Wie Sand am Meer - Marianne Hartwig - E-Book

Wie Sand am Meer E-Book

Marianne Hartwig

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Beschreibung

Die vorliegende Sammlung von Marianne Hartwigs "Freud und Leid Gedichten" ist eine Auswahl aus 25 Jahren akribischer Beschäftigung mit dem Medium Sprache in lyrischer Form. Folgt man ihren programmatisch klingenden Zeilen "Einen Tag ohne Gedicht, den gibt es nicht", so gewinnt die Bezeichnung Alltagspoesie einen durchaus positiven Sinn. Es handelt sich um eine Art kontinuierlicher Zwiesprache mit sich selbst in allen Lebenslagen, assoziativ gegliedert in elf Kapitel wie Träume, Freunde, Schicksal, aber auch Widerstand. Wesentliche Inspiration bezieht die Autorin aus ihrem Wanderleben zwischen Hamburg, Hunsrück und Ibiza, das sie immer wieder zwingt, ihre Befindlichkeit genau zu erfassen und gründlich zu überdenken. An dieser Auseinandersetzung lässt sie ihre Leser teilnehmen.

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Wer bin ich

Wenn ich verzweifelt bin

schreib ich Gedichte

Bin ich fröhlich

schreiben sich Gedichte

in mich

Wer bin ich

wenn ich nicht

schreibe

Rose Ausländer,

Gesammelte Werke,

Frankfurt a.M.: S. Fischer,

1984-1990

Inhalt

Vorwort

Die Insel

Freunde

Glaube, Hoffnung, Liebe

Heimat

Illusionen

Lebenskraft

Sabbatjahr

Schicksal

Träume

Tiere und Bäume

Widerstand

Alphabetisches Verzeichnis der Titel

Zur Autorin

Vorwort

Gedichte begleiten mein ganzes Leben. Sie sind für mich wie Musik, wie Trostspender, wie Zufluchtsorte. Den Mut, einen Teil meiner eigenen, im Verlauf der Jahre entstandenen Gedichte zu veröffentlichen, verdanke ich dem beharrlichen Zuspruch meiner Freunde und meines Mannes sowie der Kraft und Inspiration der Insel Ibiza, die zu meiner zweiten Heimat geworden ist.

Ibiza steht auch für ein gelegentliches Sprachgemisch darin Pate; denn auf Grund der Tatsache, dass ein Teil seiner Bewohner ganz unterschiedlicher Herkunft ist, kommt es vor, dass Ausdrücke aus dem Spanischen oder Englischen einfließen und recht freizügig adaptiert werden. Was jedoch im Kontext der Insel geläufig sein mag, erscheint Lesern aus anderen Regionen eventuell seltsam und bedarf der Erklärung. Da es nur eine Handvoll Begriffe sind, will ich sie hier kommentieren, denn ein Glossar scheint mir übertrieben:

Bei Jesús handelt es sich um einen Ortsnamen, die im Spanischen meist biblischen Ursprungs sind. – Tanit ist eine punische Gottheit, der in der Antike große Verehrung auf der Insel zuteil wurde, die etwa 800 Jahre eng ans punische Karthago gebunden war. – claro bedarf kaum eines Kommentars, steht es doch nur für das deutsche Äquivalent ‚klar‘, häufig im Sinne von ‚na, klar‘. – Finca hat sich für ein typisches Bauernhaus nach punischem Muster eingebürgert, obwohl es im Spanischen eher für die Gesamtheit bäuerlicher Ländereien steht. – Morning Glory bezeichnet eine verbreitete blau blühende Winde, auf die gern auf Englisch Bezug genommen wird. – casita ist natürlich die Verkleinerungsform des spanischen casa, das weit darüber hinaus zu einem beliebten Synonym für Haus geworden ist. – Wenn von einem podenco die Rede ist, so ist ein Jagdhund gemeint und im Inselkontext speziell der endemische podenco ibicenco, eine elegante windhund-artige Rasse, die ursprünglich aus dem alten Ägypten stammt. – gatita ist die Verkleinerungsform des spanischen Worts gata für Katze. – Jeden Kommentar sparen kann ich mir für die spanische Begrüßung buenos dias, die quasi einleitend nur zitiert werden soll.

Die Insel

Allein zu sein

In einer Holzhütte zu leben

Frei zu sein

Von Pinien umgeben

Mit mir allein.

Notwendigkeit zu einer Zeit

Des Neuanfangs

Der Verlassenheit

Des Übergangs

Der Bereitwilligkeit

Einen Pakt zu schließen

Mit der Schicksalsmacht

Keine Selbstmitleids-Tränen zu vergießen

Auch nicht mitten in der Nacht

Wenn sie heulen und grollen,

Die Selbst-Zweifel – wie Hyänen

Und nur das Eine wollen:

Sich nicht aufzulehnen

Hinzunehmen

Einzugestehen

Einzusehen:

Ich bin klein und schmächtig,

Allein

Und das Schicksal ist allmächtig.

Aber ich will die sein

Die einen Ausweg sucht

Ich sein,

In meiner Holzhütte, meinem Heim

Meiner Zuflucht

Zu mir

Zu meiner Kraft

Die es schafft

Allein zu sein.

Bis zum nächsten Jahr

Durch ein Loch in der Hauswand

Schlüpfen lautlos zwei Katzen.

Das Meer ist spiegelblank

Der laute Streit der Spatzen

Verkündet Schlafplatz-Gezänk.

Auf dem Berg von Jesús blinzeln die ersten Lichter

Am Horizont blinkt die Barcelona-Fähre

Und ich denke: Ach wäre

Ein Hauch dieses Inselfriedens

Auch dann wahrzunehmen

Wenn sich die Touristenströme

Durch die Straßen quälen

Und doch

Die Insel ist wieder für die Insulaner da

Bis zum nächsten Jahr.

Die Insel

Angekommen auf einer Insel

Einer der grünsten und schillernsten

Im Mittelmeer

Bevölkert von Suchenden

Mit Farbe und Pinsel

Mit Visionen und sehr

Individuellen Lebensformen

Mit Tanz und Musik

Und wenig Normen

Im Reich der Sinne und Phantasie

Eine Oase für die,

Die schon immer davon träumten

Aufzustehen

Erst mitten in der Nacht

Zuzusehen

Wie der Himmel funkelt und lacht

Und das Meer erzählt

Von all den Sagen

Aus alten Reichen

Und wie sie versanken

Im Schoß der Natur

Die einfach nur

Das eine zeigt:

Vergehen

Entstehen

Und all die Besatzer, die untergehen,

Sind Teil des Ganzen

Karthager, Phönizier

Kleinvolk und Patrizier

Könige, die ihre letzte Ruhestatt hier wählten

Und schließlich all die Glückssucher

Die sich liebten und quälten

Man sagt Tanit, die Göttin,

Regiere noch immer

Und böse Zungen behaupten

In Gestalt dieser starken Frauenzimmer

Der Insel.

Im Pinienwald

Wenn ich mir vorstelle

In meinem kleinen Holzhaus noch lange zu leben

Auf dieser grünen Insel

Nach nichts zu streben

Außer dem Meer plus Farben und Pinsel

Und viel Papier

Dem Erhalt meiner alten Schreibmaschine

Meiner Katzen neben mir

Und als Morgenroutine

Den Lauf durch den duftenden Pinienwald

Mit der Mine

Einer Lebensbewältigerin – noch nicht alt

Dann könnte ich sagen: Wie wunderbar!

Das Leben ist es wert

Sei nicht undankbar!

Und wenn keiner erfährt

Dass du es täglich in Frage gestellt hast

Und es dir fast

Gelungen wäre zu beweisen,

Ich bin

Eine Lebenskünstlerin,

Na dann werde uralt

Im Pinienwald.

Auf dem geheimen Mandelbaumpfad

Der Abend naht,

Ich bin allein

Auf meinem geliebten Insel-Pfad.

Ich nenne das Glücklichsein.

Kein Windhauch,

Nur Pinienduft

Die Landschaft verströmt

Sanfte Vorfrühlingsluft

Einzelne Mandelblüten sitzen

Wie Schmetterlinge im Baum.

Hallo ihr Vorwitzigen

Noch sehe ich euch kaum.

Aber schon bald leuchtet und duftet ihr,

Zieht Tausende von Mandelblüten-Pilgern an

Wie beneidenswert sind doch wir

Die – auf dem geheimen Mandelbaum-Pfad.

Architekten-Trost

Sie leuchten in der Mittagshitze

Eine blaue Blütenwand.

Dicke Hummeln sitzen

Wie gebannt

Und aalen sich

In der blauen Pracht,

Ein gedeckter Tisch

Von Mutter Natur ausgedacht.

Morning glory, ein Blickfang,

Ein Augenschmaus

Wie Ohrenschmaus und Vogelgesang

An meinem kleinen Haus.

Wie geschaffen,

Unschönes zu verdecken

Wie Kinderlachen

Man nennt sie auch

Trost der Architekten.

Manchmal in der Nacht

Wenn die Inselstürme Pinien schütteln

Und die dunklen Nachtgespenster

Beharrlich an meiner Gelassenheit rütteln

Füge ich mich den unsichtbaren Kräften

Ziehe mir einen Stuhl ans Fenster

Und blicke hinaus zu den wehenden Zweigen

Und meine Gedanken gleiten

Über die grünen Hügel am Ende des Tals

Und hoch zu den Sternen

Dann kommt es mir vor

Als ob die Gespenster sich entfernen

Und die freundlicheren Nachtgeister erscheinen

Die es gut mit mir meinen

Sie bringen mir meinen Gleichmut zurück

Und mit ihm ein Stück Geborgenheit

In der Zeit, die mir bleibt

Manchmal in der Nacht.

Nur manchmal

Gerne wäre ich mutiger

Würde laut sagen, was ich denke

Wäre auch lieber wütender

Wenn so ein kleiner Unverschämter

Der vorübergehend unser Haus bewohnt,

Sich aufführt wie – nun ja, wie er ist:

Ohne Manieren, großkotzig

Seinen Charme einsetzt, wenn es sich lohnt

Und manchmal lohnt es sich Denkt er

Dann zeigt er geliehene Autos

Und falsche Freunde her

Ist hoch zufrieden, nicht zimperlich

Im Forderungen stellen

Rechte einklagen

In den meisten Fällen

Nicht zu fragen

Er nimmt sich was er braucht

Ungeniert, was der andere sich dächte

Wie, der auch,

Auch der hätte Rechte?

Aber doch nicht bei ihm, dem großen leader

Den anderen, so einen

Den schreit er doch in Sekunden nieder Nur manchmal,

Da hört man seine Freundin weinen ...

Um Hilfe rufen

Nach einem heftigen Gewittersturm

Gingen die Lichter aus, letzte Nacht

Manchmal ist es nur die Sicherung

Manchmal aber auch der böse Geist, der wacht.

Und der - vorübergehend -

Sich ins Fäustchen lacht

Der Geist hat ein Gesicht

Und einen Namen

Das hilft ihm nicht

Denn mit ihm kamen

Unzählige kleine Teufelchen

In weißem Schnee versteckt

Die nicht nur seine Nase verstopften

Sondern fordernd direkt

Seit eh und je

Mehr wollen als kleine Nasen

Nicht sofort und nicht über Nacht

Sie sind wie das Gesicht mit Namen

Listig – nur in der Übermacht

Sie rauben behaglich

Verblüffend unauffällig

Zunächst nur bei Tageslicht

Doch ganz allmählich

Verstand, Seele und Herz

Und was man so hat auf dieser Welt

Und übrig bleibt

Was nicht gefällt

Aber mit ziemlicher Sicherheit:

Ein kleines Häuflein Mensch

Einsam auf seinen gemieteten Treppenstufen

Und schon von weitem

Hört man es im Tal

Um Hilfe rufen.

Oktober

Die Herbstspinnen auf der Insel

Scheinen bedrohlich, hässlich und dick

Auf dem Rücken haben sie einen weißen Kreis

Sie spannen ihr Netz äußerst geschickt

Oft in Augenhöhe und jeder weiß

Sie sind nicht giftig

Aber ein Waldlauf-Vergnügen

Sind sie auch nicht so richtig

Plötzlich hängen sie da

An unsichtbaren Strippen

Ich stehe wie gebannt,

Kein Laut kommt über meine Lippen,

Und stelle fest: das wollte ich nicht

Jetzt habe ich sie gekappt

Sichtbar im Morgensonnenlicht

Die fein gesponnene Spinnen-Hängematt.

Mit großer Hast

Schwingt sie sich auf ihrer unsichtbaren Leiter

Hoch zum nächsten Ast

Ich laufe weiter.

Am nächsten Morgen

An der gleichen Stelle

Hängt das hässlich-kluge Spinnentier