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Gesetzliche Anforderungen und eine transparente Unternehmenskultur veranlassen immer mehr Organisationen Meldemöglichkeiten für Whistleblower einzuführen. Was es bei der Implementierung eines internen Meldekanals und der Meldungsbearbeitung zu beachten gilt, wird anschaulich und praxisnah in diesem Handbuch dargestellt. Mit Checklisten und erprobten Methoden erhalten Sie die wichtigsten Werkzeuge, um ein Hinweismanagementsystem in Ihrer Organisation zu implementieren.
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Seitenzahl: 206
Veröffentlichungsjahr: 2023
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1. ZIEL UND ZWECK DIESES LEITFADENS
1.1 ZIELGRUPPE DIESES RATGEBERS
1.2 WARUM JETZT EIN HINWEISMANAGEMENTSYSTEM IMPLEMENTIERT WERDEN SOLLTE
1.3 VORBEHALTE GEGEN DAS HINWEISMANAGEMENTSYSTEM
2. EINFÜHRUNG IN DAS THEMA HINWEISGEBUNG
2.1 EINE KURZE GESCHICHTE DES HINWEISGEBENS
2.2 WAS IST WHISTLEBLOWING
2.3 WARUM IST WHISTLEBLOWING WICHTIG
2.4 WER WIRD WHISTLEBLOWER
2.4.1 Wer meldet Hinweise
2.4.2 Charakteristika und Motive von Hinweisgebenden
2.4.3 Risiken für Hinweisgebende
3. GESETZLICHE ANFORDERUNGEN
3.1 EU-RICHTLINIE 2019/1937
3.1.1 Allgemeines und Umsetzungsstatus
3.1.2 Anwendungsbereich
3.1.3 Meldemöglichkeiten
3.1.4 Vertraulichkeit und Datenschutz
3.1.5 Dokumentation von Meldungen
3.1.6 Sanktionen
3.2 BUNDESGESETZ: HINWEISGEBERINNENSCHUTZGESETZ
3.2.1 Persönlicher Geltungsbereich
3.2.2 Sachlicher Geltungsbereich
3.2.3 Schutz von Hinweisgebenden und betroffenen Personen
3.2.4 Meldemöglichkeiten
3.2.5 Datenschutz
3.2.6 Dokumentation und Aufbewahrung
3.2.7 Sanktionen und Schlussbestimmungen
3.3 LÄNDERGESETZE ÖSTERREICH
3.4 ZUSAMMENFASSUNG DER GESETZLICHEN ANFORDERUNGEN
4. AUFBAU UND BETRIEB EINES HINWEISMANAGEMENTSYSTEMS
4.1 EINBINDUNG VON FÜHRUNGSKRÄFTEN UND STAKEHOLDERN
4.1.1 Interne Stelle / Hinweismanagementbeauftragte
4.1.2 Management
4.1.3 Interne Revision
4.1.4 Compliance-Beauftragte (AML, Risikomanagement etc.)
4.1.5 Rechtsabteilung
4.1.6 Personalabteilung
4.1.7 Betriebsrat
4.1.8 Datenschutzbeauftragte
4.1.9 IT/EDV-Abteilung
4.1.10 Belegschaft
4.1.11 Lieferanten/Dienstleister/Externe
4.2 ENTWICKLUNG VON RICHTLINIEN UND VERFAHREN
4.2.1 Erweiterung der Unternehmensrichtlinien
4.2.2 Prozesse im Unternehmen
4.3 EINRICHTUNG EINES INTERNEN MELDEKANALS
4.3.1 Der interner Meldekanal innerhalb von Organisationen
4.3.2 Implementierungsprojekt
4.4 SCHULUNGS- UND AWARENESS-MAßNAHMEN
4.4.1 Schulung von Beschäftigten
4.4.2 Schulung von Entscheidungsträgern und Führungskräften
4.4.3 Schulungen der Hinweismanagementbeauftragten der Meldungen
4.4.4 Schulung der potenziellen unternehmensexternen Hinweisgebenden
4.5 EINGANG IN VERTRÄGE MIT EXTERNEN UND AGBS
5. BEARBEITUNG VON MELDUNGEN
5.1 ENTGEGENNAHME DER MELDUNG
5.1.1 Kommunikation mit Hinweisgebenden
5.2 PLAUSIBILISIERUNG DER MELDUNG
5.3 HINWEIS IST NICHT PLAUSIBEL
5.4 ANFORDERUNG WEITERER INFORMATIONEN
5.5 ANALYSE VON MELDUNGEN
5.5.1 Dokumente und andere Nachweise
5.5.2 Durchführung von Interviews
5.6 DOKUMENTATION DER BEARBEITUNGSSCHRITTE ZU EINER MELDUNG
5.7 ANALYSEERGEBNISSE UND FOLGEMAßNAHMEN
5.7.1 Risikoreduzierende Maßnahmen
5.7.2 Sanktionen für Täter
5.7.3 Belohnung von Hinweisgebenden
5.8 ARCHIVIERUNG DER MELDUNG
5.9 CHECKLISTE FÜR DIE BEARBEITUNG
6. VERSCHIEDENE EXTERNE MELDEKANÄLE
6.1 EXTERNER MELDEKANAL VON AUFSICHTSORGANEN
6.2 MELDEKANAL VON MEDIEN
6.3 SOZIALE MEDIEN
7. MOTIVATION DER AUTORINNEN
7.1 ÜBER DIE AUTORINNEN
8. BEGRIFFSDEFINITIONEN
9. LITERATURVERZEICHNIS
10. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
11. TABELLENVERZEICHNIS
12. VERZEICHNIS DER CHECKLISTEN
13. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
14. STICHWORTVERZEICHNIS
“Wenn du denkst, Compliance ist teuer - dann versuche Non-Compliance” Paul McNulty, former US Deputy Attorney General
Hinweise sind eine wichtige Informationsquelle zur Unternehmensführung und definierte Meldewege eine sinnvolle Ergänzung des internen Kontrollsystems. Nicht nur aufgrund gesetzlicher Vorgaben, sondern aus Gründen einer transparenten Geschäftspraktik und der Fairness sollten vertrauliche Meldekanäle für die Abgabe von Hinweisen implementiert werden.
Die Einrichtung der Prozesse für die Hinweisabgabe und -bearbeitung, sowie die Implementierung eines internen Meldekanals in einer bestehenden Organisation stellt ein nicht zu unterschätzendes Projekt dar, bei dem einige wichtige Fragestellungen zu bearbeiten sind. Dieses Buch gibt eine Orientierungshilfe rund um das Thema Hinweismanagement. Es werden die Vor- und Nachteile bestimmter Entscheidungen beleuchtet und Unterstützung für jedes Unternehmen geboten, ein optimal funktionierendes Hinweismanagement umzusetzen.
Das Ziel und der Zweck dieses Buches ist es daher, verschiedene Maßnahmen vorzustellen, die zur Erfüllung der folgenden Intentionen beitragen:
den Fortbestand des Unternehmens durch frühzeitiges Erkennen von Risiken zu sichern
die Belegschaft dabei zu unterstützen, Fehlverhalten Einzelner sowie ungesetzliches und unethisches Verhalten am Arbeitsplatz einfach melden zu können
anderen Personen im Umfeld des Unternehmens die Möglichkeit zu geben, auf potenzielles Fehlverhalten hinzuweisen
die im Unternehmen mit der Hinweisbearbeitung beauftragten Personen dabei zu unterstützen, die gemeldeten Hinweise effizient, rasch und nachvollziehbar zu analysieren, sowie zum Wohle der Organisation daraus abgeleitete Maßnahmen zu setzen
der Geschäftsleitung eine zusätzliche Option aufzuzeigen, auf Fehlverhalten aufmerksam zu werden, möglichst, bevor ein größerer Schaden für das Unternehmen eintritt
eine Übersicht zu bestehendem Fehlverhalten in der Organisation zu erhalten
Die vorgestellten Methoden umfassen sowohl technische als auch organisatorische Maßnahmen, die zusammen eine optimale Organisation im Unternehmen bewirken, wenn sie entsprechend an die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft angepasst werden.
Soweit nicht eine bestimmte Rechtsnorm genannt wird, können die dargestellten Maßnahmen in jeder Organisation implementiert werden. Es ist jedoch wichtig, die spezifischen Merkmale des jeweiligen Unternehmens sowie die lokalen Anforderungen zum Schutz von Hinweisgebenden der einzelnen EU-Mitgliedstaaten oder branchenspezifische Vorgaben zu berücksichtigen.
Dieses Buch richtet sich an eine vielfältige Zielgruppe, bestehend aus Personen aus unterschiedlichen Bereichen wie Unternehmen, NGOs, Organisationen der öffentlichen Verwaltung und der Zivilgesellschaft, die ein Interesse am Thema Whistleblowing haben. Es bietet relevantes Wissen, praktische Einblicke und fundierte Leitlinien, um das Verständnis für Whistleblowing zu vertiefen und die Bedeutung von Integrität, Ethik und Transparenz in unserer Gesellschaft zu fördern.
Die Zielgruppe dieses Buches setzt sich zusammen aus Personen
die aktuell oder zukünftig in einer Organisation Hinweise bearbeiten
mit der Implementierung eines Hinweismanagementsystems beauftragt sind
ein bestehendes System optimieren sollen
Die typischen Positionen in der Organisation sind daher
Compliance Officer
Interne Revision
Fraud Manager
Rechtsabteilung
Personalabteilung
Ethikbeauftragte
Zusätzlich sind auch andere Abteilungen oder Personen hiervon betroffen, bspw. Geldwäschebeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Aufsichtsräte oder die Führungskräfte.
Das Handbuch soll auch dazu beitragen, Mitarbeiter über ihre Rechte, Pflichten und Haftung im Hinblick auf das Hinweismanagement aufzuklären und sie dabei zu unterstützen, Missstände auf eine angemessene und konstruktive Weise zu melden. Es ist daher auch für Personen von Relevanz, die sich über den Umgang mit Hinweisen informieren und dazu beitragen möchten, ein Klima der Offenheit und Transparenz in ihrer Organisation zu fördern.
Aufgrund der neuen gesetzlichen Anforderungen in der Europäischen Union (EU) und dem Bestreben nach mehr Transparenz, müssen sich viele Organisationen das erste Mal damit auseinandersetzen, Prozesse für die Abgabe und Bearbeitung von Hinweisen, sowie zum Schutz von Hinweisgebenden einzuführen.
Die Implementierung eines umfassenden Hinweismanagementsystems stellt eine Stärkung der Compliance-Kultur im Unternehmen dar, denn dadurch hat die Belegschaft eine gute Möglichkeit, um auf Fehlverhalten Einzelner hinzuweisen. Wenn über Jahre nichts gemeldet wird, insbesondere wenn es auch die Möglichkeit einer anonymen Abgabe gibt, dann kann dies ein Indiz dafür sein, dass interne Kontrollen effektiv sind und Fehlverhalten ggf. direkt an Vorgesetze oder Vertrauenspersonen gemeldet werden. Andererseits ist das Ausbleiben von Hinweisen keine Garantie, dass es nicht zu Fehlverhalten gekommen ist. Beschäftigte könnten kein Vertrauen in den internen Meldekanal haben und aus diesem Grund nicht melden.
Ein Hinweismanagementsystem kann daher für jedes Unternehmen von großem Nutzen sein, insbesondere in Zeiten von zunehmendem Wettbewerb und sich ändernden Marktbedingungen. Es bietet eine effektive Möglichkeit, Probleme und Risiken im Unternehmen frühzeitig zu erkennen und anzugehen.
Durch die Implementierung eines Hinweismanagementsystems zeigen Unternehmen, dass sie die Meinungen und Bedenken ihrer Belegschaft ernst nimmt und wertschätzt. Angestellte fühlen sich damit gehört und können auf Missstände oder Probleme hinweisen, ohne Angst vor Repressalien zu haben. Dies stärkt das Vertrauen zwischen Personal und Management und fördert eine offene und transparente Unternehmenskultur, die wiederum zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und einer besseren Arbeitsleistung führt. Dies ist außerdem sehr wichtig im Wettbewerb um die besten Talente.
Die Implementierung eines internen Meldekanals (ggf. mit einem IT-System) beinhaltet also eine wichtige Aussage der Geschäftsführung sowohl für potenzielle Täter als auch für den Rest der Belegschaft, nämlich:
„Wir akzeptieren kein Fehlverhalten zum Nutzen Einzelner und werden dieses konsequent aufklären und ggf. sanktionieren!“
Das Hinweismanagementsystem ist Teil der Unternehmens-Governance und unterstützt die Geschäftsführung bei der Erreichung der Unternehmensziele. Je nach Grad der Umsetzung und in Abhängigkeit der gelebten Unternehmenskultur, wird die Belegschaft die Hinweismanagementprozesse als wichtig wahrnehmen und diese im Sinne der Organisation nutzen. Dies bedeutet, dass das Ausmaß und die Ernsthaftigkeit der Implementierung gleichzeitig auch dazu beitragen, wie effizient und erfolgreich das Hinweismanagementsystem sein wird.
Obwohl ein Hinweismanagementsystem viele Vorteile bieten kann, haben manche Unternehmen Vorbehalte gegen dessen Einführung. Einer der Hauptgründe ist, dass es als Eingriff in die bestehende Unternehmenskultur empfunden wird. Die Belegschaft könnte das Gefühl haben, dass sie nicht mehr direkt mit ihrem Vorgesetzten sprechen können und stattdessen anonyme Hinweise abgeben müssen. Dies könnte das Vertrauen zwischen den Angestellten und der Geschäftsführung beeinträchtigen und das Gefühl von Misstrauen und Kontrolle aufbauen.1
Ein weiterer Grund für Vorbehalte gegen ein Hinweismanagementsystem ist die Sorge vor Missbrauch oder Falschmeldungen. Unternehmen befürchten, dass Personen absichtlich falsche Hinweise geben oder das System missbrauchen könnten, um anderen zu schaden oder um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Dadurch könnte das Hinweismanagementsystem zu einer Belastung für das Unternehmen werden und mehr Schaden als Nutzen bringen. Unternehmen müssen daher sicherstellen, dass sie ein Hinweismanagementsystem implementieren, das transparent und fair ist und das Vertrauen der Mitarbeiter in das System stärkt, anstatt es zu untergraben.
Die Vorbehalte gegen ein Hinweismanagementsystem sind vielfältig:
Da melden sich nur Denunzianten
Mit Mobbing wollen wir uns nicht auseinandersetzen
Bei uns kann jeder offen sagen, was ihn bedrückt
Bei uns gibt es weder Mobbing noch sexuelle Übergriffe
Für unsere Belegschaft lege ich meine Hand ins Feuer
Bei uns arbeiten nur vertrauenswürdige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die niemals einen Betrug verüben würden
Sind diese Aussagen richtig, dann muss sich eine Organisation auch nicht vor der Implementierung eines internen Meldekanals fürchten. Wenn die bestehende Unternehmenskultur das Melden von Fehlverhalten bereits umfassend unterstützt, dann wird sich wenig ändern.
Leider ist die Realität in vielen Unternehmen oft anders. Statt sich mit dem Fehlverhalten einzelner Personen auseinanderzusetzen, werden häufig die Hinweisgebenden selbst angegriffen, ihre Reputation bei der restlichen Belegschaft untergraben und manchmal werden sie in eine andere Abteilung oder Filiale versetzt oder sogar entlassen. Dabei verfolgen Meldende häufig das Ziel, die Organisation zu schützen, und melden Fehlverhalten aus Loyalität und Pflichtbewusstsein. Zur Hinweisabgabe gehört viel Mut und Hinweisgebende sollten daher geschützt werden. Die Täter, die häufig das Unternehmen betrogen oder hintergangen haben, sollten die Konsequenzen ihres Handelns tragen.
1 Vgl (Schulz, 2010)
“Kritiker sind gute Freunde, die uns auf Fehler hinweisen” Benjamin Franklin
Die Einrichtung und Nutzung von Meldekanälen sind keine Erfindung der jüngeren Vergangenheit. Um von wertvollen Hinweisen zu profitieren, wurden bereits in der alten Republik Venedig2 von den Staatsorganen eigene Briefkästen aus Stein eingerichtet, in die anonyme Hinweise für die unterschiedlichen Behörden eingeworfen werden konnten3. Einige dieser ”Bocca di Leone” sind auch heute noch erhalten.
Während des amerikanischen Bürgerkriegs wurde 1836 der False Claims Act (31 United States Code §§ 3729–3733) verabschiedet. Der Kongress war besorgt, dass Lieferanten die Regierung betrügen könnten. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Privatpersonen betrügerische Handlungen zum Schaden der Regierung mittels Klage geltend machen können. Sie erhalten dafür zwischen 15 % und 25 % der Schadenssumme als Belohnung. Diese Klage wird als “qui tam” bezeichnet und der Hinweisgebende als “Relator”.4
“Qui tam” stammt aus der lateinischen Phrase “qui tam pro domino rege quam pro se ipso in hac parte sequitur” und bedeutet „[er] der in dieser Sache für den Herrn König so [wie] für sich selbst klagt“.5 Weitere qui tam Bestimmungen finden sich beispielsweise bereits im “Law of Wihtred” des Königs Wihtred of Kent aus dem Jahr 695. Es sah vor, dass ua der Melder von Verstößen gegen Bestimmungen zu arbeitsfreien Zeiten, die Hälfte der Geldstrafe für den Täter erhält.6
In Folge der großen Bilanzskandale wie Enron oder Worldcom wurde 2002 der Sarbanes-Oxley Act in den USA verabschiedet. Damit soll die Zuverlässigkeit der Bilanzberichterstattung börsennotierter Unternehmen verbessert werden. Neben weiteren Vorgaben enthält der Sarbanes-Oxley Act of 2002 auch Bestimmungen zur Einrichtung eines Hinweismanagementsystems und zum Schutz von Hinweisgebenden.
Seit 01.01.2014 müssen Bankinstitute in Österreich gemäß § 99g BWG über ein Hinweismanagementsystem verfügen. “Die Kreditinstitute haben über angemessene Verfahren zu verfügen, die es ihren Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglichen, betriebsinterne Verstöße […] an eine geeignete Stelle zu melden.”7 Gemäß § 99g Abs 3 BWG sind meldende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreditinstituts zumindest vor Vergeltungsmaßnahmen, Diskriminierung oder anderen Arten von Mobbing zu schützen. Es müssen im Unternehmen klare Regeln bezüglich der Geheimhaltung der Identität der Hinweisgebenden und spezielle Verfahren für den Empfang von Meldungen über Verstöße und deren Weiterverfolgung definiert werden.
Auch die aktuellen Vorfälle aus den Medien im In- und Ausland, bei denen hochrangige Politiker korrupte Handlungen begangen haben sollen (es gilt die Unschuldsvermutung), sind ein Weckruf und zeigen deutlich, wie stark Regierungen und Organisationen von Hinweisgebenden profitieren können. Gerade wenn Entscheidungsträger ein weit verzweigtes Netzwerk haben und viele Personen von einem korrupten System profitieren, können Hinweisgebende den Stein ins Rollen bringen und das korrupte System aufdecken.
Der Begriff "Whistleblowing" wird auch häufig im Deutschen verwendet und kann mit "Das Melden von Missständen" übersetzt werden. Beide Ausdrücke beschreiben die Offenlegung von Informationen oder Verhaltensweisen, die illegal, unethisch oder anderweitig schädlich für eine Organisation sind und die von Mitarbeitern, ehemaligen Mitarbeitern oder nahestehenden Personen an die Öffentlichkeit oder an Menschen in der Einrichtung weitergegeben werden, die in der Lage sind, das Verhalten zu beenden bzw. weiteren Schaden zu verhindern. Mit der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden hat sich für “Whistleblower” der Begriff “Hinweisgeber” oder „Hinweisgebende“ im deutschsprachigen Raum durchgesetzt.
Die Definition und die Rahmenbedingungen von Whistleblowing variieren von Land zu Land. In einigen Ländern gibt es spezifische Gesetze, die Hinweisgebende schützen und Regeln festlegen, wie Informationen über Missstände gemeldet werden können. In anderen Ländern gibt es keine konkreten, schützenden Rechtsvorschriften, sondern nur allgemeine bzw. branchenbezogene Gesetze, die eine Meldung von Fehlverhalten ermöglichen.
Die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, legt die Rechte und Pflichten von Hinweisgebenden innerhalb der EU fest. Nach dieser Richtlinie ist Whistleblowing der Begriff für das Melden von Missständen an eine oder mehrere autorisierte Stellen oder Personen, die in der Lage sind, das potenzielle Fehlverhalten aufzuklären, zu beenden oder zu verhindern.
Die internationale Organisation Transparency International, die sich weltweit für mehr Transparenz, Integrität und Anti-Korruption einsetzt, betrachtet das Melden von Missständen als ein wichtiges Instrument, um Korruption und andere Unregelmäßigkeiten aufzudecken und zu bekämpfen. Sie verwendet folgende Definition:
„Hinweisgeber ist, wer Informationen über wahrgenommenes Fehlverhalten in einer Organisation oder das Risiko eines solchen Verhaltens gegenüber Personen oder Stellen offenlegt, von denen angenommen werden kann, dass diese in der Lage sind, Abhilfe zu schaffen oder sonst angemessen darauf zu reagieren.“8
In diesem Buch werden Whistleblower, Hinweisgeber oder Hinweisgebende als Personen verstanden, die redliche Hinweise oder Meldungen über potenzielles Fehlverhalten oder Missstände abgeben. Denunzianten, Vernaderer und Falschmelder sind von dieser Definition nicht umfasst, da diese auch im Normalfall keinen Anspruch auf gesetzlichen Schutz bei einer Meldung haben und nicht zum Wohl von Organisationen handeln.
Laut Transparency International kann Whistleblowing dazu beitragen, Missstände aufzudecken und zu beheben sowie Unternehmen und Organisationen zu einem verantwortungsvolleren und transparenteren Handeln zu verhelfen. Die Organisation betont auch, dass es wichtig ist, Hinweisgebende zu schützen und sicherzustellen, dass sie nicht benachteiligt oder diskriminiert werden, wenn sie Missstände melden.9
Weiters zeigen nationale und internationale Studien, dass Hinweise ein wichtiges Instrument sind, um Betrug im Unternehmen aufzudecken. Von der Association of Certified Fraud Examiners (ACFE) wird bspw. ein jährlicher Bericht zum Thema Fraud (Betrug, Wirtschaftskriminalität) herausgegeben. Unter anderem wird darin auch dargestellt, mit welcher Methode jeder einzelne Fraud-Fall aufgedeckt wurde und welche Auswirkung das Vorhandensein von Meldemöglichkeiten auf das Schadensausmaß und die Dauer des Betrugs hatte.
In den letzten Jahren zeigte sich in diesen “Reports to the Nations”, wie die Berichte der ACFE genannt werden, dass Organisationen mit Meldekanälen den Betrug schneller aufdecken konnten und der Schaden, im Vergleich zu Organisationen ohne Meldekanal, geringer ausfiel. Darüber hinaus wurde die Mehrheit der Fraud-Fälle durch Hinweise aufgedeckt.
Der “Report to the Nations 2022” zeigte, dass 47 % der Fraud-Fälle bei Organisationen mit einer Meldemöglichkeit durch Hinweise aufgedeckt wurden, und der Schaden bei Organisationen ohne Meldemöglichkeit doppelt so hoch war im Vergleich zu Organisationen mit Meldemöglichkeit.10
47 % der Betrugsfälle wurden in Organisationen mit Meldekanal durch Hinweise aufgedeckt! Im Durchschnitt dauerte der Betrug 12 Monate und damit 6 Monate kürzer, als bei Organisationen ohne Meldemöglichkeit.11
Der Bericht der ACFE zeigt, dass Hinweise Unternehmen vor Verlusten schützen oder die Höhe der potenziellen Verluste reduzieren können.
Die von Hinweisgebenden übermittelten Meldungen stellen eine Informationsquelle dar, über die Unternehmen ohne Meldekanal nicht verfügen. Zwar können Informationen unter Umständen über die üblichen Unternehmensstrukturen und Hierarchien an die Geschäftsführung herangetragen werden, jedoch geschieht dies eher selten, da zu viele Personen involviert sind.
Die folgende Tabelle zeigt die Quellen zur Aufdeckung von Betrugsfällen laut dem ACFE Report to the Nations 2022:
Methodik
Anteil
Hinweis
42%
Interne Revision
16%
Management Review
12%
Dokumentenprüfung
6%
Durch Zufall
5%
Kontoabstimmung
5%
Externe Prüfung
4%
Tabelle 1: Durch welche Maßnahmen wird Betrug aufgedeckt
Der Wissensvorsprung ermöglichte es Unternehmen auch, frühzeitig auf Probleme reagieren zu können, bevor diese eventuell an die Öffentlichkeit dringen. Damit werden sie in die Lage einer strukturierten Reaktion und nicht bloßer Aktion versetzt. Eine gut vorbereitete Krisenkommunikation und ein bereits geschnürtes Maßnahmenpaket können die Perspektive der Öffentlichkeit zu den Vorwürfen positiv beeinflussen und im schlimmsten Fall über die Schließung oder das Fortbestehen der Unternehmung entscheiden.
Whistleblowing kann Unternehmen und Organisationen helfen, ihre Verfahren und Prozesse zu verbessern, um künftiges Fehlverhalten zu verhindern. Indem die Belegschaft oder ehemalige Beschäftigte Fehlverhalten melden, können die Organisationen feststellen, wo Verbesserungen möglich sind und wie sie ihre Verfahren und Prozesse verändern können, um zukünftiges Missverhalten zu verhindern.
Die wichtigsten Auswirkungen von Hinweisen auf Organisationen können sein:
Risiken & Schäden minimieren
Blinde Flecken aufdecken
Wissensvorsprung erhalten
Optimierung von Prozessen
Transparente Unternehmenskultur
Sorgfaltspflichten der Geschäftsführung erfüllen
Jedoch sind diese genannten Vorteile nicht ausschließlich Gründe, weshalb immer mehr Unternehmen interne Meldekanäle für Whistleblower einrichten. Gesetzgeber auf der ganzen Welt haben ebenfalls die Wichtigkeit von Hinweisen und vor allem des Schutzes der Hinweisgebenden erkannt. Neue gesetzliche Anforderungen sind unter anderem ein wesentlicher Treiber für den globalen Einsatz von Meldekanälen.
Hinweisgebende sind die zentralen Personen beim Hinweismanagement. Ohne sie gäbe es keine Hinweise und damit auch keine Informationen. Organisationen beschäftigen sich mit Hinweisen erst, wenn sie über den internen Meldekanal einlangen. Jedoch beginnt der Prozess, der für die Hinweisgebenden zur Entscheidung für die Meldungsabgabe führt, viel früher.
Hinweisgebende übermitteln Meldungen in den meisten Fällen erst nach reiflicher Überlegung. Eventuell haben sie bereits versucht, mit Führungskräften oder Kollegen über Missstände zu sprechen. Führte dies nicht zur Behebung der Missstände, werden andere Möglichkeiten gesucht, die zur Lösung des Problems beitragen könnten. Der interne Meldekanal bietet hier eine geeignete Möglichkeit.
Der Prozess vor der eigentlichen Hinweisabgabe gestaltet sich wie folgt:
Abb 1: Prozess vor der Hinweisabgabe
Hinweisgebende durchlaufen also mehrere Erkenntnisschritte, bevor sie eine Meldung abgeben. Dabei versuchen sie sich darüber im Klaren zu werden, ob sie sich dafür verantwortlich fühlen sollten, die Organisation über ein beobachtetes Ereignis in Kenntnis zu setzen, oder nicht.
Trotz (eingeschränktem) gesetzlichem Schutzanspruch und dem Wunsch, gegen Fehlverhalten vorzugehen, haben Hinweisgebende Angst vor Konsequenzen in Bezug auf die Meldungsabgabe. Wird jemand zum Whistleblower, kann seine oder ihre Karriere zerstört werden, es könnten sie finanzielle Konsequenzen treffen und auch Angehörige könnten von negativen Auswirkungen betroffen sein. Aufgrund der möglichen negativen Konsequenzen treffen Hinweisgebende die Entscheidung zur Hinweisabgabe meist nicht leichtfertig. Es handelt sich um einen langen Nachdenkprozess, bis der Hinweis abgegeben wird. Dies sollte immer im Umgang mit Hinweisgebenden bedacht werden. Bearbeiter von Hinweisen kennen die Vorgeschichte und ggf. den Druck nicht, unter dem Hinweisgebende stehen können.
Laut dem ACFE Report to the Nations 2022 werden über die Hälfte aller Hinweise, nämlich 55%, von der eigenen Belegschaft einer Organisation gemeldet. Dies ist nicht verwunderlich, da diese in der Regel am besten über interne Vorgänge und Missstände informiert sind. Das eigene Personal ist direkt mit den Abläufen und Prozessen innerhalb einer Organisation vertraut und haben häufig Einblick in Vorgänge, die anderen externen Beobachtern verborgen bleiben.
Außerdem haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft eine moralische Verpflichtung, Missstände innerhalb ihres Arbeitsumfeldes aufzudecken und zu melden, insbesondere wenn diese gegen Gesetze oder ethische Grundsätze verstoßen.
Mit 18% sind die Kunden die zweitgrößte Gruppe an Hinweisgebenden, dicht gefolgt mit 16% von Meldungen, die anonym abgegeben werden. Im Report to the Nations werden folgende Meldende unterschieden:
Personenkreis
Anteil
Belegschaft
55%
Kunden
18%
Anonym
16%
Lieferanten
10%
Andere
5%
Shareholder / Eigentümer
3%
Mitbewerber
3%
Tabelle 2: Wer meldet Hinweise
Woran kann man einen potenziellen Hinweisgebenden erkennen? Wäre es nicht gut, wenn man bereits im Einstellungsprozess diese spezielle Art von Menschen erkennen könnte und so, je nach Unternehmenskultur, diesen Typ entweder einstellen könnte oder eben nicht.
Gibt es also eine erkennbare Charakteristik, an der man Hinweisgebende erkennen kann? Nein!
Warum ist das so? Weil es viele Aspekte, Veranlagungen, Überzeugungen und Ereignisse sind, die einen Menschen dazu veranlassen seine Meinung zu einem bestimmten Ereignis kundzutun bzw. eine Meldung abzugeben. Abhängig von persönlichen Überzeugungen und Charaktereigenschaften hat jeder Hinweisgebende seine persönlichen Motive für die Hinweisabgabe.
Einige Personen wurden auch unfreiwillig zu Whistleblowern, indem sie in Workshops oder in internen Foren ihre Meinung zu bestimmten Sachverhalten innerhalb der Organisation geäußert haben und durch die Art der Reaktion des Unternehmens zu einem Whistleblower wurden. Ein Whistleblower zu sein oder zu einem zu werden, war vorab nicht ihre Absicht.
Um einen sehr eingeschränkten Einblick über mögliche Charakteristika von Hinweisgebenden zu erhalten, können Typologien aus der forensischen Psychologie abgeleitet werden. Nachfolgend stellen wir vereinfacht und nicht abschließend, vier Typen von Hinweisgebenden dar. Die vier Typen bieten nur einen groben Anhaltspunkt und sind keinesfalls erschöpfend. Zudem kann sich der Typus im Laufe einer Untersuchung oder einer Befragung auch ändern. Keine Person ist in den meisten Fällen nur einem Typ zuzuordnen, jedoch können diese Typen helfen Hinweisgebende besser zu verstehen und ihre Handlungen nachzuvollziehen.
Beispielhaft wurden folgende Typen herangezogen:12
Abb 2: Beispiele für Charaktere von Hinweisgebenden
Der erste Typ wird als Opfer bezeichnet und verhält sich eben als ein solches. Das Opfer empfindet seine Situation so, dass es keine Wahl hat, als an den widerrechtlichen Handlungen teilzunehmen, da es meist keine Führungsfunktion bekleidet und finanziell von seiner Anstellung abhängig ist oder aufgrund anderer Faktoren unter Druck gesetzt wird. Durch das eigentlich ungewollte Verhalten steht das Opfer unter innerem Druck und im Zwiespalt zum richtigen Verhalten und dem Verhalten, zudem das Opfer gezwungen wird.
Im Gegensatz zum Opfer tritt der Typus Rächer bei Verhalten, dass seinen Glaubensund Wertvorstellungen widerspricht, entschieden auf und meldet dies auch oftmals an Vorgesetzte oder im Rahmen der im Betrieb vorgesehenen Meldemöglichkeiten. Bringt dies jedoch keinen Erfolg, so kann der Rächer zum Hinweisgebenden über interne oder auch externe Meldekanäle werden.
Hinweisgebende mit klaren Moralvorstellungen und altruistischen Motiven stellen den Typus Samariter dar. Sie sind um das Wohl ihrer Kolleginnen und Kollegen besorgt und stehen loyal zum Unternehmen. Werden bspw. Hinweise bezüglich Sicherheitsrisiken für die Belegschaft oder Kunden nicht ernstgenommen und beseitigt, können Samariter zu Hinweisgebenden werden. Sie haben dabei die besten Motive.
Die Motive und Verhaltensweisen des Typus Intellektuellen sind vor allem durch das Gefühl von Überlegenheit und Geringschätzung für die Kolleginnen und Kollegen sowie die Führungskräfte geprägt. Sie sind sehr auf sich selbst und ihre herausragenden Fähigkeiten, die sie von anderen abheben, konzentriert. Besonders wichtig ist ihnen der eigene Ruf. Sofern dieser in Gefahr ist, können auch Intellektuelle zu Hinweisgebenden werden.
Anhand dieser vier vereinfacht dargestellten Charaktere wird ersichtlich, dass sie unterschiedliche Persönlichkeiten und unterschiedliche Motive haben. Menschen lassen sich jedoch nur selten in eine Schublade einordnen und dies trifft auch auf Whistleblower zu. Sie können auch Mischformen der vier Charaktere darstellen oder andere Charaktereigenschaft aufweisen, die nicht genannt wurden.
So vielfältig wie die Charakteristika von Hinweisgebenden sein können, so vielfältig können auch ihre Beweggründe sein. Motive aus der Praxis sind bspw.
Eigenschutz vor „krummen Geschäften“
Eigene Organisation schützen
Probleme aufzeigen
Das Richtige tun
Intrinsischer Sinn für Gerechtigkeit und Integrität
Finanzielle Vorteile
Rache
Aufmerksamkeit
Denunziation
Die Motive sind für das Ergebnis der Hinweisanalyse nicht relevant!
Motive helfen einerseits Hinweisgebende besser zu verstehen, können aber auch eine Falle in der Untersuchung sein. Die Ressourcen, die für das Aufdecken der Person hinter der Meldung verwendet werden, fehlen für die Untersuchungen des konkreten Hinweises. Außerdem kann die Kenntnis über die Motivation Einfluss auf die Objektivität der Untersuchung haben.
Bei der Führung von Interviews und dem Umgang mit Hinweisgebenden kann die Kenntnis des Motivs und erkennbarer Charakterzüge hilfreich sein. Dadurch kann die Kommunikationsstrategie so angepasst werden, dass Hinweisgebenden und auch andere Interviewpartner besser erreicht werden können. Das Eingehen auf Interviewpartner kann die Bereitschaft zur Kooperation und Preisgabe von weiteren Informationen erhöhen. Mehr dazu in Kapitel 5.5.2.