Wie Arbeit glücklich macht - Prof. Dr. Claas Lahmann - E-Book

Wie Arbeit glücklich macht E-Book

Prof. Dr. Claas Lahmann

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Beschreibung

LOVE IT, CHANGE IT OR LEAVE IT! Zufrieden und mit beiden Beinen fest im Job und im Leben stehen? Wie das gelingt, erklärt der Arzt und Forscher Prof. Dr. Claas Lahmann in drei einfachen Schritten nach dem Prinzip: Love it, change it or leave it. Erfahren Sie, was es für ein gesundes Arbeitsumfeld wirklich braucht und wie Sie Ihren Arbeitsalltag oft schon mithilfe kleinster Tricks und Kniffe dauerhaft verbessern können. Anhand von Fallbeispielen aus der eigenen Praxis und neuer Forschung aus der Arbeitspsychologie zeigt Claas Lahmann, wie Sie auch schwierige oder belastende Arbeitssituationen selbstwirksam verändern und wie Sie aus einem krank machenden Hamsterrad aussteigen können. Dieses Buch navigiert Sie wie ein Kompass durch die moderne Arbeitswelt. LOVE IT Vertrauen, Kollegialität und motivierende Aufgaben: In diesem Buch erfahren Sie, was ein gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld ausmacht. CHANGE IT Raus aus dem Hamsterrad: Sie erhalten lebenspraktischen Rat und bewährte Lösungsansätze für eine konsequente Verbesserung Ihres Arbeitslebens und belastender Arbeitssituationen. LEAVE IT Niemand muss in einer belastenden Situation verharren: Sie lernen, einzuschätzen, wann es an der Zeit ist zu gehen, und wie die Entscheidungsfindung gelingt.

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Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Prof. Dr. Claas Lahmann • Kerstin Kropac

Wie Arbeit glücklich macht

und wann man darüber nachdenken sollte, den Job zu wechseln

 

 

 

Über dieses Buch

LOVE IT, CHANGE IT OR LEAVE IT!

Wie es gelingt, dass Sie zufrieden und mit beiden Beinen im Job – und im Leben – stehen, das erklärt der Arzt und Forscher Prof. Dr. Claas Lahmann in drei einfachen Schritten nach dem Prinzip: Love it, change it or leave it.

Erfahren Sie, was es für ein gesundes Arbeitsumfeld wirklich braucht und wie Sie Ihren Arbeitsalltag oft schon mithilfe kleinster Tricks und Kniffe dauerhaft verbessern können. Anhand von Fallbeispielen aus der eigenen Praxis und neuer Forschung aus der Arbeitspsychologie zeigt Claas Lahmann, wie Sie auch schwierige oder belastende Arbeitssituationen selbstwirksam verändern und wie Sie aus einem krank machenden Hamsterrad aussteigen können. Dieses Buch navigiert Sie wie ein Kompass durch die moderne Arbeitswelt.

LOVE IT

Vertrauen, Kollegialität und motivierende Aufgaben: In diesem Buch erfahren Sie, was ein gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld ausmacht.

CHANGE IT

Raus aus dem Hamsterrad: Sie erhalten lebenspraktischen Rat und bewährte Lösungsansätze für eine konsequente Verbesserung Ihres Arbeitslebens und belastender Arbeitssituationen.

LEAVE IT

Niemand muss in einer belastenden Situation verharren: Sie lernen, einzuschätzen, wann es an der Zeit ist zu gehen, und wie die Entscheidungsfindung gelingt.

Vita

Prof. Dr. Claas Lahmann ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Freiburger Universitätsklinik. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Frage, wie Arbeit uns krank machen kann. Als Arzt, Therapeut und Coach unterstützt er Menschen, die durch ein dauerhaft belastendes Arbeitsumfeld krank geworden sind, und berät Arbeitgeber, wie dies verhindert werden kann.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2025

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg 

Covergestaltung Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

ISBN 978-3-644-02080-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Was Menschen glücklich machen kann, ist das, was sie tun. Was sie meistens sauer macht, sind die Umstände, unter denen sie es tun müssen.

nach Frederick Herzberg, amerikanischer Arbeitspsychologe

Vorwort

In meiner Anfangszeit als Mediziner hatte ich einen Oberarzt, vor dem sich alle fürchteten. Er bewarf seine jungen Kolleginnen und Kollegen nicht nur regelmäßig mit Akten, meist schleuderte er ihnen auch noch abwertende Fragen hinterher – wie: «Waren Sie auf der Baumschule?» Oder: «Haben Sie überhaupt mal eine Uni von innen gesehen?» Die Betroffenen duckten sich weg und erduldeten seine Übergriffe. Zumindest habe ich nie erlebt, dass sich jemand gewehrt hätte. Als mir im vergangenen Jahr eine Patientin von solchen und ähnlichen Vorkommnissen an ihrem Arbeitsplatz erzählte, lautete meine erste Frage dann auch: «Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, die Situation zu verändern?»

Denn mittlerweile wissen wir: Es macht etwas mit uns, wenn wir uns am Arbeitsplatz dauerhaft schlecht fühlen. Schon der römische Kaiser Mark Aurel soll sinngemäß geschrieben haben: «Auf die Dauer nimmt die Seele die Farben der Gedanken an.» Das heißt: Was wir erleben, formt uns. Wir übernehmen und verinnerlichen negative Zuschreibungen, Gefühle und Erlebnisse, sie werden zu einer Wahrheit. Sie werden zu uns.

Die Gallup Organization, eines der weltweit größten Markt- und Meinungsforschungsinstitute, hat errechnet, dass ein Mensch in seinem Leben durchschnittlich 81396 Stunden mit oder bei der Arbeit verbringt. Nur fürs Schlafen nehmen wir uns – aufs Leben gesehen – mehr Zeit. Da überrascht es nicht, dass die Arbeit uns in besonderem Maße prägt. Im Französischen gibt es sogar eine Bezeichnung dafür: déformation professionnelle. Vermutlich kennen die meisten Menschen aus dem Bekanntenkreis gleich mehrere Beispiele, die das belegen. Mir fällt sofort ein Maler ein, der bei jedem Restaurantbesuch – trotz Kerzenlicht – nur auf die schlecht gestrichenen Wände achtet. Eine Freundin, die als Fernsehjournalistin arbeitet, zählt bei jedem Kinobesuch die Schnittfehler auf, mein sehr misstrauischer Patient, der in der IT-Abteilung eines Verlags arbeitet, wittert überall in der digitalen Welt Gefahren. Und einige Lehrkräfte, die den ganzen Vormittag anleiten, neigen dazu, nach der Arbeit weiterhin allen zu erklären, wie sie ihre Aufgaben zu erledigen haben.

Auch ich bin nicht davor gefeit: Meine erwachsene Tochter hat mir früher, wenn ich allzu verständig nachfragte, wie es ihr ginge, mehrfach vorgehalten: «Sprich nicht mit mir, als wäre ich deine Patientin!»

Unsere beruflichen Tätigkeiten prägen uns und unser Leben, und so hinterlässt es auch Spuren, wenn wir uns jeden Tag ins Büro quälen müssen und uns schon am Sonntag vor dem Montag graut. Fühlen wir uns ständig belastet, leidet die Psyche – und damit auch der Körper.

Die meisten Menschen glauben, dass eine starke körperliche Beanspruchung am Arbeitsplatz – wie beispielsweise schweres Schleppen – der größte Risikofaktor für die Gesundheit sei. Aber das stimmt nicht. Studien konnten zeigen, dass schwierige Beziehungen oder Bedingungen viel stärker belasten. Und dafür muss man keinen Chef haben, der mit Akten wirft. Auch eine ständige Über- oder Unterforderung am Arbeitsplatz kann krank machen, ebenso das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, eine Sinn- oder Perspektivlosigkeit im Job, schlechte Stimmung im Team oder das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Die Liste ist lang.

Als Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg erlebe ich jeden Tag Menschen aus allen Branchen und Gehaltsstufen, bei denen sich die vielen negativen Erfahrungen am Arbeitsplatz und jahrelang ertragener Stress körperlich äußern. Sie leiden unter Schlafstörungen, Schwindelattacken, Tinnitus, Rücken- und Kopfschmerzen, Herzstolpern und Herzrasen, dem Reizdarm-Syndrom – oder an allem zusammen. Auf unseren Stationen begegnet uns die gesamte Fülle an Körperbeschwerden, die man sich vorstellen kann. Die meisten dieser Menschen haben eine lange Odyssee durch sämtliche medizinische Fachrichtungen hinter sich, ohne dass eine strukturelle, also fassbare körperliche Ursache für ihre Beschwerden gefunden werden konnte.

Häufig fragen unsere Patienten bei der Aufnahme: «Warum soll ich denn jetzt in eine Psychoklinik? Ich habe es nicht im Kopf! Ich habe es im Körper …» Dann erkläre ich, dass dieses dualistische Bild veraltet ist: «Wir haben nicht auf der einen Seite den Kopf und auf der anderen den Körper. Beides ist eng miteinander verwoben: Leidet die Seele, hat das zum Teil massive Auswirkungen auf den Körper.»

Vor einiger Zeit ist ein Team irischer Wissenschaftler der Frage nachgegangen, ob viel Stress vermehrt zu Schlaganfällen führt. Das Ergebnis ist erschreckend: Beruflicher Stress scheint das Schlaganfallrisiko sogar zu verdreifachen. In der Studie wurde zudem untersucht, ob die Betroffenen eine Möglichkeit haben, ihre Situation zu beeinflussen. Und siehe da: Hatten die Menschen das Gefühl von Kontrolle über ihr Leben, war ihr Schlaganfallrisiko – auch bei hoher Belastung – reduziert. Das ist eine gute Nachricht, weil sie zeigt: Wir können unser Wohlgefühl aktiv beeinflussen, wenn es uns gelingt, die Kontrolle über eine unangenehme Situation zurückzugewinnen – und daran können wir arbeiten. Indem wir uns selbst besser kennenlernen, für uns sorgen, indem wir auf unsere Grenzen und Bedürfnisse achten und vor allem: ins Handeln kommen.

Meine Erfahrung zeigt, dass jeder Mensch etwas verändern kann – auch wenn das vielleicht in kleinen Schritten erfolgt und ein wenig Geduld erfordert.

Mir gefällt die folgende Formel, um Veränderung anzuschieben: «Love it, change it or leave it.»

Viele Menschen kommen zu mir und fragen: «Herr Professor, Sie kennen sich doch aus. Was soll ich denn nun machen?» In möglichst kurzer Zeit wollen sie alle unliebsamen Schatten ablegen. Aber wir sind nicht Peter Pan. Wir müssen uns damit abfinden – love it –, dass wir uns und unser Leben niemals vollkommen neu erfinden werden. Unsere Persönlichkeit und in den meisten Fällen auch die Notwendigkeit von Arbeit kleben wie Schatten an uns. Wir nehmen sie mit, wohin wir auch gehen.

Dennoch liegt die Entscheidungshoheit bei uns! Wir können uns zum Beispiel – change it – anders zur Sonne positionieren, um unseren Schatten zu verändern. Damit meine ich: Wir haben sehr viele Möglichkeiten zur Veränderung im Innen oder Außen, mit denen wir unsere Situation verbessern können. Daher ist der zweite Teil dieses Buchs auch besonders lang. Wer sich trotz alledem noch immer unglücklich oder unzufrieden fühlt, kann sich im dritten Teil – leave it – auf die Suche nach einem neuen Arbeitsumfeld machen, wo die Sonne anders am Himmel steht. Es geht nicht darum, kopflos aus einer alten, unangenehmen Situation zu fliehen, sondern vielmehr darum, den Fokus darauf zu legen, eine neue, zufriedenstellende zu finden oder selbst zu schaffen. Unser Weg sollte weniger von etwas Altem weg-, sondern vielmehr zu etwas Neuem hinführen. Dann ergeben sich oft mehr Möglichkeiten, als man auf den ersten Blick vermutet hätte.

Auch ich biete natürlich keine Zauberlösungen. Eine der wichtigsten Zutaten für Veränderungen ist Zeit. Das beschreibt der Dichter Rainer Maria Rilke sehr schön in seinem Gedicht Über die Geduld:

«Man muss den Dingen

die eigene, stille

ungestörte Entwicklung lassen,

die tief von innen kommt

und durch nichts gedrängt

oder beschleunigt werden kann;

alles ist austragen – und

dann gebären …

Reifen wie der Baum,

der seine Säfte nicht drängt

und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,

ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,

die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,

so sorglos, still und weit …

Man muss Geduld haben

Mit dem Ungelösten im Herzen,

und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,

wie verschlossene Stuben,

und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache

geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,

ohne es zu merken,

eines fremden Tages

in die Antworten hinein.»

(Rilke 1929)

Als Therapeut und Coach möchte ich Ihnen helfen, mit Bedacht, Geduld und Vernunft in die Antworten hineinzuleben. In unserem Klinikalltag ist die Verhaltenstherapie ein bewährtes Mittel, um Menschen wieder mit ihrem Fühlen, Denken und Handeln in Kontakt zu bringen. Das Fühlen lässt sich kaum direkt steuern. Beim Denken können wir zumindest versuchen, es zu beeinflussen. Aber das Handeln liegt in unserer Hand – und damit können wir wiederum das Fühlen und Denken verändern. Bei diesem Prozess – Wie gestalte ich eine Arbeit, die mich glücklich macht? – unterstütze ich Sie mit diesem Buch. Es beantwortet Fragen wie: Welchen positiven Einfluss kann Arbeit auf unser Leben haben? Unter welchen Bedingungen wird Arbeit zu einer gesundheitlichen Belastung? Sendet Ihr Körper eventuell schon deutliche Alarmsignale? Welche Möglichkeiten gibt es, unangenehme Situationen zu verändern? Und vor allem: Wie gestalte ich eine Arbeit, die mich dauerhaft zufrieden macht? Das Buch ist dabei wie ein Kompass aufgebaut: Es lotst Sie durch alle relevanten Aspekte des Arbeitslebens, vom Beziehungserleben über die angemessene Entlohnung, das richtige Pausenmaß und die Steigerung der Resilienz bis hin zum gelingenden Aus- bzw. Umstieg – sollte dieser denn nötig sein. Sie können direkt zu den Kapiteln springen, die Sie am meisten interessieren. Sie können das Buch aber auch von der ersten bis zur letzten Seite lesen.

Niemand sollte dauerhaft großem Stress, einer zu hohen Arbeitsbelastung mit ständiger Erreichbarkeit bei gleichzeitig fehlender Unterstützung und Wertschätzung ausgesetzt sein. Jeder verdient einen Arbeitsplatz, an dem er sich sicher, gesehen und wertgeschätzt fühlt, an dem es ihm nicht schon am Sonntag vor dem Montag graut – wenn der Sonntag nicht ohnehin schon ganz selbstverständlich zum Arbeitstag geworden ist – und auf Dauer psychosomatische Beschwerden drohen. Niemand sollte sich bewerfen, beschimpfen oder anderweitig abwertend behandeln lassen. Um das Beispiel vom Anfang aufzugreifen: Die Sekretärin, die von ihrem Vorgesetzten mit Ordnern beworfen wurde, hat schließlich die Abteilung gewechselt und – dem neuen Stellenprofil entsprechend – ihre Arbeitszeit reduziert. Sie ist nun dafür zuständig, das Nachwuchsprogramm zu organisieren. Damit verdient sie zwar weniger, kann nachts aber wieder durchschlafen. Jeden Tag freut sie sich über die Sinnhaftigkeit ihrer neuen Aufgabe und den engen Kontakt zu den jungen Menschen. Als ich sie kürzlich auf dem Wochenmarkt traf, erzählte sie mit leuchtenden Augen von ihrer Arbeit und dem netten Kollegium. Das ist eine Entwicklung, über die ich mich jedes Mal freue. Und ich weiß: Sie kann jedem gelingen, der sie aktiv ansteuert …

LOVE IT

So macht Arbeit glücklich

Arbeit

Substantiv, feminin

Tätigkeit mit einzelnen Verrichtungen, Ausführung eines Auftrags o.Ä., von mittelhochdeutsch arebeit: Beschwernis, Leiden, Mühe

Mehr als Leid und Mühe: Warum wir arbeiten

Es war ein Kraftakt. Monatelang kämpfte mein Patient darum, in den vorzeitigen Ruhestand entlassen zu werden. In beinahe jeder unserer Sitzungen sagte der 53-jährige Sozialarbeiter, der über zwanzig Jahre eine Jugendhilfeeinrichtung geleitet hatte, Sätze wie: «Ich kann nicht mehr.» Oder: «Mir ist alles zu viel.» Die Belastungen im Beruf hatten seine Kräfte deutlich überschritten: die ständigen Überstunden, die überbordende Bürokratie, die ihn daran hinderte, Zeit mit jenen zu verbringen, um die es doch eigentlich gehen sollte – mit den Jugendlichen. Er wollte nur noch raus aus der Maloche. Und ich konnte ihn verstehen, denn in der Fantasie ist ein solcher Ausstieg der Schlüssel zum Glück, weil er eine unmittelbare Entlastung bedeutet. Dementsprechend erleichtert war mein Patient, als er nach langem Ringen, vielen Gesprächen und Anträgen seinen frühzeitigen Austritt aus dem Berufsleben endlich durchgesetzt hatte. Doch leider verpuffte diese Erleichterung schnell.

Wenn er heute zu mir in die Sprechstunde kommt – mit dem Bus, weil er sich das Auto nicht mehr leisten kann –, ist er zerknirscht. «Keine Arbeit ist auch keine Lösung», sagt er inzwischen und sucht in den einschlägigen Jobportalen nach einer neuen Aufgabe, die ihn anspricht, aber weniger Stress verursacht. Und das nicht nur, weil er weniger Geld zur Verfügung hat – er sagt, ihm fehle auch die Struktur, für die seine Arbeit gesorgt hat, der Kontakt mit den Kollegen, die schönen Betriebsfeste und das Gefühl, etwas Sinnhaftes zu tun. Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er einen anderen Weg einschlagen. Vielleicht die Stunden reduzieren. Oder das Aufgabengebiet innerhalb der Einrichtung wechseln.

Ich verstehe, dass es viele Gründe gibt, eine Arbeit als überfordernd zu empfinden. In vielen Branchen haben sich die Abläufe verdichtet, wodurch das Arbeiten schneller wird – unter anderem eine Folge des Fachkräftemangels, den wir längst spüren. Überall fehlt das Personal: in der Gastronomie, im Handwerk, in den Geschäften. Das muss von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kompensiert werden, da die Wertschöpfung trotzdem verbessert und das wirtschaftliche Wachstum weiter vorangetrieben werden sollen. Stehen dafür weniger Leute zur Verfügung, muss noch schneller gearbeitet werden – und zwar in allen Bereichen. Vor einigen Jahren ist eine Studie veröffentlicht worden, in der es um den Arbeitsalltag von Universitätsmitarbeitenden aus der Technik, aus den Bibliotheken und Sekretariaten ging. Man hatte sich überlegt, dass sich an den Hochschulen in den vergangenen zwanzig Jahren einiges verändert hatte: Der Bürokratieaufwand ist deutlich höher, durch die Umstellung auf Bachelor und Master finden heute viermal so viele Prüfungen statt, auch die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger ist gestiegen – alles, ohne dass mehr Personal eingestellt oder das Gehalt angepasst wurde. Etwa jede und jeder siebte Befragte hatte mittlerweile das Gefühl, regelmäßig an die Grenzen der Leistungsfähigkeit zu stoßen. Viele beklagten zudem eine mangelnde Wertschätzung. Wissenschaftliche Assistenzkräfte empfanden ihre Arbeit von lediglich 48 Prozent der Studierenden und 23 Prozent der Hochschulleitung gewürdigt. Ähnliches hört man aus der Pflege, der Kindertagesbetreuung, der Industrie, Polizei, den Paketdiensten und vielen anderen Branchen. Überall findet eine Entgrenzung der Arbeit, eine Verdichtung und Beschleunigung statt, und das führt dazu, dass die Menschen sich am Arbeitsplatz zunehmend gestresst fühlen – nicht nur in Deutschland, diese Entwicklung zeigt sich weltweit.

Gleichzeitig gibt es viele Möglichkeiten, eine als unerträglich erlebte Arbeitssituation zu verändern – man ist nicht völlig machtlos.

Meist hören meine Patienten das im Moment der Überforderung nicht gerne, dennoch versuche ich, mit ihnen diese Möglichkeiten zumindest gedanklich durchzugehen. Denn meine Erfahrung zeigt: Die meisten fühlen sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im vorzeitigen Ruhestand nicht besser. Zumindest nicht langfristig.

In unserer Klinik sehen wir sehr viele Lehrerinnen und Lehrer, die für den Weg in die Frühpensionierung eine fachärztliche Einschätzung wünschen. Als Lehrerkind und Forscher auf diesem Gebiet ist mir bewusst, dass diese Gruppe einen sehr fordernden Beruf ausübt. Den gesamten Vormittag haben sie kaum eine Minute für sich. Und in den Pausen oder freien Stunden geht es in den Lehrerzimmern meist zu wie bei dem Kinderspiel Die Reise nach Jerusalem – da hat zum Teil nicht mal jeder einen eigenen Platz. Auch das ist stressig. Da kann die Vorstellung, über vierzig Jahre unter diesen Bedingungen zu arbeiten, geradezu erschlagend wirken. Das verstehe ich alles.

Dennoch frage ich diejenigen, die mit dem Wunsch vor mir sitzen, frühzeitig in den Ruhestand zu gehen: «Können Sie vielleicht weniger arbeiten? Können wir nach einem Burn-out eine gestufte Wiedereingliederung planen?» Mit Lehrern überlege ich: «Können Sie ein anderes Fach unterrichten? Oder eventuell sogar die Schule wechseln? Kann ich Sie dabei unterstützen? Dann verdienen Sie zwar weniger, erhalten aber immer noch mehr als bei einer vorzeitigen Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit.» Manche reagieren dann genervt. Oder sogar wütend. Wer sich aber darauf einlassen kann, dem geht es meiner Erfahrung nach auf Dauer meist nicht nur materiell besser, sondern auch generell, da Arbeit für unser Wohlgefühl und unsere Gesundheit sehr wichtig ist.

Welche Bedeutung die Arbeit in einem Menschenleben einnimmt, welche Funktionen sie erfüllen kann, das hat die österreichische Sozialpsychologin Marie Jahoda schon in den 1930er-Jahren untersucht.

Da wäre zuerst etwas ganz Handfestes: Wer arbeitet, verdient Geld. Durch die Arbeit können wir uns und unsere Familie versorgen. Deswegen sprechen wir ja auch von «der Lebenshaltung» oder «dem Broterwerb». Marie Jahoda zählt neben dieser offensichtlichen aber noch weitere Funktionen auf, die den meisten Menschen wahrscheinlich weniger bewusst sind – bis sie plötzlich wegfallen. Arbeit verleiht unserem Tag eine Struktur. Wir stehen auf, ziehen uns an, machen uns zu einer bestimmten Uhrzeit auf den Weg oder setzen uns für die Morgenkonferenz zu Hause gekämmt an den Rechner.

Der bekannte amerikanische Psychologe Eric Berne sagte einmal, dass Struktur sogar eine der drei Grundvoraussetzungen für Lebensqualität sei. Ein fester Plan sorgt für Stabilität, er gibt uns Sicherheit.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Arbeit ist der soziale Kontakt. Wir erinnern uns an die Zeit der Corona-Lockdowns, in der ein sozialer Austausch im Homeoffice weniger oder auch gar nicht stattgefunden hat – plötzlich brachen für viele Menschen wichtige soziale Kontakte weg. Deutschlandweit verzeichneten die Sorgentelefone Rekordzahlen, weil viele einfach mal jemanden zum Reden brauchten. Auch das Arbeiten in einer Gruppe an einem gemeinsamen Ziel fehlte einigen; dieses Gefühl, an etwas teilzuhaben und dazuzugehören.

Zudem leben wir in einer Gesellschaft, in der einer Arbeitsstelle traditionell ein hoher gesellschaftlicher Wert zugeschrieben wird. Früher hat man einander zuerst nach der Religion gefragt – heute erkundigt man sich meist nach dem Job. Das haben wir vermutlich alle mehrfach auf Partys oder bei anderen Anlässen erlebt, bei denen wir neue Menschen kennengelernt haben.

Welchen Stellenwert der Beruf für die meisten Menschen hat, zeigt das beeindruckende Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2015: Er schaffte es knapp hinter Familie und Partnerschaft auf den zweiten Platz. Und das nicht nur wegen des Geldes. Verschiedene Untersuchungen und Publikationen zeigen, dass Arbeiten für die meisten viel mehr als eine Einnahmequelle ist. Seit den 1950er-Jahren stellen Forscherinnen und Forscher immer wieder die Frage: «Wenn Sie so viel Geld geerbt oder im Lotto gewonnen hätten, dass Sie davon gut leben könnten – ohne zu arbeiten. Würden Sie dann weitermachen oder nicht?» Wie würden Sie die Frage beantworten? Überraschenderweise antwortet darauf im Durchschnitt nur jeder Vierte der Befragten, dass er sich zur Ruhe setzen würde. Dagegen gaben etwa drei Viertel an, weiterhin arbeiten zu wollen. Allerdings nur 37 Prozent beim aktuellen Arbeitgeber, 39 Prozent wünschen sich eine andere Arbeitsstätte und andere Arbeitsbedingungen.

Ein Beruf verleiht also einen Status, soziale Anerkennung, eine Identität. Sie kennen vielleicht dieses mit Stolz erklärte: «Ich bin die Leiterin der Hauptgeschäftsstelle.» Oder: «Ich bin die Mitarbeiterin des Monats.» Eine Auszeichnung, die vor allem in amerikanischen Firmen verbreitet ist und die Motivation der Angestellten steigern soll. Wir alle wünschen uns, gesehen zu werden. Das ist bei der Arbeit nicht anders als in einer Partnerschaft oder der Familie. Unternehmen wissen das und trachten danach, den Mitarbeiterinnen durch solche Programme, zuweilen auch durch Gehaltserhöhungen oder andere Gratifikationen, ihre Wertschätzung auszudrücken. Gesehen zu werden – man könnte auch sagen: Als Teil eines Unternehmens mit der eigenen Leistung (an)erkannt zu werden – ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Dafür setzen wir uns gerne jeden Tag aufs Neue in Bewegung. Und das ist auch schon der nächste positive Effekt: Im besten Fall motiviert die Arbeit uns, aktiv zu werden und in die Welt hinauszugehen.

Damit befriedigt sie gleich mehrere tief verwurzelte menschliche Bedürfnisse. Es gibt in unserer Gesellschaft kaum eine andere Institution, die unsere Grundbedürfnisse nach Struktur, Sozialkontakten, Identität, gemeinschaftlichen Zielen und regelmäßiger Aktivität so zuverlässig befriedigt wie die Arbeit. Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, können wir psychische Probleme entwickeln und in der Folge sogar körperlich krank werden.

Und mittlerweile hat die Forschung sogar noch sehr viel mehr Vorzüge entdeckt, die Arbeit bieten kann. Auch Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Der Mangel an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und Beförderungschancen zählt mittlerweile sogar zu den Top- 3-Kündigungsgründen in Deutschland. Demnach verlässt etwa jeder dritte Arbeitnehmer seine Firma, weil er für sich keine Perspektive sieht. Ich selbst habe schon das lukrative Angebot einer anderen Klinik ausgeschlagen und mich stattdessen für einen Arbeitsplatz mit mehr Entwicklungspotenzial entschieden. Menschliches Leben heißt immer: lernen und sich entwickeln. Das bedeutet auch, dass es nicht unbedingt eine Frage von Tätigkeit oder Hierarchieebene ist, nur braucht es mindestens genauso sehr ein entwicklungsförderliches Umfeld.

Ein weiterer Faktor, den viele als bereichernd erleben, ist die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit. «Das, was ich mache, ist sinnvoll.» Dies höre ich häufig von Menschen, die in der Pflege oder Lehre arbeiten – und auch das ist ein wichtiger Antrieb.

In einer Klinik gab es einmal eine Initiative, da hat man Reinigungskräften die Abstriche von Türklinken gezeigt – vor der Reinigung und danach. Man wollte dem Personal zeigen, wie stark ihre Reinigung die krank machenden Keime reduziert. Mit einer Tätigkeit, die manche womöglich als belanglos empfinden, tragen die Reinigungskräfte jeden Tag dazu bei, dass sich weniger Menschen im Krankenhaus mit gefährlichen Erregern anstecken. Ich finde die Idee dieser Klinik großartig, da die Beteiligten so sehen konnten, wie sinn- und wertvoll ihre Arbeit ist. Ein Abstrich kostet nicht viel, aber er hat einen enormen Effekt auf die Arbeitszufriedenheit dieser Menschen. In unserer Klinik erfährt das Reinigungspersonal auch sehr viel Wertschätzung durch unsere Patientinnen und Patienten. Viele berichten uns, dass die Reinigungskräfte einen spürbaren Anteil daran haben, dass sie sich bei uns wohlfühlen. Und zwar nicht nur wegen der sauberen Zimmer, sondern weil die Reinigungskräfte den Patienten auf Augenhöhe begegnen. Weil sie aufmerksam sind. Zugewandt. Und so fühlen sich schlussendlich alle wahrgenommen und wohl.

Auch die Sicherheit am Arbeitsplatz spielt eine Rolle. Bei uns in Europa geht es den meisten Menschen darum, dass wir während der Ausübung unserer beruflichen Tätigkeit nicht besonderen Gefahren ausgesetzt sind und unser Arbeitgeber für ein sicheres Umfeld sorgt. Außerdem wollen wir uns darauf verlassen können, nicht im Folgemonat gekündigt zu werden – wir wollen nicht in ständiger Angst vor der Arbeitslosigkeit leben.

In Südamerika beispielsweise hat das Gefühl von Sicherheit aber noch eine andere Bedeutung. Da habe ich gehört: «Meine Wohngegend ist unsicher, und auf dem Weg zur Arbeit kann ich überfallen werden – aber am Arbeitsplatz bin ich geschützt. Es gibt sogar ein bewachtes Parkhaus, und auf dem Firmengelände kann ich mich frei bewegen.» Dieses Sicherheitsgefühl spielt bei uns glücklicherweise keine Rolle. Aber auch das würde – zumindest theoretisch – auf die Liste der positiven Aspekte der Arbeit gehören. Ebenso wie ein ruhiges Büro, wenn zu Hause in der viel zu kleinen Wohnung fünf Kinder toben oder der Partner oder die Partnerin auf der anderen Seite des Tisches im Homeoffice arbeitet …

Dennoch: Obwohl wir mittlerweile wissen, wie wichtig Arbeit für uns Menschen ist, glauben viele, dass sie – mal abgesehen vom Einkommen – sehr gut auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten könnten. Sie meinen, dass sie ihre Grundbedürfnisse doch ganz wunderbar in der Freizeit befriedigen könnten. In der Familie zum Beispiel. Oder im Freundeskreis. Theoretisch wäre das vielleicht sogar möglich. Aber offenbar gelingt das nicht allen. Wir wissen sehr genau, dass Arbeitslosigkeit eine ernsthafte Gefahr für die Gesundheit darstellt – vor allem für die Psyche. Und in der Folge dann wieder für die körperliche Gesundheit. Arbeitssuchende zeigen zum Beispiel sehr häufig eine geringere Lebenszufriedenheit. Sie leiden häufiger unter Angstsymptomen, Depressionen und einem eingeschränkten Selbstwertgefühl. Sogar die Suizidrate steigt in der Arbeitslosigkeit oder durch die Sorge davor an. Etwa jede dritte arbeitslose Person weist relevante psychische Auffälligkeiten auf. Bei den Erwerbstätigen sind es nicht einmal halb so viele. Ähnlich verhält es sich mit den Krankheitstagen. Arbeitssuchende sind etwa doppelt so häufig krank, müssen doppelt so häufig in Krankenhäusern versorgt werden – und haben längere Behandlungszeiten.

Nun könnte man unterstellen, dass die psychischen Probleme überhaupt erst zur Arbeitslosigkeit geführt haben. Aber diese These widerlegt – unter anderem – geradezu ein Klassiker der Sozialwissenschaften: die österreichische Studie «Die Arbeitslosen von Marienthal» von 1933, an der auch die junge Marie Jahoda beteiligt war. Damals wurde infolge der Weltwirtschaftskrise in Marienthal, einer kleinen Arbeitersiedlung im Südosten von Wien, eine große Textilfabrik geschlossen. Für die Menschen, die dort lebten, war das eine Katastrophe: 1200 Arbeiterinnen und Arbeiter, also drei Viertel der Menschen aus dieser Siedlung, wurden auf einen Schlag arbeitslos. Das machte Marienthal zum perfekten Ort für eine große Feldforschung zur Beantwortung der Frage: Wie wirkt sich der Arbeitsplatzverlust auf eine Gemeinde aus? Drei Monate lang haben die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Stimmung vor Ort beobachtet und eingeordnet. Sie verteilten Fragebögen und boten eine Menge Aktivitäten an: Erziehungsberatung, Mädchenturnen, Arztsprechstunden. Die Wissenschaftler, angeblich allesamt engagierte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, wollten sich selbst einbringen und schauen, wodurch sich die Menschen wieder in die Aktivität bringen lassen könnten. Dadurch kamen sie ihnen sehr nah, führten intensive Gespräche, protokollierten aber zum Beispiel auch die Gehgeschwindigkeiten und die Häufigkeit von Gaststättenbesuchen. Sie machten sich ein umfassendes Bild und kamen zu dem Schluss, dass durch die Arbeitslosigkeit im ganzen Ort das Aktivitätsniveau gesunken war. Es wurden sogar weniger Bücher in der Bibliothek ausgeliehen. 11 Prozent galten als «verzweifelt», 25 Prozent wurden sogar als «apathisch» beschrieben. Nur ein kleiner Teil der Beobachteten wurde von den Wissenschaftlerinnen trotz ihrer Situation als «ungebrochen» eingestuft. Diese Studie ist zwar schon fast hundert Jahre alt – ihre Ergebnisse konnten seitdem aber mehrfach bestätigt werden.

Nehmen arbeitslose Menschen wieder eine bezahlte Beschäftigung auf, erlebe ich regelmäßig, dass sich ihr Wohlbefinden deutlich verbessert – selbst das derjenigen, die nach der Arbeitslosigkeit eine eher prekäre Tätigkeit aufnehmen, zum Beispiel mit einem geringen Einkommen, einem befristeten Vertrag oder einer geringen Übereinstimmung zwischen persönlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen und den Arbeitsanforderungen. Wir wissen auch, dass psychisch Kranke davon profitieren, wenn ihnen die Wiedereingliederung in die Arbeit gelingt.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation hat die Bedeutsamkeit einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit sogar als eine ihrer Grundannahmen formuliert: «Keine andere einzelne Aktivität ist so vielfältig und komplex in ihrer psychologischen, sozialen und materiellen Bedeutung.»

«Ja, aber», sagte nun kürzlich eine Bekannte. «Das alles beweist vor allem, dass Arbeitslosigkeit schadet. Das belegt doch nicht, dass Arbeit guttut.» Ich habe ihr entgegnet, dass es schwierig ist zu untersuchen, wie stark Menschen von einer regelmäßigen Arbeit profitieren. Wie sollte eine solche Studie aussehen? In einer etwas pointierten Publikation des British Medical Journal wurde zum Beispiel nach allen Regeln der Kunst analysiert, wie es um die lebensrettende Wirkung von Fallschirmen steht, und siehe da: «Eigentlich lässt sich nicht wirklich beweisen, dass Fallschirme Leben retten, da es dazu keine randomisierten klinischen Studien gibt.» Das heißt: Niemand hat eine Vergleichsgruppe ohne Fallschirm aus dem Flugzeug geworfen, um zu beobachten, wie hoch in dieser Gruppe die Überlebensrate ist. Andererseits kennen wir sogar einzelne Berichte über Menschen, die einen Absprung ohne Fallschirm überlebt haben. Trotzdem sind wir überzeugt davon, dass ein Fallschirm das Sterberisiko bei einem Sprung aus einer großen Höhe reduziert. So ähnlich ist es mit der gesundheitsfördernden Wirkung von Arbeit auch. Wie sollte man eine randomisierte, kontrollierte Studie durchführen, bei der per Zufall manche Testpersonen arbeiten und andere nicht? Deshalb hat man bislang nur den Wegfall von Arbeit untersucht sowie die Veränderungen, wenn nach einer Phase der Arbeitslosigkeit wieder eine Beschäftigung aufgenommen wird – und da sind die Ergebnisse eben sehr eindeutig: Arbeit ist wichtig für unsere Gesundheit. Oder – um es mit den Worten des Schriftstellers Thomas Mann zu sagen: «Arbeit ist schwer, ist oft genug ein freudloses und mühseliges Stochern; aber nicht arbeiten – das ist die Hölle.»

Vier Prinzipien für einen Arbeitsplatz, der guttut

Die Betten unserer Station sind permanent belegt, ebenso die Tagesklinikplätze. Die Wartelisten für beide Einrichtungen sind lang. Und in den meisten anderen psychosomatischen Kliniken in Deutschland sieht es ähnlich aus. Zusätzlich betreue ich sehr viele Patienten als Therapeut oder Coach. Ich freue mich immer, wenn gesunde Menschen ein Coaching in Anspruch nehmen, bevor sie durch die Arbeit so krank werden, dass sie einen Klinikaufenthalt zur Stabilisierung benötigen. Leider warten die meisten viel zu lange, ehe sie sich mit ihren psychischen beziehungsweise psychosomatischen Problemen Hilfe suchen. In der Regel liegen dazwischen mehrere, oft sehr leidvolle Jahre. Natürlich ist das bei jeder betroffenen Person anders und hängt auch davon ab, welche Erkrankungen vorliegen. Mit Ängsten oder Depressionen kommen die Leute beispielsweise ein bisschen schneller, als wenn sie unter Körperbeschwerden leiden, für die sich keine klare organische Ursache finden lässt – da dauert es im Durchschnitt viele Jahre, zuweilen sogar mehr als zwanzig! Dabei wissen wir: Je früher man sich Hilfe holt, desto besser sind die Erfolgschancen.

Selbstverständlich ist nicht bei allen Patienten die Arbeit der Auslöser der Probleme – aber sie ist es leider zunehmend häufiger. Ich erinnere mich an einen jungen Verkäufer, der an seinem Arbeitsplatz, einem Elektromarkt, massiv gemobbt wurde und durch diesen permanenten Stress unter anderem ein starkes Zittern der Hände entwickelte. Eine Friseurin erlitt nach einem traumatisierenden Erlebnis am Arbeitsplatz ein sogenanntes Takotsubo-Syndrom, das manchen vielleicht eher als Broken- Heart-Syndrom bekannt ist. Diese Herzerkrankung wird zumeist durch großen körperlichen oder psychischen Stress ausgelöst – beispielsweise durch einen Todesfall, eine Trennung, gelegentlich auch durch positive Ereignisse wie einen Lotto-Gewinn oder eine Hochzeit. Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts, nur bildet sich beim Takotsubo-Syndrom die Funktionseinschränkung des Herzens in der Regel von allein zurück. Die Sterblichkeit – das zeigen viele Studien – kann durch den Stress dennoch deutlich erhöht sein.

Besonders eindrucksvoll war auch der Fall eines Bäckermeisters, der plötzlich seine linke Körperhälfte nicht mehr bewegen konnte. Nachdem die Kolleginnen auf der Akutstation einen Schlaganfall ausgeschlossen hatten, zeigte sich: Die Lähmungserscheinungen waren psychosomatisch bedingt und eine Folge der dauerhaften beruflichen Belastung. Ich könnte leider noch viele weitere Beispiele aufzählen – und beinahe jeden Tag neue, da sich das Arbeitsleben in den vergangenen Jahren so stark verändert hat. Durch die technischen Möglichkeiten ist die Arbeit dynamischer geworden. Die Digitalisierung beschleunigt sehr viele Abläufe. Früher gab es noch die Hauspost – um nur ein Beispiel zu nennen. Da kam zweimal am Tag ein netter älterer Herr vorbei und überbrachte eine Nachricht, die Frau Meyer aus der Nachbarabteilung am Vortag geschrieben hatte. Vielleicht hat sie darin Unterlagen angefordert, die man erst kopieren musste, um sie anschließend in einen Umschlag zu stecken, auf den man Frau Meyers Namen schrieb, ehe man ihn in das Hauspost-Ausgangs-Fach legte. Heutzutage verschicken wir Mails – und selbst die sind ja schon wieder out. Firmenintern nutzt man mittlerweile vor allem die noch schnelleren Messenger-Apps. Früher ging man zwischendurch mal ins Archiv oder sogar in die Bibliothek – jetzt guckt jeder ins Internet und hat fünf Minuten später meist alle benötigten Informationen parat.

Ein weiteres Problem ist die permanente Erreichbarkeit. Laut einer Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben etwa ein Viertel der Erwerbstätigen das Gefühl, auch außerhalb der Arbeitszeit ständig erreichbar sein zu müssen. Früher betraf das hauptsächlich Führungskräfte – heute scheint es für fast alle Mitarbeiter zu gelten. Sie bleiben dauerhaft im Stand-by-Modus. Viele Menschen, die ich behandle oder coache, berichten, auch im Urlaub selbstverständlich die Mails abzurufen. Bei Angestellten in internationalen Konzernen verschärft sich dieses Problem noch einmal: Sie haben unter Umständen mit Kollegen aus Vancouver zu tun, die erst um 18:00 Uhr unserer Zeit mit der Arbeit beginnen, während aus der Abteilung in Tokyo bereits ab 3:00 Uhr die ersten wichtigen Mails eingehen. Natürliche Arbeitspausen gibt es dann keine mehr. Hinzu kommt: Wer früher in der örtlichen Sparkasse gearbeitet hat, traf dort vor allem die Sparkassenangestellten aus dem regionalen Umfeld. Heute müssen sich viele mit einem internationalen Team auseinandersetzen – häufig mithilfe von Englisch oder einer anderen Fremdsprache –, in dem manche Mitglieder vielleicht ganz anders ticken als man selbst, an anderen Tagen Weihnachten feiern, sonntags arbeiten und unter Umständen Frauen weniger gleichberechtigt behandeln, als wir es hier gewohnt sind. Ein internationales Arbeitsumfeld mag spannend sein, es ist aber auch sehr herausfordernd.

Dennoch werden nicht alle krank, die in einem internationalen Konzern arbeiten oder in einer Branche, in der sich der Fachkräftemangel besonders deutlich zeigt. Was unterscheidet also eine gute Arbeitsstelle von einer schlechten? Was hilft uns, auch unter den herausfordernden Bedingungen der heutigen Arbeitswelt Zufriedenheit zu erleben? In Bereichen, in denen Menschen regelmäßig krebserregenden Stoffen, einer dauerhaft hohen Lärmbelastung oder andauerndem Schichtbetrieb ausgesetzt sind, fällt die Antwort leicht. Schwieriger wird es bei den vielen Tätigkeiten ohne definierte Gefährdungen. Für mich gibt es vier Prinzipien, die unsere Gesundheit und Zufriedenheit am Arbeitsplatz entscheidend beeinflussen:

Autonomie

Eine positive Geben-und-Nehmen-Bilanz

Gerechtigkeit

Psychologische Sicherheit

Prinzip 1 – Autonomie

Vom großen Glück, sich die Arbeit selbst einteilen zu können

Fluglotsinnen und -lotsen können im Alter von 55 Jahren in die sogenannte Übergangsrente gehen. Länger möchte man ihnen den psychischen Druck nicht zumuten, dem sie an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Ihr Beruf zählt zu den verantwortungsvollsten im Flugbetrieb. Zu Stoßzeiten müssen sie an einem Airport wie Frankfurt am Main – neben Wind und Wetter – die Starts und Landungen von zehn bis fünfzehn Flugzeugen gleichzeitig koordinieren. In jedem sitzen zwischen hundert und 350 Menschen. Gelegentlich sogar mehr. Und jeder Flieger, der landen oder abheben will, wartet auf die Anweisungen per Funk, wer wo zu warten und zu starten hat. Ohne das Lotsen-Signal läuft gar nichts. Da bleibt kaum Zeit für einen Toilettengang – und wenn, dann nur nach Absprache mit den Kolleginnen, damit jemand kurzzeitig übernimmt. Das ist wie Fließbandarbeit – aber auf höchstem Niveau. Denn jeder Fehler könnte Menschenleben kosten.

Diese Berufsgruppe wird gerne genannt, wenn es darum geht, das sogenannte Demand-Control-Modell zu erklären, also das Verhältnis zwischen Anforderung und Kontrolle. Fluglotsen haben hier sozusagen den Highscore: Bei einer sehr hohen Anforderung haben sie wenig Kontrolle über die Arbeitsabläufe.

 

Grundsätzlich spricht nichts gegen hohe Anforderungen im Job, eine leichte Überforderung kann zuweilen sogar der Motor sein, der uns erst auf Touren bringt. Sie hilft uns beispielsweise beim Lernen – und Menschen lieben es zu lernen. Ein Leben lang. Musikerinnen und Musiker sollten zum Beispiel immer ein bisschen mehr üben, als es ihnen angenehm ist. Nur so verbessern sie sich. Das kennen wir auch aus dem Arbeitsbereich: Richtig dosiert, steigern höhere Anforderungen unsere Leistungsfähigkeit. Liegt nichts auf dem Tisch, will niemand etwas von uns, werden viele Menschen etwas langsamer, ausufernder, unorganisierter. An einem Tag, an dem wir hingegen ein klares Ziel vor Augen haben, die Deadline näher rückt, ein Vortrag oder eine technische Abnahme unmittelbar bevorstehen, krempeln wir die Ärmel hoch, und plötzlich gehen die Dinge schneller von der Hand.

Das Demand-Control-Modell von Karasek und Theorell

Krank machend wird ein sehr hohes Anforderungsniveau vor allem dann, wenn die Autonomie fehlt – also die Kontrolle, die eine Person selbst über ihre Arbeit hat. Die gesundheitlich ungünstigste Variante ist: sehr hohe Anforderungen, aber ein niedriges Maß eigener Kontrolle – so wie es beispielsweise Fluglotsinnen jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz erleben. Genau wie Mitarbeiter im Rettungsdienst, bei Feuerwehr oder Polizei, in Call-Centern oder am schnell getakteten Fließband. Alles Berufe, in denen ein hoher Zeitdruck herrscht und bei denen die Menschen kaum beeinflussen können, wie ihre Arbeit abläuft. Solche Tätigkeiten gelten in der internationalen Arbeitsstressforschung als stark risikobehaftet für Herz-Kreislauf- und/oder psychische Erkrankungen. Gleichzeitig leiden häufig auch die Produktivität, Kreativität und Reaktionsschnelle darunter – von Individuen, Teams oder sogar ganzen Unternehmensbereichen. Ich habe einmal mit dem Team einer Entwicklungsabteilung in einem technischen Unternehmen gearbeitet. Alle standen permanent unter dem Druck, möglichst schnell eine neue Idee vorantreiben und umsetzen zu müssen. Brachte die Konkurrenz ein ähnliches oder sogar besseres Produkt früher auf den Markt, kam von oben die Ansage: «Vielen Dank! Wir brauchen das nicht mehr. Widmet euch bitte der nächsten Aufgabe!» Das empfanden alle Beteiligten als extrem zermürbend und frustrierend: eine dauerhaft hohe Anforderung, kaum Kontrolle – und dann noch nicht einmal ein Erfolgserlebnis. Im Team entstand ein Gefühl von: «Das ist total sinnlos, was wir hier machen!» Damit die Angestellten solche Entscheidungen mittragen konnten und dabei nicht resignierten, mussten ihre Vorgesetzten lernen, mit sehr viel Offenheit und Transparenz dagegenzuarbeiten. Als ersten Schritt haben sie regelmäßige Sitzungen eingeführt, in denen solche Entwicklungen besprochen wurden. Und auch wenn natürlich nicht immer alle Entscheidungen im gesamten Team Zustimmung fanden, war immerhin eine gesunde Transparenz sichergestellt. Das hat vielen geholfen, die Motivation kehrte zurück und mit ihr die Begeisterung für die eigene, fordernde Tätigkeit.

Manchmal findet sich aber auch mit etwas Kreativität eine Möglichkeit, trotz enger Taktung mehr Autonomie zu ermöglichen. Kürzlich habe ich mich mit dem Chefkoch eines Sternerestaurants unterhalten, der mir erzählte, dass in seiner Spitzenküche ein hoher Druck herrsche. Mitarbeiter in den klassischen Küchenpositionen hätten hier insgesamt eher wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Um seinen Köchinnen und Köchen dennoch ein Gefühl von Eigenverantwortlichkeit zu geben, überlässt dieser Chefkoch seinem Team den Einkauf der Zutaten. Eine junge Köchin ist beispielsweise für den Fisch zuständig. Sie entscheidet, welches Produkt den Gästen am Abend serviert wird, wählt den Fisch eigenständig aus und führt im Einkauf die Verhandlungen. Dabei lernt sie die unterschiedlichen Produkte besser kennen, arbeitet sich in die Lebensmittelkunde ein, knüpft und unterhält Kontakte in die Branche – alles Dinge, die ihr etwas nutzen und ihr einen Spielraum eröffnen, den sie abends in der Küche nicht hat. Wenn Gäste den guten Fisch kommentieren, weiß sie, dass sie selbst einen entscheidenden Anteil daran hatte; wenn sie den Fisch monieren, ebenfalls. Auch für den Chef hat das einen positiven Nebeneffekt: Die Köchin übernimmt Verantwortung. Sie weiß nun selbst, wie teuer diese Edelfische sind, und gibt alles, um sie nicht aufgrund eines Versehens wegwerfen zu müssen. Die Motivation kommt so von innen.

Wie wichtig das Gefühl von Autonomie ist, beweist auch eine interessante Studie der Universität Stanford. Das Forschungsteam hat die Stresswerte von Führungskräften untersucht. Das auf den ersten Blick überraschende Ergebnis: Ausgerechnet die CEOs, die mit sechzig bis siebzig Stunden die Woche am längsten schufteten, wiesen den geringsten Wert des Stresshormons Cortisol auf. Führungskräfte aus der mittleren Managementebene fühlen sich in der Regel deutlich gestresster. Warum ist das so? CEOs stehen zwar jeden Tag unter großem Druck mit sehr vielen Terminen – Konferenzen, Besprechungen, Vorträge und Mitarbeitergespräche –, im Idealfall genießen sie aber gleichzeitig eine höhere Autonomie und können sich zum Beispiel auch mal einen Vormittag frei einteilen. Führungskräfte aus der mittleren Managementebene – in der sogenannten Sandwich-Position – müssen dagegen permanent den Ansprüchen ihrer Vorgesetzten und denen ihres Teams gerecht werden, bei einer gleichzeitig eingeschränkten Entscheidungsfreiheit. Das strengt in der Regel viel mehr an.