Wie aus Kindern glückliche Erwachsene  werden - Prof. Dr. Gerald Hüther - E-Book
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Wie aus Kindern glückliche Erwachsene werden E-Book

Prof. Dr. Gerald Hüther

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Beschreibung

In den ersten sechs Lebensjahren entwickelt sich die Persönlichkeit in Riesenschritten. Dieser GU Ratgeber zeigt leicht verständlich, wie diese Entwicklung verläuft und welche bahnbrechenden Erkenntnisse die moderne Hirnforschung darüber gewonnen hat. Der Schwerpunkt liegt auf den vier zentralen Persönlichkeitskompetenzen, die für Glück und Erfolg im späteren Leben entscheidend sind. Vertrauen, Begeisterungsfähigkeit, Aktivität und Verantwortungsgefühl. Kinder, die diese Kompetenzen in ihren ersten Lebensjahren optimal herausbilden können, werden stark. Und starke Kinder stehen Belastungen besser durch, erhalten sich die Lust am Entdecken, Gestalten und Lernen und finden sich im Leben besser zurecht. Zusätzlich finden Eltern in diesem Buch über 400 praktische Tipps und Spiele, mit denen sie die Entwicklung dieser Kompetenzen fördern können.

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Seitenzahl: 381

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Ein Wort zuvor

Gleich nach der Geburt und während der gesamten Kindheit werden Weichen für die geistige und charakterliche Entwicklung eines Menschen gestellt. Bei diesem Entwicklungsprozess braucht jedes Kind verständnisvolle, begeisterungsfähige Eltern, die einfühlsam auf seine Bedürfnisse, auf seine Neugier, seine Wissbegierde, auf die Fülle seiner Fragen eingehen. Die ihre eigene Begeisterungsfähigkeit an ihr Kind weitergeben und ihm ein anregendes Umfeld schaffen. Die ihm viel Spielraum, viel Freiheit lassen, damit es seinen Interessen, seiner Wissbegierde nachgehen kann.

Eltern sollten ihr Kind auf veränderte Lebensbedingungen, auf Vielheit und Offenheit vorbereiten, denn in der Wissens- und Ideengesellschaft des 21. Jahrhunderts müssen neue Herausforderungen angenommen und unbekannte Probleme gelöst werden. Damit ändert sich aber auch schlagartig die traditionelle Vorstellung von Bildung und Erziehung.

Die Bereitschaft, Neues zu lernen, in seiner Entwicklung weiterzukommen, bringt jedes Kind von Geburt an mit auf die Welt. Es war bisher aufs Engste mit der Mutter verbunden und ist schon vor seiner Geburt jeden Tag ein Stück über sich selbst hinausgewachsen. Deshalb erwartet jedes Kind, dass es auch weiterhin in engster Verbindung mit anderen Menschen über sich hinauswachsen kann. Es will Fragen stellen, Antworten finden, wachsen und verbunden bleiben. Wird dieses Bedürfnis nicht gefördert, vielleicht sogar unterdrückt, dann verkümmern die Entwicklungsmöglichkeiten, die in ihm angelegt sind.

Aber auf welche Weise können Eltern ihr Kind am besten fördern: Ihm in erster Linie seine Freiheiten lassen, seine Entwicklung unterstützen und begleiten? Das ist vielen Eltern zu wenig. Deshalb bieten sie gezielte Förderprogramme an. In unserer leistungsbetonten Zeit neigen sie dazu, die besonderen Interessen ihres Kindes nicht so wichtig zu nehmen.

Aber braucht ein Kind wirklich vom Babyalter an ausgefeilte Superförderprogramme, um zu einer beeindruckenden Persönlichkeit heranzuwachsen? Braucht es Trainingseinheiten, welche die Nervenzellen in seinem kleinen Gehirn dazu bringen, sich optimal zu verschalten? Wenig spricht dafür, so sagen die Hirnforscher. Aus Kindern werden auf diese Weise noch lange keine eindrucksvollen, erfolgreichen Persönlichkeiten.

Unbestritten ist, dass kleine Kinder Anregung und Übung brauchen, um sich gut zu entwickeln. Zu alldem brauchen sie ein gutes Familienklima, das zum Nachdenken anregt.

In diesem Buch finden Sie neue Ergebnisse der Hirnforschung zur Persönlichkeitsentwicklung – und viele Tipps, wie Sie ein anregendes Umfeld für Ihr Kind schaffen können, wie Sie es zum Fragen anregen und auf seine individuellen Fragen am besten antworten. Wenn Sie begeistert von Ihrem Kind sind und leidenschaftlich an den Dingen des Lebens interessiert, dann springt der Funke über: Ihr Kind wird sich ebenso begeistert ans Leben heranwagen.

Cornelia Nitsch

Prof. Dr. Gerald Hüther

Wie Ihr Kind zu einer PERSÖNLICHKEIT wird

Rundum gesund soll es sein: Wachsen, gedeihen, reifen, das Leben fröhlich und aktiv angehen, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen, anstehende Probleme bewältigen und sich im Laufe der Jahre zu einer in sich selbst ruhenden Persönlichkeit entwickeln. Sie als Eltern können eine solch positive Persönlichkeitsentwicklung Ihres Kindes gezielt unterstützen.

So verleihen Eltern ihren Kindern »ZAUBERKRÄFTE«

»Was hält das Leben für mich bereit?« Mit großen Augen schaut ein Baby erwartungsvoll in die Welt. Seine Eltern sind begeistert von ihrem Nachwuchs, genießen seine Lebenslust und lassen sich davon anstecken. Ihr Kind bringt sie mit seiner Komik, seinem Temperament, seiner Neugier und seiner Klugheit immer wieder zum Staunen. Mit der Zeit wird es groß und größer, ganz verschiedene Facetten seiner Persönlichkeit werden immer sichtbarer: Seine Einzigartigkeit, seine Individualität zeigt sich deutlich. Als Mutter, als Vater begleiten und unterstützen Sie die Entwicklung Ihres Kindes über die Jahre und freuen sich an seinen Fortschritten. Sie erleben aber auch mit, dass sein Leben nicht nur Erfolge zu bieten hat, sondern auch erste, herbere Enttäuschungen, vielleicht sogar Leid und Schmerz. Wir Erwachsenen wissen längst, dass Hochs und Tiefs zum Leben gehören.

Ihrem Kind fehlt diese Erfahrung noch. Erst nach und nach lernt ein kleiner Mensch, auch mit den Kümmernissen und Tücken des Lebens fertig zu werden und Krisen zu verarbeiten. Eltern wissen, dass ihr Kind vielen Widrigkeiten des Lebens trotzen kann, wenn es ausreichend Kraft, Stärke und Persönlichkeit mitbringt. Deshalb heißt eine der in diesem Zusammenhang immer gleich lautenden Fragen: Wie kann ich meinem Sprössling helfen, seine eigene Kraft, Stärke und Persönlichkeit zu entwickeln? Wie kann ich ihm beibringen, Probleme beherzt anzugehen und zu lösen?

Wie lernt er, Enttäuschungen zu verkraften?

Eltern wünschen sich, dass ihr Kind an der Bewältigung von Krisen wächst. Dass es dabei an Profil gewinnt und aus schwierigen Situationen vielleicht sogar wie der Phoenix aus der Asche unbeschadet hervorgeht. Sie möchten, dass ihr Kind Gelassenheit, Klugheit, Humor entwickelt – lauter Eigenschaften, die ihm helfen, mit Krisen fertig zu werden.

Am liebsten würden Eltern ihrem Kind »Zauberkräfte« verleihen – ganz besondere Kräfte und Fähigkeiten, die es immer dann beflügeln, wenn es in Schwierigkeiten steckt und auf Anhieb keine Lösungen für anstehende Probleme in Sicht sind. Den wenigsten Erwachsenen ist in diesem Zusammenhang bewusst, dass sie selbst über diese gewünschten »Zauberkräfte« verfügen und dass sie ihre besondere Kraft und Stärke an ihre Kinder weitergeben können. Aber wie?

Am wichtigsten dabei ist, zu verstehen, was Entwicklung bedeutet. Was sie fördert und was nicht. Vieles davon wissen Eltern bereits – aus den Erfahrungen ihrer eigenen Kindheit. Deshalb lohnt es sich, zunächst einmal einen Blick zurückzuwerfen.

DIE EIGENE ENTWICKLUNG BETRACHTEN

Wer sein Kind begleiten, fördern, seine Entwicklung positiv beeinflussen will, sollte bei sich selbst beginnen, sollte sich nachdenklich und interessiert betrachten: »Welche Lebenserfahrungen, welche Lebenseinstellungen haben mich eigentlich wesentlich geprägt?«

Versuchen Sie, auf Abstand zu sich selbst zu gehen. Nehmen Sie Ihr eigenes Denken und Trachten genauer unter die Lupe – keine einfache Übung, aber eine lohnenswerte, denn Sie profitieren im Umgang mit Ihrem Kind von dieser Selbstbesinnung und Selbsterkenntnis.

Wenn Sie Rückschau halten, Ihrem eigenen Leben nachspüren, Ihre Erfahrungen auf den Prüfstand stellen, wird damit automatisch ein Stück Ihrer eigenen Kindheit wieder lebendig.

Sie werden sich darüber klar, welchen Einflüssen Sie ausgesetzt waren, was Sie selbst geprägt hat, woher Sie Ihre eigene Kraft nehmen, wie Sie gelernt haben, Ihre Stärken zu entwickeln und mit Ihren Schwächen zu leben.

Etliche dieser alten Muster werden im Umgang mit Ihrem Kind wieder wirksam, denn immer wenn Sie mit ihm reden, flüstern, lachen, singen, streiten, wenn Sie ihm die Welt zeigen und erklären, greifen Sie bewusst oder unbewusst auf Verhaltensmuster zurück, die Sie selbst einst wiederum von Ihren Eltern übernommen und verinnerlicht haben. Das ist für Ihr Kind spürbar – ablesbar an Ihrer Stimme, Gestik und Mimik: an der Art Ihrer ganz speziellen Zuwendung. Aufgrund dieses Wissens lohnt der Versuch, sich die eigenen, lange zurückliegenden Erfahrungen und Prägungen vor Augen zu führen.

Selbstbetrachtungen sind hilfreich, um deutlicher wahrzunehmen, über welche Stärken Sie verfügen, was Sie brauchen, um neue Kräfte zu tanken. Sie erkennen Ihre besonderen Fähigkeiten deutlicher und können einen Teil Ihrer Kraft als »Zauberkraft« an Ihr Kind weitergeben.

Weil ein kleines Kind aufnahmefähiger als ein großes ist, sollten Sie sich ihrer Zauberkräfte möglichst frühzeitig bewusst werden. Stellen Sie sich dazu einmal folgende Fragen:

• Worauf kommt es im Leben an?

Fragen Sie sich, wann und wie Sie eigentlich herausgefunden haben, worauf es im Leben ankommt, ob und durch wen Sie selbst einst bei diesem Lernprozess unterstützt wurden. Haben Sie Leid, Kummer, Ärgernisse nur mit Glück oder dank einer inneren Kraft, einer inneren Stärke hinter sich gelassen, die Sie in sich trugen? Weil sich Erwachsene im Leben bereits mit einigen Problemen herumgeschlagen haben, wissen sie normalerweise auch, woher sie die Kraft genommen haben, Schwierigkeiten durchzustehen:

Die einen konnten im Laufe ihres Lebens in scheinbar ausweglosen Situationen auf Verhaltensmuster aus ihrer eigenen Kindheit zurückgreifen, vermittelt von Eltern, die offenbar wussten, worauf es im Leben ankommt.

Die anderen mussten dagegen ohne Unterstützung der Familie, weitgehend allein auf sich gestellt herausfinden, mit welchen Strategien man schwierige Situationen im Leben meistern kann.

• Was macht Ihre Persönlichkeit aus?

Welche spezielle Erfahrung hat Sie besonders geprägt und gefestigt? Was hat Sie befähigt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen? War es zum Beispiel das perfekte Englisch, schon im Kindergarten gelernt, das Sie wesentlich weitergebracht hat, oder der vorschulische Unterricht in Biologie und Physik? Ihre Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen, die Ihnen Ihre Eltern bereits vor der Schule vermittelt haben, oder der Flötenunterricht und die Ballettgruppe, die Sie ab Ihrem dritten Lebensjahr absolviert haben? Lauter schöne, gute und hilfreiche Erfahrungen, die Sie möglicherweise in Ihrer Kindheit gesammelt haben. Aber treffen sie den Kern der Sache?

Waren sie wirklich die entscheidenden Kraftquellen, die Sie ins Erwachsensein mitgebracht und in Ihrem Leben genutzt haben und immer noch nutzen?

Was hat Sie so stark gemacht, dass Sie es nicht nötig hatten, Gleichaltrige zu erniedrigen, womöglich sogar zu verprügeln, vor ihnen mit Ihren Habseligkeiten anzugeben, sich über andere zu erhöhen und sich als besser, schlauer, hübscher zu betrachten? Und was hat Ihnen später geholfen, nicht computersüchtig, magersüchtig, kaufsüchtig, drogensüchtig oder von irgendetwas anderem abhängig zu werden?

Was hat Ihnen die Kraft gegeben, Ihren ersten großen Liebeskummer zu überstehen, die erste Trennung, den ersten Abschied von einem lieben Menschen und alles andere Schmerzliche, Leidvolle, Schwierige, was Sie im Leben zu bewältigen hatten?

• Kennen Sie Ihre inneren Stärken?

Fragen Sie sich, seit wann Sie sich Ihrer inneren Kraft und Stärke bewusst sind. Seit wann Sie den Mut haben, sich nicht nur der Sonnenseite, sondern auch den Schattenseiten des Lebens zu stellen und Herausforderungen als Chance zu begreifen und sie anzunehmen.

DIE ERSTEN JAHRE LIEGEN IM DUNKELN

»Wie weit kann ich eigentlich zurückdenken?«

Wer als Erwachsener an die eigene Kindheit denkt, erinnert sich zum Beispiel an erste Badevergnügen im Planschbecken, ans Entenfüttern am Teich oder an das abendliche Bilderbuch-Angucken. Die ersten zärtlichen Schmusestunden und Flüsterspiele aus der Babyzeit sind dagegen wie im Nebel verschwunden. Kein Wunder, sagen die Hirnforscher, denn Erinnerungen, auf die wir später noch zurückgreifen können, kommen erst mit dem Kleinkindalter. Sie stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Erlernen der Sprache.

DIE SINNE ERINNERN SICH

Bilder, Gedanken, Gefühle – unterschiedliche Eindrücke, mal ganz kurze, mal längere Sequenzen, bleiben uns plastisch und detailgetreu in Erinnerung. Jahrzehnte später können wir diese Erlebnisse wieder abrufen. Vor allem im Gedächtnis abgespeicherte Gerüche aus unserer frühen Kindheit haben wir schnell wieder parat. So ist uns der angenehme Kaffeeduft aus der großelterlichen Küche noch ewig in der Nase, wir erinnern uns an den Geruch von Sonnenöl, Meer, warmen, sonnigen Kiefernwäldern … Wer sich erinnert, hat damit automatisch das ganze Drumherum wieder vor Augen: Diese Erinnerungen sind Wurzeln, aus denen wir positive Kräfte ziehen können.

SPRECHENLERNEN – DER BEGINN DER ERINNERUNG

Die Zeit nach dem Sprechenlernen ist der Anfang unserer Erinnerungen. Wissenschaftler haben beobachtet, dass 17 Monate alte Kinder sich an Ereignisse erinnern können, die vier Monate zurückliegen!

Ab etwa dem zweiten Geburtstag kommt es bei Ihrem Kind zu einer regelrechten

Sprachexplosion:Es überrascht Sie von Woche zu Woche aufs Neue mit seinen Fortschritten. Bald kann es nicht mehr nur einzelne Wörter sprechen, sondern sinnvolle »Sätze«aus zwei Wörtern bilden: »Auto gehn« – »Keks haben!«. Auch wird die Babysprache nun zunehmend uninteressant. Ihr Kind nennt immer mehr Dinge beim Namen. Statt »Wauwau« sagt es jetzt lieber »Hund« – und der macht »wau, wau«. Der Wortschatz wächst in rasantem Tempo. Mädchen sprechen übrigens in der Regel früher und mehr als Jungen.

Kinder lieben es jetzt, zusammen mit Mama oder Papa Bilderbücher anzusehen und die abgebildeten Dinge zu benennen – immer wieder aufs Neue.

Neben Anregungen zum Lauschen und Sprechen ist gutes Hören für die Sprachentwicklung von großer Bedeutung. Sollte Ihr Kind auffällig oft nicht hören, wenn Sie es beim Namen rufen, oder bei der Sprachentwicklungnur geringe Fortschritte machen, lassen Sie sein Gehör beim Kinderarzt untersuchen!

PROFITIEREN SIE VON EIGENEN KINDHEITSERFAHRUNGEN

Ihre allerersten Lebenserfahrungen liegen also im Dunkeln. Ihr Gedächtnis wird wahrscheinlich bis in Ihr drittes, viertes Lebensjahr zurückreichen. Haben Sie noch Erinnerungen an erste Geburtstagsfeiern? An den Kindergarten?

An die Gutenachtgeschichten Ihrer Mutter?

Wahrscheinlich ist Ihnen heute noch präsent, was Sie einst als Kind besonders liebten.

Hatten Sie eine weitgehend glückliche Kindheit und denken gerne an sie zurück? Oder gab es wenigstens herausragende schöne Momente und Erfahrungen? Können Sie die gespeicherten positiven Gefühle wiederbeleben? Dann bekommen Sie gleichzeitig eine Ahnung davon, wie Sie heute – Jahrzehnte später – mit Ihrem eigenen Kind reden, lachen, spielen, schmusen … sollten, damit es sich frei und offen, mit Mut und Selbstvertrauen in die Welt hinauswagen kann. Dank Ihrer positiven Erinnerungen wissen Sie ungefähr, was Ihr Kind braucht, um später Freunde zu finden, seine Meinung zu vertreten, sich nicht alles Mögliche von anderen Menschen einreden zu lassen, sich dem Leben zuzuwenden und den Problemen zu stellen, die es zwangsläufig mit sich bringt.

Wenn Sie eine weniger glückliche und stark machende Kindheit erlebt haben, können Sie auch jetzt als Erwachsener versuchen, herauszufinden, worauf es während der ersten Lebensjahre ankommt. Jeder kann Freunde nach ihren Kindheitserlebnissen, schönen Ritualen und Erinnerungen befragen und von diesen Erzählungen profitieren. Auch in Kinderbüchern, etwa den Büchern von Astrid Lindgren, kann man über Kinder und ihre Bedürfnisse nachlesen und findet darin positive Geschichten – ohne Glorienschein und Heile-Welt-Getue.

WAS DER KÖRPER SICH MERKT

Sprache ist die Voraussetzung für unsere Erinnerungen. Wir brauchen sie, um Ereignisse in Worte fassenund dann im Gedächtnis behalten zu können. Die Entwicklung unserer Persönlichkeit beginnt allerdings lange vor dem Sprechenlernen.

Da ein Kind aber zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht über Sprache verfügt, werden seine ersten Erfahrungen in seinem Körper und in den für die Regulation körperlicher und emotionaler Prozesse zuständigen Bereichen seines Gehirns gespeichert– und zwar so tief und fest verankert, dass sie nicht selten sein gesamtes weiteres Leben bestimmen– viel nachhaltiger, als wir bisher dachten.

als verkrampfte oder offene Körperhaltungen,als tief eingegrabene enge oder weite Bewegungsmuster,als undefinierbare, tief wirkende, Denken und Handeln bestimmende negative oder positive Gefühle und Grundeinstellungen gegenüber anderen Menschen und dem, was es im Leben zu entdecken und zu gestalten gibt.

FÖRDERN, ABER NICHT ÜBERFORDERN

Befreien Sie sich von der Vorstellung, Ihr Kind vom Babyalter an mithilfe von Superförderprogrammen und Extrakursen für das regelrecht »abzurichten«, was Ihrer Meinung nach heutzutage besonders wichtig ist – zum Beispiel Fremdsprachen.

ENGLISCH LERNEN SCHON JETZT?

Im Vorschulalter lernen Kinder Fremdsprachen nicht gerade im Schlaf, aber doch ziemlich leicht und fast nebenbei. Also jetzt her mit dem ersten Englischkurs?

Dagegen ist im Grunde nichts einzuwenden.

Aber wichtiger als Vokabeln ist die Freude des Kindes am Lernen. Diese Freude kommt auf, wenn Sie gemeinsam mit Ihrem Kind lernen und den Englischunterricht in den Alltag integrieren. Beim Autofahren mit Vokabeln spielen. Zusammen englische Lieder singen.

Englische Bilderbücher anschauen. Kasperle und das Krokodil auf Englisch streiten lassen.

Der Spaß ist dagegen schnell dahin, wenn zu Hause Druck gemacht wird – mit Aufforderungen wie »Erzähl mir mal auf Englisch, was du heute Mittag gegessen hast!«. Keiner lässt sich gern ab- und ausfragen. Auf Druck reagieren die meisten Kinder allergisch und machen dicht: Ihr Gehirn blockiert (siehe >).

Vieles von dem, was später in der Schule noch früh genug von Ihrem Kind verlangt wird, kann es auch jenseits der Vorschulzeit noch lernen. In den Jahren vor der Schule sollten spätere Schulanforderungen und -leistungen kein Thema sein. Natürlich sind gute Schulleistungen später in jeder Familie ein zentraler Punkt. Aber sie sollten nicht Thema unzähliger Diskussionen während langer Kinderjahre sein. Gute Zensuren sind weder ein Garant für Lebenstüchtigkeit, noch sind sie entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit.

Die kostbare, zeitlich begrenzte Vorschulphase sollten Kinder lieber fürs Spielen nutzen als für organisierte Frühförderkurse, denn das Spielen – allein oder mit anderen – ist kein überflüssiger Firlefanz, kein unnötiger Spaß, sondern eine sinnvolle, altersgemäße Beschäftigung, um die Welt kennenzulernen, die eigenen Kräfte zu entdecken und auszuloten.

Gute Leistungen, auch gute Schulleistungen, stellen sich meist automatisch ein, wenn Ihr Kind seine Entdeckerlust und Gestaltungsfreude, die es ja mit auf die Welt gebracht hat, Stück für Stück in aller Ruhe entfalten kann.

Allerdings braucht es Sie auf diesem Weg, und auch andere engagierte, zugewandte, geduldige, fröhliche, liebevolle, zuverlässige Bezugspersonen an seiner Seite – Menschen,

die ihm Mut machen,

die ihm Vertrauen schenken,

die ihm zur Seite stehen, wenn es allein nicht mehr weiterweiß,

die ihm viele und möglichst unterschiedliche Lebenserfahrungen ermöglichen – vor allem solche Erfahrungen, die helfen, andere Menschen besser zu verstehen,

die ihm den Sinn und Nutzen von Disziplin vorleben und erfahrbar machen,

die ihm die Notwendigkeit von Regeln verdeutlichen (zum Beispiel erklären, warum Teilen oder Gerechtigkeit Sinn macht).

Um sich gut zu entwickeln, braucht ein Kind also ein Zuhause, in dem es sich geborgen, gut aufgehoben und sicher fühlen kann.

LEISTUNGEN OPTIMIEREN?

Bei nicht wenigen Eltern artet Förderung heute in eine regelrechte Förderwut aus. Woher kommt so viel falsch verstandener Einsatz zum vermeintlichen Kindeswohl?

Manchmal soll das elterliche Selbstwertgefühl mithilfe der Kinder aufpoliert werden. Oft lautet die Botschaft: Die Familie soll reibungslos funktionieren, die Kinder glitzern und glänzen. Durch den hohen Erwartungsdruck leidet die Beziehung zwischen Eltern und Kindern.

Oft hat ein Kind Angst, es seinen Eltern nicht recht machen zu können, mit Liebesentzug bestraft zu werden – negative Erfahrungen, die Spuren hinterlassen und als negative Lernerfahrungen im Hirn gespeichert werden.

Andere Eltern haben die Sorge, dass ihr Kind in unserer Leistungsgesellschaft später nicht die nötige Statur zeigen könnte. Deshalb wollen sie das Auftreten, die Ausstrahlung, die kognitiven Fähigkeiten ihres Kindes frühzeitig optimieren, um seine Chancen zu erhöhen.

Nicht wenige haben eigentlich keine Lust auf die Besonderheiten von Kindern. Sie wollen nicht wahrhaben, dass kleine Menschen einfach anders fühlen, anders denken, anders handeln als Erwachsene. Aus ihrer Sicht haben Kinder vor allem gut zu funktionieren, und zwar nach den Maßstäben der Großen.

ZAUBERN SIE!

Wer möchte, dass sein Kind mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, dass es weiß, was es will und was es nicht will, dass es sich eine eigene Meinung zutraut und diese auch kundtut, sollte ihm viele Freiheiten lassen und ein möglichst unbeschwertes Leben gönnen.

Bieten Sie Ihrem Kind ausgiebigen Freiraum für viele kindgemäße Beschäftigungen. Zum Beispiel diese:

vor der Garage Ball spielen

im Garten Verstecken spielen

unter Blättern nach Schnecken suchen

auf der Couch liegen und in Bilderbüchern blättern

auf der Schaukel vor sich hinträumen

singen und summen

im Sandkasten matschen

mit Fingerfarben den kleinen Bruder anmalen

Und das alles möglichst spontan, nach Lust und Laune, ganz ohne Terminkalender und Lehrplan!

Egal ob sie reich oder arm, berufstätig oder zu Hause sind, ob sie eine Menge um die Ohren haben oder viel Zeit für die Familie, ob sie in der Stadt wohnen oder auf dem Dorf – alle Eltern können ihrem Kind genau das geben und mitgeben, was es braucht. Diese Zuwendung kostet kein Geld. Sie ist unabhängig vom gesellschaftlichen Status. Sie ist auch völlig unabhängig davon, was die Politiker tun oder lassen in Sachen Krippen- und Hortplätze oder kostenlosen Kindergärten. Sie hängt nicht davon ab, ob eine neue Bildungsreform kommt oder nicht.

Sie können also einfach loslegen und mit dem Kunststück beginnen, Ihr Kind in eine starke, selbstbewusste und liebesfähige Persönlichkeit zu »verzaubern«. Dafür können Sie zum einen auf Ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen.

Zum anderen können Sie sich zusätzliches »Handwerkszeug« zulegen. Dazu finden Sie auf den folgenden Seiten und im weiteren Verlauf dieses Buches viele hilfreiche und spannende Hinweise.

KINDER UND DIE »NEUE WELT«

Warum eigentlich fällt es vielen Müttern, Vätern, Betreuern heute so schwer, Kindern sinnvolle Unterstützung zu bieten? Warum wird Erziehung als so viel anstrengender, aufwendiger empfunden als zu Urgroßmutters Zeiten? – Weil das Leben heute wesentlich komplexer geworden ist. Früher wurden Kinder ohne viel Aufhebens auf Lebenstüchtigkeit getrimmt. Sie sollten vor allem lernen, gehorsam zu sein, ihre Aufgaben zu erledigen, nicht allzu viel nachzudenken. Leider verdarb man nicht wenigen auf diese Weise den Spaß am Lernen und die Freude am Entdecken und Ausprobieren. Heute ist diese Einstellung glücklicherweise zum Auslaufmodell geworden, weil sich die Welt verändert hat. Sie ist schneller, bunter, offener, anspruchsvoller geworden, auch unberechenbarer. Verbindlichkeiten sind rar geworden, viele noch vor Jahren selbstverständliche Werte in Vergessenheit geraten.

Von Eltern wird Flexibilität verlangt: Was gestern galt, ist heute überholt. Die Erwachsenen müssen neue Strategien entwickeln. In dieser neuen Welt finden sich diejenigen nicht mehr zurecht, die vor allem gelernt haben, gut zu funktionieren. Wer »zukunftsfähig« sein will, muss in der Lage sein, sein Leben in die Hand zu nehmen, es selbst aktiv zu gestalten.

Das Umdenken fällt also nicht wenigen Eltern schwer, weil sie heute vermitteln müssen, was sie selbst gestern vielleicht gar nicht gelernt haben: Freude am Lernen, Lust am Entdecken, Begeisterung am eigenen Gestalten.

NEUE FREIRÄUME – EINE RIESENCHANCE?

Vor nicht allzu langer Zeit war klar, was Kinder zu tun und zu lassen hatten. Das Kinderleben war entsprechend geregelt. Als Kind hatte man freundlich und still zu sein und im Hintergrund zu bleiben.

Die weitgehende Einigkeit ist längst auf einige Restposten verbindlicher Werte im Umgang miteinander geschrumpft. Die meisten Regeln stehen zur Diskussion. Eltern haben heute mehr Freiräume in puncto Erziehung. Individualität und Selbstverantwortung sind angesagt. Mütter und Väter müssen sich selbst Gedanken machen und eigene Maßstäbe entwickeln: Was soll bei uns gelten? Wo lassen wir fünfe gerade sein, wo dringen wir auf Verbindlichkeit? Wie vertreten wir, dass bei uns gilt, was in anderen Familien anders geregelt ist?

Die einen begreifen die wachsende Selbstbestimmtheit als Befreiung:endlich mehr Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung! Sie nutzen ihren Spielraum und setzen ihre eigenen Schwerpunkte in der Erziehung. Die anderen empfinden den Freiraum als Überforderung:zu viel Verantwortung.

Sie finden ihren eigenen Weg nicht, flüchten sich dann allzu leicht in einen Laissez-faire-Erziehungsstil, bei dem alles erlaubt ist, aber weniger gelernt wird und der Kindern kaum Halt geben kann.

DIE ENTWICKLUNG BEOBACHTEN

Jeder kleine Mensch hat sein eigenes Entwicklungstempo und seine eigene Art, das Leben anzupacken – und zwar von Anfang an. So zeigen sich schon bei Neugeborenen wesentliche Unterschiede im Verhalten. Ist das eine Baby von Beginn an lebhaft und aktiv, schlummert das andere lieber, und seine Mimik ist weit weniger ausgeprägt. Eins kommt fix voran, das andere lässt sich Zeit in seiner Entwicklung.

Eltern müssen nicht besorgt sein, wenn ihr Filius erst mit vierzehn statt zwölf Monaten auf die Beine kommt. Hauptsache, er setzt sich irgendwann in Bewegung. Fachleute raten vorsichtigen Eltern, eher gelassen mit dem Thema Entwicklung umzugehen.

Je älter die Kinder, desto augenfälliger sind die Unterschiede zwischen ihnen. Jedes Kind ist einmalig, unverwechselbar und hat seine ganz eigene Persönlichkeit.

GENE ODER ERZIEHUNG?

Wer eine Vorstellung davon hat, wie ein Kind dazulernt, kann sich ein genaueres Bild von seiner Entwicklung machen.

Nicht nur Babys, sondern auch Eltern sind neugierig. Sie stellen sich gern die Frage nach der Bedeutung von Genen und Erziehung für die Entwicklung ihres Kindes.

Jedes Kind ist anders, und nicht alles, was ein Kind an Fähigkeiten und Fertigkeiten mit auf die Welt bringt, was also angeboren ist, ist automatisch auch genetisch bedingt. Jeder Mensch bringt bei seiner Geburt sein »Päckchen« an bereits stattgefundenen Entwicklungen mit, das seine weiten Entwicklungsmöglichkeitenvorgibt. Auch was aus genauer vorgegebenen Eigenschaften wie Körperbau oder Haarfarbe wird, ist weitgehend Sache der Bedingungen, unter denen ein Kind groß wird!

EIN OFFENER BLICK

Vielen Erwachsenen fällt es nicht leicht, von Anfang an das Besondere eines Kindes, seine Individualität unvoreingenommen zu erkennen. Wer sich ein genaueres Bild machen will, sollte einmal auf Distanz gehen: Beobachten Sie häufiger das Tun Ihres Kindes mit Abstand. Wie, wann, wo zeigt es seine Lust auf Wissen, seine Begeisterung fürs Leben, seine Freude am eigenen Können?

Vertrauen Sie Ihrer Beobachtungsgabe. Wer sein Kind häufig im Blick hat, wer sich auf seine Bedürfnisse einlässt, weiß die Signale, die es setzt, zu deuten. Entsprechend kompetent kann er darauf eingehen. Mit der Zeit entwickeln Bezugspersonen ein gutes Gefühl für die Belange eines Kindes und wissen oft intuitiv, was zu tun ist.

Kinder sind keine Miniausgabe Erwachsener. Sie fühlen, denken, leben auf ihre eigene Art. Verschaffen Sie sich deshalb die wichtigsten Grunddaten zur kindlichen Entwicklung – als Orientierungsrahmen für den Umgang mit Ihrem Kind (siehe Tabelle ab

>

). Machen Sie sich stichwortartige Notizen, auf die Sie bei Fragen und Unsicherheiten zurückgreifen können.

GEHIRNENTWICKLUNG UND LERNEN

Wenn Sie wissen, was sich im Gehirn Ihres Kindes tut, können Sie es besser begleiten und unterstützen, denn seine Entwicklung wird wesentlich durch seinen Kopf gesteuert.

Kindergehirne sind formbarer und damit allerdings leider auch verformbarer, als selbst die Hirnforscher noch bis vor wenigen Jahren glaubten. Kein anderes Lebewesen kommt mit einem derart offenen, lernfähigen und durch eigene Erfahrungen stärker gestaltbaren Gehirn zur Welt wie der Mensch. Nirgendwo im Tierreich sind die Nachkommen beim Erlernen dessen, was für ihr Überleben wichtig ist, so sehr und so lange auf Fürsorge, Schutz, Unterstützung und Lenkung durch Ältere angewiesen. Bei keiner anderen Art ist die Hirnentwicklung in so hohem Ausmaß von der emotionalen, sozialen und intellektuellen Kompetenz der erwachsenen Bezugspersonen abhängig.

DURCH ERFAHRUNG KLÜGER

Einem Baby wird gerne eine Rassel zum Spielen, einem Kleinkind werden bunte Klötze, einem Kindergartenkind farbige Stifte in die Hand gedrückt – Eltern, Erzieher und Lehrer beeinflussen entscheidend, wie und wofür ein Kind sein Gehirn benutzt. Dass sie durch die Art und Weise, wie sie mit einem Kind spielen, turnen, experimentieren, reden oder singen gleichzeitig auch darüber bestimmen, welche Verschaltungen zwischen den Milliarden Nervenzellen besonders gut gebahnt und stabilisiert werden können und welche nur unzureichend, ist den wenigsten klar.

Wenn Sie sich mit Ihrem Kind beschäftigen, geben Sie ihm damit die Chance, ganz unterschiedliche Erfahrungen zu sammeln. Diese sorgen dafür, dass sich, abhängig von ihrer jeweiligen Nutzung, die entsprechenden Nervenzellen auf eine bestimmte Weise miteinander verknüpfen. Jedes Kind kommt mit zwei wichtigen Grunderfahrungen auf die Welt, die fest in seinem Gehirn verankert sind:

Erstens die Erfahrung engster, vertrauter Verbundenheit.

Zweitens die Erfahrung, aus der Sicherheit bietenden Verbundenheit heraus immer wieder neu über sich selbst hinauswachsen zu können.

Das aus diesen beiden Erfahrungen entstehende Vertrauen bildet die Grundlage für die enorme Offenheit und Lernfähigkeit, Entdeckerfreude und Gestaltungslust, mit der sich alle Kinder auf den Weg machen – egal ob es um das Entdecken des eigenen Körpers, der sie umgebenden Welt geht oder um das Lernen von Buchstaben und Zahlen.

Muss ein Baby, ein Kleinkind, ein Kindergartenkind dagegen erleben, dass diese Grunderfahrungen und seine daraus abgeleiteten Erfahrungen verletzt werden, so verkümmert dieser Schatz der frühen Kindheit allmählich, geht sogar ganz verloren.

Hat ein Kind Schwierigkeiten in seiner Entwicklung, ist das seltener durch sein Gehirn und dessen mangelnde Qualitäten bedingt, sondern häufiger durch Mängel und Unzulänglichkeiten unserer Lebenswelt – einer Welt, in der ein Kind nicht genug von dem bekommt, was es braucht. Wenn ein Kind zu wenig Gelegenheit hat, stark machende Erfahrungen zu sammeln, können sich die im Gehirn angelegten Möglichkeiten nicht gut entfalten.

Die für die Bewältigung von Problemen besonders wichtigen, hoch komplexen Nervenverschaltungen können sich im kindlichen Gehirn nicht herausbilden, wenn Kinder

in einer Welt aufwachsen, in der die Aneignung von Wissen und Bildung keinen Wert besitzt (Spaßgesellschaft)

keine Gelegenheit finden, sich ihre Welt aktiv zu gestalten (passiver Medienkonsum)

keine Freiräume mehr finden, um ihre eigene Kreativität spielerisch zu entdecken (Funktionalisierung von Fähigkeiten)

mit Reizen überflutet, verunsichert und verängstigt werden (Überforderung)

daran gehindert werden, Schwierigkeiten anzugehen und eigenständig zu bewältigen (Verwöhnung)

keine Anregungen erfahren, mit ihren individuellen Bedürfnissen und Wünschen nicht wahrgenommen werden (Vernachlässigung)

Wir Erwachsenen sollten versuchen, unser Kind vor den negativen Einflüssen der heutigen Welt zu schützen, damit es wirklich groß und stark werden und zu einer eindrucksvollen Persönlichkeit heranwachsen kann. Damit es Schritt für Schritt lernen kann, worauf es im Leben ankommt. Bei diesem Lernprozess braucht es die Unterstützung seiner Eltern!

VON DER LUST AM LERNEN

Ihr Kind ist der lebendige Beweis dafür, dass die Hirnforscher und Entwicklungspsychologen richtig liegen, wenn sie behaupten, Kinder hätten eine angeborene Lust am Lernen und an ihrer Weiterentwicklung. Die Wissenschaft kann nun endlich erklären, was zu tun ist, damit diese Lust wächst, blüht und gedeiht und zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt.

Ihr Kind ist neugierig, begeisterungsfähig und offen für alles, was die Welt ihm bietet (es sei denn, seine Lust aufs Lernen hat schon einen Dämpfer erfahren). Es ist so wissbegierig, so aufnahmefähig wie nie wieder im Leben.

Das Großhirn, genauer gesagt die Großhirnrinde (siehe Abbildung rechts), ist derjenige Hirnbereich, in dem dieses neue Wissen in Form bestimmter Beziehungsmuster zwischen den Nervenzellen verankert wird. Dieser Hirnbereich verdreifacht sein Volumen im ersten Lebensjahr und dehnt sich auch später noch erheblich aus, weil dort Nervenzellen ein dichtes Gestrüpp von Fortsätzen ausbilden und sich mit den Enden ihrer Fortsätze vielfältig miteinander verbinden. Die Aktivierung genetischer Programme führt dazu, dass in den einzelnen Bereichen dieser Großhirnrinde ein riesiges Überangebot an Nervenzellenverbindungen und -kontakten entsteht. Das kindliche Gehirn (oder das genetische Programm, das dessen Entwicklung steuert) kann nicht »wissen«, worauf es später einmal ankommen wird, welche Verbindungen also wirklich gebraucht werden. Daher wird zunächst einmal ein großer Überschuss an Verschaltungen bereitgestellt. Stabilisiert und erhalten werden auf Dauer aber nur diejenigen Verbindungen, die auch benutzt werden. Die restlichen werden mit der Zeit einfach wieder abgebaut (siehe Abbildung auf >).

Ihr Kind kann in seiner ersten Lebensphase, in der ihm dieses riesige Angebot an Verschaltungen der Nervenzellen bereitgestellt wird, so ziemlich alles lernen. Deshalb können Eltern, die eine intensive Frühförderung für sinnvoll halten, ihrem dreijährigen Kind das Lesen, Computerspiele oder eine Fremdsprache beibringen – falls es Lust hat, dabei mitzuspielen.

ZUSAMMENSPIEL DER FÜR DAS LERNEN WICHTIGEN GEHIRNBEREICHE

Der Präfrontalkortex (Frontal- oder Stirnlappen) genannte Teil der Großhirnrinde ist in besonderer Weise daran beteiligt, aus anderen Hirnbereichen eintreffende Signale zu einem Gesamtbild zusammenzufügen und aus tiefer liegenden Regionen – Stammhirn und limbischem System (unter anderem mit Hippocampus und Amygdala) – eintreffende Impulse zu steuern. Der Hypothalamus reguliert die vegetativen Funktionen, etwa Hunger oder Körpertemperatur, der Thalamus leitet Sinnessignale zur Großhirnrinde (»Tor zum Bewusstsein«).

Das Kleinhirn regelt die Motorik und wirkt an kognitiven Prozessen mit.

DER INNERE ANTRIEB: EIN GUTER LERNMOTOR

Ihr Kind bringt nicht nur seinen Drang, ständig Neues hinzuzulernen, mit auf die Welt, sondern auch seine Lust, immer wieder Neues zu entdecken. Indem Sie diese besonderen Bedürfnisse sehen und fördern, ihm in der Familie, in der Krippe, später im Kindergarten viele unterschiedliche Anregungen bieten, formen sich dank dieser intensiven Nutzung in seinem Gehirn vielfältige Verschaltungsmuster heraus.

Aber nicht nur durch Anregungen von außen entstehen neue Verknüpfungen der Nervenzellen und stabilisieren sich vorhandene Verschaltungen, sondern vor allem auch durch inneren Antrieb. Ideen, Vorstellungen, Aktivitäten – alles, was Ihr Kind aus sich selbst heraus entwickelt, ist die beste Nahrung für sein Gehirn und bringt sein Tun und Trachten, die Entwicklung seiner Persönlichkeit voran.

Warum ist diese selbst in Gang gesetzte Suche nach neuen Reizen, nach neuen Erfahrungen für seine gesamte Entwicklung so wichtig?

Weil auch ein kleines Kind schon auf Selbstbestimmung aus ist – nicht nur aus Spaß an der Sache, sondern auch, weil Selbstbestimmung sinnvoll ist: Wer auf der Grundlage bislang bereits erlernter, in seinem Hirn verankerter Fähigkeiten und Fertigkeiten selbst entscheidet, was wann wie wo für ihn selbst von Interesse ist, kann die gemachten Lernerfahrungen besonders gut mit bereits abgespeichertem Wissen in seinem Hirn verknüpfen. Das heißt: Die schon vorhandenen Verschaltungsmuster werden damit perfekt erweitert und ergänzt.

Wenn Ihr Kind neugierig auf die Suche nach Neuem geht, ist eine gewisse Anspannung, Unruhe, Erregung spürbar: Alarmstimmung im Kopf. Stößt es dann bei seiner Suche auf Überraschendes, Neues, Interessantes, und ist das, was es findet, ein bisschen reizvoller, spannender als das, was es vorher schon erlebt, erforscht, erfahren hat, dann freut es sich mächtig. Jeder von uns kennt dieses Hochgefühl.

Durch dieses Erfolgserlebnis löst sich die Unruhe plötzlich auf. Entspannung macht sich breit. Wird im Hirn

aus Durcheinander Ordnung,

und aus Erregung Beruhigung,

so entsteht ein Gefühl von Wohlbehagen und Zufriedenheit. Je größer die anfängliche Aufregung, desto größer die Freude, die ein Kind empfindet, wenn wieder alles »passt«. Die Lust, sich erneut auf die Suche nach Anregungen und Denkanstößen zu machen, wächst.

Bei diesem Prozess wird im Gehirn eine ganz bestimmte Gruppe von Nervenzellen erregt.

Die Hirnforscher nennen diese Region »Belohnungszentrum«. Diese Nervenzellen setzen an den Enden ihrer langen Fortsätze bestimmte Botenstoffe frei. Genau diese Stoffe werden auch abgegeben, wenn jemand Kokain oder Heroin einnimmt. Das lässt erahnen, welch intensives Lustgefühl Kinder empfinden, wenn sie sich immer wieder erfolgreich auf den Weg machen, die Welt zu entdecken.

Da es für kleine Kinder unendlich viel Neues zu entdecken und in ihren Erfahrungsschatz einzuordnen gibt, wird ihre Lernlust normalerweise nur durch die Phasen der Erschöpfung unterbrochen, die sich zwangsläufig immer wieder einstellen – und auch einstellen müssen, damit all das, was sie in der Wachphase gelernt und entdeckt haben, im Traumschlaf noch einmal durchgearbeitet, stabilisiert und mit all den anderen bereits vorhandenen inneren Mustern im Hirn verbunden werden kann.

WIE INNERE BILDER IM GEHIRN ENTSTEHEN

Das kindliche Gehirn arbeitet nach dem gleichen Prinzip wie das eines Erwachsenen. Was ein Kind durch seine Sinnesorgane über sich, seinen Körper und die Welt erfährt, wird bereits im Mutterleib als Aktivierungs- und Verschaltungsmuster von Nervenzellen in seinem Gehirn als inneres Bild, als innere Repräsentanz gespeichert. Jeder neue Duft, jedes Streicheln, jeder Laut – jeder neue Sinneseindruck formt im Gehirn ein entsprechendes Aktivierungsmuster: ein »Wahrnehmungsbild«. Das Gehirn nimmt dieses Bild auf, versucht ein bereits vorhandenes Nervenzell-Verschaltungsmuster zu aktivieren – ein »Erinnerungsbild«, das irgendwie zum neuen Aktivierungsmuster passt. Stimmen beide Bilder überein, wird der neue Eindruck als bekannt abgetan und routinemäßig beantwortet.

Kann keinerlei Überlappung zwischen dem Neuen und irgendeinem bereits vorhandenen Bild hergestellt werden, so passiert gar nichts.

Das neue Wahrnehmungsbild wird gewissermaßen als ein nicht zu den bisherigen Erfahrungen passendes Trugbild verworfen.

Passt das aus der Erinnerung abgerufene »Erinnerungsbild« teilweise zu dem neuen Wahrnehmungsbild, wird die Sache interessant: Das alte Muster wird nun so lange geöffnet, erweitert und umgestaltet, bis das durch die neue Wahrnehmung entstandene Aktivierungsmuster in das nun modifizierte Erinnerungsbild integriert werden kann. Das erweiterte innere Erwartungsbild wird dann für künftige Wahrnehmungen zum Abgleich erneut abgerufen.

Übrigens nimmt jeder Mensch immer nur diejenigen Eindrücke wahr, die irgendwie zu seinen Vorstellungen und Erwartungen, zu seinen bisher gemachten Erfahrungen passen.

HERAUSFORMUNG DER NERVENZELLVERKNÜPFUNGEN IM FRONTALHIRN

ALLE SINNE AUF EMPFANG

Hellwach und mit allen Sinnen macht sich ein kleines Kind daran, die Welt zu begreifen. Die sinnlichen Reize, »gesendet« von den Sinnesorganen, führen im Gehirn zum Aufbau spezifischer Erregungsmuster und zur Stabilisierung entsprechender Verschaltungsmuster in den entsprechenden Hirnregionen. Das gilt

für das Sehen und die Verankerung innerer »Sehbilder«

für das Tasten und die Herausbildung innerer »Tast- und Körperbilder«

für das Hören, die Entstehung entsprechender »Hörbilder« und das damit einhergehende Verstehen und Verankern von Sprache, auch fürs Interesse am Zuhören

für das Riechen und die Fähigkeit, aus Gerochenem »Geruchsbilder« anzulegen.

Sinneswahrnehmungen und die dadurch erzeugten »inneren Bilder« werden mit anderen Sinneswahrnehmungen verbunden. Sogar die von den Muskeln bei Veränderungen ihres Spannungszustandes zum Gehirn weitergeleiteten Signale werden benutzt, um innere Repräsentanzen von Bewegungsabläufen im Gehirn anzulegen und bei Bedarf abzurufen.

Zu viele Wahrnehmungen, die auf einmal und ungeordnet auf ein Kind einstürmen, machen Angst, verursachen Aufruhr im Gehirn. Die Folge: Anspannung, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, Unzufriedenheit und impulsive Wutausbrüche, weil sich das innere Chaos nicht ordnen lässt (siehe >).

DIE LUST AUF EIN SINNLICHES LEBEN

Ihr Kind erschließt sich die Welt über seine Sinnesorgane – feine, hochempfindsame Instrumente. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen: Alle Sinne sind gleich wichtig.

Mit jeder Faser seines Wesens kostet ein Kind das Leben aus. So will etwa ein Baby

nicht nur über eine Wiese krabbeln, sondern sich im Gras wälzen, Grashalme an seinen nackten Beinen spüren, Blätter in seiner geschlossenen Hand zermatschen, sich über die grüne Farbe wundern, Blumen abreißen.

nicht nur ein Stück Apfelsine essen, sondern an der Frucht riechen, ihre orangefarbene Haut bewundern, mit Apfelsinensaft spritzen ...

nicht nur mit einem Kochlöffel auf einen Topf hauen und sich an dem Lärm freuen, sondern auch am blitzenden Stahl. Darüber staunen, wie es sich in der blank polierten Silberfläche spiegelt.

Die Natur hält Erlebnisse in Hülle und Fülle für die Sinne bereit – Erlebnisse, die bei allen Kindern hoch im Kurs stehen: die reine Lust, in Erde zu wühlen, Sand durch die Finger rinnen zu lassen, in Wasser zu patschen, Feuer zu bestaunen, den Vollmond zu bewundern, den Duft von Rosen zu genießen ...

Für ein kleines Kind ist alles neu, aufregend, hochinteressant. Ihre Aufgabe als Eltern ist es, ihm diese sinnlichen Erlebnisse zu bieten. Sicherlich ist das in der Stadt schwieriger, aber es ist nicht unmöglich. Auch kurze Momente können ein sinnliches Vergnügen, eine Wahrnehmungsschulung sein. Ihr Kind kann

mit seinen Händen in der frischen Erde für die Topfpflanzen wühlen.

draußen den Regen spüren und riechen.

die Wolken am Himmel begucken.

Eiszapfen in die Hand nehmen.

an frischer Wäsche schnuppern.

Musik lauschen.

an frischem Brot knabbern.

sich nach einem Bad trocken rubbeln.

Wer sich auf den sinnlichen Empfindungsreichtum kleiner Kinder einlässt, sich von ihrer Lebenslust und Neugier anstecken lässt, die Welt nicht nur aus dem Erwachsenenblickwinkel wahrnimmt, sondern sich von seinem Kind auch an die Hand nehmen und führen lässt, der erlebt die Welt intensiver: bunter, lauter, stiller, romantischer, rauer, schriller ...

»SINNESZENTRUM« FRONTALHIRN

Die Hirnregion, in der all die komplexen Sinneserfahrungen zusammenlaufen, hat sich beim Menschen zuletzt und am langsamsten entwickelt. Sie ist bei Tieren, auch bei unseren nächsten tierischen Verwandten, weit weniger ausgebildet. Man nennt sie Frontal- oder Stirnlappen (siehe >). Dieser Hirnbereich ist in besonderer Weise daran beteiligt, aus anderen Bereichen des Gehirns eintreffende Erregungsmuster zu einem Gesamtbild zusammenzufügen und auf diese Weise aus tiefer liegenden und früher ausgereiften Hirnregionen eintreffende Impulse zu steuern.

Ohne Frontalhirn könnte man keine zukunftsorientierten Handlungskonzepte und inneren Orientierungen entwickeln. Man könnte nichts planen und die Folgen von Handlungen nicht abschätzen. Man könnte sich nicht in andere Menschen hineinversetzen und ihre Gefühle teilen. Man würde kein Verantwortungsgefühl empfinden. Unser Frontalhirn ist die Hirnregion, in der wir uns am deutlichsten von allen Tieren unterscheiden. Und es ist die Region, die in besonderer Weise durch den Prozess strukturiert wird, den wir Erziehung und Sozialisation nennen.

KULTURELLES LERNEN

Weil es dazu angehalten, angeregt, leider bisweilen auch gezwungen wird, lernt ein Kind sein Gehirn auf besondere Weise zu nutzen. Bestimmte Anregungen greift es eher auf als andere. Bestimmte Gefühle lässt es eher zu als andere. Folglich prägen sich bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten stärker ein als andere. Mit der Zeit lernt es, sein Gehirn so zu benutzen, dass es sich damit in der Gemeinschaft, in die es hineinwächst, zurechtfindet.

Kinder erwerben zum Teil sehr unterschiedliche kulturell tradierte Fähigkeiten:

Die Kinder der Eingeborenen des amazonischen Regenwalds lernen bis zu 100 verschiedene Grüntöne zu unterscheiden.Die Kinder der Inuit im nördlichen Polarkreis können ein Dutzend verschiedene Formen von Schnee auseinanderhalten.

DEN RÜCKEN STÄRKEN

Ihr Kind lernt, indem es sich laufend in Beziehung zu seinen Erfahrungen und Entdeckungen setzt – Erfahrungen mit Menschen, mit Dingen. Nicht nur ein Erwachsener, sondern auch ein Kind versucht, jede neue Wahrnehmung an ein bekanntes Erlebnis anzuknüpfen, an etwas, das es bereits im Kopf hat, was es schon weiß, was ihm vertraut ist. An etwas, das es beherrscht. Und wie bei uns Erwachsenen ist auch die Bereitschaft Ihres Kindes, sich auf Neues einzulassen, Neues anzuprobieren, umso größer, je sicherer es sich fühlt und je größer das Vertrauen ist, mit dem es sich in die Welt hineinwagt.

Jede Art von Verunsicherung, von Angst und Druck erzeugt eine sich im Gehirn ausbreitende Unruhe und Erregung. Unter dieser Anspannung können die über die Sinneskanäle eintreffenden Wahrnehmungsmuster nicht mit den bereits abgespeicherten Erinnerungen abgeglichen werden. Es kann nichts Neues hinzugelernt und im Gehirn verankert werden.

Oft nehmen Erregung und das damit einhergehende Durcheinander im Kopf so stark zu, dass auch bereits Erlerntes nicht mehr erinnert und genutzt werden kann. Das Einzige, was dann noch funktioniert, sind ältere, sehr früh entwickelte und fest eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster. Das Kind fällt in Verhaltensweisen zurück, die immer dann aktiviert werden, wenn es anders nicht mehr weitergeht:

Angriff (Schreien, Schlagen),

Verteidigung (nichts mehr hören, sehen, wahrnehmen wollen, stur bleiben, Verbündete suchen),

Rückzug (Unterwerfung, Verkriechen, Kontaktabbruch).

Ganz klar, dass ein Kind auf diese Weise Offenheit und Vertrauen verliert – und damit die Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen. Dieser trostlose Zustand ist für ein Kind ebenso schwer auszuhalten wie für einen Erwachsenen. Es fühlt sich ohnmächtig, beschämt und reagiert wütend, zornig oder resigniert.

VERTRAUEN SCHAFFEN

Was tun gegen Wut, Resignation, Aggression?

Schaffen Sie Vertrauen, das Ihr Kind mehr als alles andere braucht, um sich mit anderen Menschen, mit ihren Gedanken, Gefühlen, ihrem Tun und Treiben in Beziehung zu setzen. Vertrauen hilft gegen Durcheinander im Kopf, löst es auf, stellt die zum Lernen nötige Offenheit und innere Ruhe wieder her. Jedes Kind sucht enge Beziehungen zu Menschen,

die ihm Sicherheit bieten,

die ihm helfen, seine Probleme zu lösen,

die ihm nicht nur sagen, sondern vor allem auch vorleben, worauf es im Leben ankommt, und Orientierung bieten.

Auf dieser sicheren, breiten Basis kann ein Kind seine Fähigkeiten und Möglichkeiten entdecken und sich daran machen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten.

WENN EIN FUNKE ÜBERSPRINGT

Es ist eine irreführende Vorstellung, dass die Entwicklung des kindlichen Gehirns vor allem von den Genen gesteuert wird, dass negative Beziehungserfahrungen nur in Extremfällen nachhaltig Spuren im Gehirn hinterlassen und dass Gefühle und Haltungen, mit denen Kindern begegnet wird, keinen wesentlichen Einfluss auf deren Hirnentwicklung haben.

Das menschliche Gehirn ist so lernfähig, weil die bei allen Lernprozessen stattfindenden Verknüpfungen der Nervenzellen nicht durch genetische Programme, sondern durch die jeweils gemachten eigenen Erfahrungen festgelegt werden (»nutzungsabhängige Plastizität«).

Die wichtigsten Erfahrungen, die ein Kind im Lauf seiner Entwicklung macht und die den nachhaltigsten Einfluss auf die innere Organisation und Strukturierung seines Gehirns haben, sind Beziehungserfahrungen. Man spricht daher vom Gehirn als »Sozialorgan«.

Jede Erfahrung, die ein Kind in Interaktion mit seiner Lebenswelt macht, wird in Form neuronaler und synaptischer Verschaltungsmuster in seinem Gehirn verankert. Diese Muster bestimmen Wahrnehmung, Bewertung und Einordnung aller weiteren, nachfolgenden Erfahrungen. Man spricht hier von frühen Bahnungs- und Kanalisationsprozessen.

EMOTIONALE SICHERHEIT BIETEN

Alles, was die Beziehungsfähigkeit von Kindern verbessert, stützt und stärkt, ist gut für das sich entwickelnde Gehirn und gut für die Gemeinschaft. Alles was ihre Beziehungsfähigkeit einschränkt, schwächt oder behindert, ist schlecht für das Gehirn und schlecht für die Gemeinschaft, in die Kinder hineinwachsen.

Die wichtigste Voraussetzung für die Herausbildung und Stabilisierung komplexer neuronaler Verschaltungsmuster im kindlichen Hirn ist emotionale Sicherheit. Die kompliziertesten neuronalen und synaptischen Netzwerke werden im Frontalhirn (siehe > und >) herausgebildet: Ich-Funktionen, Selbstbilder und Selbstwirksamkeitskonzepte, innere Motivation und Aufmerksamkeit, Problemlösungskompetenz, Entscheidungskompetenz, Handlungsplanung und das Einschätzen von Folgen.

Diese Fähigkeiten können nur durch eigene Erfahrungen, durch das Bewältigen von Herausforderungen und Problemen erworben oder von Vorbildern übernommen werden.

Verunsicherung, Angst und psychoemotionale Belastungen führen zu Defiziten in der Hirnentwicklung. Sie äußern sich als unzureichend ausgebildete Vernetzungen im Hirn und eingeschränkte Beziehungsfähigkeit, mangelnde Neugier und Lernfähigkeit auf der Verhaltensebene. Aufgrund dieser Defizite sind solche Kinder im weiteren Entwicklungsverlauf besonders anfällig für die Ausbildung von Verhaltens- und Lernstörungen, von Störungen des Sozialverhaltens, von Abhängigkeit und Suchterkrankungen.

Die Bedingungen, unter denen Kinder in unsere Gesellschaft hineinwachsen, sind so zu verändern, dass sich diese Kinder stärker als bisher emotional geborgen, erwünscht und angenommen, aber auch ermutigt, herausgefordert und angeregt fühlen. Falls das nicht gelingt, wird der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltens- und Lernstörungen, sozialen und emotionalen Defiziten weiter ansteigen.

Die wichtigste, für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft bedeutsamste Aufgabe ist: alle in diese Gesellschaft hineinwachsenden Kinder mit den in ihnen angelegten Möglichkeiten zugewandt und kompetent zu unterstützen – von Anfang an.

Die entscheidende Frage richtet sich an uns alle: an Eltern und die professionellen Erzieher und Erzieherinnen: Sind wir diejenigen, bei denen man lieben, streiten, arbeiten, genießen, denken, fühlen, singen und Vertrauen zu sich und einer lebenswerten Zukunft lernen kann?

DIE ERSTEN LEBENSJAHRE: begleiten und unterstützen

Jede Entwicklungsphase ist gleichermaßen spannend. Fasziniert verfolgen Eltern jeden Fortschritt ihres Kindes. Es ist erstaunlich, wie resolut ein kleines Kind schon von Beginn an darauf aus ist, weiterzukommen und selbstständiger zu werden. Wir Erwachsenen sind bei diesem rasanten Entwicklungsprozess als kompetente Begleiter und engagierte Unterstützer gefragt.

Geborene ENTDECKER

Sie sind guter Dinge und strahlen jede Menge Lebensfreude aus – vielen Kindern scheint es in den Jahren vor der Schule gut zu gehen.

Keine Zensuren, keine Lehrpläne, kein Druck.

Viele können sich ausleben, eigene Erkundungen anstellen. Zu Hause am Maltisch und in der Spielecke. Im Kindergarten auf dem Klettergerüst und im Riesensandkasten. Draußen am Bach und auf der Wiese. Noch wird den Kindern viel Eigeninitiative, viel Freiheit und Spielraum für ihre Spleens, für ihre ganz individuellen Ideen zugestanden. Neben Krippe, Kindergarten oder Hort finden viele Kinder zu Hause ein anregendes Milieu vor, in dem sie ihre Fähigkeiten entfalten und ihre Fertigkeiten üben können – fern von Lehrplan und Bildungskatalog. Beim Spielen, beim Experimentieren entdecken sie sich selbst, können ihre Persönlichkeit in Ruhe entwickeln und weitgehend ihrer eigenen Wege gehen.

Dieses Quantum an Freiheit in den frühen Kinderjahren ist aber gerade heute längst nicht allen Erwachsenen geheuer. Viele möchten die Zeit vor der Schule lieber verplanen und effektiver nutzen. Die Kinder sollen möglichst früh möglichst viel Wissen und Können ansammeln – und dabei Maßstäben entsprechen, welche die Erwachsenen setzen. Zweijährige beschäftigen sich mit den Grundlagen der Geometrie, Dreijährige wandern zum Mathekurs. Immer mehr Institute bieten Astronomieprogramme, Kommunikationskurse und Englisch für die Kleinen an. Der Unterricht ist meist sogar durchaus spielerisch und kindgerecht. Diese frühe Phase zur Wissensvermittlung soll genutzt werden, weil Kinder im Kleinkind- und Kindergartenalter besonders aufnahmefähig sind und schnell lernen. »Ich will meinem Kind Gutes tun«, sagt die Mutter einer Fünfjährigen, die neben einem Englisch- auch einen Mathekurs besucht. Die Mutter übersieht dabei, dass ein kleines Kind beim Lernen enge Bezugspersonen an seiner Seite und seinen ganz normalen Alltag braucht, sonst wird nichts aus dem ganzen Angebot.

BINDUNG UND ENTWICKLUNG

Menschenkinder lernen von ihren Eltern und anderen Bezugspersonen. Selbst unseren aufrechten Gang, die Sprache und alles andere muss sich ein Kind erst anhand der Vorbilder, die wir ihm bieten, in einem komplizierten Prozess aneignen. Nur wenn die Erwachsenen zur Verfügung stehen, werden die bisher entwickelten Kulturleistungen unserer Gesellschaft an die folgende Generation weitergegeben.