Werden Sie doch einfach Graf! - Lo Graf von Blickensdorf - E-Book

Werden Sie doch einfach Graf! E-Book

Lo Graf von Blickensdorf

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Beschreibung

»Guten Tag, Sie wünschen?« »Einen Künstlernamen, bitte. Wenn möglich mit Humor.« »Da haben wir ein besonders kurioses Modell im Angebot: ›Falscher Graf‹. Mit dem werden Sie ’ne Menge Spaß haben. Schlüpfen Sie doch einfach mal rein.« »Passt wie angegossen. Was kostet der?« »Ist umsonst.« »Ist gekauft.« »Tüte oder Karton, Herr Graf?« »Danke, ich behalte ihn gleich an.« Was der Berliner (Lebens-)Künstler Lo Graf von Blickensdorf mit einem vermeintlichen Adelstitel im Namen so alles anstellt, ist unglaublich, was er erlebt, unbeschreiblich ... na ja, zum Glück nicht wirklich. Aber amüsant ist es auf jeden Fall. Ehrenwort! Adel verpflichtet! Sicher, aber … zu was eigentlich? Zu adrettem Äußeren? Unbedingt. Zu vorbildlichen Manieren? Gewiss. Zu einem Schlösschen? Zu standesgemäßem Umgang? Zu passender Partnerwahl? Zu … Puh! Die armen Adligen! Wer sich ein solches Pomp-Paket stammbaumlos, sprich freiwillig, aufschnallt, muss verrückt sein. Oder Künstler. »Entweder ein Kunstwerk sein, oder eines tragen« – dazu verpflichtet, laut Oscar Wilde, die Kunst. Ähnlich sieht das auch der Berliner Autor und Kunstschaffende Lo Blickensdorf und lässt diesem Grundsatz Taten und Titel folgen. Als Graf von Blickensdorf mischt er sich unters gemeine Volk und hält der Nation den satirisch angehauchten Spiegel vor. Seine Abenteuer als Aristokratenattrappe handeln von unverhofften Oasen in der Servicewüste Deutschland, von qualitativ fragwürdiger Damenschwemme auf dem Heiratsmarkt, von erdrutschartigen Umtrieben im persönlichen Umfeld, von peinlichen Promi-Pannen, von pointierten Angriffen auf Politik und Wirtschaft, von… Puh! Der arme Graf! Nur gut, dass das »Von« und die damit verbundenen Marketingaktionen die bis dato hohle Schatzkammer langsam aber stetig füllen. Gleichwohl ist nicht jede Vermarktungsidee von Erfolg gekrönt – unverständlicherweise, denn welcher Untertan würde nicht gerne sein simples Dasein erhöhen, indem er an einem Adelseis lutscht, ein Gläschen »1953er Knochenhobler Steißgestänge« kippt oder mit einer gräflichen Samenspende den Stammbaum aufmotzt. »Biste was, kriegste was« lautet die Devise. Und genau darin liegt die Kunst des Lo Graf von Blickensdorf. Denn nicht jeder, der was ist, kann auch was sein. Oder wie Kumpel Kutte am gutbürgerlichen Tresen berlinert: »Cool, Alter! Könnt ick nich. Det Einzige, wat ick druff hab, is Zahnbelag«. Der Arme ...

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Seitenzahl: 235

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Lo Graf von Blickensdorf

Werden Sie doch einfach Graf!

Copyright der eBook-Ausgabe: © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Originalausgabe: © 2009 bei Rotbuch Verlag, Berlin

Lo Graf von Blickensdorf wird durch die Verlagsagentur Lianne Kolf (München) vertreten

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Tom Peschel

Autorenfoto: privat

ISBN: 978-3-942822-74-9

Besuchen Sie uns im Internet:

www.heypublishing.com

www.facebook.com/heypublishing

www.grafvonblickensdorf.de

Werden Sie doch einfach Graf!

Adel verpflichtet! Sicher, aber … zu was eigentlich? Zu adrettem Äußeren? Unbedingt. Zu vorbildlichen Manieren? Gewiss. Zu einem Schlösschen? Zu standesgemäßem Umgang? Zu passender Partnerwahl? Zu … Puh! Die armen Adligen! Wer sich ein solches Pomp-Paket stammbaumlos, sprich freiwillig, aufschnallt, muss verrückt sein.

Oder Künstler. »Entweder ein Kunstwerk sein, oder eines tragen« – dazu verpflichtet, laut Oscar Wilde, die Kunst. Ähnlich sieht das auch der Berliner Autor und Kunstschaffende Lo Blickensdorf und lässt diesem Grundsatz Taten und Titel folgen. Als Graf von Blickensdorf mischt er sich unters gemeine Volk und hält der Nation den satirisch angehauchten Spiegel vor.

Cover

Vorwort

Wie alles begann

Des Grafen Kleidung – Adel verpflichtet

Der Graf, die Liebe und der Sex

Als Graf essen, trinken und tanzen, wie es sich gehört

Der Graf in Konfrontation mit dem »richtigen« Adel

Der Graf auf Partnersuche

Gräflich reisen

Die Briefe des Grafen

Graf oder Gräfin werden: Eine Anleitung

Resümee

Über den Autor

Für meine Mutter Lieselotte Gräfin von Blickensdorf

»Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.«

Vorwort

von Götz Alsmann

Wir leben in einer Republik. Adelige genießen de jure keine Sonderrechte. Viele Adelige sind verarmt, verkracht, bedeutungslos. Der alte Adel in seiner gefühlten Steiflippigkeit und arthritisch-hölzernen Eckigkeit dient als Vorlage für Knallchargennummern in Theater, Filmlustspiel und Kabarett.

Die Welt lacht sich scheckig über Sir Toby und Admiral von Schneider aus »Dinner for One« und selbst Kinderbuchleser der Sechzigerjahre wussten schon, dass sich Graf Schreckenstein hauptsächlich durch eine immense Nase auszeichnete. Heutige Kinder verorten Grafen irgendwo zwischen Dracula und Graf Zahl aus der »Sesamstraße«. Ulkig.

Dazu ist unsere Rezeption des Adels noch durch ein Quäntchen Revolutionäres geprägt, das mancher in sich zu spüren glaubt. Adel? Haha. Nicht mit mir. Eine ehemals bekannte Politikerin der Grünen gab ihr »von« sogar auf – vermutlich, um nicht mit dem Freiherrn vom Stein oder dem Grafen von Monte Christo verwechselt zu werden.

Diejenigen in Politik, Journalismus und politischem Kabarett, die sich ihr pubertäres Gemüt bewahrt haben, können nicht über den gegenwärtigen Bundeswirtschaftsminister schreiben oder sprechen, ohne süffisant auf seine Herkunft zu verweisen.

Adelige? Sollen sich mal hinten anstellen.

Und doch: Das Faszinosum »Adel« bleibt. Etliche Zeitschriften bestehen aus fast nichts anderem als der Berichterstattung über den europäischen Hochadel. Stellt sich jemand mit einem adeligen Namen vor, reagieren wir innerlich immer – ähnlich wie bei besonders exotischen oder besonders lustigen Familiennamen.

Mit gespielt gleichgültigem Gesicht sagen wir beim Händedruck genauso »Guten Tag, Graf Mahlzahn«, wie wir »Guten Tag, Herr Pupskopp« sagen würden. Nur dass wir Graf Mahlzahn ein wenig beneiden.

Geben wir’s zu: Das Vertrackte an der ganzen Angelegenheit »Adel« ist doch, dass der gemeine Adelige oft eine Nonchalance und Selbstsicherheit, ja: Selbstverständlichkeit an den Tag legt, die man als zauseliger Alt-Freak oder strubbeliger Langzeitstudent einfach nicht hinbekommt. Ein fester Händedruck, ein gewandtes Lächeln, kerzengerade Haltung, elegant selbst in Freizeitgarderobe und immer ein Nanogramm Arroganz. Wie kriegt er das bloß hin?

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Viele kriegen es überhaupt nicht hin. Es gibt halt auch bei den guten alten Blaublütern perfekte und katastrophale Adeligen-Darsteller.

Aber wenn Schauspieler zwischen »ich bin Hamlet« und »ich bin ein Stuhl« alles lernen und spielen können, wenn auch mittelprächtige Darsteller durch Probenarbeit ihre (lassen Sie mich für eine Sekunde ganz modern sein) »Performance optimieren« können – dann müsste sich doch »adelig sein« zumindest im Rahmen seines eigenen Klischees lernen lassen? Und wenn es erlernbar ist – was bringt es einem wirklich?

Genau das hat Lo Blickensdorf herauszufinden versucht. Studieren Sie seine Versuchsanordnungen und lernen Sie daraus.

Münster, im Sommer 2009

Wie alles begann

So, jetzt bin ich schon zwei Tage »Graf«. Wahnsinn. Ich hätte nicht gedacht, dass das so einfach ist. Und ganz legal. Doch nichts hat sich an meinem Leben geändert. Bis jetzt.

Ich residiere nicht in einem Schloss, kein blasierter Diener reicht mir die gebügelte Tageszeitung und gießt mit weißen Handschuhen aus sterlingsilbernem Kännchen feinsten englischen Tee ein. Auch ist keine vierspännige Kutsche vorgefahren.

Schade. Alles beim Alten.

Ich sitze immer noch in meiner kleinen Berliner Zwei-Zimmer-Altbauwohnung, und draußen auf der regennassen Straße klappert die Stadtreinigung mit den Mülltonnen im Rhythmus eines Avantgarde-Konzerts des Goethe-Instituts.

Außerdem habe ich meinen Freunden gegenüber ein schlechtes Gewissen. Jetzt ist er total durchgedreht, werden die denken. Vielleicht raten sie mir, einen Psychologen aufzusuchen oder eine Selbsthilfegruppe schizophrener Pseudoadliger?

Es klingelt an der Wohnungstür. Ein schwer atmender Paketbote bringt meine selbst gestalteten Visitenkarten. Meine Stimmung steigt wieder etwas. Aus der hastig aufgerissenen Schachtel kommen die Karten zum Vorschein: »Lo Graf von Blickensdorf« steht da in vornehmer Schreibschrift. Dazu das selbst gezeichnete Wappen. Hm, sieht zwar ein bisschen aus wie von einem Weinvertreter, der billige Tropfen in weinunkundigen Gegenden verkaufen muss. Aber egal, der Name liest sich gut.

Eine Freundin schaut kurz vorbei und bringt mir ein paar ausgeliehene DVDs zurück. Ihr zeige ich als Erste meine neuen Visitenkarten.

»Na endlich outest du dich«, sagt sie gelassen, »ich wusste doch schon immer, dass du was Besonderes bist …«

Ich bin perplex und erstaunt über ihre Reaktion. Ja, okay, ich habe mal adlige Vorfahren gehabt. Hugenotten, die nach Polen geflüchtet waren. Das ist aber ewig lange her.

»Du hast schon immer so etwas Aristokratisches gehabt«, ergänzt sie.

Jetzt fühle ich mich geschmeichelt und ermutigt, anderen von meinem neuen »Adelsstand« zu erzählen.

Alle meine Freunde, denen ich nach und nach eröffne, dass ich mich ab jetzt »Graf von Blickensdorf« nenne, nehmen es durchweg positiv auf. Niemand macht hinter meinem Rücken das Balla-Balla-Zeichen, ganz im Gegenteil: Jeder fühlt sich genötigt, irgendetwas Lustiges darüber zu sagen.

»Haben Herr Graf wohl geruht?« zum Beispiel. Oder ein Freund adressiert einen Brief »An den Graf von Blickensdorf« mit dem Absender: »Fürst Pückler«. Har-har. Und alle wollen meine Visitenkarte haben. »Zum Angeben«, sagen sie.

Ein paar Tage später gehe ich in eine Filiale einer großen Parfümerie-Kette in der Wilmersdorfer Straße, um dort Rasierschaum eines bekannten japanischen Modedesigners zu erwerben. Ein vermögender Freund, der es sich leisten könnte, hält mich zwar für verrückt, dass ich einundzwanzig Euro dafür ausgebe. Aber weil ich die gesamte Herrenserie benutze, will ich auch den passenden Rasierschaum haben. Als frischgebackener Graf erst recht. Das hat Stil.

Ich finde ihn nicht im Regal. Überall laufen zwar viele emsige, maskenhaft geschminkte Verkäuferinnen in fliederfarbenen Kittelschürzen herum. Aber ich scheine Luft für sie zu sein.

Einige bedienen mittelalte Frauen, die zu Hause wahrscheinlich in viel zu weiten Pullovern im Schneidersitz Tee schlürfen, um dann nach einer Pause ein lang gezogenes »Ahhhh…« auszustoßen, und zeigen ihnen Tiegel mit überteuerter Antifaltencreme.

Andere Verkäuferinnen wiederum räumen Regale ein, ohne nach rechts oder links zu gucken. Ihre Körpersprache signalisiert: Sprich mich nicht an!

Auf jemanden wie mich scheint niemand von den Kittelschürzen programmiert zu sein. Ich falle wohl durch das Kundenraster. Nach jedem »Entschuldigung, äh …« von mir scheinen die Damen es noch eiliger zu haben, sich von mir zu entfernen, als wären wir Magnete mit unterschiedlichen Polen.

Keine Einzige nimmt Notiz von mir. Zugegeben, ich trage meine ungebügelten schwarzen Künstlerklamotten und außerdem bin ich nicht rasiert. Doch deshalb bin ich ja hier. Und trotzdem – wie ein Penner sehe ich mit meinen Prada-Schuhen aus dem Sonderangebot und meiner Boss-Jacke von eBay eigentlich nicht aus.

Ich gebe zu, dass ich von Natur aus ein etwas vornehm zurückhaltender Mensch bin, weit entfernt von einem Alpha-Männchen. Trotzdem werde ich jetzt etwas sauer. Wenn es sein muss, kann ich mich auch durchsetzen.

Also werde ich etwas energischer. Ich schreite nun herum wie ein Generalfeldmarschall, der auf der Suche nach einer Schwachstelle in den feindlichen Linien ist, um dann einen Durchbruch zu wagen. Da! Jetzt kommt eine. Sie ist zwar nur etwas größer als die kleinwüchsige Pathologin »Alberich« aus den Münsteraner Tatorten, aber ich muss sie ja nicht gleich heiraten.

»Entschuldigung?«

»Ja …?«, antwortet sie mit einem Gesicht, als hätte ich sie gefragt, ob sie Lust auf einen Quickie im Lager hat.

»Ich suche Rasierschaum von Issey Miyake. Führen Sie den?«

»Ick kann die Tür zumachen und hier Wasser rinloofen lassen, dann könn’ Se hier och schwimmen.«

Ich lächle etwas gequält und wiederhole meinen Wunsch.

Mit ausdruckslosen Augen sieht sie mich an: »Ham wa nich!«

Ich setze eine hilflose Miene auf. »Wirklich nicht? Ich habe ihn hier aber schon mal gekauft.«

»Wann war’n det? 1956?« Flink wie eine Antilope will sie mir wieder entwischen. Ich halte sie in letzter Sekunde noch am Zipfel ihrer Kittelschürze fest.

»Schauen Sie doch bitte einmal nach. Im Lager vielleicht? Bitte!« Ich blicke sie flehend an.

»Den ham wa abba nich. Det weeß ick.« Unter ihrem Make-up-Gebirge kann man erkennen, dass sie mich missmutig beäugt.

Ich seh sie traurig an. Das Standgebläse scheint jetzt etwas Mitleid zu bekommen und ihre Stimme wird weicher. »Na jut, ick schau mal im Computer nach«, brummelt sie gnädig.

Erleichtert gehe ich mit ihr zur Kasse. Nach einer Weile hat sie etwas gefunden. »Hm, in der Filiale Schönhauser Allee gibt’s den Rasierschaum noch. Der Letzte. Wird nämlich eigentlich nicht mehr hergestellt.«

Erleichtert frage ich sie, wie ich an den Rasierschaum herankomme. »Na abholen. Oder mein’ Se, der hat Flügel und fliegt direkt zu Ihnen in Ihr Etablissemang?«

»Die Schönhauser Allee ist weit«, stelle ich fest. Ich habe einfach keine Lust dorthin mit dem Fahrrad zu fahren. Wenig Radwege und außerdem im Osten gelegen, wohin man sich als Charlottenburger sowieso nur äußerst ungern begibt.

»Naja …«, erwidert sie wohlwollend, »ausnahmsweise bestell ick es Ihnen.« Ich bin dankbar.

Sie holt einen Block mit Lieferscheinen hervor und fragt in einem Ton wie ein Kaufhausdetektiv den Ladendieb: »Name? Telefonnummer?«, während sie irgendetwas hinten im Geschäft gelangweilt beobachtet.

»Blickensdorf«, sage ich. Sie beginnt fahrig zu schreiben, aber es misslingt ihr.

»Häh? Wie schreibt sich ’n das?« Sie kritzelt das Geschriebene zu und will es erneut versuchen.

»B-l-i-c-k…«, buchstabiere ich.

»Mit P?«

»Nein mit B wie Berta.«

Sie flucht. Sie hat sich schon wieder verschrieben. Sie zerreißt den Zettel, zerknüllt ihn, pfeffert ihn wütend in den Papierkorb und nimmt einen neuen.

Da fallen mir meine neuen Visitenkarten ein. »Warten Sie, hier …« Ich gebe ihr eine.

»Warum nicht gleich?«, sagt sie vorwurfsvoll, und ohne einen Blick darauf zu werfen, tackert sie die Karte an den Lieferschein.

»Wir rufen Sie an …« Noch ehe ich irgendetwas erwidern kann, ist sie in der Tiefe der Parfümerie verschwunden.

Wie ein geprügelter Hund verlasse ich das Geschäft. Gut, dass der Rasierschaum so lange hält. Da muss ich nur alle halbe Jahre in Läden, wo Dienstleistung nicht gerade groß geschrieben wird.

Tags darauf klingelt mein Telefon. Eine honigsamtene Stimme flötet mir ins Ohr: »Herr Graf! Herr Graf! Ihr Rasierschaum ist da!« Es ist »Alberich«. Ist sie es wirklich? Im Hintergrund hört man es aus vielen Kehlen glucksend kichern. Wahrscheinlich haben die Kittelschürzen plötzlich alle Zeit der Welt, um einem Telefonat mit einem »Grafen« beizuwohnen.

»Wann kommen Sie denn, Herr Graf?«, säuselt sie lasziv, als hätte ich ihr gerade gesagt: »Gnädige Frau, ich glaube, es gibt Krieg – mein Säbel juckt.«

Ich teile ihr mit, dass ich am nächsten Tag so gegen fünfzehn Uhr vorbeizuschauen gedenke.

»Suuupi, dann bin ich auch da. Vormittags wäre schlecht gewesen, weil ich hier nur als halbe Kraft arbeite …« Aufgeregtes Gekicher der Kittelschürzen im Hintergrund.

An besagtem Nachmittag betrete ich die Parfümerie. Als mich die Kittelschürzen entdecken, laufen sie wie aufgeregte Hühner durcheinander.

Wie aus dem Nichts steht »Alberich« vor mir. Sie ist wie ausgewechselt. Ihre toten Augen funkeln jetzt wie Diamanten und blicken tausendmal sanftmütiger drein als der Papst. Ihre piepsige Mädchenstimme ist mehrere Oktaven höher als am Vortag.

»Ihr Rasierschaum! Ihr Rasierschaum! Sie haben ja so ein Glück, Herr Graf … Ihr Rasierschaum«, zwitschert sie.

Im Hintergrund werden wir von ihren Kolleginnen beobachtet, die sich gegenseitig die Ellenbogen in ihre molligen Hüften stoßen. Auch einige Mittvierzigerinnen, die irgendwelche Cremes ausprobieren, werden auf uns aufmerksam.

Als eine aus dem Hühnerhaufen achtlos an uns vorbeigeht, flüstert »Alberich« ihr zu: »Du! Das isser, das isser … der Graf!«

Ein debiles Lächeln der Kollegin kommt mir unter ihrer Schminke, ebenfalls dick wie Buttercreme auf einer Geburtstagstorte aufgetragen, entgegen.

So muss sich Howard Carpendale fühlen, wenn er von Parfümeriefachverkäuferinnen erkannt wird.

In einem atemlosen, speichelfeuchten Redeschwall, der mich fast zur Tür hinausschwemmt, erklärt »Alberich« mir anbiedernd, dass sie sich extra persönlich um die Lieferung des Rasierschaums gekümmert habe. Mit einer Vehemenz, als wäre über Nacht der Dritte Weltkrieg ausgebrochen.

An der Kasse legt sie mir den Rasierschaum so vorsichtig in die Tüte, als wäre es ein kostbares, mit Diamanten besetztes Fabergé-Ei. Dann greift sie unter die Theke und wirft händeweise Duft- und Cremeproben hinterher, als wären es Kamelle im Kölner Karneval.

»Noch ein paar Pröbchen …«, sie kichert, »… etwas Feuchtigkeitscreme … und ein paar neue Herrendüfte.«

So viele Proben habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht bekommen.

Macht einundzwanzig Euro. Ich gebe ihr zweiundzwanzig. »Für Ihre Mühe«, lüge ich. Geschmeichelt reicht sie mir die prallvoll gefüllte Tüte.

Plötzlich hält sie inne und schaut mir skeptisch in die Augen. »Sind Sie wirklich ein richtiger Graf?« Ich nicke verlegen, aus Angst, mein Rasierschaum könnte mir wieder abhandenkommen.

»Aber ich habe leider keine Schlösser oder Ländereien.«

»Macht ja nix, nur Gräfin, da wäre ick schon zufrieden mit. Ick heiß nämlich Kalunke.« Wer hätte das gedacht.

Neckisch entgegne ich: »Dann heiraten Sie mich doch.«

Mit einer Miene wie beim Gewinn des größten Lotto-Jackpots aller Zeiten schmettert sie ein »Wirklich?!«.

Mir wird es etwas ungemütlich in meiner Haut, und ich schwindle: »Dazu muss ich erst mal geschieden sein.«

Etwas enttäuscht blickt sie mich an. Ich verabschiede mich höflich. Sie erwidert sehr laut: »Ich wünsche Ihnen dann viel Spaß mit dem Rasierschaum, Herr GRAAAF. Und einen angenehmen Tag, Herr GRAAAAF! Tschüssiiii, Herr GRAAAF!«

Ein älteres Ehepaar dreht sich mit neugierigem Kuhblick im Vorbeigehen nach mir um und donnert in einen Verkaufsständer mit Intim-Lotions, der krachend zu Boden fällt.

Ich schnappe mir meine Tüte und mache, dass ich rauskomme …

Des Grafen Kleidung - Adel verpflichtet

Einige Tage später traf ich meinen Freund Arnold im türkischen Restaurant Istanbul in Charlottenburg. Er hatte meine Namensänderung amüsiert verfolgt und musterte mich nun kritisch von oben bis unten: »Aber so sieht doch kein Graf aus.« Angewidert fügte er hinzu: »Schwarz!«

Er meinte damit mein komplett schwarzes Outfit, das ich, so weit ich nur zurückdenken kann, trage. Ich hatte sogar schon als Baby schwarze Windeln, sage ich oft im Scherz. Es ist so eine Art Berufskleidung von Künstlern, Werbeleuten und Zuhältern. Für mich war es immer sehr praktisch, sie zu waschen. Alles in eine Trommel und ab dafür. Nichts färbte ab und bügeln brauchte man nur in ganz seltenen Fällen. Außerdem muss man sich keine Gedanken machen, ob die Hose jetzt zum Sakko passt.

»Als Graf bist du doch genau das Gegenteil eines Existenzialisten.«

Ich schaute ihn ratlos an. »Soll ich jetzt etwa auf meine schwarze Kleidung verzichten?«

»Ja«, antwortete er knapp und bestellte sich noch einen Raki.

Ich überlegte. Wie sieht denn ein richtiger Graf hierzulande eigentlich aus? Bestimmt nicht wie Lukas Ammann in der Serie »Graf Yoster gibt sich die Ehre«, die Ende der Sechzigerjahre im Vorabendprogramm lief. Der trug immer graue Lederhandschuhe, auch im Sommer, und Melone zu einem altmodischen gedeckten Anzug.

»Denk dran, ›Kleider machen Leute‹«, meinte Arnold, während er sich einen großen Schluck genehmigte und sich dann einen Zigarillo ansteckte.

Mir fiel wieder ein, dass ich damals in Burgsteinfurt, wo ich im Graf-Arnold-Alumnat untergebracht war und in die Bismarckschule ging, einmal bei einer Schulaufführung von Gottfried Kellers Kleider machen Leute mitspielte und mit höllischem Lampenfieber den Wenzel gab.

Arnold hatte recht. Doch wie sieht also ein Graf heutzutage aus?

»Wie ein englischer Gentleman …«, antwortete Arnold, während er mit seinem Zigarillo ungeduldig in der Luft herumfuchtelte, »… protziger Ring, Tweed, Seide, Kaschmir …«

»Kaschmir, ick bin der Frühling«, würde der Berliner jetzt sagen. Ich bekam schlechte Laune angesichts der Kosten, die nun auf mich zukamen. Aber egal, da musste ich durch. Arnolds Anweisungen leuchteten mir ein.

Am nächsten Morgen, ich hatte mir zweihundert Euro von Arnold geliehen, fuhr ich mit meinem geliebten Fahrrad und einer schlauen List im Kopf in das berühmte KaDeWe. Da würde ich bestimmt etwas für Grafen bekommen, obwohl die sicher nur Maßanzüge tragen.

»Mein sehnlichster Wunschtraum«, sagte der große Alfred Hitchcock einmal, »wäre, in irgendein beliebiges Herrenmodengeschäft zu gehen und mir einen Anzug von der Stange zu kaufen. Vermutlich beneiden mich viele Männer darum, dass die besten Schneider maßgeschneiderte Anzüge aus erstklassigem Material für mich anfertigen, doch ich träume davon, mir einen Anzug zu kaufen – Konfektionsware.«

In der Herrenabteilung im ersten Stock wurde ich fast erschlagen von dem Überangebot. Auf einer riesigen Fläche, so groß, dass man Pferde tothetzen könnte, wird alles angeboten, was der Herr so braucht.

Ich blieb bei einem dieser schönen Mäntel mit Pelzkragen stehen. Leider kosten sie so viel wie ein ganzes Jahr Hartz IV. Na ja, träumen kann man ja mal. Ich bleibe erst mal bei meiner Hugo-Boss-eBay-Jacke.

Endlose Gänge. Rechts und links Herrenbekleidung aller Art. Es roch nach neuer Kleidung und die Luft war extrem trocken.

Bevor es mir von der Masse an Herrengarderoben schwindelig wurde, sprach ich einen Verkäufer mit blonden Strähnchen an, der mit dem Rücken zu mir stand und ganz akkurat Hemden in ein Regal stapelte.

»Entschuldigen Sie …«

»Ja bitte?«

Als er sich umdrehte, bereute ich es im Nu, ihn angesprochen zu haben. Ich bezweifelte, ob er mich gut beraten könnte, denn er trug ein räucherlachsfarbenes Sakko, dazu ein weiß-grau gestreiftes Hemd und als Krönung eine gewaltige burgunderfarbene Fliege von einer Größe, die bestimmt einen Helikopterführerschein voraussetzt. Zu allem Überfluss trug er eine bunte Weste, auf der eine Frühlingswiese abgebildet war. Wenn man da länger drauf schaute, hörte man sogar die Bienen summen. Seine Hose hatte die Farbe von Diarrhö. Dazu trug er schwarze Schuhe, die wie ein Affenarsch glänzten, sodass ich mich darin spiegeln konnte. Total schrill. Na ja, ist vielleicht gerade Mode, und in Paris trägt das jeder zweite Mann.

Er mochte Mitte dreißig sein und hatte unter seinen blonden Augenbrauen zwei kleine Schweinsäuglein.

»Entschuldigung … äh …«, druckste ich herum. »Sie müssen mir helfen.«

Ich fingerte eine meiner Visitenkarten hervor und reichte sie ihm.

Er musterte erst meine Karte misstrauisch und dann mich. Ähnlich wie Arnold schaute er mich leicht pikiert von oben bis unten an und zog eine Augenbraue hoch.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Also … äh … ich habe mir nie etwas aus meinem Namen gemacht …«, log ich. »Aber jetzt … es steht eine Erbschaft ins Haus …«

»Aha.«

»…ja, und da kann ich nicht so aufkreuzen …«, und ich zog abfällig an meiner schwarzen Kleidung.

An seiner Mimik sah ich, dass er verstand. Sehr gut sogar.

»Und da möchten Sie standesgemäß gekleidet sein?«

Ich nickte.

»Und wo ist das Problem?«, fragte er und nestelte an seiner Fliege.

Achtung, ich dachte, jetzt schmeißt er den Helikoptermotor an und schwebt davon.

»Verarmter Adel, Sie verstehen?«, zwinkerte ich ihm konspirativ zu.

»Adel verpflichtet, verstehe«, brummte er, und hörte endlich auf, an der Riesenfliege rumzufummeln, aber nur, um jetzt seine Frühlingsblumenweste gerade zu ziehen.

»Ich hab nur den Namen, sonst nix.«

Der Helikoptermann hob nicht ab. Gott sei Dank! Er blieb auf der teuren Kaufhaus-Auslegeware stehen. Seine kleinen blondbewimperten Schweinsäuglein schauten mich jetzt mitfühlend und vertraut an.

»Wie viel ham Se denn?«, flüsterte er leise.

»Zweihundert«, erwiderte ich ebenso leise wie ein Freier auf dem Straßenstrich.

»Hm. Komm’ Se ma mit.« Er machte mit seinem Zeigefinger eine Bewegung, wie man sie von der Hexe bei Hänsel und Gretel kennt.

Er sah mich noch mal abcheckend von oben bis unten an, wie ein Fleischermeister kurz vor dem Schlachten eines Kalbes. »Größe fünfzig, stimmt’s?«

Ich war perplex. Es stimmte! Exakt meine Kleidergröße. Ich nickte ihm bewundernd zu.

»Wie muss ich Sie denn korrekterweise ansprechen?«, fragte er unsicher.

»Hochwohlgeboren«, antwortete ich schelmisch.

»Gut«, entgegnete er ernst.

»Nein«, sagte ich lachend, »… kleiner Scherz. ›Herr Blickensdorf‹ reicht oder wenn Sie wollen ›Graf‹.«

»Mir nach, Graf«, flötete er gut gelaunt, steckte meine Visitenkarte in seine Westentasche und mit einem energischen Hüftsprung verfiel er in einen schwulen Model-Gang. Als wäre er beim Laufsteg-Coach Bruce Darnell in die Lehre gegangen, rauschte er durch die Gänge und zog selbstsicher mal hier und mal dort ein Kleidungsstück heraus, musterte mich, hielt es mir vor die Brust, schüttelte entweder den Kopf oder nickte zustimmend. Hoffentlich zwingt er mir nicht seinen Geschmack auf, dachte ich. Wenn der mir so eine Fliege aufschwatzen will, fordere ich ihn zum Duell.

Doch nach fünfzehn Minuten hatte er ein karamellfarbenes Sakko aus immerhin zehn Prozent Kaschmiranteil und neunzig Prozent reiner Schurwolle, ein elegantes weißes Hemd mit dezenten grauen Streifen, eine hellblau-braun gestreifte Seidenkrawatte, ein hellblaues Seideneinstecktuch und einen cappuccinofarbenen Pullunder mit V-Ausschnitt mit sogar zwanzig Prozent (!) Kaschmiranteil herausgesucht. Dazu eine gut geschnittene haselnussbraune Cordhose.

In der Umkleidekabine zog ich alles an. Es passte perfekt und sah toll aus, wie ein Graf, obwohl noch loriotmäßig alle Etiketten dranhingen. Bis auf mein Gesicht. Potthässlich! Es hatte die grünliche Farbe einer Wasserleiche aus dem Landwehrkanal. Die Gesichtshaut war grobporig, fleckig und man sah jedes noch so kleine geplatzte Äderchen.

Das ist leider in allen Umkleidekabinen der Welt so. Ich verstehe nicht, dass Innenarchitekten das nicht in den Griff bekommen. In meinem Spiegel zu Hause sehe ich nur so krank aus, wenn ich verkatert bin.

Ich kam mit der neuen Kleidung am Leib und all den Etiketten aus der Umkleidekabine und ich sagte dem Helikoptermann begeistert, wie zufrieden ich sei.

Er fühlte sich geschmeichelt.

»Dafür bin ich ja da …«, sagte er unterwürfig.

Ich fragte ihn besorgt, ob sich alles noch in meinem finanziellen Rahmen bewegen würde?

»Ich denke schon«, beruhigte er mich und entfernte mit spitzen Fingern einen weißen Faden von dem karamellfarbenen Sakko. »Alles reduzierte Ware. Aber keinesfalls minderwertig.«

»Momentchen …« Er zog aus seiner räucherlachsfarbenen Geschmacksverirrung einen silbernen Parker-Kugelschreiber hervor und schrieb, vor sich hin murmelnd wie ein buddhistischer Bettelmönch beim Gebet, etwas auf die Rückseite.

Dann schaute er triumphierend zu mir auf und sagte stolz: »Summa summarum: hundertachtundneunzig Euro und fünfzig Cent.« Und fummelte wieder an seiner Propellerfliege herum.

Wow! Totales Schnäppchen!

Der Helikoptermann ging mit mir zur Kasse, ich bezahlte, bedankte mich höflich und machte mich auf in Richtung Rolltreppe.

»Stopp! Halt!«, hörte ich plötzlich eine Stimme rufen. Es war der Helikoptermann. Ich dachte, Mist, das war alles nur für »Verstehen Sie Spaß?«, und der Helikoptermann ist in Wirklichkeit Kurt Felix, oder Frank Elstner kommt gleich aus seinem Versteck und ich muss meine Schnäppchen wieder abgeben. Doch es war anders.

»Herr Graf.«

»Ja?«

Eine junge Frau mit einer großen KaDeWe-Plastiktüte schaute mich im Vorbeigehen neugierig von oben bis unten an.

»Darf ich es behalten?«, fragte der Helikoptermann und befummelte wieder nervös seinen Kinnbrummer. Seine Schweinsäuglein schauten mich bittend an und in seinen Schuhen spiegelte sich die Rolltreppe.

»Was denn?«

»Ihr Kärtchen.« Er klopfte auf seine Frühlingswiesen-Westentasche, worin sich der Schatz noch immer befand.

»Na klar«, sagte ich generös. Warum auch nicht: Wahrscheinlich will er am Abend im Freundeskreis damit etwas angeben. Soll er ruhig, hat er sich auch verdient, denn nur wegen ihm war ich schnell wieder raus aus der schlechten Kaufhausluft. Im Gegensatz zu all den Frauen, die stundenlang durch Kaufhäuser ziehen können, nichts kaufen und sich trotzdem über den gelungenen Nachmittag freuen.

Mit dem erfüllten Wunsch, den sich Meister Hitchcock immer nur erträumte, stieg ich auf mein Fahrrad. Meine Einkaufstüten hingen wie bei einem Nichtsesshaften rechts und links am Lenker und meine verdorrten Nasenschleimhäute erholten sich langsam wieder. Ich radelte zufrieden und etwas wackelig über den Kurfürstendamm nach Hause.

Einige Monate später musste ich noch einmal ins KaDeWe: War in meinem karamellfarbenen Sakko aus zehn Prozent Kaschmiranteil und neunzig Prozent reiner Schurwolle doch glatt die Innentasche, in der ich immer das Portemonnaie verstaue, etwas eingerissen. Obwohl ich mangels Inhalt meine Börse gar nicht so oft in die Hand nehmen muss.

Der Helikoptermann war nicht aufzufinden und seinen Namen wusste ich auch nicht mehr und so musste ich mich an einen anderen Verkäufer wenden.

Ich zeigte ihm den Schaden. Es war ein älterer Herr von Ende fünfzig, der so ungesund aussah wie Dr. Best aus der Zahnpastawerbung. Er schaute sich fachmännisch das Sakko kurz an, holte aus einem Stehpult einen Reparaturschein hervor und fragte nach meinem Namen. Ich gab ihm lässig meine Visitenkarte. Er warf einen kurzen Blick auf die Karte und tackerte sie dann mit Pokergesicht an den Lieferschein. »Ich kenne Sie irgendwoher«, stellte er betont unaufgeregt fest und sah mich mit den typischen kranken Augen mit den geplatzten Äderchen des Dr. Best an. Ich wollte schon erwidern: »… ich Sie auch, Sie sind Dr. Best!«, ließ es aber bleiben und antwortete nur cool: »Ach ja?«

Er müsse vorher der Reparaturschneiderin den Schaden zeigen, sagte der Mann und verschwand theatralisch wie Graf Dracula mit der Jacke hinter einem roten Vorhang, der sich bühnenreif wieder schloss.

Nach fünf Minuten kam er zurück und erklärte, dass die Schneiderin das Malheur reparieren könne. Sie würde kleine Lederdreiecke darauf nähen. Das wäre selbstverständlich kostenlos für mich. In dem Augenblick, als er das sagte, sah ich, wie hinter der Ecke, wo es zur Schneiderei ging, drei Frauenköpfe übereinander um die Ecke schauten. Als sie bemerkten, dass ich in ihre Richtung blickte, zogen sie schnell ihre Köpfe wieder zurück. Sie waren wohl neugierig, wie ein Graf so aussieht.

Mit der Grafen-Kleidung hat man leider auch einige Nachteile. Ich muss die Sakkos öfter reinigen lassen, die Oberhemden müssen nach Farben getrennt gewaschen werden und – sie müssen gebügelt werden! Sonst sieht man aus, als hätte man in seiner Kleidung eine Nacht auf einer Wartebank im Flughafenterminal verbracht. Das Bügeln macht natürlich überhaupt keinen Spaß und ich habe sogar schon mal ein Hemd einbüßen müssen, weil ich das Bügeleisen etwas zu lange habe drauf stehen lassen, als ich schnell zum Telefon musste und mich dann festgequatscht hatte. Aber ich mach das Beste daraus und sehe dabei immer fern. Nun weiß ich erst, was mit »Bügelfernsehen« gemeint ist.

Auch Krawatten und Seidenhalstücher bedürfen einer gewissen Pflege. Außerdem muss man sich jeden Morgen seine Kleidung für den Tag zusammenstellen. Das kostet Zeit und ist erst mal gar nicht so einfach, wenn man sich nicht sein Leben lang mit Herrenmode beschäftigt hat. Schwarz mit schwarz früher passte immer. Allerdings bin ich öfter für einen katholischen Priester gehalten worden, wenn ich mir in angeheitertem Zustand weiße Papierstreifen in den Kragen gesteckt hatte. Kneipenseelsorger habe ich mich dann genannt und so das eine oder andere Bier abgestaubt.

Nun überlege ich morgens nach dem Duschen immer, ob die Glencheck-Hose mit dem aufwendigen Karomuster am besten mit dem senfgelben Sakko aus reiner Schurwolle korrespondiert oder ob ich lieber die anthrazitfarbene Gabardinehose dazu anziehen soll? Und welches Einstecktuch harmonierte am besten zu der blau-rot-weiß gestreiften italienischen Seidenkrawatte? Oder lieber das changierende Seidenhalstuch? Wichtige Entscheidungen, die schon vor dem Frühstück getroffen werden wollen.

Das Leben war nicht einfacher geworden …

Meinen protzigen, echt silbernen Grafen-Ring erstand ich für kleines Geld in einem Basar in Casablanca. Gern erzähle ich immer augenzwinkernd, der Ring sei ein Geschenk des marokkanischen Königs Mohammed VI.

Casablanca ist eine wunderschöne Stadt, die zu drei Vierteln aus heruntergekommenen, aber malerischen Art-déco-Häusern besteht und morbiden Charme hat. Und das Schönste: nicht ein Tourist!

Auf dem Hin- und Rückflug saß ich vorn im Flugzeug. Das sind die besten Plätze, weil im Falle eines Absturzes der Getränkewagen zwangsläufig da noch einmal vorbeikommen muss.

Ich wohnte als einziger Europäer standesgemäß im Majestic Hotel, das schon einmal bessere Zeiten erlebt hatte und mich sehr an die Filmkulisse aus dem Marx-Brothers-Film Eine Nacht in Casablanca