Wie gehts Ihrer Meise? - Tom Crepon - E-Book

Wie gehts Ihrer Meise? E-Book

Tom Crepon

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Beschreibung

Crepon hat Alltagsbegebenheiten in Ost- und Westdeutschland zum Gegenstand (selbst-)ironischer Darstellung gemacht. Immer wieder faszinieren ihn sprachliche Eigentümlichkeiten, Gedankenlosigkeit im Umgang mit der - deutschen - Sprache. Seine Feuilletons machen nachdenklich über alte und neue Oberflächlichkeit im Umgang miteinander.

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Inhalt

Wo lag die DjiDiAr?

Wer bin ich eigentlich?

Meine Freunde und ich

Ost-West-Dialog

Online auf dem Holzweg

Der Eunuch im Besenschrank

Die falsche Schlange

Die Witwe

Hundstage

Kati bringt einen Switch mit

Leben und sterben lassen

Kein Reim auf 'Kahn'

Technisches Versagen

Mein Freund, der Erfinder, und ich, die Null-Serie

Die Rose im Asphalt

Düdelüt, düdeli

Weint deine Schildkröte auch?

Horazios Höhenflug

Wie geht's Ihrer Meise?

Was fragen Leser am liebsten?

Auto

®

-Biografisches

Werke (Auswahl)

Der bin ich

Der gelehrige, unbelehrbare Ossi, der das Naturgesetz auch heute noch für gültig hält: Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter!

Ein in Rot getauchter Grüner, den kein Weißmacher reinwäscht vom schlechten Gewissen des Umweltsünders;

Der über den Lauf der Welt nachgrübelt, die sich einen Dreck darum schert und sich lustig weiterdreht;

Der ohne die anderen nicht leben kann und mit ihnen schon gar nicht. Der sich am liebsten in einem Mauseloch verkröche, mit Balkon und guter Aussicht auf den Katzenjammer draußen;

Der es keinem recht machen kann, am allerwenigsten sich selbst. Der Querulant, der keinem in die Quere kommen will und allen im Wege steht;

Der am Fluss anlangt, wenn die andren längst übergesetzt sind und die Brücken hinter sich abgebrochen haben;

Der jeden Tag lebt, als sei es sein letzter und eine Ewigkeit braucht, um den Augenblick zu erleben;

Der noch Bindungen wie Liebe, Zärtlichkeit und Verantwortung sucht in einem Raum, wo nur Beziehungskisten bereitstehen und der am Ende doch noch einmal fand, wonach er suchte;

der bin ich!

Wo lag die DjiDiAr?

Berlin Friedrichstraße: "Zum Interzonenzug nach Hamburg-Hauptbahnhof bitte einsteigen, die Türen schließen, und Vorsicht bei Abfahrt des Zuges!"

In meinem Abteil sitzt ein dicker, junger Chinese, der gerade dabei ist, seine Mahlzeit - eine fettige Teigmasse - neben sich auszubreiten. Er erhebt sich bei meinem Eintritt, verbeugt sich mehrmals in meine Richtung: Er fragt: "Du Hamburg?", zeigt mit dem Messer auf mich, entschuldigt sich sogleich, dass er kein Deutsch kann: "no German, English only!"

Noch bevor der Zug fährt, erfahre ich, dass er gerade in Berlin-Schönefeld gelandet ist. Direkt aus Shanghai. Auf Europa-Trip. Für Germany hat er einen vollen Tag eingeplant. Den wollte er ursprünglich in Berlin (Böölinn) verleben, doch sein Freund – auch Shanghai – hatte ihm gesagt, in Berlin sei nichts los, dafür aber in Hamburg. Jetzt fährt er also nach Hamburg-Reeperbahn (Hämbörg-Rieperbähn), um das Nachtleben zu genießen. Morgen früh zurück nach Berlin und dann ab nach Paris.

Er will von mir wissen: "Hamburg-Reeperbahn okay?" Ich kann es nicht sagen, ich fahre zum ersten Mal nach Hamburg.

Er fragt: "You from Berlin?"

Ich sage: "Nein, aus Rostock, Mecklenburg, Dji-Di-Ar."

Er grinst freundlich, nickt, und fragt: "Djidiar, what's that?" "German Democratic Republic", antworte ich in einem Ton, als ob damit wohl alles gesagt sei. Er hebt ratlos die Schultern und lächelt freundlich.

Das kann doch nicht wahr sein, denke ich: Da tragen zum Beispiel unsere Spitzensportler, die Diplomaten im Trainingsanzug, den Ruhm unseres Landes um die ganze Welt, sicher doch auch nach China. Und hier sitzt mir jemand gegenüber, der die DDR nicht einmal dem Namen nach kennt.

Der Zug fährt an, und vor dem Fenster werden die Grenzanlagen sichtbar mit Schleifstreifen, Kolonnen¬¬wegen, Mauern und Elektrozäunen.

"What's that", fragt mich der Chinese arglos und zeigt auf die Grenzsicherungsanlagen.

Ich sage: "Wir fahren jetzt von Berlin East, Capital, Metropole von DjiDiAr, nach Berlin (West)."

Und er fragt sofort zurück: "Why that?"

Das habe ich befürchtet. Haben Sie schon mal versucht, einem Chinesen - auf Trip von Schanghai zur Reeperbahn - auf Englisch zu erklären, was Sie selbst auf Deutsch nicht verstehen?

Ich versuche es mehr schlecht als recht. Irgendwann geht ein Leuchten über sein Gesicht, als ich es beinahe schon aufgegeben habe. Er holt aus seiner Reisetasche eine Landkarte hervor und sagt: "Show me, please!"

Es ist eine uralte Deutschland-Karte. Vermutlich noch vor der Abholzung unserer Urwälder angelegt. Doch Berlin gibt es schon, als stecknadelgroßen Punkt inmitten saftigen Grüns.

"Look here: Berlin", sage ich und tippe auf den Punkt. Ich ratsche mit dem Daumennagel hindurch und teile ihn symbolisch in zwei Teile. Die Karte bekommt einen Riß. Sorry. Ich zeige aufs östliche Grün: "That's my country, mein Land."

Etwas größenwahnsinnig komme ich mir dabei schon vor, aber der Punkt auf der Karte ist so winzig, dass ich mir andererseits als Bürger dieses Grünflecks auch wieder ganz klein erscheine.

Die Zugbremsen quietschen. Wir laufen in Berlin-Zoo ein. Der Chinese wird durch den Betrieb auf dem Bahnsteig abgelenkt, und ich versuche mir eine plausible Erklärung für den Zustand meines Heimatlandes zurechtzulegen.

Eine junge Frau mit Kind betritt das Abteil. Der Chinese erhebt sich und beginnt wieder mit seinen Verbeugungen. Ich helfe der Mutter, das Gepäck zu verstauen. Der Chinese fragt die Frau: "Du Hamburg?", und sie antwortet: "Ja, wir besuchen meinen Mann in Hamburg."

Ich sage: "Er versteht nur englisch. Können Sie englisch?"

"Nein", sagt sie. Damit schwindet meine Hoffnung, ihr künftig das Erklären einer so schwierigen Frage wie der deutschen zu überlassen.

Wir haben inzwischen Berlin-Wannsee hinter uns gelassen und passieren wieder das Gewirr von Kolonnenwegen, Schleifstreifen und Metallgitterzäunen. Dem Mann aus dem Fernen Osten entgehen die neuen Hindernisse nicht, er fragt: "What's that?"

Ich antworte: "The borderline. Die Grenze!"

"Which borderline, please?"

Ja, welche? Die zwischen Westberlin und der DDR natürlich. Das heißt: so natürlich wird ihm das nicht erscheinen, da wir sie ja bereits einmal passiert haben.

"Look here", sage ich, um Zeit für ein Beispiel zu gewinnen. Dann zeige ich auf die Frau mit dem Kind und sage: "That's her country, ihr Land. Und nun fahren wir wieder in my country: DjiDiAr."

Die Frau sagt: "Lassen Sie mich da aus dem Spiel, ich will keinen Ärger haben. Ich reise im Transit."

Aber der Chinese lächelt überglücklich, auf etwas Bekanntes in meiner Rede gestoßen zu sein: "Ah, DjiDiAr!" und zeigt mit dem Messer auf mich. Genau, so einfach ist das.

An seinem Gesicht kann man alles ablesen. Leider sehe ich auch, dass er nun trotz seines Lächelns angestrengt über etwas nachdenkt. Ich bin sicher, dass er sich jetzt fragt, wieso jemand von seinem Land durch ein anderes Land wieder in sein Land einfährt, anstatt hier einfach irgendwo zuzusteigen.

Hoffentlich werde ich ihm nicht erklären müssen, warum diese Transitzüge nonstop durch die DjiDiAr fahren mussten und auf keinen Fall irgendwo anhalten durften, nicht einmal auf freier Strecke. Der pietätlose Volksmund nennt so einen Interzonenzug wegen der vielen Rentner darin Mumien-Express, und das ist nun ganz und gar unübersetzbar.

Es wird - alles in allem - doch noch eine harmonische Reise. Bis, ja bis wir die Staatsgrenze erreichen und das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik wieder verlassen. Grenzanlagen werden sichtbar. Zöllner und Grenzer gehen durch den Zug, kontrollieren Pässe und Gepäck.

Der Chinese fragt: "What's up now?"

"Passport control", erkläre ich. Apathisch greift der Mann aus dem Fernen Osten nach dem abgewetzten grauen Pass in seiner Jackentasche. Er freut sich über den neuen großen bunten Stempel und lächelt.

Aber wieder steht - obwohl unausgesprochen - eine Frage so deutlich in seinem Gesicht, dass ich sie ihm unaufgefordert beantworte: "Wir fahren jetzt wieder von my country, DjiDiAr, in her country." Und ich zeige dabei auf die Mutter mit ihrem Kind, als ob ich sie dafür verantwortlich machen wolle, was hier geschieht. Sie hat inzwischen ihr Transit-Gesicht abgelegt und sich beruhigt. Der Chinese gibt sich zufrieden. Er zieht sich in seine Ecke zurück mit den Worten: "Großes Land, DjiDiAr! Viele Grenzen!"

Bald darauf schläft er ein. Das Lächeln ist aus seinem Gesicht gewichen. Auf seinen Knien liegt die uralte Deutschland-Karte mit dem Riss darin.

1988/2009

Wer bin ich eigentlich?

Ich bin Jan Pfütz. Natürlich bin ich es nicht. Jan Pfütz ist ein bekannter Fernseh-Mann, der die Lobbythek macht, und ich bin der unbedeutende Schreibers-Mann XY. Und dennoch bin ich längst Jan Pfütz geworden.

Vor Jahren wurde ich unentwegt mit Willi Kampowski verwechselt. Ich konnte anstellen, was ich wollte - mich verkleiden o-der als ich selbst gehen -, ich war und blieb Willi Kampowski.

Junge Damen sahen, wenn ich mich nur einer Bücherei näherte oder in einen Buchladen ging, schwärmerisch zu mir herüber. Ich wurde gefragt, was ich denn so Neues zu bieten hätte. Und ob ich nicht mal wieder zu ihnen kommen wollte. Ich wollte schon, aber wenn ich den Irrtum aufklärte, wollten sie nicht mehr.

Als Willi Kampowski hatte ich überwiegend positive Erlebnisse; von ein, zwei Ausnahmen mal abgesehen. Eine junge Frau fand es überhaupt nicht lustig, dass ich abstritt, Kampowski zu sein. Auf offener Straße rief sie: "Das ist wohl dein neuester Trick, Willimaus, aber so wirst du mich nicht los, mein Lieber, so nicht!"

Ich wurde, aber erst dann, als ich ihr meinen Reisepass unter die Nase hielt. Für so verwegen, sich als Ostspion auszugeben, hielt sie Kampowski wohl nicht, und sie ließ mich in Frieden ziehen.

In einem Ostseebad schlug mir jemand von hinten seine Pranke auf die Schulter und schrie: "Mönsch, Kampo, du auch hier in diesem Scheißnest? Hast du das nötig, deine Perlen vor die Säue zu werfen?"

Ich hatte es nötig, meine Devisen-Kasse ließ Pingeligkeit nicht zu. Ganz im Unterschied zu Kampowskis Vermögenslage vermutlich. Obwohl ich da auch nicht so sicher bin. In einem Postamt stellte mich ein großer, kräftiger Kerl, der mich nachdrücklich aufforderte, ich sollte ihm endlich die hundert Mark zurückgeben, die er mir geborgt hatte. Sonst würde er mir nämlich die Fresse polieren, und da würde mir all meine Berühmtheit nichts nützen.

Ich zahlte, weil bei Geld die Freundschaft aufhört und beschloss, nicht länger von Kampowskis Popularität zu schmarotzen. Dies war leichter gesagt, als getan. Wie verändert man sein Image und sein Outfit gegenüber jemand, den man gar nicht kennt? Ich habe Willi Kampowski in meinem Leben nie gesehen.

Von meinen Freunden erfuhr ich, dass er dieselbe Stirnglatze hätte wie ich. Doch war ich nicht bereit, mir nur seinetwegen ein Toupet überzustülpen. Ein anderer meiner Freunde glaubte zu wissen, dass Kampowski sein Haar kürzer trüge als ich und für gewöhnlich eine dicke Hornbrille aufhätte.

Also ließ ich mein Haar wachsen, soweit es dazu bereit und noch in der Lage war. Eine randlose Studentenbrille vervollständigte mein neues Aussehen.

Ich fühlte mich nun völlig sicher. Und in der Tat: Bis heute hat mich - toi, toi, toi - noch niemand wieder als Kampowski verkannt.

Dafür bin ich nun Jan Pfütz. Was ich tue, wo ich hinkomme, ob ich's abstreite oder zugebe: Ich bin und bleibe Jan Pfütz.

Als ich neulich in der Stadt vor einem Schaufenster stehenblieb, bildete sich hinter mir eine kleine Gruppe. Die Leute begannen in sicherer Entfernung zu tuscheln: "Doch, das muss er sein. Sieh dir bloß mal seinen Seehundsbart an!", "Vielleicht macht er hier gerade eine neue Sendung und wir kommen mit rein. Wo ist die Kamera?", "Ich geh einfach mal hin und frag ihn!"

Dann kam der Mutigste aus der Rotte auf mich zu, während die anderen - ich sah es deutlich in der Fensterscheibe - scheinbar unbeteiligt in andere Richtungen sahen: "Sie werden entschuldigen, aber sind Sie nicht der ..."

Ich schüttele dann schon den Kopf, während der andere noch zu seiner Frage Anlauf nimmt. Denn selbst nach der Verbreitung einiger meiner Werke hier bin ich nicht so vermessen zu glauben, dass man mich für mich halten könnte.