Wie ich einmal versuchte, reich zu werden - Heike Faller - E-Book
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Wie ich einmal versuchte, reich zu werden E-Book

Heike Faller

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  • Herausgeber: DVA
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

Von einer, die auszog, das Spekulieren zu lernen

Bis vor kurzem waren der Journalistin Heike Faller Themen wie Aktienkurse, Vermögensbildung und Altersvorsorge entweder ein Rätsel oder schlicht egal, doch dann wollte sie es wissen. Sie nahm eine Auszeit vom Job und ging unter Investoren und Spekulanten, mit dem Ziel, innerhalb eines Jahres zehntausend Euro zu verdoppeln. Dass eine Krise in der Luft lag, schreckte sie nicht, denn in jeder Krise liegt eine Chance, besonders für Investoren. Doch dann kam der große Crash …

Eigentlich sollte ich was mit meinem Geld machen, dachte Heike Faller jahrelang. Und tat: nichts. Appelle an die private Altersvorsorge versetzten sie in Tiefschlaf, Zahlenpost ließ sie liegen, den Wirtschaftsteil verstand sie nicht. So kam es, dass ihr Erspartes auf dem Konto vor sich hin dämmerte. Bis zwei abseitige Sparkassenberater aus der Oberpfalz ihr überraschende Spekulationsgewinne bescherten und sie auf eine Idee brachten: Es sollte doch möglich sein, in einem Jahr zehntausend Euro zu verdoppeln.

Sie stürzt sich in die fremde Welt des Geldes. Auf der Suche nach Erfolgsanlagen trifft sie Londoner Jungtrader, skandinavische Risikoinvestoren, Kunstsammler und einen der reichsten Männer der Erde. Bereitwillig weihen die Finanzleute sie in ihre Strategien ein, erstaunt stellt sie fest, wie schnell sie dem Sog erliegt. Ihr Denken dreht sich fortan um Hebelzertifikate, Put-Optionen, Superzyklen. Und vor allem die Frage: Wie mache ich mir die hereinbrechende Krise zunutze? In einer wunderbaren Mischung aus journalistischer Recherche, Selbstbeobachtung und Erfahrungsbericht, die viele komische Momente und überraschende Begegnungen enthält, beschreibt die Amateurinvestorin die Erlebnisse eines turbulenten Jahres, in dem sie mitten in den Taumel der Finanzmärkte gerät.

• Sympathisch offen und bisweilen komisch: der Erfahrungsbericht einer Amateurinvestorin

• Ein aufschlussreicher Blick hinter die Kulissen der Finanzwelt in Zeiten der Krise

• Eine Abenteuerreise zwischen Bagdad, Berlin, London, Marbella, Niederbayern und New York

Heike Faller ist mehrfach preisgekrönte Journalistin

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Seitenzahl: 291

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Inhaltsverzeichnis
 
1 Sparmünzen
2 Vereinigte Sparkassen
3 Soros, Kostolany & ich
 
Copyright
1 Sparmünzen
Ich hatte einmal 40 000 Euro. Jahrelang lag das Geld auf dem Sparkonto, wo es nicht mehr, aber auch nicht weniger wurde. Als ich dreiunddreißig Jahre alt war, kaufte ich davon vierzig Krügerrands, vierzig Kilobarren Silber, siebenhundert Gramm Palladium und acht schwere Platten aus Platin. Eine Sparkassenangestellte in Bayern schob mir das Metall über den Schalter, gefolgt von einer Kassette, in der ich meine Schätze verwahren sollte. Auf knisternden Belegen quittierte ich den Erhalt von Edelmetallen im Wert von 39 414,84 Euro.
Es war ein Hochsommertag. Draußen brannte die Sonne auf Teer und Blech, drinnen stand ich frierend im klimatisierten Schalterraum und warf einen langen letzten Blick auf meine Schätze. Es waren die Ersparnisse meines ganzen Lebens, die ich in diesem Moment, gegossen in Metall, vor mir hatte: Geld, das ich von Zeilenhonoraren und Gehältern auf die Seite gelegt hatte; die Erlöse eines Bausparvertrages, in den meine Eltern für mich einbezahlt hatten; 1500 Euro, die meine Oma, eine Bäuerin aus Oberbayern, jedem ihrer zwölf Enkel hinterlassen hat; Geld, das ich hatte sparen können, weil der Staat und zwei Stiftungen mein Studium und meine Journalistenausbildung mitfinanziert hatten. Sogar die Ersparnisse des orangefarbenen Kindersparbuchs, auf dem ich Kommunionsgeschenke, Geburtstagsüberweisungen und Sparschweinmünzen zusammengetragen hatte, waren irgendwie in diese Metallstücke eingeflossen, die zusammen ziemlich genau in ein Schließfach von der Größe einer Schuhschachtel passten. Ich legte sacht den Deckel auf das Kästlein, drehte ein Schlüsselchen im Schloss und schob das Behältnis in einen kleinen Lastenaufzug, der, nachdem ich eine Geheimzahl vorgegeben hatte, leise quietschend in die Tiefe wackelte. Als Code wählte ich die Zahl des Jahres, in dem die Weltwirtschaftskrise begonnen hatte: 1929. Ein bisschen so wie damals, so war mir gesagt worden, würde die Welt aussehen, wenn ich eines fernen Tages wieder hier stehen würde, um meine Schätze abzuholen. Klingt irre, dachte ich. Nicht, dass ich es hätte beurteilen können.
 
 
Bis zu jenem Tag im Sommer 2004 hatte mich Geld nicht interessiert. Meine Ersparnisse lagen auf dem Sparkonto, und manchmal rief ein Bankberater bei mir an, um mit mir über »Vermögensbildung« zu sprechen, ein Wort, das auf mich eine einschläfernde Wirkung ausübte, die nur von Worten wie »Altersvorsorge« oder »Rentenreform« übertroffen wurde. Ich sagte, dass ich darüber nachdenken würde, aber ich dachte nicht darüber nach. Ich sagte, dass ich zurückrufen würde, aber ich rief nie zurück. Ich befand mich in der luxuriösen Situation, mehr Geld zu verdienen, als ich zum Leben brauchte, noch mehr haben zu wollen, womöglich auf Kosten anderer, erschien mir gierig, vielleicht sogar unmoralisch, schlechtes Karma. Allein der Ausdruck »sein Geld für sich arbeiten lassen« löste bei mir unangenehme Assoziationen aus. Schließlich arbeitete ich selbst. Und zwar gern. Ich hatte seit Jahren eine sichere und gut bezahlte Arbeit als Redakteurin. Das sollte mir reichen. Es mag arrogant klingen, aber ich konnte in dieser Zeit nicht erkennen, welchen Unterschied fünf oder acht Prozent Rendite, die mir mein Geld im besten Fall einbringen würde, in meinem Leben machen sollten, hatte aber den Verdacht, dass andere Leute es bemerken könnten, und zwar schmerzlich. Was bedeutete das überhaupt, in einen Fonds zu investieren? Würde ich mich damit nicht mitschuldig machen an Elend und Ausbeutung, also genau den Zuständen, die wir Journalisten anprangern? Woher sollte ich wissen, ob ich auf diese Weise nicht Teilhaberin an einem Waffenproduzenten oder Kinderarbeitsprofiteur würde? Ich habe keine Zeit, dachte ich, auch noch herauszufinden, ob ich mit meinen Investitionen dazu beitrage, anderen das Leben schwer zu machen.
Außerdem habe ich ein Problem damit, Zahlenpost aufzumachen. Weshalb ich es nicht mal mitkriegen würde, wenn mein Fonds pleiteginge. Jahrzehnte später, als zittriges Ömchen, würde ich vielleicht einen hoffnungsvollen Blick in die vergilbten Unterlagen werfen und feststellen, dass der Fondsmanager aus Frankfurt sein Geschäft vor langer Zeit zugemacht hat.
Und so kam es, dass mein Geld jahrelang auf dem Sparkonto dämmerte. Es vermehrte sich nicht, aber es verminderte sich auch nicht. Sogar den Aufstieg und Fall der New Economy habe ich verpasst: Während meine Kollegen jeden Morgen an ihre Bildschirme stürzten, um die Kurse abzurufen, tat ich: nichts. Wenn wieder mal ein Azubi vorgeschickt wurde, um mich, eine der letzten aktienlosen Deutschen, anzurufen, dachte ich arrogant: Der größte Luxus, den man sich von seinem Geld leisten kann, Junge, ist es, sich nicht um Geld kümmern zu müssen, aber das verstehst du jetzt noch nicht. Kann sein, dass ich es in abgeschwächter Form auch mal so gesagt habe. Aber in Wahrheit war mir das alles einfach zu kompliziert.
 
Erst später wurde mir klar, dass andere genauso verwirrt waren. Um zu wissen, dass der Mensch kein rational handelnder, jederzeit auf seinen Vorteil bedachter Homo oeconomicus ist, genügen ein paar Gespräche mit anderen Menschen. Den meisten zerrinnt das Geld. Nur wer Schulden hat, spart systematisch. Viele kaufen Häuser, weil sie das für solide halten, ohne zu bemerken, dass sie damit alles auf eine Karte setzen. Eine Kollegin bezahlt hohe Zinsen für einen Wohnungskredit, während sich auf einem niedrig verzinsten Girokonto gleichzeitig neues Guthaben sammelt. Einer erzählt seit Jahren, er könne sich aus Nostalgie nicht von seinen abgestürzten Dot-Com-Aktien trennen. Es ist eine schöne Partyanekdote, die ihn ein paar zehntausend Mark gekostet hat. Ein Kollege, der aus Ostberlin stammt, hat sein bisschen Geld, 10 000 Euro, seit der Wende auf dem Sparbuch liegen und auch von zu Hause kein Erbe zu erwarten.
Er ist Anfang fünfzig, und ich kann gut verstehen, dass er in eine Angststarre verfallen ist, denn wenn er nicht bald eine gute Idee hat, wird er als Rentner Gitarre in der U-Bahn spielen.
Und die, die was tun, tun meistens das Falsche: Neulich lernte ich eine Frau kennen, die sich im Sommer 2008 von ihrer Bank, als die »Emerging Markets« bereits abgestürzt waren, »China, Brasilien, Indien« verkaufen ließ. Meine Eltern haben sich ein Zertifikat auf Daimler gekauft, das, vereinfacht gesagt, so gestrickt ist, dass die Bank die Gewinne bekommt und der Anleger bei sinkenden Kursen nachkaufen muss. Ihr Vorteil? Sie erhalten dafür einen Prozentpunkt mehr Festzins als auf dem Sparbuch. Der Berater, der ihnen das Papier empfohlen hat, wohnt ein paar Straßen weiter. Er ist ein guter Nachbar und deshalb wollen meine Eltern ihn nicht fragen, warum er sich damals so sicher war, dass »der Daimler«, wie sie den Konzern in Süddeutschland nennen, niemals abstürzen würde. Zumal sie sich, völlig zu Recht, selber fragen, wieso sie sich so etwas haben andrehen lassen, schließlich können sie rechnen.
Am schlimmsten sieht es bei den Leuten aus, die wirklich knapp bei Kasse sind. Sie kommen gar nicht auf die Idee, sich an einer Welt zu beteiligen, die sie nicht als Arbeitskräfte will. Ein Schulfreund, der als Nachtportier jobbt und jeden Monat an Hartz IV vorbeischrammt, hat es sogar geschafft, 3000 Euro auf die Seite zu legen, die er daraufhin aber einem noch ärmeren Kumpel geliehen hat, natürlich ohne Zinsen. Dieser Freundschaftsdienst hat ihn in den letzten Jahren (wegen der Inflation) ein paar hundert Euro gekostet.
Auch so werden soziale Unterschiede größer: Die Wohlhabenden profitieren vom Kapitalismus, weil sie ihr Geld für sich arbeiten lassen, die Kleinen, weniger Schnellen, weniger Schlauen unternehmen nichts damit. Und wenn sie es doch zur Börse tragen, dann ist die Blase meist schon kurz vorm Platzen. Finanzleute kennen für dieses Phänomen das Wort »Dienstmädchen-Hausse«. Es stammt aus den zwanziger Jahren, als selbst Dienstmädchen und Schuhputzerjungen ihre Ersparnisse in hochfliegende Aktien steckten. Die Kurve biegt sich immer steiler nach oben, bis sie fast senkrecht verläuft, um, und das tut sie irgendwann immer, plötzlich abzubrechen. Dann verlieren die ihr Geld, die als Letzte gekauft haben. Wenn die Dienstmädchen Aktientipps austauschen, das ist die erste Börsenregel, die man lernt, ist es an der Zeit auszusteigen. Heute erfüllen diese Warnfunktion Taxifahrer und Friseurinnen, aber die Idee dahinter ist dieselbe geblieben: Wenn geldferne Schichten sich für die Finanzmärkte interessieren wie sonst nur für die Fußballweltmeisterschaft, dann sind die Chancen groß, dass sich bald keine Unwissenden mehr finden werden, die das Zeug zu den hohen Preisen noch kaufen können.
2 Vereinigte Sparkassen
Ich war auf dem Wissensstand eines Dienstmädchens, als meine Zeitung mich nach Bayern schickte. Ich sollte eine Geschichte über zwei Männer schreiben, die bei einer kleinen Sparkasse in der Oberpfalz die Vermögensverwaltung leiteten. So geschehen im Jahr 2002. Die beiden Bayern waren dadurch aufgefallen, dass sie das erfolgreichste Musterdepot in Deutschland führten. Sie hatten in sieben Monaten 43 Prozent Plus gemacht, zu einer Zeit, in der normalen Bankberatern und Fondsmanagern das Geld ihrer Anleger unter den Händen weggeschmolzen war. Mein Chef hatte eine kleine Meldung im Finanzteil über die beiden gelesen und schickte mich hin, weil er wusste, dass ich nicht im Börsenjargon über sie schreiben würde.
Obwohl ich keine Ahnung von diesen Dingen hatte, leuchtete mir die Geschichte, die mir dann vor Ort präsentiert wurde, sofort ein: Zwei tapfere Sparkassen-Männer, mountainbikefahrende, dialektsprechende Naturburschen mit einer unverhohlenen Verachtung für die Karrierebanker in Frankfurt, London, New York, beschließen, dass man statt in DAX-Unternehmen oder den Neuen Markt besser in Minenaktien und Goldbarren investieren sollte. Damals eine abseitige Idee. Schließlich waren jahrelang Firmen gefeiert worden, deren Produkte unsichtbar, ätherisch, mikroskopisch klein waren. Es war das postmaterielle Zeitalter der New Economy, in dem die alten Regeln des Wirtschaftens irgendwie als aufgehoben galten. Als die neue Wirtschaftswelt dann plötzlich in sich zusammenfiel (weil man feststellte, dass ihre Produkte unsichtbar, ätherisch oder inexistent waren), wurde das den Aktionären als eine Art Naturkatastrophe verkauft. Dass just in dieser Zeit eine so altertümliche, schwerfällige Sache wie Rohstoffe im Preis stieg, erkannten damals nur wenige, und zu diesen Leuten gehörten die beiden Bayern, die ich porträtieren sollte.
Zwei Jahre, nachdem meine Geschichte über sie erschienen war, vertraute ich ihnen meine gesamten Ersparnisse an. Der Goldpreis war in dieser Zeit von 300 auf 400 Dollar pro Feinunze gestiegen. In einem Bummelzug fuhr ich von Würzburg in Richtung tschechischer Grenze. In Weiden in der Oberpfalz stieg ich aus. Vor dem Bahnhof erwartete mich einer der beiden Sparkassen-Männer, ein durchtrainierter, kahlrasierter Typ namens Christian Wolf. In seinem schweren, kühlen Wagen surrten wir durch grüne Wiesen ins Headquarter in Neustadt. Er erzählte, dass er gerade Tschechisch lerne, weil die Grenze nicht weit sei und Osteuropa in den nächsten Jahren gute Möglichkeiten biete. Da sei es klug, schon einmal die Sprache zu lernen. Ich sog jedes seiner Worte auf, denn mit dem Goldpreis war auch mein Vertrauen in die beiden gewachsen, die offenbar genau wussten, was sie taten.
Als wir in der Sparkasse angekommen waren, fragte ich sie, warum sie sehen konnten, was sonst keiner sah. Das sei im Grunde gar nicht so schwer, sagten sie. In Edelmetalle zu investieren sei eine Außenseiterentscheidung, die ein Angestellter in einer großen Bank kaum treffen würde, selbst wenn er sie als richtig erkannt habe.
»Warum nicht?«, sagte ich.
»Herrrdentrieb«, sagten sie unisono, mit böse grollendem Rrr.
In einem großen Unternehmen sei es einfacher, einen Fehler zu machen, den alle machten, behaupteten sie, eine Entscheidung gegen die Mehrheit sei schlicht ein größeres Karriererisiko. Diese Erklärung leuchtete mir ein. Und sie gefiel mir ebenso gut wie diese beiden Kleinstadtbanker, die so überhaupt nichts mit den Bankmenschen zu tun hatten, die ich in meinem Leben bis dahin kennengelernt hatte.
Sie kannten sich seit dem gemeinsamen Studium an der Fachhochschule, das sie erst mit Ende zwanzig begonnen hatten. Beide waren Realschüler gewesen und hatten bei der Bundeswehr das Abitur nachgeholt. Danach hatte Christian Wolf bei der Kripo gearbeitet, sein Kollege Uwe Bergold bei der Flugsicherung der Bundeswehr. Als man ihnen nach ihrem BWL-Studium anbot, zusammen nach Frankfurt zu gehen, hätten sie abgelehnt, erzählten sie, weil sie sich von keiner Unternehmenskultur und keiner Gruppendynamik den Eigensinn austreiben lassen wollten. Außerdem liebten sie ihre Heimat, sagten sie. Freunde, Natur, Familie - das sei es doch, was am Ende zähle. Ich sah aus dem Fenster ihres ebenerdigen Büros. Mit Blick auf Felder und Wälder und einem netten Sparkassendirektor im Rücken, dachte ich, konnte man offenbar weitsichtigere Entscheidungen treffen als in einem Bankhochhaus in Frankfurt.
Ich offenbarte, dass ich 40 000 Euro besitze, aus denen ich möglichst bald eine sechsstellige Summe machen wolle. Zu meiner Überraschung sprachen sie zunächst von Risikoklassen, Diversifikation, Anlagehorizont, von den drei Säulen jedes Portfolios. Sie verstünden mich nicht, sagte ich, ich wolle wirklich alles auf eine Karte setzen. Mein Job sei sicher, und das Risiko, alles zu verlieren, nähme ich in Kauf gegen die Chance, viel zu gewinnen.
Sie erläuterten geduldig, dass sie verpflichtet seien, ihren Anlegern ein gemischtes Portfolio zu empfehlen.
»Ich will nicht, dass Sie mir erzählen, was Sie mir erzählen müssen«, sagte ich, »ich will, dass Sie mir erzählen, was Sie für richtig halten. Mal angenommen, ich würde Sie fragen, wie Sie Ihr Geld angelegt haben …«
Bergold ging grinsend zu seiner Schrankwand. Dahinter befand sich ein Tresor von der Größe eines kleinen Kühlschranks. Drinnen lagen Goldbarren und flache Platinplättchen, Silbermünzen und etwas, das mir als Palladium vorgestellt wurde. Die meisten hier hätten ihr Geld so angelegt, erzählten sie, sogar die älteren Mitarbeiter der Abteilung »Geldanlage«, die ein Dasein als brave Bankberater gefristet hatten, bevor sie, Bergold und Wolf, die Truppe wachgerüttelt hätten. Der Lehrling betrat den Raum. Er warf einen wissenden Blick auf die Metallberge und bestätigte mir mit roten Ohren, dass auch er …
Sie kamen mir vor wie eine Sekte. Sie glaubten, dass bald Inflation und Wirtschaftkrisen die Welt heimsuchen würden, dass Banken und Währungen wanken und Kleinanleger um ihr Geld gebracht würden. Ich wusste nicht, ob es wirklich Grund für derartigen Pessimismus gab, mir gefiel einfach das Bayerische, Dickköpfige, ihre Wut über die »drom in Frankfurt« und »drim in Minga«, und ich dachte, dass sie damit weiter kommen würden als die servilen Bankberater, denen ich bis dahin begegnet war. Und falls sich irgendwann herausstellen würde, dass wir uns gemeinsam in einen Wahn reingesteigert hatten, dachte ich, dann hätte ich auf dem Weg in den Ruin zumindest eine Menge Spaß gehabt. Ich war bereit, in die Sekte einzutreten.
Ich mietete mir danach ein Schließfach bei den Vereinigten Sparkassen Eschenbach in der Oberpfalz, Neustadt an der Waldnaab, Vohenstauß. Ich kaufte Gold, Silber, Palladium und Platin. Den Schlüssel für mein Schließfach übergaben sie mir mit der Warnung, dass es auch schon Zeiten gegeben habe, in denen Staaten den Privatbesitz von Gold verboten hätten. Ich fand die Andeutung abwegig, aber interessant. Und so senkte ich schließlich an jenem Hochsommertag im August 2004 meine gesamten Ersparnisse in Form von Edelmetallen in die Tresore der Vereinigten Sparkassen. Wobei meine kleine Anspielung auf 1929 eher ein ironischer Scherz war.
 
 
Als ich später wieder im Regionalzug Richtung Nürnberg saß, fühlte sich die Welt ein wenig anders an. Ich war nicht mehr nur Zuschauerin. Wenn die Amerikaner morgen beschlossen, Fort Knox um ein paar Tonnen Gold zu erleichtern und diese auf den Markt zu werfen, dann würde der Goldpreis zusammenbrechen, und ich wäre plötzlich nur noch die Hälfte wert. Ich wurde sogar ein bisschen nervös. Ein Ausdruck fiel mir ein, den ich manchmal von Amerikanerinnen gehört habe: dass sie bereits so viel in eine Beziehung investiert hätten. Ich hatte das immer sehr nüchtern gefunden. Jedes Mal, wenn eine Frau das Wort »investiert« in diesem Zusammenhang gebrauchte, und meistens gebrauchte sie es, um zu klagen, spürte ich einen Widerwillen: Wie konnte man die Liebe mit so etwas Profanem wie einer Geldanlage vergleichen? Im Zug nach Berlin spürte ich nun zum ersten Mal, dass Investieren kein buchhalterischkühler, sondern ein sehr emotionaler Vorgang ist. Ähnlich wie in einer Beziehung macht man sein Leben, oder einen wichtigen Teil davon, von einem Faktor abhängig, dessen Entwicklung nicht der eigenen Kontrolle unterliegt. Im Grunde kann immer alles passieren, beim Geld und in der Liebe. Beides kann einem den Rücken stärken oder nur Kummer machen, und es ist nicht leicht zu verstehen, ob eine Krise nur ein Zwischentief ist oder ob der Zeitpunkt gekommen ist, den Tatsachen ins Auge zu blicken und, wie es in der Börsensprache heißt, seine Verluste zu realisieren. Ich bin investiert, heißt es im Englischen. Und das ist die wichtigste Analogie zur Liebe: Wer investiert, tut dies als ganze Person.
 
 
Der Goldpreis stieg. Bald öffnete ich meine Zahlenpost in derselben freudigen Erwartung, in der man Liebesbriefe öffnet. Nach wenigen Monaten war ich so weit, dass ich mich, wann immer ich schlechte Laune hatte oder etwas anderes in meinem Leben sich nicht zu meiner Zufriedenheit entwickelte, an den Edelmetallpreisen wärmte. Ich glaube, so werden die meisten Leute zu Spekulanten: weil sie entdecken, dass sie ihre tägliche Dosis Dopamin auch von einem Blick in ihr Portfolio kriegen können. Und der Goldpreis hörte nicht mehr auf zu steigen. Mit der Zeit fing ich an, mich für die Gründe zu interessieren. Ich stellte fest, dass das Gold immer dann gefragt war, wenn in der Welt irgendeine Krise ausbrach. Wenn im Nahen Osten ein Politiker umgebracht wurde, zuckte der Kurs. Ging irgendwo auf der Welt eine Pipeline kaputt, drohte irgendein Diktator mit der Atombombe, war ich auf dem Papier wieder ein bisschen reicher. Die Leute wollten Gold, wenn der Krieg im Irak auszuufern drohte, wenn Amerika Schulden machte und der Dollar schwächelte, sein Wert stieg mit dem Ölpreis, mit dem neuen Reichtum der Inder und Chinesen, die ihre Ersparnisse traditionell in Schmuck anlegen. Gold, so lernte ich bald, war keine Anlage im klassischen Sinne wie eine Aktie, mit der man sich am Erfolg eines Unternehmens beteiligte, sondern eine Art Ersatzwährung, in die die Leute flohen, wenn sie das Vertrauen ins Papiergeld verloren. In der New York Times las ich, dass in London der Kurs von Gold um 25 Prozent nach oben ging, als Napoleon 1815 aus Elba floh und England ein Krieg drohte. Und nachdem er in Waterloo besiegt worden war, beruhigte sich auch der Goldpreis wieder.
 
Dann hatte ich selbst eine Krise: In meinem Büro gab es Umstrukturierungen. Mein Ressort richtete sich neu aus. Meine Geschichten waren nicht mehr so gefragt. Ich dachte darüber nach, wie lange ich selbst noch gefragt sein würde und wie weit meine Ersparnisse mich eigentlich tragen würden. Es gab in dieser Zeit vor allem eine Idee, die mich beruhigte: dass ich irgendwann einmal so viel Geld hätte, dass ich davon leben könnte, Geld, das mich unabhängiger von einer Angestelltenexistenz machen würde, deren Fragilität mir plötzlich bewusst geworden war. Ich beantragte und bekam eine Auszeit und nahm mir vor, dass ich ein Jahr lang nichts anderes tun würde, als das Spekulieren zu lernen und darüber zu schreiben. Und ich beschloss, mir ein Ziel zu setzen: Ich würde versuchen, einen bestimmten Betrag - 10 000 Euro - innerhalb von zwölf Monaten zu verdoppeln.
Ich würde mich in die riskante Welt der Termingeschäfte begeben, in der man seinen Einsatz innerhalb von Tagen verlieren oder vervielfachen kann, und vielleicht würde ich an der Rohstoffbörse von Chicago mit Schweinehälften mein Glück probieren. Ich würde Märkte, Messen, Aktienbörsen besuchen. Ich würde die Welt durchkämmen und mich dabei nur von einem Prinzip leiten lassen: der Gewinnmaximierung. Gab es einen besseren Kompass durch die wilde Welt des Kapitalismus als das Streben nach Profit?
Und wenn ich schließlich gewonnen hätte oder alles verloren, würde ich versuchen, einen Termin beim alten George Soros zu kriegen - dem berühmtesten aller lebenden Spekulanten, einem kleinen Mann mit strubbeligen Haaren und einem lieben Lächeln, das mir immer ein wenig zu harmlos erschienen war angesichts der Milliarden, die er in seinem Leben gemacht hatte. Ich würde ihn fragen, ob Geld sein Versprechen eigentlich hält, auf Sicherheit, Unabhängigkeit, wenn nicht auf Glück.
Zwar zeichnete sich 2008 so etwas wie eine Bankenkrise ab, in Deutschland waren ein paar regionale Kreditinstitute in Schwierigkeiten geraten, aber das schreckte mich wenig. Im Gegenteil. Hatten die Bayern nicht schon vor Jahren davon gesprochen? Als Goldinvestorin war ich auf Krisen nicht nur vorbereitet, sondern würde vermutlich sogar davon profitieren können. Das mag unsympathisch klingen, erschien mir aber immerhin nicht unmoralisch. Ich hatte nicht zur Krise beigetragen, und es gab keinen Grund, meine Ersparnisse zu verlieren, nur weil andere ihre Ersparnisse verloren.
Es war Februar. Und eine Kleinanlegerin lief pfeifend durch Berlin, ein Countrystück von Willie Nelson auf den Lippen.
 
Depending on the soil and the seasonYou can plant a seedAnd you can watch it growBut you can’t have a guaranteeCause everything that ought to beAin’t necessarily so
3 Soros, Kostolany & ich
Glaubte ich tatsächlich daran, dass es mir gelingen würde, mein Geld zu verdoppeln? War ich vielleicht sogar ein wenig übermütig? Mir meiner Sache ziemlich sicher?
Ja, ja, ja!
Die Erfolge der letzten Jahre hatten mir Selbstvertrauen gegeben. Während professionelle Vermögensverwalter im Jahr selten mehr als zehn Prozent erzielen, hatte mein Schatzkästlein sich in vier Jahren im Wert nahezu verdoppelt und somit eine Durchschnittsrendite von 25 Prozent im Jahr eingebracht.
Dass ich dafür auch ein sehr viel höheres Risiko eingegangen war als die meisten Vermögensverwalter, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Alles, was ich sehen konnte, war die Tatsache, dass ich fast 40 000 Euro verdient hatte, ohne dafür zu arbeiten. Der sensationelle Höhenflug des Goldes war von den Finanzteilen auf die Titelseiten gewandert, und nicht nur Finanzexperten nickten anerkennend, wenn ich erwähnte, dass ich bereits bei einem Preis von 380 Dollar pro Feinunze »in Gold gegangen« sei. Immer öfter wurde ich nun von überforderten Kleinstanlegern - Freunden, Kollegen, Verwandten - gebeten, ihnen einen Tipp zu geben. Ich erklärte bereitwillig, dass ich Gold empfehlen würde, weil sein Preis weiter steigen würde, ja müsse: die Menschen würden zunehmend das Vertrauen in die Stabilität von Dollar oder Euro verlieren und ins Gold fliehen, die älteste Währung der Welt. Während »Papiergeld«, wie ich es mittlerweile abschätzig nannte, hoffnungslos »inflationiert« sei und demnächst zusammenbrechen würde.
»Woher weißt du das?«, wurde ich gefragt.
Um das zu erfahren, musste man eigentlich nur die Goldseiten lesen, das Internetforum der Edelmetallgemeinde. Dort erfuhr man, dass Alan Greenspan, der Präsident der amerikanischen Zentralbank, in den langen Jahren seiner Regentschaft immer mehr Dollar in Umlauf gebracht hatte, indem er, bei jeder drohenden Krise, den Leitzinssatz gesenkt hatte. Wenn das Geld billiger zu leihen ist, besorgen sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank immer mehr davon und stecken es in Güter und Anlagen, deren Preis daraufhin steigt. Somit sinkt die Kaufkraft des Geldes, bis irgendwann ein böses Wort ins Spiel kommt: Inflation. Und wenn die Leute dem Wert des Geldes nicht mehr trauen, kaufen sie Gold, das von keinem Herrscher der Welt beliebig vermehrt werden kann, auch wenn im Lauf der Jahrhunderte viele davon geträumt haben, Stroh zu Gold zu spinnen.
Dies ungefähr war, in Kurzfassung, meine Erklärung für den Höhenflug meiner Anlage, und weil das böse I-Wort mittlerweile auch außerhalb der Wirtschaftsteile auftauchte, weil in diesem Winter Lebensmittel und Benzin stark im Preis gestiegen waren, schienen das alle einleuchtend zu finden.
In der U-Bahn wurde ich von einem gut gekleideten Libanesen angesprochen, weil ich den Wirtschaftsteil der FAZ vor der Nase hatte. »Ein’ Frau liest Bös’kus’«, sagte er in gestelztem Charmeur-Französisch. »Man sieht so selten. Darf isch fragen, welche Aktie Sie mir empfehlen würden?« Mir war klar, dass die Frage nicht ganz ernst gemeint war, aber dennoch löste sie bei mir einen zehnminütigen Vortrag aus, der davon handelte, dass es überhaupt keinen Sinn habe, sich für einzelne Aktien zu interessieren, da wir in einer Zeit lebten, die vergleichbar sei mit der Weimarer Republik, dass wir uns am Vorabend einer Währungskrise befänden, einer Weltwirtschaftkrise, mit fürchterlichen Folgen, volkswirtschaftlich, politisch. Er starrte mich erschrocken an. Ich konnte nicht anders: Ich war längst Mitglied einer esoterischen Glaubensgemeinschaft geworden, weil ich seit Jahren nur deren Argumente las. Was immer mir die beiden Bayern erzählten, tauchte ein, zwei Jahre später in den Zeitungen auf. Ich hielt sie zwar nicht für Wahrsager, aber doch für sehr kluge und unabhängige Köpfe, und es war mir wichtig, dass mehr Menschen von ihren düsteren Prophezeiungen erfuhren, um ihre Ersparnisse vielleicht in Sicherheit bringen zu können. Gerade Menschen, die so ahnungslos waren wie dieser Libanese. Am Bahnhof Zoo verließ er hastig den Waggon, natürlich ohne nach meiner Telefonnummer zu fragen.
 
Machte es mich nicht stutzig, dass ich mir einerseits sicher war, wie es mit der Weltwirtschaft weitergehen würde, aber gleichzeitig beim Zeitunglesen sofort an Grundbegriffen wie »Marktkapitalisierung« oder »Kurs-Gewinn-Verhältnis« hängen blieb? Sah ich keinen Widerspruch darin, an der Börse spekulieren zu wollen, obwohl ich gerade mal die Vokabeln »Bärenmarkt« und »Bullenmarkt« auseinanderhalten konnte? Dass ich immer noch eine Eselsbrücke brauchte (Bär > Berlin > arm), um mich zu erinnern, dass ein Bärenmarkt ein sinkender, ein Bullenmarkt hingegen ein aufstrebender Markt war?
Non, Monsieur.
Im Gegenteil. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass mein Erfolg kein Zufall gewesen war. Hatte ich nicht perfekte Voraussetzungen, um erfolgreicher zu spekulieren als andere, um, wie man sagt, den Markt zu schlagen? Als Journalistin habe ich Zugang zu Experten, ich besitze eine gute Menschenkenntnis und bilde mir ein, Blender von klugen Leuten unterscheiden zu können. Ich war immer gut in Mathe gewesen; ich hatte sogar ein Wirtschaftsgymnasium besucht. Ich war risikobereit, aber nicht geldgierig. Und ich hatte zwei bayerische Wirtschaftsweise an meiner Seite.
Irritierte es mich nicht, dass alle seriösen Vermögensberater sagen, man könne sich glücklich schätzen, wenn man im Jahr eine Rendite von sechs bis acht Prozent erziele? Nein. Das mochte sicher für die meisten Menschen zutreffen, aber wahr ist auch, dass es auf der Welt immer wieder Einzelne gegeben hat, die ihr Kapital in kurzer Zeit vervielfacht haben, Finanzgenies, Jahrhundertspekulanten, Männer wie Warren Buffett oder André Kostolany oder George Soros, die durch kluge Investitionen zu Milliardären wurden. Kostolany und Soros hatten es mir besonders angetan. Mit Warren Buffetts kreuzbraver Strategie des »Value Investing«, dem Entdecken von Einzelaktien, deren Wert höher ist als ihr Preis, die also vom Markt unterschätzt werden und deshalb billig zu kaufen sind, konnte ich wenig anfangen. Ich kann keine Bilanzen lesen, und mir fehlte die Motivation, mich in das Klein-Klein der Finanzkennzahlen einzuarbeiten. Das große Ganze war es, was mich interessierte.
Inspiriert durch meine bayerischen Freunde, hatte ich mir ein Buch von Kostolany gekauft. Begeistert las ich, wie der alte Ungar zeitweise sogar einen »Sitz« (was immer man sich genau darunter vorstellen musste) an der legendären Getreidebörse von Chicago innegehabt hatte. Oder wie er nach dem Zusammenbruch des Kommunismus als Einziger auf die Idee gekommen war, sich zu Ramschpreisen mit russischen Staatsanleihen aus der Zarenzeit einzudecken. Staatsanleihen sind die Papiere, mit denen ein Land sich bei Anlegern Geld besorgt, also Kredit aufnimmt. Je höher das Ausfallrisiko, desto höher auch die Zinsen, die der Gläubiger bekommt. Allerdings wurden Anleihen im Lauf der Geschichte fast immer zurückbezahlt, bis auf ganz wenige Ausnahmen, und zu diesen gehörten jene Forderungen gegen den Zaren, die Kostolany in großen Mengen aufkaufte, nachdem in Moskau Gorbatschow an die Macht gekommen war. Die Idee war folgende: Lenin hatte die Zahlungsverpflichtungen des Zaren 1918 annulliert, und Kostolany spekulierte nun darauf, dass Gorbatschow gezwungen sein würde, die alten Schulden zu begleichen, wollte er sich im Ausland frisches Kapital leihen. 1989 kaufte der alte Herr die historischen Papiere, die unter der Bezeichung »Non-Valeurs« an der Börse gehandelt werden, zu fünf Franc das Stück. Und siehe da: 1996 bezahlte Russland seine Schulden tatsächlich - mit 20 000 Francs pro Anleihe. »Zurückgezahlt wird in vier Raten« schreibt Kostolany, der damals schon über achtzig war, in seinem Buch. »Zwei haben die Russen schon bezahlt. Jedes Mal feiere ich mit Kaviar und einem Schluck Wodka.« Die Geschichte gefiel mir, und wenig erschien mir in diesen Tagen aufregender als der Satz, den Kostolany am Ende seines Lebens über sich äußerte: »Seit 1924 gab es keine Nacht, in der ich nicht ein Börsenengagement gehabt hätte«.
Beim Einlesen in mein neues Fachgebiet stach mir noch ein anderer Ungar ins Auge: George Soros war reich und berühmt geworden mit seiner »Wette gegen die Bank of England«, mit der er 1992 auf eine »Abwertung des englischen Pfunds« spekuliert hatte. Ich verstand zwar nicht bis ins letzte Detail, was damit gemeint war oder was ich hätte tun müssen, sollte ich mich entschließen, demnächst auf eine Abwertung oder Aufwertung einer Währung zu setzen. Aber Sätze wie diese machten mich ein wenig beschwippst, sie ließen vor meinem inneren Auge ein Wunderland aufscheinen, durch das der Spekulant in Siebenmeilenstiefeln schreitet, durch Raum und Zeit, von den Weizenfeldern des Mittleren Westens zu den Goldminen Afrikas und den aufstrebenden Märkten Asiens. Profit schlagend aus den Präsidentschaftswahlen, aus einem Unwetter in Asien, aus einer kritischen Andeutung des chinesischen Finanzministers über den Dollar. So wollte ich auch sein. Es erschien mir jedenfalls verlockender, als mich von einem Bankberater über steuerliche Begünstigungen zur Riester-Rente aufklären zu lassen. Und ganz offensichtlich brachte es auch mehr Geld.
Außerdem hatten weder Kostolany noch Soros ihr Vermögen durch das Berechnen von Steuervorteilen gemacht. In ihren Büchern war von Ideen die Rede, selten von Zahlen. Mit Zahlen schienen die wirklich großen Spekulanten nicht viel am Hut zu haben. Als Angestellter in der Buchhaltung einer Londoner Bank, las ich, wurde der junge Soros bald gefeuert. Später klagte er: »Ich musste Fremdwährungen per Hand im Wege der doppelten Buchführung eintragen, am Abend stimmten die Summen im Soll und Haben nicht überein.«
Das hätte mir auch passieren können.
Ich weiß, es klingt größenwahnsinnig, aber mich streifte tatsächlich der Gedanke, dass es vielleicht kein Zufall war, dass Soros, Kostolany und ich ursprünglich nicht aus der Bankbranche kamen. Kostolany hatte Kunstgeschichte studiert, Soros Philosophie. Letzterer beharrte in jedem seiner Bücher und Interviews darauf, dass er seine Milliarden im Grunde der philosophischen Idee der »Reflexivität« zu verdanken habe, bei der es, wenn ich es richtig verstand, darum geht, dass Menschen die Welt nicht objektiv betrachten können, weil sie sie mit ihrem Urteil gleichzeitig verändern. Nicht dass ich seine Theorie zu diesem Zeitpunkt vollumfänglich begriffen hätte. Aber was bei mir ankam, war, dass es offenbar eine philosophische Idee war, mit der Soros reich geworden war, und das machte mir Mut: Vielleicht sehen Geistesmenschen wie wir die Dinge ja klarer, dachte ich, als ein von seiner Krawatte strangulierter Banker.
Ich selbst hatte Germanistik und Ethnologie studiert und war als Magazinjournalistin darin geübt, nach Themen zu suchen, die in einigen Wochen oder Monaten von Bedeutung sein könnten. Bestimmt ließe sich dieses Training auch auf die
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