Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt - Gabriele Eßing - E-Book

Wie Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen wirkt E-Book

Gabriele Eßing

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Beschreibung

Auch körperliche Krankheiten mit Organbefund oder physiologisch nachweisbaren Prozessen hängen mit psychischem Erleben eng zusammen. Deshalb kann Psychotherapie verbreitete Krankheiten wie Herz-, Gelenk-, Magen-Darmbeschwerden, Rheuma und chronische Entzündungen lindernd beeinflussen. Basierend auf Erkenntnissen der Psychoneuroimmunologie erklärt die Autorin, wie sich psychische Vorgänge in körperlichen Prozessen niederschlagen können. Sie beschreibt authentische Krankengeschichten und empfiehlt geeignete Interventionen und Übungen. Das Buch ermutigt PsychotherapeutInnen, Menschen mit körperlichen Erkrankungen zu behandeln. Denn die Bearbeitung psychischer Konflikte kann viel dazu beitragen, den Körper gesund zu erhalten und bestehende Krankheiten zu mildern oder sogar zu beseitigen.

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Gabriele Eßing

Wie Psychotherapie beikörperlichen Erkrankungen wirkt

Leitfaden für die Praxis

Ernst Reinhardt Verlag München

Dipl.-Psych. Gabriele Eßing, Berlin, ist seit mehr als 20 Jahren niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin in eigener Praxis (Verhaltenstherapie, Gesprächspsychotherapie, Traumatherapie EMDR).

Hinweis: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03186-3 (Print)

ISBN 978-3-497-61774-6 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61773-9 (EPUB)

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: © iStock.com/Svetlana Vdovina

Satz: Bernd Burkart; www.form-und-produktion.de

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Warum dieses Buch?

1Körper und Psyche gehen gemeinsame oder getrennte Wege

1.1Wenn Körper und Psyche gleich empfinden

1.2Wenn nur der Körper etwas spürt

1.3Wenn der Körper krank wird

2Wie die Psyche Körperprozesse beeinflusst

2.1Gene können an- und abgeschaltet werden

2.2Das in Alarmbereitschaft versetzte Gehirn

2.3Das gestresste Immunsystem

3Wege in die Erkrankung

3.1Chronische Belastungen

3.2Negative Überzeugungen und innere Glaubenssätze

3.3Bedeutungsvolle Lebenskonflikte

4Behandlung

4.1Psychoedukation

4.2Den inneren Arzt zum Einsatz bringen

4.3Was Vorstellungen und positive Erwartungen bewirken

4.4Den Sinn in der Krankheit suchen

4.5Stabilisierende Körperübungen einsetzen

5Therapiegeschichten

5.1Morbus Sudeck (Komplexes regionales Schmerzsyndrom)

5.2Eine durchlebte Brustkrebserkrankung

5.3Eine koronare Herzerkrankung

5.4Chronischer Rückenschmerz

5.5Rheumatoide Arthritis

5.6Lähmungen der linken Körperseite

5.7Eine chronische Blasenentzündung

5.8Colitis ulcerosa – eine entzündliche Darmerkrankung

Schlussbemerkungen

Literatur

Sachregister

„Die einen Unterschied zwischen Körper und Seele machen,haben keines von beiden.“ (Wilde, 2016, S.762)

Warum dieses Buch?

In meiner langjährigen Praxis als Psychotherapeutin habe ich immer wieder erfahren, dass viele meiner PatientInnen nicht nur psychisch, sondern auch körperlich leiden. Sie haben aber nicht nur Beschwerden, die allgemein als abhängig vom psychischen Befinden angesehen werden, wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, anhaltende Erschöpfung und Müdigkeit. Vielmehr konnte ich darüber hinaus beobachten, dass Erkrankungen gehäuft auftreten, die bisher ausschließlich als körperlich angesehen werden; das heißt, bei denen ein Organschaden bzw. ein physiologisch nachweisbarer Krankheitsprozess vorliegt. Dazu zählen die weit verbreiteten Zivilisationserkrankungen wie Herz-Kreislauf-, Gelenk-, Magen- und Darmerkrankungen sowie chronische Entzündungen innerer Organe wie der Blase. Selbst Krebs gehört dazu. Ist das Zufall? Oder treten körperliche Störungen vermehrt auf, wenn auch die Psyche leidet?

Die Erkenntnis, dass die Psyche an der Entstehung und dem Verlauf fast sämtlicher Krankheiten beteiligt ist, ist bisher wenig verbreitet. Mittlerweile kann aber als erwiesen angesehen werden, dass Körper und Psyche bei fast jedem Krankheitsprozess miteinander verzahnt sind. Vieles weist darauf hin, dass es keine „rein körperlichen Erkrankungen“ gibt, bei denen die Psyche keine Rolle spielt. Auch wenn noch nicht alles bis ins letzte Detail erforscht ist, so gilt als sicher, dass die Psyche im gesamten Krankheitsprozess eine wichtige Rolle spielt. Sie ist sicherlich nicht der alleinige Verursacher von Erkrankungen. Aber neben den eher seltenen genetischen Anlagen und den normalen körperlichen Alterungsprozessen ist ihr Einfluss von großer Bedeutung. Es ist mittlerweile gut belegt, dass Belastungen und Konflikte, ängstliche, deprimierende Gedanken und Gefühle sowie schlimme frühe Erlebnisse biologische Prozesse anstoßen, die sich in sämtlichen Körperbereichen zeigen und die zu Krankheiten führen können. Hierbei handelt sich keineswegs um einen nicht erklärbaren, mysteriösen Sprung, sondern um einen psychophysiologisch nachvollziehbaren Prozess (Schubert, 2016; Bauer, 2008; Rüegg, 2007).

Dass psychische Faktoren Auswirkungen auf den Körper haben, spielt in der gegenwärtigen Medizin aber nur eine untergeordnete Rolle. Hier ist die Trennung von Körper und Psyche noch weit verbreitet: Der Körper wird als eine kompliziert aufgebaute Maschine betrachtet. Treten Defekte auf, erkrankt ein Organ oder kommt es zu Abnutzungserscheinungen, versucht man den Schaden durch entsprechende Reparaturen zu beheben. Lediglich bei Körperstörungen, deren Ursache sich durch Blutuntersuchungen oder bildgebende Verfahren nicht ausreichend nachweisen lassen, werden psychische Faktoren berücksichtigt.

Das beschriebene Vorgehen, sich vorrangig auf den Körperschaden zu konzentrieren, hat immer dann eine Berechtigung, wenn es sich um akute Beschwerden und Erkrankungen handelt. Dann ist die herkömmliche Reparaturmedizin von zentraler Bedeutung. Bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall muss rasch gehandelt werden. Auch Entzündungen, etwa eine Lungen- oder Nierenentzündung, benötigen zur Heilung eine Behandlung mit Antibiotika und ein Tumor muss operiert werden, soweit dies möglich ist. In all diesen Fällen handelt es sich um unverzichtbare, teils lebensrettende Maßnahmen.

Stellt sich aber die Frage nach der Entstehung und nach dem Verlauf von Erkrankungen, dann leistet die Reparaturmedizin eher wenig. Warum entgleisen Körperprozesse? Wieso kommt es zu Entzündungen in Gelenken und Organen? Von welchem Hintergrund entwickeln sich die weit verbreiteten Zivilisationskrankheiten? Diese Fragen lassen sich mit dem medizinischen Reparaturmodell, das fast ausschließlich den Körper in den Mittelpunkt stellt, nicht beantworten.

Verändert man den Blickwinkel und betrachtet man den Menschen als Einheit von Körper und Psyche, dann fällt es nicht schwer, die Verzahnung von körperlichen und psychischen Prozessen zu verstehen. Erkenntnisse der Neurowissenschaften, der Entwicklungspsychologie sowie der Psychoneuroimmunologie machen deutlich, dass sich von Anbeginn des Lebens der Körper in Abhängigkeit auch von äußeren Faktoren entwickelt. Gehirn, Nerven- und Immunsystem entwickeln sich nicht aus sich selbst heraus, sondern stets unter dem Einfluss von Erlebnissen und Erfahrungen. Hier spielen zwischenmenschliche Beziehungen eine besondere Rolle. So tragen liebevolle Eltern dazu bei, dass sich Gehirn, Nerven- und Immunsystem des heranwachsenden Kindes in eine gesundheitsfördernde Richtung entwickeln können. Vernachlässigungen bewirken das Gegenteil. Später im Leben sind es die psychischen Befindlichkeiten, die Erlebnisse und die sozialen Beziehungen, die den Körper beeinflussen. Gedanken, Gefühle, Verhalten wirken im gesamten Lebensverlauf auf das Immun- und Nervensystem. Sie tragen wesentlich mit dazu bei, ob der Körper erkrankt oder gesund bleibt (Grawe, 2004; Gerhardt, 2006; Schubert, 2015).

Belastende psychische Vorgänge wie chronische Konflikte, traumatische Erlebnisse und anhaltend traurig-ängstliche Gedanken und Gefühle können sich auf unterschiedlichen Ebenen und in sich unterscheidenden Körperprozessen manifestieren. So können etwa über das Nervensystem schmerzhafte Muskelverspannungen im Rücken entstehen. Der Körper drückt dann aus, was der Mensch empfindet. Werden die Belastungen und psychischen Konflikte nicht bearbeitet und nicht gelöst, kommt es leicht zu einem chronischen Rückenleiden (Heinl & Heinl, 2014). Belastende Konflikte und bedrohliche Ereignisse können aber auch dazu führen, dass körpereigene Schmerzdämpfer ausgeschüttet werden, die zu Lähmungen von Armen oder Beinen führen. Während sich am bewegungseingeschränkten Organ keine Störung finden lässt, sind es körpereigene Stoffe, die die schweren Symptome hervorbringen (Zubieta et al., 2001). Schließlich besteht auch die Gefahr von lebensgefährlichen körperlichen Krankheiten: So kann der negative psychische Zustand über das Nervensystem zu Bluthochdruck und in der Folge zu einem Herzinfarkt führen (Waller et al., 2016). Selbst die Entstehung von Krebs kann durch chronische Belastungen begünstigt werden, da ungute Gedanken und Gefühle dazu beitragen können, die Aktivität der krebsbekämpfenden Killerzellen herunterzufahren (Schubert, 2016).

Wenn der Einfluss der Psyche auf die Entstehung körperlicher Krankheiten von Bedeutung ist, dann besteht auch die Möglichkeit, dass über psychische Veränderungen Heilungsprozesse angestoßen werden. Die Bearbeitung psychischer Probleme kann dann dazu beitragen, Krankheiten zu mildern oder zu beseitigen. Werden Lebenskonflikte gelöst, Stress und Überforderung beseitigt und ungute Gedanken und Gefühle wie Angst und Wut reduziert, dann hat das auch positive Auswirkungen auf den Körper: Das aus dem Gleichgewicht geratene Nerven- und Immunsystem kann sich wieder normalisieren, Muskelverhärtungen und Entzündungen haben die Möglichkeit, sich zurückzubilden. Aus dem Ruder gelaufene vegetative Prozesse wie Blutdruckschwankungen finden vielleicht wieder in den Normalzustand zurück. Die Abwehrkräfte des Körpers können gestärkt und Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt werden, um den Ausbruch von Erkrankungen zu verhindern oder bereits vorhandene Krankheiten zu mildern oder zu heilen. Die immer wieder beschriebenen Spontanheilungen selbst schwerwiegender Krankheiten werden manchmal auch im Zusammenhang mit psychischen Veränderungen interpretiert. Der Arzt Bernie Siegel (2018) berichtet in seinem Buch „Prognose Hoffnung“ von lebensgefährlich Erkrankten, die entgegen medizinischer Prognosen überlebten. Er vermutet, dass Veränderungen von Gedanken, Gefühlen und die Lösung von Konflikten dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Er ist der Überzeugung, dass Hilfen zur Gesundung psychischer Störungen selbst bei schweren Erkrankungen wie Krebs dazu beitragen können, die Krankheit zu besiegen (Bauer, 2020).

Wenn viele körperliche Krankheiten durch psychische Beeinträchtigungen mit verursacht sein können dann ist daraus ein Mehrbedarf an psychotherapeutischer Behandlung abzuleiten. Dieser umfasst Körperkrankheiten ohne bzw. mit für die jeweiligen Beschwerden nicht ausreichendem Organbefund als auch Beschwerden, die bisher als rein körperlich angesehen werden. Psychotherapie ist demnach ein wichtiger Bestandteil zur Behandlung von PatientInnen mit körperlichen Krankheiten.

Nun haben PsychotherapeutInnen bisher in der Regel eher ungern PatientInnen mit körperlichen Krankheiten behandelt, weil sie davon ausgehen, wenig bewirken zu können. Mit dem von mir in diesem Buch vorgelegten psychoneuroimmunologischen Ansatz wird ihnen ein theoretisch fundierter und praktisch orientierter Ratgeber an die Hand gegeben, in dem die Notwendigkeit und die Erfolgschancen erläutert werden, körperliche Krankheiten auch mit Psychotherapie zu behandeln.

In der Psychoneuroimmunologie (PNI) wird davon ausgegangen, dass (fast) alle Körpererkrankungen psychisch mit verursacht werden. Es wird der psychophysiologische Prozess der Krankheitsentstehung und der Wiederherstellung von Gesundheit beschrieben. Der Umschlag von psychischen Vorgängen in körperliche Prozesse steht dabei im Mittelpunkt: Untersucht werden schwerpunktmäßig die nervale und biochemische Kommunikation zwischen Psyche, Gehirn, Nerven- und Immunsystem sowie die sich daraus ergebenden Folgen für Krankheit bzw. Gesundheit.

In der Psychosomatik wird ebenfalls von einem Zusammenhang zwischen Körper und Psyche ausgegangen. Hier handelt es sich um einen Sammelbegriff, der sowohl psychisch bedingte Befindlichkeitsstörungen ohne Organbefund wie gelegentliche Magenbeschwerden oder Herzrasen als auch klassisch psychosomatische Störungen mit Organbefund wie Asthma oder Morbus Crohn umfasst, bei denen psychosoziale Faktoren als zusätzliche Auslöser oder Verstärker angesehen werden.

Eine Untergruppe von psychosomatischen Störungen, die durch hartnäckige körperlichen Beschwerden gekennzeichnet sind, stellen die somatoformen Störungen dar. Hierbei kann es sich um wechselnde Störungen aus unterschiedlichen Körperbereichen handeln, etwa Taubheitsgefühle oder Durchfall sowie um anhaltende Beschwerden aus nur einem Körperbereich wie der Blase oder der Herzgegend. Die Störung erscheint rein körperlichen Ursprungs, sie ist es aber nach genauerer Untersuchung nicht.

Was bedeutet nun die Annahme, dass die Psyche an der Entstehung körperlicher Beschwerden mit beteiligt ist? Heißt das, dass wir selbst schuld sind, wenn wir erkranken? Keineswegs! Jeder Mensch, gleich wie glücklich, kann krank werden. Die Psyche ist bei der Entstehung und Bewältigung von Krankheiten nicht als alleinige Ursache anzusehen. Auch wenn sie eine wichtige Rolle spielt, kann Heilung von körperlichen Erkrankungen nicht immer und ausschließlich mit Veränderungen psychischer Prozesse, mit Befreiung von belastenden Gefühlen, mit mehr Glücksempfinden und Sinnstiftung im Leben erreicht werden. Vieles spielt für den Gesundungsprozess eine wichtige Rolle. So ist auch entscheidend, wie weit der Krankheitsprozess bereits fortgeschritten ist. Ebenso können früh in der Kindheit erworbene Dispositionen wie ein krankheitsanfälliges Immunsystem oder ein leicht erregbares Nervensystem entsprechende Hindernisse darstellen. Auch körperliche Besonderheiten wie zum Beispiel weniger stabile Arterien, die durch Bluthochdruck schnell geschädigt werden können, müssen bedacht werden. Nicht immer ist eine vollständige Gesundung erreichbar, jedoch in vielen Fällen eine Linderung, die das Leben wieder lebenswerter macht. Von Bedeutung ist, dass psychische Gesundheit ein zentraler Baustein ist, um Krankheiten zu überwinden oder sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Dieser wichtige Faktor wird in der gegenwärtigen Medizin kaum gesehen (Schubert, 2016). In diesem Buch sollen deshalb Möglichkeiten der Wiederherstellung von Gesundheit mit Hilfe psychischer Veränderungen aufgezeigt werden.

Es gliedert sich in zwei Hauptteile. Im ersten Teil werden Forschungsergebnisse vorgestellt, die sich mit den Auswirkungen der Psyche auf den Körper und auf körperliche Erkrankungen beschäftigen. Außerdem stehen Wege in die Erkrankung und Möglichkeiten zur Behandlung von Beschwerden im Mittelpunkt, die auf dem Wissen um die Beeinflussbarkeit des Körpers durch die Psyche basieren. Im zweiten Teil berichte ich von Begegnungen mit PatientInnen aus meiner psychotherapeutischen Praxis. Ich stelle Menschen vor, die unter unterschiedlichen Krankheiten wie Arthritis, Herzerkrankungen, Krebs, chronischen Rückenschmerzen und unerklärbaren Lähmungen einzelner Gliedmaßen leiden. Zur Wahrung ihrer Anonymität wurden Alter, Geschlecht, Beruf, Familienstand und einzelne Symptome der Erkrankten verändert.

Alle TeilnehmerInnen haben sich dazu bereit erklärt, ihre psychischen Befindlichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen und Veränderungen in ihrem Verhalten, ihren Vorstellungen und Gefühlen in die Wege zu leiten. Allen Betroffenen gelang es, ihre jeweilige Erkrankung zum Positiven zu verändern. Manchmal konnte sie sogar gänzlich überwunden werden.

Ich möchte mit meinem Buch Hoffnung machen und PsychotherapeutInnen dazu anregen, Menschen mit körperlichen Erkrankungen zu behandeln. Die Bearbeitung psychischer Probleme und Konflikte kann viel dazu beitragen, den Körper gesund zu erhalten und bereits bestehende Krankheiten zu mildern oder vielleicht sogar zu besiegen!

1Körper und Psyche gehen gemeinsame oder getrennte Wege

1.1Wenn Körper und Psyche gleich empfinden

Viele Menschen wissen instinktiv, dass Körper und Psyche zusammengehören. Empfinden sie Angst, spüren sie, wie ihr Körper erschlafft und ihre Schultern herabhängen. Eine auffallend blasse Gesichtsfarbe verstehen sie als Ausdruck von Panik und Schrecken. Spüren sie Wut und Ärger, geht dies mit aufsteigender Hitze und einer angespannten Muskulatur einher. Sie wissen auch, dass das Verhalten anderer Menschen, etwa eine abfällige Bemerkung, körperliche Beschwerden hervorrufen kann. Oft schmerzt dann der Magen oder die Verdauung klappt nicht mehr richtig. Aber auch Glück nehmen Menschen körperlich wahr. Der Körper fühlt sich leicht an, die Muskulatur ist entspannt, die Körperhaltung beschwingt, die Mimik freundlich.

Unsere Erlebnisse und Erfahrungen zeigen sich eben nicht nur in Form von Gedanken und Gefühlen, sondern auch körperlich: Angst, Kummer, Ärger, Freude und Glück werden in der Regel ganzheitlich, also sowohl gedanklich-emotional als auch körperlich erlebt und ausgedrückt. Sie äußern sich als innere Bilder und Phantasien, in der Körperbewegung, Gestik und Mimik sowie bei der Innenwahrnehmung des Körpers, beispielsweise über Schwitzen, Erröten oder Bauchgrummeln. So kann ein Mensch, den ständig Angst vor beruflichem Versagen plagt, sich in seiner Phantasie bereits arbeitslos und sozial am Boden sehen. Sein Gesichtsausdruck ist dann möglicherweise ängstlich und seine Körperbewegung verlangsamt. Durchfälle oder wiederholt auftretende Kopfschmerzen können ihn quälen.

Diese Beobachtungen verweisen darauf, dass körperliche und psychische Äußerungen eng miteinander verwoben sind. Hierbei besteht jedoch keine kausale „Einbahnstraße“. Psychische Zustände wirken auf biologische Vorgänge und diese wiederum auf seelische: Untersuchungen belegen, dass bei Ärger und Wut der Puls steigt und bei Trauer der Hautwiderstand abnimmt (Ekman et al., 1983).

Umgekehrt fördern aber auch unterschiedliche Körperzustände verschiedene Gefühle: Menschen, die unter Schmerzen leiden, reagieren in der Regel darauf mit Ängsten, Kummer oder anhaltender Traurigkeit. Ihre Körperhaltungen, etwa der gesenkte Kopf und die herabhängenden Schultern, signalisieren dem Gehirn, dass ein Stimmungstief vorliegt. In einem bekannten Peanuts-Cartoon erklärt Charlie Brown, man müsse den Kopf hängen lassen, wenn man seine Depression behalten will. Der Zusammenhang zwischen Körperhaltung und Gefühl wird so anschaulich demonstriert.

Auch Menschen, die unter psychischen Krankheiten leiden, erleben diese oftmals nicht nur in Form von Gedanken und Gefühlen, sondern auch mit dem Körper. Vegetativ-muskuläre Auffälligkeiten, die mit sich verfestigenden angstvollen, traurigen bzw. insgesamt leidvollen Gedanken einhergehen, sind bei ihnen chronifiziert. Bei Angsterkrankungen dominieren häufig Herzrasen, Zittern, Erröten und Schweißausbrüche. Depressionen werden von anhaltender Müdigkeit, Schlafproblemen, Appetitverlust und einer flachen Atmung begleitet. Eine neuere Studie konnte belegen, dass Menschen mit psychischen Krankheiten zugleich ein erhöhtes Risiko zur Ausbildung körperlicher Erkrankungen haben (Momen et al., 2020). Dass Krankheiten den ganzen Menschen betreffen, seine Psyche und seinen Körper, hat bereits C. G. Jung mit den Worten zum Ausdruck gebracht, „dass die Seele das innerlich angeschaute Leben des Körpers und der Körper das äußerlich angeschaute Leben der Seele ist, dass beide nicht zwei, sondern eins sind“ (Jung, GW10, §195, S. 112).

Das Zusammenspiel zwischen Körper und Psyche lässt sich mit einem Blick auf die Arbeit des Nervensystems verstehen:

Gedanken, Gefühle, innere Haltungen und das Erleben insgesamt sind mit dem Nervensystem verknüpft. Dieses lässt sich grob unterteilen in ein zentrales (Gehirn und Rückenmark) und in ein peripheres Nervensystem, das alle anderen Nervenfasern des Nervensystems, die den Körper durchziehen, umfasst. Das periphere System empfängt Informationen aus dem Gehirn. Hier sind insbesondere Teile des limbischen Systems, des gefühlsverarbeitenden Gehirns, zu nennen, die über die Wahrnehmung von Gefühlen, insbesondere Angst, Erregung und Wut, vegetative Funktionen steuern. Erleben wir starke Angst, dann schlägt dieser Gehirnbereich Alarm; in der Folge steigen Blutdruck und Pulsfrequenz. Umgekehrt versorgt das periphere Nervensystem das Gehirn mit Informationen aus dem Körper. Ein schneller Herzschlag oder Schmerzen in einem Körperbereich werden als Gefahrensignale an das Gehirn weitergegeben.

Das periphere Nervensystem wird wiederum in ein vegetatives (autonomes) und ein somatisches Nervensystem unterteilt. Das vegetative Nervensystem steuert automatisch ablaufende körperliche Vorgänge wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Temperaturregulation, Schweißsekretion und Verdauung. Während der Sympathikus als ein Teil des Systems die Körperfunktionen wie Herztätigkeit und Blutdruck steigert, kümmert sich sein Gegenspieler, der Parasympathikus, um Ruhe und Entspannung. In der Regel ergänzen sich Aktivierung und Entspannung. Nach der Erregung beruhigen sich die körperlichen Vorgänge und pendeln sich wieder auf den Normalzustand ein. Bleibt aber der Erregungszustand konstant hoch und dadurch die Entspannung über lange Zeit aus, etwa weil Ängste oder Ärger nicht beseitigt werden können, kommt es leicht zu einer Fehlsteuerung des vegetativen Nervensystems. Hierdurch befindet sich etwa der Blutdruck in einem ständigen Aktivierungszustand, so dass in der Folge Bluthochdruck auftreten kann.

Gefühle können aber auch mit Hilfe muskulärer Spannungen ausgedrückt werden. Das somatische Nervensystem reagiert bei Stress, Wut und Ärger mit Muskelanspannungen, die sich im Rücken-, Kopf- und Nackenbereich, aber auch in anderen Körperbereichen, etwa dem Kiefer, der Blase oder der Brust schmerzhaft bemerkbar machen können. Auch hier gilt: Ein Wechsel von Anspannung und Entspannung ist normal. Sind wir sehr wütend oder starken Belastungen ausgesetzt, reagiert die Muskulatur mit Anspannung. Wenn wir wieder zur Ruhe gekommen sind, lockert sie sich entsprechend. Nur wenn Wut, Ärger oder Stress länger anhalten, verhärtet sich die Muskulatur, was in der Regel mit Schmerzen einhergeht. Der Zustand der Anspannung muss aber über einen fortwährenden Zeitraum aufrechterhalten werden, bevor Körpersymptome auftreten. In einer Studie aus einem Großraumbüro, in der KopfschmerzpatientInnen mit Menschen ohne Kopfschmerzen verglichen wurden (Schlote, 1989; Traue & Kessler, 1992, zitiert nach Seemann, 2000), zeigte sich, dass die Kopfschmerzgeplagten nicht einen auffällig erhöhten Muskeltonus aufwiesen. Sie zeichneten sich aber dadurch aus, dass ihr konstant hoher Muskeltonus tagsüber kaum variierte, während derjenige der gesunden KollegInnen häufig zwischen Anspannung und Entspannung wechselte.

BEISPIEL

Peter ist gerade Vater von Zwillingen geworden. Zur gleichen Zeit wird ihm in seiner Firma die lang ersehnte Beförderung angeboten. Obwohl der Zeitpunkt für ihn ungünstig ist, will er die neue Stelle nicht ablehnen, da sie ihm neben dem guten Gefühl, endlich sein Ziel erreicht zu haben, auch mehr Geld einbringt. Nun steht er stark unter Druck, den neuen beruflichen Anforderungen zu genügen und zugleich die Neugeborenen zu betreuen. Dazu kommt häufiger Streit mit seiner Frau, die sich von ihm mehr Unterstützung wünscht. Peter ist sein Unbehagen sehr wohl bewusst – er fühlt sich im Beruf überfordert und erlebt seine Frau als ungerecht, was mit Ärger und Wut einhergeht. Er sieht für sich aber keine Möglichkeit, an der Situation etwas zu ändern. Seine Anspannung schlägt sich auch körperlich nieder. Sie führt zur Verhärtung der Muskulatur im Nacken- und Schulterbereich. Heftige Kopfschmerzattacken sind die Folge.

Für Peter ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen Kopfschmerzen und psychischer Anspannung zu verstehen. Sein Gefühl der Überforderung, seine Wut und sein Ärger sind ihm zwar bewusst. Dass sich aber seine Anspannung auch körperlich niederschlägt, ist für ihn neu.

Wie kann ihm geholfen werden? Zuerst einmal, indem er erfährt, wie seine verhärtete Muskulatur wieder gelockert werden kann. Die Progressive Muskelrelaxation ist hier ein bewährtes Verfahren. Die Übungen bestehen darin, die Muskelgruppen im Nacken- und Schulterbereich bewusst anzuspannen und sie in einem zweiten Schritt wieder zu lösen. So kann die Körperwahrnehmung verbessert und die Verspannung gelöst werden.

Da aber die muskuläre Verspannung auf der psychischen Anspannung basiert, werden die Kopfschmerzen immer wieder auftreten, solange die zugrunde liegende Konfliktsituation nicht besser gelöst wird. Hilfreich könnte sein, wenn Peter anstelle von Wut und Ärger gegenüber seiner Frau seine Hilflosigkeit in der belastenden Lebenssituation zum Ausdruck bringt. Auf dieser Grundlage kann das Paar über bessere Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Vielleicht lässt sich stundenweise eine Betreuung der Kinder durch nahe Verwandte organisieren. Oder Peter versucht bei seinem Arbeitgeber nachzufühlen, ob Homeoffice für einen oder zwei Tage wöchentlich vorstellbar ist.

1.2Wenn nur der Körper etwas spürt

Es kann aber auch sein, dass Körperbeschwerden völlig unabhängig vom Erleben des Betroffenen auftauchen. Im oben beschriebenen Fall ist das Gefühl der Überlastung noch da. Peter ist seine Überforderung, sein Ärger und seine Wut bewusst. Oft treten aber Symptome auf, die in keinem Zusammenhang zu den aktuellen Lebensumständen und den vorherrschenden Gedanken und Gefühlen stehen. Der Körper meldet sich scheinbar von ganz allein. Plötzlich stellen sich Magen-Darm-Beschwerden ein, die nicht mehr verschwinden, oder der Rücken schmerzt. Vielleicht gerät das Herz aus dem Takt mit Kurzatmigkeit, rasendem Puls und Druck auf der Brust. Der Körper spürt etwas, während der betroffene Mensch gedanklich-emotional damit nichts anfangen kann.

Ein nicht unerheblicher Anteil körperlicher Beschwerden bleibt ohne Organbefund. Für 20–30 % der PatientInnen sowohl in Allgemein- als auch in Facharztpraxen kann kein Organschaden festgestellt werden (Stelzig, 2013). Für ca. 90 % der Rückenschmerzen gibt es keine kausalen pathologischen somatischen Befunde (Kröner-Herwig, 2000). Selbst wenn ein Organbefund diagnostiziert wird, etwa ein Bandscheibenvorfall, ist dieser nicht unbedingt für die Schmerzen verantwortlich zu machen. Denn Bandscheibenvorfälle finden sich auch bei Menschen, die nicht unter Rückenschmerzen leiden (Schultz-Venrath et al., 1986, zitiert nach Hasenbring, 1993). Auch kann bei einem Drittel der Notfälle, die mit den typischen Symptomen eines Herzinfarkts, also mit Kurzatmigkeit, rasendem Puls und Schmerzen, in die Klinik kommen, kein Infarkt diagnostiziert werden (Rüegg, 2013). Auch lässt sich bei etwa jeder sechsten Vorstellung in einer Sprechstunde, die auf neurologische Störungen wie Schlaganfälle oder Krampfleiden spezialisiert ist, kein körperlicher Befund für die vorhandenen Körpersymptome finden (Popkirov, 2020).