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Geschützt durch die Anonymität des Internets vertraten die meisten Teilnehmer des Email- Disputs erschreckend intolerante, undemokratische Positionen, so als wären die über sechzig Jahre seit dem Kriegsende spurlos an ihnen vorbeigegangen. Wie in unsäglichen Zeiten des Nationalsozialismus hielten sie sich ganz offensichtlich für Vertreter der "arischen Rasse", mit dem Auftrag die Welt vom verderblichen Einfluss des Judentums zu reinigen. Ihre extrem antisemitischen, von Verschwörungstheorien geprägten Positionen blieben aber nicht unwidersprochen, wobei die Verteidiger der Juden und Israels ihre Haltung meist mit christlichen Werten begründeten. Der Autor dieses Buches beteiligte sich an der Internet-Diskussion, die er mit geänderten Namen der Teilnehmer veröffentlicht.
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Der Antisemitismus ist ein Mangel an Kultur und Menschlichkeit, etwas, was im Gegensatz zu Theorie und Wissenschaft steht. Davon hat sich jeder überzeugt, der Gelegenheit hatte, mit einem Antisemiten eine jener hoffnungslosen Diskussionen zu führen, die immer dem Versuch ähneln, einem Tier das Sprechen beizubringen.
Leszek Kołakowski1
Impressum
Textlayout: Gabriel BergerKorrektur: Gabriel BergerEinbandgestaltung: Gabriel BergerDruck und Bindung: © Gabriel Berger
Die hier zitierten Texte sind authentisch. Die in ihnen enthaltenen grammatikalischen und Rechtschreibfehler sind deshalb nicht korrigiert worden. Die Texte entstammen einer Internet-Diskussion aus dem Jahr 2008. Mit Ausnahme des Namens des Autors dieser Veröffentlichung Gabriel Berger sind die Namen der Verfasser der Texte geändert worden.
Der zeitliche Abstand zu der Diskussion mindert nicht ihre Aktualität. Denn der europäische Antisemitismus ist nach dem Holocaust, im politischen Spektrum von rechts bis links Generationen übergreifend geistig mit dem Nationalsozialismus verbunden. Das belegen in eindringlicher Weise die hier publizierten, zuweilen exzessiv ausufernden, judenfeindlichen Äußerungen.
Eine Botschaft aus dem Internet
Warum hasst ein Großteil der Welt die Juden?
Randbemerkung eines säkularen Juden
Worauf sich der Leser dieses Textes einlässt
Die guten Semiten und die bösen Chasaren
Wer nirgendwo Antisemiten sieht, ist meist selber einer
Jeder Antisemit kennt einen guten Juden
Sind die Juden vielleicht doch auserwählt?
Die blutrünstigen Israelis
Ein christlicher Freund Israels spricht Tacheles
Die Vorzeigejuden Köstler, Finkelstein und Sand
Land ohne Volk für ein Volk ohne Land?
Jordanien ist Ost-Palästina
Ein Hitler-Verehrer aus den USA meldet sich zu Wort
Der evangelikale Don Quichote
Die Meinung eines Israel-Freundes
Jüdische Verschwörung gegen Deutschland
Waren die Juden am Zweiten Weltkrieg schuld?
Eine deutsche Frau verteidigt ihre Landsleute
War Auschwitz nur ein Arbeitslager?
Der „deutsche Christ“ verteidigt seine Landsleute
Wie das Weltjudentum Deutschland den Krieg erklärte
Ist der Holocaust wirklich geschehen?
Hitlers „Friedensliebe“
Flucht des „deutschen Christen“ in die Philosophie
Haben die Juden Deutschlands Schicksal
bestimmt?
Der „Antigermanismus“ der Juden
Die Nazis haben vergessen, mich zu vergasen
Warum sind die Nazis nicht auf den Holocaust stolz?
Gibt es intelligente Nazis?
Die Schlussrunde
Nachwort
Anhang
Anmerkungen
Wir leben im Zeitalter des Internets und genießen es, dass die ganze Welt auf ein Dorf zusammengeschrumpft ist. Mühelos begegnen wir im Internet Menschen aus allen Ländern und Kontinenten, können mit ihnen einen banalen, intellektuellen oder auch erotischen Austausch pflegen. Ein Nachteil dieser virtuellen Kontakte ist ihre Anonymität und damit Unverbindlichkeit. Es ist aber zugleich ihr Vorteil, denn die Anonymität fördert die Offenheit. Solange ich dem Austauschpartner nicht als reale Person bekannt bin, muss ich keine Scheu haben, mich ihm zu öffnen und ihm vielleicht auch Gedanken und Gefühle zu zeigen, die in der “realen Welt“ einem Tabu oder juristischem Verbot unterworfen sein würden. Das Internet ist somit eine Plattform der fast schrankenlosen Freiheit, die ihre Grenzen dort hat, wo die ausgetauschten Gedanken den virtuellen Raum verlassen und in der realen Welt konkrete Taten oder Untaten initiieren. Diese Beschränkung gilt aber ebenso für jede Kommunikationsplattform. Das Internet verhält sich gegenüber den in ihm übertragenen Inhalten neutral, sie können gut oder böse, banal oder geistreich, aufbauend oder zerstörend, friedfertig oder aggressiv, rechtskonform oder verbrecherisch sein. Ein passiver Überträger der Botschaft ist nicht für ihren Inhalt verantwortlich, ebenso wenig das Internet.
Seitdem ich diese Gedanken im Jahre 2008 niedergeschrieben habe, hat sich die Internet-Kommunikation rasant weiterentwickelt. Es ist heute nicht Email die hauptsächliche Austauschform, vielmehr sind es die sozialen Medien: Facebook, WhatsApp, Instagram, You-Tube ist deren unvollständige Liste. Eine Flut von Texten, Bildern, Videos schwappt über den Globus, weitgehend unkontrolliert und unzensiert. Das Internet ist, abgesehen von autoritären und diktatorischen Staaten, weltweit offen, was neben immensen Vorteilen auch seine Tücken hat. Denn es lauern darin nicht nur Hacker, kriminelle Datendiebe, Lügner, Betrüger und penetrante Verkäufer. Es ist auch eine ideale Plattform für zwanghafte Graphomanen und Welterlöser jeder Schattierung, die ihre konfusen Elaborate und Heilsbotschaften weltweit verstreuen und ungefragt hunderten oder gar zig tausenden Empfängern zustellen.
So geriet ich eines Tages, ohne zu wissen wie, in das Mailingnetz des evangelikalen Seelenfischers Dr. Jürgen Sänger2. Ich erhielt von ihm eine Mail folgenden Inhaltes:
20.02.2008
Sehr geehrter Herr Berger,
Die Evolutionstheorie beruht auf Hypothesen, die experimentell nicht belegt wurden.
Meines Wissens gibt es keine plausiblen evolutionstheoretischen Erklärungen für
- die Entstehung der Naturgesetze,
- die Einheit der Natur,
- das anthropische Prinzip3,
- die Feinabstimmung des Kosmos,
- die Entstehung von Kohlenstoff,
- die abiotische4- Entstehung von Biopolymeren,
- die abiotische Entstehung genetischer Information,
- die abiotische Entstehung einer Urzelle,
- die Entstehung von biologischen Formen,
- die Entstehung komplexer Organe.
Diese Liste ließe sich verlängern. Die Einstellung "ignoramus et non ignorabimus"5 halte ich nicht für befriedigend. Menschliche Intelligenz reicht augenscheinlich für die Herstellung genetischer Information nicht aus.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jürgen Sänger
PS: Kopien an Laien und Theologen
Woher der ominöse Dr. Jürgen Sänger meine E-Mail-Adresse hatte und dazu noch meinen Namen kannte, wusste ich nicht. Ich hätte das verquaste Elaborat schlicht dem Papierkorb übereignen können, aber als Physiker fühlte ich mich herausgefordert, Dr. Sängers kreationistisches Weltbild zurückzuweisen, umso mehr, als er sich selbst als Naturwissenschaftler etikettierte und dennoch, wie es sich später zeigte, die Bibel als die einzige Quelle der Erklärung für die Entstehung des Lebens in seiner ganzen Vielfalt zuließ. Seine vermeintliche Kompetenz in Sachen Naturwissenschaft pflegte Dr. Sänger mit gelehrt klingenden Fremdworten unter Beweis zu stellen, die umso überzeugender wirken sollten, je unbekannter sie selbst naturwissenschaftlich gebildeten Menschen waren. Damit konnte er mir aber keine Ehrfurcht entlocken.
Also schrieb ich:
20.02.2008
Lieber Herr Dr. Sänger,
zwar bin ich selbst nicht gläubig, aber ich entstamme einer jüdischen Familie. Und da ist mir unter anderen die folgende Weisheit auf den Weg gegeben worden:
Wie Sie wissen, warten die Juden auf den Messias, der sie, aber auch die gesamte Menschheit, von allen Leiden befreien und erlösen soll. Zugleich sollen alle toten Juden auferstehen.
Es gab vor zweitausend Jahren eine mit dem Warten auf ein so kosmisches Ereignis überforderte jüdische Sekte, die deshalb beschlossen hatte, dass ihr Messias schon gekommen sei. Er hieß Jesus. Die anderen Juden haben geduldig zweitausend Jahre gewartet und sie werden, wenn Gott die Güte hat die Judenheit so lange zu erhalten, weitere zweitausend Jahre auf ihren Messias warten. Die Christen haben schlicht das Warten verlernt. Dafür liefern auch Sie heute ein beredtes Zeugnis, wenn Sie nach einer, in historischen Dimensionen betrachtet, sehr kurzen Zeit der Existenz der Entwicklungslehre und einer noch viel kürzeren Zeit der Genetik erwarten, dass alle Rätsel der Natur von diesen Wissenschaftsgebieten schon heute gelöst sein müssten, sie andernfalls auf den Müllhaufen der Forschungsgeschichte gehören. Das ist sicher ein bisschen voreilig und zu einfach gedacht.
Vielleicht sollten Sie sich mal, wie die Juden, in Geduld üben.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriel Berger
Vermutlich war es falsch, auf die Mail überhaupt zu reagieren, denn erfahrungsgemäß sind Menschen, die einer Welterlösungsidee verfallen sind, sei sie christlich, islamisch oder kommunistisch mit keinen Argumenten vom Gegenteil zu überzeugen. Zudem weckte ich mit meiner Antwort in dem Seelenfischer Dr. Sänger den Glauben, mich mit seinem Netz einfangen zu können und das obwohl ich mich klar als gegenüber allen Formen religiösen Glaubens resistent etikettierte.