Wie du dein eigenes Saatgut gewinnst – und so ein kleines Stück Welt rettest - Sigrid Drage - E-Book

Wie du dein eigenes Saatgut gewinnst – und so ein kleines Stück Welt rettest E-Book

Sigrid Drage

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Beschreibung

LASS UNS REBELLIEREN: SAATGUTVERMEHRUNG FÜR UNSERE ZUKUNFT! Du möchtest wissen, WOHER DEIN ESSEN KOMMT und lebst nach der Devise: Am besten aus dem eigenen Garten oder gar nicht? DU BIST DER PERMAKULTUR VERFALLEN und möchtest die Welt ein kleines Stückchen besser machen? Oder bist du einfach VERRÜCKT NACH DEINEN SELBST GEZOGENEN PFLANZEN - den saftigen Tomaten und dem unfassbar duftenden Oregano - und möchtest auf das nächste Level upgraden? Dann mach's dir doch einfach selbst! TAUCH EIN IN DIE WELT DER PFLANZENVERMEHRUNG UND ZÜCHTE JAHRAUS, JAHREIN DEINE EIGENEN LIEBLINGSGEMÜSE. PFLANZENVIELFALT VORAUS! ERNTE UND VERMEHRE, WIE DIR DEINE BUNTEN GEMÜSEKÖPFE UND KESSEN KRÄUTERBLÄTTER GEWACHSEN SIND! Die Autorin Sigrid Drage liefert dir alle Infos und Tipps, die du brauchst, um an Ende DIE ERTRAGREICHSTEN, RESISTENTESTEN UND DIE AM BESTEN AN DEINEN GARTEN ANGEPASSTEN SAMEN UND STECKLINGE WEITERZUPFLANZEN. Angefangen mit den BASICS: Wie sollst du deine Pflanzen am besten AUSSÄEN, VORZIEHEN, ANPFLANZEN UND PFLEGEN? Und natürlich: alles rund um BESTÄUBUNG, BEFRUCHTUNG, GENERATIE UND VEGETATIVE VERMEHRUNG. Grundlagen abgehakt? Dann kann es gleich weitergehen: mit AUSFÜHRLICHEN PORTRAITS ZU 40 GEMÜSEN, KRÄUTERN, BLUMEN UND BEEREN, die du ganz UNKOMPLIZIERT VERMEHREN und auch WIRKLICH GEBRAUCHEN KANNST. HYBRIDSORTEN MÜSSEN DRAUSSEN BLEIBEN. AB JETZT GIBT'S NUR MEHR, WAS DU SELBST VERMEHRT HAST Wenn du deine eigenen Pflanzen vermehrst, kannst du dich LOSLÖSEN. Von allem, was in der Saatgutindustrie schiefläuft. Du bestimmst, WELCHE SORTEN WEITERGEPFLANZT werden. OHNE NORMIERUNG ODER VORSCHRIFTEN, und ohne konventionelle Hybridsamen, die den Markt bestimmen. Am Anfang steht der Weg zurück: zu ALTEN KULUTRMETHODEN, RAREN SORTEN und einer Technik, die in Vergessenheit geraten ist. Werde zur Samenzüchterin und zum Stecklingsflüsterer! Dann bist du nämlich VIELFALTSERHALTERIN, SELBSTVERSORGER UND KLIMASCHÜTZERIN auf einmal. - BYE-BYE HYBRIDSAMEN - HALLO GEMÜSEVIELFALT! Wir starten eine SAMENREVOLUTION, die sich gewachsen hat. Mit selbst gezüchteten Pflanzen, die dich befreien: von Gentechnik, Monopolen und anderen schlechten Saatgewohnheiten. - Von wegen Gärtner-Olymp: SAATGUT GEWINNEN UND STECKLINGE ZIEHEN KANN JEDER. Hol dir die Grundlagen, starte gleich los - und ernte unglaublich geschmacksintensive Gemüse, Kräuter und Beeren, die jedes Jahr noch üppiger wachsen. - Immer schon cool: Pflanzen vermehrt haben schon unsere Vorfahren. LASS UNS DAS URALTE WISSEN HERVORHOLEN UND GANZ NEU ENTDECKEN: mit 40 LIEBLINGSPFLANZEN, auf die du ab jetzt nie mehr verzichten kannst.

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Startschuss – lass uns das Saatgutuniversum entdecken: Was dich in diesem Buch erwartet

Nachhaltiger geht’s nicht: Warum du selbst Pflanzen vermehren solltest – und was das mit Permakultur zu tun hat

Ein Riesenkosmos neues altes Wissen: Entdecken wir die Samengärtnerei wieder

Alles ist eins: Von Lebensgemeinschaften, Netzwerken und Permakultur

Und alle ziehen an einem Strang: Pflanzenvermehrung als Gemeinschaftsprojekt

Am Anfang war das Experiment – ein Blick in die Kulturgeschichte der Samengärtnerei

Bye-bye Hybridsamen – hallo Gemüsevielfalt: Holen wir uns die Unabhängigkeit zurück!

Permakulturgärten sind fruchtbar: Hier sprießen nicht nur Pflanzen, sondern jede Menge gute Ideen!

Permakultur – alles, was wir wollen, ist mehr, mehr, mehr …

Miniklein, aber oho! – Freies Saatgut als Schlüssel zu einer guten Zukunft

Raus aus der Abhängigkeitsfalle: Bestimmen wir selbst über unsere Nahrung

Hybrid versus samenfest: Klingt nach Superkräftemessen?

Hybridsorten: eine Einschränkung der Menschenrechte! – Bringen wir die Vielfalt zurück auf die Felder

Die bessere Alternative zum Hybridsaatgut: Ökologische Pflanzenzüchtung

Ökologisch? Na logisch! Samen und die Agrarökologie

Begnadete Anpassungskünstler: Wie du mit Saatgut dem Klimawandel trotzen kannst

Happy Selbstversorgung: Die Vorteile der eigenen Saatgutgewinnung und Stecklingsvermehrung

Erlebe dein blühendes Wunder: Vielfalt säen, unabhängiger werden, Menschen und Pflanzen kennenlernen

Lass uns loslegen: Saatgut und Tauschfeste feiern, Inspiration abholen

Background und Basics für Saatgutgewinnerinnen und Stecklingsflüsterer: Wie sich Pflanzen vermehren

Wer war zuerst da: Same oder Pflanze oder überhaupt das große Ganze? – Eine kurze Geschichte großer Samentaten!

Ganz schön verzweigt – das Beziehungsgeflecht der Samen

Apropos Lebenszyklus: So geht es weiter mit den Samen – die richtigen Keimbedingungen

Plant Love: Wie vermehren sich Pflanzen?

Liebesgeschichten und Vermehrungssachen: Von generativer und vegetativer Fortpflanzung

Suche Partner – oder auch nicht: Bestäubung, Fremdund Selbstbefruchtung

Wer mit wem? – So vermeidest du Verkreuzungen

Your Starter Kit: Saatgutheldin werden im Handumdrehen

Dein eigenes Saatgut: Der Weg von der Pflanze zum Samenkorn oder Steckling

Wir säen, was wir ernten wollen: Plane deine Pflanzenvermehrung, einmal quer durchs Gartenjahr

Kleine Pflänzchen ganz groß: Jungpflanzenanzucht

Permakultur-Action fürs Gemüsebeet: So kümmerst du dich am besten um angehende Samenträger

Wenn die Blütezeit vorbei ist: Saatgutgewinnung

Schichten, stapeln, tauschen und sich auskennen: So behältst du den Überblick über deine Samensammlung

Keimprobe gefällig? – So stellst du die Haltbarkeit von Saatgut fest

Klonen für den Hausgebrauch: So vermehrst du Pflanzen vegetativ

Bis auf den letzten Stängel: Was du alles mit Pflanzensamenresten anstellen kannst

It’s all about: die Gesamtheit im Garten – und deine Lieblingspflanzen zum Vermehren

We are family: Von Pflanzenfamilien und was sie uns erzählen

Ran an die bunten Helden: Pflanzenporträts für Selbstvermehrerinnen und Saatgutsammler

Gänsefußgewächse/Fuchsschwanzgewächse

Mangold

Gemüsemelde

Baumspinat

Amarant

Nachtschattengewächse

Tomate

Paprika, Pfefferoni und Chili

Aubergine/Melanzani

Kartoffel

Schmetterlingsblütler

Stangenbohne

Buschbohne

Feuerbohne

Ackerbohne

Schabzigerklee

Echter Steinklee und Weißer Steinklee

Kürbisgewächse

Kürbis und Zucchini

Gurke

Schwammkürbis/Luffakürbis

Scheibengurke

Korbblütler

Gartensalat

Zichoriensalat

Artischocke

Ringelblume, Cosmea und Kornblume

Färberkamille

Wermut, Estragon, Colakraut, Currykraut, Heiligenkraut und Olivenkraut

Doldenblütler

Pastinake

Karotte/Möhre

Petersilie

Koriander

Fenchel

Zwiebelgewächse

Schnittlauch

Winterheckezwiebel

Kreuzblütler

Wilde Rauke/Wilder Rucola

Asiasalate

Grünkohl, Sprossenkohl und Brokkoli als Keimsaat

Meerrettich

Lippenblütler

Mediterrane Kräuterstecklinge: Rosmarin, Salbei, Lavendel und Ysop

Von Ausläufern und Ablegern: Minze, Zitronenmelisse, Thymian, Bergbohnenkraut und Oregano

Basilikum

Rosengewächse

Himbeere

Gartenerdbeere

Süßgräser

Roggen

Dinkel

Mais

Da ist was im Busch: (Wild-)Sträucher und Bäume vermehren

Johannisbeere

Blumen bringen’s einfach: Noch mehr bunte Blüten vermehren

Borretsch und Buchweizen

Kapuzinerkresse

Stockrose

Nachtkerze, Königskerze und Natternkopf

Johanniskraut und Vexiernelke

Saatgut im Porträt: Alle Samen auf einen Blick

Saatgut statt Brotkrumen – ein Wegweiser durchs Buch: Der Anhang

Pflanzvermehrungslatein? Ganz unkompliziert! – Dein Glossar

Auf der Suche nach mehr: Weiterführende Literatur und Quellen

Woher bekomme ich was? – Bezugsquellen und Empfehlungen für den perfekten Start ins Saatgutheldinnendasein

Vom Winde verweht: Ab jetzt überlässt du nichts mehr dem Zufall, sondern nimmst den Samen (oder Steckling) selbst in die Hand.

Diese Jungpflänzchen warten schon sehnsüchtig darauf, endlich ins Beet umzuziehen – damit sie erblühen und dir wieder ihre Samen schenken können.

 

Nachhaltiger geht’s nicht: Warum du selbst Pflanzen vermehren solltest – und was das mit Permakultur zu tun hat

Du arbeitest gern in deinem Garten und versuchst, dein Fleckchen Erde möglichst naturnah und nachhaltig zu gestalten? Du magst es, zwischen den Beeten zu stehen, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen und deine Ernte anschließend schnurstracks zu verputzen oder haltbar zu machen? Vielleicht hast du nur wenig Platz – ein paar Töpfe, aus denen es wuchert –, möchtest aber alles über den Anbau vom Samen bis zur knackigen Frucht wissen? Dann tauche mit mir in die Welt der Saatgutgewinnung ein und baue ab sofort deine eigenen Lieblingspflanzen an.

Bereit? Und los geht’s!

Was aber hat Permakultur damit zu tun? Keine Angst, auch wenn du über keinen Permakulturgarten verfügst oder noch nie von den Prinzipien der Permakultur gehört hast, bist du hier genau richtig. Denn einerseits werde ich auf den folgenden Seiten noch etwas mehr zu den Zusammenhängen erzählen und andererseits geht es bei der Pflanzenvermehrung wie bei der Permakultur darum, in Kreisläufen zu denken. Der Natur freien Lauf zu lassen und sie gleichzeitig dabei zu unterstützen. Und es geht auch ein bisschen darum, der industriellen Massenproduktion die Zunge zu zeigen. In unseren Gärten möchten wir dauerhafte Lebensräume für Pflanze, Tier und Mensch schaffen und erhalten. Aber die natürlichen Kreisläufe werden durchbrochen, wenn wir jedes Jahr aufs Neue Samen und Pflanzen kaufen müssen. Fast alle handelsüblichen Gemüsesamen sind Hybridsamen und somit darauf ausgelegt, dass sie gar nicht weitervermehrt werden können. (Woran das liegt, erfährst du ab Seite 31.) Das widerspricht nicht nur dem Nachhaltigkeitsgedanken, sondern ist auch noch ganz schön mühsam.

Auf diese unsinnige Abhängigkeit hast du keine Lust mehr? Dann leg los und werde zur Samengewinnerin und zum Stecklingsflüsterer. Zu verlieren gibt’s nichts – und die Welt gewinnt dadurch ein Stück Freiheit zurück. Wenn du deine Pflanzen selbst vermehrst, tust du dir und der Umwelt einen großen Gefallen. Die Lücke im Kreislauf wird geschlossen, Ressourcen werden geschont und wertvolle Raritätensorten werden erhalten. Mit der Zeit lernst du, deine samenfesten Lieblingssorten jedes Jahr selbst zu ziehen. Gerade sie können uns in herausfordernden Zeiten mit Klimawandel und Verteilungsungerechtigkeit ein gutes Stück weiterhelfen. Und natürlich kannst du dich über deine eigenen knallbunten, ganz und gar selbst aufgezogenen und vermehrten, einzigartig schmeckenden Pflänzchen freuen und vielfältige Ernten genießen.

Ich bin leidenschaftliche Permakulturistin

Ich lebe in einer bunten Wohngemeinschaft mit großem Permakulturgarten in der Nähe von Wien und betreibe den SONNENTOR Frei-Hof im Waldviertel, rein permakulturell bewirtschaftet, versteht sich. Man sieht schon, ich bin durch und durch von diesem Konzept überzeugt. Vieles rund um die Permakultur habe ich bei der PIA gelernt, der Permakultur-Akademie im Alpenraum, für die ich auch als Referentin und Mitdenkerin tätig bin. Wo die Leidenschaft für die Natur, das Gestalten mit der Natur und das Pflanzenvermehren begonnen hat, weiß ich nicht so genau. Es muss sich aber irgendwann zwischen den Spielen in Wald und Garten in der Steiermark, meinem Ökologiestudium in Wien und so manchen langen Spaziergängen in verschiedenen Weltgegenden zugetragen haben. Als Summe aller Dinge und Begegnungen.

Dass ich jetzt genau hier bin, als Permakulturistin im Waldviertel und in Wien-Umgebung, halte ich für reinen Zufall. Eben genauso, wie sich Pflanzensamen zufällig verbreiten: mit Wind, Wasser oder auf einer Schuhsohle. Wenn sie fruchtbaren Boden, Wasser und Licht zum Keimen finden, kann’s losgehen. Einfach so.

Das Thema Samengärtnerei ist mir im Garten begegnet (beim selbst ausgesäten Salat mitten auf dem Weg), hat mich in die Küche begleitet (zum Kürbisseaushöhlen, Samenernten und Resteverkochen) und mich danach zum Saatgutlehrgang der „Arche Noah“ geführt, bei dem ich viel Praktisches erlernen konnte. Die eigene Pflanzenvermehrung ist ein unglaublich spannendes Thema, vereint aus altem Wissen und neuen Erkenntnissen und vor allem eigenen Erfahrungen, die ich in dieses Buch einbringen möchte. Man muss nicht wissenschaftlich geschult sein, man muss nicht schon jahrelang gegärtnert haben und sich sozusagen auf dem Olymp des Gemüseanbaus befinden. Jeder startet einmal; Hauptsache, du hast Spaß am Ausprobieren!

Wenn du erst mal in diesen Kosmos reingepurzelt bist, wirst du mit einem Haufen Gemüse, Obst, Blumen, Kräutern – und natürlich ihren Samen und Stecklingen – zurückkommen.

Neben all den Dingen, die ich dir über die Samenernte erzählen werde, spreche ich auch immer wieder von der Permakultur. Denn ich liebe die Prinzipien der Permakultur – und vielleicht kommst auch du bald nicht mehr von ihnen los?

 

Ein Riesenkosmos neues altes Wissen: Entdecken wir die Samengärtnerei wieder

Die Zeiten, als Samengärtnerei noch zu unseren wichtigsten Skills gehörte, sind lange her, denn da ist so einiges in Vergessenheit geraten. Dieses Buch soll dir deshalb den Einstieg erleichtern, Trittsteine bieten und Lust zum Ausprobieren machen. Und fürs Erste die Perfektionismusansprüche etwas tiefer hängen!

„Dabei sein ist alles“ – und darum geht’s hier wirklich! Denn es ist endlich Zeit, die Saatgutvermehrung zurück in die Hausgärten zu holen. Zeit, um Stück für Stück wieder zum Insider im eigenen Garten zu werden und dabei auch noch wertvolle alte Gemüse-, Kräuter- und Obstsorten zu erhalten. Ob im kleinen Balkongarten in der Stadt oder im riesigen Selbstversorgergarten für die ganze Familie – selbst Pflanzen vermehren geht überall. Entdecke die Kulturpflanzenvielfalt, die es zu genießen und für ein gutes Leben für alle zu erhalten gilt, und tauche in den Wissenskosmos der Sortenerhaltung ein.

 

Alles ist eins: Von Lebensgemeinschaften, Netzwerken und Permakultur

„Was ist eigentlich Permakultur?“

Diese Frage wird mir häufig von Besuchern unseres Gartens gestellt. An seinem Beispiel erkläre ich es ihnen so:

— Wir gestalten dieses Grundstück möglichst naturnah und mit vielfältigen Arten. – „Die Wiese wird selten gemäht, immer blüht etwas und unser Gemüse wächst in Mischkultur.“

— Es wird auf ressourcenschonende Weise bewirtschaftet. – „Wir nutzen alles, was da ist, und kaufen kaum zu; z. B. Grasschnitt als Dünger, eigenes Saatgut und getauschte Pflanzentöpfe.“

— Wir ernten eine große Vielfalt und Menge, von der wir super das ganze Jahr hindurch leben können. Und nicht nur wir, denn hier gibt es ja auch Enten, Hühner, Bienen, Hummeln, Regenwürmer, Distelfinken usw.

— Und wir beobachten, analysieren und planen ausgiebig, bevor wir etwas umsetzen. Unsere Lehrmeisterin dabei ist die Natur, genauso wie traditionelles Wissen und Erkenntnisse aus der Wissenschaft und Technik.

Tierische Mitarbeiter sind einfach genial. Und im Permakulturgarten sowieso immer mit am Start!

Die Backstage-Info zur obigen Antwort ist folgende: Das Wichtigste ist, gute Beziehungen spielen zu lassen. Denn wer sich mit Permakultur auseinandersetzt, spürt bald, dass sich dabei alles um eines dreht: das vielfältige, beziehungsintensive Zusammenleben von Menschen, Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen an einem Ort.

In der Ökologie spricht man in diesem Zusammenhang von Lebensgemeinschaften oder Biozönosen (vom altgriechischen „bios“, also „Leben“, und „koinos“, das sich mit „gemeinsam“ übersetzen lässt). Sie sind der Knackpunkt, wenn es um unser Zusammenleben geht. Egal, ob es sich in einzelnen Häusern, Siedlungen, Gärten oder ganzen Kulturlandschaften und Ökosystemen abspielt.

Die Lebensgemeinschaften spielen neben dem Biotop, dem Lebensraum, die wichtigste Rolle in jedem Ökosystem. Und dabei sind ganz bewusst Gemeinschaften aus Lebewesen unterschiedlicher Arten gemeint. Das kann beispielsweise eine Gemeinschaft verschiedenster Lebewesen auf einer Wiese oder in einem Wald sein. Es kann sich auch auf das Zusammenspiel der Mikroorganismen auf unserer Haut oder in unserem Körper beziehen.

In diesem Buch wird unter Lebensgemeinschaft vor allem ein Zusammenleben und Gut-füreinander-Sorgen verstanden. Eine Wohn- und Lebensgemeinschaft aus Familie, Freundeskreis, Haus- und Nutztieren, vielen Pflanzen sowie den vielfältigen kleinen und großen Lebewesen im Haus, Garten und Siedlungsraum.

Wie kannst du dir die Beziehungen darin also vorstellen? Sie sind wie in Netzen verwoben, in denen es um so wesentliche Dinge wie Nahrung, Schutz, Fortpflanzung, Gesundheit, Ressourcennutzung, Fortbewegung und Informationsaustausch geht. Alles steht auf die eine oder andere Weise miteinander in Verbindung.

Eines sollten wir uns aber immer vor Augen führen: Durch unser Handeln greifen wir in dieses Beziehungsnetz ein. Und manches kann auch schwerwiegende Folgen für das Fortbestehen von Arten, Lebensgemeinschaften oder Lebensräumen haben. Aus diesem Grund wurde vonseiten der Ethik das „Prinzip der Verantwortung“ (Hans Jonas, 1979) formuliert, das auch „ökologischer Imperativ“ genannt wird:

Handle so, dass die Auswirkungen dieses Handelns verträglich sind mit dem Fortbestand des menschlichen Lebens auf Erden.

Auf Augenhöhe mit den Hühnern …

Bei uns dürfen auch die Blumen blühen und abblühen – und Futter für die Bienchen und andere Insekten zur Verfügung stellen. Denn nur so schließt sich der Kreis.

Das klingt zunächst ganz logisch: Wir wollen nachhaltig leben und zukünftigen Generationen unsere Erde und Umwelt in einem möglichst guten Zustand hinterlassen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist das einfacher gesagt als getan. Unsere Gesellschaft und Wirtschaftssysteme sind auf Konsum, Leistung und Wachstum ausgerichtet. Dabei wird unsere Umwelt oft genug auf der Strecke gelassen. Dennoch wissen wir heute ganz genau, welche unserer Verhaltensweisen für das Überleben auf unserem Planeten besonders schädlich sind. Von internationalen Institutionen wie dem International Panel on Climate Change (IPCC) gibt es klare Vorschläge für zukunftsfähige Handlungsweisen, die wir Menschengemeinschaften und Staaten ganz einfach befolgen sollten.

Und: Es gibt viele Hoffnungsschimmer, die jeder Einzelne entfachen kann: Du, genauso wie ich, genauso wie alle, die wir kennen. Starten wir gemeinsam im Kleinen, holen wir andere mit ins Boot und lassen wir niemanden zurück. Zukunftsfähiges Handeln braucht nämlich eine kollektive Enkeltauglichkeit, die alle Enkel weltweit einschließt, nicht nur die eigenen. Sorgen wir dafür, dass es alle, die nach uns kommen, auf dieser Erde gut haben werden.

Oft wirkt das alles ein wenig ausweglos – denn nicht allein die einzelnen Menschen stehen in der Verantwortung, vor allem die großen Player und die politisch Agierenden müssten nachhaltig Änderungen vorantreiben, um etwas zu bewirken. Trotzdem haben wir auch im Kleinen die Chance, etwas beizutragen.

Und hier kommen wir zur Permakultur: Sie beschäftigt sich intensiv damit, welche Verantwortung wir für unseren Planeten und alle ihn bewohnenden Lebewesen haben und worauf wir unser Handeln ausrichten sollen. Die zugrunde liegende Ethik wurde bereits in den 1970er-Jahren von Bill Mollison und David Holmgren formuliert. Ihre Grundsätze lauten:

Care for the earth: Sorge dafür, dass alle Lebewesen und die Gesundheit unseres lebenden Systems Erde erhalten bleiben.

Care for the people: Sorge dafür, dass alle Menschen eine Lebensgrundlage haben.

Fair share: Teile Überschüsse an Zeit, Geld, Energie und anderen Ressourcen gerecht mit anderen.

Zu zweit ist das Mulchen im Permakulturgarten gleich viel lustiger – und die Tomaten freut's.

Bei uns landet alles in einem Topf. Und am liebsten essen wir gemeinsam, denn zusammen macht’s einfach mehr Spaß.

 

Und alle ziehen an einem Strang: Pflanzenvermehrung als Gemeinschaftsprojekt

Was das alles mit der Pflanzenvermehrung zu tun hat? Ganz genau: Sie ist ein wesentlicher Prozess inmitten dieser lebendigen Netzwerke und Beziehungen. Gerade die Pflanzen stehen im Zentrum aller Nahrungsnetze. Im Gegensatz zu den meisten anderen Lebewesen können sie nämlich mithilfe von Sonnenlicht lebendige Biomasse aufbauen. Und sind somit die Grundlage für die Ernährung des Großteils aller anderen Lebewesen.

Es ist also kein Zufall, dass die Pflanzenvermehrung über Samen und vegetative Pflanzenteile wie Stecklinge, Knollen und Ausläufer eine alte Kulturtechnik ist, die Menschen schon früh erlernt und weiterentwickelt haben. So konnten und können sie wertvolle Pflanzen nahe ihren Behausungen anbauen und vermehren. Und diese Kulturtechnik war immer schon eine, die Menschen zusammenführte: zum Austausch von Sorten und dem dazugehörigen Wissen und zum freien Saatguttausch. Damit die genetische Vielfalt, Gesundheit und Anpassungsfähigkeit der Kulturpflanzen erhalten bleibt und die Ernährungssouveränität der Menschen gewährleistet wird.

Du siehst also, worauf das Ganze hinausläuft: Pflanzenvermehrung und Permakultur gehören zusammen wie Topf und Deckel, wie Feuer und Flamme, wie Luft und Liebe. Sie beide haben das Ziel, die natürlichen Kreisläufe fortzusetzen. Beide lieben es, nach dem eigenen Kopf – mitten in der Natur – zu wachsen, und haben keine Lust auf Gentechnik und Hybridsorten. Gemeinsam schlagen sie der Saatgutindustrie ein Schnippchen, indem sie laut für sich einstehen und protestieren: Vielfalt statt Monopolisierung! Essen für alle! Teilen statt verkaufen!

Immer mehr Menschen entdecken ihre Liebe zum Samengärtnern und zur Pflanzenvermehrung neu. Und das ist enorm wichtig. Denn samenfestes Saatgut ist durch die industrielle Produktion in Gefahr. Mach auch du mit – und nimm die Pflanzenvermehrung selbst in die Hand. Lerne, wie du Saatgut ernten und eigene Lieblingssorten ziehen kannst. Und gib der Natur so ein kleines Stückchen Vielfalt zurück. Abgesehen davon, dass eigentlich niemand patentiertes, gentechnisch verändertes Hybridsaatgut haben will, wächst Schritt für Schritt das Bewusstsein für samenfeste Nichthybridsorten. Und die sind in unzähligen Varietäten vorhanden, laden zum eigenen Weitervermehren ein und tragen weit abseits von Großkonzernen und Profitgier wesentlich zu einer besseren Welt für alle bei.

Samen, Pflanze und Permakultur-WG: Wie für uns alles begann

Gleich vorweg: Unser Frei-Hof ist kein spezialisierter Vermehrungsbetrieb und auch ich bin keine professionelle Saatgutzüchterin. Vielmehr verstehen wir uns als Vielfaltsbetrieb, auf dem wir biologisch und nach Permakulturprinzipien wirtschaften. Und hier gehört die Samengärtnerei ganz einfach dazu.

Das war für mich schon von Anfang an selbstverständlich, als Andreas Voglgruber und ich begannen, unseren ersten Garten in Flodo (= Wien-Floridsdorf) zu gestalten und zu bewirtschaften. Das Ernten, Sichten, Aufbewahren, Tauschen und Wiederaussäen von Samen war also schon immer fester Bestandteil unseres Gartenjahres. Begonnen haben wir mit einer kleinen Grundausstattung: einem Schächtelchen voll mit Samen von Gemüsekulturen, Kräutern und Blumen, die wir aussäten und betreuten. Im Herbst dieser ersten gemeinsamen Gartensaison 2009 konnten wir schon ein Vielfaches davon auf unserem Gartengrundstück ernten … und nicht nur von Pflanzenarten, die wir selbst ausgesät hatten, sondern vor allem auch von bereits auf dem Grundstück vorhandenen Wildpflanzen, Zierpflanzen und von solchen, die wir bei allerlei Spaziergängen in der Umgebung entdeckt hatten. Saatgut in Hülle und Fülle war neben dem vielen Obst, den Kräutern und dem Gemüse, das wir bis weit in den Winter hinein genossen, das schönste Geschenk des Gartens. Und schon im kommenden Frühjahr konnten wir aus einer immensen Vielfalt an Pflanzenarten für den Anbau wählen. Gleichzeitig lernten wir auch ökologische Saatgutvermehrer in unserer Umgebung kennen. Das waren zum Teil private, aber auch einige professionelle ökologische Samengärtnereien. So haben wir begonnen, Sorten zu kaufen, zu tauschen, zu testen und für den Eigenbedarf selbst weiterzuvermehren. Seither läuft die Arbeit mit dem Saatgut für uns als logische, harmonische, spannende Aufgabe im Jahreskreislauf des Hofes mit. Saatgutkäufe aus dem Supermarkt oder gar Hybridsaatgut waren für uns von Anfang an nie eine Option. Die Vielfalt lag bereits vor der Haustür, wir mussten nur danach greifen.

Erst nach und nach haben wir erlebt und verstanden, wie hemmend die Praktiken der Saatgutindustrie und die Hybridsorten für das Lernen und die Entwicklung sowohl jener Menschen sind, die gärtnern, als auch jener, die Pflanzen konsumieren. Und wie dabei die Pflanzenvielfalt und die genetischen Ressourcen für die Zukunft des Lebens Schritt für Schritt zerstört werden. Freies, samenechtes Saatgut und einfaches Vermehrungswissen zurück in die Hausgärten und den Alltag zu holen, ist deshalb eine der wichtigsten Botschaften, die wir vermitteln wollen.

Unser Projekt startete in der Vorstadt.

Am Anfang war das Experiment – ein Blick in die Kulturgeschichte der Samengärtnerei

Ganz logisch: Wenn ich regelmäßig weite Strecken zurücklegen muss, um Nahrungs- und Heilpflanzen zu finden – weil ich vom Jagen und Sammeln lebe –, werde ich mich früher oder später fragen, ob ich diese für mich nützlichen Pflanzen nicht an einem fixen Platz ansiedeln kann. Da, wo ich nicht suchen muss. Und so beginne ich zu experimentieren …

So zumindest stelle ich es mir vor, wenn ich versuche, mich in eine Sammlerin oder Jägerin in der Jungsteinzeit hineinzuversetzen.

Angeblich kamen die Menschen in unseren Breitengraden aber nicht von alleine auf diese Idee, sondern sie erhielten Inspiration und Hilfe. Einwanderer aus dem östlichen Mittelmeerraum kamen ca. 4000 Jahre vor Christus über die Balkanroute nach Mitteleuropa und hatten das Zeug für eine ganze Hochkultur dabei. Man sagt auch „neolithisches Bündel“ dazu. Damit gemeint ist hochaktuelles Gebrauchswissen zu Sesshaftwerdung, Ackerbau, Viehzucht und Keramik.

„Kooperation statt Konkurrenz“ sagte sich die alteingesessene Jägerin und Sammlerin und bot dem Neuankömmling einen Wissensaustausch an: Ortskunde, Pflanzenwissen, die besten Jagdgründe und was auch immer mehr – im Tausch gegen die neuesten Erkenntnisse zum Sesshaftwerden und Pflanzenanbau … So oder so ähnlich hat es wohl angefangen, das Gemeinschaftsprojekt Samengärtnerei.

Denn natürlich hatten die Einwanderer auch Saatgut dabei! Erste Getreidearten, Linsen, Erbsen, Hirse und Mohn, aber auch Faserpflanzen wie Lein zählten zu den ältesten Kulturpflanzen, die in der Folge auch in Mitteleuropa angebaut wurden. Noch vor Beginn unserer Zeitrechnung kamen Ackerbohne, Hanf und der Dinkel als weitere Getreidesorte hinzu. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte nach Christus waren der Austausch und die Verbreitung von Kulturpflanzenarten und -sorten enorm und es ging mit dem Gemüse so richtig los. Mangold, Rote Rübe, Sellerie, Karotten, Kohl und Lauch – im Mittelalter waren sie bei reicheren Leuten bereits fixer Bestandteil des Speiseplans. Erst nach 1500 nach Christus erreichten dann auch unsere jetzt so beliebten Exoten Mitteleuropa: Tomate, Kartoffel, Kürbis, Mais und Bohnen wurden aus Mittelamerika importiert und hier weiter angebaut. Doch wie sind all diese Kulturpflanzen entstanden?

Wenn die Pflanzen abgeblüht sind, kann man ihre Samen ernten. Das wissen die Menschen schon seit Urzeiten.

Von den süßesten Früchtchen und dicksten Kohlköpfen: Pflanzenselektion

Der Begriff Kulturpflanze bedeutet, dass die Pflanze bewusst und über lange Zeit von Menschen vermehrt wurde und sich von ihren Wildpflanzenvorfahren in relevanten Eigenschaften unterscheidet. Durch gezielte Selektion haben Menschen nämlich Jahr für Jahr vor allem jene Pflanzen vermehrt, deren Eigenschaften besonders erwünscht waren, z. B. größere Getreidekörner, süßere Früchte oder dickere Kohlköpfe. Durch diesen Selektionsprozess konnten also Eigenschaften Schritt für Schritt verstärkt oder zurückgedrängt werden. So wurden Kulturpflanzensorten gezüchtet, die für uns besonders nützlich und schmackhaft waren und es noch immer sind.

Bei Wildpflanzen hingegen haben sich die Menschen nicht eingemischt, sondern es erfolgte Jahr für Jahr eine sogenannte natürliche Selektion durch die Natur selbst. Die auf die Pflanzen einwirkenden Umweltfaktoren wie Wasserangebot, Temperatur oder bestimmte Pflanzenfresser selektierten aus den Pflanzen jene Individuen heraus, die sich unter genau diesen Bedingungen am besten vermehren konnten. Sie überlebten am ehesten und bildeten reife Samen aus und vermehrten sich dadurch stärker als andere Individuen.

Aber diese natürlichen Selektionsfaktoren wirkten auch auf die von uns Menschen in Kultur genommenen Pflanzen ein und halfen so, sie an bestimmte Bedingungen wie Trockenheit oder Frost anzupassen. Denn was helfen größere Getreidekörner, wenn genau diese Pflanzen schlecht mit den Bedingungen zurechtkommen? Es braucht also beides, damit nützliche Kulturpflanzen entstehen: ein Zusammenspiel zwischen natürlicher Selektion und der Auswahl durch den Menschen.

Die Mischung macht’s: Mixen wir uns genetische Vielfalt

Und – das ist besonders bedeutend – dieser Prozess, der zu den wichtigsten Kulturtechniken des Menschen gehört, passierte gemeinschaftlich zwischen Personen, die innerhalb einer oder in verschiedenen Regionen siedelten. Ein jahrtausendealtes Gemeinschaftsprojekt.

Saatgut muss nämlich regelmäßig angebaut werden, um seine Keimfähigkeit und Triebkraft nicht zu verlieren. Zudem bleibt die Nutzpflanze dadurch im Hinblick auf die vorherrschenden Umweltbedingungen up to date. Das heißt auch, dass Infos zu Anbau, Ernte, Verarbeitung und Lagerung im Laufe der Zeit weitergegeben werden mussten, oft über Generationen – und da gab es kein Internet zum Nachschauen …

Noch stecken die Samen der Platterbse fest in ihrer Hülle. Lass sie uns mal probieren ...

Außerdem brauchen Kulturpflanzensorten genetische Vielfalt, um vital und wüchsig zu bleiben. Aber auch für die Fähigkeit, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, ist die genetische Vielfalt wichtig. Das erzielen die Pflanzen durch regelmäßigen Austausch – also die gemeinsame Fortpflanzung – mit vielen Individuen. Es reichte also nicht, nur eine Kohlpflanze zur Samenreife zu bringen und von ihr Samen abzunehmen, sondern es mussten mehrere sein. Das wussten auch schon die Bäuerinnen vor vielen Hundert Jahren. Sie tauschten und mischten ihr Saatgut und ließen von den daraus gezogenen Pflanzen immer mehrere zur Samenreife kommen.

Saatgut war auch immer dabei, wenn Menschen wanderten, und so verbreiteten sich Sorten weit über ihre Entstehungsorte hinaus. Und vor allem: Sie veränderten sich zigmal an ihren neuen Lebensräumen, da ganz verschiedene Umweltbedingungen, aber auch Bedürfnisse der Menschen vorherrschten. So wurde ein und dieselbe Kulturpflanzenart in unterschiedlichen Regionen weitervermehrt und mit der Zeit entwickelten sich daraus Lokalsorten, die sich deutlich voneinander unterschieden.

Die Kulturpflanzenvielfalt entstand also deshalb, weil viele Menschen in vielen Regionen ihre Lieblingspflanzen über Jahre hinweg anbauten, nutzten und vermehrten. Der Austausch und die Verbreitung förderten dann die Aufspaltung in viele Sorten und Varietäten – viva la diversidad!

Vom Alltagswissen zur Handbestäubung: Wie der Samenbau spezialisiert und professionalisiert wurde

Etwa ab dem 17. Jahrhundert begannen Gärtnereien nahe den großen Städten, sich zunehmend auf die Zucht und den Samenbau zu spezialisieren. Sie betrieben die Pflanzenvermehrung als eigenen Betriebszweig, der aus dem Zyklus anbauen – nutzen – vermehren herausfiel, da sie sich vollständig auf die Sortenzucht und Samenernte konzentrierten. Vor allem in Deutschland, Tschechien und Ungarn entstanden richtige Vielfaltszentren, in denen Gemüsesorten gezüchtet und die Samen in regem Handel verkauft wurden.

Ab dem 19. Jahrhundert kam eine ganz spezielle Methode dazu: die Kreuzungszüchtung. Durch die wissenschaftliche Entdeckung der sogenannten „Mendel’schen Regeln“ bekamen die Züchterinnen und Gärtner ein tieferes Verständnis von der Vererbungslehre der Pflanzen. Ab jetzt musste nicht mehr nur beobachtet und darauf gewartet werden, was sich durch Selektion oder auch durch zufällig auftretende Kreuzungen an einer Sorte veränderte. Nun konnten Pflanzen durch die Züchterinnen gezielt miteinander gekreuzt werden. Das heißt, es wurde ganz bewusst per Hand der Pollen einer Vaterpflanze auf die Narbe einer Mutterpflanze aufgebracht (= Handbestäubung), um in der Tochterpflanze Eigenschaften beider Eltern zu kombinieren.

Na, wie schmeckt sie nun, die Platterbse?

Die besonders Schönen werden zur Vermehrung eingelagert.

Was sich für die Saatguternte eignet, wird schon früh auserwählt.

Höher, größer … schlechter: Auswüchse der heutigen Pflanzenzüchtung

Züchtest du auch Kürbisse in deinem Garten? Pflanzen züchten kann nämlich nicht jeder ... Keine Sorge, das stimmt natürlich nicht. Wenn du lernst, wie es geht, und deine Erfahrungen sammelst, kannst du alle Pflanzen züchten. Aber ich möchte hier auf einen kleinen Irrtum hinweisen, der sich nur um ein sprachliches Relikt aus früheren Zeiten handeln kann. Der Begriff „züchten“ wird heute oft umgangssprachlich für „im Garten anbauen“ verwendet. Sogar wenn die Pflänzchen gekauft und noch nie Samen geerntet wurden, hört man Menschen darüber erzählen, sie würden im Garten Pflanzen züchten. Der Begriff hat sich anscheinend aus der Zeit erhalten, als die Pflanzenzüchtung einfach noch in unseren Gärten zu Hause war und hauptsächlich dort passiert ist.

Heute ist alles anders. Ab 1900 nach Christus begann für die Pflanzenzüchtung nämlich eine neue Ära. Die schon angesprochene Spezialisierung und Professionalisierung führte dazu, dass die über Jahrtausende gezüchteten bäuerlichen Kulturpflanzensorten immer mehr von sogenannten Hochzuchtsorten verdrängt wurden. Die Hochzuchtsorten wurden von spezialisierten Zuchtbetrieben durch Kreuzungszüchtung hergestellt. Bald gab es auch erste Saatgutgesetze und entsprechende Kontrollstellen, die nur ausgiebig geprüften Pflanzensorten eine Zulassung für den Verkauf erteilten und Listen mit allen zulässigen Sorten anfertigten. Bäuerlich gezüchtete Sorten gehörten nicht dazu, weil sie durch ihre genetische Variabilität nicht einheitlich genug waren. Während des Nationalsozialismus erfolgte noch dazu eine Sortenbereinigung, die wiederum nur die professionell gezüchteten Pflanzen berücksichtigte und allen anderen ihre Berechtigung entzog.

Die heilige Bürokratie, die wachsende Profitgier und die zwanghafte Forderung nach Einheitlichkeit haben dazu geführt, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts 75 % der bis dahin gezüchteten Kulturpflanzensorten verschwunden sind. Oder zumindest so sehr zurückgedrängt wurden, dass sie für die weitere Kultivierung kaum mehr zugänglich sind. Denn wie wir wissen, müssen Pflanzen regelmäßig angebaut werden, damit Samen nicht ihre Triebkraft verlieren und Sorten nicht verloren gehen. Mit diesen verdrängten Sorten verschwanden aber auch besondere Eigenschaften und Anpassungen an unterschiedliche Bedingungen, die uns gerade jetzt in Zeiten des Klimawandels gut helfen könnten. Mit der modernen Hybridzüchtung, die sogenannte Einmalsorten produziert (mehr dazu auf Seite 31), die nicht weitervermehrt werden können, war die bäuerliche Pflanzenzüchtung so gut wie verschwunden. Seither müssen jedes Jahr wieder neue Samen gekauft werden und es gibt weltweit eine Handvoll Konzerne, denen fast all die kleineren Saatgutfirmen gehören und die gut an dieser Monopolisierung verdienen.

Die Trennung zwischen Saatgutproduktion und dem Anbau zur Nahrungsmittelproduktion war somit vollzogen. Heute dominiert die industrielle Produktion in beiden Bereichen. Dass sie vielen Anforderungen hinsichtlich Umweltschutz, Gesundheit und Arbeitnehmerschutz nicht Rechnung trägt, ist für unsere Zukunft ein sehr teures Vermächtnis.

Und trotzdem greifen wir noch zu den Hybridsamenpäckchen im Supermarkt? Nein, damit ist es vorbei. Denn wir wissen es besser. Das bedeutet nicht, dass wir, um dem Hybridsortenwahnsinn entgegenzuwirken, ausschließlich selbst vermehrte Pflanzen anbauen dürfen. Es gibt wunderbare Vereine und Betriebe, die samenfeste Sorten zum Verkauf anbieten, es gibt Saatguttauschfeste, Pflanzenmärkte und, und, und … (Mehr dazu findest du auf Seite 40.) Aber: Wenn wir uns dazu ermächtigen wollen, Gemüse, Kräuter und Blumen selbst vermehren zu können, dann kommen wir nicht darum herum, uns mit der Saatguternte auseinanderzusetzen.

Sie warten schon ungeduldig: zukünftige Samenträger kurz vor dem Auspflanzen.

Die gute Nachricht ist nämlich: Die Vielfalt ist glücklicherweise nicht ganz verschwunden. Es gibt noch versteckte Raritäten, die es zu entdecken und zu erhalten gilt. Um wieder einzusteigen, brauchen wir den Hang zur Revolution, denn das alte Wissen ist teilweise verschüttet – und vor allem dürfen wir uns nicht aus der Ruhe bringen lassen. Wir graben die früheren Erkenntnisse aus, testen, experimentieren – und vermehren, was die Pflanzen hergeben.

Bye-bye Hybridsamen – hallo Gemüsevielfalt: Holen wir uns die Unabhängigkeit zurück!

Samengärtnerei ist einfach. Viel einfacher als du vielleicht denkst. Um damit anzufangen, brauchst du nichts weiter, als den simplen Schritt zu tun und Samen zu sammeln. Denn viele Pflanzen präsentieren sie offen und sind in Geberlaune. Um die komplizierteren Kandidaten kannst du dich ja später kümmern, denn natürlich gibt’s wie immer viel zu lernen.

Ja, wir ziehen an einem Strang! Denn wir wollen die Kulturpflanzenvielfalt erhalten, alte Sorten wieder entdecken, die Pflanzenvermehrung wieder in unsere Gärten zurückholen und Schritt für Schritt die industrielle Einheitsnahrung hinter uns lassen.

Was wir tun können: alte Sorten beschützen

Wir müssen nicht alle gleich Pflanzenzüchter werden und neue Sorten entwickeln. Was wir auf einfache Weise in jedem Garten, auf jedem Balkon tun können, ist: alte samenfeste Sorten weitervermehren und erhalten. Dabei werden bekannte Sorten angebaut und es wird genau darauf geachtet, ob die beschriebenen Eigenschaften der Sorte auch tatsächlich auftreten. Saatgut wird dann von solchen Pflanzenindividuen abgenommen, die diesem Bild entsprechen.

Wenn du damit beginnst, wirst du merken, dass verschiedene Sorten oft ganz klare Standortvorlieben haben. Suche dir am besten die aus, die gut in deinem Garten wachsen. Werden die Pflanzen Jahr für Jahr vermehrt und wird durch Tausch die genetische Vielfalt erhalten, können viele von ihnen sich Schritt für Schritt auch an neue Bedingungen anpassen. Auf diese einfache Art kannst du wertvolle Kulturpflanzen für die Zukunft erhalten.

Ganz nebenbei tut eigene Samengärtnerei auch dir selbst gut. Sie bringt dir die Zuversicht, dass mit jedem Jahr, in dem deine Pflanzen sich ein bisschen mehr an die Bedingungen in deiner Region anpassen können, ein Stück Evolution passiert, die in eine gute Richtung geht.

Warum nicht einfach loslegen? Die Natur bietet Samen in Hülle und Fülle …

Lasst die Pflanzenund Sortenvielfalt wieder unsere Gärten erobern!

Und dass sich die Pflanzengemeinschaft in unseren Gärten und auf unseren Feldern für die Herausforderungen stark macht, die unser sich änderndes Klima ihnen entgegenstellt. Ja, wirklich, das geht! Und du bist live dabei!

Wie du nicht nur deine Pflanzen, sondern deinen Garten als Gesamtheit vielfältig, gesund und klimawandeltauglich erhalten kannst, darum geht’s im nächsten Abschnitt, einem kleinen Exkurs, der uns aber nicht wirklich vom Weg abbringt. Denn Permakultur ist die Lösung! Wenn du jedoch lieber gleich mit der Samenkunde weitermachst, blättere auf Seite 30.

Anbauen und essen und vermehren. Sorten erhalten kann so einfach sein.

Beobachten, entspannen, mittendrin sein.

 

Permakulturgärten sind fruchtbar: Hier sprießen nicht nur Pflanzen, sondern jede Menge gute Ideen!

Genau deshalb sollten wir uns etwas von der Permakultur abschauen. Denn wie wir bereits wissen, geht es im Permakulturgarten kunterbunt zu: Wenn die Pflanzen sich mehr in Freiheit wägen, als dies in den meisten Gärten üblich ist, entwickelt sich wie von allein eine Fülle an verschiedenen Samen und vegetativen Pflanzenteilen für die Vermehrung. Der Garten kümmert sich auf diese Weise gut um sein Weiterbestehen und investiert in eine pflanzenreiche Zukunft.

Und genau die brauchen wir – wir alle, die darauf angewiesen sind, dass Pflanzen sich als unsere Nahrungsgrundlage gut vermehren und alle Lebewesen ihren Bedarf damit decken können.

Für uns Menschen, damit wir nahrhafte, geschmacksintensive und gesunde Pflanzen ernten und vermehren können. Und nicht zu vergessen, auch viele Samen sind Teil unserer Ernährung – wie Getreide, Bohnen, Linsen, Erbsen – oder werden von uns als Gewürze verwendet, wie Kümmel, Anis und Fenchel.

Ebenso für unsere tierischen Mitbewohner, die gleichfalls von der bunten Vielfalt zu knabbern haben möchten. Auch für sie stellen die Samen eine Ernährungsgrundlage dar. Wildtiere wie Vögel und Kleinsäuger, die unsere Gärten bevölkern oder besuchen, ernähren sich vor allem in den Wintermonaten von Pflanzensamen, die durch ihren Reichtum an Stärke, Fett oder Eiweiß viel Energie liefern.

Das bedeutet: Mit der Permakultur und der Pflanzenvermehrung können wir für eine nachhaltige, bunte und vielfältige Zukunft sorgen. Wir entdecken Altes und experimentieren mit Neuem, teilen unsere Erfahrungen sowie unsere Pflanzensamen mit anderen – und lassen unserer Natur dabei den nötigen Freiraum, um sich zu entfalten und zu regenerieren. Mit dem Samengärtnern begeben wir uns also wieder mitten hinein in die spannenden Prozesse der Natur, beobachten, mischen mit und ernten wahre Schätze …

Permakultur – alles, was wir wollen, ist mehr, mehr, mehr …

Ja, die Permakultur stellt Ansprüche! Als Gestaltungskonzept für eine bessere Welt will sie möglichst produktive, sozial gerechte und naturnahe Lebensräume für Mensch, Tier und Pflanze sowie alle anderen Mitlebewesen schaffen, nutzen und erhalten.

Als Lehrmeisterin stellt uns die Permakultur die Natur zur Seite, die wir uns zum Vorbild nehmen und genau beobachten, um ihre Kreisläufe und Prozesse besser zu verstehen und in unseren Gestaltungen anzuwenden.

So ein stolzer Samenträger: Der Anisysop ist bereit für die Selbstaussaat.

Wer bin ich? Etwas struppig und gar nicht mehr blau … Zum Samenausbilden müssen wir da durch. (Für die Auflösung schau auf Seite 152.)