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Angeblich sind die Gräber der Soldaten Cassius und Florentius die spätrömische Keimzelle der Stadt Bonn. Aber weder Texte noch Bodenfunde können diese fromme Legende des Mittelalters bestätigen.
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Seitenzahl: 64
Veröffentlichungsjahr: 2018
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EINLEITUNG
DIE LITERARISCHEN BELEGE
DIE HISTORISCHEN BELEGE
DIE ARCHÄOLOGISCHEN BELEGE
ZUSAMMENGEFASST
ANHANG
0164 Grabstein des Qu. Vettius Severus
ca. 0550 Eucherius: Passio Acaunensium martyrum
0575 Gregor von Tours: Liber in gloria martyrum
0691/0692 Juli 28 Helmgar schenkt der Cassius-Basilika ein Weingut in Briubach
ca. 0775 Anonym: Passio sanctorum, qui passi sunt in Agauno X Kal. Octobres
1157 Gerhard von Are
1166 Mai 02 Graböffnung durch Rainald van Dassel und Gerhard von Are
1229 Helinandus Frigidimontis: Sanctorum Gereonis, Victoris, Cassii et Florentii passio
1494 J. Trithemius: Liber de Scriptoribus Ecclesiasticis: Eucherius
1514 Petrus de Natalibus: Catalogus sanctorum et gestorum eorum
1561 Ado von Vienne: Breviarium Chronicorum: Eucherius
1606 Eucherius: Von dem Leben und Martyr der dapfferen weitberühmpten Thebeischen Rittern und Martyrern Sankt Mauritzen und seiner Gesellen
1612 Gennadius : Libellus: Eucherius
1617 Eucherius: Mauricius Thebaeae legionis dux
1643 Acta Sanctorum
1645 Gelenius: Fasti Colonienses
1673 J. Gerhardus: Patrologia: Eucherius
ABBILDUNGEN
LITERATURVERZEICHNIS
INDEX
ANMERKUNGEN
Abbildung 1: Die Reliquiare des Cassius und des Florentius
Alljährlich im Oktober feiert die Pfarrei der Bonner Münsterkirche das Fest der beiden Stadtpatrone Cassius und Florentius. Allerdings sind diese beiden Männer – im Gegensatz zur dritten Stadtpatronin, der heiligen Adelheid von Vilich – unhistorisch. Auf der Internet-Seite www.stadtpatrone.de ist vorsichtig die Rede von eine(r) alte(n) und ehrwürdige(n) Legende aus der Zeit des frühen Christentums, nichtsdestotrotz wird weiterhin verbreitet, u.a. auf YouTube:
diese beiden, ausserdem (gelegentlich) Eusebius, Gereon, Victor, Mallusius -
seien römische Soldaten gewesen,
Soldaten der ›Thebäischen Legion‹,
hätten dem heidnischen Kaiser die Verehrung verweigert,
seien also hingerichtet worden,
und zwar in Bonn,
seien unter dem jetzigen Bonner Münster begraben worden.
Abbildung 2: Cathédrale St. Cassius et St. Florentius
(Deroy, 1826)
Die ältesten Zeugnisse zum Thema (im weitesten Sinne) sind die ›Passiones‹ (Leidensgeschichten), die Bischof EUCHERIUS1 von Lyon etwa 450 n. Chr. und ein ANONYMUS2 um 400 n. Chr. verfasst haben. Um 390 n. Chr. sind nämlich in Acaunus (dem späteren Saint-Maurice in der schweizerischen Diözese Martigny) die Überreste von Toten geborgen worden. Theodor, der örtliche Bischof, und sein späterer Kollege Eucherius aus Lyon erklärten sie schlichtweg zu Märtyrern; Eucherius schreibt:
(10) Als dies alles dem [Kaiser] Maximianus gemeldet wurde und er einsah, dass die Männer im christlichen Glauben verharrten und ihre Standhaftigkeit nicht erschüttert werden konnte, ordnete er3 an, dass alle getötet werden sollten und dass der Befehl von den benachbarten Einheiten ausgeführt werden sollte. Als diese zu der heiligen Legion kamen, zogen sie das gottlose Schwert gegen die Heiligen, die sich nicht beklagten und sich nicht weigerten zu sterben. Sie wurden also mit dem Schwert getötet, widerstandslos, indem sie den Henkern den Nacken darboten oder den Schlächtern die Kehle oder den unbedeckten Körper. [...]
(13) Die folgenden sind die Namen der Märtyrer: Die Heiligen Mauritius, Ex[s]uperius, Candidus und Victor. Die Namen der übrigen sind unbekannt, aber im Buch des Lebens aufgeschrieben.
(14) Aus derselben Legion sollen auch gewesen sein jene Märtyrer Ursus und Victor, die - so wird erzählt - bei Solothurn den Märtytertod erlitten haben. Solothurn ist ein Militärlager am Fluss Aare und nicht weit entfernt vom Rhein.
Die (lateinischen) Texte des Anonymus und des Eucherius wimmeln von Fehlern und Ungereimtheiten, z.B.:
Es gab nie eine ›Thebäische Legion‹;
die militärischen Ränge sind abwegig;
die Kollektivstrafe der Dezimierung war längst nicht mehr gebräuchlich;
eine Legion hatte schon längst nicht mehr die Sollstärke von 6.000 Mann;
dass eine komplette Legion zur Strafe getötet wird, ist völlig aus der Luft gegriffen;
ab 302 gab es zwar Repressalien gegen Christen, aber keine Hinrichtungen;
ausser Anonymus/Eucherius gibt es kein antikes/frühmittelalterliches Zeugnis der behaupteten Ereignisse.
In einer späteren Ausgabe des Eucherius heisst es, die Soldaten seien vor ihrem Einsatz in Gallien von Marcellinus, dem Bischof von Rom, empfangen worden – der ist aber erst 296 n. Chr. geweiht worden, die Massenhinrichtung wird aber auf 288 datiert.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass weder der historische Rahmen noch die Einzelheiten der passio einer militärgeschichtlichen Prüfung standhalten. Im wesentlichen bleibt somit das Ergebnis Denis van Berchems bestehen, dass der Legende vom Martyrium der Thebäischen Legion kein historischer Kern zu Grunde liegen kann, der sich auch nur annähernd in der beschriebenen Form abgespielt hat. Dies ist bei jedem Versuch, die passio in ihren historischen Rahmen einzuordnen, zu berücksichtigen. (Speidel, 2005),
und:
Aus der Passio Acaunensium martyrum des Eucherius beispielsweise lässt sich nicht als historischer Kern herausschälen, was im einzelnen in den Zeiten Maximians und Diokletians bei Saint-Maurice passiert sei. (Näf, 2005, S. 96),
und:
Der Aussagewert der Passio [des Eucherius] bleibt aufgrund der Kenntnis um den antiken Geschichtsverlauf in der modernen Forschung umstritten.(Kremer, 1993, S. 203),
und:
Dessen [des Eucherius] Auskünfte zur Herkunft und zum Geschick der Martyrer bereiten jedoch wegen zahlreicher Anachronismen grosse Probleme. (Seeliger, 2006, S. 1386).
Mit anderen Worten: Wenn Cassius und Florentius als Soldaten der Thebäischen Legion hingestellt werden, ist ein erster Zweifel an der Glaubwürdigkeit erlaubt.
Der nächste antike Autor ist GREGOR VON TOURS4 (538 – 594 n. Chr.). In seinem ›Liber miraculorum‹ (Wunderbuch) erzählt er ganz allgemein von 50 Thebäern – aber in Verbindung mit Köln:
Es gibt bei Köln eine Kirche, in der 50 Männer aus jener heiligen Legion der Thebäer in Christi Namen das Martyrium erlitten haben sollen. Und weil sie wegen des bewundenswerten Mosaiks gleichsam vergoldet aussieht, wollten die Einwohner jene Kirche zu den ‚goldenen Heiligen‘ nennen.
Nunmehr sind die Thebäer in Köln getötet worden – allerdings fehlen immer noch die Namen Cassius und Florentius.
Das MARTYROLOGIUM HIERONYMIANUM – eine Art Heiligenkalender aus dem 5. bis 7. Jahrhundert, das fälschlich dem hl. Hieronymus zugeschrieben wird – verheddert sich heillos in den Angaben zu den Toten:
Mal sind Cassius und Florentius an einem 30. April in Alexandria gestorben,
dann wiederum anderswo ( alibi ),
dann zusammen mit einem Eusebius und einem Iocundus,
mal an einem 9. oder 10. Oktober in Köln,
dann wieder Gereon an einem 8. und 9. Oktober in Köln.
Diese drei Namen – und dazu Victor – tauchen zum ersten Mal in einer ›Passio Gereonis‹auf, die dem Mönch HELINANDUS FRIGIDIMONTIS5 (um 1200 n. Chr.) zugeschrieben wird – also rund 800 Jahre nach den angeblichen Märtyrertoden in Acaunus/Saint-Maurice:
Kapitel 1.
Die Standhaftigkeit im Glauben und das Martyrium.
[...]