Wild Scottish Hearts – Liebe in Seaview Hills - Lisa Lake - E-Book
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Wild Scottish Hearts – Liebe in Seaview Hills E-Book

Lisa Lake

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Beschreibung

Kann es ein "Für immer" mit ihm geben?

Raelyn ist mit Leib und Seele Tierärztin im schottischen Küstenort Seaview Hills. Trotzdem bräuchte sie bei der Flut an Patienten dringend Unterstützung. Auf der Suche nach einem Partner für ihre Praxis läuft ihr ausgerechnet der attraktive Amerikaner Max über den Weg - der noch dazu Tierarzt ist. Obwohl er sich zunächst sträubt, wird er bald Teil des Teams. Von Tag zu Tag knistert es mehr zwischen ihm und Rae, aber irgendetwas scheint ihn zurückzuhalten. Wieso kann er sich nicht auf eine Beziehung einlassen? Und während Raes Gefühle für Max immer tiefer werden, muss sie sich fragen, ob es mit ihm überhaupt eine Zukunft geben kann.

Eine mitreißende Liebesgeschichte an der rauen Küste Schottlands. Wer diesen Roman liest, wird sein Herz verlieren.

Stimmen unserer Leser und Leserinnen:

»Es war für mich einfach hinsetzten, abschalten, mitfiebern und wegträumen, das macht das Buch zu einem wahren Wohlfühlbuch. Eine ganz klare Leseempfehlung.« (NICKYRELLA, Lesejury)

»Das Setting ist der Wahnsinn! [...] ich habe schon richtig Fernweh bekommen.« (CLARISSA125K, Lesejury)

»Schottland als Kulisse, Tierärzte und eine schöne Liebesgeschichte - das war alles was es gebraucht hat, damit ich dieses Buch unbedingt lesen wollte!« (RICI91, Lesejury)

»Ich kann für Lisas Debütroman nur eine große Herzensempfehlung aussprechen. Ein wirklich gelungenes Buch mit viel Liebe, Freundschaft und Familiensinn.« (BUCH_UND_TEE_, Lesejury)

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.



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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Danksagung

Über dieses Buch

Raelyn ist mit Leib und Seele Tierärztin im schottischen Küstenort Seaview Hills. Trotzdem bräuchte sie bei der Flut an Patienten dringend Unterstützung. Auf der Suche nach einem Partner für ihre Praxis läuft ihr ausgerechnet der attraktive Amerikaner Max über den Weg – der noch dazu Tierarzt ist. Obwohl er sich zunächst sträubt, wird er bald Teil des Teams. Von Tag zu Tag knistert es mehr zwischen ihm und Rae, aber irgendetwas scheint ihn zurückzuhalten. Wieso kann er sich nicht auf eine Beziehung einlassen? Und während Raes Gefühle für Max immer tiefer werden, muss sie sich fragen, ob es mit ihm überhaupt eine Zukunft geben kann.

Über die Autorin

Lisa Lake lebt mit ihrer Familie und einer sehr faulen Katze, mit der sie die Leidenschaft zu ausgiebigen Nickerchen teilt, am Rande des Harzes. Schon in ihrer Schulzeit fing sie an Fanfiction zu schreiben, um ihren Lieblingspärchen ein Happy End zu schenken. Ihr Herz schlägt für Geschichten voller Romantik und Sehnsuchtsorte, weshalb es ihre Figuren in ihrem Debüt nach Schottland verschlägt. In ihrer Freizeit verschlingt sie Bücher, wie andere ihren geliebten Kaffee am Morgen.

Die Autorin ist auf Instagram unter @my.bookish.paradise zu finden.

Lisa Lake

WILD SCOTTISHHEARTS

Liebe in Seaview Hills

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Ulrike Gerstner

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © IakovKalinin/iStock/Getty Images Plus; Elena Sgarabotto/iStock; G-Stock Studio/Shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-1741-0

be-heartbeat.de

lesejury.de

Für dich, Mama.Weil du die Beste bist.

Kapitel 1

Raelyn

Ich liebe meinen Job. Tue ich wirklich. Aber manchmal, wenn ich so wie jetzt, nachts um halb drei in meinem Auto sitze, um zu einem Notfall zu fahren, verfluche ich mich dafür, keinen stinknormalen Job mit festen Arbeitszeiten zu haben. Eigentlich würde Neil, mit dem ich meine Tierarztpraxis gemeinsam führe, zu solchen Notfällen fahren – denn er ist derjenige, der auf Nutztiere spezialisiert ist. Da er aber diese Woche im Urlaub ist, bin ich nun unterwegs, um einer Kuh bei ihrer ersten Geburt zu helfen. Was bin ich doch für ein Glückspilz. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Patienten normalerweise süße Hamster sind, oder Hasen und Hunde oder was auch immer die Leute sonst so für kleine Haustiere haben. Ich bin also nicht nur total müde – ich hoffe, sie haben dort genügend Kaffee im Angebot –, sondern auch gehörig nervös.

Die lange schmale Straße, die aus der Stadt hinaus in Richtung der Farm führt, ist um diese Zeit wie ausgestorben. Meine Finger trommeln einen imaginären Beat aufs Lenkrad, und ich wünsche mir, dass alles reibungslos klappt.

In Gedanken gehe ich alle möglichen Schritte durch, die ich theoretisch beherrschen sollte, und ich wünschte, es würde auch für solche Dinge YouTube-Tutorials geben. Plötzlich kreuzt ein anderes Scheinwerferpaar meinen Weg. Welcher Irre fährt denn mitten in der Nacht hier lang? Abgesehen von mir natürlich. Der Wagen kommt näher, und irgendwie fährt er viel zu weit rechts. Ich hupe und bremse leicht ab, aber der andere bleibt mittig auf der Straße. Wo hat der bitte fahren gelernt? Ich halte mich, so weit es geht, am linken Spurrand und schätze ab, ob wir so aneinander vorbeipassen. In meinem Kopf schreit dabei eine Stimme immer lauter: Stopp! Das wird nichts! Stopp! Im letzten Moment trete ich hart auf die Bremse und reiße das Lenkrad noch ein Stückchen nach links. Doch noch im selben Augenblick weiß ich, dass das ein Fehler war. Mein Wagen gerät über den unebenen Fahrbahnrand und beginnt zu schlingern. Das Lenkrad wird mir aus den Händen gerissen, ich verliere die Kontrolle und lande mit weit aufgerissenen Augen und einem schrillen Aufschrei im Graben. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Nach ein paar Schocksekunden registriere ich, dass ich bis auf einen Beinahe-Herzinfarkt okay bin und stoße zitternd den angehaltenen Atem aus.

Ein Klopfen an meiner Fahrertür lässt mich erneut aufschreien. Ich sehe, dass der fremde Wagen auf der Straße angehalten hat. Wut vertreibt das letzte bisschen Angst, und stocksauer reiße ich meine Tür auf und springe aus dem Auto. Der Fremde, ein hochgewachsener Mann, weicht einen Schritt zurück und leuchtet mir mit seiner Handytaschenlampe direkt ins Gesicht. Geblendet strauchle ich in meinen dicken Boots und kann mich gerade noch an der Tür abfangen. Er macht parallel einen Schritt auf mich zu, eine Hand ausgestreckt, als wolle er mich auffangen. Dieser peinliche Ausrutscher steigert meine Wut nur noch mehr, sodass ich ihn wütend anfauche: »Sind Sie eigentlich noch zu retten?!«

Zeitgleich fragt er mich »Ist alles okay bei Ihnen?«, schiebt aber nach meinem Ausbruch ein verwirrtes »Wie bitte?« hinterher. Er hat die Lampe inzwischen gesenkt, sodass ich sein Gesicht etwas erkennen kann – kurze dunkle Haare, gerade Nase und markantes Kinn. Selbst im Dunkeln bemerke ich, dass er gut aussieht. Sehr gut. Außerdem klingt seine Stimme richtig angenehm. Sie ist tief und weich und seinem Akzent nach würde ich auf USA tippen. Das würde auch seinen unbedachten Fahrstil erklären, denn immerhin haben die dort drüben Rechtsverkehr. Meine wirren Gedanken lassen meine Wut ein bisschen abflauen.

»Sie sind mitten auf meiner Spur gefahren und nicht ein Stück ausgewichen! Und dann haben Sie den Nerv und fragen mich, ob alles in Ordnung ist?« Ich stemme die Hände in die Hüften und starre ihn finster an.

»Ich bin absolut normal gefahren …«

Schnaubend unterbreche ich ihn mitten im Satz.

»Normal heißt, dass ein anderes Auto gefahrlos an Ihnen vorbeipasst. Nicht, dass Ihnen die Straße gehört! Ist das etwa normal?«

Ich zeige auf seinen Wagen, den er auf der Straße stehen ließ, als er mir zu Hilfe eilen wollte. Nach wie vor befindet er sich genau in der Mitte der Fahrbahn.

»Na ja, also … das sieht da jetzt schlimmer aus, als es war«, druckst er nun herum.

»Aber ist ja alles noch mal gut gegangen. Also, mehr oder weniger«, schiebt er schnell hinterher und schafft es, mich dabei mit einem strahlenden Lächeln anzusehen.

Dieses Megawatt-Lächeln, das kleine Grübchen in seinen Wangen erscheinen lässt, haut mich fast aus den Socken und sendet einen kleinen wohligen Schauer durch mich hindurch und lässt mich nur stumm nicken.

Verdammt seien seine eindrucksvollen Gesichtszüge.

»Ich muss dann weiter«, grummle ich, unzufrieden, dass meine Wut von meinen Hormonen niedergerungen wurde. »Und fahren Sie von nun an links! Auch wenn Sie das scheinbar nicht gewohnt sind.«

So schnell es meine Restwürde erlaubt, mache ich mich wieder auf den Weg zu meinem Auto. Meine Boots verursachen schmatzende Geräusche, als ich durch den dicken Schlamm stapfe, der sich hier im Graben gesammelt hat. Ich schlüpfe hinters Steuer, starte den Motor und werfe einen letzten Blick auf diesen unfähigen, aber sehr heißen Amerikaner. Brummend springt der Motor an und – die Reifen drehen durch. Was soll das denn jetzt?

Ich versuche es erneut und gebe erst vorsichtig, dann resigniert mehr Gas. Aber außer den lauten quietschenden Geräuschen meiner durchdrehenden Reifen, bewegt sich mein Auto nicht vom Fleck. VERDAMMTE SCHEISSE! Ich habe mich festgefahren! Das kann doch jetzt echt nicht wahr sein. Wieso ich? Wieso?

Ich bin verleitet, meinen Kopf auf das Lenkrad zu hämmern, aber da der Fremde noch immer neben meinem Wagen steht – er wollte offenbar abwarten, ob ich heil weiterkomme –, beherrsche ich mich und beschränke mich auf lautlose Flüche. Ich zögere, weil ich nicht da raus und den Fremden um Hilfe bitten will, aber es nutzt ja nichts.

Resigniert steige ich erneut aus, stampfe ein paar Schritte aus dem Matsch heraus, in dem ich feststecke, und sehe mir den Schlamassel an.

Der Fremde steht neben mir und betrachtet ebenfalls das Szenario. Ich blicke ihn fragend an. »Wenn wir vielleicht beide kräftig schieben?«, erkundige ich mich vorsichtig.

»Vergessen Sie’s. Der steckt fest«, erwidert mein Gegenüber trocken und nimmt mir das letzte Fünkchen Hoffnung auf eine schnelle Lösung.

Mein langer Seufzer wird vom Klingeln meines Handys durchschnitten. Ohne auf die Nummer zu achten, nehme ich ab und werde sofort von Larry, bei dem ich eigentlich längst angekommen sein sollte, unterbrochen.

»Raelyn! Wo bleibst du denn? Ich glaube, es geht jeden Augenblick los! Jean hat immer schwerere Wehen!«

»Ich habe ein klitzekleines Problem mit dem Wagen«, entgegne ich und werfe einen Blick auf meinen alten Fiat. Mein Fremder versucht nicht mal, sein Grinsen zu unterdrücken.

»Ich bin in fünf Minuten da!« Ohne auf Larrys Antwort zu warten, lege ich auf und schiebe mein Handy wieder in die Hosentasche.

Fünf Minuten, Rae? Das könnte ein Problem werden. Ich starre auf die Reifen, die fast komplett im Matsch stecken. Ein kleines Problem. Mein Blick fällt auf den Wagen des Amerikaners und mir kommt eine Idee. Eine echt blöde Idee, aber die einzige Möglichkeit, die mir einfällt.

»Ich brauche Ihren Wagen!«, beschließe ich und sehe den Fremden herausfordernd an. Da er mehr als einen Kopf größer ist als ich – was ich natürlich nur nebenbei bewundernd anerkenne, denn mit einem Meter achtundsiebzig bin ich selbst alles andere als klein –, muss ich den Kopf in den Nacken legen.

»Wie bitte?«

Entnervt verdrehe ich die Augen und deute auf sein Auto.

»Ich. Brauche. Ihr. Auto. Soll ich es Ihnen noch aufmalen?«

Als er begreift, dass ich es ernst meine, verschränkt er die Arme vor der Brust. Starke Sehnen treten unter seinem hochgekrempelten Hemd hervor, und ich muss mich zusammenreißen, um mich nicht ablenken zu lassen.

»Lassen Sie mich Ihnen einen Abschleppdienst rufen.«

»Wir sind hier in einer Kleinstadt, die würden nicht vor morgen früh kommen. Ich muss jetzt zu einem Patienten!«

Ohne seine Antwort abzuwarten, hole ich meine Arzttasche aus meinem Kofferraum und marschiere auf das andere Auto zu.

Mit ein paar langen Schritten hat er mich überholt. Scheinbar hat er die Dringlichkeit in meiner Stimme gehört, oder aber einfach aufgegeben und hofft, mich so schneller loszuwerden, denn er wirft mir nur einen langen Blick zu. Dann stößt er einen tiefen Seufzer aus und nuschelt »Beifahrersitz«, während er noch irgendetwas von sturen Frauen hinterhermurmelt.

Ich steige ein und warte darauf, dass wir losfahren.

»Wohin soll’s also gehen?«, fragt er, als er seinen Skoda mit einer perfekten Drei-Punkt-Wendung dreht.

»Erst mal geradeaus. Und ich glaube echt, es wäre besser, Sie lassen mich fahren. Sicherheit und so.«

»Ich bin ein guter Fahrer«, erwidert er bissig. »Schuld sind die, die hier diesen dämlichen Linksverkehr eingeführt haben.«

Als Antwort ziehe ich nur eine Augenbraue in die Höhe.

»Es tut mir leid, okay! Ich bin gerade erst angekommen und nicht ans Linksfahren gewöhnt. Morgen sorge ich dafür, dass man Ihren Wagen holt.«

Seine weiche melodische Stimme lässt meine Wut vollends verpuffen, und das Adrenalin ebbt langsam ab. Wenigstens hat die Aufregung auch meine Nervosität vertrieben.

»Hier vorne rechts ab«, sage ich matt, denn allmählich kehrt meine Müdigkeit zurück.

Er wird langsamer und fragt belustigt: »Auf diesen Schotterweg dort? Und Sie beschweren sich über fehlende Sicherheit?«

Mit einem Augenverdrehen kaschiere ich meinen zuckenden Mundwinkel. Schlagfertig und heiß, nicht schlecht.

Wir rumpeln über den wirklich sehr unebenen Weg, der direkt zur Farm von Larry Brewster führt. Larry ist ein alter Freund meines Vaters und kennt mich schon, seit ich ein Baby war. Er war schon Kunde bei uns, bevor ich die Praxis meines Dads übernommen habe, und hat nie auch nur im Ansatz an meinen Fähigkeiten gezweifelt … Im Gegensatz zu vielen anderen Alteingesessenen, denen ich mich erst beweisen musste.

Während mein Fremder konzentriert auf die Straße starrt, lasse ich meinen Blick im Dämmerlicht des Wagens über ihn schweifen. Er ist braungebrannt, und mein erster Eindruck bestätigt sich. Er sieht umwerfend gut aus. Fast zu gut. Die Sorte gut aussehend, die genau weiß, wie attraktiv sie ist. Trotz allem – trotz dieser seltsamen Situation hier mitten in der Nacht, fängt mein Bauch verräterisch an zu kribbeln. Absolut unpassend, und deshalb ignoriere ich das Gefühl, so gut ich kann.

»Wie heißen Sie eigentlich?«, unterbricht er plötzlich meine Gedanken. Als wäre ich ertappt, laufen meine Wangen rot an. Eine Sache, die ich an meiner hellen Hautfarbe am meisten hasse. Doch ich hoffe, dass es zu dunkel ist, um das zu erkennen.

»Raelyn Campbell, und Sie sind?«

»Max Rogers.«

»Oh, da mussten Sie als Kind sicher viele Sprüche über sich ergehen lassen? Alles roger, und so?«, plappere ich grinsend drauflos.

Bis sich eine Sekunde später mein Kopf einschaltet. »Äh, ’tschuldigung«, schiebe ich hinterher. Nicht jeder versteht meinen teils seltsamen Humor, und ich kenne Max Rogers nicht annähernd gut genug, um beurteilen zu können, ob er sich auf den Schlips getreten fühlt oder nicht.

Er lacht kurz auf, ein tiefes kehliges Lachen, dass sofort den Schmetterlingsschwarm in meinem Bauch erneut aufscheucht.

»Schon gut. Und ja, solche Sprüche gibt’s wohl immer. Aber man muss nur damit umzugehen lernen.« Er macht eine kurze Pause und fügt dann hinzu: »Ich zum Beispiel habe eine Weile Kickboxunterricht genommen. Vielleicht nicht unbedingt pädagogisch korrekt, aber effektiv.«

Diesmal ist es an mir, zu lachen.

»Beeindruckend«, erwidere ich mit einem Schmunzeln, »und ich dachte schon, jetzt käme eine Rede im Sinne von ›das schult den Charakter‹.«

»Oh, das hat es sicher auch irgendwie.« Wir tauschen ein rasches, schmales Grinsen und verfallen so, für den Rest der Fahrt, in ein angenehmes Schweigen.

Sobald wir das offenstehende und leicht marode Holztor der Farm passieren, kommt uns bereits Sean, der Sohn von Larry, entgegengerannt und gestikuliert wild mit den Armen. Kaum, dass Max den Wagen zum Stehen gebracht hat, springe ich heraus.

»Wie sieht’s aus?«, frage ich ohne Umschweife und spare mir sämtliche Begrüßungsfloskeln.

Ich mache mich direkt auf den Weg zum Stallungstrakt, in dem die trächtige Bella steht. Die Farm kenne ich wie meine Westentasche, so oft war ich schon hier, und eine Sekunde später ist Sean an meiner Seite.

»Es geht sicher jede Minute los. Dad ist am Durchdrehen!«

Etwas leiser fragt er: »Wer ist der Kerl, der dich gefahren hat und uns folgt?«

Ich drehe mich um und stelle überrascht fest, dass Max, wie ich angenommen hatte, nicht wieder wegfährt, sondern uns in ein paar Schritten Abstand nachkommt.

»Ich erzähl’s dir später, ja?« An Max gewandt sage ich: »Danke fürs Fahren.«

Wir erreichen den Stall, und als Larry mich auf sich zukommen sieht, nimmt er mich erleichtert in die Arme. Er drückt mich so fest, dass mir fast die Luft wegbleibt.

»Alles gut, ich bin ja da«, sage ich und befreie mich lachend aus seinen Armen.

»Es kann jede Minute losgehen. Wo warst du so lange? Und wer ist das?« Er sieht zwischen mir und Max mit hochgezogenen Augenbrauen hin und her.

Bevor ich antworten kann, tritt Max an unsere Seite und stellt sich den beiden vor. Attraktiv, schlagfertig und gute Manieren also.

»Lange Geschichte«, seufze ich und ziehe mir meine dicke Jacke aus, die ich hier im beheizten Stall nicht mehr brauche. Ich werfe sie über einen Strohballen und erkläre, was passiert ist.

»Auf der Bundesstraße, auf dem Weg zu euch, kam mir Max entgegen – und na ja, er ist nicht ganz so geschickt, was das Linksfahren betrifft.«

Max funkelt mich an, und ich grinse.

»Ich wollte ihm ausweichen, und keine Ahnung wie, aber auf einmal stand ich im Graben und meine Reifen steckten fest.« Ich zucke mit den Achseln, als würde so was jeden Tag passieren.

»Vielleicht hätte man lieber kein Gas gegeben sollen, um aus dem Graben rauszukommen«, wirft Max zuckersüß ein.

»Vielleicht hätte ich diesen Tipp gebrauchen können, bevor ich das versucht habe«, gebe ich genauso süß zurück.

»Aber du bist unverletzt? Geht es dir gut?« Larry sieht mich besorgt an, während Sean etwas in sein Smartphone tippt. Ich ahne Böses.

»Wehe, du textest das direkt meinem Dad! Der braucht das gar nicht zu erfahren, erst recht nicht mitten in der Nacht, oder soll er einen Herzinfarkt bekommen?«

Ertappt steckt Sean sein Smartphone wieder weg.

Pfff, also echt.

»Ich schicke morgen früh einen meiner Männer, der dir den Wagen dann vorbeibringt. Wo genau ist es passiert?«, erkundigt sich Larry.

»Ein paar Meilen vor der Abzweigung zu euch. Und danke.«

Sean grinst mich an. »Frauen und Autos, das ewige Leid.«

»Genau das hab ich auch gesagt«, wirft Max ein und stößt ein kurzes Lachen aus.

Ich boxe Sean gegen die Schulter und schnaube gespielt empört. »Hey, ich bin eine gute Fahrerin«, erwidere ich. »Ich kann sogar einen Traktor fahren, also nichts mit diesem Frau-am-Steuer-Unfug.«

Nun schaltet sich auch Larry mit ein.

»Ich glaube mich zu erinnern, dass deine letzte Traktorfahrt in unserer alten Scheune endete. In der Wand!«

Wegwerfend wedele ich mit der Hand. »Details … ihr wolltet die eh erneuern, also habe ich euch praktisch einen Gefallen getan.«

Ein langes lautes Muhen aus Bellas Box beendet unser Herumgealbere. Im Nu stehen wir bei ihr.

Ich wende mich noch einmal kurz zu Max. »Noch mal danke. Also dann, immer schön ans Linksfahren denken.«

»Ich kann gern bleiben und helfen«, entgegnet Max. Bevor ich ablehnen kann, kommt Larry dazwischen. »Na dann, frisch ans Werk.«

Ich schnappe mir ein paar lange Handschuhe und den Kittel, den Sean mir reicht, und betrete mit Larry die Box.

Zwei Stunden und fünf Kaffees später hat die Kuh ein gesundes und munteres Kälbchen auf die Welt gebracht. Wir haben uns gemütlich auf die Strohballen in der Ecke des Stalls gesetzt und erholen uns mit einem leckeren vorzeitigen Frühstück von den anstrengenden Stunden.

»Bin ich froh, dass alles gut lief. Du hast ja keine Vorstellung, wie viel Schiss ich hatte. Das ist meine beste Zuchtkuh.«

»Ich glaube, dass hat Rae bemerkt, Dad«, erwidert Sean schmunzelnd.

»Alles gut. Ich hatte selbst totalen Bammel davor«, gestehe ich.

»Und das sagst du mir erst jetzt?«

»Das hätte dich vorher nur noch mehr beunruhigt. Du weißt doch, dass das normalerweise Neil macht.«

Auf Max’ fragenden Blick erkläre ich: »Neil ist Tierarzt in meiner Praxis, er hat allerdings gerade Urlaub. Sonst übernimmt er eigentlich alles, was größer ist als ein Hund. Aber ich möchte behaupten, dass ich mich ganz gut geschlagen habe.«

»Das haben Sie allerdings«, antwortet er geradezu sanft, und sein direkter Blick geht mir unter die Haut. Verlegen sehe ich beiseite und gieße mir einen weiteren Kaffee ein.

Überhaupt hat Max mich überrascht. Anstatt sich schnellstmöglich höflich davonzumachen – was man ihm nicht hätte übelnehmen können –, hat er die ganze Zeit neben uns gestanden, Tücher gereicht oder frisches Wasser geholt. Das hat mich mehr beeindruckt, als irgendwelche Gesten es gekonnt hätten.

»Danke«, murmele ich und suche Max’ Blick. Mit einer angenehmen Wärme treffen seine braunen Augen auf meine. Sie schimmern wie flüssiges Karamell. Das darauffolgende Lächeln auf seinen Lippen lässt mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen.

Larry räuspert sich im Hintergrund, und ich schaue auf. »Wer will einen Whisky?« Er klopft sich auf die Schenkel und steht schwungvoll auf.

Sean lacht laut auf. »Mein alter Herr hat fantastische Prioritäten!« Er läuft voraus zum Haus, während sein Vater auf uns wartet.

»Sie sind auch herzlich eingeladen.« Larry schlägt Max wie einem alten Bekannten auf die Schulter und dirigiert ihn Richtung Haus.

»Danke, aber ich bleibe lieber bei Kaffee«, meint Max, folgt den beiden jedoch hinaus aus der Scheune.

Ich atme tief ein und lege den Kopf in den Nacken. Lieber Himmel, entfährt es mir im Stillen, was für eine Nacht.

Als der Morgen anbricht, sehen wir noch einmal nach dem Neugeborenen. Es macht seine ersten Laufversuche, was wirklich lustig aussieht.

»Ihr müsst euch noch einen Namen überlegen«, sage ich an Larry gewandt.

»Ich dachte an Lynn«, antwortet dieser wie aus der Pistole geschossen. Ein Funkeln blitzt in seinen Augen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung ist«, werfe ich ein.

Hinter mir höre ich, wie Max versucht, sein Lachen mit einem Hüsteln zu kaschieren.

»Ich fahre dich heim«, bietet Sean mir an.

»Lieb von dir«, lächle ich.

»Wo müssen Sie denn hin? Ich könnte Sie auch mitnehmen.«

Max’ Angebot kommt so überraschend, dass mir mein Unterkiefer schrecklich klischeehaft herunterklappt.

»Äh … ich wohne in Seaview Hills. Aber Sie müssen sich wirklich keine Umstände machen.«

»Oh, da muss ich auch hin«, meint dieser nur seelenruhig und übergeht meinen schwachen Protest.

Gemeinsam gehen wir alle zu seinem Auto, und Larry drückt mich zum Abschied überschwänglich.

»Fahrt vorsichtig«, sagt er, dann nimmt mich auch Sean kurz zum Abschied in die Arme.

»Wir bringen dir deinen Wagen im Laufe des Vormittags vorbei.«

Ich bedanke mich und verspreche, in den nächsten Tagen noch mal nach der Kleinen und ihrer Mutter zu sehen. Nachdem auch Max sich verabschiedet hat, öffnet er mir die Beifahrertür und geht dann auf die Fahrerseite, um selbst einzusteigen.

»Danke«, flüstere ich. Max nickt kurz, dann startet er den Motor.

Zurück auf der Landstraße herrscht Schweigen im Wagen. Erst jetzt, in dieser Zweisamkeit, während um uns herum der Tag anbricht, wird mir bewusst, wie seltsam die Nacht verlaufen ist. Was hat diesen Fremden dazu bewogen, bei uns zu bleiben? Was führt ihn überhaupt nach Seaview? In meinem Kopf rattern die Fragen, und ehe ich mich abhalten kann, platze ich heraus:

»Was führt Sie nach Seaview?«

Für einen Moment denke ich, er wird mir nicht antworten. Seine Kiefermuskeln wirken verkrampft, doch dann erwidert er:

»Ich besuche hier jemanden.«

Sein Tonfall macht deutlich, dass er keine weiteren Nachfragen dazu beantworten wird, also gebe ich mich mit dieser kümmerlichen Auskunft zufrieden.

Wir verfallen wieder in Schweigen, bis wir das Stadtschild von Seaview Hills erreichen, auf dem uns das stilisierte Bild einer Möwe, die über die Klippen fliegt, begrüßt.

Ich lotse Max durch die Straßen zu meinem Haus und nestele an meiner Jacke herum, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Weil ich mehr von ihm wissen möchte. Und gleichzeitig nicht, denn er ist zu Besuch hier, und ich brauche keine unnötigen Wirrungen in meinem Herzen. Schon jetzt legt es nämlich ein paar Takte zu, und wir haben gerade mal eine halbe Nacht zusammen verbracht. Und nicht mal auf romantische Weise.

»Da wären wir.«

Seine Worte bereiten meinen Gedanken ein abruptes Ende, und ich fühle erneut, dass ich rot anlaufe. Bestimmt hält er mich für seltsam, so wie ich hier stumm vor mich hinstarre und scheinbar den höflichen Small Talk verlernt habe. Ich schüttele leicht meinen Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.

»Danke fürs Fahren«, sage ich und öffne meine Tür. Auf halbem Weg zögere ich und beuge mich mutig noch mal ein wenig hinein.

»Und danke, dass Sie mir geholfen haben vorhin. Obwohl das Ganze ja irgendwie auch Ihre Schuld war … Und für die Hilfe im Stall. Danke.«

Ich schaue ihm direkt in die Augen und glaube, für einen Moment darin ähnliche Emotionen aufblitzen zu sehen, wie die, die ich seit vorhin zu unterdrücken versuche.

»Gerne, es war wirklich eine … interessante Nacht.«

Die Art, wie er das sagt, lässt meine Gedanken direkt wieder in eine völlig falsche Richtung wandern. Stopp jetzt, Kopf!

»Also dann, gute Nacht«, sage ich – nicht sehr eloquent – und schlage die Wagentür zu. Eine Sekunde später fährt er das Fenster ein Stück herunter.

»Guten Morgen, Ginger Spice.« Mit einem schelmischen Zwinkern fährt er davon.

Ginger was? Für einen Moment stehe ich verdutzt da, dann fällt mein Blick auf das Shirt, das unter meiner offenen Jacke hervorschaut. I ♥ the Spice Girls. Boden, tu dich auf.

Kapitel 2

Raelyn

»Und dann hat er mich Ginger Spice genannt und ist einfach gefahren!«

Kurz nachdem ich zu Hause angekommen war, habe ich mir meinen Hund Bowie geschnappt und mich auf den Weg zu meiner besten Freundin Shona gemacht.

Mit Bowie habe ich wirklich einen guten Fang gemacht. Aus seinem Wurf war er derjenige, der zuerst neugierig auf mich zugetappst kam, und er hat sich sofort mit seinem gefleckten weichen Fell und den treuherzigen Augen in mein Herz geschlichen. Der Australian Shepherd, der definitiv in Bowies Ahnenlinie steckt, freute sich über die frühe Bewegung. Immer wieder sprang er ein paar Schritte voraus, stellte seine hellbraunen Ohren auf und achtete auf jeden frühen Vogel am Himmel.

Da es erst sieben Uhr morgens war, und Shona am Wochenende alles andere als eine Frühaufsteherin ist, hatte ich einen Zwischenstopp beim besten Coffeeshop unserer Stadt eingelegt, dem SeaBrew. Dort habe ich mich mit dem Lebensnotwendigsten eingedeckt, um dann bei ihr aufzukreuzen. Mein Kopf schwirrte noch von den Gedanken an diesen amerikanischen Akzent, dieses Lächeln, das so viel in mir auslösen wollte, und die Tatsache, dass wegen ihm mein Wagen noch immer in einem Graben feststeckte.

Und so sitzen wir nun also, Donuts futternd und unseren Kaffee trinkend, auf ihrer Couch, und ich bringe sie auf den neuesten Stand der vergangenen Nacht.

»Dabei siehst du doch viel eher wie Mel B aus. Na ja, wie eine Mel B mit roten Haaren und blasser Haut eben.«

»Haha!« Ich schnalze mit der Zunge, aber sie hat recht. Meine roten Locken sind kaum zu bändigen, und die einzige Farbe sind all die Sommersprossen, die sich über mein ganzes Gesicht verteilen. Shona beginnt leise den Refrain von Wannabe zu singen, und ich verschlucke mich vor Lachen an meinem Kaffee.

»Hör schon auf!«

Ich knuffe leicht gegen ihren Arm, aber mein Kichern steckt sie an, sodass wir beide fast Tränen lachen müssen.

»Also … er gefällt dir, ja?«

Sie wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel und funkelt mich gespielt ernst an.

»Wann habe ich das bitte gesagt?«

»Das musstest du gar nicht. Allein, wie du über diesen Kerl sprichst, sagt genug. Und du hast ihn mir nicht beschrieben – er ist also heiß?«

»Vielleicht habe ich gar nicht auf sein Aussehen geachtet?«

Diesmal verpasst sie mir einen Klaps und versucht, eine Augenbraue hochzuziehen, was in einem seltsamen Zucken endet und mich erneut zum Lachen bringt.

»Okay, okay.« Ich kapituliere. »Ja, er sieht gut aus. Aber was soll’s.«

»Was soll’s? Du hast seit Brian nicht mehr so viel von einem Kerl erzählt, geschweige denn jemanden angeschaut.«

»Natürlich schau ich Kerle an. Ich hab nur keine Lust auf Dates, die eh zu nichts führen.«

»Was du vorher nicht weißt.« Dieses Thema haben wir andauernd. Shona geht gerne aus, hat nichts gegen unverbindliche Dates und Sex. Ich komme bereitwillig mit ihr mit, bin aber der Typ, der Sex nur in einer Beziehung will. Und die Suche danach habe ich vorerst aufgegeben.

»Gehen wir eigentlich nächstes Wochenende mal wieder zusammen aus?«, will Shona wissen. »Wir hatten schon lange keinen Mädelsabend zu dritt mehr.«

»Wenn Anna kann, gerne«, erwidere ich. Annabelle ist die dritte in unserem Bunde. Wir sind zusammen aufgewachsen und uns hat nichts trennen können, wie bei den drei Musketieren.

»Ich frag sie und sag dir dann Bescheid.«

Dann berichtet Shona mir noch von ihrem Date-Desaster, das sie vor ein paar Abenden hatte und wie schwer es doch ist, in unserem Alter vernünftige heiße Männer ohne Bindungswunsch zu finden.

»Wir sind siebenundzwanzig!«, werfe ich ein. »Würden Männer in unserem Alter nicht alles für lockeren Sex ohne Verpflichtungen geben?«

»Wem sagst du das! Vielleicht müssen wir mal in Edinburgh ausgehen«, überlegt Shona.

»Ich fahre doch nicht bis nach Edinburgh, nur um zu flirten!«

»Manchmal könnte man meinen, du bist zweiundsiebzig und nicht siebenundzwanzig, Rae. Wir wollen Spaß haben!« Sie wackelt anzüglich mit ihren Augenbrauen. Würde ich das versuchen, sähe es einfach nur albern aus, aber bei ihr wirkt es sexy.

»Ich kann auch ohne Männer Spaß haben. Mit meinen Freundinnen zum Beispiel?«

»Du vielleicht, aber deine Blume vertrocknet währenddessen, wie ein armes, nicht gegossenes Gewächs.«

Sie setzt ihren traurigsten Blick auf und schaut mich an.

»Shona!«, pruste ich los. Nach all der Aufregung der vergangenen Nacht tut es richtig gut, mit Shona herumzualbern, und ich merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Genau dafür sind beste Freundinnen ja da.

Am Montagmorgen bin ich gespannt, wie Neils Urlaub war. Doch obwohl er sonst einer der Ersten ist, warte ich diesen Morgen vergeblich. Ohne unseren gemeinsamen Kaffee fühlt sich der Start in den Tag komisch an.

Mackenzie, eine meiner beiden Angestellten, bereitet den OP-Raum vor, während ich mir einen Überblick über die heutigen Termine verschaffe. Grundsätzlich vergeben wir nur für Operationen oder besondere Kontrollen feste Termine, deshalb ist jeder Tag für sich eine Überraschung. Das liebe ich mit am meisten an meiner Arbeit.

Als die drei Katzen, die heute kastriert werden sollen, von ihren Besitzern abgeliefert werden, ist von Neil immer noch keine Spur in Sicht. Ich überlege, ihm oder seiner Frau Sasha zu texten, aber vielleicht schläft er nur aus und erscheint erst kurz vor Sprechstundenbeginn. Es ist zum Haareraufen.

Doch da mittlerweile alles bereitsteht und Mackenzie schon Vorkehrungen für die Narkosen getroffen hat, habe ich keine Zeit, mir über ihn den Kopf zu zerbrechen. Meine Konzentration gehört jetzt ganz den Katzen.

Gerade als ich den OP-Kittel ausziehe, höre ich die Klingel über der Eingangstür. Da die Sprechstunde noch nicht begonnen hat, kann es nur Neil sein. Endlich.

»Neil! Guten Morgen. Wie war euer Urlaub?«

»Morgen, Rae«, antwortet Neil knapp, ohne mich richtig anzusehen. »Der Urlaub war … echt gut.« Er geht an mir vorbei in unseren kleinen Umkleideraum. Seltsam, was war das denn bitte?

Als Neil wieder zurückkommt, halte ich ihm wortlos eine Tasse Kaffee entgegen, die ich schnell aus meiner Küche geholt habe. Unsere Pausen verbringen wir meistens in meiner Wohnung – dort steht auch der heilige Kaffeevollautomat. Sie ist durch eine Verbindungstür mit dem Flur der Praxis verbunden und dadurch nur einen Katzensprung entfernt.

Dankend nimmt er mir die Tasse ab und nippt an der schwarzen Flüssigkeit.

»Gut also, ja? Ist alles okay bei euch?«

»Ja, klar. Alles gut«, erwidert er, doch ich meine, ein kurzes Zögern in seiner Stimme zu erkennen. »Was steht heute alles an?«

Ich glaube ihm kein Wort, und mein Magen vollführt nervöse Purzelbäume, als ahne er etwas Schlimmes. Die restliche Zeit, bis die ersten Patienten eintreffen, tut Neil so, als sei alles wie immer. Aber er meidet meinen Blick, als könne ich in seinem Gesicht etwas lesen, was er mir nicht verraten will.

Der Vormittag verging noch nie so zäh. Ich muss mich zusammenreißen, meine Aufmerksamkeit den Patienten zu schenken. Auch Mackenzie scheint zu spüren, dass mich irgendetwas ablenkt. Denn mehr als einmal wirft sie mir einen fragenden Blick zu, den ich jedes Mal mit einem Schulterzucken beantworte. In der Mittagspause nehme ich mir vor, Neil auszuquetschen, aber Will Armstrong, unser anderer Mitarbeiter, sitzt allein an meinem Küchentisch. Auf meine Frage hin erwidert er, dass Neil zu einem Notfall bei einem Farmer gerufen wurde und wohl den ganzen Nachmittag nicht wiederkommen wird.

»Er war heute auch irgendwie komisch drauf, oder was meint ihr?«

»Sag du es uns«, wendet sich Mackenzie an Will, der den Vormittag an seiner Seite gearbeitet hat.

»Schon. Er hat kaum geredet. Mich nicht angesehen. Verhielt sich ziemlich merkwürdig.«

Ich nicke zustimmend.

»Hat er dir denn nichts erzählt?«, hake ich nach.

»Ich habe ihn nicht gefragt. Wenn er was loswerden will, wird er schon auf uns zukommen.«

So ist Will, immer lieb und verständnisvoll, und lässt jedem den Freiraum, den er braucht. Ich zwinge mir mein Sandwich hinunter, ohne wirklich Appetit zu haben, nur damit ich mich mit etwas beschäftigen kann. Die anderen beiden unterhalten sich über einen neuen Actionfilm, der diese Woche endlich auch in unserem Kino anlaufen soll. Kurz überlege ich, wann ich zuletzt im Kino gewesen bin. Als mir die Praxis bereits gehörte? Oder habe ich noch mit meinem Dad gearbeitet? Ich glaube, es war die Neuverfilmung von Baywatch, ist also schon etwas her. Ich kann kaum fassen, wie sehr die Zeit seitdem gerast ist. Kein Wunder, dass Shona immer sagt, ich solle öfter was unternehmen.

Der Nachmittag verstreicht, ohne dass wir etwas von Neil hören. Will und Mackenzie haben schon vor einer Weile Feierabend gemacht, und ich habe eben einem Kurier die heutigen Blutproben zur Analyse mitgegeben.

Als die Türklingel kurz darauf erklingt, vermute ich, dass der Kurier noch mal zurückgekommen ist, weil er etwas vergessen hat. Doch es ist Neil.

Er stellt seine Tasche hinter die Rezeption und wirkt noch fahriger als am Morgen.

»Können wir reden, Rae?«, fragt er mich, seine Stimme ist leise und gepresst. Wir gehen rüber in meine Wohnung und setzen uns auf die Couch. Ich will ihm etwas zu trinken anbieten, doch er lehnt ab und behält sogar seine Jacke an. Da will jemand aber schnell verschwinden können, denke ich mir. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, und hinter meinen Schläfen fängt ein leises Pochen an.

Ein paar Minuten sagt keiner von uns ein Wort, dann halte ich die angespannte Stille nicht mehr aus.

»Was ist los, Neil?«

Ich drehe mich zu ihm, meine Hände liegen verkrampft in meinem Schoß.

Er stößt einen schweren Seufzer aus, als wappne er sich für das nun kommende Gespräch, öffnet den Mund – und schließt ihn wortlos wieder.

Ich nehme seine Hände in meine.

»Neil, wie lange sind wir schon Freunde? Du kannst mir doch alles erzählen«, sage ich sanft und vorsichtig, als versuche ich, ein scheues Tier zu beruhigen.

»IchhabeeinenTremor«, stößt er hervor, so schnell, dass ich nicht verstehe, was er mir mitteilen will.

»Häh?«, sage ich begriffsstutzig.

Er schließt kurz die Augen und atmet zweimal tief durch. Dann sieht er mich direkt an, das erste Mal an diesem Tag.

»Letzte Woche, da war ich nicht im Urlaub.«

Ich schüttele den Kopf, nicht sicher, was mir das sagen soll.

»Ich war in Glasgow an der Uniklinik für Neurologie.«

Mein Herz klopft mir bis zum Hals, und ich drücke ermutigend seine Hände, eine stumme Aufforderung, weiterzureden.

»Es hat schon vor ein paar Monaten angefangen. Meine Hände … sie zittern, wenn ich etwas machen will. Erst habe ich es gar nicht wirklich wahrgenommen, dann auf Stress geschoben, aber es blieb, wurde stärker und dauerhafter. Mein Arzt konnte nichts finden und hat mich deshalb an die Klinik weitervermittelt. Dort haben sie allerhand Tests durchgeführt, um Schlimmeres auszuschließen.«

Er legt eine kurze Pause ein und starrt auf unsere noch immer verschränkten Hände.

»Sie sagen, es ist ein essenzieller Tremor, wahrscheinlich vererbt.«

»Aber es ist heilbar?«

»Wir werden verschiedene Medikamente versuchen, um das Zittern zu verringern.«

Das Wort verringern hallt in meinem Kopf wider.

»Du hast doch bestimmt gemerkt, dass ich in der letzten Zeit dir die Operationen überlassen habe?«

Jetzt, wo er es anspricht, habe in den vergangenen Wochen tatsächlich ausschließlich ich operiert. Neil hatte immer einen Notfall, zu dem er musste.

»Das … du … das hättest du mir doch schon längst sagen können? Ich hätte dich verstanden, zu dir gehalten. Dich unterstützt.«

»Es war mir peinlich, Rae. Ich bin Tierarzt, und dazu gehört es, Spritzen setzen zu können oder eben Operationen durchzuführen. Und das am besten, ohne den gesamten Tierkörper aufzuschlitzen.« Er verzieht die Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. Darauf fällt mir keine gute Antwort ein, denn er hat ja recht. Also nehme ich ihn einfach in die Arme und hoffe, er versteht, was ich mit Worten nicht ausdrücken kann.

Er erwidert meine Umarmung, und ich spüre, dass auch hierbei seine Hände an meinem Rücken zittern.

»Ich muss dir noch was sagen, Rae.«

Er hält mich auf Armlänge von sich weg und schaut mir direkt in die Augen. Die Traurigkeit, die ich in seinen sehe, beschert mir ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Als wüsste man, dass irgendetwas gleich passiert, unaufhaltsam und unabwendbar. Dennoch erwischen mich seine nächsten Worte eiskalt.

»Es tut mir leid, Rae. Ich kündige.«

Kapitel 3

Max

Hierherzukommen, fühlt sich seltsam an. Es fühlt sich wie Versagen an. Was es ja irgendwie auch ist. Ich tausche Großstadt gegen Kleinstadt, eine glänzende Karriere gegen … nichts. Wieder einmal frage ich mich, wieso ich mich nicht anders verhalten, nicht anders gehandelt habe. Aber eigentlich weiß ich, ich würde nichts anders machen, wenn ich noch mal die Chance dazu hätte.

Meine Schwester stellt eine Pfanne mit Rührei vor mir ab und unterbricht damit meine düsteren Gedanken.

»Danke, Ella.« Ich schaue sie nicht an, sondern lade mir eine Portion auf den Teller.

Obwohl Ella schon lange hier in Schottland lebt und wir uns kaum sehen, haben wir noch immer diese enge geschwisterliche Verbindung zueinander. So also scheint sie auch ohne große Erklärungen zu wissen, dass mein Dank nicht – ausschließlich – für das Frühstück gilt, sondern vielmehr dafür, dass ich so kurzfristig zu ihr ziehen darf. In einer warmherzigen Geste legt sie mir eine Hand auf die Schulter und drückt sie leicht.

»Geschwister auf ewig, schon vergessen? Du bist hier immer willkommen, Max.«

Ich suche nach den richtigen Worten. Das weiß ich, möchte ein Teil von mir sagen. Der andere Teil möchte nicht von meiner jüngeren Schwester beschützt werden müssen. Ich sollte für sie da sein! Ich warte scheinbar zu lange mit einer Reaktion, denn mit einem fast unmerklichen Seufzer nimmt sie ihre Hand von meiner Schulter und setzt sich neben mich an den Tisch. Anstatt sich selbst etwas zu essen zu nehmen, fängt sie an, eine Lunchbox für Millie vorzubereiten.

»Wenn du willst, bringe ich sie in die Vorschule«, biete ich ihr an. Ich kann kaum glauben, dass meine kleine Nichte inzwischen schon in die Vorschule geht. Zwar nur vormittags für einige Stunden, bevor sie den restlichen Tag im Hort verbringt, aber trotzdem.

»Das ist lieb, doch die liegt eh auf dem Weg zum Büro.«

Sie zögert einen Moment, als würde sie ihre nächsten Worte abwägen.

»Aber, wenn du sie vielleicht abholen könntest?«

»Nichts leichter als das«, versichere ich Ella.

Ich weiß, wie sehr sie sich den Arsch für sich und ihre Tochter aufreißt, damit es Millie an nichts fehlt. Wenn ich ihr auf diese Weise also helfen kann, während ich hier bin, kann ich mir einreden, nicht vollkommen nutzlos zu sein.

»Danke dir. Und Max, wenn … wenn du mal reden willst …«, setzt sie an, wird aber von Millie unterbrochen, die nun die Treppe herunterkommt. Sie war das Wochenende bei ihrem Dad, und deshalb habe ich sie gestern noch nicht gesehen. Als die Kleine mich erblickt, quiekt sie und stürzt auf mich zu. Ich schaffe es gerade noch, einen Arm auszubreiten, da hat sie sich schon gegen mich geworfen. Ich drücke sie so fest, dass ich sie gerade nicht in meiner Umarmung zerquetsche. Meine kleine Nichte wiederzusehen – und diesmal wie es scheint für etwas längere Zeit –, ist eine der besten Seiten an meinem kurzfristigen Umzug.

Ich schiebe sie auf Armlänge von mir und lasse meinen Blick gespielt zweifelnd an ihr auf und ab wandern.

»Wer bist du denn, und wo ist meine kleine Millie?«

Sie kichert, und ich merke, wie diese klaren glockenhellen Töne mein Herz erwärmen.

»Onkel Max, ich bin Millie!«

»Niemals«, gehe ich auf sie ein. »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du so klein!« Ich halte meine Hand ungefähr auf ihre Hüfthöhe, was sie protestierend schnauben lässt. Sie stemmt ihre kurzen Ärmchen in die Seiten und streckt sich extra lang.

»Dafür bin ich jetzt schon ganz groß!« Wie zum Beweis wippt sie auf Zehenspitzen auf und ab, und ich muss ein breites Grinsen unterdrücken. Dieses kleine Energiebündel ist wirklich ein echter Sonnenschein in der Dunkelheit, die mein Inneres momentan dominiert.

»Wie lange bleibst du?«, fragt sie mich und schaut zwischen mir und ihrer Mum hin und her.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass auch Ella neugierig auf eine Antwort wartet.

»Eine Weile«, entgegne ich ausweichend, weil ich selbst noch keine Ahnung habe, wie es weitergehen soll. Für mich lag mein Zuhause immer drüben in den Staaten, aber aktuell ist Ellas Wohnung das Einzige, was einem Zuhause nahekommt.

»Jetzt lass Onkel Max erst mal in Ruhe frühstücken und iss was.« Sie deutet auf den freien Stuhl, und widerstandslos lässt Millie von mir ab und nimmt sich etwas Rührei. Ein paar Minuten essen wir in angenehmem Schweigen, bis Ella auf die Uhr sieht.

»Ach du … es wird Zeit! Millie, hol deine Tasche von oben, wir müssen los!«

Sie steht auf und räumt ihre Teller in die Spüle, während Millie die Treppe hinaufläuft.

Ella schnappt sich einen Apfel und packt ihn in ihre Tasche. »Du bist spät angekommen«, sagt sie wie beiläufig, »ich dachte, du würdest bereits gestern Abend hier sein.«

»Tut mir leid, dass ich dir nicht geschrieben hab, Ellie.« Bei der Erwähnung ihres früheren Spitznamens von mir huscht ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.

»Der Flug hatte Verspätung, und auf dem Weg hierher habe ich mich verfahren.«

Ich tue es mit einem Schulterzucken ab. Keine Ahnung, warum ich ihr nicht erzähle, dass ich die halbe Nacht an der Seite einer Tierärztin verbracht habe. Es hatte ja nichts zu bedeuten. Diese Raelyn brauchte Hilfe, und ich war der Einzige, der da war. Unbewusst reibe ich mir mit einer Hand über die Brust. Ein kleiner Teil von mir will einwerfen, dass ich nicht hätte bleiben müssen, aber ich verbanne diese Stimme zu all den Erinnerungen, die ich mir verboten habe, hervorzuholen. Ich weiß, würde ich Ella erzählen, wo ich war, würde sie viel zu viel hineininterpretieren. Und das will ich nicht. Sie soll nicht denken, mir würde etwas fehlen, denn das tut es nicht. Um meinen eigenen Worten zu glauben, nicke ich mir bekräftigend zu und bringe meinen Teller ebenfalls zur Spüle.

»Ich mache das nachher.«

Ella quittiert den Themenwechsel mit zusammengezogenen Augenbrauen, sagt aber nichts weiter dazu.

Sie wirft einen neuerlichen Blick auf ihre Uhr und flucht leise.

»Millie!«

»Du trägst sie ja noch.« Ich deute mit dem Kinn auf die schmale Uhr an ihrem Handgelenk.

Sie streicht kurz mit einem Finger über das Ziffernblatt.

»Natürlich. Es war ein Geschenk von dir.«

»Zu deiner Hochzeit! Ich hätte gedacht, du würdest sie längst … ich weiß auch nicht, vielleicht verkauft haben.«

Sie wirft mir einen beleidigten Blick zu.

»Nur weil mein Für immer nicht für immer war, muss ich nicht alle Erinnerungen vernichten.« Ihre Anspielung ist nicht zu überhören.

Zum Glück rettet mich Millie vor einer Antwort, denn ich hätte keinen blassen Schimmer, was ich sagen sollte.

»Fertig«, bekundet sie.

Ella lockert ihre angespannte Haltung und lässt mich von der Angel.

»Gut, dann Schuhe an und hopp. Wir sind spät dran, Spatz.«

Auch sie geht in den schmalen Flur und zieht sich an.

Die Hand schon an der Haustür dreht sie sich noch mal zu mir um. Ich bin ihr in den Flur gefolgt und fühle mich ein bisschen wie ein Beobachter, der ihren täglichen Rhythmus stört.

»Der Ersatzschlüssel liegt in der Keksdose. Kindergarten ist um fünfzehn Uhr zu Ende, sei pünktlich.«

»Wieso Kindergarten? Ich denke, Millie geht nachmittags in den Hort?« Verwundert lege ich den Kopf schief.

»Der ist doch bei uns im Kindergarten drin, Brüderchen.«

Sie wirft mir einen Luftkuss zu und schiebt Millie vor sich zur Tür hinaus. Das Geräusch der ins Schloss fallenden Tür hallt in meinem Kopf wider. Ich muss mich mit irgendetwas beschäftigen, um nicht in dunklen Gedanken zu ersticken. Diese Rastlosigkeit habe ich die letzten Tage durch meine überstürzte Abreise und all das Chaos gut unterdrücken können. Doch jetzt fühle ich mich, als würde ich unter Strom stehen und jede Sekunde explodieren.

Kurzentschlossen gehe ich zurück in die Küche und erledige den Abwasch. Das Klappern der Teller und des Bestecks hält meine Gedanken in Schach.

Dann öffne ich einen der Oberschränke und suche nach besagter Keksdose. In einer alten Blechdose finde ich den Ersatzschlüssel und dazu einen kleinen Vorrat an Bargeld. Ich leihe mir einen Zehner, weil mir einfällt, dass ich vergessen habe, am Flughafen Geld zu wechseln.

Anschließend hole ich meine Reisetasche – viel habe ich nicht mitgebracht – und bringe sie in das kleine Gästezimmer nach oben. Wie es scheint, war ich lange nicht zu Besuch, denn die Wände sind neu tapeziert worden. Der Raum ist nicht sehr groß, ein Bett und ein Schrank gegenüber dem Fußende nehmen fast den gesamten Platz ein. Die andere Seite ist mit Wäschekörben und einem Bügelbrett zugestellt. Alles an diesem Zimmer zeigt mir, wie sehr ich meine Schwester überfallen habe, denn normalerweise würde sie niemals so eine Unordnung dulden, wenn sie weiß, das Besuch kommt. Ich kann ihr dann auch hundertmal sagen, dass mir das egal ist – Ella hat ihre Prinzipien.

Ich verstaue meine paar Habseligkeiten im Schrank und beschließe, mir den Ort anzusehen.

Ich war über ein Jahr nicht mehr hier und wenn, dann meist nur für eine Woche. Mehr als den nächsten Spielplatz und die Hauptstraße kenne ich nicht. Allerdings wird sich das wohl in der nächsten Zeit ändern.

Um die Stille zu vertreiben, stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und stelle wahllos eine rockige Playlist an. Extra laut.

Die meisten Straßen sind wie leergefegt, und ich frage mich, ob das daran liegt, dass der Großteil der Leute arbeitet, oder ob es hier immer so ruhig ist. Ich komme nicht umhin, diesen kleinen Ort mit Seattle zu vergleichen, aber ich merke sofort, dass Seaview Hills der komplette Gegensatz zu der hektischen Großstadt ist, die bisher mein Zuhause war. Die Luft ist hier viel klarer, und ich hoffe, dass ich hier endlich meinen Kopf frei kriegen werde. Es wird meine Schwester immerhin nicht umsonst hierhergezogen haben.