Werke. Herausgegeben von Frank Hörnigk - Heiner Müller - E-Book

Werke. Herausgegeben von Frank Hörnigk E-Book

Heiner Müller

0,0
32,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieser Band I der Werkausgabe enthält neben allen Gedichten, die der Autor zu Lebzeiten in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und an entlegeneren Orten veröffentlichte, auch sämtliche 120 im persönlichen Archiv Heiner Müllers hinterlegten unveröffentlichten Gedichte. Erstmals wird hiermit das gesamte lyrische Schaffen des Autors im Zusammenhang vorgestellt. Heiner Müller hat an der Vorbereitung dieses Bandes noch selbst teilgenommen, Material gesichtet und geordnet. Es entspricht seinem Wunsch, daß diese Ausgabe dem Prinzip »brutaler Chronologie« folgt.

Bitte beachten Sie: Der Band enthält zwei Gedichte, die nicht von Heiner Müller, sondern von Günter Kunert stammen. Es handelt sich um die Texte »Impressionen am Meer« und »Die Uhr läuft ab«. Der Fehler wird in der nächsten Auflage des Bandes korrigiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heiner Müller

Werke 1

Herausgegeben von Frank Hörnigk

Heiner Müller

Die Gedichte

Suhrkamp Verlag

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der Originalausgabe 1998

© 1998, Suhrkamp Verlag AG, Berlin

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

eISBN 978-3-518-76611-8

www.suhrkamp.de

Inhalt

1949...

Auf Wiesen grün

LACH NIT ES SEI DANN EIN STADT UNTERGANGEN

UND ZWISCHEN ABC UND EINMALEINS

WOHIN?

BERICHT VOM ANFANG

BILDER

PHILOKTET 1950

GESCHICHTEN VON HOMER

GESPRÄCH MIT HORAZ

HORAZ

ÜBER CHAMISSOS GEDICHT »DIE ALTE WASCHFRAU«

Ein Mann ging sterben, nachts, im Kriege, der

ANNA FLINT

MISSOURI 1951

HUNDERT SCHRITT

FRAGE UND ANTWORT

UMSCHAU VON FREMDEN HÜGELN

Auf dem Weg in das Land mit

Der Kaiser braucht Soldaten, Vater

Ich war ein Held, mein Ruhm gewaltig

HEROISCHE LANDSCHAFT VARIATION AUF EIN THEMA VON MAO TSE TUNG

EPIGRAMME ÜBER LYRIK

ROMANZE

BALLADE

ZWEI BRIEFE

MAJAKOWSKI

BRECHT

LEKTION

OPER

L. E. ODER DAS LOCH IM STRUMPF

DER VATER

ALTES GEDICHT

SELBSTBILDNIS ZWEI UHR NACHTS AM 20. AUGUST 1959

ULYSS

MOTIV BEI A. S.

GEDANKEN ÜBER DIE SCHÖNHEIT DER LANDSCHAFT BEI EINER FAHRT ZUR GROSSBAUSTELLE »SCHWARZE PUMPE«

DIE ROTEN

DAN DEE

ORPHEUS GEPFLÜGT

DAS GLÜCK DER PRODUKTIVITÄT: SOLDATENBRAUT

ER WAR DER ERSTE BESTE

NAPOLEON ZUM BEISPIEL

DER GLÜCKLOSE ENGEL

1949... aus dem Nachlaß

KULTURFAHRT NACH CHEMNITZ

KINDERLIED

DEUTSCHES WIEGENLIED

RÄTSEL [1]

RÄTSEL [2]

FRAGE

DAS MÄDCHEN AM BRUNNEN

AUFBAULIEDER FÜR KINDER

BREMER KINDERLIED 1952

OBDACHLOSEN-LIEDER

KINDERLIED VOM TOTEN MANN IM DICKEN NEBEL

TRAKTORISTENLIED

DER ROTE PAPAGEI

DIE BAUERN WERDEN ZUM GERICHT ABTRANSPORTIERT

DIE BAUMBESCHNEIDUNG

FERKELSCHLACHTUNG

HERR DSCHU VERTEIDIGT SEIN EIGENTUM

HERR DSCHU UND SEINE AFFEN

HERR DSCHIN UND DIE GÖTTER

LIED VOM HOANG-HO

DREI VOLKSLIEDER

Heute früh zur Jagd ritt Shu

BUNTSCHUK I

BUNTSCHUK II

MAUSER

DER UND JENER

BRUCHSTEDT

DIE BEFREITEN

DIE FAHNE

Einsam

VON DEN WÄLDERN

BERLINER ELEGIEN

REUTLINGER ELEGIEN

Zwischen zwei zerschossene Wänd

DAS PFERD HAT KEIN GEWEHR

Vor dem Schlachthof stehend hörte ich die Rinder

Daß den gewählten Schlächtern nichts mißläng

Ein Lump, wer die Geliebte sitzenläßt

ÜBER DAS TABU DER VIRGINITÄT

EINUNDDREISSIG

ERSTER VERBESSERUNGSVORSCHLAG

ZWEITER VERBESSERUNGSVORSCHLAG

FRÜHLINGSLIED IM WINTER

Im Schatten

der uns einander zeigte

Die Vögel singen, wie im Frühjahr üblich

Meine Liebe ist stark

Sonne schien, als wir uns küßten, aber

In der ersten Nacht ging ein Regen nieder

Ein Schamhügel schwarz in der Dämmerung

GESPRÄCH ÜBER EINIGE SCHÖNHEITEN

ÜBER EINIGE TROMMLER

GRABSCHRIFT FALSTAFF

LEAR

FISCHKADAVER MIT SILBERBAUCH

LESSINGS »EMILIA GALOTTI«

SOLDATENBROT

Lieber Sohn, tritt ein in die Bundeswehr

Der Mann im Bombenflugzeug

Mutter Germanien zwischen Rhein und Elbe

AUF EINE MUTTER

BALLADE VOM STREIKBRECHER

OSTERFAHRUNG

DER DICHTER

PORTRÄT GENERAL RIDGWAY

PORTRÄT F. B.

KRITIK

ZWEI STERNE

LEGENDE VOM TOTEN MILCHMANN

DIE GESCHICHTE VOM DREHER JAKOB SCHMITT

1949... Übersetzungen

GRUSS AN KOREA

LIED ÜBER STALIN

DAS LIED VON STALIN

DER MARSCH DES 1. KORPS/1943

STIEFELEISEN, SPRÜHT NUN FEUER

HEJ, IHR KRAKAUER BURSCHEN

SEEMANNSLIEDCHEN

IM ARBEITERVIERTEL VON LAHORE

REDE DER SOWJETISCHEN SCHRIFTSTELLER AUF DEN GENOSSEN STALIN

EIN WORT AN DEN GENOSSEN STALIN

LIED SOWJETISCHER SCHULKINDER

MARSCH DER FREUNDSCHAFT

UNSER WAPPEN

EIN SOWJETMENSCH; GRADE UND SCHLICHT

1959...

ÖDIPUSKOMMENTAR

BABELSBERGER ELEGIE 1960

FILM

AN DIE BERGSTEIGER

SCHALL CORIOLAN

WINTERSCHLACHT 1963

FRAGEN FÜR LEHRER

NEUJAHRSBRIEF 1963

DT 64

KINDHEIT

E.L.

DU BIST GEGANGEN DIE UHREN

GESTERN HABE ICH ANGEFANGEN

STELLASONETT

MEDEASPIEL

FAHRT NACH PLOVDIV

In Vietnam werden die Zeitungen

1959... aus dem Nachlaß

Schlaf, Wölfchen schlaf

Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen

Du Brunnen, der mich tränkt und durstig macht

FÜR W. BIERMANN

DIE AGITATION (1963)

EPITAPH GUEVARA

AUS ANLASS DER ERMORDUNG MARTIN LUTHER KINGS

ABSCHIED VON HEMINGWAY; SOFIA 1969

1969...

LENIN-LIED

ELEKTRATEXT

PROJEKTION 1975

GESTERN AN EINEM SONNIGEN NACHMITTAG

ALLEIN MIT DIESEN LEIBERN

BEIM WIEDERLESEN VON ALEXANDER FADEJEWS DIE NEUNZEHN

Der Reisende Shakespeare

1969... aus dem Nachlaß

GROSSES WURDE VOLLBRACHT

1979...

BRUCHSTÜCK FÜR LUIGI NONO

Ich bin der Engel der Verzweiflung

NACHTZUG BERLINFRIEDRICHSTRASSE FRANKFURTMAIN

Bei der Vorbeifahrt am Schloßpark Charlottenburg plötzlich die Trauer

MANCHMAL WENN ICH MEINE PRIVILEGIEN GENIESSE

ZAHNFÄULE IN PARIS

FRAGMENTARISCHER BRIEF AN EINE VERLORENE LIEBE

DAYS WITH OLGA AND THINGS LIKE THAT

BRIEF AN A. S.

KULTURPOLITIK NACH BORIS DJACENKO

WIEDERSEHN MIT DER BÖSEN COUSINE

1979... aus dem Nachlaß

ABSCHIEDE

Delphi: zwischen mir und den Göttern

TORSO

Du wirst immer

1989...

Leichter Regen auf leichtem Staub

FERNSEHEN

HERZ DER FINSTERNIS NACH JOSEPH CONRAD

SELBSTKRITIK 2 ZERBROCHENER SCHLÜSSEL

GLÜCKLOSER ENGEL 2

HERAKLES 13

TRAVEL-NOTES

Frau mit Hund

AHNENBRÜHE

NATURE MORTE

SEIFE IN BAYREUTH

KLAGE DES GESCHICHTSSCHREIBERS

GELD FÜR SPANIEN

HERZKRANZGEFÄSS

SENECAS TOD

STERBENDER MANN MIT SPIEGEL

MÜLLER IM HESSISCHEN HOF

BESUCH BEIM ÄLTEREN STAATSMANN

MOMMSENS BLOCK

ICH HAB ZUR NACHT GEGESSEN MIT GESPENSTERN

STADTVERKEHR

NACHDENKEN ÜBER MICHELANGELO

TRISTAN 1993

MARKE ZUM TOTEN TRISTAN

LERNPROZESS

DAS GLÜCK DER ANGST

BIRTH OF A SOLDIER

BLAUPAUSE

Marx ist tot er wollte die Welt ändern

RECHTSFINDUNG

SCHWARZFILM

Galilei betrachtet die Sterne Sie kümmern sich nicht

GESPRÄCH MIT YANG TSCHU »DEM PESSIMISTEN«

SEHSTÖRUNG

RUDOLF AUGSTEIN, 70

im spiegel mein zerschnittener koerper

auftauchen in der isolierstation

dialog

SHOWDOWN

IBSEN ODER DER TOD ALS EMBRYO FAHRT DURCH EINE FREMDE STADT

LEAR ein Assoziationsraum (kein Kommentar)

THEATERTOD

FREMDER BLICK: ABSCHIED VON BERLIN

LEERE ZEIT

FELDHERRNGEFÜHLE

RÖMERBRIEF

AJAX ZUM BEISPIEL

TRAUMWALD

ajax

AUF DER SUCHE NACH ODRADEK

Beim Vorübergehen am Bücherregal

DAY AFTER DAY

DRUCKFEHLER MISPRINT

Ein Jahr und länger habe ich meinen Freund nicht gesehn

Im ächten Manne

Vergiß das Theater und sieh auf das NO

Das leere Treppenhaus erzählt den Schrecken

Mit der Wiederkehr der Farbe droht die

... Und gehe weiter in die Landschaft

Wie ein Schatten hat Gott den

Über ein Blatt mit Gedichten

ZWISCHEN DEN SCHLACHTEN GEGEN MICH

VILLA AURORA

WELCOME TO SANTA MONICA

Die Wissenschaftler leben im Schrecken

MONTAIGNE MEETS TASSO 1

VAMPIR

POESIE UND PROSA

NOTIZ 409

ENDE DER HANDSCHRIFT

DRAMA

im schädel königreiche Universen

ICH KAUE DIE KRANKENKOST DER TOD

Vor meiner Schreibmaschine dein Gesicht

ein kind weint in der Cafeteria

Geh Ariel bring den Sturm

Anhang...

Editorische Notiz

Nachbemerkung

Bibliographische Notizen

1949 . . .

Auf Wiesen grün

Viel Blumen blühn

Die blauen den Kleinen

Die gelben den Schweinen

Der Liebsten die roten

Die weißen den Toten

LACH NIT ES SEI DANN EIN STADT UNTERGANGEN

(Grobianus)

ICH WILL EIN DEUTSCHER SEIN

(Eintragung im Schulheft eines elfjährigen jüdischen Jungen im Warschauer Ghetto)

DER TERROR VON DEM ICH SCHREIBE KOMMT NICHT AUS DEUTSCHLAND ES IST EIN TERROR DER SEELE

(Edgar Allan Poe)

DER TERROR VON DEM ICH SCHREIBE KOMMT AUS DEUTSCHLAND

UND ZWISCHEN ABC UND EINMALEINS

Wir pißten pfeifend an die Schulhauswand

Die Lehrer hinter vorgehaltner Hand

HABT IHR KEIN SCHAMGEFÜHL Wir hatten keins.

Als Abend wurd wir stiegen auf den Baum

Von dem sie früh den Toten schnitten. Leer

Stand nun sein Baum. Wir sagten: DAS WAR DER.

WO SIND DIE ANDERN? ZWISCHEN AST UND ERD IST RAUM.

WOHIN?

Dein Vater sollt marschieren.

Dein Vater ist marschiert.

Dein Vater — er ließ sich führen.

Sie haben ihn geführt.

Und heut sollst du marschieren.

Dein Vater — der ist marschiert.

Weißt du, wohin sie dich führen?!

Ihn haben sie sterben geführt.

BERICHT VOM ANFANG

1

Vom Pfennig lebend haben sie gekämpft

wie um ihr Leben um den Pfennig. So

hat sies gelehrt die Welt, in der für sie nur

Platz war ganz unten.

Als die Spitze abbrach

viel noch erschlagend ringsum, Trümmer streuend auf die

nicht Mitgefallnen, kam was unten war

nach oben stolpernd übern Trümmerberg langsam.

2

Zwar war der Pfennig nun gemeinsam, aber

was für ein karger Pfennig! Zwar das Brot

gehörte allen, aber sättigte keinen.

3

Das hieß: Kampf für den Pfennig anstatt um ihn.

Ein Heutewenig für ein Morgenviel.

4

Zwar war das Ziel erreicht. Doch zugeschüttet

vom Trümmerberg. Und Stein bleibt Stein, schwer zu bewegen.

5

Da waren die Geduldigen ungeduldig.

Da waren nach durchwachter Nacht früh müde

die Unermüdlichen . . .

Die lange kämpften sahn den Sieg nicht

vor Schweiß der brannte wie die Träne vorher.

Die Überlebenden aus großen Kriegen

um den Platz am Tisch, Frieden und Schuhwerk

den Sieg in Händen, aber noch nicht in der Tasche

fanden, was da zu tun war, schwierig.

6

Zwar sprach da eine Stimme von vorn her

zu ihnen: ihr Geduldigen, habt Geduld!

Ihr Unermüdlichen, seid unermüdlich!

Kämpft weiter, ihr Siegreichen . . .

Zwar sie gingen

den Weg, bezeichnet von der Stimme, denn

da war kein besserer, aber sie wußten

Nicht, daß da ihre eigne Stimme sprach . . .

7

Doch waren ihre Hände klüger als

ihr Kopf war, und sie taten was zu tun blieb.

Den Baustein schmähend bauten sie die Häuser

den Schritt verfluchend gingen sie den Weg

sehend die Wolke, nicht den Himmel drüber

und nicht die Straße, nur der Straße Staub.

8

Noch als das Haus schon stand, gebaut für sie

von ihnen, wußten sie nicht, was da

gebaut war. In die Türe tretend noch

blickten sie hinter sich, fragend: warum

verjagt uns keiner? Es gehört wohl keinem?

9

Die in der Kunst des Nehmens nicht

Geübten nahmen da das ihre in

Besitz nur zögernd. Die solang Bestohlnen

verdächtigten sich da des Diebstahls selber.

10

Immer vor ihnen aber war die Stimme

die sprach zu ihnen: Es genügt nicht! Bleibt

nicht stehn! Wer stehn bleibt fällt! Geht weiter! So

im Immerweitergehn folgend der Stimme

wurde das Schwierige einfach

wurde das Unerreichbare erreicht.

Und überm Immerweitergehn erkannten

sie: die da sprach war ihre eigene Stimme.

BILDER

Bilder bedeuten alles im Anfang. Sind haltbar. Geräumig.

Aber die Träume gerinnen, werden Gestalt und Enttäuschung.

Schon den Himmel hält kein Bild mehr. Die Wolke, vom Flugzeug

Aus: ein Dampf der die Sicht nimmt. Der Kranich nur noch ein Vogel.

Der Kommunismus sogar, das Endbild, das immer erfrischte

Weil mit Blut gewaschen wieder und wieder, der Alltag

Zahlt ihn aus mit kleiner Münze, unglänzend, von Schweiß blind

Trümmer die großen Gedichte, wie Leiber, lange geliebt und

Nicht mehr gebraucht jetzt, am Weg der vielbrauchenden endlichen Gattung

Zwischen den Zeilen Gejammer

auf Knochen der Steinträger glücklich

Denn das Schöne bedeutet das mögliche Ende der Schrecken.

PHILOKTET 1950

Philoktet, in Händen das Schießzeug des Herakles, krank mit

Aussatz ausgesetzt auf Lemnos, das ohne ihn leer war

Von den Fürsten mit wenig Mundvorrat, zeigte da keinen

Stolz, sondern schrie, bis das Schiff schwand, von seinem Schrei nicht gehalten.

Und gewöhnte sich ein, Beherrscher des Eilands, sein Knecht auch

An es gekettet mit Ketten umgebender Meerflut, von Grünzeug

Lebend und Getier, jagbarem, auskömmlich zehn Jahr lang.

Aber im zehnten vergeblichen Kriegsjahr entsannen die Fürsten

Des Verlassenen sich. Wie den Bogen er führte, den weithin

Tödlichen. Schiffe schickten sie, heimzuholen den Helden

Daß er mit Ruhm sie bedecke. Doch zeigte sich der da von seiner

Stolzesten Seite. Gewaltsam mußten sie schleppen an Bord ihn

Seinem Stolz zu genügen. So holte er nach das Versäumte.

GESCHICHTEN VON HOMER

1

Häufig redeten und ausgiebig mit dem Homer die

Schüler, deutend sein Werk, ihn fragend um richtige Deutung.

Denn es liebte der Alte immer sich neu zu entdecken

Und gepriesen geizte nicht mit Wein und Gebratnem.

Kam die Rede, beim Gastmahl, Fleisch und Wein, auf Thersites

Den Geschmähten, den Schwätzer, der aufstand in der Versammlung

Nutzte klug der Großen Streit um das größere Beutstück

Sprach: Sehet an den Völkerhirten, der seine Schafe

Schert und hinmacht wie immer ein Hirt, und zeigte die blutigen

Leeren Händ der Söldner als leer und blutig den Söldnern.

Da nun fragten die Schüler: Wie ist das mit diesem Thersites

Meister? Du gibst ihm die richtigen Worte, dann gibst du mit eignen

Worten ihm unrecht. Schwierig scheint das uns zu begreifen.

Warum tatst dus? Sagte Homer: Zu Gefallen den Fürsten.

Fragten die Schüler: Wozu das? Der Alte: Aus Hunger. Nach Lorbeer?

Auch. Doch schätz er den gleich hoch wie auf dem Scheitel im Fleischtopf.

2

Unter den Schülern, heißt es, sei aber einer gewesen

Klug, ein großer Frager. Jede Antwort befragt er

Noch, zu finden die nicht mehr fragliche. Dieser nun fragte

Sitzend am Fluß mit dem Alten, noch einmal die Frage der andern.

Prüfend ansah den Jungen der Alte und sagte, ihn ansehnd

Heiter: Ein Pfeil ist die Wahrheit, giftig dem eiligen Schützen!

Schon den Bogen spannen ist viel. Der Pfeil bleibt ein Pfeil ja

Birgt wer im Schilf ihn. Die Wahrheit, gekleidet in Lüge, bleibt Wahrheit.

Und der Bogen stirbt nicht mit dem Schützen. Sprachs und erhob sich.

GESPRÄCH MIT HORAZ

Silbenzähler beiläufig dein Vers unterm Schritt der Kohorten

Die Kohorten wo sind sie Mein Vers geht ins zweite Jahrtausend

HORAZ

1

Der Arrivierte mit dem Haß auf sein Startloch.

Unter Brutus ist er Demokrat

Tod dem Tyrannen und mir auch ein Landgut

Pazifist bei Philippi, er skandiert den Boden.

Dann lernt er seine Lektion (er auch), wechselt

Die Laufbahn. Schwamm drüber Augustus. Das Landgut

Schenkt Mäcen ihm für einen Platz in den Oden

Acht Spiegel im Schlafzimmer und kein Wort mehr von Brutus.

Er macht seinen Weg in die Chrestomathien

Aere perennius Liebling der Philologen.

2

Rom die Hure mit den sieben Brüsten.

Lob der Mäßigkeit, Mutter der Weltreiche

Aufgefressen von den wachsenden Kindern

Mit vollkommenen Versen, sonst wozu, braucht

Luxus. Satt singt Horaz. Den Lorbeer

Würzt das Fleisch. Kappadozisches Wildbret!

(Und die Baumblüte in den Albanerbergen!)

Dreiundzwanzig Dolchstöße, der zweite tödlich

In ein fallsüchtiges Fleisch, was sind sie

Gegen den Furz des Priap in der achten Satire.

ÜBER CHAMISSOS GEDICHT

»DIE ALTE WASCHFRAU«

Der Dichter staunt, wie die noch rüstig ist

Mit sechsundsiebzig. — Mensch, der Frau pressiert es!

Wenn die nicht Hemden wäscht, wer weiß, passiert es

Daß man sie zu bezahlen glatt vergißt.

Er sieht, sie schwitzt. Er lobt sie drum. Es treibt

Ihr Schweiß ja seine Mühle, und indessen

Sie Schwarzbrot kaut, kann er Pasteten fressen.

Sie lobend sorgt er, daß sie unten bleibt.

Er rät statt Wurst ein Sterbhemd früh zu kaufen

Den Waschfraun. Waschfraun werden, wie bekannt

Im Himmel prompt zu Cherubim ernannt.

Er sieht sie gern Gott nach ins Bethaus laufen.

Er ist der letzte, der den Trost ihr nimmt.

Wann wird sie zweifeln, daß die Botschaft stimmt?

Ein Mann ging sterben, nachts, im Kriege, der

zum Ende ging, im See bei seiner Stadt

aus Furcht vorm Frieden. Auf der Lagerstatt

sein Weib ward wach und sah, es fehlte: er.

Sie las: leb wohl. Es zitterte das Blatt.

Sie rannte, noch vor seinem Sterben her,

ans Wasser — diese Nacht wie sternenleer.

Er war noch sichtbar. Und das Wasser hatt’

ihn noch nicht ganz. Da ließ sie sich hinab.

Im Schwimmen rang sie, daß sie ihn behalte

mit dem, der so viel Nächte bei ihr schlief.

Da zog er sie zu teilen auch sein Grab.

Da stieß sie den schon Schwachen: er sank tief.

Sie stieg ans Land: es war nicht mehr das alte.