Wie mit Gabeln aufs Wasser geschrieben - Michail Sostschenko - E-Book + Hörbuch

Wie mit Gabeln aufs Wasser geschrieben E-Book und Hörbuch

Michail Sostschenko

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Beschreibung

Der Band enthält in einer Auswahl Sostschenkos satirische Texte von den zwanziger Jahren bis zum Kriegsbeginn in Russland 1941. Der Übersetzer und Sostschenko-Kenner Thomas Reschke hat für diesen Band eine repräsentative Auswahl aus dem umfangreichen Œuvre des Autors getroffen. Der sozialistische Alltag mit seinen Zumutungen und Absurditäten bot dem Autor reichlich Stoff. Sei es ein Klinikaufenthalt, der zum Albtraum wird, die schwierige Wohnungssuche, Warenknappheit, Liebeshändel oder kleine Gaunereien, Sostschenko ist nichts Menschliches fremd. Der Leser weiß oft nicht, ob er weinen oder lachen soll. Am besten beides gleichzeitig!

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Seitenzahl: 247

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Zeit:4 Std. 2 min

Sprecher:Boris Mattérn

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Michail SostschenkoWie mit Gabeln aufs Wasser geschrieben

Erzählungen

Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Thomas Reschke

persona verlag

Über dieses Buch

Der Band enthält in einer Auswahl Sostschenkos satirische Texte von den zwanziger Jahren bis zum Kriegsbeginn in Russland 1941. Der Übersetzer und Sostschenko-Kenner Thomas Reschke hat für diesen Band eine repräsentative Auswahl aus dem umfangreichen Œuvre des Autors getroffen. Der sozialistische Alltag mit seinen Zumutungen und Absurditäten bot dem Autor reichlich Stoff. Sei es ein Klinikaufenthalt, der zum Albtraum wird, die schwierige Wohnungssuche, Warenknappheit, Liebeshändel oder kleine Gaunereien – Sostschenko ist nichts Menschliches fremd. Der Leser weiß oft nicht, ob er weinen oder lachen soll. Am besten beides gleichzeitig!

»Er war der Buster Keaton der sowjetrussischen Literatur … ein Virtuose der alltäglichen Verzweiflung … der beste Satiriker der Sowjetzeit … Seine Schilderungen von Spekulantentum, Behördenschikane, Schlamperei und Sowjet-Spießertum trafen ins Schwarze der neuen Verhältnisse. Er schaute dem Normalbürger aufs Maul und fixierte dessen Pannen und Peinlichkeiten im Schlamassel der postrevolutionären Realität … Sostschenkos Geheimnis war es, offen zu lassen, ob er allgemein menschliche Unzulänglichkeiten im Visier hatte oder ein völlig untaugliches politisches System … Reschke handhabt den mündlichen Redestil des von Sostschenko vorgeschobenen ›mäßig intelligenten‹ Erzählers mit Bravour, verballhornt äußerst gekonnt Wörter und Stilebenen und panscht die oft nur scheinbar banalen Mitteilungen mit albernen Füllwörtern und Leerlaufphrasen. Aber unter dem Wörterwust sitzt der prächtige Stachel.« (Ralph Dutli, Neue Zürcher Zeitung)

»Herzzerreißende Geschichten!« (Elke Heidenreich, Lesen!)

»Sostschenko lesen heißt nicht nur ein Stück sowjetischer Geschichte, sondern sich selbst zu entdecken.« (Andreas Jüngling, Kritische Ausgabe, Bonn)

Der Autor

Michail Sostschenko (1895–1958) ist weltweit einer der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts. In unzähligen Satiren hat er sich mit den Folgen der russischen Revolution für die kleinen Leute auseinandergesetzt. Ab Mitte der vierziger Jahre machte ihm eine Hetzkampagne das Leben schwer und Veröffentlichungen unmöglich. Sostschenko starb in Sestrorezk in der Nähe seiner Heimatstadt St. Petersburg.

Die Übersetzer

Thomas Reschke ist einer der bekanntesten Russisch-Übersetzer. Für seine Übersetzungen erhielt er mehrfach Preise. Unter anderem übertrug die Werke von Michail Bulgakow, Boris Pasternak, Ilf & Petrow sowie Eduard Kotschergin.

Inhalt

Die AristokratinDer Agitator (Die Kuh im Propeller)Die HundenaseWirtschaftliche RechnungsführungDer PapageiDer Vorfall in der ProvinzDie OperationPuschkinBehördengetrödelPelagejaSpinnengewebeSchlechte VerpackungMan soll nicht spekulierenVom Mond gekommenWasserspieleBienen und MenschenErzählung vom PopenDas UnglückEin Opfer der RevolutionDas GlasDas BadDer SchauspielerDer ArbeitsanzugDer PassagierDer HeilerDamenkummerDie Reize der KulturGästeDer SchnörkelDie MützeDas FliegenWas ich für Berufe hatteDie FalleEine KrankheitsgeschichtePuschkins hundertster TodestagSchlaf schneller, GenosseDas FotoEin kleiner Vorfall aus meinem PrivatlebenEin hochzeitliches VorkommnisEin spaßiges AbenteuerDas NamenstagskindGeschichte von einem unruhigen alten Manne

Mein Sostschenko – Nachwort von Thomas Reschke

Impressum

Die Aristokratin

Grigori Iwanowitsch seufzte laut, fuhr sich mit dem Ärmel übers Kinn und erzählte:

»Liebe Leute, ich mach mir nichts aus Weibern, die mit Hut rumrennen. Wenn ein Weib mit Hut rumrennt, Kunstseidenstrümpfe trägt, einen Goldzahn hat oder einen Mops im Arm, eine solche feine Dame ist für mich keine Frau, sondern ein leerer Fleck.

Natürlich hab ich seinerzeit auch mal für eine Aristokratin geschwärmt. Spazieren bin ich mit ihr gegangen, und ins Theater hab ich sie geführt. Im Theater ist es dann passiert. Im Theater hat sie ihre Ideologie in vollem Ausmaß entfaltet.

Kennengelernt hab ich sie bei uns im Hof. Auf einer Versammlung. Ich kucke, da steht so eine vornehme Person. Strümpfe, Goldzahn.

›Von wo‹, sag ich, ›bist du, Bürgerin? Aus welcher Wohnung?‹

›Ich‹, sagt sie, ›bin aus der sieben.‹

›Bitte schön‹, sag ich, ›da wohnen Sie man weiter.‹

Sie hat mir sofort schrecklich gut gefallen. Ich fing an, sie zu besuchen. In Wohnung sieben. Als offizielle Person bin ich hin. So und so, Bürgerin, ist die Wasserleitung kaputt und die Toilette? Oder geht sie?

›Ja‹, antwortet sie, ›sie geht.‹

Dabei wickelt sie sich in ihr Baumwolltuch und sagt keinen Ton weiter. Aber wenn Blicke schneiden könnten, hätt ich Glatze. Und ihr Zahn funkelt im Mund. Einen Monat lang hab ich sie täglich besucht, und sie hat sich an mich gewöhnt. Hat mir schon ausführlicher geantwortet. So und so, die Wasserleitung geht, vielen Dank, Grigori Iwanowitsch.

Doch es kommt noch besser. Wir fingen an, in den Straßen spazieren zu gehen. Kaum waren wir draußen, da befahl sie mir, ich soll sie unterfassen. Ich nahm sie also beim Arm und zerrte sie hinter mir her wie einen Hecht. Bloß dass ich nicht gewusst hab, was ich mit ihr reden soll. Und vor den Leuten war’s mir peinlich.

Na, und einmal sagt sie zu mir:

›Wozu‹, sagt sie, ›führen Sie mich immer bloß durch die Straßen? Mir dreht sich schon alles im Kopf. Als Kavalier‹, sagt sie, ›und als Machthaber könnten Sie mich zum Beispiel mal ins Theater führen.‹

›Das geht‹, sag ich.

Es traf sich, dass die Komsomolzelle [*] am nächsten Tag Opernkarten schickte. Ich bekam eine, und die andere hat mir Waska abgetreten, der Schlosser.

Ich hab die Billetts nicht näher angekuckt, dabei gehörten sie nicht zusammen. Meins war für unten und Waskas für ganz oben.

Wir also hin. Haben uns ins Theater gesetzt. Sie auf meine Karte, ich auf Waskas. Ich sitze auf dem höchsten Olymp und sehe nicht die Bohne. Wenn ich mich über die Barriere beuge, kann ich sie erkennen. Allerdings schlecht.

Ich hab mich rechtschaffen gelangweilt und bin runter. Da war grade Pause. Sie geht auch in der Pause spazieren.

›Guten Tag‹, sag ich.

›Guten Tag.‹

›Interessant‹, sag ich, ›ob hier die Wasserleitung geht?‹

›Ich weiß auch nicht‹, sagt sie.

Dabei spaziert sie in den Erfrischungsraum. Ich hinterher. Sie spaziert an der Theke lang und kuckt nach den Auslagen. In der Auslage steht eine Schüssel. In der Schüssel sind Törtchen.

Ich scharwenzle wie ein Gänserich um sie herum, wie ein Burshui [**], der der Schlachtung entgangen ist, und mache ihr den Vorschlag:

›Wenn Sie‹, sag ich, ›Lust haben, ein Törtchen zu essen, dann genieren Sie sich nicht. Ich bezahl’s.‹

›Merci‹, sagt sie.

Und plötzlich geht sie mit unzüchtigem Gang zu der Schüssel, greift sich – schnapp – ein Kremtörtchen und frisst.

Was ich aber an Geld bei mir hab, das trägt die Katz auf dem Schwanz weg. Höchstens reicht es für drei Törtchen. Sie speist, und ich krame voller Unruhe in den Taschen und sehe mit den Händen nach, wie viel Geld ich hab. Es ist lächerlich wenig.

Sie hat ihr Kremtörtchen verdrückt und greift sich – schnapp – das nächste. Mir kommt’s schon beim Zusehen hoch. Doch ich sage nichts. So eine Art bourgeoise Schamhaftigkeit hat mich gepackt. Als Kavalier, und dann nicht bei Kasse.

Wie ein Hahn tripple ich um sie herum; sie lacht und lauert auf Komplimente.

Ich sag:

›Ob wir uns wieder ins Theater setzen? Vielleicht hat es schon geläutet.‹

›Nein‹, sagt sie.

Und greift sich das dritte.

Ich sag:

›Ist das nicht zu viel auf nüchternen Magen? Vielleicht müssen Sie dann brechen.‹

Und sie:

›Nein‹, sagt sie, ›ich vertrag’s.‹

Und greift sich das vierte.

Da steigt mir das Blut in den Kopf.

›Los‹, sag ich, ›pack’s wieder hinten rein!‹

Sie kriegt einen Schreck. Macht den Mund auf, und im Mund funkelt der Goldzahn.

Ich fühl mich wie ein Gaul, dem der Zügel untern Schwanz geraten ist. Ganz egal, denk ich, geh ich eben nicht mehr mit ihr spazieren.

›Pack’s hinten rein‹, sag ich, ›Gottverdammich!‹

Sie legt es zurück. Ich sag zum Wirt:

›Was kriegen Sie für die drei gegessenen Törtchen?‹

Der Wirt verhält sich indifferent, stellt sich dumm.

›Ich krieg‹, sagt er, ›für die vier gegessenen Törtchen soundso viel.‹

›Wieso‹, sag ich, ›für vier? Wo sich doch das vierte in der Schüssel befindet?‹

›Mitnichten‹, antwortet er, ›wenn es sich auch in der Schüssel befindet, so ist es doch angebissen und mit den Fingern zerknautscht.‹

›Wo‹, sag ich, ›ist es denn angebissen? Ich bitte Sie. Das ist nur Ihre lächerliche Fantasie.‹

Der Wirt aber verhält sich indifferent – er fuchtelt mit den Händen vor seiner Fresse herum.

Na, jetzt strömt natürlich das Volk zusammen. Lauter Experten. Der eine sagt, es ist angebissen; der andre sagt, es ist nicht.

Ich dreh meine Taschen um, dabei fällt natürlich aller mögliche Krempel auf die Erde. Das Volk lacht. Mir ist nicht zum Lachen. Ich zähl mein Geld.

Wie ich’s zusammengerechnet hab, reicht’s man grade für vier Törtchen. Du liebes bisschen, ich hab umsonst Streit angefangen.

Ich bezahle. Spreche zu meiner Dame:

›Essen Sie’s fertig, Bürgerin‹, sag ich. ›Es ist bezahlt.‹

Die Dame rührt sich nicht. Geniert sich fertig zu essen.

Da mengt sich irgendein Onkel ein.

›Gib’s her‹, sagt er, ›ich ess es auf.‹

Und er isst es auf, der Strolch. Für mein Geld.

Wir haben uns wieder ins Theater gesetzt. Die Oper zu Ende angeschaut. Dann nach Hause.

Vor unserm Haus sagt sie in ihrem bourgeoisen Ton zu mir:

›Jetzt langt’s mir mit der Unkultur Ihrerseits. Wenn einer keinen Zaster hat, der soll nich mit Damens rumziehen.‹

Ich sag:

›Geld macht nicht glücklich, Bürgerin. Entschuldigen Sie den Hinweis.‹

So sind wir auseinander gegangen.

Ich mag Aristokratinnen nicht.«

1923

* Komsomol – kommunistischer Jugendverband. Diese und alle weiteren Fußnoten stammen vom Übersetzer.

** Burshui – verballhornt für Bourgeois

Der Agitator (Die Kuh im Propeller)

Der Wächter der Luftfahrtschule, Grigori Kossonossow, fuhr zum Urlaub ins Dorf.

»Wie wär’s, Genosse Kossonossow«, sagten ihm die Freunde vor seiner Abfahrt, »wenn Sie schon hinfahren, könnten Sie doch, na ja, in dem Dorf da bisschen agitieren. Sagen Sie den Bauern, na ja, dass die Luftfahrt sich entwickelt … Vielleicht legen die Bauern zusammen und kaufen ein neues Flugzeug.«

»Da könnt ihr euch drauf verlassen«, sagte Kossonossow, »ich werd schon agitieren. Wenn’s was anderes wär, aber das von der Luftfahrt, keine Sorge, ich sag’s ihnen.«

Als Kossonossow ins Dorf kam, war Herbst. Gleich am Tag seiner Ankunft ging er zum Sowjet [*].

»Also«, sagt er, »ich möcht bisschen agitieren. Wenn ich nun schon aus der Stadt gekommen bin, wird man wohl ’ne Versammlung machen können.«

»Warum nicht«, sagt der Vorsitzende, »schieb ab, und morgen ruf ich die Bauern zusammen.«

Am nächsten Tag bestellte der Vorsitzende die Bauern zum Spritzenhaus. Kossonossow trat vor sie hin, verbeugte sich, und da er’s nicht gewohnt war, zu reden, wurde er verlegen und sprach mit zitternder Stimme.

»Nämlich, das ist so«, sagt er, »die Luftfahrt, Genossen Bauern … Ihr seid natürlich ein ungebildetes Volk, darum werd ich erst von der Dingsda reden, na ja, von der Politik … Hier, sagen wir mal, ist Deutschland, und das hier ist Curzon [**]. Dies ist Russland, hier … und überhaupt …«

»Worüber sprichst du, Lieber?«, fragen die Bauern verständnislos.

»Worüber?«, erwidert Kossonossow gekränkt. »Na, über die Luftfahrt doch. Sie entwickelt sich, die Luftfahrt … Hier liegt Russland, und da liegt China.«

Die Bauern hören finster zu.

»Komm zur Sache!«, schreit einer von hinten.

»Ich bin ja bei der Sache«, sagt Kossonossow. »Ich sprech über die Luftfahrt … Sie entwickelt sich, Genossen Bauern. Nichts dagegen zu sagen. Es ist, wie es ist. Das will ich nicht bestreiten …«

»Unverständlich!«, schreit der Vorsitzende. »Kommen Sie näher zu den Massen, Genosse …«

Kossonossow tritt dichter an die Menge heran, wickelt sich eine Zigarette und fängt von vorne an:

»Nämlich, das ist so, Genossen Bauern … Man baut Fluchzeuge, und hinterher fliegt man damit. Das heißt, durch die Luft. Na ja, manch eins kann sich nicht halten und saust runter. So wie der Genosse Jermilkin. Hoch geflogen − prima, aber dann ist er runtergeplumpst, dass ihm die Därme raushingen …«

»Ist ja auch kein Vogel«, sagen die Bauern.

»Das ist ja meine Rede!« Kossonossow freut sich über die Unterstützung. »Natürlich ist er kein Vogel. Ein Vogel, wenn der runterfällt, dem ist das scheißegal – er schüttelt sich und fliegt weiter. Aber hier, das ist ’ne ganz andre Schose. Ein Pilot, dem ging’s genauso, das war der Genosse Michail Popkow. Er flog los, alles prima und rums! ein Schaden im Motor. Wie der runterkrachte …«

»Na?«, fragen die Bauern.

»Junge, Junge … Und dann ist einer auf’n Baum gefallen. Wie ein kleiner Junge hat er da oben gehangen. Wie einer, der Dummheiten gemacht hat und dann die Angst kriegt – zum Totlachen. Was so alles passiert … Einmal ist bei uns ’ne Kuh in den Propeller gelaufen. Eins-zwei-drei, zackzack, und schon war sie in Stücke. Hier lagen die Hörner, und wo der Bauch war, das konnte man nicht mehr rausfinden. Hunde laufen auch manchmal rein.«

»Pferde auch?«, fragen die Bauern. »Laufen etwa auch Pferde rein, Lieber?«

»Auch Pferde«, sagt Kossonossow. »Das geht ganz einfach.«

»Diese Halunken, dass ihnen die Pest an den Hals fahre«, sagt einer. »Was die sich nicht alles ausdenken! Pferde zerstückeln … Und das, Lieber, entwickelt sich also?«

»Ich sag’s doch«, antwortet Kossonossow, »es entwickelt sich, Genossen Bauern … Und ihr nämlich, ihr könntet deshalb in der Gemeinde sammeln und was spenden.«

»Aber wofür denn, Lieber?«, fragen die Bauern.

»Na, für ein Fluchzeug doch«, sagt Kossonossow.

Die Bauern lachten böse und gingen auseinander.

1923

* Sowjet- Rat (Verwaltungsorgan)

** Gemeint ist die »Curzon-Linie«, eine 1920 vom britischen Außenminister Curzon (1859–1925) vorgeschlagenen Grenzziehung zwischen Sowjetrussland und Polen, etwa auf der Linie Grodno-Brest.

Die Hundenase

Dem Kaufmann Jeremej Babkin wurde sein Waschbärpelz geklaut.

Der Kaufmann Jeremej Babkin jammerte. Na ja, es tat ihm Leid um den Pelz.

»Der Pelz«, sagt er, »war noch sehr gut, liebe Bürger. Ein Jammer. Und wenn’s sonst was kostet, aber den Verbrecher finde ich. In die Fresse spuck ich dem.«

Und Jeremej Babkin entschließt sich, einen polizeilich geschulten Suchhund in Dienst zu nehmen. Kommt da so ein Mann zu ihm, Mütze auf dem Kopf, Wickelgamaschen an den Beinen, und hat einen Hund bei sich. Ein Riesenköter ist das, braun, die Schnauze spitz und unsympathisch.

Der Mann stieß das Hundchen mit der Schnauze auf die Spur neben der Tür, sagte »such« und trat zurück. Der Hund sog schnobernd die Luft ein, blickte über die Menge hin (es hatte sich natürlich allerhand Volk angesammelt), trottete plötzlich zu Oma Fjokla aus Wohnung fünf und beschnupperte ihren Rocksaum.

Die Oma verkroch sich in der Menge. Der Hund blieb ihr am Rock. Die Oma wich zur Seite, der Hund hinterher. Er packte die Oma am Rock und ließ nicht locker.

Da fiel die Oma vor dem Detektiv auf die Knie.

»Ja«, sagt sie, »reingefallen. Ich leugne nicht. Fünf Eimer [*] voll«, sagt sie, »hab ich zum Gären aufgestellt, das stimmt. Der Apparat ist auch da, das ist gewisslich wahr. Das Ganze«, sagt sie, »befindet sich im Badezimmer. Bringen Sie mich zur Miliz.«

Na, die Leute staunten natürlich nicht schlecht.

»Und der Pelz?«, fragen sie.

»Von dem Pelz«, sagt sie, »weiß ich nichts und hab ich keine Ahnung, aber das andere stimmt. Führen Sie mich ab, bestrafen Sie mich.«

Na, die Oma wurde abgeführt.

Wieder stieß der Agent seinen Köter mit der Nase in die Spur, sagte »such« und trat zurück.

Der Köter blickte sich um, sog schnobernd die leere Luft ein und ging plötzlich zu dem Bürger Hausverwalter.

Der Hausverwalter erbleichte und stürzte zu Boden.

»Fesselt mich«, sagt er, »gute Leute, politisch bewusste Bürger. Ich«, sagt er, »hab das Wassergeld eingesammelt, aber ich hab’s für meine eigenen Schrullen ausgegeben.«

Na, die Mieter stürzten sich natürlich auf den Hausverwalter und fesselten ihn. Währenddessen ging der Köter zu einem Bürger aus Wohnung sieben. Zerrte ihn an den Hosen.

Erbleichend warf sich der Bürger vor allem Volk zu Boden.

»Ich bin schuldig«, sagt er, »ich bin schuldig. Ich«, sagt er, »hab mein Geburtsjahr im Arbeitsbuch verändert, das ist wahr. Ich junger Springinsfeld«, sagt er, »müsste in der Armee dienen und das Vaterland verteidigen, stattdessen wohn ich in Wohnung sieben und genieße elektrischen Strom und andere kommunale Dienste. Nehmt mich fest.«

Die Menge war bestürzt.

Was ist das doch, dachte jeder, für ein erstaunlicher Hund!

Der Kaufmann Jeremej Babkin klapperte mit den Augen, blickte in die Runde, holte Geld hervor und gab es dem Detektiv.

»Führe deinen Köter«, sagt er, »dahin, wo der Hundekuchen wächst. Mag der Waschbärpelz verschwunden bleiben. Hol ihn der Hund …«

Der Hund war schon zur Stelle. Er stand vor dem Kaufmann und wedelte mit dem Schwanz.

Der Kaufmann Jeremej Babkin wich verwirrt zur Seite, der Hund hinter ihm her. Ging zu ihm und schnupperte an seinen Galoschen.

Der Kaufmann blökte vor Schreck und erbleichte.

»Wahrlich«, sagt er, »Gott sieht die Wahrheit, wenn’s so ist. Ich«, sagt er, »bin ein Schuft und ein Gauner. Und der Pelz, Brüder«, sagt er, »ist nicht meiner. Den Pelz«, sagt er, »hab ich meinem Bruder abspenstig gemacht. Ich weine und schluchze!«

Da stürzte das Volk nach allen Seiten auseinander. Dem Köter blieb keine Zeit, in der Luft zu wittern, er packte zwei oder drei, die er gerade zu fassen kriegte, und hielt sie fest.

Sie gestanden. Der eine hatte staatliche Gelder beim Kartenspiel verpulvert, der andere seiner Frau das Bügeleisen über den Schädel gehauen, und der Dritte gab etwas zu, was man hier nicht wiederholen kann.

Das Volk hatte sich verlaufen. Der Hof war verödet. Nur der Hund und der Detektiv waren noch da.

Da ging der Hund plötzlich zu dem Detektiv und wedelte mit dem Schwanz. Der Detektiv erbleichte und warf sich vor dem Hund zu Boden.

»Beißen Sie mich«, sagt er, »Bürger Hund. Ich«, sagt er, »bekomme für Ihre Hundeverpflegung 30 Rubel, aber 20 davon nehm ich für mich …«

Was weiter war, weiß ich nicht. Ich hatte mich auch schleunigst verkrümelt.

1923

* Eimer – russisches Flüssigkeitsmaß, ca. 12 Liter

Wirtschaftliche Rechnungsführung

In den Feiertagen lud der Buchhalter Gorjuschkin zum Mittag Gäste ein.

Es waren nicht viele.

Der Hausherr empfing die Gäste im Flur mit einer Art Freudengeheul, half ihnen aus den Pelzen und zerrte sie ins Esszimmer.

»Dies«, stellte er den Gast seiner Frau vor, »dies ist mein bester Freund und Arbeitskollege.«

Dann wies er auf seinen Sohn und sagte:

»Und das, geben Sie Acht, ist mein Lorbass, Ljoschka. Ein schlauer Hund, kann ich Ihnen versichern.«

Ljoschka streckte die Zunge heraus, und der Gast guckte leicht verlegen.

Als alle beisammen waren, bat der Hausherr mit feierlicher Miene zu Tisch.

»Nehmen Sie Platz«, sagte er herzlich. »Nehmen Sie Platz. Lassen Sie es sich schmecken. Ich freue mich sehr. Greifen Sie zu.«

Die Gäste klapperten einträchtig mit den Löffeln.

»Tja«, sagte der Hausherr nach einigem Schweigen, »wissen Sie, alles ist so unverschämt teuer geworden. Egal, was es ist, man kann es sich nicht leisten. Die Rubel hüpfen davon, die Preise hüpfen hinauf.«

»Alles unerschwinglich«, sagte seine Frau und schlang traurig ihre Suppe.

»Und ob«, sagte der Hausherr, »völlig unerschwinglich. Nehmen Sie zum Beispiel so eine Kleinigkeit wie die Suppe. Ein Scheiß. Ein Nichts. Eine Art Wasser. Raten Sie doch mal, was diese Plürre da kostet.«

»Tja«, sagten die Gäste unbestimmt.

»In der Tat«, sagte der Hausherr. »Nehmen wir was anderes, das Salz. Wirklich ein Klacks, eine Winzigkeit, ein Garnichts, aber raten Sie mal, was es kostet.«

»Ja«, sagte der Lorbass Ljoschka und schnitt eine Grimasse, »manche Gäste, wenn die Salz nehmen, da schlackerst du mit den Ohren.«

Ein junger Mann mit Kneifer, der eben seine Suppe nachgesalzen hatte, schob erschrocken den Salzstreuer von seinem Gedeck weg.

»Salzen Sie doch, salzen Sie, mein Bester«, sagte die Hausfrau und schob ihm den Salzstreuer wieder hin.

Die Gäste schwiegen angespannt. Der Hausherr verzehrte genüsslich seine Suppe und blickte seine Gäste gutmütig an.

»Da ist nun das Hauptgericht aufgetragen«, verkündete er lebhaft. »Nehmen wir zum Beispiel das Fleisch, Herrschaften. Gestatten Sie zu fragen – was mag das Fleisch wohl kosten? Na? Wie viel Pfund sind das?«

»Vier Pfund und fünf Achtel«, teilte die Hausfrau betrübt mit.

»Sagen wir fünf, das rechnet sich besser«, sagte der Hausherr. »Na, einen halben Goldrubel das Pfund? Das macht, das macht pro Nase … Wie viel sind wir?«

»Acht«, rechnete Ljoschka aus.

»Acht«, sagte der Hausherr. »Pro Person ein halbes Pfund … Na, mindestens einen viertel Goldrubel pro Nase.«

»Jaa«, sagte Ljoschka beleidigt, »manche Gäste fressen aber das Fleisch mit Mostrich.«

»Richtig«, schrie der Hausherr und brach in gutmütiges Gelächter aus, »das hab ich ganz vergessen – den Mostrich … Nun rechnen Sie den Mostrich noch dazu, außerdem dies, das und jenes. Ein Rubel pro Nase kommt zusammen.«

»Jaa, ein Rubel pro Nase«, sagte Ljoschka, »aber als Pawel Jelissejewitsch mit dem Ellbogen den Spiegel zerschlagen hat, da kam erst was zusammen …«

»Ach ja!«, schrie der Hausherr. »Stellen Sie sich vor, wir hatten Gäste, und der eine zerschlägt das Spiegelglas, ohne Absicht natürlich. Das war ein teures Mittagessen. Wir haben’s spaßeshalber ausgerechnet.«

Der Hausherr versank in Erinnerungen.

»Übrigens«, sagte er, »auch dieses Mittagessen geht ganz schön ins Geld. Das kann man ausrechnen.«

Er nahm einen Bleistift und begann zu rechnen, wobei er alles Gegessene genauestens aufführte. Die Gäste saßen mucksmäuschenstill, nur der junge Mann, der so unvorsichtig seine Suppe nachgesalzen hatte, nahm alle Augenblicke den beschlagenen Kneifer ab und rieb ihn mit der Serviette blank.

»Ja«, sagte endlich der Hausherr, »fünf Rubel und ein paar Zerquetschte pro Nase …«

»Und der Strom?«, sagte die Hausfrau empört. »Und die Feuerung? Und Marjas Hilfe?«

Der Hausherr schlug sich mit der Hand vor die Stirn und lachte.

»Richtig«, sagte er, »Strom, Feuerung, Bedienung … Und die Miete? Ich bitte Sie, Herrschaften, die Miete! Na, acht Personen, vier Quadratsashen … 90 Kopeken je Sashen [*] … Macht am Tag drei Kopeken … Hm … Das muss ich aufschreiben …«

Der junge Mann mit dem Kneifer rutschte auf dem Stuhl hin und her, und plötzlich ging er hinaus in den Flur.

»Wo wollen Sie denn hin?«, rief der Hausherr. »Wo wollen Sie denn hin, mein bester Iwan Semjonowitsch?«

Der Gast gab keine Antwort, er zog ein paar fremde Galoschen an und ging ohne Abschied. Auch die übrigen Gäste liefen auseinander.

Noch lange saß der Hausherr am Tisch, den Bleistift in der Hand, dann erklärte er:

»Eine fünftel Goldkopeke pro Nase.« Das sagte er zu seiner Frau und zu Ljoschka, denn Gäste waren nicht mehr da.

1924

* Sashen – russisches Längenmaß, 2,13 Meter

Der Papagei

Heutzutage, liebe Leute, haben wir doch ein prächtiges Leben. Das Essen ist immerhin gut: Kohlsuppe gibt’s oder was anderes … Fleisch auch. Und manch einem backen die Weiber an Feiertagen vielleicht sogar Piroggen mit Kohl. Eine wahre Pracht ist das!

Bei solcher Kost, liebe Leute, fangen wir an zu vergessen, was Hunger ist. Wir vergessen, was wir früher für Kohldampf hatten.

Und was haben wir damals gehungert, liebe Leute! Das Brot war eine Rarität. Direkt komisch, sich daran zu erinnern.

Übrigens haben nicht alle gehungert, wollen mal sagen. Manche Landleute, das heißt Bauern, haben nicht übel gelebt. Alles hat man ihnen aus der Stadt zugeschleppt: Werkzeug und wertvolle Erzeugnisse und alle möglichen Kostbarkeiten.

Geradezu gedienert haben die Städter vor den Bauern. Unsere Bauern aber, Brüder, sind Spitzbuben, ich sag’s euch gütlich! Ach, und was für Spitzbuben!

Meine Alte, ich muss es euch sagen, ist kokett. Einmal hat sie einen Spiegel aufs Land gebracht, liebe Leute. Ein kleiner Spiegel war’s, aber aus der Nähe konnte man, wollen mal sagen, die ganze Visage sehen. Den hat sie aufs Land gebracht, liebe Leute. Dachte, sie könnte zum Fest ein Pud [*] Mehl nach Hause tragen. Gejammert hat sie noch, die dumme Trine. »Wie soll man«, sagt sie, »so eine Last schleppen.«

Sie kommt also in ein Dorf. Aber Pustekuchen!

Uhren, Spiegel, Klaviere in jedem Haus. Sie aber, entschuldigen Sie den Ausdruck, kommt mit einem kleinen Spiegelchen.

Meine Alte wird also in ein Haus treten – sechs Hühnereier will man ihr geben. Sie ins nächste Haus – wieder sechs Hühnereier. Merkwürdig, denkt sie.

»Was soll ich«, fragt sie, »mit Hühnereiern abziehen? Gebt mir wenigstens Graupen oder bisschen Mehl oder so.«

Sie weigern sich.

»Nein«, sagen sie, »für Spiegel sind Hühnereier unser offizieller Tarif.«

Meine Alte kommt also mit leeren Händen zurück.

Ein Bauer übrigens war scharf auf den Spiegel.

»Ach«, sagt er, »schade, dass es nur so ein kleines Spiegelchen ist. Ich«, sagt er, »würde deinetwegen die Normen verletzen und dir Graupen geben. Aber der Spiegel ist ungeeignet. Ich«, sagt er, »brauche einen, in dem ich auch meine Füße sehen kann.«

Wozu, liebe Leute, muss er seine Füße sehen?

Ach, was ist doch der Bauer für ein Spitzbube!

Einmal bin auch ich losgeschoben. Bis hinter Wologda. Lachen muss ich, wenn ich daran denke. Einen Papagei hatte ich mit. Ich wär um nichts in der Welt losgefahren, aber meine Alte setzte mir zu.

Meine Alte, ich muss es euch sagen, ist kokett – ein Stück Brot mit kleinrussischem Speck schlägt sie um nichts in der Welt aus. Dauernd und dauernd hat sie mir zugesetzt. Fahr doch und fahr doch. Die Nachbarn auch.

»Fahren Sie doch«, sagen sie, »Semjon Semjonytsch. Sie sind ein gesprächiger Mensch und werden die Bauern schon einwickeln.«

Was sollte ich tun? Ich fuhr los.

Vor der Abfahrt gab es allerlei Gespräche. Was man so am besten ins Dorf mitnimmt. Der eine sagt: Nimm Bänder mit und Spitzen. Der andere sagt: Möglichst bunten Kattun. Der Dritte sagt: Nimm Glasperlen mit. Als ob ich zu den Wilden fahren wollte!

Ich ging auf den Trödelmarkt. Ich werde wirklich was kaufen, dachte ich, was sofort ins Auge fällt.

Und so, liebe Leute, hab ich einen Papagei im Käfig gekauft.

Sitzt doch da, stellt euch vor, eine sehr geehrte Dame auf dem Trödelmarkt, vielleicht eine ehemalige Gräfin, und bietet häuslichen Plunder feil. Neben ihr steht ein Käfig, und im Käfig sitzt ein Papagei. Sitzt in einem Ring, schaukelt und kräht auf französisch »scharmant«, was in der Übersetzung so viel heißt wie »liebreizend«.

Und da, liebe Leute, hab ich den Vogel erworben. Damit, hab ich mir gedacht, werd ich das Dorf verblüffen.

Ich hab’s verblüfft, ohne Frage.

In einem geheizten Güterwagen fuhr ich. Rings um mich, das weiß ich noch, gab es Gespräche und Gelächter.

»Wo«, fragt man, »bringst du den Vogel hin? Und wozu?«

»Ich bring ihn«, sag ich, »ins Dorf, will ihn gegen Brot vertauschen. Wie hoch«, sag ich, »stehen in dieser Gegend Papageien im Preis? Was bringen sie? Ich will ihn nicht zu billig abstoßen.«

Man lacht.

»Solche Ware«, sagt man, »ist unbekannt.«

Irgend so ein Kerl bot mir an Ort und Stelle ein halbes Pud Buchweizengrütze für den Vogel, aber darauf bin ich nicht eingegangen.

Ich komme in ein Dorf. Das Volk sammelt sich um mich. Lacht. Auch die Kinder lachen. Necken den Vogel mit Stöckchen. Pusten ihm unters Gefieder.

Na, denk ich, die Ware findet Anklang.

Mit einer Frau komme ich ins Feilschen und bin mir schon beinah mit ihr einig, da erscheint ein Invalide. Aus der Armee.

»Halt«, sagt er, »Leute! Das ist Betrug. Der Papagei ist kein richtiger Papagei. Ein richtiger Papagei schreit: ›Alter Dussel‹, aber dieser«, sagt er, »spricht irgendwie sehr undeutlich.«

Das ganze Geschäft hat er mir vermasselt, der verdammte Invalide. Ein Pud wollte die Frau nur noch geben.

Da bin ich weitergezogen.

Ein Dorf, noch eins – man will nicht. Man lacht, pustet dem Papagei unters Gefieder, will ihn aber nicht. Manche haben Interesse, aber sie sind beleidigt, dass er nicht »Alter Dussel« sagt.

Zwei Tage, liebe Leute, bin ich mit dem Vogel durch die Gegend gezottelt. Ermattet und nass geschwitzt war ich – nicht zu sagen. Jetzt hätt ich ihn schon für ein halbes Pud hergegeben. Doch nicht mal ein halbes Pud mehr bot man.

»Der Vogel«, hieß es, »sieht schlecht aus.«

Das stimmte: Der Vogel war erschöpft. Der lange Weg immerhin, und unters Gefieder hatten sie ihm gepustet, außerdem hatte ich ihn zweimal fallen lassen.

Da gab mir ein alter Mann den Rat, in ein fernes Dorf zu gehen. Hier, sagte er, an der Eisenbahnstrecke, sei das Volk verwöhnt, wisse selber nicht, was es wolle.

Ich schob also los.

Es war ein weiter Weg. Hitze. Staub schlug in die Nase. Ich war über alle Maßen erschöpft. Auch mein Vogel, sah ich, war erschöpft bis zum Gehtnichtmehr. Er war von seinem Ring runtergeklettert, saß unten, guckte mürrisch und pickte auch nicht mehr vom Brot.

Na, dachte ich, wenn der mir man nicht vorzeitig entschläft. Schlecht sieht er aus. Das wär, dachte ich, eine dumme Geschichte.

Ich drückte aufs Tempo, ging schneller und schneller.

Abends komme ich in dem bewussten Dorf an.

»Nun«, sag ich, »reiß dich zusammen, Papagei.«

Ich geh in ein Haus.

»Wird nicht«, sag ich, »ein Papagei gebraucht?«

»Wird«, sagt der Bauer. »Was kommt die Ware? Lass mal sehen.«

Ich will ihm den Papagei weisen, aber da liegt mein Vogel mit dem Bauch nach oben und die Pfötchen auseinander.

Der Bauer ist beleidigt.

»Was denn«, sagt er, »einen krepierten Vogel willst du verscheuern?«

Oh, da wär’n mir bald die Tränen gekommen. Ich kippte den Papagei aus dem Käfig und schmiss den Käfig weg.

Der Bauer lacht mich aus.

»Hör auf«, sagt er, »den Käfig wegzuschmeißen. Ich geb dir sechs Eier dafür.«

Das tat er auch.

»Schade«, sagt er, »dass der Vogel abgekratzt ist. Ich hätt dir vier Pud dafür gegeben. Mir«, sagt er, »gefallen Papageien sehr.«

Am nächsten Morgen ging ich zurück. Seitdem bin ich nie wieder aufs Dorf gefahren.

1923

* Pud – russisches Gewichtsmaß, 16,38 kg

Der Vorfall in der Provinz

Vieles hab ich schon ausprobiert in meinem Leben, aber Zirkusartist war ich noch nie.

Nur ein einziges Mal hat mich das Publikum für einen Verwandlungskünstler gehalten.

Ich weiß nicht, wie es heute ist, aber früher sind solche Verwandlungskünstler durch Russland gereist. Kamen auf die Bühne, verbeugten sich ehrfürchtig vor dem Publikum, verschwanden dann ganz kurz in den Kulissen und erschienen wieder in anderem Kostüm, mit anderer Stimme und in einer anderen Rolle.

Für solch einen Verwandlungskünstler hat man mich einmal gehalten.

Es war 1920 oder 1921.

Das Brot war damals unverschämt teuer.