Werke - Heiner Müller - E-Book

Werke E-Book

Heiner Müller

0,0
33,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die in diesem Band abgedruckten Stücke/Szenen Heiner Müllers sind zwischen dem Ende der 40er und den späten 60er Jahren entstanden. Sie belegen, in welch anhaltender Intensität sich Müller von Beginn an immer auch mit den besonderen Möglichkeiten szenisch-dramatischen Schreibens auseinandergesetzt hat. Es mußte fast ein Jahrzehnt vergehen, ehe Müller in der DDR 1957 mit Der Lohndrücker erstmals ein Stück veröffentlichen konnte. Erste Erfolge auf der Bühne, Beachtung durch die Kritik, die Verleihung des Heinrich-Mann-Preises folgten. Aber bald kam es zu Konflikten, Aufführungsverboten und zum Ausschluß aus dem Schriftstellerverband der DDR. Mehr als zehn Jahre wurden anschließend die Stücke Heiner Müllers auf keiner Bühne der DDR gespielt. Als er östlich der Elbe verboten wurde, erwachte im Westen das Interesse an einem Dichter, dessen neuere Texte eine poetische Dimension eröffneten, die nicht nur für die DDR, sondern auch für die Bundesrepublik herausragend wurden und ihm wiederum nur wenige Jahre später die Anerkennung als »sprachmächtigster deutscher Dramatiker« einbrachten. Der hier vorgelegte erste Band seiner Stücke dokumentiert diesen Zeitraum.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 557

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heiner Müller Werke 3

Herausgegeben von Frank Hörnigk

in Zusammenarbeit mit der

Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Redaktionelle Mitarbeit: Kristin Schulz

sowie Klaus Gehre und Marit Gienke

Heiner Müller Die Stücke 1

Suhrkamp Verlag

Die Stücke 1

Inhalt

DAS LAKEN

DIE REISE

[Szenen aus einem Stück über Werner Seelenbinder]

GESPRÄCH DER BEDIENSTETEN IM PALAST DES AGAMEMNON WÄHREND DIESER ERMORDET WIRD IN DER KÜCHE

DER LOHNDRÜCKER

ZEHN TAGE DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN

DIE KORREKTUR [I]

DIE KORREKTUR [II]

KLETTWITZER BERICHT 1958 - EINE HÖRFOLGE

GLÜCKSGOTT

DIE UMSIEDLERIN ODER DAS LEBEN AUF DEM LANDE

PHILOKTET

DER BAU

HERAKLES 5

DRACHENOPER

Aus dem Nachlaß

[Wohnung Frank ...] [1947. VEB. Direktor...]

[Die Liebe der Marie A.]

[Held im Ring. Optimistische Tragödie. Festliches Requiem für Werner Seelenbinder]

[Herr Pylop ...]

[(Timon) Das goldene Kalb]

Anhang

Editorische Notiz

Bibliographische Notizen

Vita

Heiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist. Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.

DAS LAKEN

PERSONEN

Ein Mann

Ein Soldat

Junge Frau

Alte Frau

1. SS-Mann

2. SS-Mann

Berlin 1945. Ein Keller. Zwei Frauen auf Koffern.

EIN MANNkommt:

Da steht der Russe. Hier steht die SS.

Am Eck die Fleischerei ist ausgebrannt.

Die guten Schinken.

Schlachtlärm.

EIN SOLDATstürzt herein, reißt sich die Uniform vom Leib: Habt ihr was gesehn?

Schweigen.

DER MANN Das schmeckt nach Hochverrat.

DER SOLDAT Ich brauch Zivil.

DER MANNzu der jungen Frau:

Geh nachsehn, ob der Russe vorgeht.

Die Frau kriecht aus dem Keller. Schweigen. Die junge Frau kommt zurück.

JUNGE FRAU Ja.

Der Mann wirft dem Soldaten eine Jacke zu.

DER MANN Ein Laken.

ALTE FRAU Nicht von meinen.

JUNGE FRAU Hab ich mehr?

DER SOLDATzur alten Frau:

Dein Laken wärmt dich nicht, Frau, wenn du kalt bist.

ALTE FRAU Und die SS, wenn die das hängen sehn,

Hängt uns.

DER MANN Das ist auch wahr. Da helf sich einer.

Schlachtlärm.

DER SOLDAT Was da herankommt, ist nicht die SS.

DER MANN Kamerad, du hast die Tapferkeit gelernt.

Zeig, daß du was gelernt hast. Frau, das Laken.

Die Frauen geben Laken heraus. Der Mann gibt eines an den Soldaten weiter.

DER SOLDAT Ich mach, was ihr gewollt habt.

DER MANN Ja. Machs schnell.

Der Soldat geht mit dem Laken hinaus und kommt zurück mit leeren Händen. Schweigen. Zwei SS-Männer treten in den Keller, das zerrissene Laken am Boden nachschleifend.

1. SS-MANN Was siehst du, Kamerad?

2. SS-MANN Zwei Hochverräter.

1. SS-MANNrichtet die Maschinenpistole auf den Kameraden: Zwei?

2. SS-MANN

Vier.

1. SS-MANN Was steht auf Hochverrat?

2. SS-MANNgrinst und zieht einen Strick aus der Tasche: Der Strick.

DER MANN Ihr Herren, uns laßt aus. Der ists gewesen.

Er zeigt auf den Soldaten.

DER SOLDATzeigt auf den Mann:

Ich hab gemacht, was der gewollt hat.

DER MANN Ich

Habs nicht gewollt.

ALTE FRAU Wir haben nichts gewollt.

Schlachtlärm. Die SS-Männer stürzen sich auf den Soldaten und schleifen ihn hinaus. Der Soldat schreit.

JUNGE FRAU Hört wie er schreit.

ALTE FRAU Nicht mehr.

DER MANN Ich hol die Jacke.

Der Mann kriecht aus dem Keller und kommt schnell zurück, ohne die Jacke.

DER MANN Der Russe kommt. Was läuft, ist die SS.

Die Jacke haben sie ihm ausgezogen.

Hinter ihm stürzt die Wand ein. Die alte Frau zerrt ein neues Laken aus dem Koffer.

DER MANN Behalt dein Laken, Frau. Der wäscht uns weiß.

Er zeigt auf den Gehängten, der hinter der stürzenden Wand sichtbar geworden ist.

DIE REISE

(nach Motekiyo)

PERSONEN

Kagekiyo

Hitomaru

Ein Holzfäller

Chor

1

HITOMARU Kagekiyo ging für Heike in die Schlacht. Heike schickte ihn in die Verbannung nach der Schlacht. Er lebt in Myazaki. Ich bin nicht gewohnt zu reisen, aber ich will zu ihm gehen. Er ist mein Vater. Er ist alt.

Singt:

Die Reise

Ist beschwerlich.

Durch die Provinz Sagami gehe ich.

Totomi lasse ich hinter mir.

Ich überquere die Bucht in einem schmalen Leihboot.

Wann werde ich in Myazaki sein?

2

KAGEKIYO Hier in Myazaki bringe ich mein Leben hin, unter dem Strohdach. Ich, Kagekiyo, der für Heike in die Schlacht ging, der Verbannte. Blind, nicht wissend den Ablauf der Zeit. Mein Besitz: Ein Gewand für Sommer und Winter. Mein Leib: Ein Knochenbündel.

CHOR Seht den Gefürchteten

Seht das Knochenbündel!

Sein Schwert ist zerbrochen.

Sein Schwert

Hat ihn zerbrochen.

HITOMARU Hier in Myazaki will ich nach meinem Vater fragen. Zu Kagekiyo: Wo lebt Kagekiyo, der für Heike in die Schlacht ging, der Verbannte?

KAGEKIYOschweigt.

HITOMARUgeht weiter.

KAGEKIYO Diese Frau ist meine Tochter. Ich liebte ihre Mutter in Atsuta. Ich fand das Kind unnütz und gab es fort.

3

HITOMARU Wo lebt Kagekiyo, der für Heike in die Schlacht ging, der Verbannte?

HOLZFÄLLER Unter dem Strohdach.

HITOMARU Der Bettler?

HOLZFÄLLER Ja.

4

HOLZFÄLLER He, Kagekiyo!

KAGEKIYO Ich bin ein altes Eisen, unnütz. Wer ist Kagekiyo?

CHOR Der Verbannte

Bedenkt die Zeit, als er berühmt und blutig war.

Das Blut ist noch an seiner Hand.

Wo ist sein Ruhm?

KAGEKIYO Wind kommt vom Berg. Schnee kommt hinter dem Wind. Ich höre, wie die Flut den Strand berennt. Ich hörte es, als ich für Heike in die Schlacht ging und nach der Schlacht. Wer fragt nach Kagekiyo?

HOLZFÄLLER Wer bist du?

HITOMARU Hitomaru, Tochter Kagekiyos, der für Heike

HOLZFÄLLER Deine Tochter fragt nach dir.

KAGEKIYO Ich bin bedeckt mit Grind und Schande. Sie ist jung.

HITOMARU Die Reise war beschwerlich. Regen in Sagami, in Totomi Schnee. Über die Bucht in einem Leihboot.

KAGEKIYOsingt:

In den Booten der Männer von Heikes Mannschaft

Wurde gerühmt vor andern laut Kagekiyo.

Tapfer waren seine Leute, schnelle Segler.

Nun ist der Führer selber

Aufgebraucht.

HOLZFÄLLERsetzt sich auf den Boden, ißt: Erzähl ihr die Geschichte.

5

KAGEKIYO Heikes Mannschaft kam auf Schiffen. Der Feind stand an der Küste. Er hatte uns geschlagen in den Bergen von Harima. Er war klug und schnell. Kagekiyo begab sich an den Strand mit Heikes Leuten, und der Feind warf sich auf sie. Kagekiyo trieb sie vor sich her, Freund und Feind. Er sang:

Unserem Feldherrn gefällt nicht die Nase des anderen Feldherrn.

Aber sein Reisfeld gefällt ihm. Lauft, ihr Hunde!

HOLZFÄLLERzu Hitomaru: Sie waren Hunde vor ihm. Jetzt kann er kein Bein mehr aufheben.

KAGEKIYO Kagekiyo schwang den Speer. Schrecklich ist dein

Arm, schrie Myonoya. Zäh ist dein Genick, rief Kagekiyo.

Sie lachten nach der Schlacht. Das war Kagekiyo.

HOLZFÄLLER Der Speerschwinger.

CHOR Der Verbannte hat seine Geschichte erzählt. Die Tochter

Schweigt.

Soll sie von ihm gehen, dem keiner hilft am Ende seiner Laufbahn?

Soll sie bei ihm bleiben, dem das vergossene

Blut nicht die Backen füllt?

[Szenen aus einem Stück über Werner Seelenbinder]

PERSONEN

Trübner

Anna B.

Der SS-Offizier

Adjutant

Aus der Szene DER GEMÜSEKELLER

TRÜBNER Ich bin ja auch nicht dafür, daß man den Juden die Scheiben einschlägt, und sie werden behandelt wie Vieh. Es sind auch Menschen. Obwohl, ich liebe sie auch nicht. Ich hab einen gekannt, der hat einen noch beschissen um das Hemd auf dem Leib, und man hat nix gemerkt. Das verstehn sie. Feig sind sie auch.

ANNA B. Ich hab auch einen gekannt. Sie sind da in einem Güterwagen gefahren worden von einem Lager in ein anderes, dreißig Juden mit einer Frau dabei, die ist niedergekommen auf der Fahrt. Die SS hat gesagt, ihr soll keiner helfen, sie erschießen ihn. Er war Arzt, und er hat ihr geholfen, das Kind zur Welt zu bringen.

TRÜBNER Ist er erschossen worden?

ANNA B. Nein. Erschlagen. Weil er ein Jude war, und eine Kugel ist zu schad für einen Juden, hat die SS gesagt.

TRÜBNER Und was wurde mit dem Kind?

ANNA B. Auch tot.

TRÜBNER Dann hat es sich ja eigentlich gar nicht gelohnt.

ANNA B. Nein, eigentlich hat es sich gar nicht gelohnt. Er hieß Katzenstein.

1. ZWISCHENSPIEL

Die Nacht der Langen Messer 1934.

Auf der Bühne ein Stuhl; darauf sitzt ein SS-Offizier, betrunken. Ein Adjutant steht hinter dem Stuhl

DER SS-OFFIZIER Auf die SA, Wedell, ist kein Verlaß.

Zwar, das marschiert im braunen Hemd. Für uns?

Marschiert? Tritt auf dem Fleck. Säuft Bier. Verschwört sich.

Und wenn das losbricht jetzt, ists gegen uns.

Zum Stiefel war der Knecht uns eben recht.

Und Stiefel müssen sein, wer steigt, braucht Stiefel.

Der Stiefel trat auch gut, Leichenhaufen ebnend

gehorsam glatt zur Straße unsres Ruhms.

In Hoffnung, daß er Bein würd, später, Herr

im eignen Stiefel, zynisch beiläufig: was versprochen war.

Jetzt heißts: was Stiefel war, bleibt Stiefel! Doch

so’n Stiefel hat Gedächtnis. Nichts vergessen.

Was von der Hoffnung lebte, will jetzt leben.

Das Konto wird gelöscht. Was

wird aus dem Stiefel, der kein Bein hat?

Ein Aderlaß, ein Fleischgebirg verwesend

wirkt Wunder. Wer tot ist hat unrecht. Keiner

hat gern so unrecht ...

2. ZWISCHENSPIEL

Die Kristallnacht 1938.

Auf der Bühne ein Stuhl, darauf sitzt ein SS-Offizier Ein Adjutant steht hinter dem Stuhl.

DER SS-OFFIZIER Was ist der Jude? Unser Unglück. Ja.

Und unser Glück. Es ist ein Glück, daß

der Jude unser Unglück ist, Wedell.

Wir müßten, hätten wir den Juden nicht,

uns einen Juden machen und ihn aufstelln

für die Getretnen: da, den tretet! der

ist schuld! – Nimm deinem Hund den Baum und

er pißt dich an. Laß, den du trittst, auch treten,

nach unten, und er läßt sich treten, willig,

von dir von oben. Dem Getretnen die

Freiheit zu treten! Einen Juden dem,

der Hunger hat!

Hast du noch einen Stiefel, laß

ihn nicht untätig! Das vergessen und er

quittiert den Dienst. Was macht ein Bein, getreten

von seinem Stiefel? Sucht sich einen neuen?

Da ist kein neuer. Einmal hin ist hin. Und

ein Mensch, der nicht mehr Stiefel sein will, ist

fast schon ein Mensch. Und es ist kein Verlaß

auf einen Menschen, der ein Mensch ist, hier

in unsrer Ordnung, fest gefügt aus krummen Rücken.

3. ZWISCHENSPIEL

Der Starke Mann allein 1942.

Auf der Bühne ein Stuhl, darauf sitzt ein SS-Offizier, ohne Stiefel und Mütze. Kein Adjutant steht mehr hinter dem Stuhl. Wind

DER SS-OFFIZIER Seit wir die Stiefel lassen mußten in den Schneewehn, ist alles anders. So,

daß auch das Töten nur mehr Vorgeschmack ist

vom eignen Abgang, kein Spaß mehr. Ein Held wird

furchtsam, Furcht zu verbreiten, sitzt die ihm im

Genick. Auf Strümpfen ist der Mächtigste allein.

Und, was hinzukommt, jener Staub, der

liegt, wo die Städte standen, glüht noch. Dem

hält kein Strumpf stand.

Was wird, wenn am Kopf nur mehr Wind ist, kein Helm und

dieses Feuer am Fuß, der

nicht schnell genug rennt ...

GESPRÄCH DER BEDIENSTETEN IM PALAST DES AGAMEMNON WÄHREND DIESER ERMORDET WIRD IN DER KÜCHE

PERSONEN

Erste Alte

Junge Frau

Zweite Alte

Zweite Junge

Drei Frauen, zwei ältere und eine sehr junge, mit Küchenarbeiten beschäftigt. Man hört, von draußen, Lärm wie von Betrunkenen. Es sind Soldaten. Sie singen: Der Feldzug ist zu Ende / Die Hände sind noch leer / Wir haben nicht Tisch noch Wände / Doch Troja ist nicht mehr.

ERSTE ALTE Was ist da für Lärm draußen wie Besoffene?

JUNGE FRAU Die Soldaten singen. Sie feiern den Sieg.

ERSTE ALTE Wer zahlt?

JUNGE FRAU Agamemnon. Er hat schlachten lassen. Es gibt auch Wein. Glaukos hat es mir erzählt. Er ist Offizier.

ZWEITE ALTE Hat er dir auch erzählt, daß er bei Cynthia war gestern bis früh sechs?

ERSTE ALTE Sie haben zehn Schiffe gebraucht, daß sie die Soldaten unterbrachten, als es losging. Zurück haben zwei genügt. Aber Agamemnon hat vier gebraucht für die Beute.

JUNGE FRAU Ja, wir haben gesiegt.

ERSTE ALTE Wir? Meiner hat nichts mitgebracht außer eine Speerwunde.

Eine vierte Frau, jung, betritt die Küche. Sie hat Neuigkeiten, die erwartet worden sind. Die drei wenden sich ihr zu, aber die erste ältere geht, nach den ersten Worten, wieder an ihre Arbeit

ZWEITE JUNGE Sie hat auftragen lassen. Sie sitzt bei Agamemnon. Sie sagt zu ihm immer Mein Held und streichelt ihn. Ägisth redet mit der Trojanerin über Kusmetik.

ERSTE JUNGE Es heißt Kosmetik.

ZWEITE JUNGE Sie haben auch Wein. Schweren, thrazischen. Dem Agamemnon gießt sie immer wieder voll, daß er kaum nachkommt mit Trinken. Der ist bald hin. Ich hab das Bad richten müssen.

ERSTE JUNGE Bestimmt bereut sie, daß sie ihn betrogen hat.

ERSTE ALTE Betrogen? Einen Mann, der einem die Tochter ins Meer schüttet, nur daß er ungestört plündern fahren kann.

ERSTE JUNGE Es war vom Orakel vorgeschrieben. Die Seher.

ERSTE ALTE Die sehn wo sie bleiben.

ERSTE JUNGE Es ging um Helena.

Gelächter.

ERSTE ALTE Ich weiß nicht, was er dem Paris erzählt hat, daß der ihm die Frau fortnimmt und er hat einen Kriegsgrund, mit dem er sich sehn lassen kann, Schulden bis über den Helmbusch.

ZWEITE JUNGE Die Trojanerin hätt er nicht mitbringen solln. Das verstimmt.

ZWEITE ALTE Meiner hat auch mitgebracht. Eine Dicke. Er sagt Arme Waise. Sie fliegt morgen. Das könnt ihm passen, acht Jahr weg, kein Geld, keine Nachricht, und zurück kommt er so, alles versoffen, mit nichts, aber ein Weib!

ERSTE JUNGE Agamemnon ist ein schöner Mann. Schöner als Ägisth.

Im Palast wird, geschrien. Es sind Todesschreie.

ZWEITE JUNGE Das ist die Trojanerin.

ERSTE JUNGE Schrecklich!

ZWEITE ALTE Ich habe nichts gehört.

ERSTE ALTE Wir werden Lohnerhöhung kriegen, da wir gehört haben, daß wer schrie.

Sie arbeiten weiter.

DER LOHNDRÜCKER

Mitarbeit: Inge Müller

PERSONEN

Balke

Karras

Bittner

Krüger

Kolbe

Geschke

Stettiner

Zemke

Lerka

Brillenträger

Kalbshaxe

Kant, Ingenieur

Trakehner, Ingenieur

Direktor

Schorn, Parteisekretär

Schurek, BGL-Vorsitzender

Buchhalter

Fräulein Matz

HO-Verkäuferin

Reporter

Arzt

Budiker

Geheimrat

Arbeiter, Passanten

Das Stück spielt 1948/49 in der Deutschen Demokratischen Republik. Die Geschichte der Ringofenreparatur ist historisch. Die Personen und ihre Geschichten sind erfunden.

1

Kneipe. Straße mit Trümmerwand. Abend Der Budiker steht hinter der Theke und trinkt Geschke und Stettiner, an der Theke lehnend, trinken. Der Geheimrat sitzt an einem Tisch. Die Straße ist leer.

GESCHKEbetrunken: Ich habe alles kennengelernt: die Stempelstellen, nach dem ersten Krieg, den Akkord und die Nazis mit Pauken und Trompeten und nach dem Schlamassel das neue Leben mit dem Leistungslohn. Aber das Bier, was der Arbeiterstaat ausschenkt, ist mir neu.

Stettiner lacht

BUDIKER Arbeiterstaat. Arbeiterbier.

Geheimrat kichert

GESCHKEzum Budiker: Wer ist die Vogelscheuche?

BUDIKER Das ist der Geheimrat.

GESCHKE Ein Bier für den Geheimrat.

Budiker bringt das Bier.

GESCHKEhebt sein Glas: Trink, Geheimrat.

Geheimrat weist das Bier zurück und mustert Geschke.

GESCHKE Feiner Mann, der Geheimrat. Trinkt kein Arbeiterbier.

Pause. Danach zu Stettiner:

Balke, der Neue, der das Maul nicht aufmacht, hat eine Prämie eingesteckt für die Erfindung mit der Leiste. Die Erfindung stimmt, man schafft mehr.

STETTINER Fragt sich für wen.

GESCHKEtrinkt aus: Wir müssen heraus aus dem Schlamassel. Was heißt da für wen? Gibst du noch eins aus?

STETTINER Glaubst du etwa, was über dem Werktor steht,

»Volkseigener Betrieb« he? So dämlich bist du doch nicht, Geschke. Du bist doch auch Arbeiter.

GESCHKE Der Unternehmer ist jedenfalls weg.

STETTINER Davon kauf dir was. Noch ein Bierchen?

GESCHKEschmeißt Geld auf die Theke, tippt an die Mütze und geht, unsicher: Fragt sich, wer hier dämlich ist.

STETTINER Zahlen. Er tritt vor die Tür Zigarette, Geschke? Geschke hat die Straße überquert, bleibt stehen, dreht sich um.

STETTINEReine Zigarette in der ausgestreckten Hand: Komm her.

GESCHKE Für eine Zigarette den ganzen Weg? Nein.

Stettiner steckt sich grinsend eine andre Zigarette an.

GESCHKE Halben Weg. In Ordnung?

Stettiner grinst. Geschke geht drei Schritte auf ihn zu, bleibt stehen. Stettiner raucht

Zwei Schritte geb ich zu. Er tut es. Pause. Sei kein Unmensch, Stettiner.

STETTINER Zwei Zigaretten.

GESCHKE Ich hab gesagt: halben Weg.

STETTINER Zwei Zigaretten.

Pause. Stettiner schmeißt Geschke eine Zigarette hin und geht Geschke hebt die Zigarette auf, steckt sie ein und geht auch Der Budiker hat zugesehen und nimmt lachend seinen Platz hinter der Theke wieder ein. Auf der Straße erscheint ein Plakatkleber und klebt ein Plakat mit dem Text: »SED – Partei des Aufbaus« an die Trümmerwand. Als er gegangen ist, kommt ein junger Mann, bleibt vor dem Plakat stehn, blickt sich um, reißt es ab und geht pfeifend weiter. Drei Arbeiter, müde, Aktentaschen unterm Arm, gehen über das am Boden liegende Plakat

2

Kantine. Mittagspause. In der hinteren Wand eine Klappe, durch die in Blechschüsseln das Essen gereicht wird Links ein HO-Stand, daran ein Spruchband aus Pappe mit dem Text: »Vorwärts zu neuen Erfolgen!« Die Arbeiter sitzen auf Kisten und Stühlen an rohen Tischen, löffelnd, oder stehen vor dem HO-Stand Die Verkäuferin baut die Waren auf, befestigt Preisschilder (Butter: »Kilo 60 DM« usw.).

STETTINER Hier gibt’s alles, Geschke, kauf.

GESCHKEkratzt seine Eßschüssel aus: Mein Geld kann die HO nicht wechseln.

EIN JUNGER ARBEITER Gibt’s die Butter auch grammweise, Fräulein?

DIE VERKÄUFERIN Wenn du mich auf den Arm nehmen willst, überhebst du dich, mein Junge.

Brillenträger, kurzsichtig, studiert löffelnd mit krummen Knien die Preisschilder.

STETTINER Immer heran, Herrschaften, hier wird euch die Haut abgezogen.

EIN ALTER ARBEITER Du halt’s Maul, Stettiner. Du hast laut genug Heil gebrüllt. Kannst die Suppe ruhig mit auslöffeln.

STETTINERfeixend: Die Preise hier hat Hitler gemacht, was?

DER ALTE ARBEITER Stimmt.

STETTINER Und für den Westen billiger hat er auch gemacht.

DER ALTE ARBEITER Das wird sich zeigen.

DIE VERKÄUFERINda niemand kauft Nicht drängeln. Es kommt jeder dran.

KARRAS Worauf wartet ihr? Er greift sich eine Flasche Schnaps, macht sie auf, trinkt; zu Balke: Prost, Aktivist! Balke schweigt Karras gibt die Flasche an Zemke weiter, der an Geschke usf.

DIE VERKÄUFERINzu Karras, laut Macht 41 Mark, Kollege.

KARRASgreift nach der Flasche: Wieso?

GESCHKEsich den Mund wischend: Ist doch Volkseigentum. Lesen Sie keine Zeitung, meine Dame?

ZEMKE Zu lange in der Frauenschaft gewesen?

DIE VERKÄUFERINzu Karras: Sie haben noch nicht bezahlt, mein Herr.

KARRAStrinkt die Flasche leer: Ich geb die Flasche zurück. In Ordnung?

DIE VERKÄUFERINlaut: Wo ist der Betriebsschutz?

KARRASzu den Mittrinkern: Legen wir zusammen?

Schweigen. Brillenträger verläßt die Kantine.

EIN ARBEITER Warum säufst du, Karras?

KARRAS Weil ich nichts zu fressen habe.

DER ARBEITER Kauf dir was.

KARRAS Und wer bezahlt den Schnaps? Er tritt an den Stand und zahlt Den Kassenzettel!

DIE VERKÄUFERIN Wieso?

KARRAS Zum Andenken an 41 Mark.

DIE VERKÄUFERIN Hab keine Kassenzettel.

KARRASreißt ein Stück Pappe von dem Spruchband: Da!

DIE VERKÄUFERINquittiert auf der Pappe: Bitte.

Karras steckt die Pappe ein und setzt sich abseits auf eine Kiste.

EIN SEHR ALTER ARBEITERauf die Preisschilder starrend: Die Nazis haben das Genick gebrochen. Ich hab gedacht, jetzt fängt das neue Leben an, für das wir unsre Haut zu Markt getragen haben, und für uns Arbeiter kommt das Paradies.

EIN ANDERER Das Sowjetparadies.

DER SEHR ALTE ARBEITERzu Schurek: Jetzt frag ich dich: Wer kann sich Butter kaufen für 60 Mark?

BALKEtritt an den Stand: Ein Pfund Butter.

Balke zahlt, die Verkäuferin gibt ihm die Butter.

STETTINER Soviel Geld hat nicht jeder.

GESCHKE Es kriegt auch nicht jeder eine Prämie.

ZEMKE Hände waschen, Fräulein, das Geld stinkt.

STETTINER Es hat sich schon mal einer die Finger verbrannt an einer Prämie.

SCHUREKauswendig: Wenn wir besser leben wollen, müssen wir mehr produzieren. Das ist doch klar, Kollegen.

EIN ARBEITER Jetzt reiten wir zum Tierarzt, sagte der Viehhändler. Da hatte sich der Gaul das Bein gebrochen.

STETTINER Genau wie früher. Der Arbeiter ist der Dumme.

BALKE Schlagt euch nicht den Schädel ein, zerbrecht euch lieber den Kopf.

ZEMKEprovozierend: Was denn, wenn wir den Laden hier zusammenschlagen, stellen sie uns morgen einen neuen her!

BALKE Wir müssen die Butter billiger machen.

ZEMKE Sieh mal an, der Aktivist.

KARRAS Und wie will er das machen, der Klugscheißer?

Großes Gelächter. Herein Ingenieur Kant Er geht zu Bittner, der noch sitzt und ißt.

BALKEheftig: Besser arbeiten.

KANT Im Ofen 4 sind drei Deckel gerissen, Bittner. Die müssen in drei Tagen aufgemauert sein, oder wir sitzen fest.

BITTNERkauend: Ich weiß. Aber ich hab zwei Maurer weniger als vor acht Tagen und kein beßres Material.

BALKE Wir sind sechs. Zwei Mann für einen Deckel.

BITTNER Wir mauern zu dritt, wie immer. Drei Tage brauchen wir für einen Deckel. Das ist die Norm.

BALKE Gut, ich übernehm den zweiten Deckel und mache eine neue Norm.

Pause.

LERKA Wenn Leistungslohn gezahlt wird, mach ich den dritten.

KANT In Ordnung.

BALKE Aber wir brauchen Handlanger.

GESCHKE Was kriegt der Handlanger?

ZEMKE Ein steifes Kreuz.

BALKEzu Geschke: Machst du’s?

GESCHKE Nicht umsonst.

BALKE Wir arbeiten auch für Geld. Wer macht den Handlanger für Lerka?

Brillenträger, der zurückgekommen ist, stopft sich Brot in den Mund, tritt heran und hebt einen Finger.

LERKA Gut.

GESCHKE Was kriegt der Handlanger?

BITTNER Wir mauern, wie wir es gewöhnt sind, auf die alte Art und solide. Du denkst, du bist ein ganz gerißner, Balke. Wenn der Deckel gerissen ist, den du gemauert hast, wirst du an mich denken.

3

Halle. Arbeiter, stehend oder sitzend, beim Frühstück und beim Skat.

DIREKTOR Kollegen, wir kommen also jetzt zur Wahl der Gewerkschaftsleitung...

EIN SKATSPIELENDER ARBEITER Ich brauch keine.

EIN ESSENDER ARBEITER Wo ist überhaupt die alte Leitung? Wo ist Kohn?

EIN ANDERER Wo ist der Parteisekretär?

KARRAS Im Westen. Kohn hat da einen Schrebergarten geerbt, und der Sekretär ist mit und hilft umgraben.

Gelächter.

DIREKTOR Vorgeschlagen ist Schurek. Ihr könnt natürlich andere Vorschläge machen. Ihr müßt wissen, wem ihr euer Vertrauen schenken wollt.

EIN ARBEITER Schenken ist gut gesagt.

EIN ANDERER Geschenkt ist geschenkt.

Lachen.

SCHUREK Kollegen, wir wissen alle, worauf es ankommt.

Reine Weste, ein Herz für die Kollegen und die Treue zur Arbeiterregierung –

Karras lacht.

DIREKTOR Willst du’s machen, Schurek?

Schurek nickt bescheiden.

Also ich schlage den Kollegen Schurek vor, ihr kennt ihn, und er kennt sich aus. Habt ihr andere Vorschläge?

ZEMKE Schurek ist ein Arschkriecher. Ab.

DIREKTOR Hast du einen Vorschlag, Kollege?

GESCHKEzu Stettiner: Wer Schurek wählt, ist selber schuld.

STETTINER Willst du’s machen?

Geschke schweigt.

Unser Recht kriegen wir nie. Hier nicht.

Egal, wer den Bonzen macht.

EIN ANDERER Wir können nichts machen.

Direktor Also, wer für Schurek ist, Hand hoch.

Die Arbeiter, auch die Esser und Skatspieler, auch Geschke, heben die Hand, einige mit Frühstücksbrot oder Spielkarte. Wenige Ausnahmen, darunter Karras.

KARRASlaut: Ich kann jetzt nicht, hab die Hand grad in der Tasche.

Direktor zählt die Stimmen.

4

Halle mit Ringofen. Balke und Lerka bei der Arbeit an den Kammerdeckeln. Geschke, Balkes Handlanger, und Brillenträger, Lerkas Handlanger, schleppen Steine heran. Balke und Geschke bauen aus Klötzen und Brettern eine Bank um den Kammerdeckel, darauf Steine, Schamotte, Mörtel und vier Kalkkästen, an jeder Ecke einen, Lerka mauert schon, sehr schnell und schwitzend, Steine usw., aber nur einen Kalkkasten auf dem Roden, so daß er sich nach jedem Stein bücken muß.

BALKE So machst du dich kaputt. Nimm vier Kalkkästen und alles auf die Bank.

LERKA Ja, auf die lange Bank!

BALKE Es ist die kurze.

LERKA Mich kostet die Minute einen Groschen.

BALKE Du machst dich kaputt.

LERKAächzend: Besser ein Jahr weniger, aber gut gelebt.

Balke arbeitet, Lerka schuftet Geschke und Brillenträger, die Handlanger, kommen mit leeren Hucken, ohne Steine.

LERKAzu Brillenträger: Steine her!

BRILLENTRÄGER Die Steine sind alle.

GESCHKEzu Balke: Die noch da sind, sind feucht.

LERKAzu Brillenträger: Bring, was du kriegen kannst.

BRILLENTRÄGER Und wenn der Deckel reißt?

LERKA Bring Steine.

Brillenträger ab.

BALKEzu Geschke: Frag den Ingenieur, wo wir trockne Steine herkriegen.

Geschke ab. Pause.

BALKE Lerka, weißt du, was du machst, wenn du mit feuchten Steinen mauerst?

Brillenträger bringt feuchte Steine, Lerka mauert.

LERKA Tempo oder Qualität. Alles können sie nicht haben.

BALKE Die Minute kostet einen Groschen, Lerka. Aber der Ofen kostet mehr.

LERKAnervös: Wer hat mir was zu sagen? Der Laden hier ist volkseigen, stimmt’s? Ich bin das Volk, verstehst du.

Balke schweigt.

5

Buchhaltung. Büro des Direktors. Ein schmaler Gang dazwischen. Der Direktor betritt sein Büro, im Mantel. Er zieht den Mantel aus, setzt sich an den Schreibtisch Der Buchhalter kommt über den Gang ins Büro. Fräulein Matz, allein in der Buchhaltung, unterbricht ihre Arbeit an den Lohnlisten und bearbeitet statt dessen ihre Fingernägel.

BUCHHALTER Ich wollte Ihnen nur sagen, Herr Direktor, so geht es nicht. Eine Planung, die davon ausgeht, daß die Öfen ständig ausgelastet sind, ist unverantwortlich bei dem Zustand der Öfen. Ein Zwischenfall, und wir stehen vor dem Nichts!

DIREKTORin einer Spiegelscherbe seine Bartstoppeln betrachtend, unaufmerksam: Wir stehen vor dem Nichts, mein Herr. Wir bauen ein zerstörtes Land auf. Das bedeutet: Produzieren, um jeden Preis produzieren.

BUCHHALTER Es kann sein, die Produktion ist der Preis. Ich möchte nur darauf hingewiesen haben. Ich wasche meine Hände.

Er geht zurück in die Buchhaltung.

Fräulein Matz schminkt sich

BUCHHALTER Sie schminken sich schon wieder, Fräulein Matz.

FRÄULEIN MATZ Kann ich dafür, daß der Lippenstift nichts taugt?

Pause. Der Direktor zieht die Jacke aus und legt Rasierzeug zurecht

BUCHHALTER Früher hielt man sich an die Termine, aber die Kirche blieb im Dorf. Es kam Geld ein. Das Ausland interessierte sich für uns, und der Arbeiter wurde satt. Das war die Ausbeutung. Davon sind wir ja nun befreit.

FRÄULEIN MATZ Sehr komisch.

BUCHHALTERscharf: Sind die Lohnlisten fertig, Fräulein Matz?

Fräulein Matz schweigt, arbeitet heftig. Der Direktor fängt an, sich einzuseifen. Die Seife schäumt nicht. Im Gang erscheint Schurek, Geschke hinter ihm.

GESCHKE Hör mal, Schurek, ich brauch sie. Soll ich barfuß arbeiten?

Er zeigt abgerissene Schuhe.

SCHUREK Die Zuteilung ist ausgegeben.

GESCHKE Ich war wieder nicht dabei.

SCHUREK Wir stellen Tonbehälter her, feuerfeste Steine für die Industrie usw. Schuhe stellen wir nicht her, die Bezugsscheine machen wir nicht. Ich kann deinetwegen nicht aus der Reihe tanzen. Wir müssen Opfer bringen für den Sozialismus.

GESCHKE Da soll ich barfuß in den Sozialismus laufen, was? Du gefällst mir, Schurek.

Schurek läßt Geschke stehen und geht ins Büro. Geschke blickt auf seine Schuhe. Es kommt ein junger Mann, der Reporter, er geht ins Büro. Geschke ab.

DIREKTORnoch überm Einseifen, zum Reporter, den er erwartet hat: Sie sind der Zeitungsschreiber?

REPORTER Ich brauch was über Produktionserfolge, für die Sonntagsbeilage.

DIREKTOR Das wird schwerhalten.

REPORTER Wie steht es mit dem Wettbewerb?

DIREKTOR Allein marschiert der Stiefel nicht.

REPORTER Wieso?

DIREKTOR Es muß ihn einer anziehen.

REPORTERnotiert: Aha. Nachtrabpolitik.

DIREKTORwütend: Sie halten die Produktion auf, mein Herr!

REPORTERgrinst: Die Schaumproduktion, was?

DIREKTOR Wenn die Seife halb so viel Schaum schlagen würde wie die Zeitungsschreiber.

SCHUREKzum Reporter: Ich hab was für Sie, Kollege. Wettbewerb. Warten Sie, ich hol den Ingenieur. Ab.

Schweigen in Buchhaltung und Büro. Der Direktor rasiert sich. Schurek kommt mit Ingenieur Kant zurück.

KANTzum Reporter: Kant.

REPORTER Aus der Familie der großen Philosophen, was? Er lacht ausgiebig.

KANT Nicht direkt.

REPORTER Sie arbeiten nach sowjetischen Neuerermethoden, sozialistischer Wettbewerb?

KANT Wissen Sie, was ein Ringofen ist?

REPORTERauswendig: Ofen mit in Ringform angeordneten Brennräumen, nacheinander als Vorwärm-, Trocken, Brenn- und Abkühlkammer dienend, zum Brennen von Zement, Kalk, Ziegeln usw. ohne Unterbrechung. Rauminhalt einer Kammer 8 Kubik, Deckel und Wände aus feuerfester Schamotte. Heiße Arbeit.

DIREKTOR Ob er das ganze Lexikon auswendig weiß?

KANT Wir sind knapp mit Öfen durch die Bombenangriffe. Wir können einpacken, wenn einer ausfällt. Das Material taugt nicht viel. Vor kurzem sind in einem Ofen drei Dekkel gerissen, eine Woche, nachdem wir zwei Maurer verloren hatten; einer ging ins Sanatorium, der andre über die Grenze. Für die Reparatur war drei Tage Zeit.

REPORTER Sabotage, was?

KANT Ich sagte schon: Das Material taugt nichts.

SCHUREK Sie haben gesagt: nicht viel.

REPORTER Verstehe. Objektive Schwierigkeiten.

KANT Der Brigadier, ein alter Facharbeiter, erklärte: In drei Tagen ist die Reparatur unmöglich. Richtig ist: die Norm sieht für einen Deckel drei Tage vor.

REPORTER »Die Facharbeiter brechen sich kein Bein. / Wenn das Haus auch einfällt, ihnen fällt nichts ein.« Von mir.

KANT Zwei nicht so alte Facharbeiter machten eine neue Norm. Das ist alles.

REPORTER Grandios.

Herein Lerka, eine Schramme im Gesicht. Er bleibt an der Tür stehen.

LERKAzu Kant: Der Deckel ist hin.

Pause.

SCHUREK Du hast ihn gemauert, Lerka.

KANT Sie haben feuchte Steine vermauert, was?

LERKA Nicht direkt. Herr Ingenieur, ich war immer ein guter Arbeiter, aber wenn’s schneller gehn soll, als es geht. Zehn Stunden Arbeit und zum Frühstück trocken Brot, und vier Kinder und eine kranke Frau.

KANT Wissen Sie, was Sie da gemacht haben, Lerka?

LERKA Werden Sie’s mir vom Lohn abziehn? Mit der Prämie ist es aus, das weiß ich.

SCHUREK Das ist Sabotage. Dafür wirst du bezahlen.

DIREKTOR Jemand verletzt?

LERKA Nein.

KANT Sie bluten.

LERKAwischt sich mit dem Handrücken Blut aus dem Gesicht: Eine Schramme.

Kant ab, ihm nach der Reporter. Wenn Lerka folgen will, spricht ihn der Direktor an.

DIREKTOR Lerka, ich weiß nicht, warum du das getan hast. Aber ich kann nicht so tun, als hättst du’s nicht getan. Ich sitz hier nicht für mich und nicht zum Vergnügen.

LERKA Ihr könnt mir nicht den Kopf abreißen für ein Versehn. Denkt ihr, ich hab gewollt, daß der Deckel reißt?

SCHUREK Du hast dir ins eigne Fleisch geschnitten. Jetzt schrei nicht, daß es weh tut.

Pause.

LERKA So ist das also. Da schindet man sich krumm, ins Kreuz getreten dreißig Jahre, fressen wie ein Hund und in Trab wie ein Gaul. Und jetzt heißt es: ein Saboteur!

Das ist also euer Arbeiterstaat. Ihr seid nicht besser als die Nazis.

DIREKTORgepreßt: Sag das noch mal.

LERKA Ich hab gesagt, ihr seid nicht besser als die Nazis.

Direktor schlägt Lerka ins Gesicht. Pause.

Das kostet dich die Stellung, Direktor. Das ist nicht wie bei Hitler.

Ab. Pause. Dann geht der Direktor in die Buchhaltung hinüber.

DIREKTOR Sind die Lohnlisten fertig?

FRÄULEIN MATZ Ja.

6 a

Buchhaltung und Büro. Der Direktor am Schreibtisch, angestrengt und lustlos lesend Auf dem Schreibtisch ein Stoß Bücher über Buchführung. Der Buchhalter zahlt Lohn aus, an Geschke, an Brillenträger, an Balke.

BUCHHALTERzu Balke: Ihnen soll ich 400 Prozent auszahlen.

Da kriegen Sie wohl das Geld für Herrn Lerka mit?

BALKE Ja, 400. Nach der alten Norm. Das muß ich verlangen.

Sonst kriegen wir die neue Norm nicht, die wir brauchen. Wenn man’s ihnen schwer macht, machen sie sich’s leicht. Geschke und Brillenträger sehn zu, wie Balke das Geld einsteckt, gehn ins Büro zum Direktor, Balke ab.

GESCHKE Der Aktivist kriegt eine Prämie. Die Steine haben wir geschleppt.

Brillenträger nickt.

DIREKTOR Was ihr gemacht habt, kann jeder machen.

GESCHKE Ich mach’s nicht wieder.

Mit Brillenträger ab.

Schurek tritt ins Büro, eine Zeitung schwingend

DIREKTORnervös: Was willst du?

SCHUREKnimmt ein Buch auf und liest den Titel: »Doppelte Buchführung.« Wird der Buchhalter entlassen?

DIREKTOR Nein, kontrolliert. Was willst du?

SCHUREKentfaltet die Zeitung, in der Balke abgebildet ist-Hier. Unser bestes Pferd. Das kommt an die Wandzeitung. Er trennt das Blatt mit dem Bild ab, nimmt Reißnägel aus der Tasche, befestigt das Blatt an der Wand, tritt zurück und prüft die Wirkung.

DIREKTOR Hier ist kein Pferdestall. Er liest weiter

Schurek ab. Das Zeitungsbild bleibt hängen. Der Direktor nimmt eine Flasche und ein Schnapsglas aus dem Schreibtisch, trinkt. Es kommt Schorn, der neue Parteisekretär. Der Direktor, nach einem Versuch, Glas und Flasche verschwinden zu lassen, stellt ein zweites Glas vor Schorn.

SCHORNschiebt das Glas weg: Danke.

DIREKTOR füllt sein Glas: Hier ist ein heißes Pflaster. Leicht wirst du’s nicht haben als Parteisekretär. Du bist der dritte. Er trinkt. Den ersten hat der Schnaps kaputtgemacht. Mit Saufen angefangen hat er wegen Sabotage. Der zweite war ein grüner Junge, frisch vom Lehrgang, ein Tintenfisch. Er sitzt im Westen. Der Arbeiter hat kein Vertrauen zur Partei. Der Faschismus steckt ihm in den Knochen. Granaten haben sie gedreht mit allen Vieren, jetzt schreien sie »Akkord ist Mord«. Wenn du mich fragst: ich trau keinem. Er trinkt.

SCHORNauf das Zeitungsblatt deutend: Wer ist das?

DIREKTOR Balke, Bestarbeiter, 400 Prozent. Unser bestes Pferd.

SCHORN Er hat mir unters Beil geholfen 44, unser bestes Pferd. Gib mir einen Schnaps.

DIREKTORgibt ihm einen Schnaps: Der hat nur vierzig.

6 b

Kantine. Mittagspause. Am HO-Stand ein Schild: »Wegen Warenübernahme geschlossen«. Das Spruchband ist entfernt Auf den Tischen liegen Decken. An der Hinterwand ein Brett. Darauf steht »Wandzeitung«. Das Brett ist leer.

GESCHKElöffelnd: Meinem Ausbeuter hätt ich so was ins Gesicht geschüttet.

KOLBE Geschke, der Held!

EIN ANDERER Es ist Fleisch drin.

KARRAS Fleisch hat er gesagt. Er spinnt. Das ist der Hunger.

KALBSHAXE Heiligabend hatten wir immer Kalbshaxe, bis vierundvierzig. Zu Karras: Kennst du Kalbshaxe? Wenn du sie in Butter schmorst, zergeht sie auf der Zunge.

KARRAS Wer hat die Kalbshaxe bezahlt?

KALBSHAXEkichernd: Der Staat. Ich war Beamter.

EIN ANDERER Und wer hat den Staat bezahlt?

ZEMKE zu Kalbshaxe: Nazi gewesen?

KALBSHAXE Ich hatte sechs Kinder, Kollegen.

KARRAS Das kommt vom Fleischfressen.

Herein Fräulein Matz. Sie bringt das Zeitungsblatt mit Balkes Bild am Wandbrett an. Karras sieht ihr zu. Das Brett hängt hoch

Ich glaube, in der Suppe war Fleisch.

Lachen. Fräulein Matz schnell ab.

STETTINER Da hängt der Aktivist.

Herein Balke.

ZEMKElaut: Da kommt er persönlich, die Arschtasche prall von unserm Geld. Er reißt das Zeitungsblatt mit Balkes Bild vom Windbrett.

STETTINERgeht in Deckung, dann: Lohndrücker. Arbeiterverräter.

GESCHKE Was kriegt der Handlanger, Balke?

Balke holt sein Essen, setzt sich. Die am Tisch Sitzenden stehn auf, zuerst Karras und Zemke. Sitzen bleiben Kolbe und Krüger.

KRÜGER Balke, ich hab nichts gegen dich, und Stettiner war in der SA und ist ein Arschloch. Aber das ist wahr: du bist uns in den Rücken gefallen.

BALKE Ich hab nichts für mich behalten.

STETTINER Das ist nicht anständig, das ist dämlich.

BALKE Was ich gemacht habe, kann jeder machen.

KARRAS Kann.

BALKE In der Versammlung gestern habt ihr euch das Maul zerrissen: es gibt keine Schuhe. Wenn die Arbeiter in den Schuhfabriken mehr Schuhe machen würden, hätten wir mehr Schuhe.

EIN ARBEITER Mach ein Kind, wenn du kastriert bist.

SCHUREK Es liegt an uns, ob wir zu einem beßren Leben kommen.

KARRAS Das kann ich in der Zeitung lesen, auf die mein Hintern abonniert ist.

BALKE Mit dem gescheiten Hintern gehörst du ins Büro.

Lachen.

KRÜGER Liegt an uns, sagst du. Gut, an uns soll’s nicht liegen. Aber wer schöpft ab? Hast du den Gewerkschaftsprediger gesehn in der Versammlung gestern?

KOLBE Wenn er dir nicht gefällt, warum läßt du ihn dir gefallen?

GESCHKE Warum wohl?

KOLBE Im Direktorzimmer sitzt ein Arbeiter am Schreibtisch. Du bist auch ein Arbeiter und kannst mit ihm reden.

KARRAS Und wer hat Lerka die Sabotage angehängt für den Unfall? Der Arbeiter am Schreibtisch. Den Arbeiter hat er mit dem Arbeitsanzug ausgezogen.

BALKE Es war kein Unfall. Das wißt ihr so gut wie ich.

Pause.

Wenn ihr von der neuen Norm nichts wissen wollt, wer drückt dann den Lohn, ihr oder ich?

KOLBE Ihr schneidet euch ins eigne Fleisch.

Wir leben so gut wie wir arbeiten.

KRÜGER Den Finger geben wir, den Arm reißen sie uns aus.

ZEMKEzu Balke; Wenn du weiter den Lohndrücker machst, schlagen wir dich zum Krüppel.

7

Straße. Abend.

SCHORN Wir haben zusammen in der Rüstung gearbeitet, Balke. Vierundvierzig haben sie mich eingesperrt: Sabotage. Dich haben sie nicht eingesperrt. Du warst der Denunziant.

BALKE Was heißt da Denunziant. Ich war in der Prüfstation. Da hatten sie mich hingestellt, weil sie mich hereinlegen wollten, zwischen zwei Aufpasser. Bei den Handgranaten aus eurer Abteilung waren die Schlagstifte zu kurz. Ich ließ sie durchgehn oder legte sie zum Ausschuß, je nachdem, wo die Spitzel standen. Das riß aber nicht ab. Ich war auch dafür, daß man den Krieg abkürzt, aber mir hätten sie den Kopf abgekürzt, wenn’s ohne mich herauskam.

SCHORNkalt: Vielleicht.

Schweigen.

Was war da für ein Streit in der Kantine heute mittag?

BALKE Das ging gegen mich. Lohndrücker, Arbeiterverräter und dergleichen.

Pause.

SCHORN Sag es mir, wenn sie dir Schwierigkeiten machen.

Pause.

BALKE Was gewesen ist, kannst du das begraben?

SCHORN Nein.

8 a

Technisches Büro. Die Ingenieure Kant und Trakehner, der Direktor, Schorn, Balke, Bittner

DIREKTOR Der Ofen 4 ist gerissen. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, was das heißt. Die zerbombten Öfen sind noch nicht wieder aufgebaut, Material ist knapp. Wenn ein Ofen ausfällt, ist der Plan ein Stück Papier.

TRAKEHNER Das ist er mit und ohne Ofen 4.

DIREKTOR Darüber läßt sich streiten. Sie haben sich den Ofen angesehn. Eins ist klar: Er muß völlig umgebaut werden, mit Ausflicken ist nichts getan. Das heißt: er fällt aus, vier Monate, so lange dauert der Umbau.

Es wird an die Tür geklopft.

FRÄULEIN MATZ Entschuldigung. Der Zeitungsreporter ist hier. Er will zu Ihnen. Er sagt, er braucht was aus der Produktion, für die Sonntagsbeilage.

DIREKTOR Sagen Sie ihm, er soll über Maikäfer schreiben.

Das interessiert die Leute im Dezember. Ich kann ihn nicht gebrauchen. Jetzt nicht.

FRÄULEIN MATZkichert, dann: Aber ...

Auf einen Blick vorn Direktor: Ja. Maikäfer. Ab.

DIREKTOR Es ist üblich, den Ofen für die Zeit des Umbaus ganz stillzulegen. Es ist immer so gemacht worden.

Pause. Trocknet sich den Schweiß ab.

TRAKEHNER Ich sehe keine andre Möglichkeit.

BITTNER Richtig, es ist immer so gemacht worden.

Kant schweigt.

DIREKTOR Wenn wir den Ofen stillegen, kommen wir in Teufels Küche. Da sind vor allem die Liefertermine.

TRAKEHNER Ist es vorgekommen, daß sie eingehalten wurden?

DIREKTOR Es ist vorgekommen. Jedenfalls, mit dem Ofen 4 steht und fällt der Produktionsplan. Stillegen ist ausgeschlossen.

TRAKEHNER Schön und gut, aber nicht stillegen ist auch ausgeschlossen.

DIREKTOR Das wollt ich fragen.

KANT Sie wollen den Ofen bei Feuer umbauen?

DIREKTOR Ja. Die Kammer, die in Arbeit ist, wird natürlich stillgelegt.

TRAKEHNER Unfug.

BITTNER Wenn das ginge, die Unternehmer hätten es gemacht.

TRAKEHNER Preisfrage: Was fällt eher zusammen:

Maurer oder Ofen?

KANT Bei 100 Grad Hitze kann man vielleicht arbeiten. Die Frage ist: Kann man sauber arbeiten? Ich bezweifle das.

SCHORN Das ist nicht nur eine Frage der Technik, des Materials.

TRAKEHNER »Sondern eine Frage des Bewußtseins.«

Ich maße mir nicht an, Ihnen da hineinzureden, schließlich werden Sie dafür bezahlt. Aber hier handelt es sich um Tatsachen.

SCHORN Die Arbeiterklasse schafft neue Tatsachen.

TRAKEHNER Hut ab vor der Arbeiterklasse. Aber Ausbeutung ist keine neue Tatsache.

DIREKTOR Der Maurer Balke hat sich bereit erklärt, den Ofen umzubauen, bei Feuer. Ich bin dafür, daß sein Vorschlag geprüft wird.

TRAKEHNER Balke ist ein Wirrkopf.

SCHORN Balke ist Maurer.

TRAKEHNER Ich verstehe. Wenn der Maurer den Ofen macht, ist er ein Held. Wenn der Ofen reißt, sind wir die Saboteure.

Schorn lächelt.

BITTNER Der Ofen wird reißen.

BALKE Er ist gerissen.

BITTNER Du denkst, du bist gerißner, was?

TRAKEHNER Ich lehne die Verantwortung ab.

BALKE Ich verlange, daß ich den Ofen machen kann.

Pause. Trakehner raucht eine Zigarre an.

DIREKTOR Wir kommen in Teufels Küche.

TRAKEHNER Denken Sie von mir, was Sie wollen. Ich habe immer meine Pflicht getan.

DIREKTOR Mehr.

TRAKEHNER Jawohl, auch mehr. Aber daß ich meinen Ruf als Fachmann aufs Spiel setze, das geht zu weit. Das kann niemand von mir verlangen. Pause. Dieser Plan ist etwas für den Papierkorb, eine Utopie.

BALKEzum Direktor: Ich kann den Ofen auch ohne Ingenieur umbauen.

TRAKEHNER Bitte. Er steht auf. Ich finde mein Brot überall.

Ihren Sozialismus aufzubauen ist kein Spaß. Er drückt seine Zigarre aus. Nicht einmal die Zigarren sind ein Spaß.

SCHORN Sie haben recht.

TRAKEHNER Wie?

SCHORN Ich sage, Sie haben recht. Aber Balke kann den Ofen 4 nicht ohne Ingenieur machen.

Pause. Trakehner setzt sich und raucht die Zigarre wieder an.

KANTzu Balke: Haben Sie eine Kalkulation gemacht?

BALKEreicht ihm Papiere: Ich hab’s versucht.

Schweigen. Kant liest

8 b

Halle. Arbeiter. Der Direktor, Balke und Schurek vor ihnen.

DIREKTOR Eine große Sache haben wir vor. Das gibt ein Beispiel für die ganze Produktion.

Damit können wir beweisen, was die Arbeiterklasse leisten kann. Es muß für euch eine Ehre sein, mitzumachen. Pause.

SCHUREK Es ist eine Arbeit wie jede andre. Nur daß sie zum erstenmal gemacht wird.

EIN ARBEITER Schnaps ist Schnaps, sagte der Budiker und schenkte Terpentin aus.

KRÜGER Das ist Ausbeutung.

BALKE Es geht um den Plan, Kollegen.

STIMME AUS DEM HINTERGRUND Wir scheißen auf den Plan.

BALKE Fragt sich, ob ihr was zu scheißen habt ohne den Plan.

Brillenträger lacht meckernd, verstummt, als die andern nicht mitlachen.

Ich kann den Ofen nicht allein umbauen, aber wir brauchen ihn.

Schweigen.

DIREKTOR Krüger, du sagst: Ausbeutung. Du bist dein Leben lang ausgebeutet worden. Jetzt ist dein Junge auf der Universität.

KRÜGER Hab ich ihn auf die Universität geschickt? Ich war dagegen.

Schweigen.

BALKE Es wird schwer sein, sehr heiß. Doppelter Verdienst, dreifache Arbeit.

EIN ARBEITER Und acht Jahre, wenn was schiefgeht, wie bei Lerka.

BITTNER Ich sage, das wird Murks.

BALKE Ich weiß, was ich mache.

Pause.

KOLBE Ich hab in einem Panzer gesessen, bis fünfundvierzig.

Das war auch kein Kühlschrank. Ich mache mit.

KRÜGERtritt vor: Wenn’s sein muß.

8 c

Hof. Stettiner, Geschke, dann Brillenträger, später Kolbe.

STETTINER Brauchst du trockne Steine, Geschke? Am Ofen 4 liegt Vorrat.

GESCHKE Die braucht Balke selber.

STETTINER Eben.

Brillenträger, aus der Kantine kommend, bleibt stehen.

Mensch, wenn die den Ofen fertigkriegen, ist unser Lohn versaut bis 1980.

Kolbe kommt mit Balkes Essen aus der Kantine. Laut Er schleppt ihm schon das Essen in den Ofen, dem Herrn Brigadier. Der schont sich.

KOLBE Wenn ich herauskriege, wer Balke die Jacke geklaut hat, daß er nicht in die Kantine kann, aus der Ofenhitze über den Hof, ich weiß, was ich mache.

STETTINER Die Menschen sind schlecht.

Kolbe ab.

GESCHKE Hast du die Jacke?

STETTINER Wenn du eine brauchst, dir geb ich sie billig, Geschke.

Geschke ab.

BRILLENTRÄGER Guter Stoff?

STETTINER Reine Wolle. Fast neu.

8 d

Am Ofen Balke und Krüger. Sie sind erschöpft. Kolbe kommt mit Balkes Essen und Bier.

KOLBEtrinkt: Gegen den Ofen war der Panzer ein Kühlschrank.

BALKEessend: Der Ofen ist kein Nazitank. Du kannst aussteigen.

KRÜGERzu Kolbe: Hast du die Zeitung mit?

KOLBEzieht eine Zeitung aus der Tasche: Hier. »Durchbruch im VEB ›Roter Oktober‹. Die Arbeiter des VEB ›Roter Oktober‹ erzielten einen Durchbruch. Der Aktivist Balke entwickelte den Plan, einen Ringofen, der gerissen war, ohne Betriebsunterbrechung umzubauen, was in diesem Produktionszweig als unmöglich galt. Propagiert durch den BGL-Vorsitzenden Schurek ...«

KRÜGER Ausgerechnet Schurek.

KOLBE »... wurde diesem Plan begeistert zugestimmt, der eine Einsparung von 400 000 Mark bedeutet und die Planerfüllung sicherstellt. Wir suchten die Brigade des kühnen Neuerers an ihrem Arbeitsplatz auf, wo ein reges Treiben herrscht, und konnten einen Blick in den Ofen werfen. Wie diese Männer mit den Steinen umgehn, das ist sozialistisches Tempo ...« Spinner! Ohne Tempo verbrennst du dir die Pfoten.

Er liest weiter.

»Sie arbeiten mit Handschuhen, denn die Steine glühen, und im Vordergrund steht die Sorge um den Menschen. Während eine Kammer nach der andern stillgelegt, abgerissen und neu ausgemauert wird, brennt nebenan hinter einer dünnen Wand das Feuer weiter. Es kommt vor, daß die Pantinen der Männer in Brand geraten. Eine Leistung, welche sich der Laie nicht vorstellen kann. Von den nackten Oberkörpern rinnt der Schweiß, aus den Gesichtern sprechen Entschlossenheit und Zuversicht. Die Belegschaft ist stolz auf sie.«

BALKE Deswegen klauen sie uns auch die trocknen Steine, die wir brauchen.

KOLBE Wenn der Tintenkuli wiederkommt, machen wir Schulung mit ihm, bei hundert Grad im Ofen.

KRÜGER Dich hat er ja ganz schön herausgestrichen, Balke.

9

Ofen. Darin Balke, Krüger und Kolbe bei der Arbeit Brillenträger wirft im Vorbeigehen einen Stein, der Balke trifft

KRÜGER Das ist zuviel.

KOLBEden Stein aufhebend: Den heben wir auf. Das ist ein Beweisstück.

BALKEdie getroffene Stelle reibend: Ist er trocken?

KOLBE Ja.

BALKEgrinsend: Das Beweisstück wird vermauert. Kolbe reicht ihm den Stein.

10

Kneipe, Straße. Abend. Der Budiker spült Gläser. An der Trümmerwand eine primitive Aktzeichnung. Daneben steht ein junges Mädchen.

EIN JUNGER MANNschlendert an dem Mädchen vorbei und zurück: Haben Sie hier Modell gestanden, Fräulein?

Das junge Mädchen geht schnell ab. Geschrei von Kindern beim Kriegsspiel, näher kommend Der junge Mann tippt mit einem Finger dem Akt auf die Brüste und geht dem Mädchen nach, pfeifend. Zwei Jungen mit rostigem Stahlhelm und Gasmaske, bewaffnet mit Besten einer Maschinenpistole. Ein dritter, der kleinste, trommelt auf einem Topf.

ERSTER junge »schießt«, brüllt: Tot!

ZWEITER JUNGE Gilt nicht.

DER ERSTEgeht auf ihn los und wirft ihn zu Boden: Gib deine Waffen ab. Los!

Sie ringen um die Waffen.

DER ZWEITE Ich bin der Ami, und der Ami gewinnt, sagt mein Vater.

Er »schießt«.

DER ERSTE Spielverderber!

DER ZWEITE Feigling.

Sich prügelnd ab. Der dritte folgt, trommelnd.

Zwei Herren mit Aktentaschen.

ERSTER HERRim Gehen: Wie ich die Lage sehe, kommt es bestimmt zum Krieg. Amerika kann sich das nicht gefallen lassen. Wissen Sie, was ich gehört habe? Er sieht sich um, flüstert:...

ZWEITER HERR Er soll gesagt haben: Der Krieg ist nicht unvermeidlich. Mit erhobenem Zeigefinger: Nicht unvermeidlich!

Die zwei Herren lachend ab.

Zwei Bauarbeiter gehen in die Kneipe. Der Budiker bringt Bier.

DER ERSTE BAUARBEITER Acht Tage noch. Dann saufen wir Wasser.

DER ZWEITE Mein Eisschrank ist im Eimer, arbeitslos. Noch acht Raten.

DER BUDIKER Die Herren sind von drüben?

DER ERSTE BAUARBEITER Was dagegen?

DER BUDIKERhält ein Glas mit Wasser hoch: Sehn Sie, was ich trinke? Wasser. Sie meinen, der Budiker kann Bier trinken? Hier nicht. Im Osten nicht. Hier wird der Mittelstand ausgehungert.

DER ERSTE BAUARBEITERtippt dem Budiker auf den Bauch: Ist das auch Wasser?

DER BUDIKER Der Gewerbetreibende hat nichts zu lachen.

Lieber arbeitslos in Freiheit.

DER ERSTE BAUARBEITER Gemacht. Wir übernehmen die Budike. Zum zweiten: Laß dir die Bücher zeigen, Hanke! Zum Budiker: Sind Hypotheken drauf?

DER BUDIKER Seien Sie froh, daß Sie nicht in meiner Lage sind.

DER BAUARBEITER Rückzieher? Das kostet.

DER BUDIKERlacht blöd: Weil Sie’s sind. Eine Lage.

Die Bauarbeiter trinken aus und gehen.

In die Kneipe kommen Karras und Zemke. Der Budiker bringt Bier und Schnaps.

ZEMKE Hast du noch eine Zigarette? Danke.

KARRAS Balke hat es immer noch nicht aufgegeben, der verrückte Hund.

ZEMKE Der braucht einen Denkzettel.

Karras schweigt

ZEMKE Er arbeitet heute wieder länger. Er fährt mit dem Rad nach Hause, allein. Er muß hier vorbei.

KARRAS Balke ist ein zäher Hund.

ZEMKE Ein Lump ist er. Ich weiß Bescheid. Ich war rot wie keiner. Mit Faust und Stuhlbein für die Weltrevolution. Sie haben mich auf den Kopf geschlagen und in den Arsch getreten. Polizei und Reichswehr. Ich hab gesagt: In Ordnung, es ist für die Weltrevolution. Dann hab ich gemerkt: unsre Führung hat den Kopf nicht hingehalten. Wie ich das gemerkt hab ...

KARRAS Bist du zur SA gegangen.

ZEMKE Wieso?

KARRAS Warst du etwa nicht in der SA?

ZEMKE Geht’s dich was an?

Pause.

Partei ist Partei. Alles dasselbe. Leere Versprechungen und die Kassen voll Arbeitergroschen. Die Weltrevolution müssen wir selber machen, Karras. Es wäscht uns kein Regen ab.

KARRAS Balke hat uns die Norm versaut. Dafür kriegt er acht Mark die Stunde und von mir einen Denkzettel, daß er nicht mehr in den Ofen paßt. Aber deine Weltrevolution kannst du allein machen, Zemke.

ZEMKE Schiß?

KARRAS Ich nicht.

ZEMKE Ich komm auf zwanzig Mark die Stunde, wenn ich will. Aber ich laß mich nicht kirre machen.

Pause.

KARRAS Wir haben ihn gewarnt. Er geht zur Tür, blickt auf die Straße. Er kommt.

Sie gehen hinaus, Balke entgegen.

KARRAS Steig ab, Balke.

BALKEbremst sein Fahrrad und steigt ab: Was wollt ihr? Ihr seid ja besoffen.

KARRAS Wir haben dich gewarnt, Balke.

BALKE Was wollt ihr?

Zemke schlägt zu. Das Fahrrad fällt um.

An der Trümmerwand: Ihr schlagt euch selber ins Gesicht.

Zemke und Karras schlagen auf ihn ein.

11

Büro. Schorn, Direktor.

SCHORN Wenn Balke ausfällt, wer übernimmt den Ofen?

DIREKTORzögernd: Es ist das erstemal, daß ein Ofen bei Feuer umgebaut wird.

SCHORN Das heißt: Es geht nicht ohne Balke?

DIREKTOR Noch nicht.

SCHORN Es hängt viel von ihm ab. Zu viel.

Pause.

Ich habe mit ihm in der Rüstung gearbeitet, Handgranaten. Seine Handgranaten waren immer in Ordnung. Er war ein guter Arbeiter. Er hat die Aufrüstung nicht sabotiert. Ich frage mich: Wird er den Aufbau sabotieren?

Herein Stettiner.

DIREKTOR Was willst du?

STETTINER Ich wollte fragen, ob mein Verbesserungsvorschlag schon geprüft ist. Es geht mir nicht um die Prämie.

DIREKTOR Worum denn?

STETTINER Wir haben doch eine Arbeiterregierung. Ich bin Arbeiter.

DIREKTOR Wir arbeiten nicht für die Regierung. Du kriegst Bescheid, wenn dein Vorschlag geprüft ist.

STETTINERbleibt stehen: Ich war in der SA, das stimmt. Hitler hat mich hereingelegt. Jetzt haben wir eine Arbeiterregierung.

DIREKTORschroff: Was willst du?

STETTINER Ich will eintreten, in die Partei.

Direktor schweigt Pause.

SCHORN Hier ist ein Formular. Füll es aus.

Stettiner ab mit dem Formular.

DIREKTOR Zweimal Arbeiterregierung blickt auf die Uhr: in drei Minuten. Das ist zuviel.

SCHORN Drei neue Mitglieder im Jahr, das ist zu wenig.

DIREKTOR Weniger ist vielleicht mehr.

12

Am Ofen. Balke, im Gesicht Schlagspuren, Kolbe und ein Arzt stehen vor Krüger, der bleich auf Steinen hockt, an Steine gelehnt. In einiger Entfernung Bittner, Karras, Zemke und andere. Krüger atmet mühsam.

DER ARZT Ich habe gesagt, diese Art zu arbeiten ist Selbstmord. Aber auf den Arzt hören sie ja erst im Sarg. Zu Krüger: Hören Sie, Mann, lassen Sie den Ofen Ofen sein, sonst krieg ich Sie nicht wieder auf die Beine. Sie, Balke, gehören auch eher in ein Krankenbett als in den Ofen.

BALKE Ich glaube, Sie wissen nicht, worum es geht, Herr Doktor.

DER ARZT Um die beßre Zukunft auf den Knochen der Arbeiter, wie?

KRÜGERmit Anstrengung: Das hätten Sie den Nazis sagen sollen, Doktor.

DER ARZT Ich verbiete Ihnen, zu sprechen, Krüger, Sie kriegen eine Blutung.

KRÜGER Vorhin haben Sie gesagt, das ist schon eine.

DER ARZT Noch ein Wort, und Sie haben eine. Was ist mit Ihrem Schädel, Balke? Wollten Sie wieder mit dem Kopf durch die Wand? Die Wand war stärker, wie?

BALKE Die Wand war ich.

Karras ab. Herein zwei Arbeiter mit einer Trage. Sie bringen Krüger hinaus, gefolgt vom Arzt und Kolbe. Die Zuschauer zerstreuen sich Zurück bleiben Bittner und ein junger Arbeiter. Balke setzt sich auf die Steine.

DER JUNGE ARBEITER Bittner, was meinst du, schaffen sie’s? Bittner zieht die Schultern hoch Wetten wir. Ich sag: sie schaffen’s.

BITTNER Ich wette nicht.

Der junge Arbeiter ab. Bittner tritt zu Balke, bietet ihm eine Zigarette an. Balke nimmt eine volle Packung aus der Tasche.

Hast du schon Ersatz für Krüger, Balke? Balke schweigt. Ich würde schon mitmachen. Was sein muß, muß sein.

Balke schweigt.

Das ist so: Ich hab gedacht, ich bin seit dreißig Jahren Ofenmaurer, ich weiß alles über Öfen, und mir macht keiner was vor.

BALKE Und wenn du dich wieder irrst?

BITTNER Willst du den Ofen allein machen, Balke?

BALKEsteht auf: Hab ich das gesagt? Ich hab nichts dagegen, daß du mitmachst.

BITTNER Gehn wir zusammen?

Sie gehen. Stettiner und Brillenträger kommen vorbei.

STETTINER Wenn einer den Einfall hat, genügend Steine in den Gaskanal zu schmeißen, seh ich schwarz für Balke und den Ofen.

13

Am Ofen. Balke, Schorn.

BALKE Steine im Gaskanal. Das heißt: drei Tage Aufenthalt. Der Plan fällt ins Wasser. Pause. Ich frage mich, wie lange steht der Ofen noch. Ich höre auf, ehe sie ihn in die Luft jagen. Sie haben gelacht über den blöden Aktivisten. Steine haben sie mir nachgeschmissen. Sie haben mich zusammengeschlagen auf der Straße. Ich werd ihnen was scheißen.

SCHORN Wem?

Schweigen.

Weißt du, wer die Steine in den Gaskanal geschmissen hat?

Schweigen.

BALKE Was passiert, wenn ich den Namen sage?

SCHORN Du mußt wissen, was du willst, Balke.

BALKE Ich bin kein Denunziant.

SCHORN Du mußt wissen, was du willst. Uns gehören die Fabriken und die Macht im Staat. Wir verlieren sie, wenn wir sie nicht gebrauchen.

Schweigen.

BALKE Der Brillenträger war’s.

14

Kantine. Arbeiter, die Verkäuferin.

ZEMKE Erst Lerka, jetzt der Brillenträger. Das ist zuviel.

STETTINER Das ist die Arbeitermacht. Ab.

GESCHKE Ja, das lassen wir uns nicht gefallen.

EIN ANDERER Was können wir machen?

EIN JUNGER ARBEITER Wir streiken.

EIN ÄLTERER Wir schneiden uns ins eigne Fleisch.

ZEMKE Ich kenn einen, der im Ministerium sitzt. Unter Hitler war er so – er zeigt ein Streichholz. Jetzt hat er Übergröße und braucht jede Woche einen neuen Anzug.

Das ist das Fleisch, in das wir schneiden.

Wer arbeitet, ist ein Verräter.

Sirene. Der ältere Arbeiter ab.

EIN ALTER Ich wette, der hetzt uns die Polizei auf den Hals.

Einige Arbeiter ab.

EIN ARBEITERzum Alten: Dir kann’s ja recht sein. Dein Ältester ist doch bei der Polizei.

DER ALTE Ja, er ist schon Leutnant.

Er steht auf und geht, langsam. Zwei andre folgen.

ZEMKE Wer arbeitet, ist ein Verräter.

Pause. Tritt an den HO-Stand: Bier.

Die Verkäuferin kommt heraus und schließt den Stand ab.

Was soll das heißen?

VERKÄUFERINtrocken: Streik. Ab.

EIN ARBEITER Das geht zu weit.

Ein anderer steht auf und geht. Herein Balke.

ZEMKE Da kommt der Denunziant.

BALKEzu Bittner und Kolbe: Wollt ihr nicht anfangen?

ZEMKEpflanzt sich vor Balke auf Mit einem Denunzianten arbeiten wir nicht.

Bittner und Kolbe schweigen. Balke ab. Zemke spuckt aus.

Pause.

EIN ARBEITER Ich will meine ruhige Kugel schieben, das ist alles. Akkord ist Mord.

Zemke hat den HO-Stand aufgebrochen, zerrt einen Kasten Bier heraus. Dabei tritt er auf die Butter.

KARRAS Steig von der Butter, Zemke.

ZEMKE Scheiß auf die Butter.

Die Arbeiter, außer Karras, Bittner und Kalbshaxe, holen sich Bier.

ZEMKE Was ist mit dir, Kalbshaxe?

KALBSHAXE Ich hab kein Geld.

ZEMKE Das ist Freibier, du Idiot. VEB Zemke.

Kalbshaxe holt sich Bier. Es kommen Balke, Schorn, der Direktor mit einigen Arbeitern.

SCHORN Bringt das Bier zurück.

Zemke trinkt, Schorn ansehend, in langen Zügen. Die Arbeiter, einer nach dem andern, trinken zögernd Kolbe, eine Flasche in der Hand, trinkt nicht

Was wollt ihr?

ZEMKEtrinkt die zweite Flasche: Gerechtigkeit.

ANDERE Wo ist der Brillenträger?

Wo ist Lerka?

Die Norm muß weg.

Akkord ist Mord.

SCHORNzeigt auf die zertretene Butter:

Soll die Butter auch weg?

Pause.

EIN ARBEITER Was hat die Butter mit der Norm zu tun?

SCHORN Ohne Norm keine Butter.

EIN ARBEITER Ohne Butter keine Norm.

SCHORN Wer macht die Preise?

ZEMKE Uns machst du nicht besoffen.

SCHORN Das besorgt ihr selber, wie?

DIREKTOR Geht an die Arbeit.

ZEMKE Nicht ohne den Brillenträger.

DIREKTOR Die Sabotage kostet zwanzigtausend.

SCHORN Das ist unser Geld. Und ihr schreit nach Freiheit für den, der uns darum gebracht hat.

ZEMKE Schön reden konnten sie schon immer, wenn’s um ihre Posten ging. Wer arbeitet, ist ein Verräter.

BALKE Und worum geht’s dir, du Maulheld?

SCHORN Du kannst gehen, Zemke.

Pause.

ZEMKE Ich mache, was ich will. Er steckt die Bierflasche ein und geht zur Tür.

SCHORN Das Bier wird bezahlt.

Zemke zurück, schmeißt Geld auf das Verkaufsbrett, ab. – Schweigen.

DIREKTOR Geht an die Arbeit.

Einige Arbeiter legen Geld auf den Verkaufstisch und gehn.

GESCHKEzu Schorn: Du hast die Politik gefressen, Sekretär. In Amerika gibts keinen Sozialismus, aber Arbeiter, die im eignen Auto fahren. Im Sozialismus gibts Schuhe auf Bezugsschein. Erklär mir das.

SCHORN Das Auto gehört dem Arbeiter. Aber wem gehören die Arbeiter? Unsre Schuhe gibts auf Bezugsschein. Aber die Autofabriken gehören uns.

EIN ALTER ARBEITER Reden kannst du. Aber wer sagt uns, daß es stimmt?

Herein Schurek, hängt ein Spruchband mit Text »Die Werktätigen fordern die Erhöhung der Norm« auf.

SCHORN Wir gehn drauf, wenn ihr’s nicht begreift. Alle.

KARRAS Geschke fragt nach Schuhen.

Er hebt Geschkes Fuß an, den löchrigen Schuh zeigend

Hier. Draußen 10 Grad Frost. Du willst ihm das Maul mit Autofabriken stopfen. Wir beschweren uns, daß ihr die Norm hochsetzt über unsern Kopf weg. Ihr hängt uns ein Schild vor die Nase: »Die Werktätigen fordern die Erhöhung der Norm«. Der Sozialismus bleibt links liegen.

SCHUREK Wir nehmen eure Interessen wahr, wenn wir die Norm hochsetzen.

KARRAS Ein Maurer jagt einen Ofen in die Luft. Ihr sagt: Saboteur. Weg mit Schaden. Habt ihr ihm erklärt, warum der Aktivist 400 Prozent kriegt und er ein Taschengeld? Warum wird Schurek fett, seit er unsre Interessen wahrnimmt?

SCHORN Wer hat Schurek gewählt?

EIN ARBEITER Nicht für immer.

Schurek verschwindet

SCHORNgrinst: Wählt eine Kommission, zur Untersuchung, warum Schurek fett wird, seit er eure Interessen wahrnimmt.

DIREKTOR Vergeßt nicht, das Bier zu bezahlen.

GESCHKE Und was ist mit der Norm?

SCHORNauf das Spruchband deutend: Wollt ihr den Unternehmer wiederhaben, reißt es ab.

Arbeiter legen Geld auf das Verkaufsbrett.

SCHORN Wo ist die Verkäuferin?

EIN ARBEITER Sie hat gehört, daß wir streiken.

EIN ANDERER Hat den Laden einfach zugemacht und ist verschwunden.

KARRAS Geschke fragt nach Schuhen.

KALBSHAXE Keine Disziplin. Es muß durchgegriffen werden.

GESCHKEzu Kalbshaxe: Wer bezahlt die Butter, die du geklaut hast, Justizrat?

KALBSHAXEleert seine Taschen aus: Ich war nur Inspektor.

Arbeiter ab. Es bleiben Bittner, Kolbe, Karras. Karras nimmt eine Flasche Bier, bezahlt, setzt sich und trinkt.

DIREKTORzu Balke, Bittner und Kolbe: Wie lange braucht ihr, bis der Schaden behoben ist?

BALKE Drei Tage.

DIREKTOR Und der Termin?

BALKE Wir schaffen’s, wenn wir schnell arbeiten.

Bittner nickt.

KOLBE Mit dem Saboteur will ich nichts zu tun haben, aber mit einem Denunzianten arbeite ich nicht.

Pause.

BALKE Dann dauert es fünf Tage, und wir können den Termin nicht einhalten.

KOLBE Die Arbeit im Ofen 4 ist freiwillig. Er bleibt an der Tür stehn.

DIREKTOR Karras, was ist mit dir? Du bist Ofenmaurer.

KARRASBalke ansehend, der sich wegwendet: Balke hat die Suppe eingebrockt, soll er sie auslöffeln.

SCHORN Balke ist nicht für sich selber in den Ofen gegangen.

Pause.

KARRAS Wann soll ich anfangen?

Kolbe ab.

BALKE Ihr habt euch das Maul zerrissen über den Lohndrükker, ihr wolltet nicht begreifen, worum es geht. Ihr habt mir Steine nachgeschmissen. Ich hab sie vermauert. Ihr habt mich zusammengeschlagen, du und Zemke, als ich aus dem Ofen kam. Und wenn ich mit den Zähnen mauern muß, mit dir nicht.

Schweigen.

KARRAS Vielleicht ist er doch für sich selber in den Ofen gegangen.

Ab.

Schweigen.

SCHORN Du wirst nicht mit den Zähnen mauern, Balke.

BALKE Mit Karras kann ich nicht arbeiten.

SCHORN Wer hat mich gefragt, ob ich mit dir arbeiten kann?

15

Fabriktor. Morgen. Karras kommt, hinter ihm Balke.

BALKE Ich brauch dich, Karras. Ich frag dich nicht aus Freundschaft. Du mußt mir helfen.

KARRASbleibt stehn: Ich dachte, du willst den Sozialismus allein machen. Wann fangen wir an?

BALKE Am besten gleich. Wir haben nicht viel Zeit.

Sie gehn durch das Fabriktor. Nach ihnen kommt Kolbe.

ZEHN TAGE DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN

Szenen aus der Oktoberrevolution

nach Aufzeichnungen John Reeds

von Heiner Müller und Hagen Stahl

PERSONEN

Student

Student Rotgardist

Der Soldat Der junge Offizier Barin Soldaten Ein Offizier Ein Soldat Ein anderer Soldat Der kleine Kommissar Ein anderer Offizier Ein großer Soldat Ein kleiner Soldat

Erster Soldat Zweiter Soldat Offizier Dritter Soldat Vierter Soldat Agitator Feldwebel Kommandant Fähnrich Offiziersanwärter Weiblicher Leutnant

Fähnrich Rotgardisten Offiziersanwärter

Rotgardist Pockennarbiger Rotgardist Prokopowitsch Apostolow General Kleiner Dicker Eine Dame Matrose Ein Herr

Kommissar Offizier Der Alte (Kerenski-Soldat) Der junge Rotgardist Petro und andere Rotgardisten

Zwei Rotgardisten Zweiter Leutnant Zweiter Hauptmann Dicker Leutnant Fähnrich Major Cherlow Murawiow Kommissar Schreiber

Kommissar Erster Arbeiter Erster Matrose Zweiter Arbeiter Zweiter Matrose Junger Deserteur Alter Deserteur Alter Bauer

Bürger Deserteur

Erster Rotgardist Zweiter Rotgardist Offizier

Erster Kosak Zweiter Kosak Schreiber Betrunkener Kosak Erster Offiziersanwärter Der gefangene Rotgardist

Vorleser

Eine Dame Eine junge Arbeiterfrau Eine ältere Frau Mehrere Frauen

Erster Zeitungsverkäufer General Borissow Ein Herr Ein kleiner Dicker Zweiter Zeitungsverkäufer Erster Arbeiter Zweiter Arbeiter

Buchhalter Bankdirektor Offizier Kommissar Graf Schulenburg

Larin Erster Delegierter Zweiter Delegierter Dritter Delegierter Vierter Delegierter Ein Mitglied des Präsidiums Lenin Ein Bolschewik Awanessow Ein linker Sozialrevolutionär Eine Delegierte und andere Delegierte

Lenin

Student

Prolog

Projektion: Karte Rußlands, Petrograd markiert.

Film: Bewaffnete Arbeiter marschieren.

Straße mit Kellerkneipe. Im Hintergrund Schießen. An den Häuserwänden Plakate der Provisorischen Regierung, auffordernd zum Widerstand gegen die Aktion der Bolschewiki Aus der Kellerkneipe steigt ein Student, fordert, eine Zeitung schwingend, die Truppen zum Halten auf.

STUDENT Halt! Wohin, Genossen? In den Sozialismus, was? Habt keine Hosen anzuziehn und wollt Rußland in die Tasche stecken? Sozialismus? Bürgerkrieg! Ein Brett habt ihr vor dem Kopf. Die Kommissare sagen Brot und verteilen Gewehre. Sie sagen Frieden und stürzen die Regierung. Nicht Brot, Bajonette kriegt ihr in den Wanst. Sozialismus geht nicht mit Gewalt. Ich bin Marxist, ich weiß Bescheid, ich habe Bernstein gelesen. Ich bin der Student Wassili Georgewitsch Panyin. Habt ihr nie von mir gehört, ihr Schwachköpfe? Halt!

1

EIN MARXIST

Der Student. Ein Rotgardist kommt