Why Patti Smith Matters - Caryn Rose - E-Book

Why Patti Smith Matters E-Book

Caryn Rose

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Beschreibung

»Eine liebevolle Würdigung von Patti Smiths wahrhaftigem Genie und ihrem großen Beitrag zur globalen Kultur der letzten fünfzig Jahre.« Shirley Manson, Garbage

Why Patti Smith Matters ist das erste Buch über die ikonische Künstlerin, das von einer Frau geschrieben wurde. Die Musikjournalistin Caryn Rose untersucht Smiths kreative Arbeit, ihren Einfluss und ihren weitreichenden und sich immer noch entwickelnden Einfluss auf die Rock'n'Roll-Geschichte, bildende Kunst und das geschriebene Wort. Rose steigt tief in Smiths Werk ein, von ihrem ersten Album Horses bis hin zu ihren gefeierten Memoiren, die weit über ihre Musik hinausreichen.

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Seitenzahl: 280

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Buch

Patti Smith landete zum Ende der Hippie-Ära auf der Suche nach Arbeit und Sinn in New York City. Durch ihre Poesie, ihre Songs, ihre Stimmkraft und ihre Präsenz als Frontfrau in einer Rockband setzte sie sich an die Spitze der Punk-Revolution und trat eine Tür auf, durch die später unzählige andere gingen. Niemand anderes hat die Rohheit des Punk besser verkörpert als sie, kaum jemand hat mehr getan, um für Außenseiter jeder Couleur einen Platz in der Gesellschaft zu schaffen.

Why Patti Smith Matters ist das erste Buch über die ikonische Künstlerin, das von einer Frau geschrieben wurde. Die Musikjournalistin Caryn Rose kontextualisiert Smiths Werk, ihren Einfluss auf die Rock’n’Roll-Geschichte, die bildende Kunst und das geschriebene Wort. Rose steigt tief in Smiths Werk ein – von ihrem ersten Album Horses bis hin zu ihren gefeierten Memoiren – das weit über ihre Musik hinausreicht. Ihr Porträt einer Frau, die sich ständig neu erfindet, räumt auch auf mit den Klischees der »starken Frau«. Sie ist eine nuancierte Denkerin, eine Erschafferin von schönen und herausfordernden Dingen. Eine transformative Künstlerin, die Millionen Menschen nicht nur unterhalten, sondern auch gestärkt hat.

Autorin

CARYNROSE ist Musikjournalistin und Buchautorin, deren Arbeiten in Pitchfork, MTV News, Salon, Billboard, der Village Voice, Vulture und dem Guardian erschienen sind.

Caryn Rose

WHY PATTI SMITH MATTERS

Aus dem Amerikanischen von Nina Lieke

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel WHYPATTISMITHMATTERS bei University of Texas Press, AustinDer Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstveröffentlichung September 2023

Copyright © der Originalausgabe 2022 by Caryn Rose

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München, nach einem Entwurf und unter Verwendung eines Motivs von University of Texas Press

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

mn · Herstellung: sc

ISBN 978-3-641-30270-2V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/penguinbuecher

Für meinen Vater Jerome M. Rose: Er war ein Arbeiter.

INHALT

Prolog

– 1 – Drei Akkorde und die Macht des Wortes

– 2 – C’mon, God, Make a Move

– 3 – Ich häng hier so rum

– 4 – Homecoming

– 5 – Heulen, beten, tanzen

Epilog: Dankbar

Dank

Anmerkungen

PROLOG

Es ist der 31. Dezember 2008. Patti Smith und ihre Band läuten das neue Jahr mit dem letzten von drei aufeinanderfolgenden Gigs im Bowery Ballroom ein, seit 1998 große Tradition in New York City. Kurz vor Mitternacht spielen sie »Beneath the Southern Cross« von der 1996 veröffentlichten Platte Gone Again, dem ersten Album der zweiten Phase von Patti Smiths Karriere. In der Studioversion ist »Southern Cross« eine Hymne, ein Klagelied, ein Lobgesang. Auch live ist der Song all das, und dann macht Patti daraus etwas ganz und gar Heiliges und Erhebendes, beschwört die ganze Kraft der Musik, vor allem der Gesangsmelodie, die zur Totenklage wird.

Beim Herunterzählen der letzten Sekunden bis Mitternacht – Freunde verteilen Partyhüte, das Publikum trötet, und wir bewerfen uns selbst und die Band auf der Bühne mit Konfetti – ertönt die letzte Bridge von »Southern Cross«, eine Wand aus wogenden Gitarren und melodischem Bass. An diesem Abend bildet der Song den Hintergrund für Pattis improvisierte Würdigung der Wahl Barack Obamas ins Weiße Haus, erleichtert und dankbar ist sie, ermuntert uns aber, die Regierung stets zur Verantwortung zu ziehen.

Darauf folgt eine saukomische, ziemlich anarchische Interpretation von »Auld Lang Syne«, bei der Lenny Kaye, Pattis Gitarrist, Majordomus und Bandgefährte aus den frühen Tagen, versucht, die Musiker zum Chorgesang zu animieren. Er gibt endgültig auf, als Patti den Text abändert (»What the hell / does lang syne mean? / What the hell does it / mean«) und alle, Band wie Publikum, in frenetisches Kichern ausbrechen. Vielleicht ist es nicht das, was die meisten Leute von der »Godmother of Punk« erwarten, aber eigentlich bietet der Abend ein perfektes Beispiel für das typische Patti-Smith-Live-Erlebnis: Sie erzeugt intensive Momente von Gemeinsamkeit und Rock’n’Roll-Ekstase, nur um im nächsten Augenblick einen Witz zu erzählen oder eine selbstironische Bemerkung zu machen. Sie erinnert uns daran, dass unsere Füße noch immer den Erdboden berühren.

Als Zugabe spielt die Gruppe den Motown-Klassiker »Reach Out (I’ll Be There)« von den Four Tops, und mittendrin erklärt Patti: »Wir müssen uns beeilen, weil noch eine Band kommt, wir werden also nicht von der Bühne gehen, euch klatschen lassen und dann wiederkommen. Das wäre Zeitverschwendung, also spielen wir jetzt noch einen Song. Frohes neues Jahr.« Sie entschuldigt sich, falls sie ein bisschen daneben wirke, aber es sei sehr heiß und dampfig auf der Bühne.

Jedem Künstler und jeder Künstlerin wäre es an dieser Stelle nachgesehen worden, den Auftritt schön sachte ausklingen zu lassen. Aber hier geht es um Patti Smith, und meiner Erfahrung nach macht Patti Smith keine halben Sachen. Ihre Band reagiert also mit einem tiefen, vibrierenden Grollen als Untermalung von Pattis leidenschaftlicher Beschwörung, 2009 möge ein besseres Jahr werden, in dem wir unseren Präsidenten unterstützen müssten, von dem wir eine Menge erwarten könnten. Drummer Jay Dee Daugherty (»Mein einziger Drummer«, erinnerte uns Patti ein Jahr zuvor, als sie in die Rock & Roll Hall of Fame aufgenommen wurde) bearbeitet sein Schlagzeug mit der für ihn typischen klaren, martialischen Wildheit, und die ersten Takte von »Rock N Roll N**r« ertönen, ein Song von ihrem dritten Album Easter und eine nicht untypische Wahl für diesen Zeitpunkt der Show. (Ich werde an dieser Stelle nicht erklären, warum dieses Lied immer noch gespielt wird; das kommt später.)

Die Worte des Songs kann ich nicht mitsingen, aber ich kann in seinem psychedelischen Punksound schwelgen, dazu mit meinen Freunden rumspringen und dankbar sein, dass ich das hier erleben darf, neunundzwanzig Jahre nachdem ich Patti Smith zum ersten Mal live gesehen habe, neunundzwanzig Jahre nachdem sie den Rock’n’Roll an den Nagel hängte, um zu heiraten und eine Familie zu gründen, dreizehn Jahre nachdem sie zurückkehrte zum »Familiengeschäft«. Als sie uns 1979 verließ, hätte ich nicht gedacht, dass wir sie noch mal zu Gesicht kriegen. Mit Sicherheit aber hätte ich niemals erwartet, dass sie im Alter von einundsechzig Jahren mit der elektrisierenden Energie und Begeisterung ihrer jungen Jahre zurückkommt.

Während der Bridge, Patti haut in die Saiten ihrer Fender Duo-Sonic, tritt sie mit folgender Botschaft ans Mikrofon: »Ich wünsche euch ein frohes neues Jahr! Arbeitet hart! Habt keine Angst zu arbeiten! Habt keine Angst zu scheitern! Habt keine Angst, wenn das Geld mal knapp ist! Habt keine Angst vor Brot und Wasser! Es wird besser! Habt keine Angst!«

Augenblicklich erstarre ich, es ist, als würde sie direkt zu mir sprechen. Ich habe einen Roman geschrieben und einen Agenten davon überzeugen können, der gerade versucht, einen Verlag dafür zu finden. Eine Absage nach der anderen. Mein Agent meint, das sei in Wahrheit ein gutes Zeichen, und dass ich »einfach« noch einen schreiben solle. Das tue ich nun tatsächlich (und werde dann noch einen dritten und einen vierten schreiben). Es ist ein hartes und einsames Unterfangen, ich habe meinen Nine-to-five-Job und schreibe zusätzlich in jeder freien Minute an meinem Buch. Beim Konzert von Patti Smith bin ich aus denselben Gründen wie immer – ich habe jedoch nicht damit gerechnet, hier etwas zu bekommen, was einem Wink des Universums ähnelt.

Das ist wahrscheinlich der Moment, als ich zum ersten Mal daran denke, ein Buch über sie zu schreiben.

Patti Smith war und ist bis heute eine Heldin, eine Göttin, eine Feldmarschallin, eine Heilige. Sie war außerdem früher ein merkwürdiges dünnes Kind aus South Jersey. Sie hätte aber auch von jedem anderen Fleck auf diesem Planeten stammen können; in ihren Ecken und Kanten, in ihrer Unfähigkeit, sich an die »normale« Welt anzupassen, erkannten wir uns selbst. Aber anstatt sich verstohlen durch diese Welt zu schleichen, bestand sie darauf, gesehen und gehört zu werden.

Für diejenigen unter uns, die sich in der Gegenwart von Büchern wohler fühlten als in der von Menschen, machte Smith die Literatur und das Lesen nicht nur erstrebenswert, sondern alternativlos. Ihre ersten Streifzüge in die Welt öffentlicher Auftritte unternahm sie mit ihren Gedichten. Sie verehrte Arthur Rimbaud genauso sehr wie Bob Dylan. Dank ihr wurden Jean Genet, William Blake und Allen Ginsberg zu Interviewthemen. Sie betrachtete sich selbst als nächste Sprosse dieser Leiter, und es war ihr vollkommen ernst damit. Noch heute trägt Patti auf der Bühne Gedichte vor.

Als sie sich in den Siebzigerjahren dazu entschied, es mit dem Rock’n’Roll zu versuchen, gab es einen echten Mangel an starken weiblichen Vorbildern in der Popmusik, besonders an solchen, die sich nicht in die gängigen Normen weiblicher Schönheit einfügten. Punkrock gab uns das Gefühl, genau das tun zu können, was die Künstlerinnen und Künstler da oben auf der Bühne taten. Mit Patti Smith eine Frau zu erleben, die nicht nur Sängerin war, sondern die Band anführte, deren Name auf der Eintrittskarte und auf dem Albumcover stand, war ein Silberstreif am Horizont. Dass sie weder auf Make-up noch auf kunstvoll frisierte Haare besonders viel Wert legte und auf der Bühne trug, was sie wollte, war keine Kleinigkeit für diejenigen unter uns, die versuchten, sich einen Weg durch eine Welt aus Blumenkleidern und knallengen Jeans zu bahnen, die Teenager-Must-haves der Siebziger.

Patti Smiths Einfluss lässt sich über die Jahrzehnte nachzeichnen, wenn sie auch allzu reflexartig als Referenzgröße für jede selbstbewusste Frau in der Musik herangezogen wird. Aber sie ist und bleibt prägend für Generationen von Musikerinnen und Musikern. Michael Stipe. Florence Welsh. Ted Leo. PJ Harvey. Eddie Vedder. Carrie Brownstein, Janet Weiss und Corin Tucker von Sleater-Kinney. Alle Bandmitglieder von U2. Margo Price. Shirley Manson. Sonic Youth. Courtney Love. The Smiths. Bikini Kill. Penelope Houston. The Raincoats. Und diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Wenn Patti bei einem Festival spielt, egal wo auf der Welt, dann sind auch immer zahlreiche Musikerinnen und Musiker im Publikum. Und sie sind genauso aufgeregt wie alle anderen Zuschauer.

Dieses Buch trägt den Titel Why Patti Smith Matters, und das bereits Gesagte reicht fast aus, um zu erklären, warum. Das Buch wäre jedoch noch sehr viel dicker, wollte man ihren generationenübergreifenden Einfluss ausführlich würdigen. Oder ihre bahnbrechende, revolutionäre Punk-Karriere. Die Werke, die auf ihre Rückkehr ins Musikgeschäft nach dem Tod ihres Mannes folgten. Ihre Gedichte. Ihre literarischen Erfolge (Smith bemerkte 2019: »Früher kamen die Leute auf mich zu und dankten mir für Horses, heute danken sie mir für Just Kids1«). Ihre Beiträge zu Filmsoundtracks. Ihr soziales Engagement. Die unzähligen Freunde, Kolleginnen und Förderer, für deren Arbeit sie sich auf unterschiedlichen Wegen stark macht. Ihre Gastauftritte und ihre bildende Kunst. Patti öffnet sich fortwährend neuen Ausdrucksformen: Vor einigen Jahren hat sie sich mit dem Soundwalk Collective zusammengetan, einer experimentellen Sound-Truppe, zu deren Field Recordings sie obskure Texte vortrug. Sie hat fast eine Million Follower bei Instagram, wo sie in einem täglichen Stream of Consciousness darüber berichtet, was sie gerade liest, wer Geburtstag hat und woran sie zurzeit arbeitet. Im Frühjahr 2021 launchte sie einen Newsletter mit tagebuchähnlichen Einträgen und serienartig aufbereiteten Informationen zu aktuellen Projekten, inklusive Audiokommentar.

Dieses Buch ist weder eine Biografie noch eine Heiligengeschichte. Es ist ein Buch über Patti Smiths Arbeit. Denn genau darum geht es, um den Stellenwert, den sie der Arbeit im Schaffensprozess beimisst. Auf dem Flugblatt, das ihren allerersten Auftritt in der St. Mark’s Church in New York 1971 ankündigte, stand: Gerard Malanga: POETRY. Patti Smith: WORK. Das letzte Wort war kein Zufall, sondern bewusst gewählt. Patti sagte einmal, sie hoffe, auf ihrem Grabstein werde dereinst stehen, sie sei eine Arbeiterin gewesen; ihre Auftritte bezeichnete sie immer als »Jobs«. Das macht sie einzigartig, denn über Arbeitsaufwand zu sprechen und ihn anzuerkennen gilt gemeinhin nicht als »cool«. Ein weiteres Beispiel für die Art von Entmystifizierung, die seit jeher zu den Glaubenssätzen des Punkrock gehört. Bei den ersten Auftritten der Patti Smith Group rief sie dem Publikum immer zu: »Wenn wir das nächste Mal hier spielen, dann kommt nicht zu uns. Seid in einem anderen Club und spielt selbst.«

Patti Smith hat immer gearbeitet. Sie tut es noch. Sie hat nie damit aufgehört, und es ist unwahrscheinlich, dass sie es in absehbarer Zeit tun wird. 2020 erzählte sie der Zeitschrift Interview: »So sehe ich mich selbst, als Arbeiterin. Das Schöne daran ist, dass du bis ans Ende deiner Tage eine Arbeiterin sein kannst! Ich muss mich also niemals zur Ruhe setzen. Ich werde immer eine Arbeiterin sein.«2

Dies ist das erste Buch über Patti Smith, das eine Frau geschrieben hat. Das ist nicht unwichtig, selbst wenn die Künstlerin, um die es darin geht, sich nicht dafür interessiert, ob sie als weiblich wahrgenommen wird. Sie ist eine großartige Künstlerin, Punkt. Und es ist höchste Zeit, ihre Kunst außerhalb des männlichen Blickwinkels zu interpretieren.

– 1 – DREIAKKORDEUNDDIEMACHTDESWORTES

Am 10. Februar 1971 betrat Patti Smith das Podest in der St. Mark’s Church, ein Bündel Papiere in den Händen. Sie war die erste Dichterin des Abends, sozusagen der Support Act, bei der wöchentlich stattfindenden Lesung des Poetry Projects. An jenem 10. Februar stand außerdem noch Gerard Malanga, bekannt aus der Warhol-Factory, auf dem Programm. Smith hatte bereits seit ihrer Teenagerzeit Gedichte geschrieben – ihr Fanclub sollte später regelmäßig Stücke davon abdrucken, die noch während der Highschool-Jahre entstanden waren, zur Verfügung gestellt von Pattis Mutter. Es war eins von vielen künstlerischen Ausdrucksmitteln, die sie seit ihrer Ankunft in New York City 1967 ernsthaft verfolgte.

»Diese Lesung ist dem Verbrechen gewidmet!«, rief sie nach ihrer ersten Nummer, die sie zu »meiner Version« von Kurt Weills und Bertolt Brechts »Mack the Knife« erklärte. Der Grund dafür, so verriet sie dem Publikum, bestand in der Tatsache, dass es Brechts Geburtstag war.1 Und es war ihre Version, weil die Texte nur schwach ans Original erinnerten. Aber »Mack the Knife« wärmte dank seiner Vertrautheit und der humorvollen Interpretation des Textes das Publikum auf und bewegte das Ganze für die nächste halbe Stunde in die von Patti erhoffte Richtung.

Sie las Texte über den Teufel, über Diebe, Jesse James, den Tod, verlorene Liebe und gesetzloses Verhalten. Es war ihr Plan, alles ein bisschen aufzumischen und vor allem bloß nicht langweilig zu sein. Der Dichter Gregory Corso, Pattis Mentor, beschwerte sich oft über langweilige Lyriklesungen. Sie erinnerte sich, wie sie einmal mit ihm beim Poetry Project war und er dazwischenrief: »Blutleer! Hol dir ’ne Transfusion!« In ihrem Buch Just Kids von 2010 schreibt sie: »Ich nahm mir fest vor, niemals langweilig zu sein, sollte ich eines Tages meine eigenen Gedichte vorlesen.«2

Und damit dies ja nicht passierte, ließ sich Patti bei vier Texten von einem schlaksigen, bebrillten Typen mit E-Gitarre begleiten, auch wenn es sich hierbei nicht um Songs handelte (abgesehen vielleicht von Brecht, aber auch dieser Text wurde weniger gesungen als vielmehr verkündet). Die Gitarre sollte lediglich als Background-Element dienen. Das wurde am deutlichsten beim letzten Vortrag, »Ballad of a Bad Boy«. Ein Stück, bei dem ich mir immer Edgar Allan Poe als Punkrocker vorstelle, der über ein Stock-Car-Rennen schreibt. Der Gitarrist war ein Musikkritiker, Gelegenheitsmusiker und Plattenverkäufer namens Lenny Kaye, den Patti angehauen hatte, nachdem ihr ein Artikel von ihm über Doo-Wop-Musik in die Hände gefallen war. Dieser Artikel gab ihr das Gefühl, dass sie in Lenny vielleicht einen Seelenverwandten gefunden hatte. Und so war es auch. Die zwei wurden Freunde und verbrachten so manchen Samstagabend damit, im leeren Plattenladen auf der Bleecker Street zu Rock’n’Roll-Scheiben zu tanzen. Patti wusste, dass Lenny Gitarre spielte, und nachdem ihr ein Freund vorgeschlagen hatte, sie solle ihre Gedichte mit Musik untermalen, fragte sie ihn, ob er seine Gitarre wie einen Autounfall klingen lassen könne. Er sagte Ja. Also übten die beiden ein paarmal in Pattis Apartment in der 23rd Street, ohne zu wissen, dass dies der Anfang einer Freundschaft und musikalischen Partnerschaft sein sollte, die Jahrzehnte überdauern würde.

Das Herzstück von Pattis Auftritt in der St. Mark’s Church aber war ein Gedicht mit dem Titel »Oath«. Die ersten Zeilen lauten »Jesus died for somebody’s sins / but not mine«. Zeilen, die später für »Gloria« genutzt werden sollten, einen ihrer bekanntesten Songs. Im Februar 1971 war diese Unabhängigkeitserklärung also erst mal nur ein Gedicht. Wie Patti im Jahresrhythmus erklärt, soll »Gloria« keine Ablehnung von Jesus darstellen, sondern vielmehr ihren Wunsch ausdrücken, für ihre Schwächen und Fehler selbst Verantwortung zu übernehmen. Sie folgte ihren eigenen Regeln, indem sie zum Beispiel eine E-Gitarre zum Poetry Project mitbrachte. Eine ähnliche Untat hatte Bob Dylan 1965 begangen, als er beim Newport Folk Festival mit einer Rock’n’Roll-Band aufschlug. »Weil dies die heiligen Hallen der Dichtkunst waren, lehnten manche das ab«, erklärte Patti und berichtete von »Beifall und Buhrufen«.3 Auch wenn sie die Verbindung zu Bob Dylans Verwendung von E-Gitarren nie ausdrücklich erwähnt hat, gibt es keinen Zweifel daran, dass ihr diese Parallele als treue Dylan-Anhängerin durchaus bewusst war.

Dank Brigid Polk gibt es eine überraschend gute Aufnahme von diesem Auftritt; der Warhol-Superstar nahm nämlich gerne ein Aufnahmegerät mit zu Konzerten und anderen Events.4 Patti hört sich aufgeregt, überdreht, nervös und glücklich an. Ihr South-Jersey-Akzent ist noch nicht ausgewaschen; sie klingt durchaus ähnlich wie heute, nur mit höherer Tonlage und emotionaler Frequenz. Sie kommt auf die Bühne, verhaspelt sich, entschuldigt sich dafür (etwas, was noch heute mit charmanter Regelmäßigkeit passiert), bittet um Geduld. Vor allem aber trägt sie ihre Stücke mit Energie und Elan vor, und diese Stücke – ihre Lyrik – sind stark. Da ist »Oath«, und da ist »Picture Hanging Blues«, eine Art Ballade aus der Sicht von Jesse James’ Freundin, noch immer ein Publikumsliebling. Patti trägt »Fire of Unknown Origin« vor, später der Titel eines Albums von Blue Öyster Cult.

Und dann kommt »Ballad of a Bad Boy«. Diese Performance sticht aus der Aufnahme von 1971 hervor. Es ist das letzte Gedicht ihres Auftritts, Erleichterung schwingt in ihrer Stimme mit. Sie wirkt ein wenig lockerer, erlaubt sich etwas mehr Haltung, kanalisiert ihre Energie. Das Ergebnis ist ein gefühlvoller Sound, der verspielter klingt als der Rest und den Eindruck vermittelt, dass sie endlich Spaß da oben hat. Patti widmet das Gedicht dem Dramatiker Sam Shepard, zu dieser Zeit ihr Partner und derjenige, für den sie das Stück geschrieben hat. Er sitzt auf der Kirchenempore.

Sam ist es auch gewesen, der Patti vorschlug, Musik bei ihren Lesungen einzusetzen, und kurz nach diesem Auftritt schenkt er ihr eine Gitarre (die alte hat sie an ihre Schwester Kimberly weitergegeben), die Patti fortan ihre »wahre Gitarre« nennen wird (sie hat sie noch heute). Eine 1931er Gibson-Akustikgitarre, der sie den Namen »Bo« gibt.5

Patti Smith hat die traditionelle lyrische Form nie komplett verworfen, kreierte aber ihre ganz eigene, indem sie die Energie und die Aufbruchsstimmung des Rock’n’Roll mit der Mystik der Symbolisten verband.6 Die Philosophie des Symbolismus, der unter anderen Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud, Paul Verlaine und Gérard de Nerval nahestanden, ist im Grunde genau das, wonach es sich anhört: Alles wird mit Symbolen dargestellt.

Nun ist es nicht so, dass Patti Smith die erste Lyrikerin oder Rock’n’Roll-Poetin gewesen wäre, die sich dieser Methode bediente. Es sind vielmehr ihre Herangehensweise, ihre Themenwahl, ihre Art des Vortrags, ihre Formulierungen und der Einsatz ihrer Stimme, die sie so einzigartig machen. Und auch die Tatsache, dass hier eine Frau am Werk war, ist nicht unerheblich. Ich frage mich, was gewesen wäre, wenn eine Frau Dylans episch-symbolistisches Stück »Desolation Row« geschrieben hätte, und wie das die Welt hätte verändern können.7 In der Tradition des Symbolismus stehen auch weitere von Smiths Stücken, etwa »Land«, »Break It Up« oder »Birdland«. Alles Songs, bei denen einen das Metaphorische und Symbolhafte förmlich anspringt.

»Die Atmosphäre war extrem aufgeladen«, schrieb Patti später über diesen Tag im Jahr 1971, und das ist keine Übertreibung.8 Ihre Arbeit, ihr Leben, ihre Karriere, ihr Beitrag zur Kultur – alles nahm hier seinen Anfang und dehnte sich von dort unaufhaltsam und immer weiter aus.

Patricia Lee Smith wurde am 30. Dezember 1946 während eines Schneesturms in Chicago geboren. Sie war das erste Kind ihrer Arbeitereltern Beverly und Grant, ihr Vater hatte gerade die Army verlassen. Später zogen die Smiths von Chicago nach Philadelphia und von Philly weiter in die stetig wachsenden Vororte auf der anderen Seite des Delaware River in South Jersey. Sie ließen sich in einer Stadt namens Deptford nieder, wo die Häuser auf ehemaligem Farmland standen, in unmittelbarer Nähe zu Steinbrüchen, Sümpfen und verwilderten Obstplantagen. Nachts hörte man Grillen und Wildschweine und andere für Stadtkinder geheimnisvolle und fremdartige Geräusche. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Haus der Smiths, lag ein Gehöft namens Hoedown Hall, auf dem man sich jede Woche zum Squaredance traf. Heute ist South Jersey das Land der Shoppingcenter, damals jedoch war es ein ganz eigener Ort und nicht bloß die gesichtslose Erweiterung einer Großstadt.

Grant Smith arbeitete in den örtlichen Fabriken, während Beverly in einem Diner kellnerte und dort ihren Kartoffelsalat servierte, für den die Gäste jeden Umweg in Kauf nahmen. Patti bekam noch drei Geschwister: Todd, Linda und Kimberly. Um ihre vier Kinder durchzubringen, machten ihre Eltern oft Sonderschichten und überließen Patti Lee das Kommando zu Hause. Heute mag das verrückt klingen, aber in den Fünfzigern war dieses Szenario nichts Ungewöhnliches. Die ältesten Kinder, vor allem die ältesten Töchter, fanden sich oft in der Rolle der Aufpasserin, Rädelsführerin und Beschützerin wieder. Patti übernahm all diese Pflichten für ihren Bruder und ihre Schwestern. Sie erzählte Geschichten und erfand Spiele, basierend auf den Büchern, die sie haufenweise verschlang. Und sie brachte alle in Sicherheit, als auf Hoedown Hall eines Nachts ein Feuer ausbrach. Mit ihrer jüngsten Schwester im Arm, die damals noch ein Baby war, rannte Patti aus dem Haus und sah zu, wie die Flammen hoch in den Himmel züngelten – dieser Anblick inspirierte sie zu dem Song »Kimberly« auf ihrem ersten Album.

Pattis Dad war kein religiöser Mann. »Mein Vater war ein Suchender«, so beschrieb sie ihn einmal.9 Grant interessierte sich für esoterische Dinge, die ihm halfen, die Welt zu verstehen. Und er teilte diese wissbegierige Natur mit seinem ältesten Kind, das häufig neben seinem Vater stand, wenn dieser den Himmel über Hoedown Hall nach Ufos absuchte. Beverly war Anhängerin der Zeugen Jehovas, und Pattis Neugierde in Bezug auf Gott, Gebet und die Seele brachten sie dazu, ihr zu folgen – bis sie älter wurde und herausfand, dass die Zeugen moderne Kunst für Frevel hielten und meinten, dass es für so etwas keinen Platz im Himmel gäbe.

Das Haus der Smiths war voll von Büchern und Musik. Rock’n’Roll, Opernmusik, Klassik. Und die junge Patti fand darin, angeregt durch ihre Eltern, eine Zuflucht. »Wir waren eine sehr offene Familie, und all diese Dinge stellten für uns einen Ort des Staunens dar«, erzählte sie 2015.10 Ihre Mutter las ihr aus der Bibel und aus Tausendundeine Nacht vor; beide Bücher entfachten eine unbändige Leselust in Patti. Das war genau die Art Stoff, die dem schlauen, neugierigen Kind Futter gab und in schwachen und unsicheren Momenten einen Halt bot.

Patti Lee war außerdem eines dieser Kinder, die von ihren Eltern hinter vorgehaltener Hand als »kränklich« bezeichnet wurden. Jedes Frühjahr bekam sie die Grippe und litt darüber hinaus an allen Kinderkrankheiten jener Zeit. Masern, Mumps und Windpocken, dazu Lungenentzündung, Tuberkulose, Röteln und Scharlach. Als Patti Scharlach bekam, gehörte die Krankheit zwar nicht mehr zu den häufigsten Todesursachen bei Kindern, fesselte sie aber daheim ans Bett, wo sie unter hohem Fieber und Halluzinationen litt. Später machte Patti dieses Scharlachfieber dafür verantwortlich, dass sie eine Art Zweites Gesicht entwickelte. Andererseits gehörte sie schon vorher zu der Sorte von Kindern, die Lehrer oft als »sensibel« beschreiben oder regelmäßig für »übermäßige Tagträumerei« tadeln. Sie litt auch an chronischer Schlaflosigkeit – nachts starrte sie aus dem Fenster und suchte nach Raumschiffen und Feen, während sie lange Gespräche mit Gott führte. »Nachts Gott zum Reden zu haben war schön.«11

Als Leidensgenossin in puncto Schlaflosigkeit blieb ich als Teenager selbst häufig bis spät in die Nacht wach. Ich setzte mir Kopfhörer auf, hörte ihr und den anderen Vertretern der neuen Garde zu, plante meine eigene Flucht und vertraute darauf, dass ich eines fernen Tages »meine Leute« finden würde.

»Niemand hat mit mir gerechnet. Alles hat auf mich gewartet.«12 Mit diesen knappen Worten beschrieb Patti Smith ihre Ankunft in New York City am 3. Juli 1967, im Alter von damals zwanzig Jahren. Mit einem langen grauen Regenmantel sowie einem Rollkragenpulli bekleidet und einem kleinen Koffer in der Hand stieg sie in Philadelphia in den Bus zum Port Authority. Sie suchte nach Gemeinschaft, sie wollte wissen, ob sie das Zeug zur Künstlerin hatte, vor allem aber wollte sie Arbeit finden. Sie hatte ihren Fabrikjob verloren und stand auf der Warteliste bei zwei anderen örtlichen Fabriken. Sie wusste, New York war voll von Buchläden, und wenn es schon ein anständiger Beruf sein musste, dann hoffte sie auf Arbeit an einem Ort, wo sie von ihren geliebten Büchern umgeben war.

Die wenigen Freunde, die Pattis progressive Sicht auf die Welt teilten, waren schon in Richtung Big Apple aufgebrochen, um sich bei der Kunsthochschule des Brooklyn Pratt Institute einzuschreiben. Und auch wenn sich Pattis Eltern, gemessen an der Zeit und der Gegend, in der sie lebten, sehr aufgeschlossen zeigten – es waren immer noch die Sechzigerjahre und die Karrieremöglichkeiten von Frauen (insbesondere aus der Arbeiterklasse) beschränkt.

Pattis Vater befürchtete, seine älteste Tochter könnte nicht hübsch genug sein, um jemals zu heiraten, und dachte, »der Lehrberuf gewährleiste […] Sicherheit«13. Auf sein Drängen hin besuchte Patti das College, um Lehrerin zu werden, musste es aber wieder verlassen, als sie mit neunzehn schwanger wurde.

Es mögen die Sixties und der Summer of Love gewesen sein, aber in South New Jersey war Patti gezwungen, ihr Elternhaus gegen Ende ihrer Schwangerschaft zu verlassen und woanders unterzukommen, um ihren Eltern die gesellschaftliche Schmach zu ersparen, die eine unverheiratete schwangere Tochter mit sich brachte. Sie entschied sich, das Baby zu bekommen und es zur Adoption freizugeben. Aber selbst dann, das war ihr klar, würde sie nicht genug Geld haben, um weiter studieren zu können. Und abgesehen davon wollte sie sowieso keine Lehrerin werden. Wie so viele Menschen vor ihr machte sie sich also auf den Weg nach New York City, auf der Suche nach Arbeit, aber auch auf der Suche nach etwas, das ihre Bestimmung sein könnte. Sie wusste nicht genau, was das sein oder wie es sich ihr zeigen würde, aber sie war mit dem unerschütterlichen Glauben aufgebrochen, dass es irgendwo da draußen auf sie wartete.

In New York angekommen, spürte Patti ihre Freunde auf und zog fortan von Couch zu Fußboden, immer bedacht, die Gastfreundschaft nicht überzustrapazieren. Wenn das einmal nicht funktionierte, improvisierte sie, schlief auf dem Flur des Pratt Institute, in der U-Bahn, auf Friedhöfen. Damals war New York eine andere Stadt, eine, die die Welt längst aufgegeben hatte. Auch ich bin ein Kind der Vorstadt, also glaube ich ihr sofort, wenn sie erzählt, dass sie sich nachts im Central Park neben der Alice-im-Wunderland-Statue sicherer fühlte als auf einem verlassenen Feldweg in der Nähe ihres Elternhauses. Ich kam zum ersten Mal 1974 mit meiner Familie in die Stadt, und es wirkte so, als wären weite Teile davon – besonders südlich der 34th Street – der kompletten Verwahrlosung preisgegeben worden. 1974 waren wir noch ein Jahr entfernt von der berühmten Schlagzeile der New York Daily News, in der es hieß: »FORDTOCITY: DROPDEAD«. Aber als Patti in den späten Sechzigern in New York ankam, befand sich die Stadt bereits in der Abwärtsspirale, die sie fast in den Bankrott führen sollte. All das begünstigte eine Umgebung, in der man sich verlieren und/oder neu erfinden konnte. Niemanden interessierte das. Niemand sah zu.

Es gibt eine großartige Passage in Just Kids, in der Patti beschreibt, wie es sich anfühlte, an der Schwelle zum Wassermannzeitalter in Greenwich Village zu sein. »Es war der Sommer, in dem Coltrane starb. Der Sommer von ›Crystal Ship‹ […] Jimi Hendrix zündete in Monterey seine Gitarre an […] Es war der Sommer, in dem ich Robert Mapplethorpe kennenlernte.«14 Patti zuzuhören, wie sie diese Passage bei einer Lesung oder einem Konzert vorträgt, ist immer wunderbar. Es ist eins der vielen Mittel, mit denen sie den Spirit ihres Freundes lebendig hält. Sie liest ihre eigenen Worte jedes Mal mit Enthusiasmus und Freude vor und trägt extra dick auf, was das Ganze besonders liebenswert macht. Manchmal erinnert sie mich an Cloris Leachman in Young Frankenstein (Frankenstein Junior, 1974), die verkündet, Dr. Frankenstein sei »My boyfriend!« gewesen.

Robert Mapplethorpe, heute bekannt als einer der einflussreichsten Fotografen und bildenden Künstler des späten 20. Jahrhunderts, war 1967 ein wankelmütiger Student, der gegen seine streng katholische Herkunft rebellierte und von seiner Bestimmung überzeugt war, ein großer, erfolgreicher Künstler zu werden.

Robert begegnete Patti Smith zum ersten Mal, als sie auf der Suche nach ihren Freunden in ein Apartment in Brooklyn kam, das inzwischen aber Robert bewohnte. Beim nächsten Mal kam er in den Buchladen, in dem sie arbeitete. Beim dritten Mal reichte es den Göttinnen, und sie gaben den beiden einen ordentlichen Schubs: Patti hatte ein Blind Date mit einem älteren Mann, der versuchte, sie in seine Wohnung zu bugsieren, um ihr seine »Kunstsammlung« zu zeigen, während Robert auf LSD ziellos durchs East Village wanderte. Patti lief auf ihn zu und bat ihn, ihren Freund zu spielen und sie damit aus der brenzligen Situation zu retten. Sie erkannten, dass sie beide Suchende waren, verwandte Seelen in ihrem Streben nach Kunst. Und so begann eine kreative Verbindung, eine romantische Partnerschaft und eine hingebungsvolle Freundschaft, die Smith später in wunderschönen, atmosphärischen Worten für Just Kids aufzeichnen würde.

Das Chelsea Hotel liegt an der 222 West 23rd Street. Das einst prächtige denkmalgeschützte Gebäude mit seinen zwölf Stockwerken, der terrakottafarbenen Backsteinfassade und den schmiedeeisernen Verzierungen ist eine Erscheinung und nimmt drei Viertel des Blocks zwischen 7th und 8th Avenue ein.15 Jahrzehntelang diente das Chelsea als Hafen für Bohemiens, als Zufluchtsort für Schriftsteller, Tänzerinnen und Künstler jeglicher Couleur, und es war noch immer sehr angesagt, als Patti Smith und Robert Mapplethorpe im Sommer 1969 dort landeten.

Patti entschied sich für das Hotel, weil sie völlig abgebrannt waren, es Robert gesundheitlich schlecht ging und sie gehört hatte, dass man dort die Miete mit Kunst bezahlen könne. Die Menschen, die Patti und Robert im Chelsea oder über das Chelsea kennenlernten, sollten sich als wegweisend für beider Leben und Karrieren herausstellen. Und die Zeit, die sie dort verbrachten, trug am Ende zum stolzen Erbe des Hotels als kosmischem Schmelztiegel bei. Zu Beginn jedoch waren sie lediglich zwei hungrige (im wörtlichen wie im übertragenen Sinn) Kunstschaffende, die versuchten, über die Runden zu kommen.

Patti liebte es, unten in der Lobby zu sitzen und das Kommen und Gehen der Menschen zu beobachten. Die Bewohner, die mit der Miete im Rückstand waren und versuchten, sich unbemerkt hineinzuschleichen, die Neuankömmlinge, die Besucherinnen und die flüchtigeren Gäste, die das Hotel, nun ja, als Hotel nutzten. Hier in der Lobby traf sie auf den Archivar Harry Smith, von hier aus begleitete sie den angeschickerten William Burroughs hinaus zu seinem Taxi, wo Bob Dylans Kollege und Vertrauter Bob Neuwirth sie fragte, was sie so schrieb. Neuwirth stellte Smith anderen Musikern und Musikerinnen als »die Dichterin« vor, und unter seiner Obhut lernte sie die große Janis Joplin kennen, für die sie später auch einen Song schreiben sollte. Als Patti ihn nach Woodstock begleitete, wo The Band gerade aufnahmen, traf sie dort Musikwunderkind und Produzent Todd Rundgren.

Diese besondere Atmosphäre der gegenseitigen Inspiration und Unterstützung im Chelsea schloss auch banalere Bedürfnisse ein. Im Zimmer nebenan lebte die Filmemacherin Sandy Daley und erlaubte Patti, jederzeit bei ihr zu duschen, damit sie nicht die Gemeinschaftsdusche auf dem Flur benutzen musste. Für Robert war die Begegnung mit Modedesigner Bruce Rudow, einem weiteren ständigen Bewohner des Chelsea, von größtem Nutzen; Rudow gab ihm hilfreiche Ratschläge, wie sich Kunst und Mode miteinander verbinden ließen. Aber auch Rudows Einfluss auf Patti war riesig, denn er stellte sie später ihrer ersten Managerin Jane Friedman vor. All diese Begegnungen verwoben sich nach und nach zu einem Netz aus Kontakten und Verbindungen, die Patti ihren Weg nach oben ebnen sollten.

An der Innenseite von Pattis linkem Knie befindet sich ein schlichtes Tattoo, ein kleiner Blitz. Sie bekam es von der australischen Künstlerin Vali Myers, in einem dieser typischen kosmischen Momente, wie es sie nur im Chelsea von damals gab: Patti saß gerade an ihrem üblichen Platz in der Lobby und zeichnete an ein paar Ideen für ihr Tattoo herum, als Vali hereingerauscht kam, mit einem lebenden Fuchs im Arm. Patti kannte sie aus Love on the Left Bank, einem Buch aus den Fünfzigern, welches das Leben der Boheme in Paris dokumentierte. Sie fragte, ob sie ihr ein Tattoo stechen würde, und Vali tat es.

Diese Anekdote ist aus vielen Gründen interessant: Vali war eine Vertreterin der organischen, fantastischen Kunst, ihre Werke wurden von Menschen wie Salvador Dalí in höchsten Tönen gelobt; Sandy Daley hielt die Tattoo-Aktion für die Nachwelt fest (kurz zuvor hatte sie gefilmt, wie Robert Mapplethorpe sein Brustwarzen-Piercing bekam); Sam Shepard ließ sich darauf ebenfalls ein Tattoo stechen, einen Halbmond zwischen Daumen und Zeigefinger. Aber die wirkliche Bedeutung von Pattis Tattoo liegt in der Wahl des Motivs. Die Idee dafür kam aus einem Buch über einen Krieger der Oglala-Lakota namens Crazy Horse, das sie gerade gelesen hatte. In Just Kids