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»Krisenmodus« lautete Wort des Jahres 2024: eine treffsichere Beschreibung des eklatanten Engpasses an qualifizierten Mitarbeiter/innen im steuerberatenden Beruf.
Britta von Bezold zeigt mit ihrem Erfahrungswissen von über 20 Jahren praxiserprobte und innovative Wege auf, wie Kanzleien gute und passende Mitarbeiter/innen finden und nachhaltig binden. Zentral für die erfolgreiche und langfristige Mitarbeitergewinnung und -bindung sind eine wertschätzende und fördernde Kanzlei- und Führungskultur, flankierende, maßgeschneiderte Benefits, Innovationsfreude in Zeiten von Digitalisierung und KI-gestützter Tools sowie Kompetenzmanagement und ein professioneller Umgang mit Konflikten.
Praxisbeispiele, konkrete Handlungsempfehlungen und zahlreiche direkt nutzbare Arbeitshilfen unterstützen die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen. Spotlights zu aktuellen Themen durch Branchen-Insider/innen runden den Wegweiser ab und machen ihn zu einem ebenso umfassenden wie kurzweiligen Kompendium für erfolgreiches, zukunftsfähiges Kanzleimanagement.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
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BRITTA VON BEZOLD
Wie finde und binde ich Mitarbeiter für unsere Steuerkanzlei?
[2]
Praxis Kanzleimanagement
Band 1
[3]
Britta von Bezold
Wie finde und binde ich Mitarbeiter für unsere Steuerkanzlei?
Ein innovativer Wegweiser für die Praxis
Edition Wissenschaft & Praxis
[4]
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten© 2025 Edition Wissenschaft & Praxisbei Duncker & Humblot GmbH, BerlinSatz: 3w+p GmbH, RimparDruck: CPI Books GmbH, LeckPrinted in Germany
ISSN 3052-2897 (Print)ISSN 3052-2900 (E-Book)ISBN 978-3-89673-812-7 (Print)ISBN 978-3-89644-341-0 (E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Verlagsanschrift: Duncker & Humblot GmbH, Carl-Heinrich-Becker-Weg 9, 12165 Berlin, Germany | E-Mail: [email protected] Internet: https://www.duncker-humblot.de
[5]
Für Grischa und Gideon
[7]
Vorwort
„Lieber ein Optimist, der auch mal irrt, als ein Pessimist, der dauernd recht hat.“ Peter Hohl (*1941), deutscher Journalist und Verleger, Redakteur, Moderator und Aphoristiker
Krisenmodus ist das Wort des Jahres 2024 der Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfDS): eine treffsichere Beschreibung auch für den eklatanten Engpass an qualifizierten Mitarbeiter/innen in den steuerberatenden Berufen.
Im Frühjahr 2025 ist das Wissen um das knappe Gut Arbeitskraft mit voller Wucht als Dauer- statt Ausnahmezustand in den Kanzleien angekommen und der allgegenwärtige Krisenmodus in den Kanzleien lautet:
„Jeder sucht alles.“
Etliche Kanzleinhaber bzw. Berufsträger lassen sich vom Krisenmodus beherrschen und erwarten in ihrer Bedrängnis Tipps, was sie tun können, damit sie immer genügend gute Mitarbeiter/innen haben.
Sollten Sie auch dazugehören, muss ich Sie schon jetzt in zweierlei Hinsicht enttäuschen:
1.Es gibt kein Masterplan-Vorgehen, das für alle Kanzleien passt – zum Glück! Wir werden darauf noch ausführlich zu sprechen kommen.
2.Jede Kanzlei muss selbst Verantwortung übernehmen und überlegen: Welche attraktiven Rahmenbedingungen setzen wir, um neue und vor allem die richtigen, passenden (!) Mitarbeiter/innen anzulocken und sie zu binden? Welche Angebote (und Anforderungen) repräsentieren uns und jenen Personen- oder Charaktertypus, den wir erreichen und gewinnen wollen?
Ein Steuerberater versendete an Mitarbeiter/innen konkurrierender Kanzleien ein nagelneues Smartphone mit nur einer Nummer drauf – seiner. Angeblich riefen zwei von drei der Angeschriebenen an, um sich von ihm – für eine saftige Gehaltserhöhung – abwerben zu lassen. Fraglich ist, welchen Menschen-Typus man über ein solches Vorgehen anspricht – und gewinnt. Wer wegen Geld kommt, geht mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der nächsten, noch höheren Offerte auch wieder.
Sie erkennen: Es geht um Werte, um eine lebendige, spür- und sichtbare Kanzleikultur. Dazu sollten gehören: Zusammenarbeit auf Augenhöhe, wertschätzende, stete und verlässliche Kommunikation, Flexibilität, hohe Arbeits- und Beratungsqualität und – natürlich – attraktive Gehälter sowie nützliche Benefits.
[8]
Kein Schnickschnack, sondern echter Mehrwert, der bindet und ver-bindet.
Nehmen Sie also das Heft des Handelns beherzt selbst in die Hand, gewinnen Sie Kontrolle über den Engpassmarkt und nicht umgekehrt er über Sie!
Selbst wenn in jüngster Zeit etwas Entspannung auf der Angebotsseite qualifizierter Fachkräfte eingetreten sei – so wurden laut Statistischem Bundesamt (Destatis) 2,1% oder 10.000 Ausbildungsverträge mehr geschlossen als im Jahr 2022 (469.900 Neuverträge) –, bleibt das hohe Gut Arbeitskraft wertvoll und damit die Notwendigkeit, sich darum zu bemühen.
Wir werden uns anschauen, welche aktuellen Arbeitsmarkt-Trends gesuchte „Köpfe“ knapphalten und wo Chancen darauf warten, dass Sie sie erkennen und ergreifen.
Seit 25 Jahren beschäftige ich mich als Branchenspezialistin mit dem steuerberatenden Berufsstand: Die Kanzleien wandelten sich den letzten zwei Jahrzehnten, wurden „bunter“, vielleicht auch diverser.
Die Ansprüche sind gestiegen, halten Digitalisierung und nun Künstliche Intelligenz den Änderungsdruck hoch.
Meine zwei zentralen Thesen:
1.Der Steuerberater erfindet sich neu – und mit ihm diejenigen, die dort arbeiten. Wer auch zukünftig mit gutem Personal am Start sein will, muss den Wandel mitgehen, am besten mitgestalten.
2.Das (Selbst-)Verständnis von Führung ist noch immer stark geprägt von Hier-archie-Denken. Einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bei der Gewinnung und Bindung qualifizierter, mitdenkender Mitarbeiter/innen haben jene Kanzleiinhaber/innen und deren Führungskräfte, die sich der wirklichen Kernaufgabe von Führung widmen: der richtigen Platzierung und der strategisch-gezielten Weiterbildung/Entwicklung jedes Mitarbeitenden. Denken Sie immer auch an Ihre Mitarbeiter/innen jenseits der 50! Auch sie erwarten eine positive, entwickelnde Kanzleikultur genauso wie die Jüngeren.
Der vorliegende Wegweiser stellt das Gewinnen und Binden der Mitarbeitenden ins Zentrum zeitgemäßer, wirksamer Kanzleiführung. Längst steckt die Wertsteigerung von Kanzleien nicht mehr (nur) in den Mandaten, sondern in Anzahl und Qualität der Mitarbeiter/innen.
Leser/innen erlangen Kenntnis der wesentlichen Erfolgsstellschrauben bei der Mitarbeiter/innen-Gewinnung und -Bindung: kompakt auf den Punkt gebracht.
Alle Fallbeispiele stammen aus der Praxis und geben bewährtes Erfahrungswissen weiter, ebenso wie sie für innovative Ideen und Ansätze stehen.
Allen Leser/innen wünsche ich die Energie, Offenheit und den Mut neue Wege zu gehen – möge Ihnen der Wegweiser ein nützlicher Kompass sein!
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Zielgruppen sind:
–Kanzleiinhaber/innen,
–deren Führungskräfte,
–verantwortliche HR-Manager/innen und Personalverantwortliche in Kanzleien,
–berufserfahrene Kanzleimitarbeitende mit Affinität zu diesen Themen (z. B. als Ausbilder/innen),
–Berufsanfänger/innen, die die Branche noch kennenlernen.
Und nicht zu vergessen:
–Ihre Mandant/innen, insbesondere solche, die – wie Sie – Dienstleistungen anbieten.
Empfehlen Sie ihnen und Ihren Berufskolleg/innen dieses Buch gerne weiter – vielen Dank!
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Danksagung
„Sei wie eine Briefmarke. Bleib an einer Sache dran, bis du am Ziel bist.“ Josh Billings, US-amerikanischer Schriftsteller (1818–1885)
Die Idee zum vorliegenden Buch hat mich gefunden. Dies verdanke ich Herrn Dr. Detlef Brauner, der mich als Autorin bereits für das Standardwerk „Berufsziel Steuerberater/Wirtschaftsprüfer 2024“ gewonnen hatte. Sodann feilten wir gemeinsam am Konzept dieses Buches – und das Schreiben konnte beginnen.
Um im Bild des Wegweisers zu bleiben: Ich hatte keine Vorstellung davon, welche Zeit und Energie es kosten würde, diese Strecke zurückzulegen. Aber noch weniger hatte ich erwartet, dass mir dieses Unterfangen so viel Freude und Schub geben würde – allen Anstrengungen, Schreibblockaden und dem chronischen Zeitmangel zum Trotz!
All meinen Gefährten, die mich bis zum Ziel begleitet haben, danke ich:
Herrn Brauner für seine stets motivierenden und zeitnahen Rückmeldungen auf die regelmäßig zugesendeten Kapitel und meinen Freunden, die mir als wohlwollend-kritische „Review-Leser“ eine echte Hilfe und Unterstützung waren: Dr. Carina und Bernhard Ortseifen, meine langjährigsten Freunde Monika Dürrer und Heiner Schilling, meine liebe Freundin und Steuerberaterin Anne Beving und Frau Tanja Creed, Steuerberaterin, die, in früheren beruflichen Stationen als Partnerin und Geschäftsführerin tätig, mir eine geschätzte und inspirierende Gesprächspartnerin war.
Außerdem danke ich herzlich allen Partner/innen, die mit ihren eigenen bran-chenspezifischen Angeboten, Informationen und Inhalten dieses Buch bereichern:
Frau Hamatschek, Geschäftsführerin von delfi-net für ihren spannenden Einblick, Frau Dr. Sabine Becker und Herr Bernhard Ferring als Vorstand des Fördervereins für die steuerberatenden Berufe e. V. (FFSB), Frau Janet Grau, Inhaberin von mindset-creative solutions für ihren anregenden Impuls und last but not least: der Abteilung Unternehmenskommunikation der DATEV für ihren wichtigen Beitrag zur kraftvollen Fachkräfteinitiative „GEMEINSAM handeln“ im Verbund mit Bundessteuerberaterkammer (BStBK) und Deutschem Steuerberaterverband (DStV).
Ein großes „Dankeschön“ geht auch an Luise Friedrich, Inhaberin der DIE-IDEE- Agentur für ihre stete Ausweitung meiner LinkedIn-Präsenz und unseren regelmäßigen und regen Austausch sowie meinem langjährigen, immer zuverlässigen Webmaster, Herrn Horst Zipp.
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Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Maria Schellstede und Frau Anke Geidel vom Verlag Duncker & Humblot für unsere exzellente, gedeihliche Zusammenarbeit.
Aber wie hätte das Buch ohne meine ehemaligen Arbeitgeber/innen und heutigen Kundenkanzleien entstehen können? Sie alle gewähr(t)en mir wertvolle Einblicke in die spannende und facettenreiche Welt der Kanzleien, die danach streben, attraktive Arbeitgeber/innen, gute Vorgesetzte und geschätzte Berater/innen ihrer Mandant/innen zu sein. Ihnen allen, die ich beim Gewinnen neuer Mitarbeiter/innen und mit meiner Beratung unterstützen darf, herzlichsten Dank!
Meinem geliebten Mann und besten Freund Grischa Pfister danke ich von Herzen, dass er mich zu jeder Zeit unterstützt und immer wieder daran erinnert hat, dass unsere unterhaltsame, lebensfrohe Ehe auch während des Buch-Projektes ihren Platz hat.
Heidelberg, im April 2025
Dr. Britta v. Bezold
[13]
Inhaltsübersicht
Einleitung
Teil 1Aktuelle Entwicklungen des Arbeitsmarktes
1. Ursachen des Engpassmarktes und aktuelle Mega-Trends auf dem Arbeitsmarkt
2. Nach Corona: Zäsur und Chancen im „Neuen Normal“ unserer Arbeits- und Kanzleiwelt
Teil 2Praxisbewährte und innovative Wege bei der Mitarbeiter/innen-Gewinnung
3. Neue Mitarbeiter/innen gewinnen – Worauf es wirklich ankommt!
4. Neue Wege der Mitarbeiter/innen-Gewinnung
Teil 3Wirksame Führung und erfolgreiche Mitarbeiter/innen-Bindung
5. Nützliche und maßgeschneiderte Benefits
6. Führen und Binden von wertvollen Mitarbeiter/innen
7. Strategisches Weiterbildungs- und Kompetenzmanagement als „Kitt“ in der Kanzlei
8. Konflikte fordern uns heraus – Schwierige Gemengelagen und Gespräche in der Kanzlei
Wunsch-Schreiben zum Abschluss: Findet und bleibt zusammen!
Literaturverzeichnis
[15]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Teil 1Aktuelle Entwicklungen des Arbeitsmarktes
1. Ursachen des Engpassmarktes und aktuelle Mega-Trends auf dem Arbeitsmarkt
1.1 Ursachen für den generellen Engpass an Arbeitskräften
1.2 Spezifische Ursachen der Engpasssituation in der steuerberatenden Branche
1.3 Aktuelle Trends auf dem Arbeitsmarkt
1.4 Lösungsansätze zur Entschärfung des Fachkräfte-Engpasses
2. Nach Corona: Zäsur und Chancen im „Neuen Normal“ unserer Arbeits- und Kanzleiwelt
2.1 Gesellschaftliche Verwerfungen durch die Corona-Pandemie
2.2 Verwerfungen in der Kanzleiwelt durch die Corona-Pandemie
2.3 Neue Arbeits- und Lernformate als „Neues Normal“
Teil 2Praxisbewährte und innovative Wege bei der Mitarbeiter/innen-Gewinnung
3. Neue Mitarbeiter/innen gewinnen – Worauf es wirklich ankommt!
3.1 Auf dem Prüfstand: Kanzlei-Werte und -Anforderungen
3.2 Wie attraktiv ist Ihre (Arbeitgeber-)Marke?
3.3 Stellschrauben einer attraktiven Kanzlei-Arbeitgebermarke
3.4 Werben Sie mit den Vorteilen des steuerberatenden „Berufs-Sonnenseiten“ der Steuerberatung
3.5 Mehr als ein Job – was Bewerber/innen heute erwarten
3.6 Trends bei der Mitarbeiter/innen-Zufriedenheit
3.7 Gründe für Bleiben oder Gehen im Überblick
3.8 Einarbeitung und die ersten 100 Tage eines/einer neuen Mitarbeitenden
3.9 Im Fokus: Generationen Yund Z
4. Neue Wege der Mitarbeiter/innen-Gewinnung
4.1 Warum Menschen einen neuen Job antreten
[16]
4.2 Was Menschen innerlich antreibt – Leistung anders denken
4.3 Gewinnend Gewinnen – Dank guter, zugewandter Kommunikation
4.4 Vier-Felder-Übersicht: Zielführende Plattformen und Kanäle
4.5 Empfehlenswerte Jobbörsen und Jobportale
Spotlight 1: Übergreifende Fachkräfteinitiative GEMEINSAM handeln!
4.6 Werbemöglichkeiten im lokalen Fernsehen
4.7 Arbeit und Nutzen von Personalberatungen
4.8 Meine Anbieterpersönlichkeit – Warum sich Kanzleiinhaber/innen und Kandidat/innen an mich wenden
4.9 Plädoyer für alternative Zielgruppen und Wege
Spotlight 2: Arbeitskräftevermittlung und attraktive Fördermöglichkeiten der Agenturen für Arbeit
4.10 Sonderfall „Kompromiss-Kandidat/innen“ und „schwierige“ Bewerber/innen
4.11 Nützliche Hinweise zum Bewerbungsgespräch
4.12 Leitfaden für ein Bewerber/innengespräch in 6 Phasen
Teil 3Wirksame Führung und erfolgreiche Mitarbeiter/innen-Bindung
5. Nützliche und maßgeschneiderte Benefits
5.1 Meine TOP 25 sinnvoller, motivierender Benefits für alle – Kategorie: „Musthave“ von A–Z
5.2 Meine TOP 10 maßgeschneiderter, individueller Benefits – Kategorie:„Can have“ von A–Z
5.3 Meine TOP 7 kurioser Benefits – Kategorie „Nice or nasty“ von A-Z
6. Führen und Binden von wertvollen Mitarbeiter/innen
6.1 Mitarbeiter/innen binden I: Zu Benefits und Bindungsmaßnahmen im Kanzleialltag
6.2 Mitarbeiter/innen binden II: Meine TOP 25 wirksamer Bindung durch Tun und Tools von A–Z-„Machbar und Machtvoll“
6.3 Aufgaben und Anforderungen an Führungshandeln als Kanzleiinhaber/in bzw. Führungskraft
6.3.1 Führung im Umbruch: Früher – Heute – In Zukunft
6.3.2 Trends und Herausforderungen von Führung – Motor von Innovation und Transformation
6.3.3 Veränderte Anforderungen und Chancen durch KI in Kanzleien
6.3.4 Empfehlungen für modernes (auch „KI-kompatibles“) Führungshandeln
6.3.5 Funktionierende, transparente Kommunikation
6.3.6 Sonderfall Kanzleikauf: Aus zwei Welten ein Team machen
6.4 Mitarbeiter/innen binden III: Binden mit praxisbewährten Instrumenten/Tools
[17]
Spotlight 3: Gemeinsam lernen, gemeinsam wachsen: Persönliche Kompetenzen fördern
7. Strategisches Weiterbildungs- und Kompetenzmanagement als „Kitt“ in der Kanzlei
7.1 Strategisches Weiterbildungs- und Kompetenzmanagement: Qualifizieren mit „Hand und Fuß“
7.2 Mustervorschlag für ein kanzleiinternes Aus- und Weiterbildungsprogramm – „Weiterbilden – besser beraten“
7.3 Bilden Sie aus! Alles Wichtige zum Thema Ausbilden in der Steuerkanzlei
7.3.1 Auszubildende -nur mit Abitur?!
7.3.2 Bewährte Ausbildungsmethoden: Auf dem Weg zum eigenständigen Arbeiten
7.3.3 „Stolpersteine“ während der Ausbildung
7.3.4 Empfehlungen an Azubis und Kanzleien: Ausbildungszeit richtig nutzen!
Spotlight 4: Mission Zukunftssicherung des Berufsstandes – Förderverein für steuer-beratende Berufe e.V. (FFSB)
7.4 Talente-Entwicklung:Erkennen Sie (junge) Talente und Leistungsträger/innen möglichst frühzeitig
7.5 Junge Führungskräfte – Auf dem Weg zu Mandats- und Führungsverantwortung
Spotlight 5: Warum Kreativität nicht nur etwas für Kreative ist – Innovation für Kanzleien
7.5.1 Formate und Themen für eine gezielte Führungskräfteentwicklung
7.5.2 Empfehlungen zur Beauftragung externer Anbieter/Trainer/innen
7.5.3 Serviceteil: Anbieter/innen für Steuerkanzleien
8. Konflikte fordern uns heraus – Schwierige Gemengelagen und Gespräche in der Kanzlei
8.1 Konflikte in Kanzleien – ausgelöst durch Mitarbeiter/innen
8.1.1 Problematische Kanzleikultur
8.1.2 Konkrete Ausprägungen von Führungsschwäche
8.2 Konflikte in Kanzleien – ausgelöst durch Mitarbeiter/innen
8.3. Hilfen zur Konfliktlösung mit lösungsorientierten Gesprächen
Wunsch-Schreiben zum Abschluss: Findet und bleibt zusammen!
Literaturverzeichnis
[19]
Einleitung
„Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ (Chinesisches Sprichwort)
Der allgegenwärtige Mangel an qualifizierten Mitarbeiter/innen kommt als eigenwilliges und interessantes Phänomen daher – er ist jedoch vor allem eines: unwillkommen.
Aktuell haben verschiedenen Befragungen zufolge vier von fünf befragten Kanzleien Bedarf an zusätzlichen Fachkräften (u.a. Umfrage zu Ausbildung in Steuerberater-Kanzleien. Eine Studie der Steuerberaterkammer Nürnberg, Mai 2023). Antworten auf die Frage zu finden, wie neue Fachkräfte gewonnen werden könnten, ist daher auch für die Steuerberatung zu einer essenziellen und dringenden Aufgabe geworden.
Laut ifo Institut liegt die Branche der Rechts- und Steuerberatung/Wirtschaftsprüfung im Ranking des höchsten Fachkräftemangels mit 72% auf dem zweiten Platz innerhalb der dienstleistenden Branche (ifo-Umfrage Juli 2022).
Die jährlich von der Agentur für Arbeit (AA) veröffentlichte Engpassanalyse zur Fachkräftesituation am Arbeitsmarkt belegt, dass die Steuerberatung über alle Anforderungsniveaus hinweg (Fachkräfte, Spezialist/innen, Expert/innen) deutliche Engpässe aufweist: Mit einem Wert von 2,3 (ab 2,0 gelten Berufe als Engpassberuf) lagen die zugehörigen Berufsgruppen bereits 2020 im oberen Bereich und 2022 mit einem Anstieg von 0,4 Punkten nochmals darüber. Bei den Fachkräften (z. B. Steuerfachangestellten) ist der Wert mit 2,7 am höchsten, bei den Expert/innen (Steuerberater/innen) mit 2,2 Punkten noch am niedrigsten (Engpassanalyse der AA, Mai 2024). Dies sagt jedoch nichts über die Verfügbarkeit von Berufsträger/innen in einer konkreten Region aus bzw. die Werte schwanken abhängig davon.
Zwei negative Wirkmechanismen sind für die steuerberatende Branche1 relevant:
1.Eklatanter Personalnotstand als Wachstumsbremse für die einzelne Kanzlei.
Neumandate können nicht (mehr) angenommen werden, anderen, vor allem Cund D-Mandaten wird gekündigt, um Ressourcen frei zu machen für ein lukrativeres Geschäft.
[20]
2.Zunehmende Gefährdung der Versorgung mit Steuerberater/innen, insbesondere für die KMU (kleinere und mittlere Unternehmen).
Unternehmen und Selbstständige finden keine/n Steuerberater/in mehr und dies, weil die Mitarbeiter/innen fehlen, um die Nachfrage verantwortlich zu decken. Unliebsamen Mandaten wird gekündigt, keine Neumandate mehr angenommen oder Kanzleien schließen einfach wegen des fehlenden Nachfolgers.
Die drohende strukturelle Unterversorgung mit Steuerberater/innen ist ein noch weitgehend verkanntes volkwirtschaftliches Problem.
Gleichzeitig werden von außen immer neue Pflichten und Aufgaben an die Branche herangetragen: Ob mit Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 die Beantragung der sog. „Überbrückungs-Hilfen“, einschließlich deren Schlussabrechnungen bis Ende 2024, die laufende Umsetzung der Grundsteuerreform bis weit ins Jahr 2025 – der Berufsstand wurde und wird mannigfaltig mit Zusatzaufgaben überhäuft und gerät durch den Personalengpass noch stärker unter Druck.
Hinzu kommen die ungünstige demografische Entwicklung und ein Berufsbild mit einem – nicht zwingend attraktiven – Image, das konkurriert mit rund 700 anderen Ausbildungs- und Studienalternativen für alle, die vor der Berufswahl stehen.
Die Lösung des Problems „Mitarbeiter/innen-Engpass“ liegt offensichtlich weniger außerhalb als vielmehr innerhalb der Kanzleien.
Womit tut sich die Branche schwer?
Eine Auswahl:
1.Statt sich Strategien gegen den Mangel zu überlegen, lässt man sich in den Sog der Bewerber/innen-Knappheit hineinziehen, frei nach dem Motto: „Es gibt einfach keine Bewerber/innen, dagegen sind wir machtlos“. Oder man greift zu „Kompromiss-Kandidat/innen“ und sieht sich dann schnell enttäuscht.
Dazu eine Anleihe aus einem anderen Bereich:
Rainer Zittelmann, führender Forscher zum Thema Reichtum, verweist in seinem Buch „Reich werden und bleiben“ auf die hohe „Kontrollüberzeugung“ reicher Menschen, ihre Geschicke selbst bestimmen und steuern zu können – und damit auf die wesentliche Voraussetzung, Reichtum zu erlangen und zu halten.
Er plädiert dafür, selbst Verantwortung für die eigene Geldanlage zu übernehmen. Wer dies dagegen unterlässt, also den klugen Umgang mit Geld nicht gelernt hat und auch nicht lernen will – so illustriert Zittelmann anhand vieler, auch prominenter Beispiele – wird immer wieder viel oder alles Geld verlieren (Zittelmann 2022, 86).
Auch Ihre wertvollen (zu gewinnenden) Mitarbeiter/innen sind ein Vermögen (wert), das gut und verantwortlich gemanagt sein will. Dass dies einfach sei oder beiläufig klappt, behauptet niemand – im Gegenteil.
[21]
2.Viele Kanzleien sind überaltert und nicht offen für Digitalisierung oder KI (oder besser: algorithmische (Vor-)Entscheide von ADM-Systemen2). Sie werden über kurz oder lang aus dem Markt ausscheiden.
3.Etliche Kanzleien sind in puncto Führungshandeln – vorsichtig ausgedrückt – nicht auf der Höhe der Zeit. Ungeschicktes, hilfloses oder unfaires (Führungs-) Handeln ist das Ergebnis.
Ein kurzes Beispiel: Gitte erfuhr 3 Tage (!) vor Ablauf ihrer Probezeit von der Geschäftsleitung, dass sie nicht übernommen würde. Im Gespräch hantierte man mit BWAs, die belegen sollten, dass sie zu langsam arbeite. In den fast 6 Monaten davor hatte es leider kaum Rückmeldungen oder Warnsignale gegeben.
Man kann sich vorstellen, dass ihr dieses Verhalten missfiel und sie sich nicht korrekt behandelt sah. Kommunikation auf Augenhöhe sieht anders aus. Fairer Umgang miteinander auch.
Jüngere Mitarbeiter/innen und Berufsträger/innen haben einen besonders hohen Anspruch an einen steten, transparenten Austausch mit ihren Vorgesetzten, formulieren klare Erwartungen an die eigene Entwicklung und nicht eingehaltene Zusagen sind rasch Anlass für Enttäuschungen, die sofort „bestraft“ werden – erst mit Rückzug, dann mit Trennung.
Der im Oktober 2024 veröffentlichte AOK-Fehlzeitenreport belegt, dass Mitarbeiter/innen signifikant weniger Fehltage haben, wenn sie sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen (vgl. dazu auch Kap. 1.3).
Nicht zuletzt deshalb ist zu beherzigen:
Ein positiver und regelmäßiger Austausch miteinander ist beim erst gestern neu eingestellten Mitarbeiter ebenso wichtig wie in der Zusammenarbeit mit der langgedienten Mitarbeiterin, die „über die Zeit“ nicht vergessen werden darf.
4.Was neu eingestellte Mitarbeiter/innen angeht, wissen wir gesichert, dass die ersten 100 Tage maßgeblich über das Bleiben im neuen Job oder das Gehen entscheiden.
Daher sind Kanzleiinhaber/innen und ihre Führungskräfte -und auch ich als externe Vertrauensperson meiner Kandidat/innen – aufgefordert, in dieser Zeit besonders den Kontakt zu halten und beim Neubeginn zu unterstützen. Dies beginnt mit einem professionellen On-Boarding (z.B. sofort verfügbare Arbeits- und IT-Ausstattung), über zugewandte Ansprechpartner bei der Einarbeitung bis hin zur „Portionierung“ der Arbeit in ein angemessenes, machbares Pensum für den Neuzugang.
Die enge Kommunikation mit neu eingestellten Mitarbeiter/innen kommt indes gut an. Das erlebe ich immer wieder in Form des positiven Feedbacks an mich, sei es [22] vonseiten der Kundenkanzleien oder Kandidat/innen: Man ist froh und dankbar um die „Kümmerin“.
Kummer kommt dann auf, wenn sich niemand kümmert, der Neuzugang verkümmert, ohne sichtbar und anerkannt arbeiten zu können. Es geht hier daher auch darum, zu vermeiden, dass fachlich gute Leute frühzeitig wieder gehen. Oder – sobald erkennbar – klar und konsequent kommuniziert wird, dass der gemeinsame Nenner einer gedeihlichen Zusammenarbeit einfach zu klein ist.
Laut einer Studie von Xing in Zusammenarbeit mit der Meinungsforschungsagentur Apponio hat 2023 jeder zweite Deutsche aus Unzufriedenheit die gerade angetretene Stelle bereits in der Probezeit oder im ersten Jahr gekündigt (Männer: 52%, Frauen: 48%). Vor allem bei der sog. Generation Y (1980–1995) ist die Unzufriedenheit besondersausgeprägt: 58% kündigten in den ersten 12 Monaten, mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Als Hauptgründe wurden angegeben: ein als zu niedrig empfundenes Gehalt (eher Männer), Schwierigkeiten mit den Führungskräften und eine unpassende Teamkultur (eher Frauen) sowie Unzufriedenheit mit den übertragenen Aufgaben, zu viel Stress und zu viele Überstunden.
In meiner Praxis verzeichne ich Abgangsquoten von (nur) 20–25%, was sicherlich mit dem sehr akribischen Auswahlprozess zu tun hat. Doch um jede/n Einzelne/n tut es mir jedes Mal von Herzen leid.
5.Mangelhafte kanzleiinterne Kommunikation zwischen Kanzleien und deren Mitarbeiter/innen (vgl. Abb. 1).
Der Blick auf die Aufstellung zeigt, wie schädlich verkümmerte oder fehlgeleitete Kommunikation sein kann. Viele Kanzleien leiden darunter, ziehen jedoch keine oder die falschen Schlüsse, handeln nicht ausreichend konsequent (vgl. dazu auch Kap. 8.1).
Für Kanzleiarbeitgeber/innen geht es um eine gegenseitige, tragfähige und persönliche Beziehung zu ihren (potenziellen) Mitarbeiter/innen als Basis von allem Weiteren. Ob beim Erstkontakt, dem Vorstellungsgespräch, der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages oder bei der Entscheidung über die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis: Ohne dauerhaft gelingendes „Wir“, das zum „Weiter“ antreibt, trennen sich früher oder später beide Seiten wieder voneinander.
Für Mitarbeiter/innen geht es ihrerseits darum, sich als wertvollen Teil des Teams einzubringen und mit positiver und zielgerichteter Kommunikation zum Kanzleierfolg beizutragen.
Als zentrale These dieses Buches formulierte ich, dass sich der Berufsstand anhaltend und nachhaltig neu erfinden muss – soweit damit noch nicht begonnen wurde. Dies ist sowohl technisch getrieben, als auch der Notwendigkeit folgend, sich moderner und (zeit-)intensiver in Sachen Kommunikation und Führung aufzustellen.
[23]
Abb. 1: Auflistung – Beispiele von Konflikten
6.Doch noch immer zu wenige Kanzleiarbeitgeber/innen erfinden sich neu, geschweige denn, dass sie zukunftsfähig voranzugehen und alternative Wege zum Althergebrachten ausloten.
Das wiederum bemerken Bewerber/innen, die in der Mehrheit eher dynamische, innovative Arbeitgeber/innen suchen. Denn Wunsch und Antrieb vieler Mitarbeiter/innen ist es, sich mit ihrer Kanzlei zu identifizieren und (sichtbarer) Teil davon zu sein bzw. dort gerne zu arbeiten. Wenigstens im Großen und Ganzen wollen sie mit dem Kanzleiumfeld und den dort gelebten Werten einverstanden sein. Trifft dies in zu geringem Maße zu, hält man schnell Ausschau nach „neuen Ufern“ und wird ebenso rasch fündig.
Den Blick auf die Dinge „im Plural“ denken und sehen – oder:
„Wer nur seinen Standpunkt in einer Sache kennt, weiß über die Sache wenig.“
John Stuart Mill, britischer Philosoph und Ökonom (1806–1873)
Frühjahr 2025: Wir befinden uns im Krisenmodus „Jeder sucht alles“, doch gleichzeitig (er-)leben wir als Zeitzeugen die Transformation unserer Arbeits- und Kanzleiwelt – ein Privileg. Wo Schatten ist, gibt es auch Licht: Im Umbruch liegt eine [24] Chance, die eigene Kanzlei vorteilhaft und zukunftsfähig neu auszurichten und dem Mitarbeiter/innen-Engpass aktiv entgegenzusteuern.
Aber wie als Kanzlei die richtige Ausrichtung unter den sich wandelnden Rahmenbedingungen finden? Worauf legen gute, interessante Bewerber/innen in diesen Zeiten besonderen Wert – und kann oder will man das mittragen?
Umgekehrt fragen sich Bewerbende, wie sie jenes Kanzleiumfeld identifizieren können, das zu ihnen passt. Welche Angebote (z. B. Benefits, Rahmenbedingungen) sind ihnen wichtig – und was nicht? Verkauft man sich am Ende „unter Wert“ oder schießt mit den Gehaltswünschen übers Ziel hinaus?
Auf beide Seiten blickend: Wem ist was wichtig?
Wer hat was im Kopf und wo sind die jeweils „roten Linien“?
Wo sind die einen wie die anderen in ihren „Glaubenssätzen“, Klischees oder Vorurteilen verhaftet – und wie kommen sie wieder raus?
Aus der Soziologie kennen wir den Begriff der „Doppelten Wirklichkeit“:
Er beschreibt die auseinanderklaffende Diskrepanz zwischen der „offiziellen“ (Kanzlei-)Wirklichkeit und der Arbeitswirklichkeit der Mitarbeiter/innen. Der Soziologe Friedrich Weltz beschrieb 1988 dieses Phänomen am Beispiel eines (damals noch gängigen) Schreibbüros. Am „grünen Reißbrett“ geplant, passten die vorgegebenen, (oft verkomplizierenden) Prozesse und Dienstanweisungen so wenig zur Realität der damit betrauten Damen, dass diese das System (heimlich) umgingen und sich eigene, praktikablere Regelungen schufen, um das geforderte Arbeitspensum schaffen zu können. Als einen Ausweg aus dem Dilemma riet Weltz dazu, „den Unternehmen quasi den Spiegel vorzuhalten, in dem die Widersprüchlichkeit der ,Doppelwirklichkeit‘ deutlich werden, wobei der eigentliche Maßstab [...] primär die Arbeitswirklichkeit sein müsse“ (Weltz, in: Soziale Welt, 1988, 103).
Ausgehend von einer solchen „doppelten Wirklichkeit“, lädt dieser Wegweiser alle Akteur/innen der steuerberatenden Branche dazu ein, ihre naturgemäß verschiedenen Interessenlagen zu betrachten, vom eigenen zum jeweils anderen Standpunkt zu wechseln und mit ausreichend Empathie und Offenheit zu reflektieren. Vielleicht lassen sich so eingetretene, mutmaßlich unveränderbare Pfade (Vorgehens- und Sichtweisen) verlassen und innovative Wege gehen?