Wiener Liebesreigen - Lisa von Lichtenberg - E-Book

Wiener Liebesreigen E-Book

Lisa von Lichtenberg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Verena Königshofer hob trotzig das Kinn. Die alte Verena, das alte Leben lag hinter ihr. Jawohl! So konnte es ja nicht weitergehen! Erst letzte Woche hatte sie in einer Bäckerei gestanden und eine Entschuldigung gestammelt, weil ihr die unkonzentrierte Verkäuferin an der Theke nur zwei statt der bestellten drei Brötchen gegeben hatte. Dabei hatte sie, Verena laut und deutlich gesprochen! Als sie den Irrtum der Angestellten bemerkte, wiederholte sie ihre Bestellung: »Ich wollte drei Stück, entschuldigen Sie bitte.« Worauf die Verkäuferin noch ein Brötchen dazu legte und huldvoll nickte. Als läge die Schuld – natürlich! – bei Verena! »So eine war ich bis jetzt«, dachte die junge Frau. »Lange genug. Ab jetzt ist alles anders!« Alles anders, das war zumindest äußerlich so. Wie zur Bestätigung fuhr sie mit der Hand durch ihre neuerdings stoppelkurze Frisur. Vorgestern war ihr das Haar noch in schweren Wellen über den Rücken gefallen. Es war so schön gewesen, ein Ausdruck von Wärme und Freundlichkeit, was auch genau Verenas Wesen untermalte. Wie viele Komplimente sie für ihre Haare bekommen hatte! Ja, sie hatte heimlich ein bisschen geweint, als die Locken auf dem Boden des Friseursalons gelandet waren, aber nicht nur wegen der verlorenen Schönheit. Sie hatte überhaupt viel geweint in diesen letzten Tagen. Aber auch damit war jetzt Schluss. Und erstaunlicherweise sah die neue Frisur sogar gut aus. Die kurzen aschblonden Fransen fielen fröhlich in die Stirn und betonten Verenas hellblaue Augen, in denen sich an diesem Morgen die Wiener Frühlingssonne spiegelte. Laut rumpelte der Koffer über das Kopfsteinpflaster, als

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Fürstenkrone – 112–

Wiener Liebesreigen

Heiterer Roman um die schwierige Suche nach dem Richtigen

Lisa von Lichtenberg

Verena Königshofer hob trotzig das Kinn. Die alte Verena, das alte Leben lag hinter ihr. Jawohl! So konnte es ja nicht weitergehen!

Erst letzte Woche hatte sie in einer Bäckerei gestanden und eine Entschuldigung gestammelt, weil ihr die unkonzentrierte Verkäuferin an der Theke nur zwei statt der bestellten drei Brötchen gegeben hatte. Dabei hatte sie, Verena laut und deutlich gesprochen! Als sie den Irrtum der Angestellten bemerkte, wiederholte sie ihre Bestellung: »Ich wollte drei Stück, entschuldigen Sie bitte.« Worauf die Verkäuferin noch ein Brötchen dazu legte und huldvoll nickte. Als läge die Schuld – natürlich! – bei Verena!

»So eine war ich bis jetzt«, dachte die junge Frau. »Lange genug. Ab jetzt ist alles anders!«

Alles anders, das war zumindest äußerlich so. Wie zur Bestätigung fuhr sie mit der Hand durch ihre neuerdings stoppelkurze Frisur. Vorgestern war ihr das Haar noch in schweren Wellen über den Rücken gefallen. Es war so schön gewesen, ein Ausdruck von Wärme und Freundlichkeit, was auch genau Verenas Wesen untermalte. Wie viele Komplimente sie für ihre Haare bekommen hatte! Ja, sie hatte heimlich ein bisschen geweint, als die Locken auf dem Boden des Friseursalons gelandet waren, aber nicht nur wegen der verlorenen Schönheit. Sie hatte überhaupt viel geweint in diesen letzten Tagen. Aber auch damit war jetzt Schluss. Und erstaunlicherweise sah die neue Frisur sogar gut aus. Die kurzen aschblonden Fransen fielen fröhlich in die Stirn und betonten Verenas hellblaue Augen, in denen sich an diesem Morgen die Wiener Frühlingssonne spiegelte.

Laut rumpelte der Koffer über das Kopfsteinpflaster, als sich Verena ihren Weg vom Taxi zu der alten Backsteinvilla suchte. Sie sah sich um. Eigentlich der perfekte Ort für einen Neubeginn!

Klar, versprach ihre neue Aufgabe als Gesellschafterin einer alten Dame nicht gerade einen Karrieresprung. Ihre eigenen Eltern waren ihr ein Beispiel dafür, was es hieß, Hausangestellte zu sein. In der Villa des Fernsehproduzenten Grünbach arbeitete Verenas Mutter als Haushälterin und Mädchen für alles. Verenas Vater war der Hausmeister, der um vier Uhr früh aus dem Bett geläutet wurde, um ein Fenster zu schließen oder die Heizung einzuschalten. Schon als kleines Mädchen hatte sich Verena geschworen, etwas Besseres aus ihrem Leben zu machen. Nun, das war, bevor sie sich in den Sohn der Grünbachs verliebt hatte und mit ihm zusammenzog. Dass sie im Verlauf der Beziehung mit Bernd nur eine andere Art der Dienstbotin geworden war, bemerkte sie erst kürzlich. Hätte Bernd sie nicht betrogen, würde sie wahrscheinlich heute noch in Hamburg wohnen, im Poolhaus der Familie Grünbach.

Ob sie nun nicht erst recht in die Fußstapfen ihrer Eltern trat? Gesellschafterin – wie altmodisch sich das schon anhörte, das klang ja wie aus einem englischen Roman des 18. Jahrhunderts! Doch es sollte ja nur vorübergehend sein, denn eigentlich war sie nach Wien gekommen, um endlich ihren Traum zu leben und Malerin zu werden!

Die Straße in Sievering war von hohen, blühenden Kastanienbäumen gesäumt. Wie zur Begrüßung wehte ein sanftes Lüftchen eine der zartrosa Blüten gegen Verenas Wange. Als wollte die Stadt ihr zuflüstern: Willkommen in Wien! Willkommen in einem neuen Leben.

»Na dann los, ich bin bereit«, murmelte Verena und drückte auf die Messingklingel an der verschnörkelten Gartentür. Hinter dem schmiedeeisernen Zaun lag ein kleiner Garten mit blühenden Fliederbüschen und wild wachsenden Tulpen. Ein paar Knorrige Obstbäume standen inmitten eines Teppichs von Gänseblümchen. Das Haus lag etwas versetzt im hinteren Teil des Gartens, schwere Efeuranken wucherten an den roten Steinen empor. Verenas Blick wanderte zum Dach hinauf. Ein schwungvoller Giebel legte sich über moderne Fensterscheiben. Augenscheinlich waren sie frisch geputzt. Die dunkelgrünen Läden vor den Fenstern der unteren Stockwerke sahen jedoch so aus, als könnten sie einen frischen Anstrich gebrauchen. Alles zusammen sah es hier ein bisschen verwunschen aus, fand Verena, und sie hoffte bloß, dass im Inneren des Hauses nicht eine Hexe auf sie wartete.

Die Stimme aus der Sprechanlage allerdings klang ziemlich menschlich, und als Verena auf einer Steinsäule neben dem Hauseingang in das Auge einer Überwachungskamera blickte, erkannte die junge Frau, dass das moderne Leben hier nur hinter einer altmodischen Fassade verborgen lag.

Der Lautsprecher gab ein knatterndes Geräusch von sich, die Tür, von einem Surren gebeutelt, sprang auf. Einen Augenblick lang spürte Verena einen stechenden Zweifel an ihrer Entscheidung. Ob es richtig gewesen war, alles aufzugeben, ihr Zuhause zu verlassen?

Ja. Es war Zeit, höchste Zeit ein eigenes Leben zu beginnen! Bernd war Vergangenheit. Eine schmerzliche, unglückliche und im Rückblick manchmal auch wunderschöne Vergangenheit. Das hier war das Jetzt. Ihre neue Freiheit wartete auf sie!

*

Lilo Benedikt ließ den Spitzenvorhang zurückgleiten. So sah sie also aus, die Kleine aus Hamburg! Die Enkeltochter ihrer besten Freundin. Das arme betrogene Mädel.

Na, sie würde schon dafür sorgen, dass die kleine Grübchen, die an den Wangen der Kleinen nur schwach zu erahnen waren, wieder zum Vorschein kämen! Lilo lächelte entschlossen und warf einen kurzen Kontrollblick in das Spiegelbild der Fensterscheibe. Ihre weißen Löckchen kringelten sich perfekt und harmonierten mit den langen Perlengehängen an ihren Ohren. Mochte ihr Gesicht inzwischen auch faltig geworden sein – die strahlenden Augen blitzten noch immer wie bei einem jungen Mädchen.

»Guten Tag, Frau Benedikt!« Verena streckte der alten Dame die Hand entgegen, die auch gleich mit festem Griff gepackt wurde.

»Jetzt komm einmal herein, Mädl! Und nix da mit Gnä’ Frau oder solchen Spompanadeln. Ich bin die Lilo. Und sag bitte Du zu mir. Sonst komm’ ich mir ja noch älter vor, als ich eh schon bin! Außerdem bin ich die beste Freundin deiner Oma. Wie geht es ihr denn, meiner lieben Grete?«

»Ach, danke der Nachfrage. Sie leidet halt sehr an der Arthritis. Aber im Kopf ist sie fit wie eh und je!«

»Na, das ist doch die Hauptsache. Dass es ständig irgendwo zwickt, ist in unserem Alter ganz normal. Ich sag immer: wer nicht alt werden will, muss jung sterben. So, und jetzt willst wahrscheinlich erst einmal deine Sachen auspacken und dich unter die Dusche stellen. Dein Zimmer ist oben, aber sei mir nicht bös, wenn ich dich nicht rauf begleite. Meine Haxen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«

Die alte Dame zeigte mit einem bunt beringten Finger zur Treppe. »Und wenn du nachher fertig bist mit dem Eingewöhnen, dann freu ich mich auf deine Gesellschaft. Wenn du Hilfe brauchst, meine Perle Anna ist in der Küche.«

»Danke«, murmelte Verena, und sie konnte nicht verhindern, dass bei so viel Herzenswärme Tränen in ihre Augen stiegen.

»Na, na, na!«, sagte die Ältere und tätschelte ihr den Rücken. »Mach dich nur erst einmal frisch. Ich warte hier unten. Und keine Angst: ich renn dir nicht weg!« Und dann lachte sie schallend, wobei ihre Stimme in ein Krächzen überging.

Wie ein freundlicher Papagei, dachte Verena und musste im Stillen lachen. Ja, der Vergleich passte gut zu der Gestalt in dem smaragdgrünen fließenden Kleid, mit den hochgesteckten weißen Haarlöckchen und den knallrot lackierten Fingernägeln.

Atemberaubend! Ja, anders konnte man es nicht ausdrücken. Große Fenster gaben den Blick auf die Hügellandschaft und die kleinen Berge des Wienerwaldes frei – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite lag Wien mit seinen vielen Kirchtürmen und Kuppeln wie ein glitzerndes Meer in Braun- und Rottönen. Dazwischen leuchtete das Grün der Frühlingsbäume in den unzähligen Parks und Grünflächen.

Das Mansardenzimmer war nicht besonders groß, aber wunderbar hell. Es war die perfekte Wohnung für eine junge Malerin. Und genau das wollte Verena ja auch werden, nachdem sie ihren Traum so viele Jahre vor sich hergeschoben hatte. Nein, falsch: Sie hatte ihn Bernds Wünschen untergeordnet. Seiner Idee, eine eigene Firma zu gründen und natürlich hatte sie seine Freundin, hinter ihm gestanden und ihm den Rücken freigehalten.

Für Bernd, als Sohn eines Fernsehproduzenten, war es eine abgemachte Sache, ebenfalls in das Medien-Business einzusteigen. Er gründete ein kleines Magazin für Promi-Klatschgeschichten. Verena, die ihn ihr Leben lang kannte – und die Hälfte dieser Zeit in ihn verliebt gewesen war – unterstützte ihn, wo sie nur konnte. Sie war die gute Fee im Hintergrund, immer zur Stelle, wo sie gebraucht wurde. Auch seine Familie erkannte ihr Potential, und so wurde aus der Kunststudentin eine weitere Hilfskraft im Haushalt der Grünbachs. Verena Königshofer bekam eine Anstellung als Privatsekretärin und ein kleines Gehalt. Sie war gut zu gebrauchen gewesen, vor allem, als es Ärger mit Bernds drogensüchtigem Bruder gab. Wer war nachts losgezogen und hatte den Jungen schließlich am Hafen aufgestöbert? Wer hatte Bernds kapriziöse Mutter nach ihrem Skiunfall bedient und gepflegt, sechs Wochen lang – und dafür den ganzen Jahresurlaub geopfert? Wer hatte nie ein Dankeswort für all das bekommen? Wer hatte die ganze Buchhaltung der Firma bewältigt, während sich der coole Chef mit seinen Geschäftsfreunden in Bars vergnügte? Wer hatte sein Kunststudium geschmissen und Bernds ewigen Beteuerungen: »Nächstes Jahr heiraten wir, und dann kriegst du dein Baby!«, geglaubt, Jahr für Jahr? Wer hatte schließlich aus dem Radio erfahren, dass Bernd sich mit Elke verlobt hatte, der Moderatorin des ange­sagtesten Popsenders der Stadt?

Was für eine dumme Nuss war sie gewesen! Idiotin! Am liebsten hätte Verena sich selbst ins Gesicht geschlagen.

Sie seufzte und warf einen Blick in den Spiegel. »Aber ich stehe immer noch da«, sagte sie und straffte ihre Schultern. »Und ich werde endlich tun, was ich selbst will. Ich werde malen und meine Freiheit genießen.«

Dann machte sie sich daran, ihren Koffer auszupacken.

*

Die Mittagssonne malte helle Flecken auf die weiße Bürowand im zweiten Stock des Palais Bäumler. Automatisch hielt Carl Graf von Bäumler nach einem Angestellten Ausschau, den er beauftragen konnte, die Jalousien herunter zu lassen. Da aber außer ihm nur sein Sohn Markus anwesend war, erhob sich der hünenhafte Mann schließlich selbst aus seinem ledernen Schreibtischsessel. Bevor er die Sonne verbannte, warf er noch einen flüchtigen Blick auf die Stadt zu seinen Füßen. So modern und auch wieder so altmodisch, dachte er. Als Oberhaupt der Kaiserlich-Königlichen Hoftischlerei Bäumler vertrat Graf Bäumler immer noch die traditionelle Seite und war damit auch lange Zeit erfolgreich gewesen. Nun aber kämpfte die Firma schon seit einigen Monaten um lukrative Aufträge. Die gewöhnlichen Leute kauften ihre Wohnungseinrichtungen lieber in schicken Möbelhäusern und schraubten die Kästen dann selbst zusammen. Er seufzte, fuhr sich mit der Hand durch das silbergraue Haar mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt. Schließlich ließ er die Jalousien selbst herunter.

»Wir haben ein Problem«, wandte er sich nun an seinen Sohn. »Einerseits heißt es, modern zu sein und am Puls der Zeit zu bleiben, andererseits müssen wir uns auf unsere alten Werte stützen. Und dafür benötige ich deine Hilfe. Ich will, dass du so bald wie möglich die kleine Rütter heiratest: Gute alte Familie, viel Geld. Und ihr beiden mögt euch ja auch.«

»Eigentlich Paps«, antwortete Graf Markus und straffte seine Schultern, »möchte ich was ganz Anderes. Nichts gegen Sonja Rütter! Aber gleich heiraten … Soll ich dir sagen, was ich wirklich will? Ich möchte in der Werkstatt arbeiten, schließlich bin ich doch auch ausgebildeter Tischlermeister! Die Arbeit mit dem Holz erfüllt mich. Ich möchte dir gern einmal meine Entwürfe zeigen.«

Graf Carl schüttelte unwirsch den Kopf und ließ seinen behäbigen Körper zurück in den Stuhl fallen. Was hatte er nur falsch gemacht mit diesem Jungen? Da stand sein dreißigjähriger Sohn mit leuchtenden braunen Augen und seiner wirren Bubenfrisur und redete von Holz. Markus, der seinen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft mit Auszeichnung erlangt hatte, wollte lieber Bettpfosten schnitzen! Im Grunde seines Herzens konnte der alte Graf das sogar nachempfinden, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für väterliche Nachsicht. Jetzt musste er seinem Sohn deutlich machen, dass der Fortbestand der K & K-Hoftischlerei Bäumler einzig davon abhing, dass der Junge mit einer guten Ehe für frisches Blut und vor allem für frisches Kapital sorgte.

»Du weißt, dass ich mich nicht auf deine Schwester Gabriela verlassen kann. Als Marketingchefin ist sie unschlagbar, aber sie ist nicht wirklich loyal. Sie würde, fürchte ich, dasselbe auch für jede andere Firma tun, die sie gut bezahlt. Es liegt an dir, Markus. Du bist der Erbe der Firma und der Erbe unseres Titels. Tischlern kannst du hobbymäßig, wenn du einmal alt bist.«

»Ich habe dir doch von dem Emir aus Fudschaira erzählt, der sich für meine Arbeiten interessiert. Das könnte ein Riesen-Auftrag werden, Paps! Da geht es um einen ganzen Palast!«, beharrte der junge Mann auf seinem Argument.

Wie er ihn anblickte! Wie damals, als er um das Rennrad gebettelt hatte. Wie lang war’s her? Aber nein, er durfte nicht sentimental werden, wo so viel auf dem Spiel stand. Es ging um die Firma, die schon seit mehr als dreihundert Jahren in Familienbesitz war. Die Firma war wichtiger als der treuherzige Blick dieses Jungen.

»Hirngespinste!«, sagte Carl Graf von Bäumler deshalb brüsk und erhob sich ächzend. Er blickte auf seine Uhr und das hieß soviel wie: Raus hier!

Noch hatte er hier das Sagen. Wer wusste, ob Markus es jemals schaffen würde, ihn zu überflügeln? Carl kraulte nachdenklich seinen buschigen Patriarchenbart. Nun, Markus ist wohlgeraten, dachte er. Der Junge kam eben eher nach der Mutter, die mit Anfang fünfzig immer noch schlank und sehnig war. Carl kniff die Augen zusammen. Er musste hart bleiben, Vertraulichkeiten würden alles nur verkomplizieren. Er öffnete die Tür und schob Markus hinaus.

»Du solltest wieder mal zum Friseur gehen!«, rief er ihm unwirsch nach und wandte sich seinem Terminkalender zu.

*

Es regnete. Verena klemmte ihre Mappe fester unter den Arm, während sie mit der anderen Hand ihren Regenmantel vor der Brust zusammenhielt. Nun gut, als Hamburgerin war sie noch ganz andere Wetterkapriolen gewöhnt, sie würde sich von ein paar Regentropfen schon nicht unterkriegen lassen.