgelehnt werden. Passend zu diesen Zielen werden angstbesetzte Themen lanciert, etwa die militärische Schwäche Deutschlands oder auch unser politischer und wirtschaftlicher Niedergang. In letzter Konsequenz, so die Propaganda der «Agency», sei all das die Schuld der USA, die uns nur in den Ruin treiben wollen – und eine Annäherung an Russland somit die Lösung.

PROBLEME ALS HEBEL

Natürlich wirken diese Ereignisse in Europa und auf der Welt in ihrer Gesamtheit überwältigend. Auch ich habe die Ohnmacht oft gespürt. Mit jeder Krisenmeldung das Gefühl gehabt, dass all mein Einsatz, mein Engagement nichts bringt. Und ja, die Probleme sind riesig, multidimensional und kompliziert. Aber: Sie sind nicht unlösbar. 

In meiner Zeit als Unternehmerin habe ich gelernt, was für einen fundamentalen Unterschied es macht, wie wir auf die Welt blicken. Sehen wir nur auf das, was schlecht läuft? Oder konzentrieren wir uns radikal auf die Tausenden Chancen da draußen, die nur darauf warten, entdeckt zu werden? Es ist an der Zeit, die Endzeitnarrative über Bord zu werfen und einen Perspektivwechsel zu wagen. Tschüss, Negativitätsbias! Die Welt ist besser, als sie scheint. Und wenn nicht? Dann machen wir sie eben besser. Wir haben alles dazu in der Hand, unsere Zukunft selbst zu schreiben. Also legen wir los!

Beginnen wir zunächst mit einer hoffnungsvollen Bestandsaufnahme und rufen uns einmal ins Gedächtnis, wie gut unsere Ausgangslage in Deutschland eigentlich ist. Auch wenn wir es im Alltag oft vergessen: Wir sind noch immer eine der stabilsten Demokratien der Welt und belegen Platz zwölf im globalen Demokratieindex. Der deutsche Sozialstaat und unser Gesundheitssystem gehören zu den stärksten, die es global gibt. Deutschland ist auf Platz drei der größten Volkswirtschaften, direkt hinter den USA und China. Und beim Klimaschutz machen wir Fortschritte: Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist in Deutschland auf einem Allzeithoch, wobei wir auch von globalen Entwicklungen profitieren können. 107 Länder weltweit, die rund 82 Prozent aller globalen Emissionen verursachen, haben mittlerweile die Netto-Null-Ziele ausgerufen. Die EU hat sich der Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet. Mit dem Green Deal haben wir eine handfeste Umsetzungsstrategie für alle Sektoren inklusive einer Billion Euro an Kapital, die zu diesem Zweck investiert werden soll. Allein von 2022 bis 2023 sanken in der EU die Emissionen schon um 7,5 Prozent.

Auch diese Aspekte gehören zu einer vollständigen Erzählung unserer Gegenwart. Sind die Probleme damit gelöst? Nein. Aber es geht darum, dass wir ein Gegengewicht aufzeigen, nämlich all die Dinge, die sich bereits zum Positiven entwickeln. Denn es gibt sie, die guten Nachrichten. Jeden Tag. Wir schenken ihnen nur viel zu selten Aufmerksamkeit. Dabei könnten genau sie uns stärken.

Auch wenn es schwer zu glauben ist: Wir haben es schon oft geschafft, mit vereinten Kräften globale Krisen zu bewältigen. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an das Ozonloch, das große Endzeitthema der 1980er-Jahre? Damals schien die Welt vor dem Untergang zu stehen, die Medien überschlugen sich mit Schlagzeilen wie: «Wir verbrennen alle!» Doch es ist uns gelungen, die Welt vor der scheinbar drohenden Apokalypse zu bewahren. Und heute spricht kaum jemand mehr darüber.

Die Ozonschicht ist der Schutzschirm der Erde. Sie absorbiert den größten Teil der Sonneneinstrahlung, filtert das UV-Licht und sorgt dafür, dass Menschen, Tiere und Pflanzen an Land überleben können. In den 1980er-Jahren wurde die Ozonschicht über der Antarktis immer dünner, und die Prognosen waren dementsprechend düster: von Hautkrebs über Ernteausfälle bis hin zum vollständigen planetaren Kollaps.

Und auch damals wurde das Problem lange verdrängt. Schließlich hatten die Chemiker Mario Molina und Sherwood Rowland bereits in den 1970er-Jahren herausgefunden, dass Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) die Ozonschicht zerstören. Zu dieser Zeit steckte FCKW in Spraydosen, Kühlanlagen, Schaumstoffen – also in etlichen Produkten des täglichen Lebens. Die Erkenntnisse waren eindeutig, doch mehr als zehn Jahre lang passierte – natürlich – nichts. Die Daten wurden unter den Teppich gekehrt, und sowohl Industrie als auch Politik ignorierten die Warnungen der Wissenschaft. Die Reduktion des FCKW war schlicht zu teuer und zu unbequem. Es folgten ein paar Alibi-Begrenzungen hier, ein paar Lippenbekenntnisse da, doch es geschah bei Weitem nicht genug, um das Ausdünnen der Ozonschicht aufzuhalten.

Der Wendepunkt kam 1985, als britische Forscher um Joe