Odysseus in Haduloha - Tom Crepon - E-Book

Odysseus in Haduloha E-Book

Tom Crepon

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Beschreibung

Zum Thema ist viel gesagt und geschrieben worden. Was bleibt noch zu tun? Es fällt auf, dass Aufsätze, Reden und Würdigungen zum Wirken Johann Heinrich Voß' in Otterndorf zeitlich versetzt - erst nach dem Weggang des Rektors aus der Stadt und nach dem Erfolg seiner Odyssee-Übertragung - Licht auf die vier Otterndorfer Jahre werfen. Und dieses Licht wird, besonders anlässlich von Schulfesten und Jubiläen, mit zunehmendem Abstand von der Quelle immer strahlender. Die ersten zeitgenössischen Memoiren vom Amtsvorgänger Meyer oder vom Bürgermeister Schmeelke dienen dabei gerade noch als Anekdoten-Lieferanten. Spätere Amtsinhaber der Lateinschule nehmen den Otterndorf- Aufenthalt schon unbesehen als eine Zeit voller Harmonie und Eintracht, schmücken ihre Schulgeschichte mit diesem Ruhmesblatt, zu recht einerseits, zu unkritisch andererseits. Es ist an der Zeit, zu den Quellen zurückzuschauen und den Gegenstand vom - verständlichen - lokalpatriotischen Ballast zu befreien. So ist nicht nur Dankbarkeit gegen meine zeitweiligen Otterndorfer Gastgeber der Grund für den Versuch einer Neubetrachtung, sondern auch Chronisten- und Biografenpflicht. Tom Crepon

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1. Der Weg nach Otterndorf

2. Freiheit eines Hundes an der Kette

3. Keine Nachtigallen

4. Keine Freunde in nah und fern

5. Viel Feind, viel Ehr?

6. Die Wiedergeburt des Odysseus

7. Marschenfieber und Nebel

8. Ende einer geistigen Odyssee

9. Der Nachhall

Chronik 1778-1781

Literatur zum Thema

1. Werke und Briefe

2. Biografische Arbeiten

3. Schriften und Aufsätze

4. Sonstiges

Abbildungsverzeichnis

Vorbemerkung

Zum Thema ist viel gesagt und geschrieben worden. Was bleibt noch zu tun?

Es fällt auf, dass Aufsätze, Reden und Würdigungen zum Wirken Johann Heinrich Voß' in Otterndorf zeitlich versetzt - erst nach dem Weggang des Rektors aus der Stadt und nach dem Erfolg seiner Odyssee-Übertragung - Licht auf die vier Otterndorfer Jahre werfen. Und dieses Licht wird, besonders anlässlich von Schulfesten und Jubiläen, mit zunehmendem Abstand von der Quelle immer strahlender.

Die ersten zeitgenössischen Memoiren vom Amtsvorgänger Meyer oder vom Bürgermeister Schmeelke dienen dabei gerade noch als Anekdoten-Lieferanten. Spätere Amtsinhaber der Lateinschule nehmen den Otterndorf- Aufenthalt schon unbesehen als eine Zeit voller Harmonie und Eintracht, schmücken ihre Schulgeschichte mit diesem Ruhmesblatt, zu recht einerseits, zu unkritisch andererseits.

Es ist an der Zeit, zu den Quellen zurückzuschauen und den Gegenstand vom - verständlichen - lokalpatriotischen Ballast zu befreien. So ist nicht nur Dankbarkeit gegen meine zeitweiligen Otterndorfer Gastgeber der Grund für den Versuch einer Neubetrachtung, sondern auch Chronisten- und Biografenpflicht.

Juli 1994 Tom Crepon

"Dieser Mann ist in Frankreich gar nicht bekannt, und doch gibt es wenige, denen das deutsche Volk, in Hinsicht seiner geistigen Ausbildung, mehr verdankt als eben ihm.

Er ist vielleicht, nach Lessing, der größte Bürger der deutschen Literatur.

Jedenfalls war er ein großer Mann, und er verdient, daß ich nicht allzu kärglichen Wortes ihn bespreche."

Heinrich Heine über Johann Heinrich Voß

1. Der Weg nach Otterndorf

Die Odyssee, die dem griechischen Dichter Homer zugeschrieben wird, steht als Synonym für Irrwege, für die Suche des Menschen nach Heimat und Glück auf verschlungenen, labyrinthischen Pfaden.

Die Odyssee, im 8.Jahrhundert v. Chr. entstanden, beginnt nach der Zerstörung Trojas und erzählt in 12.000 Versen - im antiken Hexameter-Versmaß - von der zehnjährigen Irrfahrt des Odysseus während der Rückkehr zu seiner Heimatinsel Ithaka, um die verlorene Königswürde - und seine stark umworbene Frau Penelope - zurückzuerobern.

Nur selten wird dem neugeborenen Helden ein fester Lebensplan schon in die Wiege gelegt. Erst recht nicht dem Sohn eines armen Pächters und Klippschul-Lehrers, Enkel eines leibeigenen Radmachers gar, der 1751 im mecklenburgischen Sommersdorf bei Waren an der Müritz als Spurius (voreheliches Kind) zur Welt kommt und auf den Namen Johann Heinrich Voß getauft wird.

Wohin ihn das Leben verschlägt, auf welchen Gleisen die Lebensbahn verläuft, hängt im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Mitte des 19.Jahrhunderts von Größe und Inhalt des väterlichen Geldbeutels ab und - da dieser nichts hergibt - von der Gnade der Vermögenden: Der arme Lateinschüler Voß findet erste Gönner unter den wohlhabenden Neubrandenburger Bürgern, die ihm an einigen Tagen der Woche Freitische gewähren und so den Besuch der renommierten Lateinschule ermöglichen. Der mittellose Göttinger Student ist auf großzügige Kollegien- Geldspenden von Professoren angewiesen, und der Privatlehrer Voß auf die Gnade mecklenburgischer Landadliger. Die ungeliebten Unterrichtstunden für die Kinder der Familie von Oertzen zu Ankershagen - nahe dem Geburtsort Sommersdorf- sind wohl eher notwendige Lehrjahre vor der Odyssee als bereits Stationen derselben. Bis 1772 erträgt Voß die Demütigungen des mecklenburgischen Landadels, dann verlässt er enttäuscht seine Heimat. 1775 bewirbt sich Voß um die freigewordene Stelle des Rektors der Neubrandenburger Lateinschule, deren fleißiger Schüler er einst war.

Er scheitert am Einspruch des herzoglichen Strelitzer Hofes, vermutlich - so sein Biograf Wilhelm Herbst - "an seiner Jugend, an seinem Laien- und Poetenthum, vielleicht auch an der freiheitlichen und antiaristokratischen Tendenz seiner Gedichte".

Vor allem seine Idyllen Die Leibeigenen und Die Freigelassenen waren Rittergutsbesitzern, Großbauern und Hofschranzen ein Dorn im Auge. Die erstere war just zuvor in Bodes Gesellschafter publiziert worden.

Vier Jahre später- bereits in Otterndorf- fällt Voß ein vernichtendes Urteil über seine Heimat: "Es ist ein schnödes, verächtliches Land, das Mecklenburg, ohne alles Gefühl von Adel als dem, den man erbt, dem lumpichten, abgebleichten und stinkenden Ehrenkleide aus der Lade der Ahnen, deren Hauptverdienst war Saufen und Rauben."

Der 26-Jährige heiratet 1777 die fünf Jahre jüngere Ernestine Boie, die Voß durch seinen Göttinger Kommilitonen Heinrich Christian Boie kennengelernt hatte. Ernestine ist die Tochter· des 1776 verstorbenen Hauptpastors und Propstes der Flensburger St. Nicolai-Kirche, Johann Friedrich Boie.

Das frischvermählte Paar zieht nach Wandsbek bei Hamburg, wo auch die Dichterfreunde Friedrich Gottlieb Klopstock und Matthias Claudius leben. Wandsbek ist Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr als ein idyllischer Marktflecken im Besitz des Grafen Schimmelmann. Es hat - hinter dem Schloss - einen herrlichen Gutspark.

Die Stadt Hamburg ist (noch) weit genug entfernt, um ein beschauliches Landleben führen zu können, und nah genug, um am geistigen Leben Anteil nehmen zu können. Wandsbek selbst bietet - zum Beispiel mit dem literarischen Teetisch der Elise Reimarios - geistige Anregung.

Bild 1: Johann Heinrich Voß. Stahlstich nach einem Gemälde von G.F.A.Schöner

Bild 2: Ernestine Voß Ölgemälde von G.F.A.Schöner

Voß braucht, als am 12. Juli 1778 das erste Kind, der Sohn Friedrich Leopold (Fritz), geboren wird, dringend eine Festanstellung. Zwar hat er mit dem Hamburger Verleger Carl Ernst Hohn einen Vertrag, der ihm jährlich Einnahmen von 400 Talern verspricht, die aber an die Herausgabe des Musen-Almanach gebunden sind.

Voß hatte der besorgten Schwiegermutter Boie versprechen müssen, den neuen Hausstand nicht einzig auf den unsicheren Einkünften aus dem Almanach zu begründen, sondern „die erste passende Schulstelle annehmen zu wollen“.

Eine aussichtsreiche Stellung erhält man allenfalls durch ausgezeichnete Zeugnisse (Die hat Voß), oder durch Referenzen einflussreicher Gönner (Auch sie finden sich im Umkreis von Voß). Dennoch ist er weitgehend auf den Gehilfen Zufall angewiesen. Voß antwortet auf Ausschreibungen und hofft, den jeweiligen Patronen genehm zu sein.

Bewerbungen um Professuren in Bremen oder Kiel sowie um eine Hauslehrerstelle in Münster enden ebenso erfolglos wie die Nachfrage nach der lukrativen Position eines Konrektors am Hamburger Johanneum. "Zu jung und unerfahren bin ich den alten Perückenkerls", schreibt Voß seinen Eltern enttäuscht nach Penzlin.

Als Voß im Sommer 1778 von dem Hamburger Germanistik-Professor Büsch hört, dass in der kleinen Stadt Otterndorf an der Niederelbe ein Rektor für die Lateinschule gesucht wird, zögert er, sich dort zu bewerben. Zu entlegen, zu klein erscheint ihm dieser mögliche Wirkungsort.

In dieser Situation meldet sich im August 1778, "am Kirchgangstag", bei Voß ein beleibter Besucher an, "ein gepuztes Frauenzimmer an der Hand", der sich als Bürgermeister von Otterndorf im Lande Hadeln vorstellt.

Ernestine Voß, die - wie auch die Freunde Claudius, Campe und Miller - anwesend ist, erzählt: "Der dicke Herr nahm sogleich mit vieler Beredsamkeit das Wort, wie er seinem Lande Hadeln Glück wünsche, einen so kenntnisreichen Mann bald den seinigen nennen zu können, und kramte mit Würde aus, wie auch er ein Gelehrter sei, der in seiner Jugend Latein und Griechisch gelernt, und außerdem mancherley Schulkenntnisse besize, die ihn fähig machten, einem jungen unerfahrenen Mann überall mit Rath beizustehn."

Eine Art Examen beginnt, in dessen Verlauf Voß gefragt wird, ob er auch Chrestomathien (zu Unterrichtszwecken bearbeitete literarische Werke) verwenden wolle. Voß erklärt, dass er seine Schüler stets "aus den Authoren selbst", also nach den Originalen, unterrichte.

Auf die nächste Frage des Besuchers, ob er auch die Basedowschen Chrestomathien nicht verwende, antwortet Voß: "Die am allerwenigsten". Da "sprang der dicke Herr auf und rief: Dann soll der T ..... Sie holen, denn ich selbst bin Basedow!". Das Ganze ist ein mit den Freunden ausgeheckter Streich. Der vermeintliche Bürgermeister ist Voß nicht gram. Im Gegenteil, er umarmt den jungen Mann "ob des wohlverdienten Freimuts" und lädt ihn und seine Freunde ins Wirtshaus ein.

Johannes Bernhard Basedow ist ein einflussreicher Mann; er gibt dem jungen Mann zu verstehen, dass es an seiner Fürsprache nicht fehlen solle, wenn er sich auf die Otterndorfer Ausschreibung bewerbe.

Ein ausführlicher Bewerbungsbrief geht an die zuständige Schulverwaltung:

„... Da ich durch den Herrn Professor Büsch erfahren habe, dass das Rectorat der Schule in Otterndorf durch Abgang des Herrn Meyers erledigt worden sey, und daß man jetzt einen Mann suche, der Fähigkeit und Trieb habe, ein nützlicher Schulmann zu werden; so bin ich bewogen worden, Ihnen, hochgeehrteste Herren, meine Dienste anzubieten.

Ich habe in Göttingen Theologie studiert und mich zugleich im philologischen Seminario, unter Anleitung des Herrn Hofrath Heyne, auf diejenigen Wissenschaften gelegt, die ein Lehrer wissen muß, der Knaben und Jünglinge zur wahren Gelehrsamkeit vorbereiten soll; meine Neigung mich zum Schul- oder akademischen Leben hintrieb... Für die Aufrichtigkeit meines Wunsches, im Lehr-Amte mehrern Nutzen zu schaffen, als ich bisher durch Schriften gekonnt habe, erlauben Sie mir dieses anzuführen, dass mich nicht die Noth dazu drängt, da ich nach meinem itzigen Plane noch einige Jahre unabhängig bleiben könnte. Ich erwarte eine geneigte Antwort, und bin mit schuldiger Hochachtung und Ergebenheit, Meiner hochgeehrtesten Herren gehorsamer Diener Voß."

Dem Otterndorfer Wahlkollegium der Provisoren, das über die Besetzung der Rektorenstelle enstscheidet, gehören der Prediger, die Gemeindevertreter, die Juraten sowie die Leviten (Armenvorsteher) an. Seine Entscheidung ist bindend und wird formell vom Konsistorium bestätigt.

Der Mitbegründer des Göttinger Hainbunds, Mitherausgeber und Autor des Musen-Almanach, des ersten deutschen Literaturkalenders, scheint der rechte Mann für den Posten zu sein. Man kennt seinen Namen inzwischen auch im Norden Deutschlands.

Eduard Rüther ist anderer Auffassung: "Den Dichter Voß haben die Hadler nicht gekannt und begehrt, sondern sie wünschten den ihnen wohl empfohlenen Mann als Rektor ihrer alten Lateinschule." Man ist auf Mutmaßungen angewiesen, da über die Gründe der Wahl nichts mitgeteilt wird. Nach der - einstimmigen - Wahl des neuen Rektors durch die 63 "Patronen und Provisoren" teilt Bürgermeister Brütt Voß mit:

"Hochedelgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr! Namens des Collegii der Patrone und Provisoren der hiesigen Kirche und Schulen habe ich die Ehre, Euer Hochedelgeboren nachrichtlich zu vermelden, dass Sie am gestrigen Tage einstimmig zum Rector der Schule erwählet worden. Da ich diese Wahl recht sehr gewünscht und soviel an mir gewesen, betrieben habe, so geht es gewiß aus vollem Herzen, wenn ich Ihnen wie dem hiesigen Publikum zu dieser Wahl Glück wünsche.