Wie ein Himmel voller Sterne - Anne de Lisle - E-Book
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Wie ein Himmel voller Sterne E-Book

Anne de Lisle

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Beschreibung

Mutig geht sie jeden neuen Weg: Der herzerwärmende Liebesroman »Wie ein Himmel voller Sterne« von Anne de Lisle jetzt als eBook bei dotbooks. »Heute geht mein neues Leben los«, beschließt die ehemalige Redakteurin Bella – und beginnt ihr neues Abenteuer: Sie wird ihren Traum verwirklichen, einen Roman zu schreiben. Stets an ihrer Seite ist dabei ihr bester Freund Julian, der ihr Mut macht, wenn sie ihn braucht. Und tatsächlich scheint alles wunderbar zu laufen: Ein Nebenjob ist schnell gefunden … und schon bald ergattert Bella den heißbegehrten Buchvertrag. Doch während sie immer tiefer in die Recherche für die Geschichte einsteigt, stößt sie auf ein altes Familiengeheimnis, das ihr Leben völlig durcheinanderwirbelt ... Wird Julian ihr in dieser emotionalen Zeit beistehen – und können sie gemeinsam die Wahrheit über Bellas Vergangenheit herausfinden? »Ein wunderbarer Roman, voller Gefühl und Kraft!« The Sunday Mail Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Familiengeheimnisroman »Wie ein Himmel voller Sterne« von Anne de Lisle wird Fans von Katharina Herzog und Nora Roberts begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 558

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Über dieses Buch:

»Heute geht mein neues Leben los«, beschließt die ehemalige Redakteurin Bella – und beginnt ihr neues Abenteuer: Sie wird ihren Traum verwirklichen, einen Roman zu schreiben. Stets an ihrer Seite ist dabei ihr bester Freund Julian, der ihr Mut macht, wenn sie ihn braucht. Und tatsächlich scheint alles wunderbar zu laufen: Ein Nebenjob ist schnell gefunden … und schon bald ergattert Bella den heißbegehrten Buchvertrag. Doch während sie immer tiefer in die Recherche für die Geschichte einsteigt, stößt sie auf ein altes Familiengeheimnis, das ihr Leben völlig durcheinanderwirbelt ... Wird Julian ihr in dieser emotionalen Zeit beistehen – und können sie gemeinsam die Wahrheit über Bellas Vergangenheit herausfinden?

»Ein wunderbarer Roman, voller Gefühl und Kraft!« The Sunday Mail

Über die Autorin:

Anne de Lisle lebt mit ihrem Ehemann in einem angeblichen »Geisterhaus« in Maryborough. Ihre Romane sind international erfolgreich.

Anne de Lisle veröffentlichte bei dotbooks die historischen Liebesromane »Das Herz des Lairds«, »Die Leidenschaft des Lairds«, »In den Händen des Schotten« und »Tender Kiss – Ein Lord zum Verlieben«. Außerdem veröffentlichte sie ihren Freundinnenroman »Das Jahr der Seefreundinnen« und ihren Liebesroman »Wie ein Himmel voller Sterne«.

***

eBook-Neuausgabe Januar 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Originaltitel »Ghost Child or Chasing Rainbows«. Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Wie ein Himmel voller Sterne« bei Blanvalet.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2010 by Anne de Lisle

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2010 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-708-2

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Anne de Lisle

Wie ein Himmel voller Sterne

Roman

Aus dem Englischen von Antoinette Gittinger

dotbooks.

Prolog

Ohne anzuklopfen, stieß Bella McKenzie die Tür zum Büro ihrer Chefredakteurin auf und warf ihr die neueste Ausgabe des Weekender auf den Schreibtisch. »Dieses Mal sind Sie zu weit gegangen«, sagte sie und tippte mit dem Zeigefinger auf die aufgeschlagene Seite. Dafür würde sie gehen müssen. Nicht dass ihr das etwas ausmachte. Manche Dinge waren einfach zu schlimm und hässlich, um sie länger hinzunehmen.

»Haben Sie ein Problem, Bella?«, fragte Primrose. Dann produzierten ihre pink geschminkten Lippen wie auf ein Stichwort hin ein Lächeln, das verschwörerisch wirken sollte, indem es sage: Wir sind ein Team! Wir stecken zusammen in der Sache.

In den vielen Jahren, in denen sie bereits die Zügel des meistgelesenen Magazins des Bundesstaats in ihren manikürten Händen hielt, hatte Primrose Adams sich die Fähigkeit angeeignet, zu beschwichtigen und auszuweichen, in Deckung zu gehen und sich herauszuwinden: Qualitäten einer Weltklassediplomatin, wenn sie tatsächlich zum Einsatz kamen. Was jetzt der Fall sein würde, wie Bella wusste, die beobachtete, wie ihre Chefin die schlanken, bestrumpften Beine übereinanderschlug. Doch Bella ließ sich von dieser Taktiererei nicht mehr beirren. Sie kannte sie inzwischen, hatte sie schon hunderte Male erlebt.

»Ja, ich habe ein Problem«, erklärte sie unerschrocken. »Man nennt es Diebstahl geistigen Eigentums. Meines Eigentums, um genau zu sein.«

Eine wahrlich schwerwiegende Anschuldigung. Das Lächeln verflüchtigte sich.

»Elterliche Selbstjustiz gegen Schulhofmobber«, fuhr Bella fort. »Meine Idee. Meine Wortwahl.«

Primrose forderte sie mit einer Geste auf, ihr gegenüber Platz zu nehmen. »Setzen Sie sich doch.«

»Ich stehe lieber.« Sie würde dem Schmeicheln, Überreden, Leugnen oder allen Pfeilen, die Primrose aus ihrem Köcher zu zücken gedachte, standhalten. »Vor ein paar Wochen sind Sie an meinen Schreibtisch gekommen, um zu sehen, woran ich gerade arbeite. Nachdem Sie meinen Entwurf gelesen hatten, sagten Sie mir, das Thema wäre für eine Veröffentlichung zu heikel. Dann haben Sie den Artikel selbst geschrieben.«

Der scharfe Blick, den Primrose nun aufsetzte, hätte vielleicht bei der Bella Wirkung gezeigt, die unbedingt ihre Stelle behalten wollte. Aber heute konnte er ihr nichts anhaben, und fasziniert (wenn auch immer noch aufgebracht) sah sie zu, wie ihre Chefin ihre Taktik änderte und sich auf ihrem Stuhl mit dem Ausdruck des Selbstbewusstseins derjenigen zurücklehnte, die wusste, dass sie wieder die Oberhand gewinnen würde.

»Mein liebes Mädchen«, erwiderte sie affektiert, »Sie steigern sich da in etwas hinein. Sie sagen Dinge, die Sie gar nicht meinen.«

»Mir ist es völlig ernst damit.« So behandelt – nicht ernst genommen – zu werden, machte sie wütend, zumal ihr nicht nur Adrenalin, sondern auch jede andere Wut verursachende Substanz durch die Adern schoss, die der Körper zu produzieren in der Lage ist.

»Erinnern Sie sich doch, Bella. Ich war diejenige, die als Erste das Thema zur Sprache gebracht und ...«

»Haben Sie nicht! Ich habe den Clip auf YouTube entdeckt!«

»Als Sie mit Ihrem Artikel über Katzenschnupfen zu beschäftigt waren, um damit anzufangen. In diesem Geschäft kann man sich keinen Aufschub leisten.«

Bella schnaubte. Katzenschnupfen? Diesen Kleinkram hatte sie in gerade einmal fünf Minuten erledigt. »Ich schiebe nie etwas auf die lange Bank. Außerdem liefere ich schneller ab als jeder andere in Ihrer Belegschaft.«

Vor Wut und Frustration stotterte sie beinahe. Besaß Primrose etwa die Dreistigkeit, so zu tun, als hätte sie den Augenblick, als sie in Bellas Büro geschwebt war, vergessen? Die üblichen Parfümschwaden, das Rascheln eines Seidenrocks. Dann: Hm ... nicht schlecht. Eltern erteilen mobbenden Schülern eine Lektion. Ist aber vielleicht ein etwas zu sensibles Thema im Moment. Wir wollen ja nicht noch andere Eltern ermuntern, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen, oder?

Und jetzt, zwei Wochen später, tauchte ihre Story unter dem Namen von Primrose auf. Er passierte nicht zum ersten Mal, dieser ungenierte Diebstahl ihrer Arbeit, wann immer sie einen Riecher für ein besonders gutes Thema bewiesen hatte. Doch er würde nie wieder geschehen. Allmächtiger, fünf Jahre lang hatte sie sich das gefallen lassen. Fünf Jahre! Das Problem war, dass es beim Weekender ein ungeschriebenes Gesetz gab. Man beschwerte sich nicht über Primrose. Nie. Mit einer Beschwerde unterzeichnete man sein eigenes Todesurteil. Und wenn man eine eigene wöchentliche Kolumne in einer Zeitschrift mit einer solch beeindruckenden Auflage hatte, war das nicht etwas, das man in einem Augenblick der Gereiztheit aufgab. Nein, man hielt daran fest – eisern –, wartete und hoffte, dass Primrose das Handtuch zuerst warf. Was nicht sehr wahrscheinlich war! Primrose schien so hartnäckig zu sein wie Entenmuscheln an einem Schiffsrumpf.

Bella starrte die pinkfarbenen Lippen an, die wie immer hochgesteckten Haare, das starke Make-up, das Augen umrahmte, die so hart wie Diamantsplitter waren, und fragte sich, was Primrose eigentlich gegen ihr eigenes Geschlecht hatte. Es war, als würde sie jede andere Frau als Konkurrenz, als Bedrohung betrachten, und als sei es ihr Auftrag, den Erfolg jeder einzelnen zu untergraben. Was ziemlich verwirrend war, da weder Bella noch eine der anderen Kolleginnen, die beim Weekender beschäftigt waren, es auf Primroses Posten als Chefredakteurin abgesehen hatte.

Doch Primrose schien eine unsichtbare Peitsche mit sich herumzutragen, die sie in ihrem persönlichen Bereich knallen ließ, als ob sie jedermann abwehrte. Es sei denn, ihr gefiel ein Konzept, und sie erhob Anspruch darauf. Dann versteckte sie die Peitsche und setzte ihr diplomatisches Geschick und ihr Lächeln ein, um das nötige Vertrauensverhältnis herzustellen. Wonach das besagte Lächeln und die Gewandtheit so schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren. Zack, war die Peitsche wieder hervorgeholt. Knall, knall. Du hast also gedacht, wegen dieses kleinen Artikels wären wir jetzt Freunde? Knall, knall.

Bella konnte es einfach nicht mehr ertragen. Nach dem heutigen Ausbruch war ihre Zeit hier sowieso vorbei. Abspringen war besser, als gestoßen zu werden. »Ich kündige«, erklärte sie mit einem Gefühl der Befriedigung. »Binnen einer Stunde haben Sie mein Kündigungsschreiben auf dem Tisch«.

Im selben Augenblick war sie schon draußen auf dem Korridor, die Augen geradeaus gerichtet. Sie würde nicht rechts, nicht links blicken und die Gesichter der anderen Angestellten sehen – arme, gefangene, ohnmächtige Dummköpfe. Ihr war nach Hopsen, Springen, die Wände hochklettern und anderen Kunststücken zumute, um das Hoch dieses Moments noch einmal zu erleben. Ich kündige. Sie schloss die Augen und sog die Lungen voll mit frischer Luft. Die Ketten waren fest und schwer gewesen, doch jetzt war sie frei, nichts und niemandem mehr verpflichtet. Und sie wusste schon genau, was sie als Nächstes tun würde.

Kapitel 1

Bella, die sich der vielen Chardonnay nippenden und Tapas kostenden Gäste um sich herum bewusst war, schob ihr nur zur Hälfte verzehrtes Gericht beiseite und beugte sich über den Tisch. »Zwei Dinge«, sagte sie so leise, dass Julian sich anstrengen musste, sie trotz des Lärms der Mittagsgäste zu verstehen. »Das Erste, und das weiß bald alle Welt, ich habe beim Weekender gekündigt. Das Zweite und Beste, und nur für deine Ohren bestimmt, meine neue Berufung ... Trommelwirbel bitte ... Ich schreibe ein Buch.«

Was Julian auch erwartet haben mochte, ganz bestimmt nicht das. Er lehnte sich zurück, Überraschung und Verwirrung standen ihm ins Gesicht geschrieben.

»Warum nicht?«, meinte Bella, während sie mit dem geübten Auge einer alten Freundin seine Skepsis abschätzte. »Du weißt, dass ich in der Lage bin, einen Satz zu bauen. Und ich habe jede Menge Fantasie.«

»Hm«, stimmte er ihr zu, »reichlich.«

Sie warf ihm einen gereizten Blick zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Teller schenkte. »Du hättest zumindest so tun können, als seist du begeistert«, murmelte sie und stocherte in ihren sich zusammenklumpenden Fettucine marinara herum. »Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass ein Mädchen sich so weit aus dem Fenster lehnt und nach fünf Jahren ihren Job aufgibt, um sich einen Traum zu erfüllen.«

Er beugte sich vor. »Sind wirklich schon fünf Jahre vergangen, seit du beim Weekender angefangen hast?«

»Ja.« Nachdem sie sich eine letzte Jakobsmuschel in den Mund gesteckt hatte, schob sie ihr Essen endgültig beiseite und griff nach der Weinflasche. »Fünf Jahre unterdrückter Kreativität. Fünf Jahre des Schreibens über Nachbarschaftsstreitigkeiten und verpfuschte Facelifts. Fünf Jahre, in denen man mir gesagt hat, ich brächte nichts zustande, und dann meine Ideen geklaut hat, und ich musste mir auf die Zunge beißen, um Frau PA nicht zu sagen, dass sie eine Diebin ist.«

Bella wusste, dass sie überreagierte. Sie hörte den Ärger in ihrer Stimme, doch dieser letzte Schritt war ein riesiges Unterfangen, ein verrücktes Risiko, und sie hatte sich sehnlichst eine positivere Reaktion ihres Freundes gewünscht, der sie besser kannte als irgendjemand sonst auf diesem Planeten. Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter und sagte: »Du denkst wahrscheinlich, ich stecke mitten in einer verfrühten Lebenskrise – nun, da wir dreißig sind –, aber es ist mir sehr ernst, weißt du?«

»Mir ist klar, dass du die Nase gestrichen voll hattest«, gab Julian zu. »Aber meinst du nicht, es wäre klüger gewesen, sich einen neuen Job zu suchen, bevor du den alten hinschmeißt?«

»Zu spät«, gab sie mit einem Lächeln zu.

»Du bist rausgestürmt, stimmt’s?«

Das Lächeln wurde breiter.

»Hast alle Brücken hinter dir abgebrochen?«

»Alle.«

Sie waren ein merkwürdiges Paar. Bella in Jeans und verblichenen, violetten Sneakers, dazu das gestufte, blonde Haar, das so aussah, als hätte es die ganze Woche keinen Kamm gesehen. Dazu passte das unglaublich verknitterte, weiche Musselinhemd, denn das Bügeln hatte noch nie auf der Liste ihrer Haushaltstätigkeiten gestanden. Dagegen wirkte Julian in seinem makellos weißen Oberhemd und der hyazinthblauen Krawatte sehr gepflegt, und sein akkurat geschnittenes Haar schimmerte kastanienbraun im hellen Sonnenlicht. Doch das waren Äußerlichkeiten, für die beide nach all den Jahren der Vertrautheit keinen Blick mehr hatten.

Offensichtlicher waren die Unterschiede in den Persönlichkeiten. Die Tatsache, dass sie beide am gleichen Tag geboren waren – Bella zwei Stunden früher, was ihr einen Altersvorsprung gab, den sie schamlos auszunutzen versuchte, als sie noch Kinder waren –, lieferte den Kritikern der Astrologie starke Argumente. Da ihr Sternzeichen die Waage (sehr ausgeglichen, Sinn für Gerechtigkeit) und im chinesischen Horoskop die Schlange (leidenschaftlich, charmant, gut informiert) war, dem in der ägyptischen Mythologie der Gott Horus und bei den Maya der Gott Zotz zugeordnet waren, hätten ihre Charaktere eigentlich übereinstimmen sollen. Sie taten es aber nicht ... Julian würde es nun nach allem, was sie ihm erzählt hatte, reizen, sie impulsiv zu nennen, sie daran zu erinnern, dass sie nicht mehr zwölf, sondern mit dreißig Jahren erwachsen sei und damit auch die Verantwortung einer Erwachsenen trüge.

Bella betrachtete sein blasses, klares Gesicht und die starken, schlanken Finger, die gegen den Stiel des Weinglases klopften. Er war immer so ruhig, so sicher, so ganz anders als sie. Julian gehörte zu der Sorte Mensch, die einen Fünfjahresplan machte, dann einen Zehnjahresplan und sich unerschütterlich daran hielt. Eine Zukunft, die so durchgeplant war wie alles in seinem Leben und so geradlinig wie sein Charakter. Es war seine Art zu verhindern, dass sich Risse bildeten. Auf diese Weise hatte er sein Selbstvertrauen entwickelt.

»Es gibt ja noch andere Zeitschriften«, meinte er. »Du hast viele Jahre als Kolumnistin vorzuweisen, da bekommst du bald woanders eine Stelle.«

Hatte er nicht verstanden? »Ich will doch allein arbeiten. Keine Bürointrigen, keine Hinterhältigkeit mehr. Nicht mehr vor einer größenwahnsinnigen Chefredakteurin strammstehen. Nicht mehr meine Aussagen so zurechtstutzen, dass sie den Vorstellungen eines anderen entsprechen.«

Obwohl Bella zunehmend frustriert war, verstand sie, warum er diesen Schritt mit Misstrauen betrachtete. Er schmeckte nach einem Rückfall in die Zeit, als sie im Alter von sechzehn von zu Hause abgehauen und das Leben ein fürchterlicher Kampf ums Essen und ein Dach über dem Kopf gewesen war. Er hatte all das miterlebt, und auch wie sie sich an einem TAFE-College einschrieb, um endlich ihre Schulausbildung abschließen und sich um einen Platz an der Universität bewerben zu können. Er hatte sie bei ihrem Abschluss unterstützt und dann ihren Triumph geteilt, als man ihr die Stelle beim Weekender anbot. Und doch war Julian entgangen, dass ihre Zeit beim Weekender ihre Freiheit auf eine Art beeinträchtigt hatte, wie sie es sich vorher nicht hätte ausmalen können.

Manchmal hatte sie jedoch gerade in den Momenten der Freiheit (von zu Hause fortgehen, Primrose ihre Kündigung vor die Füße werfen) das seltsam flüchtige Gefühl, dass es etwas Wichtiges gab, das sie wissen musste, und das sie eigentlich schon wusste, das aber nicht greifbar war. Als ob die Augenblicke der Freiheit oder der Lust etwas in einem Winkel ihres Bewusstseins weckten, das sie normalerweise streng unter Verschluss hielt. Das machte ihr ein bisschen Angst. Als würde sie ein Schatten aus einer anderen Dimension berühren. Es gab nur sehr wenig, was sie vor Julian geheim hielt, aber das würde sie ihm nie anvertrauen – er würde denken, sie wäre durchgeknallt. Vielleicht hätte er damit sogar recht.

»Willst du meine Meinung hören?«, fragte er und beförderte sie zurück in die Realität.

»Darum erzähle ich es dir.«

»Schreib dein Buch, wenn du meinst, dass du es musst. Aber denk dran, selbst wenn du einen Verleger findest, was angesichts der Konkurrenz in dieser Branche ehrlich gesagt fraglich ist, wird es sehr lange dauern, bis du Geld zu Gesicht bekommst. Trotzdem muss deine Hypothek noch abbezahlt werden. Such dir also einen Job, bei dem du nicht unter Druck stehst und eine vernünftige Arbeitszeit hast. Bei dem du die Arbeit nicht jeden Tag mit nach Hause nimmst. Dann kannst du abends ohne Ablenkung schreiben. So ein Job wird nicht gerade gut bezahlt sein«, fügte er, plötzlich lächelnd, hinzu, »aber ich kann dir jederzeit ein Abendessen kochen, wenn du zu dünn wirst.«

Sein Lächeln war ansteckend, sie fühlte sich schon besser. »Aber deine Zustimmung würde mir helfen«, warnte sie, »also bitte keine harten Urteile fällen!«

Er rückte etwas vom Tisch weg. »Dich verurteilen? Wann habe ich das je getan?«

Sie gluckste vor Lachen. Wenn er wollte, war Julian ein Meister darin, ihre Stimmung zu heben. Sie zählte an den Fingern ab: »Zum Beispiel beim Anblick meines unordentlichen Kühlschranks, der mangelnden Planung meiner Finanzen – außer beim Kauf meiner Wohnung, den hast du befürwortet –, des Zustands meines Autos, der Männer, die ich mir aussuche ...«

»Na ja ...«

»Untersteh dich!«

Er ließ das Thema fallen. Manches war immer noch tabu. »Also«, fragte er, um wieder auf sichereres Terrain zu gelangen, »wann fängst du mit dem Buch an?«

»Habe ich schon.« Eigentlich war sie schon mittendrin. Die Ideen wirbelten ihr seit Jahren im Kopf herum, und jetzt, da sie Zeit hatte, würde ihr die Sache nur so von der Hand gehen. Doch das musste sie ihm ja nicht auf die Nase binden.

»Hätte ich mir denken können. Du hattest immer schon weniger Geduld als ein Hund, der sich auf sein Fressen stürzt.«

»Netter Vergleich. Ein gieriger Hund.«

»Hm. Das struppige Haar vervollständigt das Bild«, neckte er sie, obwohl er sich bewusst war, dass ihre achtlose Art, sich zu kleiden, und das ungepflegte Haar keineswegs die Tatsache verdecken konnten, dass Bella eine extrem hübsche Frau war. Ihre Pfirsichhaut, die klaren grauen Augen und ihr breites Lächeln nahmen einen für sie ein und hielten einen in ihrem Bann. Wenn sie nicht da war, war alles anders. Als würde sich ein Gazeschleier über die Welt legen, dachte er, der die Sinne dämpfte, sodass nichts mehr strahlte oder gut schmeckte, und die Musik nicht mehr melodisch klang. So war es seit jeher gewesen, obwohl es ihm manchmal, in Anbetracht der lieblosen und chaotischen Familienverhältnisse, in denen sie aufgewachsen war, wie ein Wunder vorkam, dass ihr Lächeln überlebt hatte. Wobei sie in diesem Moment nicht lächelte, sondern sich mit den Zähnen auf die Unterlippe biss, ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr Gespräch sie noch immer aufregte.

»Darf ich erfahren, worum es in deinem Buch geht?«, fragte er.

Sie zog eine Papierserviette aus dem Ständer und glättete sie zwischen den Fingern. »Darfst du«, antwortete sie vorsichtig. »Aber nur du und sonst niemand.«

»Bin ganz Ohr.«

»Wag es bloß nicht zu lachen!«

»Ich verziehe keine Miene.«

»Eine Liebesgeschichte.« Sie entdeckte etwas Herausforderndes in seinem Blick, aber keine Spur von Spott, wie sie befürchtet hatte. Und plötzlich beugte sie sich wieder vor. »Verstehst du nicht? Es muss eine riesige Nachfrage nach Liebesromanen geben. Ich habe danach gegoogelt, und wie es aussieht, erzielt das Genre um zig Millionen höhere Verkaufszahlen als alle anderen.«

»Angebot und Nachfrage«, erwiderte er und hob die Hand, um den Kellner zu rufen. »Das bedeutet aber auch, dass ein Haufen anderer Leute solche Romane schreibt.«

»Komm mir jetzt nicht mit Analysen und Statistiken.«

»Würde ich mich nicht trauen.«

Der Kellner brachte die Rechnung. Julian streckte die Hand danach aus, aber Bella war schneller. »Ich bin dran«, meinte sie und legte die Serviette weg, die sich allmählich in ihren Händen auflöste.

»Du bist arbeitslos«, erinnerte er sie und schnappte sich den Papierstreifen.

Doch sie wehrte ihn ab. »Das heißt nicht, dass ich nicht für das Mittagessen bezahlen kann. Der Stolz diktiert einem zuweilen das Handeln.«

Sie blätterte den exakten Betrag hin, während Julian einen Blick auf die Uhr warf. In Wahrheit würde Geld, sollte sie nicht bald einen Job finden, zu einem massiven Problem werden. Doch auf keinen Fall sollte Julian etwas davon erfahren. Es würde nur sein Hättest-besser-erst-einen-neuen-Job-gefunden-Argument stützen.

»Ich möchte mehr über dein Buch hören«, sagte er, als er seinen Stuhl vom Tisch wegschob, »aber du musst mir unterwegs davon erzählen.«

»Ich habe schon mehrere Kapitel geschrieben«, gab sie zu. »Es fließt mir geradezu aus der Feder, und ich glaube wirklich, dass ich Talent habe und etwas daraus wird.«

»Also, worum dreht es sich? Abgesehen vom Offensichtlichen natürlich.«

»Na, Mann trifft Frau selbstverständlich.«

»Latte Rock trifft Pussy Galore.«

»Wenn du dich über mich lustig machst, streiche ich dich aus meinem Testament«, warnte sie ihn.

Er hatte den Anstand, beschämt auszusehen. »Tut mir leid, ich brauche eben eine Weile, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Schließlich hast du sehr lange über Pfuscher, Promis und Nachbarn, die sich über den Zaun anschreien, geschrieben.«

Natürlich hatte er recht, aber jede Woche einen Haufen dieser Geschichten, die das Leben schreibt, zu produzieren, war der Preis, den sie dafür gezahlt hatte, ihre eigene wöchentliche Kolumne zu haben. Ihre Kolumne, Die Generation Warum, hatte ihr eine Stimme gegeben, das Recht, zu hinterfragen und zu kommentieren – solange ihr Thema ungefähr auf einer Linie mit den restlichen Themen der Zeitschrift lag: Promijagd, Haustiere, Mehrfachgeburten, Dickleibigkeit und so weiter. The Weekender war die meistverkaufte Zeitschrift im Land, hatte eine Auflage von fast achtzigtausend Exemplaren und eine Leserschaft von gut über einer halben Million. Das Ansehen, das damit verbunden war, dort zu arbeiten, war enorm und lange Zeit Teil ihrer Identität gewesen. Julian würde nicht der Einzige sein, der sie für verrückt hielt, diesen Job hinzuschmeißen für eine völlig ungewisse Zukunft als Buchautorin. Die ganze Welt würde ihm recht geben, aber die Sehnsucht, sich (jawohl sich!) auszudrücken, sich nicht auf ewig den Erwartungen und Forderungen anderer anpassen zu müssen, hatte ihr schließlich keine Wahl gelassen. Primroses letzter Akt von Piraterie hatte die Sache nur beschleunigt.

Sie gingen die George Street entlang. Es war ein herrlicher Tag zu Beginn des Frühlings: klare, kühle Luft und ein makelloser Himmel. Doch auf den Straßen herrschte das übliche Gedränge – schlimmer noch, da jedermann zum Mittagessen unterwegs war –, und man kam nur vorwärts, indem man immer wieder anderen auswich.

»Meine Geschichte handelt von einem schönen Mädchen«, erzählte sie ihm, als sie in die Elizabeth Street einbogen.

»Ah ja, natürlich.«

»... das einem jakobitischen Rebellen hilft, den Kräften des Bösen zu entkommen. Das heißt dem Schlächter von Cumberland und seinem hannoverschen Heer.«

Bei ihren Worten blieb Julian abrupt stehen. Er drehte sich zu ihr, wobei er nicht wahrnahm, dass sie anderen den Weg verstellten und zu einem Umweg über die Straße zwangen. »Seit wann bist du qualifiziert, historische Romane zu schreiben?«

»Ich habe die Zwischenprüfung in Geschichte bestanden.«

»›Bestanden‹? Erinnere dich mal, ich war dabei. ›Gerade so geschafft‹ wäre wohl der passendere Ausdruck.«

»Damals habe ich nicht viel dafür getan. Jetzt widme ich mich diesem Thema. Ich forsche.« Das tat sie tatsächlich. Sie hatte Stunden in der Bibliothek verbracht und genug Material gesammelt, um ein Dutzend Bücher zu schreiben.

»Das ist auch dringend nötig«, meinte Julian und ging weiter, immer mit einem Blick auf die Armbanduhr.

Bella passte sich seinen langen Schritten an und hakte sich bei ihm unter. »Kannst du das nicht verstehen? Vergangene Zeiten sind viel romantischer als die heutige Zeit. Diese langen Röcke, die die Geheimnisse des Fleisches verbergen.«

»Als Männer noch Männer und Frauen noch Jungfrauen waren.«

»Und keine Slips trugen.«

»Ach nein?« Er schenkte ihr ein Lächeln. »Das finde ich aber interessant. Bring mich nicht auf solche Gedanken, wenn ich zurück zur Arbeit muss.«

»Sonst verbringst du den Nachmittag wieder bei ›Fusionen und Übernahmen‹. Arbeitet sie noch da?«

»Ja. Unerreichbar, aber aufreizend.«

Die brillante, aber ehrgeizige Joanna Rapkins war einige Monate zuvor aus dem Nichts aufgetaucht, um die Leitung der Abteilung ›Fusionen und Übernahmen‹ bei Cooper Hanbury zu übernehmen, dem Assekuranz-Konglomerat, für das auch Julian arbeitete. Obwohl sie aus der Ferne von jedem Mann im Unternehmen bewundert wurde, hatte kein einziger den Mut, sich ihr zu nähern. Die Rapkins hatte einen Verstand, der so scharf war wie ihre mörderischen High Heels, und sie würde nicht eine Sekunde lang zögern, damit jeden Mann zu zermalmen, der es wagte, sie zu mustern.

Sie waren inzwischen am Eingang von Cooper Hanbury angelangt, wo Julian Bella auf die Wange küsste. »Zeit, Geld zu verdienen. Sehen wir uns am Samstag beim Squash?«

»Na klar.«

Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber: »Alles in Ordnung mit dir?«

»Ist mir noch nie so gut gegangen.«

»Du hörst dich so außer Atem an.« Julian war so eingestellt auf ihr Asthma, dass er häufig eher als sie bemerkte, wenn ihr Atem leicht pfiff.

»Irgendwas ist in der Luft«, antwortete sie schulterzuckend. »Es ist Frühling.«

»Pass auf dich auf!«

»Mach ich doch immer.«

Während sie sah, wie die Glastür hinter ihm zuschwang, konnte sie kaum verhehlen, dass ihre Glücksblase durch Julians Mangel an Begeisterung für ihr geliebtes Projekt zerplatzt war. Er war ihr engster Freund, und von ihm erwartete sie bedingungslose Loyalität. Dazu gehörte es, für die aufregende Reise, die sie angetreten hatte, genauso viel Enthusiasmus aufzubringen wie sie. Sie machte kehrt und ging zurück zum Botanischen Garten, wo sie ihr Auto geparkt hatte. Im Prinzip war diese Loyalität ja vorhanden. Und sie verließ sich darauf, brauchte diese Beständigkeit, das feste Band der Freundschaft als Zuflucht, wenn nichts anderes mehr einen Sinn ergab. Denn so wie sie den einzigen chaotischen Aspekt, ein Pulverfass, in Julians Leben darstellte, so war Julian für sie der Fels in der Brandung.

Sie waren das sprichwörtliche seltsame Paar, doch es gab niemanden, der sie so gut verstand wie er – und auch niemanden, der Julian besser verstand als sie. Was Julian anbetraf, hatte Bella einen Röntgenblick, mit dem sie hinter die Armani-Krawatte, die blank geputzten Schuhe und den vernünftigen Gesichtsausdruck, den er der Welt präsentierte und der zweifellos alle bei Cooper Hanbury täuschte, schaute. Sie kannte ihn so lange, hatte ihn schon so ungeschützt gesehen, weshalb ein Teil von Julian für sie immer der hoch aufgeschossene Junge bleiben würde, der so dankbar für ihre Freundschaft gewesen war. Es war eine Freundschaft, die enger war als alle Blutsbande, die sie kannte.

Das traf zumindest auf ihre Mutter und ihren Vater zu. Nun ja, sie waren für sie da gewesen, um ihr die Windeln zu wechseln, die Nase zu putzen und all das. Doch von dem Moment an, als sie die Welt mit eigenen Augen zu sehen begann, wurde sie sich der egoistischen Gleichgültigkeit ihrer Mutter bewusst. Und ehe sie noch viel älter war, auch anderer, schlimmerer Auswirkungen der Tatsache, dass sie von einer Mutter zur Welt gebracht worden war, die sie – Bella – nicht mochte. All das war von ihrem sanften Vater, der hoffnungslos zerstreut und selten lange genug zu Hause war, offenbar unbemerkt geblieben, er schien keine Ahnung davon zu haben, was sich daheim tatsächlich abspielte. Kurz, sie waren nicht die Art von Eltern, die ihr Vertrauen verdient hatten. Und von dem Tag an, an dem sie in sich das erste Flackern von Selbstbestimmung entdeckte, hatte sie keinen von beiden mehr in ihre Gedanken eingeweiht.

Weißt du, du bist schon ein komisches kleines Mädchen, pflegte ihr Vater bei den seltenen Gelegenheiten zu sagen, bei denen er zu Hause war, sie durchkitzelte, dass sie so kichern musste, dass es wehtat. Manchmal der Clown, manchmal still und geheimnisvoll, das ist meine Bella ...

Sie denkt zu viel, fügte dann ihre Mutter hinzu.

Im Gehen kramte Bella in ihrer Tasche, bis sie ihr Asthmaspray gefunden hatte. Frühling, das war die schlimmste Jahreszeit für sie. So viele Blüten verteilten ihre winzigen Pollen in alle Himmelsrichtungen. Unsichtbare, gefährliche Partikel, die in ihrem Körper großen Schaden anrichteten.

Hausstaub und Federn hatten die gleiche Wirkung. Als Kind konnte sie nie wie andere Kinder bei der Tierschau die Hühner auf den Arm nehmen oder nah an einen Wellensittich im Käfig herangehen. Sie steckte das Inhaliergerät in den Mund, drückte, sog fest daran und fragte sich gleichzeitig, wie ihre Mutter einem Menschen vorwerfen konnte, zu viel zu denken. Würden das Denken und die Gedanken sich nicht genauso wie das Laufen oder das Fangen eines Balls durch Übung verbessern? Würde der Verstand, der immer arbeitet, nicht geschliffen und gesund, klug und scharf werden?

Offensichtlich nicht scharf genug, um Julian davon zu überzeugen, dass sie in der Lage war, einen Roman zu schreiben ...

Kapitel 2

»Du hast deine Stelle gekündigt? Bist du verrückt geworden?«

Den Telefonhörer ans Ohr gepresst, stieß Bella die Haustür mit einem kleinen Fußtritt zu und stellte einen Arm voll Tüten auf der Arbeitsfläche ab. »Du kennst doch gar nicht die Umstände, Mum. Ich hätte es wirklich keinen Tag länger ausgehalten.«

Mit der freien Hand begann sie mit dem Auspacken ihrer Einkäufe und öffnete dann die Kühlschranktür, um Milch und Eier hineinzustellen. Warum ihre Mutter überhaupt anrief, war Bella ein Rätsel. Vielleicht war das wie eine monatliche Sitzung zur Beschwichtigung ihrer Schuldgefühle, die sich dennoch unweigerlich in eine Standpauke verwandelte?

»Du erwartest, dass dir alles in den Schoß fällt, nicht wahr? Du bist genauso impulsiv wie dein Vater.«

Manchmal hätte sie am liebsten das Telefon, diesen verräterischen Metallschrott, in den Brisbane geworfen. Wie unfair, dass ein derart wichtiges Werkzeug auch als Portal dienen konnte, Piraten wie ihrer Mutter freien Zugang zu ihrem Privatleben zu verschaffen. Aber das Handy wegzuwerfen, wäre ein Rückschritt. So hätte früher die jüngere, sprunghafte Bella gehandelt, die sich unbeherrscht und zornig durch die Pubertät kämpfte und ihre Gefühle lautstark zum Ausdruck brachte.

Während sie ihre Mutter weiterschimpfen ließ, verstaute sie den Rest der Einkäufe, ging dann ins Wohnzimmer und begann aufzuräumen. In Wirklichkeit war es nur eine Scheinbeschäftigung, der Versuch, sich von der Stimme ihrer Mutter abzulenken. Es ging Bella weniger darum, zur Wurzel der chronischen Unordnung vorzudringen, in der sie lebte. Ihre Wohnung war klein, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer sowie ein offener Wohn-Küchen-Bereich, aber sie gehörte ihr. Der Kauf war das Beste, was sie in ihrem Leben, das alles andere als ideal war, zustande gebracht hatte. Diese Wohnung war inzwischen mehr ihr Zuhause, als das Haus ihrer Eltern es je gewesen war.

Manchmal fragte Bella sich, ob ihre Mutter wohl vergessen hatte, wie qualvoll ihr Verhältnis gewesen war, als sie noch unter einem Dach lebten. Falls sie sich erinnerte – so wie Bella sich an jeden schrecklichen und niederdrückenden Moment jener Zeit erinnerte –, hätte sie jetzt sicherlich nicht angerufen. Denn sie war eine Frau, die, wie Bella sie einschätzte, im Kreißsaal nur einen einzigen Blick auf ihr Erstgeborenes geworfen hatte, um es dann sofort als lästige Kreatur einzustufen, die zwar in ihrem Leib herangewachsen war, der aber nicht ihre mütterliche Liebe galt. Bella hatte dann sechzehn Jahre lang ihr Äußerstes gegeben, um diese Kreatur plattzuwalzen, doch das ihr angeborene Selbstvertrauen und ihre Lebenskraft hatten sich nicht so einfach eindämmen lassen. So war es zu Konflikten gekommen, die das, was eine Beziehung hätte sein sollen, in eine Kriegszone verwandelt hatten.

Mit sechzehn war sie geflüchtet und in Brisbane gelandet, wo sie tagsüber in einem Supermarkt Regale einräumte und nachts in einem Wohnheim schlief. Jemand anderes hätte dies als ein einsames und schwieriges Leben angesehen, für Bella wurde dagegen die plötzliche Freiheit zur Sucht, die sie nicht hätte aufgeben können, selbst wenn sie es versucht hätte. Es kümmerte sie nicht, dass Gleichaltrige ihren Schulabschluss machten und sich an der Universität einschrieben. Das hatte sie auch getan, später. Und erst in jener Zeit hatte sie ihrer Mutter wieder Zugang zu ihrem Leben gewährt – falls das Zugeständnis eines Anrufs im Monat und einiger Besuche im Jahr bedeuteten, dass man zum Leben eines anderen dazugehörte. Bella ging es allein um Vergebung, Toleranz und darum, diejenige zu sein, die die Kontrolle nicht aus der Hand gab. Nicht dass ihr diese Anrufe Freude bereiteten, dazu war der Frieden zwischen ihnen zu brüchig, wurde er immer wieder durch die unangebrachten Versuche ihrer Mutter zerstört, sie auf den vermeintlichen Pfad der Tugend zurückzubringen: Suche dir einen anständigen Mann. Behalte deinen guten Job. Das waren Ratschläge, mit denen sie wenig erfolgreich probierte, die völlig fehlgeschlagenen Jahre ihrer Kindererziehung wiedergutzumachen. Bella brauchte das nicht mehr. Sie hatte sich die Fähigkeit, diese Vergangenheit zu akzeptieren, hart erarbeitet.

»Na ja, es ist deine Zukunft«, seufzte ihre Mutter, »und ich kann dich sowieso nicht daran hindern, wenn du große Chancen einfach wegwerfen willst.«

»Ich habe meine Arbeit beim Weekender nicht gerade als Riesenchance gesehen«, antwortete Bella und ging hinüber zum Fenster. Von hier aus konnte sie den Rand des New Farm Park sehen: eine grüne Oase am Ende der geschäftigen Brunswick Street. Er war der Grund dafür, dass diese Wohnung aus den vielen anderen, die sie sich angesehen hatte, hervorstach. Er war der Auslöser dafür, dass sie ein Risiko eingegangen und eine Hypothek aufgenommen hatte, deren Abzahlung den Großteil ihres Gehalts verschlang. Als sie noch eines hatte. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihren Laptop und den Stapel loser Blätter, die auf dem Couchtisch mitten im Wohnzimmer lagen, und verspürte großes Verlangen loszulegen. Ein Gefühl, das ihr immer vertrauter wurde. Wobei der finanzielle Druck infolge ihrer Arbeitslosigkeit gar nicht nötig war, damit sie sich Tag und Nacht auf die Arbeit an ihrem Buch stürzte. Im Gegenteil: Das Schreiben war das Einzige, was sie tun wollte, das Einzige, an das sie mindestens die Hälfte ihrer Zeit dachte.

Sie setzte sich auf den Rand ihrer Kattuncouch und strich liebevoll über den Stapel bedruckten Papiers. Zu sehen, wie ein großer Teil ihrer Geschichte vom Computerbildschirm verschwand und sich in etwas Greifbares verwandelte, war ein aufregender Moment gewesen. Hier war etwas, das sie berühren, riechen und durchblättern konnte. Sie hatte schon viel mehr geschrieben, als sie Julian gegenüber zugegeben hatte. Schon Wochen vor ihrer Kündigung hatte sie daran gearbeitet, und nun fieberte sie danach weiterzumachen. Doch die ungebetenen Worte ihrer Mutter nagten an ihr, stahlen ihr kostbare Zeit.

»Junge Menschen haben heutzutage unrealistische Erwartungen. Nie sind sie zufrieden und werden es wohl nie sein. Meiner Meinung nach war dein Job bei der Zeitschrift der beste.«

Womit sie einen Nerv bei Bella traf. Und das, wo sie sich gerade zu ihrer Fähigkeit beglückwünscht hatte, die Bemerkungen ihrer Mutter aussitzen zu können und das Tor zum Wutzentrum in ihrem Gehirn fest verschlossen zu haben.

»Meine Güte, Mama!« Bella sprang auf und lief im Zimmer hin und her. »Wie kommst du bloß auf diese Idee?«

»Sag mir eins: Wie viele Journalisten hatten nicht nur eine eigene wöchentliche Kolumne, sondern durften auch noch diverse andere Artikel schreiben?«

»Jede Menge! Und die schreiben über pikantere Themen. Die meiste Zeit hatte ich keine freie Hand, wirklich zu schreiben, was mir passte.« Halt ... Bella! Sie atmete tief durch und fügte ruhiger hinzu: »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, wie es ist, den ganzen Tag an den Ideen anderer zu arbeiten? Das ist wie Fliegen mit gestutzten Flügeln.«

Ihre Mutter machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern bestand darauf zu erfahren: »Wovon wirst du leben? Du weißt, dass ich es mir nicht leisten kann, dich zu unterstützen. Nicht, seitdem dein Vater mich verlassen hat.«

Bella, die immer noch hin und her lief, atmete noch ein paarmal tief ein und aus. Ihre Mutter hatte sie nie unterstützt, seit sie von zu Hause weggelaufen war. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit zu sagen: Pass mal auf, diesen Quatsch höre ich mir nicht länger an. Hör auf, mich zu beschimpfen, oder ich beende den Kontakt für weitere sechs Jahre. War es möglich, dass ihre Mutter wieder die Oberhand gewonnen hatte und sie sich das nicht traute? Nein, nein, nein, das war es nicht, das konnte es nicht sein. Es waren ihre Höflichkeit, ihre verflixten guten Manieren und ihre Entschlossenheit, die nicht mehr zuließen, dass die Umstände ihrer Erziehung sie in die unbezähmbare Bella zurückverwandelten.

»Ich bin dreißig Jahre alt«, antwortete sie deshalb kühl. »Ich würde nicht einmal im Traum auf die Idee kommen, mich von dir unterstützen zu lassen. Ich suche mir für eine Weile einen Gelegenheitsjob, um mir mehr Freiraum zu verschaffen.« Sie würde irgendwo rund um die Uhr arbeiten. Egal wo, bevor sie ihre Wohnung aufs Spiel setzte.

»Einen Gelegenheitsjob? Das macht sich nicht gut in deinem Lebenslauf.«

Als ob das deine Sorge wäre.

»Außerdem wirst du niemanden Interessantes kennenlernen, wenn du irgendeine erniedrigende Arbeit hast.«

Noch mal tief durchatmen. »Ich bin nicht auf Männerjagd.«

Es war vorauszusehen, wo sie bei diesem Thema landen würden. Höchste Zeit, sich zu verabschieden, endlich das Telefon aus der Hand zu legen und sich dem Einflussbereich ihrer Mutter zu entziehen. Doch sie war nicht schnell genug.

»Solltest du aber in deinem Alter«, lautete der vorhersagbare, schon oft gehörte Kommentar.

Bella ergab sich ihrem Schicksal und dem Unvermeidlichen. Ist es nicht eine Schande, dass Bella es noch nicht geschafft hat, sich einen Mann zu angeln? Daraus sprach die uneingestandene, aber nicht zu übersehene Angst ihrer Mutter, dass ihre verlorene Tochter nie einen halbwegs anständigen Partner finden würde. Bella hatte ihre kurz aufflackernde Wut unter Kontrolle.

»Mum, eine Beziehung ist nicht alles.«

»Wenn du die Haare ein bisschen länger wachsen ließest, damit du sie hinten zusammenbinden kannst, würde das gepflegter aussehen. Zeig, wie weiblich du bist. Dein Haarschnitt ist zu jungenhaft, Bella. Die Leute wundem sich bestimmt.«

Da hatte sie schon gedacht, es könnte nicht schlimmer werden. Seit Neuestem wurde es immer offensichtlicher, dass ihre Mutter an Bellas sexueller Neigung zweifelte. Sie sprach diese Angst zwar nie offen aus, sie schwang jedoch unterschwellig immer dann mit, wenn sie vorschlug, Bella solle einen Rock tragen, sich das Haar wachsen lassen oder nach einem geeigneten Mann Ausschau halten.

Denn letztlich ließen offensichtlich Bellas gebleichte Haare und der Stoppelschnitt, ihre Vorliebe für Jeans und Sneakers sowie die Tatsache, dass sie seit fünfzehn Jahren einen besten Freund hatte – einen gut aussehenden, wenn man ein Faible für etwas schlaksige (Julian bevorzugte »langgliedrig«) Männer hatte, mit einem tollen Job und einer durchaus intakten Familie –, der ebenso wenig Interesse an einer sexuellen Beziehung mit ihr wie sie mit ihm hatte, für eine Mutter, die noch halbwegs bei Verstand war, nur den einen Schluss zu: Die Tochter war eine Lesbe. Die Frage war, was kümmerte es sie? Vielleicht fühlte sie sich zum Handeln gezwungen, weil sie glaubte, bei früher Diagnose hätte sie die Chance gehabt, die bei ihrer Tochter vermutete Neigung zu ändern?

Manchmal war Bella nahe dran, ihre Mutter von ihrem Leid zu erlösen und zu sagen: Hör mal, ich bin nicht lesbisch. Ich mag Männer, ich mag Sex mit ihnen, ich habe nur noch nicht den Einen gefunden. Doch irgendwie war es ihr sehr unangenehm, zuzugeben, dass sie wusste, was ihre Mutter vermutete. Woran lag es nur, dass man mit jedem problemlos über Sexualität sprechen konnte, außer mit den eigenen Eltern?

»Komm doch am Wochenende nach Hause.«

Ihre Mutter hörte sich auf einmal weinerlich, schwach und Mitleid heischend an. Das seltene Gefühl, als Tochter gebraucht zu werden, stellte sich bei Bella. Es war erbärmlich, unangemessen.

»Wie wär’s mit Sonntag? Morgens spiele ich natürlich Mah-Jongg, aber Sandra und Blake sind zum Mittagessen da.«

Sandra und Blake. Da würde jeder in Deckung gehen. Bellas angeberische, eitle Schwester und ihr Freund, diese Sportskanone: der stiernackige Blake mit den massigen Armen, der sich nur durch seine Geschwindigkeit auf dem Football-Feld vor seinem Schicksal, eingefangen und im Museum neben den Neandertalern und Primaten ausgestellt zu werden, retten konnte. Ihre Mutter machte solch einen Wirbel um ihn, dass Bella sie verdächtigte, selbst scharf auf Blake zu sein. Doch eine Einladung zum Sonntagessen kam selten vor und musste deshalb taktvoll abgelehnt werden.

»Das wäre toll, Mum, danke, aber ich habe am Wochenende viel vor. Samstag spiele ich Squash mit Julian, und Sonntag bin ich zur Taufe von Heathers Baby eingeladen. Vielleicht in ein paar Wochen.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, streckte Bella sich wohlig seufzend auf der Couch aus. Allein die Euphorie darüber, dass der Anruf vorbei war, lohnte es fast, ihn über sich ergehen zu lassen. Es war, als würde man sich im Schnee wälzen und dann in einen heißen Whirlpool steigen, oder an einer Zitrone lutschen, um danach ein Stück Schokolade zu essen.

Ihr Blick wanderte zu ihrem Buchmanuskript, das in Reichweite vor ihr lag. Ein vorsichtiger Mensch würde sich nach bezahlter Arbeit umsehen. Sofort. Aber ihr Konto war noch nicht völlig leer, und es konnte doch nicht schaden, sich noch ein paar Tage zu gönnen, bevor sie auf die Suche ging. Das konnte zumindest bis zum Tag nach der Taufe warten. Und in der Zwischenzeit ...

Anfangs war es ihr wie ein Abenteuer vorgekommen, ein Buch zu schreiben, wie ein Test, eine Möglichkeit, der Welt, in der sie sich unterschätzt fühlte, ihren Wert zu beweisen. Völlig unerwartet war, dass sie sich so ganz in der Freude am Schreiben verlor. Hier konnte sie Gott spielen, Charaktere und Ereignisse nach ihrem Gutdünken erfinden und formen, das Gute über das Böse triumphieren lassen. Und hier kriegten diejenigen, die Unrecht begingen, die Quittung dafür. Diese vollständige Kontrolle machte so süchtig, dass es immer schwerer wurde, sich davon loszureißen.

Was verriet das über ihr eigenes Leben? Das war eine deprimierende Überlegung. Suchte sie etwa immer noch nach einer Möglichkeit auszubrechen? Dabei war sie doch schon ausgebrochen, oder etwa nicht? Vor Jahren schon. Sie hatte sich selbst erzogen, sich ein Auto und eine Wohnung gekauft, sich eine beeindruckende Karriere aufgebaut. Na gut, die Karriere bekam gerade einen kleinen Knick, und sie musste ganz schnell diesen Gelegenheitsjob finden, aber alles in allem, und zählte man nicht ein oder zwei verbockte Beziehungen dazu – na ja, vielleicht hatte es mehr misslungene Versuche gegeben, die wahre Liebe zu finden, als ihr lieb war (aber ehrlich, wie sollte sie es hinbekommen, wo ihre Vorbilder so wenig inspirierend gewesen waren) –, ging es ihr doch ganz gut. Oder?

Woher also rührte dieses Bedürfnis, für immer in ihre Geschichte abzutauchen, diese Sehnsucht, sich selbst in einer Dimension zu verlieren, die alles ausschloss, was real war? Als ob alles, was sie für sich getan hatte, nichts wert war, nicht so viel wert sein konnte wie die Fantasiewelt, die sie zu Papier brachte. Sie richtete sich auf und zog den Laptop auf den Schoß. Manchmal fühlte es sich an wie Hunger, als suche sie etwas, wisse aber nicht was. Oder als reise sie an einen Ort, wisse aber nicht an welchen. Diese Aussicht war etwas beängstigend – so als würde sie mit verbundenen Augen durch einen Wald laufen –, und gleichzeitig hatte sie etwas außerordentlich Verlockendes. Selbst wenn sie es versucht hätte, sie hätte ihr nicht widerstehen können.

Kapitel 3

»Was in aller Welt trägt man heutzutage zu einer Taufe?« In ein Handtuch gewickelt und noch feucht vom Duschen durchforstete Bella das Durcheinander in ihrem vollgestopften Kleiderschrank.

»Ein Kleid wäre schon mal ein guter Anfang«, meinte Julian. »Und High Heels. Keine Sneakers. Hast du ein Kleid?«

»Natürlich. Wenn auch nicht gerade den letzten Schrei.« Den Hörer ans Ohr gepresst, kramte Bella in ihrem Schrank herum, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. »Könnte ein bisschen zu kurz sein.«

»Macht nichts. Laut Wetterbericht soll es warm werden.«

»An die Temperatur hatte ich nicht gerade gedacht, Julian.« Eigentlich musste sie ihm nur selten etwas erklären. Es enttäuschte sie ein bisschen. Sie dachte, sie hätte ihn besser erzogen.

»Ist dir immer noch nicht klar, dass es bei solchen Dingen nicht ums Wohlbefinden geht? Der Punkt ist, dass ich in letzter Zeit nicht mehr im Fitnessstudio war, und meine Beine sehen nicht gerade topp aus.«

»Ich hätte dich gestern beim Squash mehr fordern müssen.«

Ihre Squashspiele einmal pro Woche waren Bellas einziges richtiges Training, und Julian nahm sie hart ran, sehr hart. Nicht dass sie ihn nicht auch zum Schwitzen brachte. Er mochte zwar längere Gliedmaßen haben – mit der Spannweite des gesamten Spielfelds –, aber sie war schnell und brachte eine Hartnäckigkeit mit, die aus dem jahrzehntelangen Versuch erwachsen war, alle Hürden zu nehmen, die ihr im Weg standen.

»Es hat gereicht«, antwortete sie, »aber einmal pro Woche ist viel zu wenig. Ich habe immer noch vor, in nächster Zeit wieder mit dem Laufen anzufangen oder wieder in die Muckibude zu gehen.«

»Jetzt mal im Ernst, Bella. Keiner wird auf den Muskeltonus deiner Beine achten. Aller Augen werden auf das Baby und seine reizende Mama gerichtet sein.«

»Wahrscheinlich. Vor allem, da die kleine Lily Kleidchen von Dior tragen wird.«

»Ich hole dich in einer Stunde ab.«

»In Ordnung, in einer Stunde. Bis dann.«

Sie warf das Telefon aufs Bett und zog das fragliche Kleid aus dem Schrank. Mitternachtblauer Samt (etwas verknittert durch die stiefmütterliche Aufbewahrung im Schrank), der im Baby-Doll-Stil unter der Brust gerafft war. Bella hatte es vor zwei Jahren gekauft, als sie mitten in der erbärmlichen Beziehung zu dem höchst egoistischen Ben Horrocks steckte. Auf dem Kleiderbügel sah das Kleid täuschend züchtig aus (schicklicher Ausschnitt, ellbogenlange Ärmel), aber angezogen war es so kurz, dass es fast den ganzen Oberschenkel freigab. Ben war versessen auf Beine gewesen.

Dass sie ihre Jeans gegen einen kurzen Rock eintauschte, kam in letzter Zeit nur selten vor. Und an jene Phase ihres Lebens erinnerte sie sich besonders ungern: drei Jahre, in denen Julian sie einen leichtgläubigen Dummkopf schalt. Drei Jahre, in denen sie Ben glaubte, der gelogen hatte, als er schwor, sie würden niemanden betrügen, denn seine Ehe bestehe nur noch auf dem Papier. Bella, Bellissima, du bist die Liebe meines Lebens ... Besser nicht dieser Spur folgen. Nicht gerade jetzt (denn damit würde sie nur am Abgrund landen). Und so schwer war es auch gar nicht, der Spur auszuweichen, denn sie war eine Meisterin darin, Dinge, über die sie nicht nachdenken wollte, in Fächern verschwinden zu lassen. Es war eine Überlebenstechnik, die sie jahrelang perfektioniert hatte. Deckel auf, rein damit, Deckel zu. Rums!

Ihre Augen wanderten zu ihrem Buchmanuskript auf dem Nachttisch. Das war die viel verlockendere Perspektive! Wie gern würde sie sich jetzt in dieser Welt verlieren (viel einladender als jene, in der man gezwungen war, Wahrheiten zu unterdrücken, um zu überleben), doch mit einem Seufzer wandte sie sich dem Notwendigen zu. Anziehen, sich fertig machen. Sie nahm das blaue Kleid, zog es an und schlenderte zu dem langen Spiegel im Bad, um sich zu begutachten.

Aus dem Spiegel blickte sie ein hübsches Gesicht an (sie wäre eine Närrin, das nicht zu erkennen), obwohl es für ein Mädchen mit einem hübschen Gesicht auf dem Weg zur Frau unendlich viele Fallstricke gegeben hatte. Oje ... noch mehr scheußliche Erinnerungen. Jetzt ging das schon wieder los. Deckel auf, rein damit.

Bella hob die Arme und drehte sich einmal um sich selbst. Sie war dünner als in der Ben-Ära. Das wusste sie seit Langem, seitdem Kiefer und Wangenknochen aus dem leicht rundlichen jüngeren Gesicht hervorgetreten waren. Trotzdem war sie erstaunt, wie viel lockerer das Kleid an Schultern und Busen saß. Wann hatte sie es zuletzt getragen? Bestimmt auf einem der verstohlenen Ausflüge mit Ben. Völlig überraschend überkam sie ein Gefühl der Beklemmung, das fast an Angst grenzte. Einen Moment lang hatte sie das dringende Verlangen, sich das Kleid vom Leib zu reißen und es in den Abfalleimer zu werfen.

Was hatte das zu bedeuten? Sie musste sich wieder in den Griff bekommen! Sie stellte sich gerade hin und straffte die Schultern. Du bist stark, unabhängig, niemandem verpflichtet. Ja, eine emanzipierte, freie Frau. Wird Zeit, in die Gänge zu kommen. Die Schuhe zu holen. Sich zu kämmen. Fertig zu werden, bevor Julian da ist. Das sagte sie sich – und war gleichzeitig unfähig, etwas zu tun. Wie angewurzelt blieb sie stehen und starrte ihr Spiegelbild an, das auf einmal beängstigend durchscheinend wirkte. Sie holte tief Luft und versuchte angestrengt, den Tsunami von Gefühlen, von dem sie gerade überrollt wurde, einzudämmen. Weg damit, Bella, weg damit! Doch die Welle kam immer wieder, und ungebetene Bilder aus der Vergangenheit schoben sich in ihr Bewusstsein. Die vielen heimlichen Rendezvous mit Ben hinter dem Rücken seiner Ehefrau verursachten ihr Übelkeit. Und die Erinnerung an noch frühere Zeiten ... Hier lag die Krux, nicht wahr, Bella? Eine Einsamkeit, so schneidend, dass sie fast zusammenzuckte. Der Tonfall ihrer Mutter, du kleine Nutte, die brennende Ohrfeige.

Was zum Teufel hatte diesen Aufruhr der Gefühle ausgelöst? Der letzte Anruf ihrer Mutter? Der Anblick ihres blauen Samtkleides? Oder – ein beunruhigender Gedanke – das Schreiben ihres Romans? War vielleicht die Entfesselung ihrer Fantasie dafür verantwortlich, dass ihre eigene ekelhafte Geschichte wieder an die Oberfläche drang? Es bestand kein Zweifel, dass die Arbeit an diesem Buch zahlreiche Gedanken freisetzte. Das Schreiben machte süchtig, es verlieh ihr das Gefühl zu fliegen. Doch war dies der Preis, den sie zahlen musste, diese Flut von unterdrückten, grässlichen Erinnerungen, die mit aller Macht ans Tageslicht drängten?

Mein Gott, was tat sie da nur? Komm, Bella, diese schweren Jahre hast du doch abgeschüttelt, du hast dein Schicksal selbst in die Hand genommen. Trotzdem war es ihr nicht möglich, die Wahrheit, die sich in ihrem Kopf breitmachte, zum Schweigen zu bringen. Was sie schaffte, waren physische, handfeste Dinge wie der Kauf einer Wohnung oder eines Autos und eine Ausbildung zu machen, nicht wahr? Kamen allerdings Gefühle ins Spiel, ging es um ihre Beziehungen zu anderen Menschen, dann neigte sie stark dazu, unkluge Entscheidungen zu treffen. Zu falschen Einschätzungen zu kommen wie im Fall von Ben Horrocks. Um dann die Verantwortung dafür abzuwälzen. Den richtigen Mann suchen? Eine Beziehung aufrechterhalten? Ich?

Plötzlich sah sie eine mit Fehlern behaftete junge Frau, die zu schnell Ausflüchte für ihre vielen Fehler gefunden und jeden falschen Schritt auf den Mangel an elterlicher Führung geschoben hatte. Aber wie lange konnte das so weitergehen? Sie war dreißig Jahre alt, Herrgott noch mal.

Sie trat so nahe an den Spiegel heran, dass sie mit der Nasenspitze fast das Glas berührte. Sie wich ihrem eigenen Blick nicht aus und sah tief in sich hinein. Was sie sah, versetzte sie in Panik. Sie hatte nicht nur ihre Vergangenheit für ihre Fehler verantwortlich gemacht. Nein, es war schlimmer, viel schlimmer. Die Erkenntnis traf sie mit aller Wucht und raubte ihr den Atem. Hatten nicht ihre kindlichen Bedürfnisse alles verzerrt, was sie seitdem getan hatte? Niemals hätte sie Primrose so lange ertragen, wenn ihr Verlangen nach Lob und dem trügerischem Tätscheln des Kopfes allein durch die Ehre zu stillen gewesen wäre, bei dieser herausragenden Zeitschrift zu arbeiten. Wirklich gut gemacht, Bella, du schlaues Mädchen ... deine eigene Kolumne, und schon in so jungen Jahren ... Viel intensiver noch war ihr Verlangen nach Zuneigung. Einfach eklig. Denn es hatte sie blind gemacht gegenüber Bens Unaufrichtigkeit, der so geschickt ihr Bedürfnis, geliebt zu werden, ausgenutzt und sie mit Komplimenten und süßen Worten überschüttet hatte.

Und der ganze Rest.

Plötzlich verlor sie den Boden unter den Füßen. Sie schloss die Augen, lehnte sich gegen das kalte Spiegelglas und fühlte, wie sie taumelte. Mein Gott ... All die Jahre, in denen sie sich für unabhängig gehalten hatte, hatte sie in Wirklichkeit ihre Vergangenheit mit sich herumgetragen wie einen deformierten siamesischen Zwilling, der ihre Entscheidungen beeinflusst, ihr Leben verzerrt hatte. Wie hatte ihr das nur passieren können?

Sie zitterte, war dem Weinen nahe vor lauter Anstrengung, das immer stärker werdende Gefühl von etwas Dunklem (des gelegentlich auftauchenden, aber nie greifbaren Schattens) zu unterdrücken, das sich jetzt mit Macht in ihrem Bewusstsein breitmachte. Was für ein miserables Timing! Das war doch Heathers Tag – genauer gesagt der Tag der kleinen Lily –, und das Letzte, was sie wollte, war, wie ein Stimmungstöter zu wirken, wenn sie dort auftauchte und aussah, als hätte sie gerade einen Zusammenbruch erlitten. Ihre Freunde rechneten doch mit ihrem Lächeln, ihrem Witz, ihrem Lachen. Die fröhliche, charismatische Bella, der strahlende Mittelpunkt der schönsten Feste.

Sie atmete tief ein und drehte dem Spiegel den Rücken zu. Alles, was sie tun musste, war sich bewusst dafür zu entscheiden, ein für alle Mal die Nabelschnur zu durchtrennen. Um dann die Kontrolle über ihr Leben zu übernehmen. Ja genau. Jetzt einen Schnitt machen und dann nichts wie weg. Tu’s einfach, Bella! Mach schon, mach schon!

Sie atmete noch einmal tief ein und kehrte zurück ins Schlafzimmer. War es nicht schon ein Anfang, dass sie Ben als den Idioten erkannt hatte, der er war, und ihn in die Wüste geschickt hatte? Zweifellos. Der erste Schritt. Mal ganz abgesehen davon, dass sie ihren Job aufgegeben und ihr Buch angefangen hatte. Noch besser. Der zweite Schritt. Sie warf einen Blick auf die Uhr und schnappte entsetzt nach Luft. Wie lange hatte sie so dagestanden? Der ach so pünktliche Julian würde gleich an die Tür klopfen, und sie war noch lange nicht fertig.

Sie schlüpfte in die Schuhe und beugte sich runter, um die Knöchelriemchen zu schließen, wobei sie wegen der ungewohnt hohen Hacken etwas ins Wanken geriet. Dann mit dem Kamm durch die Haare, das obligatorische leichte Make-up ins Gesicht und der Versuch, die quälenden Gedanken zu verscheuchen, zu begraben und zu unterdrücken. Doch es war, als hätte sie den Deckel von etwas aufgebrochen, das ein Leben lang versiegelt gewesen war, und als würde sich Unheil aus der Büchse der Pandora zwängen.

Nach dem Gottesdienst spazierten Bella und Julian über den Rasen hinter Heathers Haus. Es war wieder ein perfekter Frühlingstag, und die helle Nachmittagssonne schien auf die wie Juwelen glitzernden Blüten der Bougainvillea, die den Garten wie eine Hecke umgab und hoch über die Veranda rankte. Julian war an ihrer Seite, sie war umgeben von Freunden und es herrschte eine festliche Stimmung: Freude, Gelächter und das Knallen der Sektkorken. Ihre Panik ließ spürbar nach. Von ihrem Vorsatz, an ihren Problemen zu arbeiten, würde sie sich dadurch nicht abbringen lassen, doch es war ihr gelungen, eine Perspektive zu entwickeln. In aller Stille würde sie ihre Probleme lösen (es war nicht nötig, dass Julian oder irgendjemand sonst wusste, was für eine hoffnungslose, unzurechnungsfähige Chaotin sie war) und ihr Leben fortsetzen.

Hier und da blieben sie stehen, um mit anderen Gästen zu plaudern, einen Witz zu machen, Küsse auszutauschen. Heathers vertrautes, ansteckendes Lachen war aus Richtung des Partyzelts zu hören. Heather Buckley war das Beste, was Bella vom Weekender geblieben war. Die Mode-Chefredakteurin war aufgeweckt, schlagfertig, witzig und freundlich. Und zudem hatte sie ungemein viel Stil.

Sie hatte üppiges kastanienbraunes Haar, das ihr auf die Schultern fiel, ein fein geschnittenes Gesicht und klare graue Augen. Die Nase war eine Idee zu lang und zu dünn – eher aristokratisch als hübsch –, ihre Haut wie Sahne. Julian hatte sie jahrelang begehrt und einen herben Schock erlitten, als Heather ihm eröffnete, sie wäre von ihrem Fotografen-Freund Mark schwanger.

Vier Monate nach der Geburt des Babys wieder figürlich in Topform, sah Heather umwerfend aus in ihrem weißen fließenden Kleid, das an jeder anderen Frau wie ein Nachthemd gewirkt hätte.

»Bella! Julian!«, rief sie in ihrer extravaganten Art. »Tausend Dank, dass ihr gekommen seid.«

»Um nichts in der Welt hätte ich die Taufe verpassen wollen«, erwiderte Bella und küsste sie auf die samtweichen Wangen.

»Tut mir leid, dass ich in der Kirche nicht dazu gekommen bin, mit euch zu sprechen.«

»Macht nichts«, meinte Julian und küsste sie ebenfalls. »Du musst dich ja auch um einen Haufen Gäste kümmern und hast nebenbei noch alle Hände voll zu tun mit deinem Baby.«

»Darf ich sie mal halten?«, bat Bella mit ausgestreckten Armen. »Hm«, sie beschnupperte Lilys flaumiges Haar, »komm zu Tante Bella, du prächtiges, appetitliches Geschöpf.« Sie betete Lily an und war so gerührt, wenn sie sie im Arm hielt, dass ihr beinahe die Tränen kamen. Was sie jedoch nie im Leben zugeben würde. »Du und Mark, ihr macht großartige Babys«, sagte sie. »Ihr müsst noch viel mehr bekommen.«

Heather verkörperte so vieles. Sie lächelte meistens, war schön und verliebt, die Mutter eines perfekten Babys, zudem stieg sie gerade eine steile Karriereleiter hinauf und jonglierte all das mit den geschickten Händen einer Expertin. Gäbe es einen Nobelpreis für Lebensmanagement, würde er sicherlich an Heather verliehen werden.

»Ich habe gehört, du hast gekündigt?«, fragte sie Bella. »Mutige Entscheidung. Was wirst du jetzt tun?«

Bella zuckte mit den Schultern. Das Buch war ihr Geheimnis. Ihres und Julians.

»Etwas weniger Anspruchsvolles. Ich brauche mal Luft zum Atmen.«

»Da wird eine Horde von Anwärtern die Tür zu deinem leeren Büro einrennen.«

»Lass sie. Kann mir nur recht sein. Vielleicht arbeite ich freiberuflich.«

»Das würde Die PA ärgern«, meinte Julian und nahm ein paar Champagnergläser von einem Tablett, das herumgereicht wurde. »Ist wahrscheinlich genau die Art von Risiko, das sie immer eingehen wollte, sich aber nie getraut hat.«

»Sie ist übrigens hier«, sagte Heather.

Bella suchte die Menge ab, erspähte die Ivana-Trump-Frisur auf der anderen Seite des Rasens, und schon war er wieder da, der vertraute Kloß im Hals. Primrose Adams – »Die PA«, wie sie im Haus respektlos genannt wurde. Sie hasste diesen Spitznamen, denn er ließ auf einen niedrigeren Status schließen, als sie ihn als Chefredakteurin tatsächlich innehatte.

»Tut mir leid«, sagte Heather, »ich wollte dich eigentlich warnen. Ich konnte nicht umhin, sie einzuladen.«

Beim Weekender geriet Heather, eingetaucht in der allwöchentlichen Flut von Mustern von Kleidungsstücken und Kosmetikartikeln, nie in Primroses Schusslinie. Sie siebte den Schrott aus, fand die Schmuckstücke, stylte die Models und bewegte sich damit auf einem Gebiet, das außerhalb von Primroses Sachkenntnis lag – worum Bella sie total beneidet hatte. Aber warum sich Gedanken machen? Die Frau hatte keine Macht mehr über sie, sie würde sich nicht mehr von all diesen Dingen quälen lassen.

»Das macht nichts«, antwortete sie. »Ich hoffe nur, sie hat ein anständiges Geschenk mitgebracht.«

Heather lachte. »Einen Schnuller oder eine andere Art von Knebel. Die hat etwas von einer Kinderhasserin, wenn ich mich nicht täusche. Also, ihr beide seht aus, als könntet ihr was zu essen gebrauchen. Gib mir Lily, und ihr plündert mal das Büfett.«

Im Partyzelt standen lange, mit schneeweißen Tischtüchern drapierte Tische, auf denen Törtchen, Teegebäck und winzige köstliche Sandwiches aufgebaut waren. Eine Teestunde, die der neuen Prinzessin angemessen war.

»Du magst Babys, stimmt’s?«, fragte Julian und biss in ein Gurkensandwich.

»Wer nicht?«

»Ich zum Beispiel. Nein, das stimmt nicht. Es ist nicht so, dass ich sie nicht mag, aber ich wüsste nichts mit ihnen anzufangen, wie man sie hält und was man macht, damit sie aufhören zu schreien.«

»Du hast es ja auch noch nie ausprobiert«, sagte Bella, erfreut über die Gelegenheit, ihn auf den Arm zu nehmen und ihm mit der Vorstellung von kleinen Menschen, die Chaos in sein geordnetes Leben bringen könnten, einen Schrecken einzujagen. »Eines Tages wirst du die richtige Frau treffen und mir nichts dir nichts von vielen kleinen Julians umringt sein.«

Sie hob die Hand, um jemandem zuzuwinken, und Julian drehte sich um, um zu sehen, wen sie entdeckt hatte. Es war Heathers Mann, Mark. Eine sehr hübsche Frau mit kastanienbraunem Haar, aristokratischer Nase und zarter Haut hatte sich bei ihm untergehakt. Sie war groß, hatte eine gute Figur und eine selbstbewusste Körperhaltung, und sie kam direkt auf sie zu.

Bella ging mit dem Mund ganz nah an Julians Ohr und flüsterte: »Sieht aus wie Heather. Geht wie Heather. Ist aber nicht Heather. Das ist deine Chance.«

»Hallo, ihr zwei«, sagte Mark, als er bei ihnen angelangt war. »Ich wollte euch Tori, Heathers Schwester, vorstellen.«

Nicht ganz Heathers Ebenbild – die Gliedmaßen etwas schwerer, zu viel Make-up –, aber beinahe. Bella warf Julian einen prüfenden Blick zu und sah sofort, dass er Tori abcheckte.

»Tori«, fuhr Mark fort, »das sind Bella und Julian.«

»Lebst du hier?«, fragte Julian sie. »Ich habe dich noch nie gesehen.«

»Im Prinzip: Ja.«, antwortete Tori. »Ich wohne auf der anderen Seite des Flusses in West End.«

»Und du bist auch im Modegeschäft?«

Der Schluss liegt nahe, dachte Bella, in Anbetracht der extravaganten Klamotten, die Tori trug. Ihre an die Göttin Juno erinnernde Gestalt steckte in einem fantastischen, rubinroten Kleid mit einem engen, gerüschten Mieder und einem ausgestellten Bahnenrock. Um ihren Hals lag ein schwarzes Samtband mit einer Kamee. Sie sah aus wie eine Hure aus einem Saloon gehobener Preisklasse im Wilden Westen, schoss es Bella durch den Kopf.

Tori schüttelte ihr glänzendes Haar. »Nein, Mode war immer Heathers Fach. Ich bin Sängerin.«

»Entertainerin?«, fragte Julian. »Mutig, damit sein Geld zu verdienen. Welche Art von Musik?«

»Ich singe in einer Blues Band bei Satchmo’s und in der Calypso Bar. Das bedeutet lange Nächte.« Sie hob die Hand, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. »Ich wache sozusagen gerade erst auf.«