When Katie met Cassidy - Camille Perri - E-Book
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When Katie met Cassidy E-Book

Camille Perri

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Beschreibung

Und plötzlich ist es Liebe Von einem Tag auf den anderen ist es aus – Paul, der Lebensgefährte der 28-jährigen Katie Daniels, verlässt sie für ihre beste Freundin. Doch es hilft nichts, Katie hat sich in ihrem Job als junge Anwältin in einer angesagten New Yorker Anwaltsfirma zu beweisen, und so muss sie am Tag nach der Trennung mitten rein in wichtige Verhandlungen … mit der auf den ersten Blick unglaublich toughen Gegnerin namens Cassidy Price. Cassidy trägt maßgeschneiderte Anzüge, die niemals auch nur eine Falte haben. Sie ist als eiskalte Juristin bekannt und bei ihren Freundinnen außerdem berüchtigt für ihre Liste an belanglosen Affären. Bis Cassidy auf Katie trifft und sich zum ersten Mal richtig verliebt …  

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Über das Buch

Von einem Tag auf den anderen ist es aus: Nachdem ihr Verlobter Paul sie für ihre beste Freundin verlassen hat, hockt Katie nun mutterseelenallein in ihrer Wohnung. Und dann hat der Idiot auch noch den Dampfbügler mitgenommen, ohne den Katie ihre Kostümjacke nicht wieder auf Vordermann bringen kann. Eine Katastrophe, denn direkt am Tag nach der Trennung muss sie eine wichtige Vertragsverhandlung mit der unglaublich toughen Cassidy Price führen.

Cassidy trägt maßgeschneiderte Anzüge, die niemals auch nur eine Falte haben und in mehreren Schattierungen von Grau in ihrem begehbaren Kleiderschrank hängen. Sie ist als eiskalte Juristin bekannt und bei ihren Freundinnen außerdem berüchtigt für ihre lange Liste von bedeutungslosen Affären.

Bis Cassidy auf Katie trifft und sich zum ersten Mal richtig verliebt ...

1

Katie ließ ihren muffigen Pyjama wie einen Kuhfladen hinter sich auf dem Badezimmerboden liegen und stellte sich unter die Dusche. Einseifen, abspülen, abtrocknen, dachte sie, als sie sich zum ersten Mal seit Tagen die Haare wusch. Zähneputzen. Ab und zu Zahnseide. Ein Zahnweiß-Streifen, falls sie sich ganz blendend fühlte. So würden die Tage ihres Lebens vergehen, solange sie lebte, bis sie dann starb. Allein.

In ein Handtuch gewickelt wühlte sie sich durch das Labyrinth der Kartons, die sich auf dem Fußboden ihrer Zweizimmerwohnung stapelten, bis sie den mit ihren Outfits fürs Büro gefunden hatte. Sie zog das schwarze Dior-Kostüm heraus, das sie immer zu Vertragsabschlüssen trug. Es würde einigen Aufwand erfordern, das zu entknittern.

Wo war bloß ihr Dampfbügler? Mit jedem weiteren Karton, den sie durchsuchte, wurde Katie hysterischer, bis die Wahrheit nicht mehr zu leugnen war: Paul Michael hatte ihn nicht mit eingepackt. Oder, besser gesagt, wer auch immer dazu angestellt worden war, ihre Sachen zu packen, hatte die Anweisung dazu nicht bekommen.

Oder war er absichtlich nicht mit dabei? Ständig hatte er sich ihren Dampfbügler ausgeliehen, obwohl der zartrosa war und nur zwanzig Dollar gekostet hatte. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sich einen in Grau oder Schwarz zu kaufen.

»Ich besorge dir einen eigenen Dampfbügler«, hatte sie dann irgendwann gesagt, während sie mit ihrer Bluse in der Badezimmertür stand und darauf wartete, dass er die letzte Falte in seinen Khakis glättete.

»Nicht nötig«, hatte er geantwortet, »einer reicht doch.«

Ein Kostüm mit Shar-Pei-mäßiger Faltenbildung zu einem Meeting zu tragen, war inakzeptabel. Aber was blieb Katie anderes übrig? Im Badezimmer hing noch ein wenig Dampf in der Luft, also hängte sie Jacke, Bluse und Rock an die Duschstange und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Die Sachen über ihr baumelten wie ein Leichnam am Strick hin und her.

Zu dem Vertragsabschluss heute kam eine Gruppe von Anwälten, die Falcon Capital vertraten. Fucking Falcon Capital. Hedgefonds schmückten sich gerne mit einschüchternden Namen, wie Lion Management oder Tiger Fund. Sollte sie je einen Fonds gründen, schwor sich Katie, dann würde sie ihn Wombat GmbH oder Faultier KG nennen. Oder, als Huldigung an das Lieblingsspiel ihres Heimatstaates Kentucky, Cornhole Capital. Man sollte meinen, dass irgendjemand die Komik einer solchen Namensgebung zu schätzen wissen würde. Aber nach Katies bisheriger Erfahrung hatten Finanztypen – und die meisten waren Typen – keinerlei Humor. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihr Geld zu zählen. Und ihre Anwälte waren noch schlimmer, denn sie waren diejenigen, die im Sinne ihrer Klienten argumentieren mussten.

Mit anderen Worten: Katie konnte getrost davon ausgehen, nicht den Anflug eines Lächelns im Konferenzraum zu ernten, sollte sie erklären, warum ihr Kostüm so zerknittert war; dass ihr Leben übers Wochenende implodiert war und ihr Ex-Verlobter sich weigerte, das einzig wirklich Sinnvolle, das sie je im Teleshoppingkanal gekauft hatte, herauszugeben.

Als Katie endlich das Büro von Falcon Capital erreichte, schaute sie auf die Uhr, um sich zu vergewissern, wie sehr sie sich verspätet hatte. Da sie ihre Uhr vergessen hatte, schaute sie nur auf ihr nacktes Handgelenk. Drinnen, im riesigen Empfangsbereich, fand sie die größte Ansammlung von Anzugträgern vor, die sie je außerhalb der Grand-Central-Station oder einem Parteitag der Republikaner angetroffen hatte. Und alle warteten auf den nächsten Aufzug.

Katie hörte einen der Anzugträger etwas von »Betriebsstörung« sagen und begriff, dass ihr Tag gerade nicht einfacher geworden war. Sie schleppte sich direkt zum Empfangstresen. Der adrette junge Mann dort hatte an einem Ohr einen Telefonhörer, im anderen einen Bluetooth-Ohrstöpsel. Er hielt ihr den Zeigefinger entgegen, als wollte er sagen: einen Moment.

Ich suche das Treppenhaus, sagte Katie lautlos, aber er beachtete sie nicht. Sie ging sogar so weit, das Treppensteigen pantomimisch darzustellen, aber er schenkte ihr noch immer keine Aufmerksamkeit.

In dem Moment drängelte sich ein dynamischer Mann in einem eleganten Anzug nach vorne, klopfte auf den Tresen und verlangte: »Die Treppen. Wo?«

Der Empfangssekretär schaute sofort hoch und zeigte auf eine unauffällige Tür auf der anderen Seite der Halle.

Ohne auch nur ein Dankeschön drehte der Typ ab. Er bahnte sich hemmungslos einen Weg durch die Menge, was Katie dankbar ausnutzte, ihm folgte und betete, dass ihre acht Zentimeter hohen Dior-Absätze ihr nicht den Boden unter den Füßen wegzogen. Im Treppenhaus verlor sie ihn kurz aus den Augen, aber als er die Tür zum Stockwerk von Falcon Capital aufriss, wurde ihr klar, dass sie das gleiche Ziel hatten.

Nur wenige Schritte hinter ihm betrat sie den Konferenzraum. Alle saßen bereits, eine lange Reihe alter weißer Männer, junger weißer Männer, kahler und kahl werdender Köpfe. Händeschütteln von allen Seiten.

»Cassidy Price« stellte sich der elegante Anzug mit glänzendem dunklem Haar vor. Sein Handschlag war fest, seine Haut aber weich. Katie schaute ihm direkt in die tiefliegenden dunklen Augen, wie es sich bei einem professionellen Handschlag gehört, und erst dann begriff sie. Cassidy Price war eine Sie.

Katie war irritiert und peinlich berührt. Und auch dankbar, dass sie in kein Fettnäpfchen getreten war. Es wäre so typisch für sie gewesen, einen Witz darüber zu machen, das einzige weibliche Wesen im Raum zu sein. Und dann hätten alle weggeschaut und so getan, als hätten sie sie nicht gehört.

Zur Mitte des Konferenztisches hin saßen sich Ms Price und Katie genau gegenüber und die Verhandlung begann.

»Wie sieht es mit Paragraf 1 aus?«, sagte der Glatzkopf am Kopfende des Tisches, der Katies Chef war, und das Meeting lief ab, wie solche Meetings eben immer ablaufen.

»Okay, dann diskutieren wir das …«

»Was ist als Nächstes dran? Paragraf 2(a). Okay, was ist hier der Streitpunkt?«

… und so weiter.

Die Arroganz und Unverfrorenheit von Ms Price beeindruckten Katie, die Art wie sie den Satz: »Dem kann Falcon so nicht zustimmen« hervorbrachte, als wäre er ein Kommando.

Während Cassidy Price jeden einzelnen ihrer Standpunkte als unsinnig abtat, versuchte Katie sich ihr Leben vorzustellen. Sie schien in Katies Alter zu sein. Trug sie Make-up? Katie war sich nicht sicher. Wenn nicht, hatte sie beneidenswerte Haut. Und was benutzte sie für ihr Haar? Wachs? Spachtelmasse? Pomade? Es hatte so viel Fülle und Volumen – und ohne Zweifel einen sehr teuren Schnitt.

Sie war bestimmt lesbisch. Was Katie nach dem vergangenen Wochenende so viel einfacher erschien, als hetero zu sein. Allein wegen der bequemeren Kleidung. Ihr schwarzer Anzug saß wie angegossen, war aber eindeutig ein Herrenanzug. Dasselbe galt für das blaue Button-down-Hemd.

»Dem kann Falcon so auf keinen Fall zustimmen«, sagte Rechtsanwältin Price.

Kein Wunder, dass Katie sie vorhin für einen Mann gehalten hatte. Ganz offensichtlich wählte sie bewusst einen maskulinen Look und ihre Stimme war tief und schroff genug, so dass sie durchaus als Mann oder Frau durchgehen konnte.

»Was sind Ihre Einwände in diesem Punkt?«, fragte Katies Chef.

Die Geschäftsmänner von Falcon, ja, sogar deren ältere, erfahrenere Rechtsanwälte überließen Ms Price die Darlegung der Einwände, denn wer konnte sie aufhalten?

Während sie fortfuhr, fragte Katie sich, wie jemand, der aussah wie sie, es so weit nach oben geschafft hatte – in einem Berufszweig, wo der Dresscode so streng und konservativ war, dass man mit der falschen Strumpfhosenfarbe besser zu Hause blieb. Katie konnte sich noch daran erinnern, wie ihr Tutor an der juristischen Fakultät ihr vor dem ersten Bewerbungsgespräch erklärte: »Sie müssen auf jeden Fall ein Kostüm tragen. Keinesfalls Hosen. Wir mögen uns im 21. Jahrhundert befinden, aber die Welt der Großkanzleien steckt noch mitten in den Fünfzigern.« Wie also war es Cassidy Price gelungen, auf die weitaus einfachere Seite der Kleiderordnung zu wechseln, nämlich die der Männer? Elegant war sie, keine Frage, und ihre Anzüge waren bestimmt maßgeschneidert – aber trotzdem. Wäre es tatsächlich 1955, wäre Ms Price für dieses Outfit sofort ins Gefängnis gewandert.

»Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu?«, fragte Katies Boss. Er sprach sie direkt an.

»Ja«, sagte Katie, »das tue ich, durchaus.«

Ms Price hingegen bekundete ihre bereits mehrfach geäußerte Ansicht: »Falcon kann dem so nicht zustimmen.«

Doch dieses Mal, ohne zu wissen, warum, argumentierte Katie ausführlich, weshalb sie bei diesem Punkt nicht nachgeben würden.

Ms Price wankte nicht. Sie blieb völlig unbeeindruckt, aber zum ersten Mal an diesem Morgen sagte sie: «Ich denke, dem kann Falcon eventuell zustimmen.«

Dann wandte sie sich an ihren Chef und der sagte: »Wunderbar. Und weiter zum nächsten Punkt.«

Ha, dachte Katie. Ja. Und huschte da etwa ein leichtes Grinsen über das Gesicht von Rechtsanwältin Price? Sie hatte ein angenehmes Lächeln. Schöne saubere Zähne. Die Wangenknochen eines Models. Würde sie ihr Haar länger wachsen lassen und femininere Kleidung tragen wie Katie, wäre sie eine attraktive Frau. Einen Anzug, der für eine Frau gedacht war, mit Brustabnähern und ohne Taschen und einem absurd tiefen Ausschnitt, so wie von Gott vorgesehen.

*

Das Meeting mit Falcon Capital endete ein, zwei Stunden, nachdem normale Menschen bereits zu Abend gegessen hatten. Sie würden am nächsten Tag wieder zusammenkommen, aber für heute hatte Katie frei. Doch wenn man gerade von seinem Verlobten verlassen wurde, war Freiheit auch nur ein anderes Wort dafür, eine Spur in den Teppich zu laufen.

Katie starrte auf ihr Handy, allein inmitten einer Sturzwelle von Geschäftsleuten, die aus dem Falcon-Gebäude in alle Richtungen stoben, um ihrem nächtlichen Nichtarbeitsleben nachzugehen. Ihr erster Impuls war es gewesen, Paul Michael eine Nachricht zu schreiben, aber dann fiel ihr ein, dass es Paul Michael nicht mehr gab, jedenfalls nicht in ihrem Leben. Also was jetzt? Sollte sie einfach nach Hause gehen? Sich etwas kochen? Es war ein langer, schwieriger Tag gewesen – ein Tag, den sie sonst als Vorwand genommen hätte, um sich mit Paul Michael im Le Coucou oder Shuko zu verabreden und sich mit einer Flasche ihres französischen Lieblingsweins oder einem meisterhaft zubereiteten Omakase-Menü zu belohnen. Oder sie hätte Amy angerufen und sie zu einem Mädelsabend bei Otto eingeladen, wo sie sich Pizza und Pasta geteilt hätten, gefolgt von einem Bananeneisbecher. Alleine in eins dieser Restaurants zu gehen, sollte sich nicht traurig anfühlen, aber das tat es. Vielleicht weil es der erste Abend war. Oder vielleicht, weil Paul Michael und Amy wahrscheinlich gerade jetzt in einem dieser Restaurants waren, zusammen, und auf ihre neue Liebe mit Katies Lieblingswein anstießen oder – ganz romantisch – vom Omakase des anderen naschten.

Katie ging ihre Lieferservice-Optionen durch.

Eine Stunde später saß sie in ihrem Pyjama auf der Couch, leckte sich Barbecuesoße von den Fingern, schlürfte billigen Bourbon aus der Flasche und zappte sich auf der Suche nach schlechtem Fernsehen von Kanal zu Kanal.

Hätte ihr jemand vor einer Woche erzählt, dass sie heute hier, in dieser staubigen, abgestandenen Wohnung, die sie zwei Jahre lang nicht bewohnt hatte, zwischen unausgepackten Kisten sitzen und Frust-Fast-Food futtern würde – sie hätte es nicht für möglich gehalten. Sie hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass der Mann, den sie heiraten wollte, sie auf solche Weise betrügen oder ihr das derart beiläufig mitteilen würde – nämlich kurz bevor sie übers Labor-Day-Wochenende zusammen mit Lincoln und Lillian in die Hamptons fahren wollten. Ihr Urteil darüber, was oder was nicht möglich, glaubhaft oder zu erwarten war, schien nicht besonders treffsicher zu sein.

Nach drei Tagen Komasaufen (und einem kurzen Abstecher in die Arbeitswelt heute Morgen) hatte sie also diesen Zustand erreicht – ein lebendiges Vorher-Foto für Antidepressiva.

Würde es je aufhören?

Katie legte den Hähnchenflügel weg. Dieses Frustessen half überhaupt nicht gegen ihren Frust. Wenn Sheryl Sandberg sie jetzt sehen könnte. Oder diese Frau, die einen TED Talk über Power Posing gehalten hatte. Sie würden ihr bestimmt sagen, sie solle ihren Hintern von der Couch heben. Wisch dir das Gesicht ab, würden sie sagen. Zieh das heißeste Kleid in deinem Kleiderschrank an und die höchsten Stöckelschuhe, die du besitzt, und lern neue Leute kennen. Katie hatte es im Leben nicht so weit gebracht, um nun unter einem Berg von dreckigen Papierservietten zu versinken, die mit Barbecuesoße beschmierte Fernbedienung fest umklammert. Sie war stark! Sie war eine moderne Frau, die wusste, welche Wirkung es hatte, jeden Morgen als Wonder Woman zu posieren, bevor sie das Haus verließ. Jetzt musste sie das nur noch umsetzen und für heute Abend hieß das, dass Katie allein ausgehen musste.

Es gab da diese neue Weinbar, die sie schon seit Längerem ausprobieren wollte. Es war bestimmt schon über ein Jahr her, dass sie eröffnet hatte. Aber sie war noch immer nicht da gewesen, weil Paul Michael sie immer zu hip fand. Oder nicht hip genug. Eins von beiden. Sie wusste es nicht mehr genau.

Katie schrubbte sich die Barbecuesoße vom Gesicht, schüttelte ihr Haar, zog sich ihr schwarzes Kleid mit dem tiefen Ausschnitt und ihre nuttigsten Schuhe an und machte sich auf den Weg.

2

Obwohl Cassidy erst um zwei Uhr früh zu Hause gewesen war, stellte sie den Wecker auf sechs Uhr, damit sie noch eine Stunde im Fitnessstudio hatte, bevor sie um neun Uhr bei Falcon Capital sein musste. Die späten Nächte und frühen Morgen wurden zunehmend anstrengender, seit sie dreißig geworden war, aber sie würde sich nicht aufhalten lassen. Stattdessen arbeitete sie härter, feierte mehr und ging noch öfter ins Fitnessstudio als je zuvor, teilte Kraft und Aufmerksamkeit gleichermaßen zwischen ihrem Job, ihrem Sexleben und ihrem Sport und ließ keines außer Acht.

Als sie am Dienstagmorgen an der West Fifty-Seventh-Street aus dem Taxi stieg, war sie ebenso zufrieden mit ihrem morgendlichen Fitnessprogramm wie mit ihrem ausschweifenden Wochenende. Jetzt war sie bereit für die Arbeit.

Heute stand die erste Verhandlungsrunde an, in der ihre Kanzlei die Fondmanager von Falcon Capital vertrat – ein Haufen gehirnamputierter Penisse, wie Cassidy fand, aber sie würde trotzdem ihr Bestes geben. Da die Aufzüge ausgefallen waren, traf sie, ganz untypisch, verspätet am Verhandlungstisch ein. Erleichtert hörte sie, dass noch jemand nach ihr kam, ohne Zweifel eine Frau, dem Klappern ihrer hohen Absätze nach zu urteilen, und Cassidy freute sich siegessicher, weil Frauen viel leichter einzuschüchtern waren als Männer – doch dann drehte sie sich um und schaute sie an.

Die Frau war so blond-und-blauäugig-schön, dass Cassidy sich ausgestellt fühlte, als wäre über ihnen ein Scheinwerfer angegangen. Sie schüttelten sich die Hände und für eine winzige Sekunde meinte Cassidy in ihrem Gesichtsausdruck etwas zu lesen, einen Moment der Überraschtheit. Hatte ihr eigener Gesichtsausdruck sie verraten?

Die männlichen Anwälte im Raum – unter ihnen Cassidys Seniorpartner, ein Mann mittleren Alters mit schütterem Haar, der ganz offensichtlich schon länger kein Fitnessstudio von innen gesehen hatte, und ihr Erzfeind in der Kanzlei, Hamlin Ludsthorp – waren angesichts dieser Katie Daniels anscheinend nicht so befangen. Sich am Anblick einer schönen Frau zu erfreuen war ihr angestammtes Recht. So wie es ganz natürlich war, dass Ms Daniels dies anerkannte und abtat, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Nur Cassidy steckte irgendwo dazwischen, an einem undefinierbaren Ort, einem beschämenden.

Alle nahmen am Konferenztisch Platz. Hamlin setzte sich natürlich auf den Stuhl, den Cassidy gerade anvisiert hatte. Hamlin mit seinen verdammten Hosenträgern und doppeltem Windsorknoten, als wäre er ein Großvater mit Meerschaumpfeife und nicht ein 32-jähriges Arschloch aus New Jersey.

Cassidy blieb nichts anderes übrig, als sich Ms Daniels genau gegenüber zu setzen, während sie Absatz für Absatz verhandelten.

Es war nicht nur ihr Aussehen, beschloss Cassidy. Es gab viele schöne Frauen. Und viele hatten schon einen Konferenzraum erfreut. Ja, die goldenen Strähnen, die sich aus ihrem hochgesteckten Haar lösten, umrahmten ihr Gesicht perfekt und ihre Beine reichten so weit Cassidys Auge reichte – aber genau genommen war ihr Kostüm völlig zerknittert und ihre Frisur, auch wenn sie sexy aussah und ihr bezaubernd ins Gesicht fiel, war zweifellos nicht so geplant gewesen. Insgesamt war sie aus dem Gleichgewicht, Cassidy konnte nicht genau sagen, was es war, eine zerstreute Energie, die sie nur mühsam zusammenhielt.

Und dieser Akzent. Kaum merklich, aber er schenkte ihren Vokalen eine Wärme, die nicht recht zu der eleganten Kultiviertheit passte, die sie zu vermitteln versuchte.

Cassidy stellte fest, dass sie keinen Ehering trug. Das bedeutete, sie war single oder so gut wie single, und jung war sie auch, wahrscheinlich hatte sie erst vor ein, zwei Jahren das Studium abgeschlossen.

»Ms Price?«

Scheiße.

»Ja. Ja, dem kann Falcon eventuell zustimmen.« Cassidy warf einen Blick auf ihre Notizen. Hoffentlich befanden sie sich nicht gerade auf der Seite, wo sie sich, groß eingekringelt, notiert hatte: Dem auf keinen Fall zustimmen!

Als sie wieder hochschaute, lächelte Katie Daniels, triumphierend, weil sie sich in diesem Punkt durchgesetzt hatte, und wieder wurde der Raum heller.

*

Als sie abends auseinandergingen, wartete Cassidy darauf, dass Katie Daniels den Konferenzraum vor ihr verließ. Dann, Aktentasche in der Hand, stürzte Cassidy die Treppen runter, um in der Empfangshalle zu sein, wenn Katie aus dem Aufzug stieg. In sicherer Entfernung folgte sie ihr, die Sonnenbrille griffbereit.

Vor dem Gebäude blieb Katie stehen, also blieb Cassidy auch stehen. Katie holte ihr Handy raus und Cassidy duckte sich hinter einer praktisch platzierten Skulptur. Warum sie ihrer gegnerischen Anwältin quasi nachstellte, konnte Cassidy nicht wirklich erklären. Nur dass sie von ihr fasziniert war. Sie wollte Katie beobachten, während diese sich unbeobachtet fühlte – nicht wie ein gruseliger Stalker oder so, obwohl … wenn sie es recht bedachte, fühlte es sich allmählich genau so an.

Katie wirkte verloren, so als hätte ihr jemand abgesagt. Ihre Schultern in der eleganten Kostümjacke hingen nach unten, und als sie nicht mehr auf ihr Handy guckte, als wäre es ein unbekanntes Objekt, das plötzlich in ihrer Hand aufgetaucht war, starrte sie einfach ins Leere.

Cassidy überlegte, wie zufällig an ihr vorbeizuschlendern, und zu sagen, dass ihre Verabredung für den Abend sie gerade versetzt hatte und ob Katie vielleicht spontan mit ihr was essen gehen wollte? Doch bevor sie etwas so Erbärmliches und Unprofessionelles in die Tat umsetzen konnte, war Katie verschwunden, hatte eine Entscheidung getroffen, einen neuen Plan gefasst.

Cassidy nahm die Niederlage hin, rief mit einer Hand ein Taxi herbei und schrieb mit der anderen eine Nachricht an Gina: Feierabend. Auf dem Weg nach Hause, um mich umzuziehen. Essen vor dem Met?

Bezahlst du? Schrieb Gina sofort zurück.

Immer.

Zwingst du mich wieder, Sushi zu essen?

Cassidy lächelte. Wann hast du das letzte Mal etwas Grünes gegessen?

Weiß nicht, vorgestern, glaube ich. Die Gummibärchen, die ich zu Mittag gegessen habe, nicht mitgezählt.

Wir gehen Sushi essen.

Eine Stunde später saß Cassidy Gina gegenüber und sah zu, wie sie sich einen Teller Hähnchen-Teriyaki reinzog und den Seealgensalat und den Ohitashi-Brokkoli links liegen ließ.

Gina kam dem, was Cassidy als beste Freundin bezeichnen würde, am nächsten. Obwohl Gina erst 25 und völlig anders aufgewachsen war als Cassidy, hatte sie sich unwillkürlich mit ihr verbunden gefühlt, als sie sich zum ersten Mal im Metropolis begegnet waren. Damals war Gina gerade neu in der Stadt, neu in der Bar, und Cassidy bemerkte, dass sie die halb ausgetrunkenen, unbeaufsichtigten Drinks anderer Leute leerte. Sie war ein rauflustiges kleines Ding, ein Strickbeanie auf dem Köpfchen, die ausgebeulten Jeans hingen ihr vom Arsch und ihre Turnschuhe waren total hinüber. Cassidy hielt sie für obdachlos. Versuchsweise bestellte Cassidy einen Gin Tonic, trank einen Schluck und ließ ihn dann auf der Bar stehen. Aus ein paar Metern Entfernung beobachtete sie, wie das Mädchen den Drink ins Auge fasste und beiläufig hinüberschlenderte. Als Gina den Gin Tonic in die Hand nahm, stellte Cassidy sich neben sie.

»Hey.« Mehr sagte Cassidy nicht, aber Gina zuckte zusammen.

»Oh, sorry, ist das deiner?« Sie sprach mit starkem Südstaatenakzent. »Den habe ich wohl aus Versehen mit meinem verwechselt.«

»Nein, das ist deiner«, sagte Cassidy.

Gina zögerte, jederzeit fluchtbereit.

Cassidy streckte die Hand aus: »Ich bin Cassidy.«

»Ich weiß, wer du bist«, sagte Gina. »Hab alles über dich auf der Klowand gelesen. Du legst sie echt alle flach, oder?« Gina schaute ihr direkt in die Augen. »Willst du mich mit diesem Drink in die Falle locken? Wenn du ficken willst, musst du einfach fragen, aber ich sag dir gleich, du bist nicht mein Typ.«

In dem Moment hatte Gina Cassidy für sich gewonnen und seitdem waren die beiden unzertrennlich. Es stellte sich heraus, dass Gina gar nicht obdachlos war, aber als Teenager von zu Hause ausgerissen war und Mississippi und ihre beschissenen Eltern hinter sich gelassen hatte. Cassidy tat, was sie konnte, um ihr unter die Arme zu greifen. Sie passte auf sie auf, sorgte dafür, dass sie etwas aß, ihre Miete bezahlte und zum Arzt ging, wenn sie krank war. Im Gegenzug war Gina ihr treu ergeben. Soweit Cassidy überhaupt jemandem vertrauen konnte, vertraute sie ihr.

»Willst du wirklich heute Abend ins Met gehen nach all dem Drama am Wochenende?«, fragte Gina jetzt, ohne von ihrem Teriyaki hochzuschauen. »Was ist, wenn du-weißt-schon-wer auftaucht?«

Cassidy zuckte mit den Schultern. »Ist mir egal.«

»Ihr beiden müsst mal das Kriegsbeil begraben und wieder Freundinnen werden.«

»Es gibt nichts zu begraben«, sagte Cassidy und trank ihren grünen Tee.

»Ich muss aufpassen, dass ich es mir nie mit dir verderbe«, sagte Gina. »Die Art, wie du Leute einfach fallen lässt, ist verdammt furchterregend.«

»Tu mir kein unrecht, dann musst du dir keine Sorgen machen.«

»Du musst mal in Therapie, C. Kein Witz.«

»Iss deinen Brokkoli«, sagte Cassidy.

Sie fand es schön, sich um Gina zu kümmern. So fühlte sie sich nützlich und Ginas verkorkste Familiengeschichte hatte bei ihr einen wunden Punkt getroffen. Nur zu gut kannte sie die Scham und die Selbstvorwürfe, die mit einem lauwarmen Elternhaus einhergingen; den meisten ihrer Freundinnen ging es genauso.

Das war etwas, das Cassidy sehr schnell klar geworden war, als sie die anderen im Met kennengelernt hatte – so viele waren vor Menschen oder Orten geflohen, die sie nicht angenommen hatten. Doch durch irgendeinen Zaubertrick hatten sie alle ihren Weg hierher gefunden, in die Stadt, in diese Bar, wo sie sich gegenseitig entdeckt hatten und sich – plötzlich – mit sich selbst wohler fühlten. Hinter all dem Beziehungsdrama war es eigentlich das, um was es beim Metropolis ging. Deine Leute zu finden und sie zu deiner Familie zu machen.

Nach dem Essen war es noch immer etwas zu früh, um ins Met zu gehen, also glühten Cassidy und Gina im Up & Up vor, einer Cocktailbar an der MacDougal, die nach Cassidys Meinung den besten Gin Tonic der Stadt servierte. Als sie zwei Drinks später in die frische Septemberluft hinaustraten, war Cassidy entspannt und voller Energie und hatte den stressigen Tag hinter sich gelassen. Die letzte Person, die sie erwartet hatte, war Katie Daniels. Fast stolperte Cassidy über ihre eigenen Chelsea-Boots.

»Äh. Warte mal.« Cassidy hielt Gina an der Kapuze ihres Hoodies fest.

Sie war es eindeutig, Katie Daniels, verwirrt und aus dem Gleichgewicht, genau wie vorhin vor dem Falcon-Gebäude.

»Was ist los?«, fragte Gina. »Wem müssen wir aus dem Weg gehen?«

»Ich kenne sie.« Cassidy nickte Richtung Katie, die ein aufreizendes schwarzes Kleid trug und ihr Haar aus dem spießigen Knoten befreit hatte.

»Die Tussi, die aussieht, als hätte sie sich auf dem Weg zu America’s Next Top Model verlaufen?« Gina schnaubte. »Oh-oh.«

»Sei still.« Cassidy machte einen Schritt nach vorne.

3

Katie nahm sich vor, an der Bar zu sitzen, bis jemand sie anmachte. Selbst wenn es nur der Barkeeper war, wäre es die Selbstbestätigung, die sie brauchte, um durch den Abend zu kommen.

Während sie die MacDougal entlangging, spielte der erste Hauch von Septemberkälte um ihre Schultern. Wo war jetzt nochmal die Weinbar? War sie daran vorbeigegangen? Sie hätte schwören können, dass sie genau hier war. Gerade als sie ihr Handy rausgeholt hatte, um zu googeln, hörte sie:

»Das sind hoffentlich keine geschäftlichen E-Mails.«

Diese Stimme. Dieser erstaunliche weibliche Bariton.

Katie drehte sich um in Erwartung des Anzugs, der glänzenden Oxfordschuhe, der Worte Dem kann Falcon nicht zustimmen.

Aber sie war es nicht.

Oder, Moment mal.

Sie war es, aber sie sah irgendwie anders aus – viel entspannter und rauer, in einem legeren Hemd, dunklen Jeans und Lederstiefeln, die Männerstiefel zu sein schienen.

Neben ihr stand eine Freundin, ein entzückendes kleines Geschöpf mit Tattoos und einem winzigen Fake-Iro, der wie eine kleine Haiflosse längs über ihren (oder seinen?) Kopf lief.

»Cassidy Price«, sagte Katie.

»Du erinnerst dich an mich.« Cassidy lächelte.

Natürlich erinnere ich mich, hätte Katie gerne gesagt. Aber sie hielt den Mund.

»Gut siehst du aus«, sagte Cassidy und Katie fand das alles unglaublich unangemessen. »Hast du ein besonderes Ziel?«

»Dachte ich eigentlich, aber es ist nicht mehr da.«

»Meinst du die Weinbar, die hier mal war?«, sagte der kleine Hai mit einem Akzent, der eindeutig aus Mississippi stammt. »Das ist jetzt so ein Luxusseifenladen. Da gibt’s Seife, die genauso wie Kuchen aussieht. Ich habe mal ein Stück heimlich abgeleckt, nur um sicherzugehen.«

»Aha«, sagte Katie.

»Ich heiße Gina.« Der kleine Hai streckte die Hand aus.

Katie wollte höflich sein und schüttelte ihr die Hand, obwohl Cassidy, wie schon den ganzen Tag lang, dieses aggressive Blickkontaktding abzog.

»Bist du verabredet?«, fragte Cassidy.

Die richtige Antwort war Ja, das wusste Katie. Aber warum sollte sie lügen? Es war nichts dagegen zu sagen, an einem Dienstagabend Zeit mit sich allein zu verbringen.

»Ich dachte, ein schönes Glas Cabernet würde mir guttun«, sagte Katie mit ihrer mondänsten Stimme. »Nach einem schwierigen Tag bei der Arbeit.«

Cassidy lachte verhalten. »Nun, hier ist es mit Cabernet nicht weit her.« Sie zeigte auf die schillernde Ladenfront. »Nur Seife, die man mit Kuchen verwechseln kann.«

Katie lächelte gezwungen. Konnte diese Situation noch peinlicher werden?

»Möchtest du mit uns mitkommen?«

Jep, es konnte noch peinlicher werden.

»O nein, danke, aber ich kann nicht«, sagte Katie.

Cassidy schaute ihr weiter in die Augen. »Warum nicht?«

»Weil. Ich kann nicht.« Sie legte jetzt genauso viel Kraft in ihre Worte wie Cassidy.

»Angst?«, fragte Gina.

Natürlich hatte Katie Angst. Das waren nicht ihre Art Leute. Wollte sie sie mit in eine Lesbenbar nehmen? Bestimmt, oder? Bisher war Katie nur ein Mal in die Nähe einer solchen Lokalität geraten, als sie aus Versehen in diesem Restaurant zu Mittag gegessen hatte, in dem alle Angestellten Transvestiten waren.

»Komm auf einen Drink mit«, sagte Cassidy. »Ich lade dich ein. Das ist das Mindeste, nachdem ich dir den ganzen Tag die Hölle heiß gemacht habe.«

»Das ist sehr freundlich, aber wirklich nicht notwendig«, sagte Katie in dem Versuch, es professionell zu halten.

»Na komm«, beharrte Cassidy. »Du hast dich so schön gemacht und siehst aus, als könntest du ein bisschen Spaß gebrauchen.«

Spaß. Das letzte Mal, dass Katie wirklich Spaß gehabt hatte, war schon sehr lange her. Neulich hatte Paul Michael sie in eine Galerie mitgenommen, die Spaßkultur hieß, aber das war nicht wirklich dasselbe.

Aber trotzdem.

»Vielleicht ein andermal«, sagte Katie. »Heute Abend brauche ich Zeit für mich.«

Cassidy schaute auf ihre Stiefel runter. »Okay dann«, sagte sie. »War schön dich zu sehen. Dann bis morgen, schätze ich.«

»Tschüssikowski«, sagte Gina.

Sie gingen davon und Katie überlegte, was sie jetzt tun wollte. Sie schaute auf ihr Handy und geriet in Panik. Eigentlich wollte sie heute Abend gar nicht allein sein. Sie musste dringend mal wieder Spaß haben. Einfach Spaß, ohne Ironie und ohne von irgendeinem Barkeeper oder irgendeinem anderen Typen angemacht zu werden. Dazu war es noch zu früh. Spaß ohne Sex. Vielleicht sogar Spaß ohne Männer. Und was wäre das Schlimmste, was passieren könnte?

»Hey!«, rief Katie ihnen hinterher. »Hey, wartet mal.«

Sie drehten sich gleichzeitig um.

»Einen Drink«, sagte sie. »Warum nicht?«

Cassidy stupste Gina in die Seite, als wollte sie sagen, Hab ich doch gewusst.

Als Katie die beiden eingeholt hatte, fragte sie: »Wo gehen wir hin?«

»Ins Met«, sage Cassidy.

»Ins Metropolitan Museum of Art?«

Gina kicherte. »Ins Metropolis«, sagte sie. »Das ist eine Bar.«

»Na, das klingt ja eher geschlechtsneutral«, sagte Katie, einigermaßen erleichtert.

»Was hast du erwartet?«, fragte Gina. »Den Klitoris-Klub? Die LesBAR?«

Da musste Cassidy lachen – das erste Mal, dass Katie sie richtig herzhaft lachen hörte. Gina verarschte sie wohl gerade.

»Die Dienstagabend-Party im Metropolis«, sagte Cassidy. »Nennt sich ›Die Macht der Mösen‹.«

»Oh«, sagte Katie und war sich nicht sicher, ob sie jetzt wieder verarscht wurde.

Sobald Katie ins Metropolis eintrat – ins Met – fiel ihr auf, dass ihre Dior-Absätze am Fußboden kleben blieben. Ein klebriger Fußboden war ihr seit Jahren nicht unter die Füße gekommen und sie hatte es auch nicht vermisst. Das Zweite, was ihr auffiel, war, dass sie auffiel. Katie war direkt hinter Cassidy hereingekommen und sie konnte buchstäblich die quietschenden Bremsen hören, als sich alle nach ihr umdrehten.

Oder bildete sie sich das nur ein?

Ihr erster Eindruck war anders, als sie erwartet hatte. Sie hatte gedacht, dass es ein bisschen beängstigend und einschüchternd sein, sie in wütende, harte Gesichter mit zusammengekniffenen Mündern schauen würde. Muskelshirts und militärisch kurz geschorene Köpfe, sowas in der Art. Aber so war es gar nicht. Viele der Frauen sahen wie Frauen aus – sie entdeckte einige Kleider in der Menge – und die, die nicht wie Frauen aussahen, sahen wie Jungs aus. Nicht wie Männer. Sich von einem eins fünfzig großen Collegejungen in Flanell einschüchtern zu lassen, musste man erstmal hinkriegen.

Der Raum war schwach beleuchtet und rot gestrichen. Es roch ein wenig nach Käse, aber es war kein Käse zu sehen. Links vom Eingang war die Bar, die von kunstledergepolsterten Barhockern gesäumt war. Frauen aller Farben und Größen drängelten darum herum und winkten mit Geldscheinen nach der Barkeeperin, die einen pinken Streifen im Haar hatte. Manche der Frauen hatten fransige asymmetrische Haarschnitte und gepiercte Nasen, andere trugen Hotpants mit langen Kniestrümpfen. Viele hatten vergessen, einen BH anzuziehen, bevor sie das Haus verlassen hatten. Die Frauen, die wie Jungs aussahen, trugen schmale Schlipse oder ausgeblichene T-Shirts mit Jeans, die tief auf der Hüfte saßen. Ein paar von ihnen erinnerten Katie an Justin Bieber, bevor er sich Muskeln zugelegt hatte.

»Ich glaube, ich bin ein bisschen zu schick für hier«, sagte Katie zu Cassidy und versuchte dabei, die Musik – Joan Jett, circa 1981, schätzte sie – zu übertönen.

»Du bist genau richtig angezogen«, sagt Cassidy. »Glaub mir.«

»Total«, sagte Gina. »Femmes sind hier Mangelware, falls dir das schon aufgefallen ist.«

»Ich weiß nicht so wirklich, was du damit meinst«, sagte Katie, »aber ich gehe mal davon aus, dass es nicht um Film noir geht.«

»Feminine Frauen«, sagte Gina. »Lippenstift-Lesben.«

»Ich bin keine Femme«, sagte Katie.

»Aber eine Butch bist du todsicher auch nicht.«

»Nein«, sagte Katie. »Natürlich nicht.« Sie wollte noch weiter ausholen, erklären, warum sie weder das eine noch das andere war, sondern eine ganz normale, durchschnittliche Frau, die zufällig hierhergeraten war. Doch bevor sie die Stimme erheben konnte, nahm Cassidy ihre Hand und führte sie durch die Menge Richtung Bar, wo eine dichtgedrängte Gruppe noch immer um die Aufmerksamkeit der Barfrau kämpfte.

»Was kann ich dir zu trinken anbieten?«, fragte Cassidy.

Katie zögerte und Cassidy fügte noch hinzu: »Den Cabernet willst du hier nicht trinken. Glaub mir.«

»Dann Wild Turkey«, sagte sie. »Pur.«

Cassidy schaute Katie durch ihre langen dunklen Wimpern einen Augenblick lang schweigend an. Dann sagte sie: »Aha.«

»Was soll das heißen, aha?«

»Nichts.«

»Was? Hast du etwa erwartet, ich würde etwas weniger Starkes bestellen?«

»Nein«, sagte Cassidy. »Etwas mehr in Rosa.«

»Du kannst mich mal.«

»Oha.« Gina haute Cassidy auf den Rücken. »Das ist jetzt sogar noch früher passiert, als ich es erwartet habe.«

»Wirklich?« Katie schaute auf Gina runter und stemmte die Hände in die Hüften. »Denn das will ich ihr schon seit etwa halb zehn heute Morgen sagen.« Katie fiel ein, dass sie zu Hause bereits eine ziemliche Menge Wild Turkey getrunken hatte, sonst wäre sie nicht so unhöflich direkt gewesen. Sie könnte jetzt höchstens noch einen Drink vertragen.

Gina machte kehrt. »Ich stell mich mal beim Billardtisch an.«

Katie wollte ihr nachgehen, aber Gina flitzte so schnell durch die Menge, dass sie sie sofort aus den Augen verlor. Also blieb sie, wo sie war, und wartete darauf, dass Cassidy die Drinks ergatterte.