Wie ein Schatten hinter dir - Brina Hope - E-Book

Wie ein Schatten hinter dir E-Book

Brina Hope

0,0

Beschreibung

Wenn Warnzeichen dich auffordern, dein Leben zu ändern ... Wenn dein siebter Sinn dich schützen könnte ... Aber was, wenn du die Signale nicht erkennst? David ist schon seit seiner Teenagerzeit ein Außenseiter. Mit dem Fotoapparat spioniert er Mädchen nach. Besonders von der hübschen Amy ist er besessen. Als sein Onkel deren Fotos bei ihm findet und ihn als Stalker entlarvt, bringt David ihn im Affekt um. Weder die lange Haft noch eine Therapie können ihn von seiner Obsession für Amy erlösen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis kennt er nur noch ein Ziel - Amy, mittlerweile eine junge Frau, aufzuspüren und für sich zu beanspruchen. Da stört nur, dass sich Sheila, die arglose Tochter seines Arbeitgebers, in ihn verliebt. Er sieht sich gezwungen, sie aus dem Weg zu räumen. Lauren, Amys ältere Schwester und eine dreifache Mutter, kämpft darum, Familie, Ehe und Berufsleben unter einen Hut zu bringen. Als sie nach ihrer Krebserkrankung beschließt, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, und es scheint, als würde es wieder aufwärtsgehen, schlägt das Schicksal noch härter zu. Ein packender Roman, der für Gänsehautmomente sorgt. Psychokrimi und Lovestory in einem.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 375

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Noelia, mein Patenkind

Folge deinem Herzen …

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Prolog

Jackman, Maine, Dezember 1993

»Hey, Schwachkopf, fang!«

Ein Basketball traf David am Hinterkopf.

Er zuckte zusammen, ging jedoch weiter, auf den Eingang des Schulgebäudes zu, als wäre nichts gewesen.

Drei Jungs holten ihn ein. Bulldozer, der seinen Namen seiner Körperfülle verdankte, begann ihn zu schubsen, so derb, dass David zu Boden fiel.

»Was schleppst du denn da immer mit dir herum?« Dozer zerrte rabiat an Davids Rucksack, ein Träger riss. Er reichte seinem Kumpel Bobby den Rucksack. Der öffnete den Reißverschluss und kippte den Inhalt in den Schneematsch.

David versuchte auf die Beine zu kommen. Doch Dozer hielt ihn am Boden fest.

Pickelgesicht, der Dritte der Bande, fischte eine abgenutzte Ledermappe aus den verstreut herumliegenden Gegenständen und übergab sie Bobby. Dieser schlug die Mappe auf und blätterte durch die Fotos. »Was soll das, Schwachkopf? Wieso fotografierst du die Mädchen?«

David biss die Zähne aufeinander.

»Hey, Perversling, ich habe dich was gefragt!«

David kochte innerlich vor Wut. Niemand durfte seine Fotos anfassen! Schon gar nicht Bobby. Doch er war machtlos, sie waren zu dritt.

Vom Haupteingang des Schulgebäudes näherte sich Ms Lewis, die Geschichtslehrerin. »Was ist hier los?«

Bobby klappte die Mappe zu und überreichte sie David. »Das klären wir später, Wichser!« Er drehte sich zu der Lehrerin um. »Nichts Besonderes, Ms Lewis. Hier draußen ist es bloß etwas rutschig … David ist hingefallen.«

Ms Lewis sah von David zu Bobby und zum Rest der verschwörerischen Truppe. »Geht in eure Klassen, sofort!«

»Klar doch, Ms Lewis.«

Sie wartete, bis sie und David unter sich waren. »Womit haben sie dich dieses Mal geärgert?«

Er schwieg, den Blick auf den Boden geheftet. Er wollte nicht, dass sie seinen Zorn bemerkte, der in seinem Inneren brodelte.

Ms Lewis hob ein Foto vom Boden auf, das aus der Mappe gerutscht war, und musterte David seufzend. Er hatte sich nicht an die Auflage gehalten und seine Mitschülerinnen weiterhin heimlich fotografiert. Unfassbar und dumm! In Kürze würde es die ganze Schule wissen.

»Komm, wir reden drinnen.«

Alles in David sträubte sich.

Nein! Die Fotos ließ er sich auf keinen Fall wegnehmen!

Er stopfte die Ledermappe rasch in seinen Rucksack und machte sich davon.

»David! Bleib hier, David! Das macht die Sache nur schlimmer!«, rief ihm Ms Lewis hinterher.

Sie hatte sich immer für ihn eingesetzt und ihn vor dem Schuldirektor verteidigt. Dass er sich nicht an die Auflage gehalten hatte, schadete nicht nur ihm.

Mit der Zustimmung des Schuldirektors kontaktierte sie Mr Parker, Davids Onkel, und vereinbarte einen Gesprächstermin.

Davids Lunge schmerzte vor Kälte und Anstrengung, während er im Schutz des Waldes durch tiefen Schnee stapfte. Schließlich erreichte er sein Versteck. Das Baumhaus, das er sich in einer dicht von Unterholz umgebenen, stark verzweigten Eiche gebaut hatte. Er versuchte seine eiskalten Hände zu wärmen, damit er besser an den Griffen hochklettern konnte, die er in regelmäßigen Abständen am Baumstamm angebracht hatte und die ihm als Leiter dienten.

Er gelangte nach oben, zog sich eine Wolldecke um seine Schultern und betrachtete die Fotos an den Wänden seines Baumdomizils. Das Mädchen mit den strahlend blauen Augen, das er oft fotografierte. Das immer lächelte, wenn sein Objektiv ihr Gesicht heranzoomte.

Sie gefiel ihm. Sehr sogar. Er bildete sich ein, dass sie seinetwegen lächelte.

Eines Tages würde er sie ansprechen.

Er hängte weitere Fotos von ihr auf und beschloss, schnellstens auch diejenigen zu holen, die er zu Hause aufbewahrte. Er musste sie in Sicherheit bringen, jetzt, wo sicher schon die ganze Schule von den Bildern wusste.

Er kletterte die Stiege vom Baumhaus hinunter, kämpfte sich durch den verharschten Schnee und gelangte atemlos zur Straße zurück. Nach einer Weile erreichte er das Barackenhaus, das er mit seinem Onkel bewohnte. Überrascht erfasste er aus dem Augenwinkel die verbeulte Rostlaube seines Onkels, die neben dem Haus parkte. Vom Pick-up wanderte sein Blick zur Haustür.

Warum war sein Onkel schon zu Hause?

Die Haustür flog auf. »Bastard, du kommst wie gerufen!«

David wich dem angriffslustigen Blick seines Onkels aus.

»Beweg deinen Arsch hierher! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«, herrschte ihn dieser an.

Wortlos und ohne ihm Beachtung zu schenken, marschierte David an seinem Onkel vorbei.

»Hast du keine Manieren?!«

David kramte nach seinem Zimmerschlüssel. Jedes Mal wenn er das Haus verließ, verschloss er den Raum sorgfältig hinter sich. Sein Zimmer war ein Tabubezirk, in dem er sich vor seinem Onkel zurückzog und in dem dessen Anwesenheit nicht erwünscht war. Diesmal stand die Tür zu seinem Unterschlupf weit offen. Sämtliche Schubladen waren aus der Kommode herausgezogen worden und der Inhalt seines Spinds lag auf dem Boden. Die Matratze war vom Bett gehoben. Das Geheimfach, das er mit einem Messer in den Schaumstoff geschnitten hatte, war leer. Sein Onkel war auf das Versteck gestoßen.

Wo sind die Fotos? Was hat er mit ihnen gemacht?

»Ms Lewis hat angerufen.« Mr Parker, der David gefolgt war, kratzte an seiner Schuppenflechte, die weitläufig seinen Arm bedeckte. Sein Ellbogen juckte. »Du bist nicht bloß ein jämmerlicher Taugenichts, sondern auch noch ein durchgeknallter Bastard! Was hast du dir bloß dabei gedacht! Hm? Na, was? Hm? Deinetwegen ackere ich mir Tag für Tag den Arsch ab, damit der Herr ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen hat. Aber das genügt dir wohl nicht, hm? Du bereitest mir nur Ärger! Aber damit ist jetzt Schluss!«

Er schnappte sich Davids Fotoapparat von der Kommode, stampfte aus dem Haus und marschierte auf den an das Gebäude angebauten Schuppen zu.

»Neiiin! Niiicht!«, schrie David, während er versuchte, ihn aufzuhalten.

Sein Onkel jedoch kannte keine Gnade. Er platzierte den Fotoapparat auf die Werkbank, griff in seinen Werkzeugkasten und entnahm ihm einen Hammer.

Wag es ja nicht!

Sein Onkel schlug kräftig zu. Mit einem Schlag zermalmte er den Apparat.

»Neiiin!«

David stürzte sich auf ihn.

Ringend prallten sie gegen die Wand.

»Lass den Scheiß!«, drohte Mr Parker, als ihm David den Hammer entriss. Doch der wütende Bulle in David ließ nicht locker. Auch nicht, als sein Opfer bereits auf dem Boden lag.

Irgendwann ließ David das Werkzeug fallen. »Onkel?« Von dessen Kopf sickerte Blut herab. »Onkel?«

Verstört ergriff David seinen zertrümmerten Fotoapparat und rannte zu Mrs Birch, die im Nachbarhaus wohnte.

Er klopfte, nein, hämmerte an ihre Tür.

Alarmiert öffnete ihm die ältere Dame nach wenigen Augenblicken, in der Hand noch ihre Strickerei. »Was ist passiert?«

David wies wortlos zum Schuppen.

Mit einem unguten Gefühl sah Mrs Birch zu dem Schuppen hinüber, in dem Licht brannte. »Ich hole meine Jacke.«

Unter ihren Füßen knirschte der Schnee.

David verhielt vor dem Eingang. Mrs Birch betrat den Schuppen. »Ach du lieber Himmel!«

Sie brauchte einige Augenblicke, um sich zu sammeln, und drehte sich dann nach David um. »Geh … Geh zu mir nach Hause und warte dort auf mich.«

Den zertrümmerten Fotoapparat fest mit seinen Händen umklammernd, trottete er los.

»Mr Parker?« Mrs Birch näherte sich dem leblosen Körper. Der Kopf lag in einer Blutlache. Das Gesicht war zerschmettert. Sie schnappte nach Luft. »Das musste ja so kommen … Das musste ja so kommen.«

Sie betrat Mr Parkers Haus, fand das Telefon und verständigte die Polizei.

Kapitel 1

Portland, Maine, Dezember 2010

Lauren joggte durch die vom Schnee geräumten Straßen ihrer Wohngegend. Heute Morgen war es deutlich kühler als gestern. Sie spürte es beißend in ihrer Lunge und an ihren verspannten Muskeln. Sie wurden nicht richtig warm.

Sie schaute prüfend auf ihre Laufuhr. Sie lag gut in der Zeit. Trotzdem legte sie noch einen Zahn zu.

Fast! Fast am Ziel!, dachte sie, als sie um die Ecke bog.

»Bei diesen eisigen Temperaturen werden Sie sich noch eine Lungenentzündung einfangen«, warnte Mrs Pickman, Laurens Nachbarin, die durch den Spalt ihres Küchenfensters lugte.

Was Sie nicht sagen!, sagte sich Lauren und ignorierte sie.

Sie erreichte die Zufahrt zu ihrem Haus. Es war kurz vor halb sieben. Die Hände in der Taille, keuchte sie sich die Anstrengung aus der Lunge.

Auf geht’s! Der Wahnsinn kann beginnen!

Sie ging ins Haus, lief die Treppe hinauf, in Madisons Zimmer. »Es ist Zeit, aufzustehen. Die Schule wartet.«

Lauren streichelte Madison an der Schulter. Aber diese gab keinen Ton von sich. Ihre siebenjährige Tochter stellte sie, einmal mehr, auf die Probe.

»Du bist ein großes Mädchen. Ich verlass mich auf dich.« Sie knipste die Nachttischlampe an.

Madisons Wimpern zuckten.

Wie eine Elfe, dachte Lauren. Wie eine Elfe … bis sie wach ist!

Sie stöhnte. Sie war eine unfähige Mutter. Und Madison ein nervenaufreibendes Kind. Kein Trick hatte bisher wirklich funktioniert, um Madison dazu zu bewegen, selbstständig aufzustehen und ihnen beiden das morgendliche Ritual zu erleichtern. Es half weder, wenn sich das Mädchen am Vorabend seine Kleidung selbst aussuchen durfte, noch wenn sie ihr gut zuredete, Versprechungen machte oder gar drohte. Letztendlich war es immerzu darauf hinausgelaufen, dass sie Madison regelrecht aus dem Bett zerren musste.

Bis Garry sich einmischte.

»Sie testet dich. Weck sie zeitig und dann lass sie einfach mal machen.«

Mit dem Hintergedanken, es Garry später unter die Nase zu reiben, dass auch das nicht funktionierte, wenn sie Madison einfach mal machen ließ, hatte sie seinen Rat beherzigt. Wer hätte gedacht, dass es von da an, zumindest eine Zeit lang, klappen würde?

Während ihre Tochter sich räkelte, ging Lauren ins Badezimmer und sprang unter die Dusche. Trotz des Laufs und der Erfrischung hatte sie nicht das Gefühl, so richtig in Schwung zu kommen. Und das seit Wochen. »Lauf zweimal die Woche weniger«, hörte sie Garry in Gedanken sagen. Unvorstellbar. Sport war ihr Antrieb. Ohne ihre tägliche Dosis körperliche Bewegung funktionierte sie nicht.

Sie drehte den Wasserhahn zu, stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Sie hängte das Badetuch auf und fixierte ihr feuchtes Haar mit einer Haarklammer.

Als sie aus dem Badezimmer kam, hörte sie in der Küche Lärm. Madison!

Wenigstens ist sie aufgestanden!

Wie zu erwarten war, stand Madison auf einem Stuhl vor dem geöffneten Vorratsschrank. »Komm da runter, Madison!« Lauren blickte in ein trotziges Gesicht. »Du weißt, dass du das nicht darfst.« Sie bugsierte Madison vom Stuhl.

»Aber Daddy …«

Die Quittung, dachte Lauren. Jetzt hatte sie die Quittung dafür, dass sie samstagmorgens die Kinder Garry und seiner Auffassung von Erziehung überließ.

»Geh ins Wohnzimmer und setz dich an den Tisch! Ich mache dir Frühstück.«

»Nein!«

Lauren füllte Müsli in eine Schale und nahm die Milchflasche aus dem Kühlschrank.

»Ich will aber kein Müsli«, protestierte Madison.

»Morgens isst du doch immer Müsli«, warb Lauren. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein, stellte ihre Tasse unter den Auslauf und drückte die Espressotaste.

Hinter ihrem Rücken stieg Madison erneut auf den Stuhl.

»Geh runter vom Stuhl! Ich sage es nicht noch einmal!«

»Ich will aber Pfannkuchen!«

»Nein! Heute gibt es keine Pfannkuchen!«

Mit einer Flasche in der Hand kraxelte Madison vom Stuhl.

Lauren streckte die Hand aus. »Gib mir die Flasche.«

Madison huschte ins Wohnzimmer und stellte den Sirup auf den Esstisch, an dem sie sich täglich zum Frühstück versammelten. Lauren eilte ihr hinterher.

Als sie durch den Flur zurückging, kam Garry gutgelaunt die Treppe herunter. Rechts und links die Zwillinge im Arm. »Guten Morgen, Mommy«, sagte er stellvertretend für die Zwillinge.

Stöhnend musterte sie Ben und Cory. »Wie seht ihr denn aus? Wieso seid ihr so herausgeputzt? Heute ist kein Feiertag!«

Garry drückte Lauren einen Kuss auf die Stirn, ging mit den Zwillingen zum Esstisch im Wohnzimmer und setzte die fast Zweijährigen in ihre Hochstühle. »Keine Sorge, Jungs, ihr seht klasse aus!« Er zwinkerte seinen Söhnen zu. Ben und Cory strahlten um die Wette. »Euch gefällt’s, was?« Zu Lauren sagte er: »Schicke Kleidung macht eben glücklich.«

»Und wer wäscht und bügelt die Hemden?« Sie ging in die Küche und stellte den Sirup zurück in den Schrank.

»Das erledigen wir am Wochenende mit links, nicht wahr, Madison?«, prahlte Garry im Nebenzimmer, der die Funktionen einer Waschmaschine nur aus der Werbung kannte.

»Ich will Pfannkuchen«, forderte Madison erneut von ihrem Platz aus.

»Nein!«, rief Lauren durch die Durchreiche der Küche.

»Mommy macht dir leckeres Müsli«, beschwichtigte Garry. Er gesellte sich zu Lauren in die Küche und trank den Espresso, den sie vergessen hatte.

»Hey, das ist meiner!«

»Zu spät.« Er stellte die mit wenigen Zügen geleerte Tasse ins Spülbecken.

Seufzend überreichte sie ihm die Frühstücksschalen. »Bitte sehr. Dein Part!«

Ein Kinderspiel, sagte sein Gesichtsausdruck. Er ging ins Wohnzimmer und servierte Madison ihr Frühstück. »Bitte sehr, Käfermaus.« Das Essen der Jungs stellte er in der Mitte des Esstischs ab. »Mommy kommt gleich.«

Lauren begann in der Küche die Einkaufsliste zusammenzustellen.

»Ich will aber Pfannkuchen«, hörte sie Madison schmollen.

»Am Samstag, Käfermaus. Extragroß, mit einem riesigen Berg Ahornsirup. Bis dein Bauch platzt.«

Jetzt kicherte Madison. Lauren verdrehte in der Küche die Augen.

Als Madison begann, brav ihr Müsli zu essen, kommentierte Garry: »Ende gut, alles gut.« Er kam zu Lauren in die Küche.

»Warum musstest du dieses Teufelszeug überhaupt mitbringen? Noch dazu eine ganze Kiste voll.«

»Ein Kunde …«

»Ein Kunde … Es ist immer das Gleiche.« Natürlich war es beruhigend, dass das Unternehmen ihres Mannes florierte. Garry und sein Geschäftspartner, Mickey, gehörten zu den gefragtesten Webmastern weit und breit, soweit sie das beurteilen konnte. Trotzdem, ihr Schrank quoll förmlich über vor lauter Dankesgaben.

Lauren konzentrierte sich auf ihre Einkaufsliste. Garry spähte über ihre Schulter. »Was gibt’s Leckeres zum Abendessen?« Er knabberte an ihrem Ohr. »Dich zum Nachtisch?«

»Lass das! Ich muss mich konzentrieren! Oder schreibst du die Einkaufsliste?«

Im Wohnzimmer fiel offensichtlich eine Frühstücksschale vom Tisch.

Garry und Lauren eilten zu den Kindern. Lauren schnaubte. »Wieso hast du den Zwillingen das Frühstück vor die Nase gestellt?«

»Du beschuldigst den Falschen.«

Sie musterten Madison. Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht und verriet sich damit selbst.

Lauren holte einen Wischlappen aus der Küche, ging ins Wohnzimmer und nahm Madison ihr Frühstück weg. »Für heute hast du genug!« Sie stellte die Schale beiseite und wischte den Boden sauber.

»Lass mich das machen«, drängte sich Garry auf.

»Ich hab aber noch Hunger«, beschwerte sich Madison.

»Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«

Madison stand von ihrem Platz auf, stampfte auf den Boden und ging wütend davon. Garry machte einen Schritt zurück und trat Lauren versehentlich auf die Hand.

»Autsch!«, schrie Lauren. »Jetzt reicht’s aber!«

»Hol deine Jacke, Käfermaus, wir beide werden heute unterwegs frühstücken«, versprach Garry seiner Tochter, die in einer Flurecke schmollte.

»Jaaa!«, jubelte Madison.

»Viel Glück, Jungs!« Ben und Cory glucksten. »Von jetzt an seid ihr auf euch allein gestellt.«

Die Haustür fiel ins Schloss. Lauren atmete einmal tief durch. Der Tag hat noch nicht einmal richtig begonnen!

Die Zwillinge schauten sie erwartungsvoll an. »Ihr habt Hunger, was?«

»Unge«, echoten Ben und Cory.

Lächelnd musterte sie Ben. Der pflaumenfarbige Joghurt aus der hinuntergefallenen Schale war überall. Als hätte Ben darin gebadet.

Sie setzte sich zu den Zwillingen an den Tisch und verteilte brüderlich Corys Frühstück. »Das schmeckt euch, was?« Das Strahlen ihrer Söhne war unbezahlbar. »Wollt ihr noch eine Banane? Nein?«

Sie setzte Cory ins Laufgitter und nahm Ben zum Umziehen mit nach oben. Unten quengelte Cory. Lauren beeilte sich. »Da hast du deinen Bruder wieder«, sagte sie wenig später und setzte Ben neben Cory ab. »Keinen Streit, ja?« Sie meinte, sie nicken zu sehen.

Die Zwillinge waren mit Spielen beschäftigt, so dass Lauren die Schmutzwäsche in die Waschküche, die sich im Keller befand, bringen konnte. Sie sortierte die Wäsche. Wie kann eine Familie so viel Wäsche produzieren!

Sie befüllte gerade die erste Maschine, als es am Eingang klingelte.

Sie hastete hinauf. Ihre Nachbarin stand vor der Tür.

»Morgen, Mrs Pickman.«

»Guten Morgen. Ist Ihr Mann zu Hause?«

»Nein, er ist zur Arbeit gefahren.« Sie haben ihn eben bestimmt wegfahren sehen!

»Schade, ich wollte ihn bitten, sich meinen Computer anzusehen, da geht gar nichts mehr.«

»Das ist ärgerlich. Aber Garry wird erst zum Abendessen zurück sein.«

»Wenn er vielleicht später kurz bei mir vorbeischauen könnte? Ich habe eine Freundin in Florida. Wir haben uns zum Skypen verabredet. Sie hat mit zweiundsiebzig noch einmal geheiratet.« Sie unterbrach sich. »Früher hat sich ja mein Sohn darum gekümmert. Aber seit er in Chicago lebt …«

»Ich werde es Garry ausrichten.« Es würde nicht das erste Mal sein, dass er seinen Feierabend für diesen Gefallen opfern müsste. »In Zukunft sollten Sie vielleicht besser jemand anderes damit beauftragen. Abends ist bei uns immer viel los. Es wäre bestimmt auch besser, wenn Sie nicht immer bis zum Abend warten müssten.«

»Es macht mir nichts aus, zu warten.«

»Ich kann Ihnen aber nicht versprechen, dass er heute Abend Zeit hat.«

»Morgen ist ja auch noch ein Tag.«

Im Hintergrund jauchzten die Zwillinge. Mrs Pickmans Gesicht erhellte sich. »Sie sind ganz schön groß geworden.« Das hatte sie am Samstag festgestellt, als Garry und die Kinder den Müll hinausbrachten.

»Ja, man kann ihnen beinahe beim Wachsen zusehen.« Lauren musterte ihre Nachbarin. Auf einmal hatte sie Mitleid mit ihr. Jetzt, wo Gladys, Garrys Mutter, nicht mehr bei ihnen, sondern im Altenheim lebte, war Mrs Pickman bestimmt oft allein. Trotzdem konnte sie sich nicht überwinden, ihre Nachbarin auf einen Kaffee einzuladen. Sie hatte keine Lust, Gladys’ Ersatz zu spielen. So wie es aussah, musste sie das auch nicht.

»So … ich habe später noch einen Arzttermin … und die Hausarbeit erledigt sich nicht von selbst.«

»Wem sagen Sie das, ich habe selbst noch eine Menge zu tun«, beklagte sich Lauren.

»Ach, das erledigen Sie doch mit links. Sie sind ja noch jung.« Sie musterte Lauren, ihre getrimmte Figur.

Lauren wusste genau, was sie dachte. Und ja, sie wusste es selbst. Sie war egoistisch. Sie machte zu viel Sport. In der Waschküche herrschte das Chaos. Die Böden mussten gesaugt werden. Und das Gästebad hatte sie schon beim letzten Putzen ausgelassen.

»Ihrem Sohn gefällt es in Chicago, soweit ich weiß?«, fragte Lauren, weil es ihr eine gewisse Genugtuung verschaffte.

»Leider Gottes.«

»Dafür genießen Sie es umso mehr, wenn er wieder einmal zu Besuch kommt«, tröstete Lauren. Was dieses Jahr nicht der Fall war.

»Ich will Sie nicht länger aufhalten«, meinte Mrs Pickman. Sie spähte ins Haus, bekam die Zwillinge jedoch nicht zu Gesicht. »Die Kinder wollen sicher bald ihr Mittagessen.«

Es war kurz vor neun. Lauren sagte dazu nichts. Sie wünschte ihrer Nachbarin lediglich einen schönen Tag, verabschiedete sich und ging in die Küche. Doch die Bemerkung der alten Schrulle ärgerte sie jetzt noch. Das erledigen Sie mit links! Sie sind ja noch jung! Lauren nippte an einem Espresso, nahm ihn mit ins Wohnzimmer und beobachtete die Zwillinge. Wenn alles doch so einfach wäre.

So süß die beiden auch waren. Sie fühlte sich überfordert und um kostbare Lebenszeit beraubt.

Die unerwartete zweite Schwangerschaft hatte ihre beruflichen Pläne erneut auf den Kopf gestellt. Sie hätte den Arbeitsvertrag nur noch unterzeichnen müssen, um wieder als Anwältin zu arbeiten. Doch die Angst, dass sie nach der Geburt erneut in eine tiefe Krise stürzen könnte, war so groß, dass sie sich gegen die Berufstätigkeit entschied.

Nach Madisons Geburt war sie an einer postnatalen Depression erkrankt. Die Symptome hatten sie so sehr beeinträchtigt, dass sie unmöglich arbeiten konnte. Deshalb hatte sie ihren Job gekündigt.

»Da«, sagte Cory und deutete zum Fenster.

»Ja, hässliche Gardinen«, murmelte Lauren in Bezug auf die altmodischen Vorhänge, die sie schon längst hätten ausrangieren sollen. Sei es nur, um Gladys zu ärgern.

Sie hätten erst gar nicht in Garrys Elternhaus einziehen sollen. Aber damals war sie mit den Zwillingen im achten Monat schwanger. Die Hormone hatten ihr einen Streich gespielt. Die Aussicht, die Stadtwohnung gegen ein idyllisch gelegenes Haus zu tauschen, hatte so verlockend geklungen.

»Da«, machte Cory erneut und riss Lauren aus ihren Gedanken.

Erst jetzt bemerkte sie, dass er gar nicht aufs Fenster, geschweige denn auf die Gardinen gedeutet hatte, sondern auf den Schaumstoffball, den Ben aus dem Laufgitter geworfen hatte.

Sie hob den Ball auf und gab ihn Cory. »Mommy muss noch rasch etwas essen, dann gehen wir einkaufen.«

»Enaufe.«

»Ja, einkaufen.«

Sie aß einen Apfel und vervollständigte die Einkaufsliste. Das erledigen Sie mit links! Sie sind ja noch jung!

Kurz bevor ihr die Decke auf den Kopf fiel, steckte Lauren die Einkaufsliste ein, und zehn Minuten später saßen sie alle drei angeschnallt im Auto. Sie sah in den Rückspiegel. »Kann es losgehen?«

Beide hatten von dem kurzen Weg vom Haus zum Auto Schneeflocken auf ihren Mützen. Schmunzelnd startete sie den Motor und fuhr los.

Sie erreichten das pittoreske Hafenviertel, das mit roten Backsteingebäuden, Industriebauten, Restaurants und aufpolierten Kneipen aufwartete.

Lauren hob die Zwillinge aus ihren Kindersitzen. Mit ihren zappelnden Söhnen unterm Arm huschte sie über die Straße und steuerte direkt auf Barbara’s Café zu. Ein ausrangiertes Schiff, das hier seinen letzten Ankerplatz gefunden hatte und das Barbara aufwändig hatte umbauen lassen.

Schon von Weitem schlug ihr der Duft nach geröstetem Kaffee entgegen, genüsslich atmete sie ihn ein.

Als die drei eintraten, wurden sie sofort von Amy, Laurens jüngerer Schwester, entdeckt, die seit zwei Monaten im Café arbeitete. »Na, wen haben wir denn da? Wie süß ihr beiden ausschaut!« Amy ging in die Hocke, knuddelte die Zwillinge, befreite sie von ihren Mützen und knöpfte ihnen die Jacken auf. Sie nahm sie auf den Arm: »Wollt ihr das Schiffssteuerrad sehen?«

Und weg sind sie, dachte Lauren, als sie ihren Anorak in die Garderobe hängte.

Sie ging an die Theke und begrüßte Barbara. Die Inhaberin des Cafés war Laurens Freundin. Obwohl die beiden Frauen fünfzehn Jahre Altersunterschied trennten. Barbaras Kinder waren bereits erwachsen.

Kennengelernt hatten sie sich bei einem Backkurs. Ein Jahr nach Madisons Geburt. Damals, als es mit ihr wieder aufwärtsging. Barbara war die Kursleiterin. Lauren hatte mit der Teilnahme an dem Kurs widerwillig ihren Gutschein eingelöst, den sie zum Abschied von den Kollegen der Anwaltskanzlei geschenkt bekommen hatte.

»Bist du wieder einmal zu streng mit dir?«, fragte Barbara, da Lauren einen geräderten Eindruck machte.

»Nein, wieso?«

Barbara griff nach dem Tablett. »Du hast dich heute Morgen bestimmt durch die Kälte gejagt?«

»Ich bin eine Runde gelaufen … ja, aber das hat mit Jagen nichts zu tun.«

Sie beobachtete Barbara beim Bedienen der zu dieser Stunde noch nicht sehr zahlreichen Gäste. Sie servierte Kaffee und ihre stadtbekannten appetitlichen Cupcakes. »Bitte sehr, meine Damen. Hier noch etwas fürs Gemüt. Lassen Sie es sich schmecken. Sollte es das nicht, bitte nicht weitersagen.« Die Tischrunde brach in schallendes Gelächter aus.

Lauren schaute sich nach den Kindern um. Auf dem Arm von Amy drehten die beiden noch immer am Steuerrad des alten Schiffs.

Barbara kehrte zur Theke zurück.

»Morgens ist es wohl meistens eher ruhig?«, fragte Lauren.

»In gut einer Stunde wird hier die Hölle los sein«, seufzte Barbara. »Ich hoffe, Tess trudelt bald ein. Ohne sie schaffen wir das nicht.« Sie folgte Laurens Blick. »Es liegt nicht an Amy. Sie macht ihre Sache gut.«

»Gut? Muss ich mir Vorwürfe machen, dass ich dir Amy aufgeschwatzt habe?«

»Nein, im Gegenteil. Sie ist sehr engagiert.«

»Da bin ich aber erleichtert. Wird allmählich Zeit, dass sie etwas auf die Reihe kriegt.« Auf Barbaras Stirnrunzeln hin sagte sie: »Mit neunundzwanzig war ich schon längst verheiratet.«

Die Tür ging auf und mit einem Schwung kalter Luft kam Tess gutgelaunt hereinspaziert. »Sorry, ich bin spät dran.«

»Wohl wahr. Aber der Grund dafür scheint dir gut zu bekommen«, erwiderte Barbara.

»Ein Meter neunundachtzig groß und … er ist Sexualtherapeut.« Tess verschwand pfeifend in der Küche.

»Sexualtherapeuten sollten doch glücklich verheiratet sein«, munkelte Lauren.

»Wahrscheinlich ist er das auch. Mit Tess absolviert er wohl so eine Art Fortbildung.«

Lauren musste sich das Lachen verkneifen.

»Sein Wissen zu erweitern kann nicht schaden. Das sehe ich auch an meinen Kursteilnehmern«, meinte Barbara.

»Du gibst immer noch Backkurse?«

»Fortbildung ist Fortbildung.« Barbara grinste. »Möchtest du einen Espresso?«

»Ja, gerne.«

Die Kaffeemaschine nahm geräuschvoll ihren Dienst auf. »Hier, bitte sehr.« Sie stellte die binnen Kurzem gefüllte Tasse vor Lauren auf die Theke.

»Danke.«

»Was verschafft mir heute eigentlich die Ehre? Für Spontanbesuche hast du doch sonst keine Zeit.«

»Das habe ich auch jetzt nicht. Ich muss noch einkaufen, Wäsche waschen, staubsaugen …«

»Eins nach dem anderen.« Barbara nahm einen Pekannuss-Cupcake mit Ahornsirup aus der Anrichte und stellte ihn Lauren vor die Nase. »Fürs Gemüt.«

»Jetzt kommst du mir auch noch damit. Dieses Teufelszeug verfolgt mich regelrecht.«

Barbara zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Ahornsirup. Garry hat eine ganze Kiste mitgebracht und seither gibt es jeden Morgen einen großen Aufstand. Madison liebt diesen Naschkram. Aber ich will nicht, dass sie so viel Zucker isst.« Laurens Blick fiel auf die Anrichte. »Du nimmst mir diese Plempe bestimmt ab. Den Ahornsirup kannst du sicher gut gebrauchen.«

»Aber nur, wenn es Topqualität ist. Etwas anderes kommt mir nicht ins Haus.«

»Qualität vom Feinsten«, versicherte Lauren.

»Hast du ihn denn gekostet?«

»Nein. Aber es steht auf der Verpackung.«

»Dann bring die Kiste her. Ich werde mich selbst überzeugen und bei euch zu Hause herrscht wieder Frieden.«

»Frieden? Da wird erst einmal die Hölle los sein, wenn Madison mitkriegt, dass die Kiste weg ist.«

»Aber sie wird verstehen, dass du mir nur aushelfen wolltest. Da ich sonst meine beliebten Cupcakes nicht mehr backen kann. Was eine Katastrophe wäre, jetzt, wo Weihnachten vor der Tür steht.«

»Danke.«

Barbara deutete auf den Cupcake auf Laurens Teller und forderte diese zum Probieren auf. »Damit du auch weißt, wovon du sprichst, wenn du deine Tochter anlügst.« Amüsiert begrüßte sie die neuen Gäste, die gerade das Café betraten.

Lauren probierte einen winzigen Bissen und schaute sich nach Ben und Cory um. »Jungs, wir müssen.«

Als Garry um halb neun Uhr abends nach Hause kam, waren die Kinder bereits im Bett und Lauren mühte sich auf dem Laufband ab. Dabei sah sie sich die Nachrichten an.

»Es hätte mich auch gewundert, dich auf der Couch vorzufinden«, neckte Garry seine Frau.

Lauren rollte die Augen und stieg geschafft vom Laufband.

»Komm her, du schwitzende Amazone.« Er zog sie an sich und gab ihr einen Kuss. Ihre Stirn war schweißbeperlt. »Ich könnte dich ebenso zum Schwitzen bringen«, bot er an.

Sie schnalzte mit der Zunge und stieß ihn von sich weg. »Hast du Hunger? Im Kühlschrank …«

»Nein. Ich muss gleich noch bei Mrs Pickman vorbeischauen. Sie hat mich vor dem Haus abgefangen.«

»Die hat mich heute Morgen schon beim Wäschewaschen gestört. Irgendetwas ist mit ihrem Computer. Das ist jetzt schon das dritte Mal in diesem Monat.«

»Ich weiß, aber die kleine Reparatur wird bestimmt nicht lange dauern.«

»Kann das nicht bis morgen Abend warten?«

»Du weißt ja, seit meine Mutter im Heim ist, fühlt sich die alte Pickman etwas einsam.«

»Wir sind nicht schuld daran, dass Gladys im Altenheim ist. Ihren schlechten Gesundheitszustand haben wir nicht herbeigerufen.«

»Was hätte ich deiner Meinung nach denn zu Mrs Pickman sagen sollen?«

Lauren verschränkte die Arme. »Es ärgert mich einfach, was sie sich herausnimmt!«, blaffte sie. »Die alte Schrulle hat mich heute beleidigt.«

Garry fasste Lauren an der Hüfte. »Hat sie das?«

»Ja. Sie hat auf jeden Fall erreicht, dass ich mich schlecht fühle.«

»Okay, ich werde mich für dich rächen. Was soll ich tun? Mich in ihrem Badezimmer einschließen und einen fahren lassen?«

Lauren schaute grimmig. »Du nimmst mich wieder mal nicht ernst.« Sie ging in die Küche und holte die Kiste mit dem Ahornsirup aus dem Schrank. »Für Barbara. Kannst du ihr den Ahornsirup morgen vorbeibringen? Sie braucht ihn für ihre Cupcakes.«

Als Garry nach zwei Stunden noch nicht zurück war, schaltete Lauren den Fernseher aus und ging zu Bett.

Kapitel 2

Amy tauschte ihre Schürze gegen ihre Wattejacke. Draußen war es kalt, längst war es dunkel geworden und es schneite immer noch.

»Willst du bei diesem Wetter zu Fuß nach Hause gehen?«, fragte Barbara.

»Ein bisschen Schnee hat noch niemandem geschadet.«

Barbara warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich kann dich nachher auch nach Hause fahren.«

»Ich komme schon klar. Aber trotzdem, danke.«

Amy setzte ihre Mütze auf und zog sie tief ins Gesicht, Barbara beobachtete sie dabei. »Hast du heute Abend noch etwas vor?«

»Ja, ich treffe mich mit drei heißen Heiratskandidaten«, spaßte Amy, da sie vermutete, dass Lauren Barbara dazu angestiftet hatte, sie auszufragen.

»Ich bin keine Spionin«, wehrte Barbara ab. »Obwohl Lauren das sicher begrüßen würde.«

»Mit Sicherheit.« Amy knöpfte sich die Jacke zu. »Also dann, bis Sonntag.«

»Ja, bis Sonntag dann. Viel Spaß bei deinen Dates!«

Die Hände in den Jackentaschen, schritt Amy durch die schneebedeckten, rutschigen Straßen. Autos und Busse kamen im Schneegestöber nur mühsam voran. Die winterlichen Verhältnisse schlugen den Leuten auf die Stimmung.

An der Bushaltestelle, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stritt sich ein junges Paar.

»Hast du aber! Doch, das hast du! Du hast sie zurückgerufen! Ich habe es ja selbst gesehen!«

Amy versuchte trotz der Glätte einen Schritt zuzulegen. Nach kurzer Zeit waren die Stimmen der Streitenden hinter ihr nicht mehr zu hören.

An der nächsten Kreuzung vernahm sie hinter sich Schritte. Sie spähte über ihre Schulter und war verwundert, dass hinter ihr niemand war. Seltsam.

Sie begann sich unwohl zu fühlen. Ihr Herz pochte schneller. Aus einem unerklärlichen Grund hatte sie das Gefühl, immer wieder hinter sich schauen zu müssen. Erst als sie die nächste Straße überquerte und ihr Zuhause erreichte, ein altes Fabrikgebäude, das zwei Wohnungen und ein Tanzstudio beherbergte, beruhigte sich ihr Herzschlag allmählich wieder.

Sie stieß die Tür zum Gebäude auf. Durch die laute Musik, die aus dem Tanzstudio drang, vibrierten die Wände, von den Tritten der Tänzer bebte der Boden unter ihren Füßen. Die Tür zum Tanzsaal stand offen. Amy trat näher und schaute der Tanzgruppe fasziniert zu. Als Joshua, einer der Tänzer, dem die zweite Wohnung im Haus gehörte, sie entdeckte, lächelten sie sich zu.

Sie sah noch eine ganze Weile zu, danach ging sie hinauf, in ihre Wohnung. Ein einzelner, karg eingerichteter Raum mit hoher Decke. Ausgestattet mit einer kleinen, offenen Küche. Ein altmodisches Messingbett auf einer Seite und mitten im Raum das größte Möbelstück überhaupt: ihr Arbeitstisch. Eine einfache Holzplatte vom Baumarkt, der sie mit Metallbeinen die nötige Standfestigkeit verliehen hatte. Daneben ihre Staffelei.

Sie zog Jacke und Mütze aus, hängte die Sachen an den Kleiderständer neben der Tür. Sie fuhr sich durchs zerzauste Haar und warf einen Blick in den Kühlschrank. Gähnende Leere. Bis auf die faden Nudeln vom Chinesen, die sie sich gestern auf dem Nachhauseweg geholt hatte. Deren Reste sie, auch wenn sie wusste, dass sie sie nicht mehr essen würde, im Kühlschrank aufbewahrte.

Sie warf die Nudeln in den Mülleimer, schaltete das Radio ein und starrte auf ihre Staffelei. Nichts … nada. Es war wie eine Blockade. Ihre kreative Ader hatte den Nullpunkt erreicht. Ihr letztes gutes Bild hatte sie vor einem halben Jahr verkauft.

Sie dachte an das geregelte Einkommen, das sie jetzt erhielt. Dieser Job im Café war wie gerufen gekommen. So war es irgendwie immer. Sie schaffte es immer irgendwie.

Sie griff nach einem Stift und skizzierte einen Cupcake. Sie hatte da eine tolle Idee für die Glasur. Sie malte ein großes Herz. Darunter schrieb sie: Hab dich lieb. Oder besser noch: Für dich, mein Herz. Sie dachte spontan an einen Zitronen- Cupcake und kritzelte etwas weiter unten auf die Leinwand: Bist du noch sauer? Daneben zeichnete sie zwei Tauben. Wieder Frieden?

Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk aus der Entfernung. Vielleicht … vielleicht würde sie Barbara für ihre Ideen begeistern können.

Beflügelt von ihrer Eingebung ging sie zum Herd, setzte Wasser auf und stopfte einen Teebeutel in ihre Thermoskanne.

Während sie darauf wartete, dass das Wasser zu kochen begann, setzte sie sich aufs Bett und hüllte sich in eine Wolldecke ein. Mit der Thermoskanne in der Hand kletterte sie durchs Fenster auf einen Vorsprung des Hauses, die Feuerleiter hinauf, bis aufs Dach. Inzwischen hatte es aufgehört zu schneien.

Die Aussicht auf die Stadt war von hier oben atemberaubend. Die tausend Lichter des Häusermeers glitzerten wie Sterne am Himmel. Von Weitem konnte sie das alte Hafenviertel sehen. Die Geschichte der Händler und Fischersiedler, die einst ihren Geschäften nachgingen. Der Brand von 1866, der einen großen Teil der Stadt zerstörte, der jedoch für einen Wiederaufbau im viktorianischen Stil sorgte.

Sie schloss für einen kurzen Augenblick die Augen und atmete die frische Seeluft ein. Hier oben, den Wolken so nah, schwebte man förmlich über der Stadt. Dieser zum Verträumen verweilender Ausblick kompensierte einfach alles. Die zweckmäßige Küche, die schlecht isolierten Wände. Die Wassertemperatur, die ständig wechselte, wenn sie duschte.

Gedankenversunken nippte sie an ihrem Tee.

»Amy?«

»Hier oben.«

Joshua kletterte die Feuerleiter ganz hinauf, bis aufs Dach.

»Du warst richtig gut«, sagte sie in Bezug auf seine tänzerische Darstellung, die sie heute gesehen hatte.

»Nicht gut genug. Das reicht nicht, wenn ich nach New York will.«

Sei nicht immer so selbstkritisch, wollte sie gerade erwidern, als ihr auffiel, dass er sich umgezogen hatte. »Hast du heute Abend noch etwas vor?«

»Vielleicht.«

»Vielleicht?«

»Ja, vielleicht.« Er lächelte schelmisch. »Hast du schon was gegessen?«

»Nein, warum fragst du?«

»Weil ich dich heute gerne zum Essen einladen möchte.«

»Ich bin dabei«, entgegnete sie strahlend. »Hast du dich meinetwegen so zurechtgemacht?«

»Vielleicht.«

Sie fing seinen Blick auf und suchte nach Antworten. Wurde jedoch nicht so richtig schlau aus ihm. Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass Joshua nichts Verbindliches wollte, da er bald nach New York ziehen würde, um dort seine Karriere voranzutreiben.

»Wir sollten jetzt aufbrechen«, sagte Joshua, als er sah, dass Amy grübelte.

»Einverstanden.«

Sie kletterten die Feuerleiter hinunter, in Amys Wohnung. Auf dem Weg ins Bad zog sie sich den Pullover über den Kopf. »Du hast doch nichts dagegen, wenn ich rasch unter die Dusche springe?«

»Nein. Bei dir dauert es ja nie lange.« Er sah ihr hinterher, bis sie durch die Badtür verschwand.

Er betrachtete das Bild auf ihrer Staffelei und fragte sich, weshalb sie auf einmal Cupcakes zeichnete. Er las die Sprüche darunter und musste innerlich schmunzeln. Aus ihr wurde er nicht schlau. Genauso wenig wie aus dem Chaos, das auf ihrem Arbeitstisch herrschte. Wie konnte sie bloß so arbeiten? Einige Farben und Pinsel waren längst eingetrocknet.

Das Handtuch um ihren Körper gewickelt, ging Amy zum Kleiderschrank und suchte sich Sachen für den bevorstehenden Abend heraus.

Joshua beobachtete sie. Er studierte ihre wohlgeformte Rückansicht. »Und diese Figur verdankt sie angeblich nur dem Treppensteigen«, murmelte er, gerade so laut, dass sie es hörte.

»Ich bin eben ein Glückspilz.«

»Bis jetzt.«

Sie sah fragend über ihre Schulter.

»Dein Rücken und deine Muskeln werden es dir früher oder später übelnehmen.« Joshua wusste, dass Amy jegliche sportliche Betätigung ablehnte.

Sie ging lächelnd an ihm vorbei. »Nimm es mir nicht übel … du hast echt einen super Body …« Im Bad schlüpfte sie in ihre Jeans. »Aber bei deinem harten Training kommt dein Rücken bestimmt auch nicht ungeschoren davon.« Sie kam fertig angezogen aus dem Badezimmer. »Stimmt’s?«

»Wenn ich anfangen würde, mir ernsthafte Gedanken darüber zu machen, würde ich meine Ziele niemals erreichen.«

»Ich weiß, dass du es schaffen wirst. Du hast das Zeug dazu.«

»Unter Umständen bin ich schon zu alt dafür.«

»Keine negativen Gedanken mehr! Nicht, wenn du es schaffen willst.«

Amy schlüpfte in ihre Jacke und Joshua sagte sich, dass sie recht hatte. Wenn er es wirklich schaffen wollte, hatten Selbstzweifel keinen Platz in seinem Leben.

Sie machten sich auf den Weg. Da es draußen wieder zu schneien begonnen hatte, sagte Joshua: »Augenblick.« Amy wartete erstaunt und lächelte amüsiert, als Joshua so tat, als würde er einen Schirm hervorzaubern. »Bitte sehr.« Amy hakte sich bei Joshua unter und stellte sich unter seinen imaginären Schirm.

Sie gingen los.

»Lust auf Pizza?«, fragte Amy, als sie an Berny’s Pizzeria vorbeikamen.

Joshua schaute skeptisch. »In ein paar Wochen muss ich topfit sein«, erklärte er fast entschuldigend.

»Schon klar. Aber die Dinger sind echt lecker. Du kannst nicht nach New York gehen, bevor …«

»Okay, einverstanden … Weil deine Augen so schön leuchten, wenn du von Pizza sprichst.« Er hielt Amy die Tür auf.

Berny, der Inhaber der Pizzeria, entdeckte Amy auf Anhieb. »Ich habe doch gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis du das alles hier vermissen würdest.«

Strahlend schritt Amy zur Theke. »Ich bin nicht hier, um dich um Arbeit zu bitten.«

Berny beäugte Joshua skeptisch.

»Berny, das ist Joshua … ein hochbegabter Tänzer, der bald die großen Bühnen am Broadway rocken wird.«

Tänzer?

»Joshua, das ist Berny … einer der besten Pizzabäcker weit und breit.«

»Sie übertreibt mal wieder.«

»Etwas mehr Selbstvertrauen, wenn ich bitten darf!«

Berny und Joshua tauschten Blicke. Sie hatten keinen Schimmer, worauf Amy hinauswollte.

»Was darf ich euch bringen?«

»Eine Coke«, erwiderte Amy.

»Zwei?«, fragte Berny.

»Nein, für den Athleten hier einen Tropfen von deinem Sportlerelixier.« Berny runzelte die Stirn. »Sodawasser«, ergänzte sie.

»Danke«, sagte Joshua zu Amy, als Berny sich abwandte. »Jetzt bin ich erst recht ein Geächteter.«

»Ja, schätze, das könnte sein.«

Berny stellte die Getränke auf die Theke und reichte Amy eine Schürze. »Wenn du eure Pizzen heute selbst machst, gehen sie aufs Haus.«

Es war schon eine Weile her, dass sie Pizzen gebacken hatte, trotzdem ging Amy spontan auf das Angebot ein und zog sich die Schürze über.

»Er will dir bloß die Arbeit wieder schmackhaft machen«, mutmaßte Irene, Bernys Frau, die Amys Stimme gehört hatte und jetzt aus dem geschlossenen Teil der Küche kam.

»Dann habe ich meine Arbeit wohl gut gemacht.« Sie rollte den Pizzateig gleichmäßig rund aus.

Irene stellte sich neben Amy und flüsterte: »Zum Anbeißen, dein neuer Begleiter.«

»Das Ebenbild von Berny«, spaßte Amy. Sie griff nach einem Löffel und schöpfte großzügig Tomatensauce auf beide Pizzaböden.

Berny tätschelte unwillkürlich seinen Bauch, was Irene ein Augenrollen entlockte.

»Voilà«, frohlockte Amy und präsentierte dem interessiert von der Theke zu ihr herüberschauenden Joshua seine Pizza Funghi.

»Gut gemacht«, lobte Berny und half Amy dabei, die Pizzen in den Ofen zu schieben. »Wie läuft’s eigentlich mit deiner Kunstsache?« Da Amy nicht gleich antwortete, fügte er hinzu: »Dort drüben hätte ich noch Platz für ein weiteres Bild.«

Sie schauten zu den zwei Bildern, die sie Berny verkauft hatte.

»Keine Bilder mehr«, protestierte Irene, die gerade einen Tisch abwischte.

»Für meinen Hobbyraum, habe ich gedacht«, besänftigte er Irene.

»Um ehrlich zu sein, Berny, läuft es mit dem Malen gerade nicht so gut. Ich bringe einfach nichts Gutes zustande. Die besten Zeiten liegen wohl hinter mir.«

»Ach, Unsinn. Sobald es wieder besser läuft, malst du mir ein neues Bild.«

»Mal sehen. Ich will Irene nicht gegen dich aufbringen.« Sie befreite sich von der Schürze und kehrte zu Joshua an die Theke zurück. »Heeey«, sagte sie, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie folgte seinem Blick, starr fixierte er den Eingang. »Was gibt es da denn so Aufregendes zu sehen?«

Joshua wandte sich ihr zu. »Dieser Typ eben hat dich so komisch angestarrt, als würde er etwas von dir wollen. Mein Blick hat ihn wohl vertrieben.«

»Welcher Typ? Wie hat er denn ausgesehen?«

»So genau habe ich sein Gesicht nicht gesehen. Es war nicht gut zu erkennen.«

»Na toll, und jetzt ist meine Handtasche weg!«

Joshua sah zu Amys Stuhl. »Hattest du überhaupt eine dabei?«

»Nein, du Superschlauer. Mein Portemonnaie ist in meiner Jacke.«

»Eine Baseballkappe«, sagte Joshua mehr zu sich selbst.

»Was?«

»Dieser Typ eben … hatte eine dunkelblaue Baseballkappe auf.«

»Eine dunkelblaue Baseballkappe. Wie hilfreich.« Sie versuchte ernst zu bleiben, als sie ihn ein wenig auf die Schippe nahm. »Da fällt mir gerade wieder ein … da war neulich vor dem Tanzstudio eine alberne Frau, die, glaube ich, auf dich gewartet hat. Sie trug … Handschuhe.«

Er runzelte die Stirn.

»Und … Schuhe. Ja, definitiv … Sie trug Schuhe.« Sie hob ihre Coke und prostete ihm zu. »Auf komische Typen und alberne Frauen.«

»Auf die Bühnen am Broadway … Sodawasser …«

»… und Pizzen.« Sie warf einen Blick über ihre Schulter, zum Eingang hin, und fragte sich, ob dieser Typ sie tatsächlich angestarrt hatte, und, wenn ja, was er wohl von ihr gewollt hatte.

»Möchtest du die Pizzen verkohlen lassen?«, riss Berny sie aus ihren Gedanken.

»Nein, wieso? Ich bin davon ausgegangen, dass du von jetzt an übernimmst.«

»Dann muss ich dir aber zehn Prozent berechnen.«

»Zehn Prozent?«

»Das sind meine Dienste allemal wert.«

»Das wüsste ich«, blaffte Irene im hinteren Teil der Küche.

Bernys Hand formte sich zu einer Blablabla-Gestik.

»Das habe ich gesehen!«, kam es von Irene.

Berny zwinkerte Amy zu und holte die Pizzen aus dem Ofen.

Sie flachsten noch ein wenig mit Berny, aßen ihre Pizza und verließen kurz darauf das Restaurant. Eine Weile gingen sie wortlos nebeneinander. Dann durchbrach Amy das Schweigen.

»War ich heute Abend zu gesprächig?«

»Warum meinst du?«

Die Hände in ihren Jackentaschen, mit einem Lächeln auf ihren Lippen, antwortete sie: »Nur eine Vermutung, weil du heute Abend eher still warst.«

Er blieb grinsend stehen. »Und in der Amy-Welt heißt das, dass du mir auf die Nerven gehst?«

»Das wollte ich damit nicht sagen.« Sie suchte seine Nähe und hakte sich bei ihm unter.

»In Zukunft werden wir uns wohl nicht mehr so oft sehen können. Es sei denn, du planst ebenfalls, nach New York zu ziehen.«

»Wer weiß … Man kann nie wissen. Aber ich glaube, ich würde meine Nichte und meine beiden Neffen vermissen.«

Sie erreichten die alte Fabrik. Joshua hielt Amy die Tür auf. Im Dunkeln ergriff er ihre Hand. »Darf ich dich um einen Tanz bitten?« Er schaltete das Licht ein und führte sie ins Tanzstudio, dessen Tür nur angelehnt war.

»Du weißt, dass ich zwei linke Beine habe.«

»Das lasse ich als Ausrede nicht gelten.«

Joshua legte eine CD in die Musikanlage. Amy ließ ihren Blick schweifen. Der Raum wirkte riesig, wenn ihn nicht all die begabten Tänzer mit ihren kunstvollen Schrittfolgen durchmaßen. »Was hast du aufgelegt? Einen Walzer?« Sie zog ihre Jacke aus.

»Ich dachte eher an einen Tango.«

»Willst du mich loswerden?«

Lateinamerikanische Musik erfüllte den Raum.

Ganz der Tänzer, griff Joshua nach Amys Hand und zog sie zu sich heran. »Was hältst du von einem Bachata?«

»Bachata? Noch nie davon gehört.«

»Dann ist es an der Zeit, das zu ändern.« Er presste seine Hüfte gegen ihre, legte seine Hand fest auf ihren Rücken. Zuerst noch unsicher, passte sich Amy schnell seinem Rhythmus an. Die Bewegungen waren sinnlich. In ihrem Bauch kribbelte es.

»Du lässt aber auch nichts anbrennen.«

»Bachata, Baby.« Er forderte sie zu einer Drehung auf. Grinsend zog er sie wieder an sich heran. Ihre Bewegungen synchronisierten sich. Die karibische Musik riss sie mit. Manchmal war es, als ob ihre Körper ineinander verschmolzen.

»Gehört Küssen auch dazu?« Ihre Hände glitten über seinen Rücken.

»Ja … und das ist erst der Anfang.«

Er senkte den Kopf und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.

»Ich will wissen, wie es weitergeht«, flüsterte Amy, ohne dass sich ihre Lippen von den seinen lösten.

Mit einer gekonnten Drehung wirbelte er sie in Richtung Ausgang. Kaum in seiner Wohnung, riss sie ihm förmlich die Kleidung vom Leib.

»Langsam … langsam … Ich bin dein Tanzlehrer, und nur ich weiß, wohin dies hier führen wird.«

»Jetzt bin ich aber gespannt.« Amüsiert setzte sie sich auf die Kante seines Bettes und lehnte sich zurück.

Er legte eine CD in die Musikanlage, worauf sanfte Klänge den Raum erfüllten. »Trifft das deinen Geschmack?«

»Ja … Ich wusste gar nicht, dass du auf schnulzige Musik stehst.«

Er trat ans Bett, umfasste ihr Gesicht und begann sie zart am Hals zu küssen.

Stöhnend zog sie ihn aufs Bett. Sie dehnte sich ihm entgegen und gab sich ganz dem Moment hin.

Zufrieden schmiegte sie sich an seine Schulter. Als Amy ein paar Stunden nach Mitternacht von gedämpften Klängen erwachte, lag Joshua nicht mehr neben ihr. »New York«, murmelte sie, da sie vermutete, dass er unten im Studio probte und an seiner Zukunft arbeitete.

Amy wollte jetzt nicht allein sein.

Sie hüllte sich in die Bettdecke und ging schlaftrunken nach unten.

Kapitel 3

Clive steuerte das Boot zur nächsten Boje. »Das ist die letzte für heute. Dann ist Schluss!«, rief er Simon und Skipper zu, die gerade eine weitere Hummerfalle aus dem Wasser zogen.

Der aufziehende Nebel verschlechterte die Sicht. Und nach zehn Stunden draußen auf dem Atlantik bei eisiger Kälte waren alle Bootsinsassen erschöpft.

Clive schenkte seiner sechzehnjährigen Tochter ein aufmunterndes Lächeln. Fast, Spatz … Fast haben wir es geschafft! Doch Sheila nahm keine Notiz davon. Sie hockte zusammengekauert am Boden. Durchgefroren und schlecht gelaunt. Und das sollte die ganze Welt zu spüren bekommen!

Clive musste schmunzeln. Er hatte sie gewarnt. Er hatte ihr gesagt, dass die Arbeit auf einem Fischerboot kein Zuckerschlecken werden würde. Trotzdem hatte sie unbedingt mitkommen wollen. Erstaunlicherweise hatte sie länger durchgehalten, als er erwartet hatte.

Es erfüllte ihn mit Stolz, dass sich Sheila für seine Arbeit interessierte. Wenn sie wieder an Land waren, sich aufgewärmt und etwas gegessen hatten, würde sie bestimmt auch wieder mit ihm reden.