Wie viele Männer braucht das Glück - Perry Payne - E-Book

Wie viele Männer braucht das Glück E-Book

Perry Payne

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Beschreibung

Als Sina Hamlin ihre Scheidungspapiere in der Hand hält, glaubt sie, ihre einzige Chance auf Glück vertan zu haben. Josy, ihre beste Freundin, bei der sie seit der Trennung wohnt, ist ganz anderer Meinung. Sie überredet Sina zu 20 Dates innerhalb des folgenden Monats. Zögernd lässt sich Sina darauf ein, findet mit der Zeit sogar Gefallen daran, baut Freundschaften auf und erfährt ihren ersten berauschten Sex. Die aufgeschlossenere Josy hingegen muss um ihre bisher geordnete Existenz bangen und so wirbelt dieser Monat das Leben beider jungen Frauen ordentlich durcheinander. Witziger, verrückter und überaus prickelnder Roman voller Spannung und überraschendem Ende.

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Perry Payne

Wie viele Männer braucht das Glück

Roman

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Über den Autor:
Impressu
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog
Danksagung
„Morgen bin ich auch noch da“
Autor: Karsten Klein-Ihler
Morgenmuffel

Als Sina Hamlin ihre Scheidungspapiere in der Hand hält, glaubt sie, ihre einzige Chance auf Glück vertan zu haben. Josy, ihre beste Freundin, bei der sie seit der Trennung wohnt, ist ganz anderer Meinung. Sie überredet Sina zu 20 Dates innerhalb des folgenden Monats.

Zögernd lässt sich Sina darauf ein, findet mit der Zeit sogar Gefallen daran, baut Freundschaften auf und erfährt ihren ersten berauschten Sex.

Die aufgeschlossenere Josy hingegen muss um ihre bisher geordnete Existenz bangen und so wirbelt dieser Monat das Leben beider jungen Frauen ordentlich durcheinander.

Witziger, verrückter und überaus prickelnder Roman voller Spannung und überraschendem Ende.

Über den Autor:

Perry Payne, geboren 1967 lebte bereits in jungen Jahren seine kreative Ader mit Zeichnen und Erzählen von Geschichten aus. Das Studium zum Pressezeichner öffnete ihm die Türen zur ersten Selbstständigkeit. Gemeinsam mit seiner Frau lebt er heute in Suhl, im schönen Thüringer Wald.

2012 verfasste er seinen ersten Roman. In den folgenden fünf Jahren kamen weitere elf Romane hinzu. Sein Repertoire ist vielschichtig. Doch bei all seinen Charakterdarstellungen traten stets die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Liebe hervor. Als Kolumnist und Onlineredakteur stellt er sich sozialkritischen und kulturellen Themen.

Für meine Frau, ihren festen Glauben an mich und ihre besondere Stärke.

Es gibt stets eine gewisse Verbindung und einen tieferen Sinn

Impressum

Ausführliche Information

über unsere Autoren und Bucher erhalten Sie auf

www.JustTales.de

Roman

von Perry Payne

1. Auflage 2018

Ungekürzte Taschenbuchausgabe

Juni 2018

JustTales Verlag, Bremen

Geschäftsführer Andreas Eisermann

Copyright © 2018 JustTales Verlag

An diesem Buch haben viele mitgewirkt, insbesondere:

Lektorat/Korrektorat: Dörte Wunsch/Britta-Chr. Engel

Einbandgestaltung: K-E-Coverdesign

Buchsatz: DaTex, Leipzig

Druck & Bindung: Booksfactory

Paperback (ISBN 978-3-947221-20-2)

Auch erhältlich als

E-Book(ISBN 978-3-947221-21-9)

Lieber Leser!

Der JustTales Verlag dankt für den Kauf dieses Print-Exemplars.

In Zeiten der Digitalisierung fällt es kleinen Sortimentsbuchhandlungen immer schwerer, Ihnen eine Vielfalt an Büchern zu präsentieren. Daher freuen wir uns, dass Sie mit dem Kauf eines Print-Exemplars den Deutschen Buchhandel unterstützt haben und wünschen Ihnen ebenso viel Freude beim Lesen, wie wir hatten beim Erstellen des Buches.

Ihr Team vom JustTales Verlag

Kapitel 1

Sina nahm das Hochzeitsfoto aus der kleinen Holzschatulle und betrachtete Henry in seinem edlen Smoking. Er hatte die Arme um ihre Hüfte gelegt, während sie stolz zu ihm aufsah. Hinter seinem Rücken hielt sie einen festlichen Brautstrauß in der Hand und ihre Arme lagen lässig auf seinen Schultern. Beinahe konnte Sina das feine Knistern von damals spüren, als sie sich Hals über Kopf ineinander verliebt hatten.

Dieses Bild war knapp sieben Jahre alt. Seither war viel geschehen. Zu viel für ihren Geschmack und doch irgendwie zu wenig.

Achtsam legte sie das Foto auf den Stapel zu den anderen zurück, klappte den Deckel herunter und strich zärtlich mit den Fingerkuppen über den Rand. In dieser kleinen Kiste befand sich fast ein Viertel ihres Lebens.

Sina nahm die Schachtel und ging zu dem weiß polierten Flügel neben dem Kamin, hob die Tastaturabdeckung an und strich mit dem Zeigefinger über die Tasten, sodass eine Tonleiter erklang. Sie setzte sich auf den kleinen Hocker, lauschte eine Weile dem knisternden Feuer, dann küsste sie die Schachtel zum Abschied. Die Flammen lechzten bereits nach ihren Erinnerungen. Rasch griffen sie auf die Holzschachtel über, färbten sie schwarz ein. Das Feuer leuchtete heller, die Flammen tanzten nach ihrer eigenen, unruhigen Melodie und die Glut knackte dazu.

Sina brauchte keinen Mann, um glücklich zu sein. Männer machten das Leben nur unnötig kompliziert.

Die kleine Holzkiste kippte, sprang auf und ließ die alten Fotos frei, die gierig vom Feuer begrüßt wurden. Das oberste Foto wellte sich und die Farben quollen auseinander. Ein letztes Mal zeigte es, wie sich Henry auf der saftig grünen Wiese über sie beugte. Dann wandelte es sich zu braun, von braun zu schwarz und schließlich trug es die Erinnerungen in die Vergänglichkeit. Asche zu Asche, dachte sie und verfolgte die Flammen mit ihrem Blick.

Dieses Foto war kurz nach ihrer Hochzeit Anfang Mai im Garten seiner Eltern entstanden. Das Wetter hatte mitgespielt, was für Burscough in dieser Jahreszeit nicht selbstverständlich war. Ihr Wohnort lag eine Viertelstunde von der Westküste entfernt und nahe des Naturschutzgebietes Ribble Estuary, wo Sina beim Beobachten der Watvögel das erste Mal auf Henry traf.

Erst die aufspringende Haustür, das Klappern und die Gelächter von Josy und einem jungen Mann rissen sie aus ihren Gedanken.

Noch immer nicht ganz anwesend, huschten ihre Augen flüchtig zum Flur und zurück. Sie nippte am Rotwein, verfolgte kurz die fliegende Asche und versteinerte, als ihr Blick auf die schwarzen Überreste fiel.

Josy hat wieder einmal einen Freund im Schlepptau. Schade, dachte Sina. Dabei musste sie heute mit ihr reden.

Wie immer gut gelaunt rief Josy in das Zimmer: „Hey Baby.“ Doch ihr freudiger Blick änderte sich umgehend. Sie hatte wohl die Schwermut erkannt, die sich wie ein dunkler Nebel über Sina gelegt hatte. Ohne ihre Jacke abzulegen, eilte Josy auf sie zu und hockte sich auf den weichen Teppich, direkt zu ihren Füßen.

„Du hast geweint, Schätzchen? Ich dachte, du bist stark und stehst es ohne mich durch.“ Tröstend strich sie über Sinas Haare. „Hey, ich bin doch bei dir.“

„Es ist so endgültig.“ Sina zeigte zum Glastisch, auf dem das Schreiben des Anwalts lag. Damit war ihre Scheidung rechtskräftig.

„Dann bist du das Arschloch jetzt offiziell los. Feiern wir deine Freiheit.“

„Sag nicht so etwas. Vielleicht war es ein Fehler und wir hätten die Beziehung noch in den Griff bekommen. Sie sagen doch alle, dass es mit der Zeit besser wird.“

„Jetzt höre mir mal zu, Süße. Wenn man sich erst einmal auseinandergelebt hat, wird überhaupt nichts besser. Die Scheidung war ein konsequenter Schritt und besiegelt deine Zukunft.“

„Wo ist das Schlafzimmer?“ Der Typ, den Josy angeschleppt hatte, lehnte lässig an der Wohnzimmertür. „Machen wir einen Dreier?“ Er grinste breit.

Sina verdrehte die Augen, wollte etwas sagen, doch Josy hielt ihr einen Finger senkrecht vor die Lippen.

„Warte kurz.“ Sie stand auf, ging zu dem Typen, drehte ihn um und schob ihn durch den Flur zum Ausgang. „Verschwinde.“

„Was ist los? Das kannst du nicht machen“, protestierte er.

„Ich kann dich jetzt nicht brauchen“, hörte Sina ihre Freundin rufen, bevor die Tür zuschlug.

Sein Hämmern von draußen ignorierte Josy, ging in die Küche und holte sich ein Weinglas aus dem Schrank.

„Das war dein dritter Kerl diese Woche“, stellte Sina fest.

Ihre Freundin wiegelte ab. „Nur zwei - diese Niete zählt nicht.“

Sina fühlte sich zu elend, um über dieses Thema zu sprechen. Normalerweise wäre sie sofort darauf eingestiegen und hätte ihr von der Liebe und dem Vertrauen erzählt. Heute aber nicht.

Von der Küche rief Josy: „Ich hätte nicht mit ihm auftauchen dürfen. Verzeih mir.“ Schranktüren klapperten und das Wasser an der Spüle war zu hören.

„In deiner eigenen Wohnung musst du dich nicht rechtfertigen. Trotzdem wird es Zeit, dass ich mir eine eigene Bleibe suche.“

„Auf gar keinen Fall. Du siehst doch, wie viel Platz ich habe. Und außerdem mag ich die Einsamkeit nicht.“ Sie war ins Zimmer gekommen und drehte sich nun mit ausgebreiteten Armen einmal um ihre eigene Achse. „Definitiv werde ich dich in dieser Situation nicht alleine lassen. Du verkümmerst mir noch, oder Schlimmeres. Nein, Schätzchen, du bleibst, bis du wieder auf den Beinen bist.“

„Ich liebe dich und bin dir unendlich dankbar für alles. Aber dieser Zustand dauert bereits über ein Jahr. Vielleicht habe ich sogar schon eine Wohnung in Aussicht.“

„Nein, Schätzchen. Wenn hier jemand Danke sagen muss, dann bin ich das. Ich hatte nie eine bessere Freundin. Und davon abgesehen gibt es nicht gerade eine große Auswahl freier Wohnungen in der Gegend.“

Sina hob ihren Kopf. „Drüben, in der Harding Road soll etwas frei werden.“

Josy riss die Augen auf. „Hast du geerbt, Schätzchen? Dann will ich sofort etwas davon abhaben.“

Das erste Mal an diesem Tag schmunzelte Sina. „Nein, aber wenn ich die neue Stelle bekomme, kann ich sie mir leisten.“

Ihre Freundin kniete sich vor sie. „Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, es geht gar nicht um die eigenen vier Wände.“ Sie tätschelte sich über der linken Brust. „Es geht hierum, Baby. Es geht um dein gebrochenes Herz. Nur wird es in der Isolation auch nicht besser heilen.“

Sina senkte den Blick. Ihre Stimme war kaum zu hören. „Mir geht es gut.“

„Das sehe ich“, zynisch nickte Josy. „Du brauchst einen ordentlichen Mann. Damit werden sich deine Probleme wie von selbst lösen.“

„Oder es kommen neue hinzu.“

„Ja“, bestätigte Josy langgezogen, „oder es kommen neue hinzu. Aber das ist besser, als dir beim Schrumpeln zuzusehen.“

„Ich schrumple nicht. Außerdem bin ich von Männern geheilt. Die Liebe und mein blödes Märchenschloss scheinen wirklich nur in den Träumen zu existieren. Ich werde aufwachen müssen, mich in die Arbeit stürzen und an meine Zukunft denken.“

„Das ist ein genialer Plan, sofern du ein guter Staatsbürger und Steuerzahler werden willst. Aber wenn du deine paar Jahre auf dieser Erde wirklich leben, fühlen und genießen willst, dann darfst du dir von niemandem deine Träume nehmen lassen. Du bist die letzte Romantikerin auf Erden. Wenn du dich jetzt aufgibst, wird sich die Welt zum Nachteil verändern. So etwas darf niemals passieren. Hast du gehört?“ Josy fasste sie an die Schultern und blickte ihr streng in die Augen. Sie meinte es ernst. „Sprich mir nach. Ich bewahre für immer die Liebe in mir und lasse mich nie wieder von einem Mann herumschubsen.“

Sina starrte ihre Freundin verständnislos an. „In einer Beziehung müssen beide Kompromisse eingehen.“

„Sieh her“, beherzt schob Josy mit beiden Händen ihre Brüste nach oben, richtete ihr Dekolleté und präsentierte es stolz Sina. „Wir brauchen keine Kompromisse einzugehen. Wozu hat uns der liebe Gott sonst diese Dinger verpasst, Schätzchen? Glaubst du, die tragen wir aus Spaß in der Gegend spazieren?“

Sina sah sie streng an.

„Hör auf damit. Es gibt auch ein Leben außerhalb deiner Sexfantasien.“

Doch Josy redete unbeirrt weiter.

„Henry hat dich ausgenutzt. Er wollte abends nur nicht alleine sein und brauchte jemanden, der ihm das Bier aus dem Kühlschrank holt.“

Noch einmal donnerte Sinas Fuß auf den Teppich. Sina wurde lauter und bestimmter. „So war er nicht. Du weißt, dass wir uns geliebt haben.“

„Du musst ihn nicht verteidigen. Ich habe Augen im Kopf. Diesmal wirst du anders an die Sache herangehen.“

„Diesmal? Ich will an keine Sache herangehen. Lass mich erst einmal zur Ruhe kommen, und in zwei, drei Jahren kann ich mir immer noch überlegen, ob ich wieder Ausschau nach einem neuen Typen halte.“

„Das ist eine ganz schlechte Idee. Du hast bereits deine besten Jahre verloren und willst doch nicht die nächsten Jahre Trübsal blasen, oder? Wozu hast du denn eine allerbeste Freundin? Ich werde höchstpersönlich dafür sorgen, dass dir so etwas wie Henry nie wieder passiert.“

Sina murrte.

„Da brauchst du gar nicht zu stöhnen.“

„Du warst nie verheiratet und solltest solange keine Ratschläge erteilen, bis du eigene Erfahrungen gesammelt hast.“

Doch ihre Freundin konterte: „Ich muss nicht ins Feuer fassen, um zu wissen, ob es heiß ist.“ Josy nahm Sinas Glas vom Tisch, drückte es ihr in die Hand und goss es randvoll. Dann schenkte sie sich selbst nach und hob das Glas. „Wir lassen uns von den Männern nicht unterkriegen.“ Ohne auf Sina zu warten, trank sie einen großen Schluck und nahm die Scheidungspapiere vom Tisch. „Wenn du aus diesem Kapitel gelernt hast, war die Zeit nicht völlig umsonst, Schätzchen. Jetzt müssen wir uns um einen richtigen Mann kümmern, damit du deine Schmetterlinge wiederfindest.“

„Das ist ja nett gemeint, aber ich verzichte.“

Josy stellte ihr Glas ab und setzte sich mit ernstem Blick im Schneidersitz neben Sina. „Nenne mich nie wieder nett, Schwester.“

„Nein, wirklich. Tausende andere Frauen kommen gut alleine zurecht.“

„Glaube nicht, dass ich dabei zusehen werde, wie du einen Massagestab nach dem anderen verschleißt.“

Sina schlug sie empört auf den Oberschenkel. „Der Schwarze war von Anfang an kaputt. Ich habe keinen Verschleiß. - Außerdem geht es nicht immer nur um Sex.“

„Worum geht es denn sonst? Was glaubst du, wozu uns die Natur den feinen Unterschied und die Lust gegeben hat?“ Beherzt fasste sie sich mit der flachen Hand in den Schritt. „Bildest du dir ein, dass die Männer zum Kohlenholen auf dieser Welt sind? Nein, Baby. Sie sind einzig und alleine dafür da, uns glücklich zu machen. Und wenn einer das nicht ordentlich kann, oder will, wie dein Henry, dann nimmst du dir einfach den Nächsten. Sie laufen alle dort draußen herum, und warten auf unsere Möpse.“

„Du spinnst komplett. Jetzt wird mir langsam klar, warum du manchmal sabbernd durch die Straßen läufst.“

Josy grinste. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“ Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck wieder. „Aber ich meine das durchaus ernst. Natürlich ist mir klar, dass nicht jeder Typ zu jeder Frau passt. Die Frage ist doch, auf welchen Typ Mann du stehst? Na los, beschreibe mir deinen Traummann. Und ich will keine einzige Eigenschaft von Henry hören. Dann werde ich sauer.“ Sie lächelte und positionierte sich aufrecht. „Wie soll er aussehen, welche Hobbys haben und wie soll er überhaupt sein? Ist dir ein Abenteurer oder ein Kuschelbär lieber? Na, du weißt schon, solche Sachen eben.“

„Ich habe keinen besonderen Typ. Es reicht, wenn alles irgendwie passt.“

„Du wirst doch wissen, welche Art Mann du scharf findest. Ist es eher Leonardo DiCaprio oder Brad Pitt?“

Sina zuckte mit den Schultern. „Die würde ich beide nehmen.“

„Gleichzeitig?“

„Herrgott. Wenn es sein muss, ja. Dann auch gleichzeitig.“

Josy grinste breit. „Das klingt doch gut. Nur blöderweise ist DiCaprio derzeit liiert, und wie man hört, wechselt er seine Häschen wie die Jahreskalender.“ Sie strich ihre langen, glatten Haare hinter die Ohren, zog ihr schwarzes T-Shirt glatt und machte es sich auf dem geräumigen Sofa bequem.

„Brad Pitt müsste wieder zu haben sein.“, konterte Sina grinsend.

„Schlage ihn dir aus dem Kopf. Im wahren Leben gibt es keine Brad Pitts. Lass uns ernsthaft überlegen, wie ein Mann an deiner Seite aussehen könnte.“

„Sportlich und intelligent vielleicht?“, fiel Sina als Erstes ein.

„Klar, und gutaussehend, mit weißem Ross hinter dem Schloss.“ Josy schnaufte empört. „Du weißt es wirklich nicht, oder?“, fragte Josy grübelnd. „Keine Sorge, wir werden schon herausfinden, wie er sein muss, damit dein Herz wieder schneller schlägt und du nicht ewig trocken bleibst.“

„Du bist ordinär.“ Sina verzog den Mund und erhob sich. Sie ging in die Küche und blieb nachdenklich vor der Spüle stehen. Der Wasserhahn war undicht und gab langsam einen dicken Tropfen nach dem anderen frei. Sie fielen in den kleinen See, der sich auf dem Teller gebildet hatte, und verloren sich als harmonische Wellen darin.

„Entschuldige, Schätzchen“, hörte sie Josy dicht hinter sich, die sie aus ihren Gedanken riss. „Fangen wir ganz banal an. Soll er blond oder dunkel sein?“

„Was?“ Sie drehte sich um und sah Josy traurig an. „Ich habe jetzt keine Lust darüber nachzudenken.“

„Ich schon, schöne Frau.“ Josy legte ihren Kopf leicht schräg und verbreitete mit ihrem Lächeln die gewohnte Selbstsicherheit.

„Du weißt, dass ich nicht nachgebe, bis dein fieser kleiner Teufel aufgegeben hat. Hey, Baby. Du kannst nicht von mir verlangen, dich unglücklich in der Ecke stehen zu lassen. Wir müssen daran arbeiten. Also los, hilf mir dabei.“

„Egal, Hauptsache charmant.“ Sina zuckte freudlos mit den Schultern.

„Studiert oder einfach?“ Josy stemmte ihre Arme in die Hüfte und war äußerst aufgeweckt.

„Das ist mir doch egal, solange er süß ist.“

„Na gut. Da haben wir also charmant und süß. Natürlich muss er heiß sein.“

„Naja. Kann nicht schaden.“

„Tue das nicht so lapidar ab. Wenn er richtig heiß ist, könnt ihr es an der Straßenlaterne, im Auto, im Kino, im Supermarkt und sonst wo treiben.“

„Ich will es nicht im Supermarkt treiben.“

„Was spricht dagegen?“

„Zum Beispiel, weil es zu Hause bequemer ist.“

Josy schlug sich die flache Hand vor die Stirn. „Schätzchen. Jetzt erzähle mir mal, was ihr sieben Jahre lang getrieben habt.“

„Als wir noch Sex hatten, war er gut.“

Josy schob ihre Hände in die enge Bluejeans und schüttelte den Kopf, so dass einige Haarsträhnen auf eine Schulter fielen.

„Ich glaube, dass du überhaupt nicht weißt, was guter Sex ist. Stimmt doch?“

„Jedenfalls werde ich keinen Sex zwischen den Bananen und Orangen haben. Niemand macht so etwas. Außer du vielleicht.“

„Aber wieso denn nicht? Kannst du dich an den drahtigen Alexander erinnern? Der arbeitet im Safaripark. Wir haben es mehr als einmal bei den Gorillas getrieben. Du glaubst nicht, wie sehr uns das gegenseitig angetörnt hat. Die halbe Herde war am Ende mit dabei.“

Sina schüttelte sich. „Das ist ekelhaft. Hör auf, mir solche Geschichten zu erzählen.“

Josy holte tief Luft. „Und du musst noch sehr viel lernen. Also, pass auf, Schätzchen. Ich habe gerade eine Idee.“

„Ich will gar nicht wissen, was dein versautes Hirn schon wieder ausgeheckt hat.“

„Lass mich kurz erklären. Du ziehst so lange nicht in eine eigene Wohnung, bis wir deinen Traumpartner gefunden haben.“ Sie breitete sichtlich zufrieden ihre Arme auseinander und lächelte keck.

Sina war überaus verwundert. „Das ist alles? Keine verrückten Sexspielchen, Orgien oder etwas Unanständiges?“

„Nein, Baby. Ich will dich einfach nur glücklich sehen. Dazu müssen wir natürlich erst herausfinden, auf welchen Typ du stehst. Du wirst sie testen.“ Josy riss eine Tüte Scones auf, stopfte sich zwei Küchlein in den Mund und hielt Sina kauend die Tüte entgegen.

Sina wedelte abwehrend mit der Hand. „Ich habe geahnt, dass mehr dahintersteckt.“

„Das ist nicht weiter schlimm. Du kennst doch Amber. Sie arbeitet in der Datingagentur in Southport. Ein Anruf genügt, und du bekommst die besten Männer der Stadt serviert.“

Abwehrend spreizte Sina die Finger. „Nein. So etwas mache ich nicht.“

„Warte, ich bin noch nicht fertig.“

Sina war genervt. „Was denn noch?“

„Wir ermitteln zunächst deinen Bedarf. Du triffst dich mit einigen Männern und erstellst eine Checkliste. So können wir gezielt deinen Traumprinzen ermitteln.“

„Das wird niemals funktionieren. Jeder zeigt sich beim ersten Treffen von seiner Schokoladenseite.“ Sina drehte sich um, verließ die Küche und strebte zur Couch.

Josy ließ nicht locker. „Natürlich. Aber es geht darum, dich für die Männer zu sensibilisieren, damit du nicht wieder auf denselben Typ reinfällst.“

„Und, an wie viele Männer hast du gedacht?“, rief Sina zur Küche. Es dauerte einen Moment, bis Josy kauend hervorlugte.

„Du wirst einen Monat lang jeden Tag einen anderen Mann testen und katalogisieren. Dabei notierst du dir je eine Eigenschaft, die du magst, und noch eine, die gar nicht geht. Zum Schluss wissen wie exakt, wie dein Märchenprinz im realen Leben aussehen muss.“ Sie setzte sich neben Sina, legte ihre Füße hoch und richtete das Plüschkissen in ihrem Rücken.

„Ich wusste immer, dass du verrückt bist. Vielleicht mag deine Idee ja gut funktionieren, aber du hast dabei etwas Entscheidendes vergessen. Ich bin nicht du.“

„Mache es einfach. Du bist sehr attraktiv und wirst deinen Spaß haben. Schlag ein, Baby.“ Sie hielt Sina die flache Hand entgegen und schob sich mit der anderen Hand noch einen der Scones in den Mund.

„Dreißig Männer in einem Monat? Selbst wenn ich deiner verrückten Idee folgen würde, wäre es rein biologisch betrachtet etwas kompliziert. Davon abgesehen werde ich das ganz bestimmt nicht machen.“

„Du sollst nicht jedes Mal Sex haben. Nur ein nettes Date, ein kleiner Flirt, vielleicht einen Kuss. Und falls es sich ergibt, gehst du einen Schritt weiter. Das liegt bei dir.“

„Also nur ein Kaffee?“

„Ja. Sagen wir, für mindestens eine halbe Stunde mit jedem. Die Zeit ist gut investiert und passt in jede Mittagspause.“

„Und ich habe schon befürchtet, du willst mich prostituieren.“

„Unsinn. Ich will einzig und alleine den Glanz in deinen Augen zurückhaben. Ach ja, falls du doch mit einem im Bett landest, muss ich unbedingt alle Details wissen. Ganz besonders, wenn einer sein Ding tätowiert hat.“

Sina lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen. Sie kannte ihre wilde Freundin fast wie sich selbst und wusste, dass sie ein wenig exzentrisch war. Aber diese Seite war neu.

„Hab ich mich gerade verhört?“

„Nein, ich stehe da total drauf. Also, würdest du mir für diesen Fall Bescheid geben?“

„Dazu wird es nicht kommen. Weder zu dreißig Treffen, noch dass ich jemals ein tätowiertes Glied sehen werde.“

Josy drückte ihr das Weinglas in die Hand und goss nach. „Trink. Du bist viel zu bieder. Los rein mit dem Zeug.“ Sie drückte das Glas an ihren Mund, indem sie mit dem Finger am Boden nachhalf.

Sina trank einen kräftigen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und presste sich ein Kissen in den Schoß.

„Ich mag nicht länger über Männer nachdenken. Falls du es vergessen hast, dort liegt mein letztes großes Desaster.“ Sie zeigte auf die Papiere.

„Ich weiß. Das liegt jetzt hinter dir. Doch morgen beginnt dein neues Leben.“ Josy kramte in ihrer Handtasche. „Ich rufe gleich Amber an und mache dein erstes Date klar.“

„Lass mich erst darüber schlafen.“

„Nichts da. Wir ziehen das durch.“

„Ich bin noch nicht so weit.“

Josy wedelte mit dem Zeigefinger und schüttelte den Kopf. Sie stand auf und lief zappelig um das Tischchen herum.

„Gut, eigentlich wollte ich nicht damit anfangen, aber …“ Sie blieb stehen und sah Sina fest in die Augen. „Du schuldest mir noch einen Gefallen.“

„Was denn?“

„Die letzten elf Monatsmieten.“

Sina holte tief Luft. „Du bekommst dein Geld, sobald ich flüssig bin. Das weißt du.“

„Ich will dein Geld nicht, Baby. Also, pass auf. Wenn du dreißig Tage lang einen anderen Typen abschleppst, erlasse ich dir deine Schulden.“

„Ich komme wieder auf die Beine. Du hast auch so schon viel zu viel für mich getan.“

Josy winkte ab, nippte an ihrem Glas und lächelte sie auffordernd an. „Machst du es?“

Sina spitzte ihre Lippen und überlegte. Sie brauchte eine Weile, bis sie zustimmend nickte. „Ich mache es. Aber nur drei Dates.“

„Das macht keinen Sinn. Es geht um die Vielfalt.“

„Na gut. Dann zehn. Aber keinen Einzigen mehr.“

„Fünfundzwanzig.“

„Elf.“

„Schätzchen. So kommen wir nicht weiter. Du musst dir schon ein bisschen Mühe geben, wenn du jemals deinem Traummann begegnen willst. Mein letztes Angebot sind zwanzig Dates.“

„Also gut. Ich glaube zwar nicht, dass es funktionieren wird, und ich kann dir auch nichts versprechen, aber ich werde es tun.“

Sie schlug ein.

Kapitel 2

Die Sonne fand ihren Weg durch den schmalen Spalt zwischen den zugeschobenen Vorhängen und zeigte feinsten Staub als schmales Band bis zu Sinas Bett. Die Nacht hatte die Kälte ins Zimmer gebracht.

Sina drehte sich um und zog sich ihre kuschelige Zudecke über den Kopf.

Ohne anzuklopfen, polterte Josy herein und die friedliche Ruhe war endgültig passé. „Aufwachen, Schätzchen. Das Frühstück ist fertig, und du hast heute einen Termin.“

„Ich habe keine Termine“, murmelte Sina schlaftrunken. „Die Firma hat Betriebsferien.“

„Irrtum, Kleine. Du hast eine Verabredung mit Tom Corey.“

Die Zudecke sprang zurück, und Sina schnellte hoch. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf die Stirn. Ihr Kopf brummte. Ihre Augen waren verquollenen, als sie sich zu ihrer Freundin drehte.

„Oh nein. Ich habe das also nicht geträumt?“

„Nein.“ Breit lächelnd schüttelte Josy den Kopf.

Sina flehte ihre Freundin an. „Ach komm schon. Ich kann mich nicht wirklich mit so vielen fremden Männern treffen.“

„Doch“, bestätigte Josy langgezogen.

Sina verdrehte die Augen. „Ich war betrunken und das war sowieso eine blöde Idee. Sag dem Typen ab.“

Stöhnend ließ sie sich auf die weiche Matratze fallen.

„Nichts da, Schätzchen. Dein Termin wartet um zwölf im Lanès Café. Ein Rückzieher ist nicht drin.“ Josy beugte sich über sie und hielt ihr einen Zettel entgegen.

Sina runzelte die Stirn. „Was ist das?“

Überaus eifrig zeigte Josy auf die eingezeichneten Spalten. „Ich war schon fleißig. In diese Liste trägst du Namen, Alter und ein Smiley für ihr Aussehen ein. Die hinteren Spalten sind für die Lieblingseigenschaften und alles Schlechte. Aber du suchst dir immer nur eine Eigenart aus.“

Sina saß mittlerweile wieder senkrecht und stöhnte: „Mein Kopf bringt mich um.“

Josy ignorierte ihre Bemerkung und rief: „Aus den Federn. Das Frühstück wartet.“ Sie grinste, drehte sich schwungvoll um und schritt aus dem Zimmer.

Schwerfällig stieg Sina aus dem Bett und reckte sich. Sie rief Josy nach: „Und so etwas will meine Freundin sein!“

Mit dicken Hauslatschen und Bademantel über dem Nachthemd schlurfte Sina in die Stube. Der große Esstisch neben der Prinzessinnengruppe aus Marmor war üppig eingedeckt. Josy stellte zwei Teller zu dem Obstkorb und der liebevoll angerichteten Käseplatte.

Noch bevor Sina sich setzen konnte, fragte sie: „Was wirst du für dein erstes Date anziehen?“

Die Schlaftrunkene war genervt.

„Irgendwas. Das ist kein richtiges Date.“ Sie nahm die kleine, glänzende Packung in die Hand, die auf ihrem Unterteller lag und drehte sie hin und her. Es war ein Kondom.

„Doch, Schatzi. Genau das soll es werden. Was hältst du von deinem langen, schwarzen Kleid?“

Sina riss die Augen auf.

„Mein Abendkleid ist viel zu aufregend für ein erstes Treffen.“ Sie setzte sich, legte das Kondom ab und schenkte in beide Tassen Tee ein.

„Stimmt. Aber, da es keine Wiederholung gibt, wirst du dich von deiner besten Seite zeigen.“

Sina fuhr sich durch die strubbeligen Haare. „Du fängst an, ein wenig zu nerven.“ Sie trank einen kräftigen Schluck.

Josy setzte sich dazu und griff nach einem knackig frischen Brötchen. „Nein, Baby. Wenigstens denkt eine von uns an deine Zukunft.“

Auch Sina nahm sich jetzt ein Brötchen und riss es auf. „Übrigens“, sie pulte ein Stück aus dem Inneren heraus, steckte es in den Mund und sprach unverständlich weiter. „… wenn ich mich wirklich in einen dieser Typen verlieben sollte, werde ich sofort aufhören.“

Die selbstgemachte Traubenmarmelade war vorzüglich. Sie fuhr mit dem Zeigefinger in das Gläschen und leckte ihn genüsslich ab.

„Wie ich das sehe, wirst du dich maximal in einen Henry-Typ verlieben. Doch genau das müssen wir vermeiden. Die Auswahl ist gigantisch groß. Immerhin ist durchschnittlich jeder zweite Mensch auf der Erde ein potenzieller Liebhaber.“

Sina leckte sich Krümel von den Lippen und wischte sich mit dem Handrücken darüber. „Also Prinz Charles und Ringo Starr können wir schon mal von der Liste streichen.“

Josy schmunzelte, nahm Sina das angebissene Brötchen vom Teller, aß davon und legte es zurück. „Ich finde, Ringo ist im Alter richtig attraktiv geworden.“

„Reichst du mir mal die Kaki?“ Sina zeigte auf den üppigen Obstteller.

Josy gab sie ihr beiläufig und zog sich die Tageszeitung heran. „Hier.“ Sie reichte die Kaki weiter, griff dann nach ihrer Tasse und trank einen Schluck.

„Danke. Weißt du, wie alt der Typ ist? Ich bin doch keine fünfzig.“

„Schön ruhig, Kleine.“ Josy blickte auf die Uhr. „Verdammt, ich muss los.“ Gehetzt schob sie eine Brötchenhälfte in den Mund, biss ab und spülte mit Tee nach. Dann schoss sie von ihrem Stuhl hoch, trank wieder und stellte ihre Tasse in der Küche ab. Im Vorübergehen schnappte sie sich ihre Jacke und angelte nach den schwarzen Pumps.

„Wir sehen uns heute Abend. Dann will ich Details hören. Du hast das ganze Haus für dich alleine. Nutze die Gelegenheit.“ Sie grinste eine Spur zu provokant.

„Dazu wird es auf keinen Fall kommen“, rief Sina ihr nach, als die Tür bereits ins Schloss fiel. „Ich trinke nur einen Kaffee“, fügte sie leise hinzu und aß in Ruhe weiter.

Das warme Brötchen wurde immer mehr im Mund, als sie daran dachte, dass sie gleich eine Verabredung hatte. Sie ließ das angebissene Stück auf dem Teller liegen und räumte den Tisch ab. Nur das Kondom lag noch am Rand. Sie nahm es mit und ging ins Bad.

Nach einer dreiviertel Stunde kam sie gekämmt und geschminkt wieder heraus, schlüpfte in das schwarze Kleid und betrachtete sich vor dem raumhohen Spiegel. So aufgedonnert hatte sie sich das letzte Mal zu „Les Miserables“ in London. Das lag vier Jahre zurück.

Der Anblick gefiel ihr. Sie sah bezaubernd aus. Der edle Stoff schmiegte sich an ihren Körper, wie eine zweite Haut. Ihre langen, brünetten Haare flossen über ihre Schultern und betonten ihre Weiblichkeit in sanften Wellen. Sie hatte kein Pfund zugelegt, erstaunlich.

„Sie sind eine begehrenswerte Frau, Mrs. Sina Hamlin“, lobte sie ihr Spiegelbild und musterte sich von allen Seiten.

„Jetzt aber los“, feuerte sie sich an, warf noch einen letzten Kontrollblick in den Spiegel Richtung Po und schnappte sich zufrieden die kleine schwarze Umhängetasche.

Als sie bereits den Haustürschlüssel in das Schloss gesteckt hatte, hielt sie inne, öffnete wieder die Tür und eilte ins Haus zurück.

Kurz darauf kam sie mit einer ausgewaschenen Jeansweste und einem luftigen Rock wieder heraus, rannte zum Tor des Grundstücks, dann die Straße hinauf und schließlich bis zum Café im angrenzenden Stadtgebiet.

Die Uhr verriet ihr, dass sie siebzehn Minuten zu spät war, was durchaus im Rahmen ihrer Pünktlichkeit lag.

Das Lanès Caféhaus war das letzte Gebäude, das die vergangenen zweihundert Jahre unbeschadet überstanden hatte. Alle anderen Häuser der Straße, und wahrscheinlich in der gesamten Stadt, wurden über die Zeit durch moderne Bauten ersetzt. Das Café stand verloren, aber würdevoll zwischen zwei hohen Bürogebäuden aus Glas und Metall. Sina kannte es gut, schließlich durchlief sie drei Jahre lang in unmittelbarer Nähe eine Ausbildung zur Grafikdesignerin und war des Öfteren in den Pausen oder nach Feierabend hier, um sich ihren Café au Lait zu holen. In die dunkelblaue Farbe der Holzfassade und in die geschwungenen und goldverzierten Säulen hatte sie sich von Anfang an verliebt.

Vor dem Café saß ein Teenager mit zerrissenen Jeans und schmutzigem Gesicht. Zwei Kochtöpfe standen verkehrt herum vor ihm, dazu eine Holzkiste und ein Plastikeimer, auf dem Schlagstöcke lagen.

Sina hatte es eilig, daher eilte sie beinahe unbewusst an ihm vorbei und trat ein.

Drinnen stieg ihr angenehmer Duft von frischgebackenem Kuchen in die Nase.

Sie blieb stehen und verschaffte sich den ersten Überblick. Die Tische waren dürftig besetzt. Ein allein sitzender, älterer Mann drehte sich zu ihr um und sah sie hoffnungsvoll an.

Sina fluchte auf Josy. Hatte sie ihm wirklich einen alten Mann bestellt? Seine Haare waren grau und die Falten im Gesicht nicht zu übersehen. Gut, es ging nur um gute und schlechte Eigenschaften, die sie in die Liste einzutragen hatte. Aber musste das wirklich sein?

Sie überspielte ihre große Enttäuschung und setzte sich schwungvoll ihm gegenüber.

„Entschuldigen Sie die kleine Verspätung, aber…“ Sie deutete nach draußen, zur Straße und dem vielen Verkehr, und hoffte, dass er ihre Andeutung verstand. Sie zupfte nervös an ihrer Weste.

„Schickt Sie Evelyn, verehrte Ma‘am?“

Sina legte fragend den Kopf schief. „Sie meinen sicher Amber oder Josy.“ Sie betrachtete seine gebogene Nase.

„Amber? Nein. Aber ich freue mich, dass Sie hier sind. Was kann ich für Sie tun?“

Sina schob die Augenbrauen zusammen und rutschte auf dem Stuhl zurück. „Bitte? Was Sie tun können? Hören Sie, ich bin nicht hier, um es mir besorgen zu lassen.“

Langsam und ein klein wenig zitternd schob er seine Hände über das weiße Tischtuch zu ihr. Sie zuckte zurück.

„Ich glaube, so etwas kann ich nicht, alter Mann. Das geht entschieden zu weit.“ Ihr Stuhl schurrte zurück, sie stand auf und griff nach ihrem Handy. Ärgerlich wählte sie Josys Nummer.

„Bringen Sie eine Nachricht von Evelyn?“

Langsam und mit fragendem Gesichtsausdruck senkte Sina das Handy auf Hüfthöhe. „Wer ist Evelyn? Moment. Haben Sie zufällig auch gerade ein Date?“

„Selbstverständlich, Ma‘am. Ich bin, wie jeden anderen Tag, auf diesem Platz.“ Seine Stimme war tief und ausgeglichen.

„Oh mein Gott. Entschuldigen Sie. Ich dachte, sie sind mein Date. Ich habe Sie verwechselt.“ Sie lächelte unsicher. „Ist mir das peinlich.“ Hektisch blickte sie sich im Café um.

„Leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft.“

Sina hob den Zeigefinger ihrer rechten Hand. „Nur ganz kurz. Für wann sind Sie denn verabredet?“

„Elf Uhr.“

„Es ist gleich zwölf. Sie warten bereits eine Stunde.“

Er kontrollierte seine Uhr. „Einundachtzig Minuten, neununddreißig Tage und zweiundvierzig Jahre.“ Seine Worte waren ruhig und selbstsicher, sein Blick war leer.

„Das ist nicht Ihr Ernst? Sie warten zweiundvierzig Jahre auf Ihre Evelyn?“

„Hallo, Baby“, quäkte es aus dem winzigen Lautsprecher ihres Telefons.

Sina hob ihren Zeigefinger und lächelte dem alten Mann zu. „Warten Sie kurz“, dann hielt sie sich das Handy ans Ohr.

„Hey Josy! Ich habe echt gedacht, du schickst mich zu einem Opi. Sag mal, wie sieht mein Date überhaupt aus?“

Ihr Blick kreiste umher. Wer von den anwesenden Herren war attraktiv und wartete die ganze Zeit auf sie? Ihr Blick schwenkte weiter.

„Anzug und Krawatte. Er sollte sich eine rote Nelke anstecken“, hörte sie Josy sagen.

Sina verdrehte ihre großen Augen. „Wie einfallsreich.“

„Ab morgen wirst du jeden Tag ein Bild bekommen.“

„Falls es ein Morgen gibt“, antwortete Sina trotzig.

„Ach was. Bitte mache mir ein Foto von ihm. Ja, Schätzchen?“ Sina stöhnte, während Josy in das Handy sang: „Viel Erfolg, Kleines.“

Sina nickte und brummte vor sich hin. Sie war definitiv sauer und nahm sich vor, sofort damit aufzuhören, wenn es ausufern würde.

Sie entdeckte einen Typ im schwarzen Anzug, der hinten am Fenster saß. Aufgeregt rutschte er auf seinem Stuhl hin und her, sah abwechselnd auf seine Uhr und zur Straße.

Sina atmete tief ein und bereitete sich innerlich auf ihr Abenteuer vor.

„Es war schön, Sie kennengelernt zu haben, Mister.“ Sie nickte dem alten Mann zu, warf einen Blick auf seine Mundharmonika mit den geschnitzten Holzseiten, die unter seiner Hand hervorschaute und ging zielstrebig zu dem einsamen Anzugträger hinüber.

Ihr Herz klopfte schneller. Jetzt wurde es also ernst.

Mit seinen kurz geschorenen Haaren wirkte sein Kopf wie ein Football und der Anzug hatte einen altmodischen Schnitt. Zumindest waren seine Augen treu.

„Tom?“, fragte sie unsicher.

Wie aufgeschreckt schnellte er hoch und schob ihr, wie ein Soldat, die Hand entgegen. „Ja.“ Er grinste.

„Entschuldige, ich bin etwas spät dran. Aber ich dachte, der alte Herr wäre mein Date.“ Sie lächelte verlegen und zeigte auf den Opi.

Tom winkte lässig ab, wobei seine Hand schlackerte. „Das macht doch nichts.“ Sein plumpes Grinsen schien in seinem Gesicht zu versteinern, während er aufmerksam jede ihrer Bewegungen verfolgte und ihr tatsächlich auf die Brüste starrte.

Meine Güte, ist der schüchtern. Oder pervers, dachte sie und winkte ihm zu.

„Hier oben. Schau mal, ich habe noch mehr als Titten.“

Offensichtlich hatte sie ihn damit verwirrt. Beschämt wanderten seine Blicke für eine Sekunde zu ihrem Gesicht, dann schier endlos über den Tisch.

„Sag mal, Tom. Wieso bist du heute hier?“ Ihr erster Eindruck war mehr als enttäuschend. Was war das nur für ein komischer Vogel?

„Weil wir ein Date haben.“

„Ja, aber warum haben wir das?“

Er wagte sich, ihr wieder in die Augen zu sehen. „Ich habe noch nie eine Frau gehabt.“

Angespannt drehte sie an ihrem klobigen Armreif und betrachtete die hübsche Rose darauf. Es dauerte etwas, bis sie ihn wieder ansah. „Wie hast du das bisher gemacht? Ich meine, du bist ein Mann, oder?“

„Oh ja. Ich glaube schon. Ich sehne mich nach einer Frau und würde dich jeden Tag verwöhnen, so mit Kerzenschein und Kuscheln.“

Sina verdrehte die Augen, war aber derzeit noch gewillt, dieses Desaster für die restliche Zeit zu erdulden. „Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin. Vermutlich bin ich sogar die Letzte im Universum, die sämtliche Klischees erfüllt. Zumindest sagt das meine Mitbewohnerin. Aber kommen wir zu dir. Was erwartest du von diesem Treffen?“

„Ich möchte eine Frau an meiner Seite und mit ihr Spaß haben.“

„Wie sieht denn der Spaß in deinem Leben aus? Was treibst du so und was magst du? Erzähl ein bisschen über dich.“

„Also“, fing er langsam an, als hätte er alle Zeit der Welt für sich gemietet. „Ich habe eine 2-Zimmer-Wohnung mit Balkon und arbeite beruflich bei einem Dienstleistungsunternehmen.“

Sinas Anspannung hatte zwar nachgelassen, aber ein Gefühl von Wut stellte sich jetzt ein. Wut auf sich selbst. Wut auf Josy oder Amber. Das war definitiv nicht das, was sie wollte.

„Soso, du arbeitest also beruflich. Das ist ja höchst interessant.“ Sina wartete, ob Tom noch irgendetwas ergänzen wollte. Das konnte schließlich nicht alles sein, was er über sich zu sagen hatte. Allerdings schien es tatsächlich so. Also hakte sie nach: „Sammelst du Briefmarken oder führst einen Goldfisch Gassi?“ Sie kräuselte die Stirn.

„Nö, ich sammle keine Briefmarken und kann man das mit einem Fisch wirklich machen? Wo hast du das gesehen?“

Das ist jetzt nicht dein Ernst, dachte sie und stützte den Kopf auf die Hand.

„Das war rein rhetorisch. Ich wollte einfach wissen, welche Hobbys und Haustiere du hast.“

„Ach so. Was hast du denn für Hobbys?“

Genervt verdrehte sie ihre Augen. „Du zuerst.“

„Ich höre gerne Musik und gucke Fernsehen“, gab er mit einschläfernder Stimme die Antwort.

Schluss. Aus. Sie musste dieses Treffen auf der Stelle beenden. Was sollte sie dem armen Kerl vormachen? Womöglich dachte er noch, sie beide würden in die Kiste springen, heiraten und in aller Ewigkeit zusammenbleiben. Der Gedanke erschien ihr gruselig. Sie musste weg.

„Ich denke, wir beenden das an dieser Stelle!“

„Okay. Hättest du morgen wieder Lust auf ein Date?“, fragte er und ergänzte: „Wenn du vielleicht magst. Ich hätte bestimmt Zeit, falls ich nichts anderes zu tun habe.“

„Nein, lass mal, Tom. Du bist ein netter Kerl, aber das wird nichts mit uns.“ Sie kramte ihre Liste heraus und schrieb das aktuelle Datum, den vierten März, und daneben Tom Corey hinein. Als Smiley bekam er einen geraden Mundstrich. Doch für die entscheidenden Spalten fiel ihr nichts ein. Josy würde nie den Eintrag „Idiot“ akzeptieren.

„Was erwartest du vom Leben, Tom?“, fragte sie forsch, da sie keinerlei Interesse mehr an ihm hatte.

„Wie meinst du das mit erwarten? Das Einzige, was ich mir wünsche und noch fehlt, ist eine nette Partnerin, wie dich. Sonst habe ich alles und bin eigentlich zufrieden.“

„Schön. Es gibt nicht viele zufriedene Menschen.“ Sina schrieb in ihre Liste auf die Positivseite: selbstzufrieden. Nun brauchte sie noch sein dunkles Geheimnis. Obwohl, das wollte sie vielleicht gar nicht wissen.

Er sprach weiter: „Dann würde ich gerne ganz groß im Lotto gewinnen.“

Sie verschränkte die Arme, lehnte sich entspannt zurück und dachte an ihre Einkaufsliste. Sie wollte noch die Saftgläser besorgen und den Bilderrahmen für das schräge Foto aus dem Pub, dass heruntergefallen war, als Josy völlig betrunken dem Typen an der Bar die Hose vom Leib gerissen hatte. Sie schmunzelte. Sein Räuspern unterbrach ihre Gedanken.

„Die Chancen sind nicht besonders hoch“, gab sie zu bedenken. „Außerdem kaufst du dir mit einem Los nur die Hoffnung.“

„Ja, die Chancen sind gering. Besonders, wenn man überhaupt nicht spielt.“

Sina atmete langsam ein und wieder aus. Dann sah sie auf die Uhr hinter dem Tresen. „Okay, Tom. Was hältst du allgemein von Frauen?“

„Oh, ich mag Frauen sehr gerne und würde mit einer zusammenleben. Kenne keinen Mann, der nichts von Frauen hält.“

„So meine ich das nicht.“ Sina fühlte sich nicht wohl in seiner Gegenwart. Aber die restlichen zehn Minuten würde sie noch durchstehen, bis der Spuk vorbei war. Sie erklärte ihm: „Leider gibt es nicht viele Männer, die eine Frau richtig wertschätzen. Dann verkommt die Frau sehr schnell zu einer Putze. Was du meinst, ist die Fixierung auf Sex. Ich bin aber der Meinung, dass es weit mehr als Sex gibt, um glücklich zu werden.“

„Nur fixiert auf Sex, kannst du so nicht sagen. Ich achte Frauen, möchte aber auch mit einer glücklich sein.“ Er verschlang sie an mit den Augen, als wäre sie sein Nachtisch.

„Übrigens liebe ich gehaltvolle Gespräche. Über welche Themen würdest du dich gerne mit mir unterhalten?“

„Kommt ganz darauf an. Eigentlich alles, außer Politik.“

„Was heißt alles?“

„Das ist unterschiedlich und kann ich nicht so genau sagen. Das hängt halt vom Thema ab, über das gerade geredet wird.“

Dazu fiel Sina nur ein: „Schräger Standpunkt. Welche Schwächen hast du?“

„Ich trinke manchmal Bier oder Schnaps. Und du so?“ Er fuchtelte mit den Händen.

„Wenn ich gut drauf bin, quatsche ich, bis die Leute Ohrensausen bekommen. Sonst fällt mir nichts ein. Ich esse bewusst, trinke nicht viel Alkohol, rauche nicht und halte möglichst weiten Abstand von Gummibärchen. Zählt ein Massagestab als Laster?“

Er stierte sie an. Sina wartete auf seine Reaktion, die sich kurz darauf im Räuspern zeigte. Dann versicherte er: „Mit Sexspielzeug habe ich kein Problem. Willst du meine Frau werden und mit mir Sex haben?“

Sina schüttelte energisch den Kopf.

„Langsam, langsam, Sonnyboy. So weit wird es niemals kommen.“

Drei junge Männer liefen an ihrem Tisch vorbei und unterbrachen sie mit ihrem lauten Gespräch. Sie setzten sich zwei Tische weiter mit Blick zum großen Fernseher an der Wand.

„Ich würde auch vorher in die Wanne gehen, die Haare waschen und mich stylen.“

Sinas linkes Ohr begann zu jucken, aber sie widerstand dem Drang zu kratzen.

„Okay, Josy. Ich bring dich um“, murmelte sie und füllte die letzte Spalte aus: niedriger Intelligenzquotient. Sie faltete das Blatt zusammen, erhob sich und reichte ihm die Hand. „Es hat einen guten Grund, warum es manchmal nur ein Treffen im Leben gibt. Ich wünsche dir alles Gute und viel Glück bei der Partnersuche.“

Sie schüttelten sich die Hände.

„Um welche Zeit treffen wir uns morgen?“

Sie stützte sich auf die Tischplatte und holte tief Luft, um es ihm zu erklären, doch er starrte wieder ihre Brüste an. Genervt stellte sie sich aufrecht und verschränkte die Arme. „Es war schön“, begann sie und versuchte, ihn nicht zu verletzen. „Aber es wird kein zweites Mal geben. Alles Gute Tom.“ Flink wirbelte sie herum und eilte mit großen Schritten zum Ausgang.

Geschafft.