Wie viel Zeit braucht der Mensch, um sich in der psychodynamischen Therapie zu verändern? - Günther Klug - E-Book

Wie viel Zeit braucht der Mensch, um sich in der psychodynamischen Therapie zu verändern? E-Book

Günther Klug

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Beschreibung

Wir wissen wenig darüber, wie viel Zeit der Mensch braucht, um sich zu verändern. Es gibt Patienten, die mit einer Kurzzeittherapie ihre Symptome dauerhaft verlieren. Viele psychische Störungen verlaufen aber rezidivierend oder chronifizieren, sie brauchen einen zeitlichen Rahmen, der groß genug bemessen ist, um diesen Patienten und Patientinnen eine Chance auf nachhaltige Veränderung zu geben. Wofür genau muss diese Zeit investiert werden? Die Entwicklungslinien der Symptomatik im therapeutischen Prozess zeigen, dass sie sich bei längeren Therapien nach der Beendigung der Behandlung noch verbessern, und weisen so auf die Internalisierung des Therapeuten hin. Die Entwicklungslinie des Arbeitsbündnisses deutet auf die Manifestation der negativen Übertragung hin und die Notwendigkeit, sie durchzuarbeiten. Zeit ist »Reifungszeit«, was bedeutet, das Neuerfahrene so zu internalisieren und zu integrieren, dass es in der typischen Auslösesituation schützt und damit eine stabile Veränderung ermöglicht.

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Herausgegeben von

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Günther Klug/Dorothea Huber

Wie viel Zeit braucht der Mensch, um sich in der psychodynamischen Therapie zu verändern?

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Paul Klee, Schnecke, 1924

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2566-6401

ISBN 978-3-647-90131-2

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Einleitung

2Ergebnisstudien und Therapiedauer

2.1Empirische Daten zur Therapiedauer

2.2Naturalistische Feldstudien zur Therapiedauer

2.3Dosis-Wirkungs-Modell und die Therapiedauer

2.4Das »good-enough model« und die Therapiedauer

2.5Metaanalysen – ein Exkurs

2.6Die Wirksamkeit psychodynamischer Kurzzeittherapie

2.7Die Wirksamkeit der stationären Kurzzeitpsychotherapie

2.8Die Wirksamkeit psychodynamischer Langzeitpsychotherapie

2.8.1Metaanalysen

2.8.2Die New-York-Studie I und II

2.8.3Die Helsinki Psychotherapy Study (HPS)

2.8.4Eine aggregierte Einzelfallstudie

2.8.5Die Münchner Psychotherapiestudie (MPS)

3Prozess- und Prozess-Ergebnisstudien und Dauer

3.1Entwicklungslinien (»trajectories«) der Symptomatik

3.2Entwicklungslinien (»trajectories«) des Arbeitsbündnisses

3.3Durcharbeiten und Dauer

3.4Die »plötzlichen Gewinne« und Therapiedauer

3.5Das Verhältnis von Dosis und Technik (in der MPS)

4Schlussfolgerung

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet-basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Nach dem heutigen Kenntnisstand der Therapieforschung kann es als unbestritten gelten, dass Psychotherapie ein wirksames Behandlungsverfahren bei psychischen Störungen darstellt. Aber wie viel Zeit braucht der Patient oder die Patientin, um sich zu ändern? Die heftige Diskussion um die Fragen von Kurzzeittherapien versus Langzeitinterventionen, fehlinvestierte oder vorenthaltene Ressourcen, Abhängigkeitsgefährdungen versus Behandlungsnotwendigkeiten ist in den letzten Jahren nicht verstummt. Aber die früher stark ideologisiert geführten Debatten sind zunehmend einem wissenschaftlich fundierten Diskurs gewichen. Die empirische Basis der Studienlage zeigt, dass es durchaus Menschen gibt, die von einer Kurzzeittherapie erstaunlich profitieren. Ihre Symptome nehmen ab und verschwinden, wobei die Therapieeffekte sich nachhaltig erweisen. Demgegenüber gibt es Patienten, die unbedingt längere Therapien benötigen, um nachhaltige Besserungen zu erzielen. Für die Nachhaltigkeit scheint die Arbeit an der Persönlichkeitsstruktur (»strukturelle Veränderung«) eine große Rolle zu spielen. Diese erfordert jedoch mehr Zeit als die reine Arbeit an der Symptomatik.

Günther Klug und Dorothea Huber geben in ihrem lesenswerten Buch eine Übersicht über den empirischen Forschungsstand zum Thema »Therapiedauer«. Studiendaten zur Therapiedauer von Psychoanalysen werden durch naturalistische Feldstudien ergänzt. Patientinnen und Patienten, die eine Besserung ihrer Beschwerden angaben, hatten im Mittel über 50 Behandlungsstunden angegeben.

Nach einem Dosis-Wirkungs-Modell, das bereits 1986 erstellt wurde, scheinen Patienten mit akuten Symptomen zu 50 % von einer Kurzzeitbehandlung (10 Stunden) zu profitieren. Aber was ist mit den anderen 50 %? Diese brauchen erheblich mehr Zeit. In anderen Analysen fand sich ein ähnliches Bild: Während sich insgesamt bei 70 % der Patienten mit akuten Beschwerden nach 25 Behandlungsstunden ein signifikanter Effekt zeigte, war dies bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen nur zu 40 % der Fall. Eine neuere Zusammenfassung von Lambert (2013a) ergibt, dass rund 75 % der Patienten nach ungefähr 50 Therapiesitzungen auch nach strengeren Erfolgskriterien eine Besserung zeigen.

Diesem Modell wird das »good-enough«-Modell der Therapiedauer gegenübergestellt. Danach würde die individuelle Veränderungsfähigkeit die Therapiedauer bestimmen. Ein Patient bliebe dabei so lange in Therapie, bis es ihm »genügend besser« geht. Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade Langzeittherapien nicht nur durch rationale Argumente des Patienten aufrechterhalten werden, sondern durch negative interaktiv gesteuerte Reaktionen, unbewusste »destruktive Kräfte« und Regressionsphänomene zumindest mitbestimmt sind. Klug und Huber führen Metaanalysen ins Treffen, aus denen gefolgert werden kann, dass zumindest die schweren psychischen Störungen mehr Zeit brauchen, als ursprünglich angenommen, und dass der zeitliche Rahmen nicht zu eng gesteckt werden darf, um der Schwere von psychischen Leidenszuständen Rechnung zu tragen. Wir müssen eben davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil von Patientinnen und Patienten mit chronischen psychischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen nicht von einer Kurzzeittherapie profitiert. Ganz besonders wird auf die von den Autoren durchgeführte Münchner Therapiestudie abgehoben: Dabei zeigt sich, dass für die Veränderung von Symptomen, interpersonellen Problemen und den Umgang mit sich selbst die längere und intensivere analytische Psychotherapie gegenüber der tiefenpsychologisch fundierten Therapie und Verhaltenstherapie »mit den größeren und langfristigeren Effekten« einhergeht.

Die Arbeit am Symptom, das Arbeitsbündnis und die Veränderung von strukturellen Defiziten im Rahmen der »Durcharbeitung« werden in eigenen ausführlichen Kapitelteilen gewürdigt. Auch auf das Phänomen der »plötzlichen Gewinne« im Rahmen von Psychotherapien wird eingegangen, die durch rapide Symptomrückgänge in bestimmten Therapiephasen gekennzeichnet sind.

Ein unentbehrliches Buch für alle jene, die die Diskussion um die Therapiedauer nicht nur aufgrund persönlicher Erfahrung oder mit ideologischen Argumenten führen möchten. Hilfreich, detailreich und interessant.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

1Einleitung

Wie viel Zeit braucht der Mensch, um sich zu verändern? Reichen ihm die ungefähr acht Stunden, die ihm die »managed care«-Organisationen (Lambert, 2013b) in den USA zugestehen, oder müssen es im Durchschnitt 751 Stunden sein, wofür Wegner und Henseler (2013) in ihrem Buch »Psychoanalysen, die ihre Zeit brauchen« plädieren? Oder haben die Dosis-Effekt-Forscher recht, die sagen, dass mehr als 50 Sitzungen notwendig sind, damit 75 % der Patienten eine klinisch signifikante Änderung erreichen (Lambert, 2013a)? Oder ist es so, dass nicht die Dosis den Effekt bestimmt, sondern die individuelle Veränderungsfähigkeit (»response«) des Patienten die Dosis bestimmt und der Patient die Therapie beendet, wenn ein »good-enough (gut genug) level« erreicht ist (GEL model; Baldwin, Berkeljon, Atkins, Olsen u. Nielsen, 2009; Barkham et al., 2006)? Wie viel Zeit muss die Gesellschaft, muss die Politik, müssen die Krankenkassen dem psychisch kranken Menschen zugestehen, damit er eine faire Chance auf Heilung oder wenigstens eine signifikante Verbesserung seines psychischen Leidens hat? Und dann die Frage: Was passiert mit der Zeit im therapeutischen Prozess? Wofür wird sie benötigt, besonders bei den längeren Therapien?

Um sich diesen Fragen anzunähern – nicht, um sie endgültig zu beantworten –, wird im Folgenden ein Überblick über ältere, aber richtungsweisende Literatur zum Thema »Zeit in der Psychotherapie« vom Ende des letzten Jahrtausends gegeben. Anschließend werden einige Metaanalysen zur psychodynamischen Kurzzeit- und Langzeittherapie vorgestellt sowie die Befunde aus nationalen und internationalen Ergebnis- und Prozess-Ergebnisstudien. Es werden auch eigene Daten herangezogen, soweit sie zum Thema »Zeit in der Psychotherapie« relevant sind (Huber, Henrich, Clarkin u. Klug, 2013; Huber, Zimmermann, Henrich u. Klug, 2012; Zimmermann et al., 2015). Es soll um einen Vergleich der Effektivität von unterschiedlich zeitintensiven Psychotherapien gehen und untersucht werden, inwieweit die Anzahl der Sitzungen (hier stellvertretend für die Behandlungszeit) gegenüber der therapeutischen Technik die Therapieeffekte bedingt. Dann werden Befunde aus der Prozessforschung dargestellt über den unterschiedlichen Einfluss von Dosis und therapeutischer Technik, über die Störungen im Arbeitsbündnis und die Aufgabe des Durcharbeitens, über die Entwicklungslinien der Symptomatik und des Arbeitsbündnisses während des laufenden Prozesses, die verdeutlichen sollen, warum der therapeutische Prozess Zeit braucht.

Eine methodische Bemerkung vorab: Für dieses Buch werden nur Befunde aus Arbeiten herangezogen, die einen klar dargestellten empirischen Hintergrund haben.

2Ergebnisstudien und Therapiedauer

Was wissen wir, empirisch gesichert, über die Therapiedauer und welche Denkmodelle gibt es, sie zu erklären? In diesem Kapitel geht es ferner um die Wirksamkeit von ambulanter und stationärer Kurzzeittherapie und um die Wirksamkeit von Langzeitpsychotherapie, dargestellt durch die Ergebnisse von Metaanalysen und beispielhaft durch einzelne wichtige Studien zur Langzeitpsychotherapie.

2.1Empirische Daten zur Therapiedauer

Einiges wissen wir dazu, empirisch fundiert, wie lange Psychoanalysen und Psychotherapien dauern. In dem Psychotherapy Research Project der Menninger Foundation wird die mittlere Dauer der Psychoanalyse mit 5 ⅔ Jahren und die mittlere Dauer der psychodynamischen Psychotherapien mit 4 ⅓ Jahren angegeben (Wallerstein, 1986). In dem Columbia Psychoanalytic Center Research Project (Weber, Bachrach u. Solomon, 1985a, 1985b) hatten 4 % der Psychoanalysen weniger als 2 Jahre gedauert, 38 % zwischen 2 und 4 Jahren und 58 % mehr als 4 Jahre gedauert bei Therapien, die über den Abschluss der Ausbildung hinaus weitergeführt wurden. Diese Zahlen gelten für eine Kohorte, die zwischen 1945 und 1962 behandelt wurde (Weber et al., 1985a). Für die Kohorte, die zwischen 1962 und 1971 behandelt wurde, ergaben sich für die weitergeführten Psychoanalysen bzw. Psychotherapien die folgenden Therapiedauern: 12 % hatten weniger als 2 Jahre gedauert, 50 % hatten zwischen 2 und 4 Jahren gedauert und 38 % mehr als 4 Jahre. Für die Psychotherapien ergab sich folgendes