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Konflikte im Unternehmen sind Managementaufgabe. Sie sind nicht das Privateigentum der Beteiligten, sondern sie gehören dem Unternehmen. Wie Ziegen und Fische fliegen lernen stellt die spezifische Dynamik von Konflikten in Unternehmen und anderen Organisationen dar und zeigt die Methodik für das interne Management der Konflikte. Die organisationale Vernunft steht dabei im Vordergrund – eine Ressource, die oft nicht erkannt und deshalb nicht genutzt wird. Am Beispiel des legendären Unternehmens mit Namen Ziegenfisch wird einprägsam und humorvoll gezeigt, was Organisationen widerfahren kann und wie sie sich gerade dadurch entwickeln.
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Seitenzahl: 197
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Wilfried Kerntke
Die Entwicklungskraftvon Konflikten in Unternehmen
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Heiko Roehl
Ziegenfisch-Grafik: Mit freundlicher GenehmigungGavin White, Babylonian Star-lore, London 2014.
© Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt am Main 2018Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Freigrenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Lektorat Tanja RuzicskaSatz und Layout: Farnschläder & Mahlstedt, HamburgUmschlaggestaltung: Jana FialaUmschlagabbildung © iStock.com/erhui1979Druck und Einband Hubert & Co., GöttingenPrinted in GermanyeISBN 978-3-96117-030-2
Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Vorwort
Einführung
1. Die Welt des Unternehmens im Konflikt
1.1 Leitungstätigkeit ist Konfliktarbeit
1.2 Warum jeder Konflikt in der Organisation ihr Eigentum ist
1.3 »Mein Streit gehört mir!«
1.4 Das partizipatorische Modell
1.5 Konflikte und Ressourcen-Nutzung
Ziegenfisch
2. Die Konfliktdynamik von Organisationen
2.1 Grundlagen
Der Schwund von Ressourcen
Die Ressourcen zur Konfliktbehandlung
2.2 Das Organisationstheater
Das Ensemble
Die Zaungäste
Die Protagonisten
Die Stakeholder
Die Repräsentation
Die dramaturgischen Regeln
Ziegenfisch
3. Konflikte als Katalysatoren der Unternehmensentwicklung
3.1 Die Fließrichtung von Konflikten
3.2 Die Entwicklungsphasen des Unternehmens
Die Pionierphase
Die Differenzierungsphase
Die Integrationsphase
Die Assoziationsphase
3.3 Entwicklung und Wachstum
3.4 Konfliktbehandlung und Entwicklungsphasen
3.5 Die Beschleunigung des sozialen Wandels
Ziegenfisch
Der Pionierziegenfisch
Der Differenzierungsziegenfisch
Der Integrationsziegenfisch
Der sozial beschleunigte Ziegenwandelfisch
4. Der Managementprozess für Konfliktarbeit
4.1 Räume schaffen
Raum 1Im Labor der Unternehmensleitung: Der Entwicklungsworkshop
Raum 2Im Chatroom: Die Dialogveranstaltungen
Raum 3Im Maschinenraum der Konfliktfolgekosten
Raum 4In der Schaltzentrale der Organisation
4.2 Die Konfliktarbeit
Die Konfliktarbeit mit den Protagonisten
Vertraulichkeit – ein häufig missverstandener Begriff
Externe Mediatoren und Manager im Zusammenspiel
Die Schnittstellen zur Unternehmenswirklichkeit
Die Feedbackschleife der Organisationsmediation
Stakeholder-Resonanz zu Beginn der Mediation
Die Arbeitsgruppe für die Erarbeitung von Lösungen
Der Abschluss der Konfliktbehandlung
Die Konfliktarbeit mit den Stakeholdern
Stakeholder-Resonanz zu Beginn der Konfliktbehandlung
Stakeholder als Resonanzgeber für Lösungsoptionen
Stakeholder als Beauftragte für die Lösungssuche
Die Stakeholder beim Abschluss der Konfliktbehandlung
Die Konfliktarbeit mit den Zaungästen
Informierung der Zaungäste
4.3 Der Faktor Zeit
4.4 Der Entwicklungsminister
4.5 Die Unternehmenssprecherin
Ziegenfisch
5. Der Weg zum Ziel
5.1 Zukunft denken
5.2 Kommunizieren und entscheiden
5.3 Auf ein vorhandenes Konfliktmanagement-System aufbauen
5.4 Zusammenarbeit mit externen Beratern
5.5 Entwicklungs-Partnerschaften
Zum guten Schluss
Ziegenfisch
Dank
Literatur
Welthandelsordnung, Migration, Terror: Unsere Welt wird immer unübersichtlicher. Irgendwie scheint es, als seien in den vergangenen Jahren jahrzehntelang geltende, unausgesprochene Regeln eines gesellschaftlichen und politischen Miteinanders in Auflösung begriffen. Nicht zuletzt die Digitalisierung von Gesellschaft und Mensch zeigt, wie dieser Umbruch inzwischen den Alltag jedes Einzelnen bestimmt. Das technologisch Machbare dominiert. Es nimmt kaum Wunder, dass sich diese Veränderungen für einen wachsenden Anteil der Menschen in Form von subjektiv empfundener, wachsender Unsicherheit darstellen. Der gesellschaftliche Diskurs ist so vielerorts durch ein Klima diffuser Befürchtungen geprägt – die ideale Brutstätte unterkomplexer und oft gefährlich einfacher Antworten.
Bei diesem Blick aufs Weltgetriebe fällt eines auf: So komplex die technologische, politische oder auch gesamtgesellschaftliche Entwicklung auch sein mag: Die Qualität von Kommunikation und Konfliktlösung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht verbessert, im Gegenteil: Da werden Koalitionsgespräche systematisch am Dissens organisiert und ohne Methode vorangetrieben, im globalen Handelsstreit wird Eskalation zum Lösungsprinzip erklärt und statt Interessensgegensätze zu verstehen und produktiv zu lösen gilt inzwischen in vielen Debatten das Recht des Mächtigeren.
Produktive Konfliktbearbeitung sieht anders aus. Mit den auseinander driftenden Interessen von Staaten und Interessensgruppen auf allen Systemebenen wird deutlich: Wir brauchen ein grundlegend neues Verständnis des Konflikts als Schlüsselelement systemischen Lernens. Konflikte müssen endlich als Chance gemeinsamen Verstehens verstanden werden, das auf wesentliche Aspekte der systemischen Hinterbühne verweist. An Konflikten zeigt sich, wie nachhaltig tragfähig die sozialen Systeme wirklich sind, mit denen wir täglich zu tun haben – und auf die wir angewiesen sind.
In Organisationen wird das unmittelbar spürbar, wie in einem Mikrokosmos. Ungenügend verstandene und zu trivial gelöste Konflikte kehren in verschiedenen Verkleidungen immer wieder. Das Potential, über den Dissens die wichtigen – auch machtdynamischen – nicht unmittelbar offensichtlichen Themen staunend zu erkennen wird zu oft verschenkt. Insbesondere bei schwierigen Konflikten in Bezug auf strategisch relevante Zukunftsthemen kann das durchaus gefährlich werden. Da lohnt sich der tiefere Blick.
Je komplexer die Wertschöpfung und ihr Umfeld sich gestalten, desto eher gehören konfliktäre Interessensgegensätze zum Alltag. Und desto wichtiger ist es, komplexitätsadäquate Lösungen zu entwickeln. Konflikte gehören zur Organisation. Und sie gehören der Organisation als Topoi des Lernens. Je mehr sich dieses neue Konfliktverständnis auch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durchsetzt, desto eher finden wir vielleicht auch auf die anstehenden, großen Fragen diejenigen Antworten, die nicht nur wieder neue Probleme produzieren.
Deshalb wünsche ich diesem Buch eine große, begeisterte Leserschaft.
Berlin, im Juli 2018,
Heiko Roehl
Dies ist möglicherweise ein langweiliges Buch für Sie. Hier werden Sie Konflikte nicht als dramatisches Geschehen erleben, in dem unheimliche Urkräfte toben, welche im Nullkommanichts die materiellen und ideellen Werte des Unternehmens zerstören. Auch werden Sie keine bewegenden Berichte von langfristig zerstrittenen Führungskräften lesen, deren Herzen im Mediationsgespräch wieder zueinander finden, zum Wohl der Firma. Schade, sagen Sie zu Recht, denn vieles daran ist wichtig und richtig. Aber unterstützt es Sie auch bei der Führung Ihres Unternehmens oder Ihrer Abteilung, bringt es Sie im Vorstand Ihres Verbandes oder in Ihrer Kirchengemeinde weiter?
Das gängige Bild vom Konflikt ist am Defizit orientiert: Was geht kaputt, wer kann nicht mehr? Die Erzählung von der Konfliktbehandlung wird in der Regel vom Gedanken der Teilhabe beherrscht: Man muss die Zerstrittenen dabei unterstützen, ihre Gemeinsamkeit wiederzufinden, die der unerlässliche Nährboden einer guten, von den Beteiligten selbst gefundenen Lösung für ihren Konflikt sei. Diese Sicht ist durchaus nicht banal; sie hat es zu hoher Blüte gebracht. Aber sie stößt zwangsläufig auf ihre Grenzen. Denn gute Grundsätze der Mediation, die etwa im Bereich Familie, Partnerschaft oder Community entwickelt wurden, wirken nicht nur deplatziert, sondern auch grob und undifferenziert, wenn sie umstandslos im Unternehmen eingesetzt werden, also in einer Umgebung, deren Konflikte ganz spezifischen Gesetzmäßigkeiten folgen. Dort schaden sie oft nicht nur dem guten Ruf von Mediation, sondern auch dem Unternehmen.
Dieses Buch bietet Ihnen einen neuen Ansatz. Es geht den folgenden Fragen nach: Wer hat die Berechtigung, mit einem Konflikt umzugehen und über den Fortgang der Dinge zu bestimmen, die nächsten Schritte zu entscheiden und die Ergebnisse in Wert zu setzen? Es zeigt, dass Konflikte im Unternehmen Eigentum dieses Unternehmens sind, und nicht etwa ein Privateigentum der Konfliktbeteiligten. Dabei ist Eigentum nicht als juristischer Begriff zu verstehen, sondern, im Sinne des sozialen Ownership, als ein geistiges, ideelles und soziales Eigentum. Die Frage nach der Eigentümerschaft hat weitreichende Folgen. Ein Unternehmen geht anders mit seinem Eigentum um als eine Privatperson. Es darf und muss anderen Gesichtspunkten folgen.
Bei der Behandlung von Konflikten ist das Unternehmen, wie bei allen Prozessen, einem haushälterischen Umgang verpflichtet: Die Suche nach Lösungen sollte von denjenigen betrieben werden, die sich am besten dafür eignen, die also in kurzer Zeit und mit geringstem Aufwand ein gutes Ergebnis für das Unternehmen erzielen. Dem kommt entgegen, dass die spezifische Dynamik von Konflikten in Organisationen1 ihre eigenen Ressourcen zur Behandlung generiert. Die Kunst der Konfliktbehandlung in Unternehmen besteht vor allem darin, diese Ressourcen sinnvoll und zur rechten Zeit einzusetzen. Letztlich haben wir es hier mit einem Managementprozess zu tun, der geübt werden will. Das gehört zur Qualifikation von Führungskräften. Insgesamt entsteht daraus ein gelassener Umgang mit Konflikten. Nicht Krise, sondern Managementprozess. Davon handelt dieses Buch.
Dieser Ansatz ist in mehrfacher Hinsicht neu und ungewohnt. Vielleicht denken Sie jetzt, seine Innovationskraft hinge damit zusammen, dass er die Fähigkeit des Unternehmens zur Selbstheilung stärke. Aber da muss ich Sie enttäuschen. Denn Konflikte im Unternehmen sind keine Krankheit, Sie brauchen sie nicht zu heilen. Sie müssen sie nur bearbeiten. Betrachtet man Konflikte nicht als Krankheit, sondern als Eigentum des Unternehmens, kann man den Schwung, mit dem die herkömmliche Mediation die Lösungssuche denjenigen erlaubt (oder aufgebürdet) hat, die sich als Konfliktparteien entblößten, umkehren: Denn nach rund einem Vierteljahrhundert Mediation in Deutschland geht es endlich darum, auf das Gefüge der Verantwortung zu schauen, das in jeder Organisation angelegt ist. Das führt uns dazu, die Partizipation bei der Lösungssuche in regelhafte Betriebsabläufe zu integrieren, die schlicht den Gesetzen organisationaler Vernunft und Ökonomie folgen und diese stärken.
In der Konfliktbehandlung kommen nun handlungsleitend mehrere Linien zusammen, die eigentlich schon immer zusammengehörten: Einerseits werden Sie die handwerklichen Grundsätze von Mediation in der Gesprächsführung – das betrifft vor allem (aber nicht nur) die Behandlung des persönlichen Dramas der Beteiligten eines Konflikts – wiederfinden. Andererseits kommen für die Probleme, welche das Unternehmen und seine Interessen betreffen, Lösungsansätze und Vorgehensweisen aus der Organisationsentwicklung hinzu, speziell aus den Erkenntnissen der sogenannten Stakeholder Theory. In Kapitel 2 (Die Konfliktdynamik von Organisationen) finden Sie mehr dazu.
Die Einheit aus beidem ist das eigentlich Neue im Fach Organisationsmediation, dem dieses Buch verpflichtet ist. Organisationsmediation entwickelt ein tiefgreifendes Verständnis der Konfliktdynamik in Organisationen. Dynamik ist durch Raum und Zeit definiert und damit ganz wesentlich von einer Zeitkomponente geprägt. Konflikte aktivieren Kräfte im Unternehmen, bringen Bewegung ins System; sie schaffen Ressourcen in der Organisation, die rasch wieder vergehen. Gutes Timing ist essentiell für den Erfolg der Bemühungen. Man muss den Fisch fangen, wenn er bei uns angeschwommen kommt – nicht bevor er kommt, und nicht, wenn er schon längst weitergezogen ist. Gutes, gelingendes Konfliktmanagement ist eine Sache flüssiger Bewegungsabläufe. Misslingende Konfliktbehandlung ist oft eine Geschichte verpasster Gelegenheiten, ein mühsames »zu spät«. Wenn man mit dem Bus fahren möchte, sollte man fahrplangerecht zur Haltestelle gehen. Nach Abfahrt des Busses dorthin aufzubrechen, ist keine sinnvolle Intervention und verschleißt nur zusätzliche Kräfte. Dieses Buch möchte Ihren Sinn für gute Zeitabläufe stärken. Und es möchte Ihre Beobachtungsgabe für organisationale Veränderungen schärfen.
»Wie Ziegen und Fische fliegen lernen« setzt also vor allem innerhalb des Unternehmens an. Nicht der externe Berater, sondern der interne Managementprozess Konfliktbehandlung wird etabliert. Dieser sollte in engem Kontakt mit der Gestaltung intentionaler, also absichtsvoller, Veränderungsprozesse in der Organisation stehen. Beide, Organisationsentwicklung und Konfliktbehandlung, müssen sich mit dem Gezeiten-Spiel der Organisation auseinandersetzen, mit ihren Entwicklungsphasen, denn sie bestimmen zum Teil die inhaltliche Ausrichtung der Konfliktbehandlung. In Kapitel 3 (Konflikte als Katalysatoren) gehe ich ausführlich darauf ein.
In vielen Unternehmen werden Bemühungen zum sogenannten Systemdesign, zum Aufbau eines ständig aktiven, betriebsinternen Konfliktmanagement-Systems unternommen. An solche Bemühungen können Sie mit diesem Buch gut anknüpfen, ohne Doppelungen oder Widersprüchen zu begegnen. Im fünften und letzten Kapitel dieses Buches (Der Weg zum Ziel) können Sie erfahren, wie dies bewerkstelligt wird.
Dieses Buch bündelt Kompetenzen sowohl aus der Organisationsentwicklung als auch aus der Mediation. Die Kombination und wechselseitige Reflexion beider Fachdisziplinen im Verlauf der zwanzig Jahre meiner Beratungstätigkeit hat auf mehreren Ebenen Früchte hervorgebracht: Sie halten zum einen eine praktische Handreichung für Führungskräfte in Unternehmen und anderen Organisationen in Ihren Händen, ein Buch, das sowohl den Alltagsbetrieb als auch den Notfall eines eskalierenden Konflikts berücksichtigt. Als Beitrag zur oben erwähnten Stakeholder Theorie – einem eigenen Genre der Organisationstheorie – bietet es Ihnen zudem die Möglichkeit, in Ihrer Rolle als Führungskraft über das Unternehmen nachzudenken.
Was Sie bei der Lektüre dieses Buches erwartet, ist:
•Im Kapitel 1 eine kurze Einführung in das Unternehmen als Konflikteigner. Sie macht verständlich, inwiefern Konflikte wesenhaft zum Unternehmen gehören, und weshalb das Denken in den Kategorien von Konfliktparteien im Unternehmen nicht sinnvoll ist.
•Im Kapitel 2 eine Darstellung der Konfliktdynamik in Unternehmen und anderen Organisationen. Wo andere Konfliktdynamik-Darstellungen richtig und notwendig untersuchen, was zwischen den handelnden Personen geschieht, zeigt dieses Kapitel Ihnen, was Ihrem Unternehmen im Konflikt widerfährt und welche Gesetzmäßigkeiten damit verbunden sind. Die organisationale Ebene ist eine andere als die der Individuen mit ihren Anliegen und Bedürfnissen.
•Kapitel 3 zeigt die Entwicklungsdynamik, nicht der Konflikte, sondern der Organisation insgesamt: wie sie von einer Phase zur nächsten fortschreitet, angetrieben und unterstützt von ihren Krisen. Konflikte haben selbstredend einen starken Anteil daran, und die Konfliktbehandlung sollte sich sinnvollerweise auf die Entwicklungserfordernisse des Unternehmens beziehen.
•Kapitel 4 beschreibt den Managementprozess Konfliktarbeit in seinen großen Zügen und in Details: Die Arbeit mit den Protagonisten des Konflikts an ihrem persönlichen Drama, die Delegation der Lösungssuche in Sachfragen an Stakeholder, die Aktivierung der Verantwortung der Vorgesetzten durch die Feedbackschleife der Organisationsmediation und vieles mehr.
•Kapitel 5 benennt die Anforderungen, welche die Konfliktarbeit an Führungskräfte im Unternehmen stellt und wie sie sich vor allem auf ihre Ausbildung auswirken. Dieses Kapitel geht außerdem darauf ein, an welchen Stellen und in welcher Rolle im Prozess externe Beratung benötigt wird und wie das Zusammenspiel mit dieser ertragreich gestaltet wird. An dieser Stelle beschreibe ich auch die Schnittstellen zum Systemdesign.
Im Querschnitt des gesamten Buches läuft das Geschehen eines umfangreichen Beispielfalles, des »Ziegenfisch«, mit. Die Konfliktgeschichte dieses Unternehmens ist eine umfassende Zusammenschau realer Erfahrungen aus etlichen Unternehmen. Insofern ist sie dem wirklichen Leben abgelauscht, auch wenn sie fiktiv ist. Zugleich lernt der Ziegenfisch aus diesem Buch und das Buch lernt von ihm. Denn letztlich geht es, in aller Bescheidenheit, darum, Fliegen zu lernen.
Ab und zu sollen Sie sich bei der Lektüre Fragen an Ihre eigene Praxis im Unternehmen gefallen lassen. Schließlich ist es ein Buch für Sie, das mit seinen Inhalten möglichst eng bei Ihnen und Ihren Erfahrungen anschließen sollte.
Wilfried Kerntke, im Mai 2018
1Im Folgenden verwende ich die Begriffe Unternehmen und Organisationen synonym. Damit bezwecke ich, dass Sie sich jedenfalls angesprochen fühlen. Tatsächlich unterscheiden sich in Fragen der Konfliktdynamik und der Konfliktbehandlung Unternehmen nicht grundsätzlich von Organisationen wie Verbänden, öffentlichen Verwaltungen, Schulen und Hochschulen. Wo es Besonderheiten zu beachten gilt, da spreche ich sie an.
Weshalb sind Konflikte Bestandteil jeder Organisation?
Was bedeutet dies für die Unternehmensleitung?
Wem gehören die Konflikte?
Die Privatisierungsversuche.
Die Einwirkungen durch die Konfliktbehandlung.
Die zwei komplementären Grundprinzipien einer
Konfliktbehandlung im Unternehmen.
Ein Unternehmen ist Konflikt. Das denkt sich vielleicht jeder, der bereits längere Zeit angestellt ist oder auch als Unternehmer gearbeitet hat. So plakativ diese Feststellung klingt, so hoch ist auch ihr Wahrheitsgehalt. Konflikte gehören wesenhaft zum Unternehmen.
Ohne Konflikte gäbe es wahrscheinlich keine Organisationen und keine Hierarchie. Der Konflikt über die Priorität der Arbeitsleistungen in einem komplexen Ablauf bildet prinzipiell den Kern jeder Organisation. Damit dieser Konflikt die Arbeit nicht lahmlegt (»was tue ich zuerst, was tue ich dann, und müsste ich nicht alles auf einmal tun?«), werden Arbeit und die Verantwortung für sie aufgeteilt. Hierarchie kommt regulierend hinzu, sie ordnet die Arbeitsteilung, indem die Führungskraft dafür sorgt, dass die unter ihren Mitarbeitern aufgeteilte Arbeit zusammengenommen dem Zweck des Unternehmens dient. Die Führungskraft behebt Konflikte über die Priorität der Arbeitsbeiträge, bevor sie virulent werden, ihre Entscheidungen sind es, mit denen eine Arbeitsteilung den ihr innewohnenden Zweck erfüllen kann. Arbeitsteilung und Hierarchie gehören also zu den Konstituenten einer Organisation; sie gehören zu dem, was eine Organisation oder ein Unternehmen überhaupt erst ausmacht.2 Und in diesem Grundbestand ist der Konflikt bereits eingeschlossen.
Hierarchie und die damit verbundenen Unterschiede im Status der Beteiligten kann man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: Als Politikum (das hat viel für sich), als Phänomen der Evolution (das hat ebenfalls viel für sich), oder aber als Strukturmerkmal. Für den speziellen Zweck dieses Buchs ist entscheidend, wie die Hierarchie das Unternehmen, die Tätigkeiten und die Verantwortungsbereiche gliedert. Wenn etwa der Werbeleiter findet, der Leiter des Controlling solle eine andere Software auf seinen Rechnern installieren, greift er über seinen Verantwortungsbereich hinaus. Sagt aber der Chef des Unternehmens, der Werbeleiter solle eine andere Agentur als bislang beauftragen, dann wird dies gelten – und wir betrachten diesen Zusammenhang hier weder unter dem Gesichtspunkt der Machtfragen (wie kann es sein, dass einzelne Menschen anderen Anordnungen geben, die ebenso viel Können und Wissen haben?), noch unter evolutionären (welches waren die Zwischenstufen und die Einflussgrößen auf dem Weg zu einer ausgeprägten Hierarchie), und auch nicht unter soziologischen Aspekten (mit Blick etwa auf den Aufstieg einer eigenen Finanzexperten-Kaste in jedem größeren Unternehmen).
Uns interessiert vor allem der Gesichtspunkt der Gestaltungsräume. Dieser erlaubt uns hierarchische Statusunterschiede als Bedingungsrahmen von Interaktionen zu betrachten, mit welchen die Beteiligten einander durch wechselseitigen Druck (bei dem es nicht darum geht, einander wegzudrücken) in ihren Rollen stabilisieren – solange alles gut geht. Der Druck auf die Führungskraft (sie soll leiten) und der Druck auf den Mitarbeiter (er soll liefern) können so in Zusammenhang gesehen werden.3 Konflikte können diese wechselseitige Stabilisierung in Frage stellen. Erst wenn das Anerkennungsverhältnis der Beteiligten in Schieflage gerät, produzieren die Statusunterschiede bei den Beteiligten Emotionen, die Konflikte verschärfen4. Die Hierarchie »funktioniert« nicht mehr.
Inzwischen gibt es interessante neue Ansätze, Unternehmen ohne Hierarchie zu führen.5 Es ist wichtig, sich klar zu machen, was es für die Lebenspraxis einer Organisation bedeutet, will man auf Hierarchie verzichten: In einem hierarchiefreien Unternehmen müssen Prioritäten und Zielhaltigkeit aller Arbeitsbeiträge lateral, also zwischen den kollegial Beteiligten, immer wieder neu ausgehandelt werden. Der dafür erforderliche Kommunikationsaufwand ist hoch, und die neuen Ansätze befassen sich vor allem mit zwei zentralen Fragen: Wie diese Kommunikation effizient gestaltet werden kann und welche Haltung es erfordert, eine solche Unternehmens-Tektonik zuzulassen. Schnelle, IT-unterstützte Kommunikation auch großer Gruppen und ein sich wandelndes Verständnis vom Sinn des Wirtschaftens berechtigen zur Hoffnung, dass die sich abzeichnende Neuerungskraft solcher Ansätze die Arbeitswelt markant zu verändern vermag. Da gibt es noch viel Gutes zu entwickeln; das ist jedoch hier nicht unser Gegenstand. Wenn Sie aber noch nie ernsthaft infrage gestellt haben, dass es in Ihrer Organisation eine Hierarchie gibt, sondern das nur irgendwie uncool finden – dann sollten Sie entweder noch heute anfangen, sie abzuschaffen, oder beginnen, mit dieser Hierarchie und ihren Möglichkeiten bewusster und klarer zu arbeiten. In diesem Buch beschreiten wir den zweiten Weg, was nicht heißt, dass wir den ersten für ausgeschlossen halten.6
Wir gehen also davon aus, dass Ihre Arbeit durch ein gewisses Maß an Hierarchie und Aufgabenverteilung geregelt ist – und dass Sie dabei schon allerlei Konflikte erlebt haben, bis hin zu einem gewissen Überdruss. Womöglich haben Sie den Entschluss gefasst, Dinge in Ihrem Unternehmen zu ändern. Und sicher möchten Sie sich nicht mit der Ermunterung abspeisen lassen: »Sehen Sie doch die Konflikte einfach mal als Chance«. Deshalb stellen wir Ihnen hier den Managementprozess zum Umgang mit Konflikten im Unternehmen vor. Für die Mehrzahl der Organisationen ist das ein Erfolgsfaktor: Wie man gangbare Wege zur Integration des Konfliktmanagements baut. Der wichtigste erste Schritt ist, dass Sie das (meist unüberlegt aufgegebene) Eigentumsrecht des Unternehmens an seinen Konflikten wieder nutzbar machen.
Wenn Sie das tun, werden Sie merken: Es gilt, anzuerkennen, dass im Unternehmen konfliktbezogene Kräfte wirken, die sinnvoll gebändigt werden müssen. Bleibt dies aus, wird viel Energie vergeudet, und wichtige Ressourcen bleiben ungenutzt. Betrieblichen Programmen zur Konfliktvermeidung haftet deshalb oft etwas von fehlendem Verständnis für die facts of life an. Wenn man Konflikten ausweicht, weicht man der Gestaltungsenergie aus, die sie freisetzen können.
Den »facts of organisations« liegt der Konflikt um den Einsatz von Zeit und anderen Ressourcen zugrunde, die eine Organisation nutzt, um die unterschiedlichen Teilaufgaben zu bewältigen, die sie ihren Zweck erfüllen lässt. Die nach oben hin immer größere Verantwortung besteht vor allem darin, die im hierarchischen Sinn nachgeordneten Arbeiten klug zu ordnen und zu einem guten Zusammenspiel zu bringen. Dies ist allerdings nur dann aussichtsreich, wenn die Kommunikation zwischen den Hierarchieebenen lebhaft und gut ausgefüllt ist: Wenn sie nicht darauf beschränkt ist, Formales zu regeln und Anweisungen zu geben, sondern eine inhaltliche Auseinandersetzung zulässt. Seitens der Führungskräfte kann dies gelegentlich sogar auf der Meta-Ebene stattfinden, etwa in Form der Frage: Wohin soll die Reise gehen? Nicht »teile und herrsche« ist die Devise, sondern: »Höre gut hin, handle sinnvoll. Und mach dir auch klar, was dies bedeutet.« Dann heben Arbeitsteilung und Hierarchie den Grundkonflikt des Unternehmens auf eine andere Ebene, und zwar in einem doppelten Sinn: Einerseits wird der Konflikt dort entfernt, wo er gerade stattfindet – wie ein Objekt, das man aufhebt – und andererseits wird er in einen größeren Zusammenhang gestellt, der neue Perspektiven öffnet.
Das heißt, dass der Grundkonflikt im Alltag des Unternehmens nicht mehr ständig virulent ist – vielmehr wirkt er strukturbildend: Die Organisation entsteht und entfaltet sich entlang der Grundlinien des Konflikts. Die Aufbau-Organisation, so wie man sie im Organigramm anschauen kann, ist die gute Frucht des Konflikts. Er ist nicht prinzipiell ausgeräumt, im Gegenteil. Er wirkt beständig und weiterhin – oft zerstörerisch, oft entwickelnd. Konflikte stehen deshalb im Zentrum von aufgeklärten Erwägungen über ein Unternehmen.
FRAGEN AN SIE
1.Hat es Sie schon einmal gestört, dass Sie in Ihrem Unternehmen in einer Hierarchie stehen?
•Weil jemand über Ihnen steht?
•Oder weil jemand unter Ihnen steht?
2.Brauchen Sie auch in Ihrem Privatleben eine hierarchische Beziehung zwischen den Beteiligten?
•Warum nicht?
•Wozu vielleicht doch?
3.Was von dem, was Sie bei der Arbeit tun, betrachten Sie als Ihre Privatangelegenheit?
•Wieso tun Sie es bei der Arbeit?
•Wie sollen sich Ihre Kollegen dazu verhalten?
•Können Sie sich vorstellen, es nach Hause zu verlagern?
•Weshalb nicht?
Ein Unternehmen leiten heißt, die auf das Parkett von Hierarchie geschobenen Zielkonflikte zu bearbeiten. Nicht einmal, sondern ständig. Leitungstätigkeit ist letztlich Konfliktarbeit.
Konflikte werden sozial auffällig und sind in der Bearbeitung aufwändig, eben weil sie Arbeitsteilung und Hierarchie schnell und komplex beeinträchtigen. Im Unternehmensalltag ist für den Konfliktfall strukturell mit weiteren Entscheidungsprämissen vorgesorgt. Sie legen mit Vorabsprachen fest, wie mit Widersprüchen umzugehen ist. Zu welchem Ergebnis die Entscheidungen im Einzelfall führen, mag dabei offen sein – der Algorithmus, also die Vorgabe, nach der sie verfahren, ist es nicht.
Im oben angeführten Beispiel »Werbeleiter versus Leiter Controlling« ist zunächst klar: Der Controller wird im Sinn seiner Abteilung entscheiden (und dafür vernünftigerweise die Argumente des Werbeleiters anhören). Wenn aber der Werbeleiter die Zusammenarbeit mit dem Controlling »auf Eis legt«, etwa weil »die in ihren Zahlenwerken die Bemühungen und Erfolge der Werbung völlig verzerrt nach blödsinnigen Kennzahlen abbilden«, dann wird ein neues Kapitel aufgemacht, denn jetzt sind die Prämissen infrage gestellt: Jetzt versucht jemand, die hierarchisch festgelegte Arbeitsteilung, genauer, die Aufteilung der Verantwortungsgebiete und die Regeln von deren Zusammenspiel, auszuhebeln. Der infrage gestellte Mechanismus »gebt dem Controller, was des Controllers ist«, muss jetzt neu entschieden werden. Entscheidungsprämissen sind zum Teil als Regeln festgeschrieben, zum Teil sind sie für die Beteiligten »selbstredend« evident. »Das ist doch klar!« würde jeder sagen, der den Betrieb kennt. So lange, bis es einen offenen, nicht strukturell »gezähmten« Konflikt gibt. Solche offenen Konflikte stellen bestehende Entscheidungsprämissen infrage und verlangen von der Führungskraft, vom Gewohnten abzuweichen, wenn sie die durch den Konflikt herausgeforderte Entscheidung finden und ausführen muss. Im Ergebnis eröffnet Konfliktmanagement also, und das ist die gute Nachricht, neue Entscheidungswege. Warum das gut ist? – Ganz einfach: Neue Wege erlauben neue Schritte zu neuen Zielen. Das sollte jede Führungskraft sich immer wieder ins Bewusstsein rufen: In jeder Organisation entstehen wesentliche – wenn auch nicht alle – Innovationen auf dem Weg über Konflikte.
Auch Prämissen, die evident erscheinen, verändern sich also mit der Entwicklung der Organisation. Freilich ist die Organisation nicht mit Etiketten beschriftet, die uns diese Prämissen benennen und erklären. Ihr Erscheinungsbild ist ein anderes: Im Umgang mit Konflikten erscheinen sie als kulturelle Eigenart der Organisation. Sie prägen diese, aber sind zugleich auch ihr besonderes Kennzeichen. Konflikte und die Prämissen zu ihrer Behandlung sind wichtige Erscheinungsformen des Entwicklungsstandes einer Organisation. Wie Sie diesen Zusammenhang erkennen und nutzen können, lesen Sie in Kapitel 3 (Konflikte als Katalysatoren).
Konflikte sind komplexe Gebilde. Um sie besser zu verstehen, gehen wir im Verlauf dieses Buches drei Kernfragen nach, denen wir auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder begegnen werden:
1.Nach welchen Gesetzmäßigkeiten entwickelt sich Konfliktgeschehen im Unternehmen (im markanten Unterschied, sagen wir, zu Konfliktgeschehen in der Familie, zwischen Nachbarn, oder in einer Schulklasse)?
2.